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„Sticky Places“der kreativen Klasse?

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1<br />

Peter Franz<br />

Innovative Milieus in ostdeutschen Sta dten „<br />

“Sticky Places der <strong>kreativen</strong> <strong>Klasse</strong>?<br />

Drei Teile: a) Stellenwert des Faktors “ Wissenö und der Wissensdiffusion in<br />

verschiedenen regionalokonomischen Theorien; b) Darstellung der Theorie der<br />

<strong>kreativen</strong> <strong>Klasse</strong>; c) Versuch einer Anwendung auf einige ausgewahlte deutsche Stadte<br />

(spatestens da wird es dann auch politisch interessant)<br />

Ich mochte meinen Vortrag mit einem kurzen U berblick daru ber beginnen, wie sich die<br />

regionalokonomische Erforschung der Zusammenhange von Wissen, Wissenstransfer<br />

und regionalem Wachstum in den letzten Jahren entwickelt hat. Daraus soll zweierlei<br />

deutlich werden: Zum einen, dass sich in der regionalokonomischen Forschung in den<br />

letzten Jahren die Aufmerksamkeit rapide hin zu fru her wenig beachteten Faktoren<br />

verschoben hat, zum andern, dass solche Faktoren zunehmend an Einfluss gewonnen<br />

haben, die man bisher eher als typisch soziologisch angesehen hat. (Schweinsgalopp)<br />

In den Zeiten der neoklassischen Wachstumstheorie vom Solow-Typ (Wachstum einer<br />

Volkswirtschaft Funktion von Faktoren Arbeit und Kapital) wurde technologischer<br />

Fortschritt oder technologisches Wissen als exogener Faktor behandelt, dessen<br />

Veranderung au–erhalb des Erklarungsbereichs dieser Theorie liegt und auf welche die<br />

Wirtschaft nur reagiert, indem sie Kapital und Arbeit im neuen Verhaltnis kombiniert<br />

und nach einem neuen Gleichgewichtszustand strebt. Die Endogenisierung des Faktors<br />

technologischer Fortschritt erfolgte erst in Modellen der neuen Wachstumstheorie Ende<br />

der 80er, Anfang der 90er Jahre. Der theoretische Clou dieser Modelle besteht im<br />

Einbau positiver Feedback-Schleifen: Weist eine Region A in der Phase 1 eine bessere<br />

Ausstattung mit Wissen und Technologie auf als eine andere Region B, so wird in der<br />

darauffolgenden Phase 2 die Region hohere wirtschaftliche Ertrage aufweisen als die<br />

Region B. Die bessere wirtschaftliche Lage in der Region A begu nstigt wiederum eine<br />

verbesserte Ausstattung mit Wissen und Technologie und verfestigt mit der Zeit die<br />

Ausstattungsunterschiede zur Region B. Auf die lange Frist driftet das wirtschaftliche


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Wachstum der beiden Regionen auseinander Ö es wird divergent und die<br />

Ausstattungsunterschiede verfestigen sich entlang unterschiedlicher Pfade, d.h. die<br />

wirtschaftliche Entwicklung der Regionen wird langfristig gesehen pfadabhangig.<br />

(Folie) Die zentrale Annahme der neuen Wachstumstheorie ist, dass die Akkumulation<br />

technischen Wissens positive externe Effekte Ö auch beschrieben als Spillover-Effekte Ö<br />

erzeugt. In Teilen der okonomischen Literatur, wo Wissen als frei zugangliches<br />

offentliches Gut aufgefasst wurde, wurde dieser Prozess als nahezu kostenlos und<br />

friktionslos dargestellt. (Auch patentiertes Wissen wird durch die damit verbundene<br />

Beschreibung allgemein verfu gbar) Erst mit der Annahme, dass solches technisches<br />

Wissen nicht durchweg als frei flottierendes und u berall konsumierbares offentliches<br />

Gut begriffen wird, sondern als Faktor, dessen Aneignung rechtlichen, raumlichen und<br />

kognitiven Restriktionen (Absorptionsfahigkeit) unterliegt, rucken Spillover-Effekte in<br />

den Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses. Unter der Fragestellung, wie Spillover-<br />

Effekte funktionieren, haben Wissens- und Regionalokonomen Korrelationen zwischen<br />

den Patentaktivitaten von Unternehmen und den Forschungsausgaben von Universitaten<br />

in einer Region berechnet sowie untersucht, ob sich in den Patentzitationen bestimmter<br />

Branchen raumliche Muster erkennen lassen.<br />

Neben diesen Ansatzen, der Verbreitung kodifizierten Wissens nachzugehen, gibt es<br />

eine andere Gruppe von Studien, die den raumlichen Beziehungen von Personen mit<br />

hochspezialisiertem Wissen und den Standorten von Unternehmen bestimmter Branchen<br />

nachgehen. In den USA wurde im Bereich der Biotechnologie eine enge raumliche<br />

Anbindung von Biotechnologie-Firmen an Hochschulen mit Koryphaen in den<br />

Biowissenschaften gefunden. Ein solcher Zusammenhang lasst sich dahingehend<br />

interpretieren, dass raumliche Nahe als Voraussetzung fur soziale Interaktion auch in<br />

Technologie-Bereichen eine Rolle spielt, wo gleichzeitig ein hohes Ma– an<br />

kodifiziertem Wissen produziert wird.<br />

Eine andere Gruppe von Studien hat die These zum Ausgangspunkt, dass Wissen nicht<br />

nur in Personen, sondern auch in technischen Verfahren und in technologisch<br />

hochwertigen Gutern verkorpert ist. So sind O konomen der Frage nachgegangen,<br />

2


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3<br />

inwieweit Spillover-Effekte auch durch auslandische Direktinvestitionen zustande<br />

kommen, indem Muttergesellschaften ihren auslandischen Tochterfirmen<br />

unternehmensspezifisches Know-how und technologische Losungen zur Verfu gung<br />

stellen und diese technologischen Losungen von den Unternehmen im Umfeld der<br />

Tochterfirmen kopiert werden.<br />

Regionalokonomischen Studien dieses Zuschnitts ist gemein, dass sie von statistisch<br />

signifikanten Zusammenhangen zwischen Aggregatgro–en auf den Umfang des<br />

regionalen Wissenstransfers zwischen Unternehmen oder zwischen<br />

Forschungseinrichtungen und Unternehmen schlie–en. Ein wesentliches Defizit solcher<br />

Analysen besteht darin, dass sich die genauen Mechanismen des Wissenstransfers auf<br />

der Aggregatebene nicht eindeutig identifizieren lassen: Bestimmte Spillover-Effekte<br />

werden unterstellt, aber nicht selbst gemessen (Glaeser et al. 1992: 1151). Auch bei der<br />

Untersuchung von Audretsch/Stephan (1996) zur raumlichen Verteilung von<br />

Biotechnologie-Firmen in Abhangigkeit von Universitaten mit Koryphaen auf dem<br />

Gebiet der Biotechnologie wurde nicht untersucht, ob u berhaupt Beziehungen und<br />

welche Art von Beziehungen zwischen den Firmen und den Professoren eingegangen<br />

wurden. Die postulierten sozialen Interaktionen wurden also nicht selbst untersucht.<br />

Neben der Einfu hrung von Spillover-Effekten Ö zumindest auf der theoretischen Ebene<br />

Ö machen Regionalokonomen in den 90er Jahren weitere analytische Fortschritte, indem<br />

sie beginnen, zwischen kodifiziertem und implizitem Wissen zu unterscheiden (Bsp.:<br />

Kochrezept). Da implizites Wissen persongebunden ist, kann es nur durch Anwerbung<br />

von Wissenstragern oder durch face-to-face-Interaktion transferiert werden. Porter hat<br />

darauf hingewiesen, da– auch tacit knowledge fru her oder spater Verbreitung findet,<br />

ohne da– sich jemand um Kodifizierung bemu ht (annimmt). Voraussetzung hierfu r ist<br />

zum einen das Vorhandensein lokaler Konkurrenz, d.h. eine intensive gegenseitige<br />

Beobachtung, zum andern die Moglichkeit, das auf dem Markt erfolgreiche Verhalten<br />

des Konkurrenten als best practise zu imitieren. Man kann also auch im Bereich<br />

impliziten Wissens davon ausgehen, dass Spillover-Effekte stattfinden.


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In neuesten regionalokonomischen Untersuchungen finden sich nun erste Versuche,<br />

Stadte danach zu unterscheiden, in welchem Umfang sie Gelegenheiten bieten, tacit<br />

knowledge auszutauschen. Lever (2002) bezieht sich bei der Messung solcher<br />

Gelegenheiten auf drei Teildimensionen: einmal ermittelt er den Besatz einer Stadt mit<br />

u berregional vertretenen produktionsorientierten Dienstleistern aus dem Finanz-,<br />

Werbungs-, Rechts- und Rechnungspru fungsbereich. Zweitens misst er die Anzahl der<br />

planma– igen Flugverbindungen und die Zahl von Messen und Ausstellungen in einer<br />

Stadtregion. Als dritte Teildimension zieht er die Zahl der Unternehmensgru ndungen in<br />

einer Stadt unter der Annahme heran, dass eine hohe Zahl von Gru ndungen die Bildung<br />

von Unternehmensnetzwerken begu nstigt. Insgesamt ist hierzu zu sagen, dass der<br />

Versuch, tacit knowledge u berhaupt zu messen, grundsatzlich verdienstvoll ist.<br />

Interessant erscheint auch das Vorgehen, den Austausch von tacit knowledge nicht auf<br />

lokale Kontakte zu beschranken. Doch auch fur diese Indikatoren gilt die zuvor<br />

geau–erte Kritik an anderen regionalokonomischen Studien: Wissenstransfers in Form<br />

diekten Austausches oder von Spillover-Effekten werden postuliert, aber nicht direkt<br />

gemessen.<br />

Sollte also tatsachlich Spillover-Effekte nur mit soziologischen Mikro-Studien<br />

aufspu rbar sein, wie bereits Anfang der 60er Jahre Kenneth Arrow (1962) und vor 10<br />

Jahren Paul Krugman (1991) behaupteten? Es gibt erste Fallstudien, die in diese<br />

Richtung gehen (z.B. Simmie 2002), doch entsteht hier wieder das Mikro-Makro-<br />

Problem, wie von einzelnen Fallstudien auf die gesamte Stadt oder Region geschlossen<br />

werden kann. Die wichtigste Frage, die zu beantworten ist (Hinweis Folie): Welche<br />

Faktoren fordern den Austausch impliziten Wissens? (Alternative: Sozialkapital)<br />

Ich mochte im zweiten Teil des Vortrags auf einen Ansatz zu sprechen kommen, der<br />

regionalokonomische und soziologische Perspektive starker miteinander verbindet und<br />

(daru ber hinaus) Moglichkeiten aufzeigt, Aussagen auf der Aggregatebene der gesamten<br />

Stadt oder Region zu treffen. Ich beziehe mich dabei auf eine Arbeit des amerikanischen<br />

Regionalokonomen Richard Florida u ber den “ Aufstieg der <strong>kreativen</strong> <strong>Klasse</strong>ö. Florida<br />

ist mit Arbeiten zum Konzept der “ lernenden Regionö bekannt geworden, hat sich aber<br />

4


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5<br />

in den letzten Jahren immer starker der Frage zugewandt, inwiefern die<br />

hervorstechenden Innovations- und Wachstumsraten bestimmter US-amerikanischer<br />

Regionen auch mit Hilfe von Lebensstilfaktoren und Faktoren stadtischer<br />

Lebensbedingungen erklart werden konnen. Im Kern ist Floridas Theorie der <strong>kreativen</strong><br />

<strong>Klasse</strong> zwar auch eine Humankapitaltheorie regionaler Entwicklung. Sie unterscheidet<br />

sich aber von herkommlichen Theorien dieser Art dadurch, dass nicht eine moglichst<br />

hohe Konzentration eines einzigen Typs von Humankapital die besten regionalen<br />

Wachstumsraten hervorbringt, sondern dass eine Kombination verschiedener<br />

Humankapitalarten am gunstigsten ist: eine wirtschaftlich erfolgreiche Stadt muss<br />

sowohl u ber Wissenschaftler und Ingenieure verfu gen, sie muss u ber Personen verfu gen,<br />

die Unternehmen erfolgreich aufbauen konnen; die Stadt muss aber auch u ber Kunstler<br />

wie Musiker, Entertainer, Literaten oder Medienproduzenten verfu gen, die so etwas wie<br />

eine Szene bilden. Florida unterscheidet technologische Kreativitat, die sich in neue<br />

Produkte, neue Ideen und Technologien umsetzt, okonomische Kreativitat, die sich vor<br />

allem im Unternehmertum ausdru ckt und kunstlerische Kreativitat, die neue<br />

Kunstformen, Designs und neue Bilder hervorbringt.<br />

Definition der <strong>kreativen</strong> <strong>Klasse</strong>: Der harte Kern der <strong>kreativen</strong> <strong>Klasse</strong> umfasst Personen<br />

mit Wissenschaftsberufen, Ingenieure, Architekten und Designer, Padagogen, Kunstler<br />

und Medienfachleute, deren okonomische Funktion darin besteht, entweder neue Ideen,<br />

neue Technologien oder neue Inhalte zu kreieren. Dieser harte Kern der <strong>kreativen</strong> <strong>Klasse</strong><br />

wird des weiteren erganzt durch eine gro–ere Gruppe von Managern im Unternehmensund<br />

Finanzbereich, von Rechtsexperten, Beschaftigten im Gesundheitsbereich usw.<br />

Diese Personen engagieren sich bei der Losung komplexer Probleme, was ein hohes<br />

Ma– an unabhangigem Urteilsvermogen und ein hohes Niveau an erworbenem<br />

Humankapital erfordert. Erganzend dazu teilen gema– Florida die Mitglieder der<br />

<strong>kreativen</strong> <strong>Klasse</strong> einen gemeinsames Ethos, in dem Kreativitat, Individualitat,<br />

Differenzierung und Leistungsgerechtigkeit hochgehalten werden.<br />

Der Kernunterschied zwischen der <strong>kreativen</strong> <strong>Klasse</strong> und den anderen Schichten liegt fu r<br />

Florida darin, fur was sie bezahlt werden. Die Angehorigen der Arbeiterklasse und der


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Dienstleistungsklasse werden hauptsachlich bezahlt, um einen bestehenden Plan zu<br />

exekutieren, wahrend die Angehorigen der <strong>kreativen</strong> <strong>Klasse</strong> vor allem dafu r die<br />

Schaffung neuer Ideen, Produkte und Verfahren bezahlt werden und hierbei in der Regel<br />

u ber mehr Autonomie und Flexibilitat in ihrer Arbeitszeit verfu gen.<br />

Einer der Ausgangspunkte der Untersuchungen von Florida war auch die Frage, nach<br />

welchen Kriterien die Angehorigen der <strong>kreativen</strong> <strong>Klasse</strong> Ö vor allem die frisch<br />

ausgebildeten Hochschulabsolventen - sich ihre Wohn- und Arbeitsstandorte aussuchen.<br />

In entsprechenden Zielgruppen-Interviews kam heraus, dass Stadte bevorzugt werden,<br />

die folgende Merkmale aufweisen: a) Diversitat, d.h. die Pragung des offentlichen<br />

Lebens durch Bewohner und Passanten unterschiedlichen Alters, Nationalitat, sexueller<br />

Orientierung und ethnischer Zugehorigkeit. Eine solche heterogene O ffentlichkeit ist nur<br />

moglich, wenn ein bestimmter Grad an gegenseitiger Toleranz erreicht wird. b)<br />

Angebote durch diverse lokale Kunstszenen und ein anregendes Nachtleben, c)<br />

Angebote und Gelegenheiten fur erholungs- und spa–orientierte<br />

Freizeitsportarten.Solche Bedingungen sind in den USA am ausgepragtesten in den<br />

Gro–raumen San Francisco, Austin in Texas, Boston, Washington D.C. und in Nord-<br />

Virginia (Raleigh-Durham).<br />

Im abschlie–enden dritten Teil meines Vortrags unternehme ich nun den Versuch, die<br />

Theorie der <strong>kreativen</strong> <strong>Klasse</strong> auf einige ausgewahlte deutsche Stadte anzuwenden<br />

(Auswahl nicht ganz zufallig). Ich denke, dass mit der Konkretisierung verschiedener<br />

Faktoren, wie sie in der U bersicht enthalten sind, auch die Sto–richtung der Theorie von<br />

Florida, aber auch ihre Umsetzungsprobleme noch einmal deutlicher zu Tage treten. Ich<br />

muss dazu sagen, dass es sich bei den Plus- und Minus-Zeichen in der U bersicht um Adhoc-Einschatzungen<br />

handelt, die im Laufe einer gru ndlicheren Analyse der<br />

Gegebenheiten vor Ort sicher noch die eine oder andere Revision erfahren mussen. Ich<br />

habe auch darauf verzichtet, unten einen Strich zu ziehen und eine Gesamteinschatzung<br />

zu liefern.<br />

Anteil der <strong>kreativen</strong> <strong>Klasse</strong> Ö operationalisiert mit Anteil der<br />

sozialversicherungspflichtig Beschaftigten in humankapitalintensiven Berufen<br />

6


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7<br />

Zweiter Punkt: Interessenformierung der <strong>kreativen</strong> <strong>Klasse</strong> in der<br />

Stadtentwicklungspolitik Ö Urteil nur nach einer gru ndlichen Analyse<br />

kommunalpolitischer Prozesse in den jeweiligen Stadten moglich. Ich erwahne diesen<br />

Punkt allerdings deshalb bewusst, weil hier ein spezifisches Manko ostdeutscher Stadte<br />

besteht, das aus der 40jahrigen Pragung durch sozialistische Doktrinen herru hrt. Wie Sie<br />

alle wissen, ist in den Augen von Sozialisten die eigentliche produktive <strong>Klasse</strong> die<br />

Arbeiterklasse. Auch das unbekannte kreative Potenzial der Arbeiterklasse sollte durch<br />

Forderung von Arbeiter-Schreib- und Kunstzirkeln zum Vorschein gebracht werden.<br />

(Nebenbemerkung: Die einzige Person, bei der dies geklappt hat, hat in diesen Tagen<br />

den Buchner-Preis erhalten.) Das Primat der Arbeiterklasse hatte in<br />

stadtentwicklungspolitischer Hinsicht zur Folge, dass die vom Burgertum gepragten<br />

Stadtteile Entwicklungsbarrieren und Entwicklungsnachteilen konfrontiert waren oder<br />

im Extremfallen von oben sogar eine Umdefinition von einer Universitatsstadt in eine<br />

Arbeiterstadt propagiert und vorangetrieben wurde, wie z.B. bei Halle an der Saale der<br />

Fall. Dies hatte zur Folge, dass sich Akademiker in der DDR verstarkt aus dem<br />

offentlichen Leben zuru ckzogen und sich starker auf private Zirkel orientierten. Dieser<br />

Ru ckzug aus dem offentlichen Leben ist bis heute noch nicht wieder vollig ruckgangig<br />

gemacht und erschwert die Interessenformierung von Angehorigen der <strong>kreativen</strong> <strong>Klasse</strong>.<br />

Vor kurzem hat in Halle eine Nacht der Wissenschaften stattgefunden und an jedem<br />

Gebaude, wo Vorlesungen und Vortrage fur die O ffentlichkeit angeboten wurden,<br />

brannte ein rotes Blinklicht. Auf diese Weise trat seit langem einmal wieder ins<br />

Bewusstsein der Stadtoffentlichkeit, wie viele Einrichtungen der Wissenschaft (im<br />

Programm 43 Anlaufstellen) in Halle existieren und welches Potenzial an<br />

Wissensproduktion in der Stadt existiert. Veranstaltungen dieser Art werden noch einige<br />

notig sein, um sowohl bei den Beschaftigten als auch in der Stadtbevolkerung<br />

Bewusstseinsveranderungen herbeizufu hren.<br />

Dritter Punkt “ Vielfalt von Wissenschaftseinrichtungenö und vierter Punkt<br />

“ Konzentration von HighTech-Unternehmenö reprasentieren quasi die objektiv<br />

notwendigen Voraussetzungen fu r die Entfaltung wirtschaftlicher Wachstumsdynamik.


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Der funfte und der sechste Faktor beziehen sich auf die Ausstattung mit kultureller<br />

Infrastruktur. Laut Florida ist hier die Existenz von Kunstszenen, die aus privater<br />

Initiative heraus entstehen, mindestens genauso wichtig wie offentlich finanzierte<br />

Kultureinrichtungen (Popmusik, Tanz, darstellende Kunst, private Theater). Insgesamt<br />

gesehen haben ostdeutsche Stadte in Bezug auf diesen Faktor derzeit noch<br />

Ausstattungsvorteile gegenu ber westdeutschen Stadten.<br />

Der siebte Faktor bezieht sich auf den Umstand, inwieweit eine Stadt ein attraktives<br />

Stadtbild vermittelt und historische Authentizitat ausstrahlt und damit<br />

Aufenthaltsqualitaten im offentlichen Raum entwickelt, innerstadtisches Wohnen<br />

attraktiver macht und Moglichkeiten zur Identifizierung bietet. Bei diesem Faktor<br />

ergeben sich bedingt durch Kriegseinwirkungen starke Unterschiede zwischen den<br />

Stadten; bei einigen ostdeutschen Stadten finden sich hier noch ungehobene Schatze in<br />

Form noch nicht renovierter Stadtviertel mit Altbausubstanz.<br />

Beim achten Faktor “ Toleranzö haben ostdeutsche Stadte Nachteile, solange immer<br />

wieder Vorfalle offener Fremdenfeindlichkeit auftreten und durch die Medien<br />

u berregional verbreitet werden (auch in Jena). Florida verwendet als Indikator fur<br />

“ Toleranzö die Verbreitung von homosexuellen Partnerschaften in einer Stadtregion und<br />

gelangt zu solchen Aussagen durch spezielle Auswertung von Zensus-Rohdaten. Dieser<br />

Toleranz-Index korreliert hoch positiv mit dem wirtschaftlichem Wachstum der Region,<br />

was bei der Rezeption der Theorie der <strong>kreativen</strong> <strong>Klasse</strong> in einigen Fallen zum<br />

okologischen Fehlschluss gefu hrt hat, dass homosexuelle Personen in besonderem Ma–<br />

zum Wachstum beitragen wu rden.<br />

Beim neunten und zehnten Faktor geht es um Gelegenheiten zu Sport und zu anderen<br />

Freizeitaktivitaten im Einzugsbereich der Stadte. Neben der Nutzung kultureller<br />

Gelegenheiten sind diese zwei Faktoren am starksten lebensstil-bezogen. Hier<br />

profitieren vor allem Stadte mit einer attraktiv bewerteten Nahumgebung. Dies ist ein<br />

Ausstattungsmerkmal, das nur sehr begrenzt durch politische Ma–nahmen zu<br />

beeinflussen ist.<br />

8


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9<br />

Resu mee: Die theoretischen U berlegungen zur Rolle der <strong>kreativen</strong> <strong>Klasse</strong> lassen sich in<br />

konkrete politische Ma–nahmeempfehlungen umsetzen und unterscheiden sich in dieser<br />

Hinsicht von herkommlichen regionalokonomischen Theorien, deren politischer<br />

Nutzwert fragwu rdig bleibt. Inwieweit die Theorie auf europaische Verhaltnisse<br />

u bertragbar ist, ist erst noch zu u berpru fen. Es lasst sich zumindest festhalten, dass in<br />

dem Punkt U bereinstimmung zu anderen Positionen besteht, dass die Existenz einer<br />

diversifizierten Wissenschafts-Infrastruktur und einer technologischen Spezialisierung<br />

nur notwendige Bedingung, aber noch keine hinreichende Bedingung fur regionales<br />

Wachstum ist.<br />

Stadtsoziologen durften zahlreiche der bei Florida diskutierten Dimensionen und<br />

Faktoren vertraut sein: Sie bestimmen insgesamt jenes Geflecht, dass die Urbanitat einer<br />

Stadt ausmacht und bereits von Simmel, Wirth und Ezra Park und spater von Jane<br />

Jacobs sind u.a. herausgearbeitet worden ist.


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U bersicht: Ausstattung ausgewahlter deutscher Universitatsstadte mit<br />

Wachstumsfaktoren gema– dem Ansatz der Kreativen <strong>Klasse</strong><br />

Faktor<br />

Bewertung fu r die Stadte...<br />

Jena<br />

Frankfurt/0 Dresden Erlangen Mu nchen<br />

Anteil von Angehorigen<br />

der <strong>kreativen</strong> <strong>Klasse</strong><br />

++<br />

6,9<br />

-<br />

2,6<br />

+<br />

5,3<br />

+++<br />

13,7<br />

++<br />

6.9<br />

Interessenformierung der<br />

<strong>kreativen</strong> <strong>Klasse</strong> in der<br />

Stadtentwicklungspolitik<br />

Vielfalt von Wissenschaftseinrichtungen<br />

Konzentration von<br />

HighTech-Unternehmen<br />

Ausstattung mit offentlich<br />

finanzierter kultureller<br />

Infrastruktur<br />

Vielfalt kultureller Szenen<br />

Historisch gepragter<br />

Stadtkern/Stadtteile<br />

Toleranz und Aufgeschlossenheit<br />

gegenu ber<br />

Zuwanderern<br />

Gelegenheiten fu r<br />

Individual- und<br />

Ausgleichssport<br />

Attraktive landschaftliche<br />

Umgebung mit Gelegenheiten<br />

fu r Naherholung<br />

? ? ? ? ?<br />

++ - ++ ++ +++<br />

+ 0 ++ ++ +++<br />

+ + ++ 0 +++<br />

++ 0 + 0 ++<br />

+ - +++ + +<br />

0 - + ++ +++<br />

++ 0 ++ ++ +++<br />

+++ + +++ ++ +++<br />

10


__________________________________________________________________ IWH<br />

Jena<br />

Frankfurt/0 Dresden Erlangen Mu nchen<br />

Anteil von Beschaftigten<br />

in<br />

humankapitalintensiven<br />

Berufen (2001)<br />

Ausgaben fu r Theater<br />

und Orchester (Mio. DM)<br />

Zuweisungen fu r<br />

Privattheater (Mio. DM)<br />

6,9 2,6 5,3 13,7 6.9<br />

8,2 2,6 54 0 328<br />

2,6 0,6 0,5 5,4 1,28<br />

Literatur:<br />

Audretsch, D. B./Stephan,P. E.: Company Scientist Locational Links: The Case of<br />

Biotechnology, in: American Economic Review, Vol. 86, 1996, S. 641-652.<br />

Baumgart, Kerstin: Einzel- und volkswirtschaftliche Wirkungen effizienter<br />

Wissensnutzung. Eine institutionenokonomische Analyse, Wiesbaden 2002 (DUV).<br />

Florida, Richard: The Rise of the Creative Class. And How Ités Transforming Work,<br />

Leisure, Community, and Everyday Life, New York 2002 (Basic Books).<br />

Franz, P.: Innovative Milieus als Extrempunkte der Interpenetration von Wirtschaftsund<br />

Wissenschaftssystem , in: Jahrbuch fu r Regionalwissenschaft, 19. Jg., 1999, S. 107-<br />

130.<br />

Glaeser, Edward L./Kallal, Hedi D./Scheinkman, Jose A./Shleifer, Andrei: Growth in<br />

Cities, in: Journal of Political Economy, Vol. 100, No. 6, 1992, S. 1126Ö 1152.<br />

Gu nther, Jutta: The Significance of FDI for Innovation Activities Within Domestic<br />

Firms: The Case of Central East European Transition Economies, Halle/S. 2002, IWH-<br />

Discussion Paper Nr. 162.<br />

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IWH __________________________________________________________________<br />

Howells, Jeremy R. L.: Tacit Knowledge, Innovation and Economic Geography, in:<br />

Urban Studies, 39. Jg., H. 5/6, S. 871-884.<br />

Lapple, Dieter: Stadt und Region in Zeiten der Globalisierung und Digitalisierung, in:<br />

Deutsche Zeitschrift fu r Kommunalwissenschaften, 40. Jg., H. II, 2002, S. 12-36.<br />

Lambooy, Jan G.: Knowledge and Urban Economic Development: An Evolutionary<br />

Perspective, in: Urban Studies, 39. Jg., H. 5/6, S. 1019-1035.<br />

Lever, William F.: Correlating the Knowledge-base of Cities with Economic Growth,<br />

in: Urban Studies, 39. Jg., H. 5/6, 2001, S. 859-870.<br />

Simmie, James: Knowledge Spillovers and Reasons for the Concentration of Innovative<br />

SMEs, in: Urban Studies, 39. Jg., H. 5/6, S. 885-902.<br />

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