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Die Hexe von En Dor

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1<br />

„Nicht eine <strong>Hexe</strong>, eine Heilige war sie … !“<br />

Was an den Quellen <strong>von</strong> <strong>En</strong>-DOR geschah<br />

Predigt zu 1. Sam 28,3-25<br />

<strong>von</strong> Andreas Pasquay<br />

Saul und die Totenbeschwörerin <strong>von</strong> <strong>En</strong>-<strong>Dor</strong><br />

Übersetzung <strong>von</strong> Andreas Pasquay<br />

3. Als Samuel, der Prophet starb und hielt ganz Israel Totenklage um<br />

ihn. Man begrub ihn nahe der Stadt Rama. Saul, der König aber hatte die<br />

Beschwörung der Toten und die Orakel in ganz Israel verboten. 4. Da<br />

sammelten sich die Philister zum Krieg. Sie kamen und lagerten sich bei<br />

Schunem. Auch Saul sammelte den ganzen Heerbann Israels. Er lagerte<br />

sich bei Gilboa 5. Da sah Saul das Heer der Philister. Angst stieg in ihm auf.<br />

Sein Herz<br />

verzagte. Er zitterte<br />

bis hinein<br />

ins Innerste. 6. Und<br />

Saul suchte<br />

Halt bei Gott, aber<br />

es gab keinerlei Reaktion –<br />

weder im<br />

Traum, noch bei<br />

den<br />

Wahrsagern und<br />

auch nicht in<br />

der Deutung durch<br />

die<br />

Propheten.<br />

7. Da gab Saul seinen<br />

<strong>Die</strong>nern den<br />

Auftrag: „Sucht mir<br />

eine Frau,<br />

die die Toten<br />

beschwören<br />

kann. Ich will zu ihr<br />

gehen und<br />

sie aufsuchen.“<br />

Seine<br />

<strong>Die</strong>ner sagten zu<br />

ihm: „Ja – es<br />

gibt eine solche<br />

Frau in <strong>En</strong>-<br />

<strong>Dor</strong>. Sie ist eine<br />

‚Meisterin<br />

über die<br />

Totengeister’“ 8.<br />

Saul aber<br />

zog fremde<br />

Kleidung an.<br />

Er machte sich<br />

unkenntlich.<br />

So ging er zu ihr<br />

Zwei <strong>Die</strong>ner kamen mit ihm.<br />

Als er zu ihr kam, war es Nacht. „Befrage für mich den Totengeist, den<br />

ich Dir nennen werde. Lass ihn für mich heraufsteigen.“ 9. <strong>Die</strong> Frau aber<br />

sagte zu ihm: „Siehe – weißt Du selbst nicht auch: Saul hat aus dem<br />

(ganzen) Land alle Totenbeschwörung und Orakel getilgt. Warum fragst Du<br />

also so und stellst mir damit eine lebensbedrohende tödliche Falle?“ 10. Und


2<br />

Saul schwor ihr bei GOTT: “So wahr GOTT lebt – Dich soll in dieser Sache<br />

keine Schuld treffen!“ 11. Da sprach die Frau:“ Wen soll ich für Dich <strong>von</strong> den<br />

Toten heraufsteigen lassen?“ Er antwortete: „Bring mir Samuel herauf!“ 12.<br />

Dann sah die Frau (den toten) Samuel wirklich (aufsteigen) – und sie schrie<br />

laut auf. „Warum …“ so rief sie zu Saul, „warum hast Du mich so betrogen?<br />

Denn Du bist es ja selber – Saul!“<br />

13. Es war nun der König, der zu ihr sprach: „Fürchte Dich nicht! Was<br />

aber ‚siehst’ Du?“ <strong>Die</strong> Frau sprach: „Eine Gottheit sehe ich. Aus der Erde<br />

steigt sie empor.“ 14. Er fragte: „Wie ist ihre Gestalt?“ <strong>Die</strong> Frau umschrieb:<br />

„Er, der heraufsteigt, ist (sehr) alt. Er ist gekleidet wie ein Priester“ Da wusste<br />

Saul: Es war Samuel. Er fiel auf die Knie. Sein Angesicht berührte den<br />

Erdboden. So warf Saul sich nieder.<br />

15. Da sprach Samuel: „Saul! Warum hast Du mich gestört? Warum<br />

hast Du mich holen lassen?“ Und Saul sprach: „Ich bin in großer Not! <strong>Die</strong><br />

Philister führen gegen mich Krieg. Gott hat sich abgewandt <strong>von</strong> mir. Er<br />

antwortet nicht mehr – weder durch die hand der Propheten noch durch<br />

Träume. Darum habe ich Dich rufen lassen. Lass mich wissen: Was soll ich<br />

tun?“<br />

16. Da entgegnete Samuel: „Was fragst Du mich? Gott ist doch <strong>von</strong> Dir<br />

gewichen! Gott ist doch nun Dein Gegner! 17. Er hat so an Dir gehandelt, wie<br />

er es Dir aus meiner prophetischen Kraft angekündigt hat: <strong>Die</strong> Königswürde<br />

reißt er aus Deiner Hand und gibt sie David, Deinem Nachfolger. 18.<br />

Warum? Du hast nicht auf GOTT gehört. Du hast seinen flammenden Zorn<br />

nicht an Amalek vollstreckt. Darum handelt er heute so an dir. 19. Ganz<br />

Israel wir Gott mit Dir in die Hand der Philister geben. Mit Deinen Söhnen<br />

wirst Du (schon) morgen bei mir sein. Ja – das ganze israelitische Heer wird<br />

Gott in die Hand der Philister geben.<br />

20. Der Länge nach stürzte da Saul zu Boden. Groß war seine Furcht<br />

vor dem, was Samuel gesagt hatte. Aber – es fehlte ihm auch darum an<br />

Kraft, weil er einen ganzen Tag und eine ganze Nacht nichts mehr gegessen<br />

hatte.<br />

21. <strong>Die</strong> Frau näherte sich Saul. Sie sah seine große Panik und sagte zu<br />

ihm: „Sieh, wie eine <strong>Die</strong>nerin habe ich auf Deine Stimme gehört. Ich habe so<br />

meine Seele auf meine Handfläche gesetzt d.h. mein Leben riskiert.<br />

Gehorcht habe ich Dir, wie Du mir gesagt hast. 22. Aber jetzt soll es an Dir<br />

sein, auf die Stimme Deiner <strong>Die</strong>nerin zu hören. Ich will Dir einen Bissen Brot<br />

vorsetzen. Iß. Du sollst wieder zu Kräften gekommen sein, wenn Du Dich auf<br />

den Weg machst.“ 23. Saul aber verweigerte sich. Er rief „Ich esse<br />

nicht!“ Da drangen seine <strong>Die</strong>ner – und auch die Frau – in ihn, bis dass er<br />

ihren Rat hörte, vom Boden aufstand und sich auf das Bett setzte. 24. <strong>Die</strong><br />

Frau aber besaß ein gemästetes Kalb. Schnell schlachtete sie es. Dann<br />

nahm sie Mehl und knetete es und buk ungesäuertes Brot. 25 Das tischte sie<br />

Saul und seinen <strong>Die</strong>nern auf und sie aßen. Dann standen sie auf und gingen<br />

fort - noch in dieser Nacht.


3<br />

I Ein letztes Nachtmahl<br />

Drei Männer – eine Frau. Ungewöhnlich ist das nicht, zumal die Frau – wie<br />

schon so oft – die Einladende ist. Sie hat das Mahl bereitet, das Kalb<br />

besorgt, das Brot gebacken. Frauenarbeit, wie überall zu allen Zeiten. <strong>Die</strong>se<br />

Rolle füllt sie gut aus. Wirklich? Ist es nur das?<br />

Drei Männer – eine Frau. Ungewöhnlich sind die Umstände, die zu dieser<br />

Schlussscene jener fast unglaublichen Geschichte aus der Zeit der ersten<br />

Könige Israels führten. Bizarr ist zudem die Bilder jener Nacht: Ein König am<br />

Boden, ein Toter mahnend, ein verstummter GOTT und eine Frau voll<br />

Weisheit und Kraft. ‚Meisterin über die Totengeister’ – so nannten sie<br />

achtsam und voll Ehrfurcht die <strong>Die</strong>ner Sauls.<br />

Drei Männer – eine Frau. Was am folgenden Tag passieren wird, berichtet<br />

die Bibel wenige Kapitel später: Saul wird mit seinen Söhnen sterben. <strong>Die</strong><br />

gegnerischen Philister werden das Heer Israels aufreiben. David wird der<br />

Nachfolger – aber erst nach langer langer Zeit. <strong>Die</strong> Frau hat es gesehen. Der<br />

tote Samuel hat es prophezeit.<br />

Ein letztes Nachtmahl: Eine Stärkung vor dem Tod – eine Stärkung zum<br />

Leben?!. Erinnerungen werden wach. Bilder, Parallelen kommen auf: Da ist<br />

der Spielfilm „Der Untergang“ (2004) <strong>von</strong> Bernd Eichinger mit seinen<br />

düsteren Szenen aus dem Führerbunker in Berlin ‚45. Da ist die jüdische<br />

Erinnerung an die Aufbruchsstimmung der letzten Nacht vor dem Exodus aus<br />

Ägypten. Auch damals schien der Tod allgegenwärtig. Das ungesäuerte Brot,<br />

das die Frau in <strong>En</strong>-<strong>Dor</strong> bäckt deutet darauf hin. Und immer wieder das<br />

Abendmahl, Jesu letzte Feier mit den Freundinnen, den Freunden. Das Brot,<br />

der Wein, das Fleisch – all das wird auch damals auf dem Tisch dargeboten<br />

gewesen sein, den die Frau mit Saul und den Seinen teilte.<br />

Henkersmahlzeit oder Liebesmahl? Was ist es gewesen – damals in <strong>En</strong>-<strong>Dor</strong>?<br />

Zumindest verlässt Saul diesen Tisch mit aufrechtem Gang, nicht gebeugt<br />

vor Angst und Schrecken, niedergeworfen in den Staub vor dem drohenden<br />

Schicksal – wie nur wenige Minuten vorher. <strong>Die</strong>s hat die Frau erreicht. So hat<br />

sie schlussendlich an ihm gehandelt. <strong>Die</strong> Würde hat sie ihm zurück gegeben.<br />

Es war das letzte Geschenk, das jenem ersten König Israel gegeben werden<br />

sollte. Es kam aus der Hand jener Frau.<br />

Mich erinnert es an die Worte Bonhoeffers aus dem Gefängnis Tegels. „Und<br />

reichst du uns den schweren Kelch, den bittern des Leids, gefüllt bis an den<br />

höchsten Rand, so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern aus deiner guten<br />

und geliebten Hand. … !“


4<br />

II <strong>Die</strong> Angst der Männer<br />

Es ist die Angst der Männer, die jene dunkle Geschichte bestimmt. <strong>Die</strong><br />

Trostlosigkeit, die Schwere und Bitterkeit hängen eben nicht ursächlich an<br />

jener Frau, welche die Bezeichnung, sie sei die ‚<strong>Hexe</strong> <strong>von</strong> <strong>En</strong>-<strong>Dor</strong>’ ähnlich<br />

verfremdet, wie es die dunklen Kleider des Sauls tun, mit welchen er sich in<br />

der Geschichte unkenntlich zu machen versucht.<br />

Nein - es ist die ‚Angst der Männer’, die hier umgeht.<br />

Männer führen Kriege. Kriege gebären Angst, Furcht und Schrecken –<br />

weltweit und zu allen Zeiten. <strong>Die</strong> Heere der Philister und Israeliten stehen<br />

einander gegenüber. Saul ist ein Kriegerkönig, David ist ein Freischärler. <strong>Die</strong><br />

eigentlichen Invasoren sind in diesem Fall die Israeliten. Sie sind aus<br />

Ägypten kommend in das Bergland Kanaan eingefallen und bedrohen nun<br />

auch die Küstenstädte am Mittelmeer, in denen die Philister wohnen. Und<br />

JHWE, der Gott Israels, ist ihr Kriegsgott. Anders kann man jenen dunklen<br />

Hinweis des toten Samuel nicht verstehen, mit dem er die Schuld Sauls<br />

kennzeichnet: „Du hast seinen (Gottes) flammenden Zorn nicht an (deinem<br />

kanaanäischen Gegner) Amalek vollstreckt und ihn völlig vernichtet …!“ Hier<br />

führt wirklich das ‚Auge um Auge, Zahn um Zahn’ Regiment. Und es macht<br />

Angst.<br />

<strong>Die</strong> Angst, die Angst der Männer ist das eigentliche Thema jener Geschichte<br />

– nicht aber die Frage, ob es nun eine Totenbeschwörung gibt und ob sie<br />

nun erlaubt ist (oder nicht). <strong>Die</strong> Angst führt den König ins Verderben. Er sieht<br />

keinen Ausweg mehr. Er glaubt sich verloren. Er, der es gewohnt ist, über<br />

Leichen zu gehen, wirft alle Regeln – sogar die eigenen Gesetze – über den<br />

Haufen, nur um dieser Angst zu entgehen. Er hat Angst um sein Königtum,<br />

um seine Ehre, um seine Söhne. Er hat Angst vor seinem Gott, der sich ihm<br />

verschweigt. Er hat Angst um sein Leben. <strong>Die</strong> Angst macht ihn fast<br />

wahnsinnig. Ihr ist er verfallen. <strong>Die</strong> Angst macht ihn fast unkenntlich. Sie hüllt<br />

den einstigen Kriegshelden in die Dunkelheit der Nacht.<br />

So schildert es die Geschichte. Ihr Stil ist voll selbstkritisch reflektierender<br />

(scheinbar ironischer) Hinweise. Der Autor bricht mit dem sonst fast<br />

durchgängigen Heldenepos der Geschichte des Gottesvolkes: Der König –<br />

am Boden, die Ordnung <strong>von</strong> Leben und Tod – gebrochen, eine Frau richtet<br />

den Mächtigen aus seiner Ohnmacht auf und stärkt ihn sogar auch noch für<br />

seinen letzten Weg.<br />

Der Angst der Männer, selbstverursacht durch ihren unersättlichen<br />

Machthunger wird in dieser Geschichte eine deutliche Alternative entgegen<br />

gesetzt. In ihr blitzt die Wahrheit jenes Gottes auf, <strong>von</strong> dem in späterer Zeit<br />

Jesus <strong>von</strong> Nazareth wird sagen können, dass er sein ‚Vater im Himmel’ sei.


5<br />

Vielleicht ist sogar das Schweigen Gottes, an dem Saul so leidet ebenfalls<br />

ein Hinweis. Es ist der Kriegsgott, der verstummt. Der Gott der Solidarität und<br />

der Liebe kennzeichnet die Alternative. Er begegnet im Handeln der Frau.<br />

<strong>Die</strong> Angst der Männer – hier ist es die Angst Sauls – wird gestillt durch ihr<br />

ungesäuertes Brot. Was auch immer geschehen mag – selbst der Tod des<br />

Saul – er wird durch ihr Tun in die Geschichte des Gottes gerückt, der zu<br />

Zion „alle Schwerter zu Pflugscharen“ umschmieden lässt (Micha 4,3)<br />

III Wie komme ich zu GOTT?<br />

Es ist doch diese Frage, die Saul in seiner Angst leitet? Das Schweigen<br />

GOTTes ist sein größtes Unglück. Alles andere scheint er –wenn auch mit<br />

Mühen – wegstecken zu können: <strong>Die</strong> Stärke seiner Feinde, die Konkurrenz<br />

seines Feldhauptmanns David, der ihm auch noch die Zuneigung seines<br />

Sohnes Jonathan stiehlt, seine Depression und seinen Jähzorn. Aber dass<br />

sein GOTT schweigt …. ?!<br />

Da bricht eine Welt zusammen. Zumindest gerät sie aus den Fugen. Der<br />

Rahmen seines Leben – denn ihn garantierte GOTT – bricht auseinander.<br />

Und – Himmel und Erde vermischen sich. Das Oberste wird zum Untersten.<br />

So kommt Saul nur auf diesen irrigen Gedanken, er könne den Kontakt zu<br />

GOTT über die Befragung der Toten wieder herstellen.<br />

Wenn GOTT schweigt, gerät das Leben in Unordnung. Wir kennen das<br />

ebenfalls gut, nur drücken wir es anders aus.<br />

Auf der Suche nach dem ‚Sinn des Lebens’, jenes großen<br />

Koordinatensystems, in welchem wir uns mit unseren Themen, Fragen und<br />

Aufgaben wieder- und einfinden können, geraten wir selber oft an Grenzen.<br />

Der Glaube, die Religion bietet hier Halt. Ihn fordern wir ein, wenn wir uns<br />

religiös vorfinden, ja definieren. (Lebens)Orientierung – das soll die ‚Sache<br />

mit GOTT’ uns bieten.<br />

Wie komme ich zu GOTT, wenn GOTT schweigt? Daran können Menschen<br />

verzweifeln.<br />

Martin Luther ist es so gegangen. Nur – suchte er nach dem strafenden,<br />

zürnenden Gott der römischen Kirche. Ihn konnte er nicht finden, weil es ihn<br />

nicht gab. Und – dieser Gott musste ja zwangsläufig auch schweigen. Luther<br />

fand dagegen den Gott der Gnade und der Liebe. Ihm konnte er sich<br />

anvertrauen.<br />

Vielleicht ist der Schlüssel zur Frage „Wie komme ich zu GOTT, wenn GOTT<br />

schweigt?“ einfach und einzig die Tatsache, dass dieser schweigende GOTT<br />

gar nicht existiert – und er darum schweigt. Und dass das Schweigen eines


6<br />

solchen Gottes möglicherweise in sich selber ein Hinweis sein kann auf<br />

einen GOTT, der sich in andere, alternativer Weise offenbart.<br />

Bei Luther war es die <strong>En</strong>tdeckung des ‚gnädigen Gottes’. Bei Bonhoeffer ist<br />

es die Zuversicht auf die ‚guten Mächte’.<br />

Saul machte diese Erfahrung durch das Handeln der Frau. Sie richtete ihn<br />

auf, während der ‚Gott des Krieges’ ihn in seinem ‚flammenden Zorn’ nur<br />

richtete. Den Tod konnte sie nicht abwehren. Der Tod war Realität. Aber die<br />

Haltung, mit der Saul seinen letzten Weg gehen konnte, die war ihr Werk.<br />

IV Nicht <strong>Hexe</strong> – Heilige !!<br />

Als ‚<strong>Hexe</strong> <strong>von</strong> <strong>En</strong>dor’ ist sie in die Religions- und Literaturgeschichte<br />

eingegangen. Wie so viele Frauen, die besonders waren und Besonderes<br />

taten, wurde sie so bewertet, gewertet, gewichtet und für ‚unwert’ erachtet.<br />

Und es waren immer Männer, die dies taten.<br />

Scheinbar sind es ihre Praktiken, die zu diesem Urteil führten.<br />

‚Totenbeschwörung’ – das klingt nach Zauberei. Und – hatte nicht Saul diese<br />

Methoden der Lebens- und Zukunftsdeutung verbannt? <strong>Die</strong> Geschichte<br />

selber führt in sich schon dieses Urteil ad absurdum. Saul ist es, der nach<br />

Zauberei verlangt. Er verleugnet seinen scheinbar so aufgeklärten<br />

Standpunkt. Nicht die Frau, der Mann ist es, welcher so sich retten will.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Die</strong>ner nenn die Frau voll Wertschätzung eine ‚Meisterin’. Sie ist eine<br />

Wissende. Sie kennt die Weisheiten der Alten. Sie arbeitet im Verborgenen.<br />

<strong>Die</strong> Welt der Männer, des Krieges und der Angst ist nicht die ihre. Eine<br />

Heilerin wird sie gewesen sein, eine die die Stimmen der Natur, der Ahnen<br />

und der Götter kennt. Eine Heilerin ist sie schlussendlich für Saul geworden,<br />

indem sie – wahrscheinlich eine Kanaanäerin – ihm. dem Israeliten das<br />

Zeichen seines Volkes, das ungesäuerte Brot als Zeichen der Stärkung mit<br />

auf den Weg gab.<br />

Das ist eine ganz besondere Seite dieser Frau. Während die Männer mit der<br />

Macht des Schwertes ihre Position verteidigten, in offener Feldschlacht den<br />

Gegner zu besiegen und sich dabei der Gunst des ‚zornigen GOTTes’ zu<br />

versichern suchten, handelt die Frau entgegengesetzt:<br />

Sie verlässt als kanaanäischen Frau die Sinndeutungswelt ihrer Religion. Sie<br />

gibt so ihre Position auf und bedient sich der Zeichenwelt <strong>von</strong> Sauls<br />

israelitischer Welt. Sie tut es um der Heilung willen. <strong>Die</strong>s ist ein wahrhaft<br />

freier Standpunkt.<br />

Nein – eine <strong>Hexe</strong> war die Frau <strong>von</strong> <strong>En</strong>-<strong>Dor</strong> nicht.<br />

Sie war eine Heilerin, ja sie war eine Heilige – weil sie in der Lage war, um<br />

des Heils (des Heilens) willen, über ihren Schatten zu springen.


7<br />

V Was an den Quellen <strong>von</strong> <strong>En</strong>-<strong>Dor</strong> geschah …<br />

<strong>En</strong>-<strong>Dor</strong>, der Name, an dem jene Geschichte spielt und der Ort, an dem jene<br />

Heilerin lebte hat eine besondere Bedeutung. <strong>En</strong>-<strong>Dor</strong> heißt übersetzt „Quelle<br />

<strong>von</strong> <strong>Dor</strong>“.<br />

<strong>Die</strong> Bilder, die wir <strong>von</strong> jener Geschichte in uns tragen, stimmen also alle<br />

nicht. Nicht eine Höhle, nicht eine dunkle Felsenschlucht – all das ist es<br />

nicht. Keine shakespearesche Dramatik und auch keine endzeitliche<br />

Science-Fiction-Scenerie aus dem ‚Krieg der Sterne’ ist angebracht.<br />

Der Ort der tat war wohl ein altes Quellheiligtum, ein heiliger und heilender<br />

Ort alten spirituellen Wissens. Wahrscheinlich ist es ein matriarchates<br />

Heiligtum gewesen.<br />

Solche heiligen Orte gibt es oft. Immer wieder sind sie <strong>von</strong> verschiedensten<br />

Religionen nacheinander besiedelt worden. Viele unserer Kirchen und<br />

Klöster gründen – auch bei uns - an solchen Orten.<br />

Dann – wenn es der GOTT der Gnade und Liebe ist, welcher den Geist<br />

dieser Kirche und Klöster bewahrt, bleibt ihre ursprüngliche Kraft spürbar.<br />

Wenn es jedoch der Gott des Zornes und des Krieges ist, kehren Angst und<br />

Not ein, die elementare Kraft versiegt und aus Heiligen werden <strong>Hexe</strong>n.<br />

Was also geschah an jenem heiligen Ort, an den Quellen <strong>von</strong> <strong>En</strong>-<strong>Dor</strong>?<br />

In dem Moment, in welchem die Macht des Gotteszorns brach und dies war<br />

der Augenblick, in welchem die Frau sich – aus freien Stücken – dem auf den<br />

Boden geworfenen König Saul nähert, löst sich – wie durch ein Wunder – die<br />

bange Frage des Saul „wie komme ich zu Gott, wenn er schweigt?“<br />

Wie das? Ganz einfach – indem GOTT selbst sich dem bangenden Saul<br />

nähert. GOTT tut dies in der Gestalt jener Frau – solidarisch, konsequent,<br />

aufrichtend und nährend.<br />

Es braucht also gar keine besondere spirituelle Praxis, auch keine<br />

Totenbeschwörung, um GOTTes Nähe zu erfahren. Es braucht nur den<br />

veränderten Blick, der aus einem ängstlichen König einen aufrechten<br />

Menschen, aus einer <strong>Hexe</strong> eine Heilige, aus dem zornigen schweigsamen<br />

Gott einen GOTT der Zuwendung und Gnade macht.<br />

<strong>Die</strong> Frau, die Heilige <strong>von</strong> <strong>En</strong>-<strong>Dor</strong> verkörpert dies.<br />

Das also zeigt uns diese Geschichte: Nicht wir müssen zu GOTT kommen.<br />

GOTT kommt zu uns!<br />

Amen<br />

(Pfarrer Andreas Pasquay)

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