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Wiener Zeitschrift für Suchtforschung Jg. 31 2008 Nr. 1<br />

Die Fähigkeit zur Gabe ermöglicht es nach Mauss Gesellschaften<br />

„einander gegenüberzutreten, ohne sich<br />

gegenseitig umzubringen, und zu geben, ohne sich anderen<br />

zu opfern“ (ebd., S.181f.). Während das Opfer als<br />

Beschwichtigung/Besänftigung/Beruhigung des Zorns des<br />

Anderen dient, sprich den anderen zu „entgiften“, verliert<br />

sich in der Gabe die Bedeutung dieser Besänftigung<br />

zugunsten einer explizit nicht ausgesprochenen, implizit<br />

jedoch geforderten Verpflichtung zur Gegengabe. Der<br />

eigene Wunsch (und die phantasierte Macht), den Anderen<br />

bezwingen zu können, indem man ihn zur Gegengabe<br />

verpflichtet, muss aber demonstrativ negiert werden.<br />

Beim Potlatsch führt dies mitunter dazu, dass die Gaben<br />

zerstört werden, um dem Vorwurf des Eigennutzens an<br />

der Gabe vorzubeugen. „In der Tat werden hier nicht nur<br />

wertvolle Dinge fortgeworfen und Nahrungsmittel im<br />

Übermaß verzehrt, sondern man zerstört um der Zerstörung<br />

willen …“ (ebd., S.170). Die Zerstörung der Gaben<br />

ist so wie die Gabe selbst nicht uneigennützig, beides<br />

etabliert und sichert die Hierarchie: „Geben heißt Überlegenheit<br />

beweisen, zeigen, dass man mehr ist und höher<br />

steht, magister ist…“ (ebd., S.170).<br />

Die Gabe des Potlatsch vernichtet den möglichen Feind<br />

nicht, indem er getötet wird, er wird jedoch symbolisch<br />

zur Unterordnung gezwungen, indem er sich durch die<br />

Annahme der Gabe zur Gegengabe verpflichtet, nämlich<br />

zu geben, was er hat, auch wenn es seine Existenz gefährdet.<br />

Ebenso dient die Gabe als Opfer, nämlich zur<br />

Beschwichtigung des Anderen, nicht zur Waffe zu greifen.<br />

Die Gabe des Potlatsch ist insofern eine symbolische<br />

„Giftgabe“, die als solche das soziale Gefüge sichert. 3<br />

Mauss fordert in seinen Schlussfolgerungen die Rückkehr<br />

zu einer bedingungslosen Ethik des Gebens ein,<br />

nämlich Ehre, Selbstlosigkeit und korporative Solidarität<br />

(vgl. ebd., S.163). Eine weit wesentlichere Aussage seiner<br />

Analyse ist aber die Entkoppelung der Gabe von<br />

einem Austausch des Nützlichen und das damit verbundene<br />

„Eigenleben“ der Gabe. Mauss geht darin soweit,<br />

dass er die Ausdrücke „Gabe“ und „Geschenk“ als inadäquat<br />

für die Prozesse des Potlatsch erachtet (vgl. ebd.,<br />

S.167).<br />

Mauss spricht von einer Kraft jenseits individueller Interessen,<br />

die der Gabe innewohnt und exemplifiziert dies<br />

anhand des Glaubens an das „hau“ der Maori, jenem<br />

Geist, der den Gaben zueigen ist und der deshalb zur<br />

Gegengabe verpflichtet, weil die Gabe selbst kein lebloser<br />

Gegenstand ist, den man besitzen darf (vgl. ebd.,<br />

3<br />

Die Gabe als Bindeglied des Sozialen ist nicht nur unabhängig<br />

vom Tausch sondern auch unabhängig vom Eigennutzen zu<br />

denken. Die Gabe verpflichtet nicht nur zur Gegengabe, die<br />

Gabe ist prinzipiell Verausgabung jenseits jeglicher Nützlichkeit,<br />

auch des Eigennutzens. In seiner Analyse des Potlatsch<br />

als Beispiel für eine Verausgabung, die jeglicher Ökonomie<br />

innewohnt, spricht Bataille von der Enttäuschung des Egoismus:<br />

„Wenn aber die Erfordernisse der Einzelwesen (oder<br />

Gruppen), losgelöst von der Unermesslichkeit des Lebendigen,<br />

ein Interesse bezeichnen, auf das jede Handlung bezogen<br />

ist, so vollzieht sich die allgemeine Bewegung des Lebens<br />

deshalb nicht weniger jenseits der Erfordernisse der Individuen“<br />

(Bataille 2001, S.107).<br />

S.32f). Die Gabe oszilliert als „Hybride“ zwischen dem<br />

egoistischen Eigennutz, wonach die Gabe nur um die<br />

Bedingung einer zu erwartenden Gegengabe gegeben<br />

wird (Ersparnis, Interesse, Nützlichkeit) und der selbstlosen<br />

Vergessenheit (Freigiebigkeit, Großzügigkeit, Verschwendung)<br />

(vgl. ebd., S.168). In jedem Fall verortet<br />

sich die Gabe jenseits der Interessen der Mitglieder einer<br />

Gesellschaft und damit auch außerhalb des Sozialen.<br />

„Mauss situiert (...) die (Pflicht zur) Gabe vor jedem Personen-,<br />

Subjekt-, Selbstbezug und damit zugleich auch<br />

vor jeder Erfahrung der Sache als Sache, Ding oder<br />

Objekt“ (Daimann 2003, S.166). Die Gabe wirkt wie ein<br />

„Ding an sich“, das sich der Erkenntnis seiner Bedeutung<br />

entzieht, aber dennoch wirkt, indem es das Subjekt zu<br />

einer Handlung verpflichtet.<br />

3. Die Gabe als das Unmögliche<br />

Derrida setzt beim Denken der Gabe als Entkoppelung<br />

vom ökonomischen Kreislauf des Tausches an. Für Derrida<br />

ist Bedingung der Gabe, dass sie sich dem Kreislauf<br />

der Ökonomie entzieht, d.h. der Logik der Zirkularität von<br />

Gabe-Gegen-Gabe. Dort, wo die Gabe eine Gegengabe<br />

evoziert, wird sie zum Gift.<br />

„Wo die Gabe den anderen zum Schuldner macht, wird<br />

sie zum Gift. Das Gute, das Gutgemeinte des Geschenks<br />

kann sich leicht in sein Gegenteil umkehren, es „kann als<br />

Gutes zugleich schlecht, böse, giftig sein (Gift, gift), und<br />

zwar von dem Moment an, wo die Gabe den anderen<br />

zum Schuldner macht, so dass geben darauf hinausläuft,<br />

wehzutun, Böses zu tun [faire mal, faire du mal], ganz<br />

abgesehen davon, dass man in einigen Sprachen genauso<br />

gut sagen kann »ein Geschenk geben« wie »eine<br />

Ohrfeige geben« , »das Leben geben« [»donner la vie«],<br />

wie »den Tod geben« [»donner la mort«], mag man dies<br />

nun trennen und entgegensetzen oder identifizieren“<br />

(ebd., S.23).<br />

Die Gabe ist nach Derrida nur dann denkbar, wenn sie<br />

sich der Möglichkeit der Reziprozität verschließt, wenn<br />

sie nicht als Gabe erkannt wird. Dies gilt sowohl für den<br />

Geber als auch für den Gabenempfänger. Die Wahrnehmung<br />

der Gabe als Gabe annulliert die Gabe selbst und<br />

um wirksam zu werden, darf die Gabe nicht zur Kenntnis<br />

genommen werden (vgl. ebd., S.24). Die Ökonomie von<br />

Gabe-Gegen-Gabe führt eine Asymmetrie in das Soziale<br />

ein, in dem sie die Bedingung einer nie auszugleichenden<br />

Schuld am Anderen einführt.<br />

Derrida denkt die Gabe jedoch als unabhängig von der<br />

sozialen Schuld. Die Gabe, so Derrida, ist als das Unmögliche<br />

zu denken. „Damit es Gabe gibt, ist es nötig,<br />

dass der Gabenempfänger nicht zurückgibt, ...“ (ebd.,<br />

S.24). Die Anerkennung, die Wahrnehmung bzw. die<br />

Identifizierung, schließlich die Kenntnisnahme der Intentionalität<br />

des symbolischen Akts durch den Empfänger<br />

scheinen die Gabe als solche zerstören zu können.<br />

„Doch ihr Aussehen selber, das bloße Phänomen der<br />

Gabe annulliert sie als Gabe, verwandelt die Erscheinung<br />

in ein Gespenst und das Ergon [opération] in ein Simulakrum“<br />

(ebd., S.25). Die Gabe als das Unmögliche zu<br />

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