Abendprogramm Faustin Linyekula - Berliner Festspiele
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sur les traces<br />
de Dinozord<br />
<strong>Faustin</strong> <strong>Linyekula</strong><br />
Der Tänzer und Choreograf <strong>Faustin</strong> <strong>Linyekula</strong> wurde in Ubundu, Zaire (heute Demokratische Republik Kongo) geboren und lebt und arbeitet<br />
in Kisangani im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo. Nach einem Theater- und Literaturstudium in Kisangani zog er 1993 nach<br />
Nairobi und gründete 1997 gemeinsam mit Opiyo Okach die Gàara Company, Kenias erste Gruppe für zeitgenössischen Tanz. Im Juni 2001,<br />
wieder zurück im Kongo, schuf er in Kinshasa die Studios Kabako, einen Raum für Tanz und visuelles Theater, das Trainings programme<br />
anbietet sowie Forschung und Produktionen unterstützt. Mit dem Umzug nach Kisangani 2006 und der Eröffnung eines professionellen<br />
Aufnahme-Studios öffneten sich die Studios Kabako außerdem den Bereichen Musik und Video. In seinen Arbeiten befasst sich <strong>Faustin</strong><br />
<strong>Linyekula</strong> mit den Folgen von Jahrzehnten der Kriege, des Terrors, der Angst und des wirtschaftlichen Zusammenbruchs für sich selbst,<br />
seine Familie und Freunde. <strong>Faustin</strong> <strong>Linyekula</strong> lehrt regelmäßig in Afrika, Europa und den Vereinigten Staaten. Für Studios Kabako hat er<br />
elf Stücke erarbeitet. Zu seinen Arbeiten gehören „The Dialogue Series: iii. Dinozord” (2006), „more more more… future” (2009),<br />
„Pour en finir avec Bérénice” (2010) und „Le Cargo” (2011).<br />
IGN<br />
IRS<br />
ni–<br />
Theater<br />
Deutsche Erstaufführung<br />
Di 02. Juli, 19:00<br />
Mi 03. Juli, 20:00<br />
Do 04. Juli, 20:00<br />
Haus der <strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong>, Seitenbühne<br />
In französischer Sprache mit deutschen Übertiteln<br />
Dauer 1h 30, keine Pause<br />
Artist Talk am 03. Juli<br />
im Anschluss an die Vorstellung<br />
Leitung: <strong>Faustin</strong> <strong>Linyekula</strong><br />
Texte: Richard Kabako, Antoine Vumilia Muhindo<br />
Mit: Serge Kakudji, Dinozord, Papy Ebotani, Djodjo Kazadi, <strong>Faustin</strong> <strong>Linyekula</strong>,<br />
Maurice Papy Mbwiti, Antoine Vumilia Muhindo<br />
Eine Produktion von Studios Kabako (Kisangani) / Virginie Dupray<br />
in Koproduktion mit KVS – Koninklijke Vlaamse Schouwburg (Brüssel)<br />
Gefördert durch Goethe-Institut<br />
Foto <strong>Faustin</strong> <strong>Linyekula</strong>: © Elise Fitte-Duval<br />
Foto Antoine Vumilia Muhindo: © Vincent Vespérant<br />
Antoine Vumilia Muhindo<br />
Antoine Vumilia Muhindo, genannt Vumi, ein Kindheitsfreund <strong>Faustin</strong>s, aufgewachsen in Kisangani,<br />
beteiligt sich Anfang der neunziger Jahre an der Rebellenbewegung von Laurent Désiré Kabila.<br />
Bei dessen Machtübernahme tritt er in den Geheimdienst ein und bezieht ein Büro im Präsidentenpalast<br />
von Kinshasa. Im Jahr 2001 wird er im Zuge der Ermordung von Präsident Laurent Désiré<br />
Kabila festgenommen und in einem sehr umstrittenen Gerichtsprozess zu Tode verurteilt.<br />
Er ist Dichter und Schriftsteller, Autor des „Monolog(s) eines Hundes“, eines zentralen Textes von<br />
„The Dialogue Series: iii. Dinozord“. Er schrieb zudem die Liedtexte für „more more more... future“<br />
und drückt darin aus, wie man sich eine Zukunft vorstellen kann, wenn man seit acht Jahren<br />
hinter Gittern lebt. Heute lebt er als politischer Flüchtling in Europa und arbeitet als Schauspieler<br />
und Schriftsteller.<br />
FORE<br />
AFFA<br />
27. Ju<br />
li 2013<br />
14. Ju<br />
Corks and Memories /<br />
Korken und Erinnerungen<br />
Von <strong>Faustin</strong> <strong>Linyekula</strong><br />
Un monologue de chien /<br />
Monolog eines Hundes<br />
Von Antoine Vumilia Muhindo<br />
Mein Tanz ist ein Versuch, mich an<br />
meinen Namen zu erinnern. Ich<br />
habe ihn irgendwo auf den dunklen<br />
Pfaden der Erinnerung verloren.<br />
Und seitdem bin ich auf der<br />
Wanderung…<br />
* * *<br />
1974, eine Minute nach meiner<br />
Geburt, aus einem Gespräch mit<br />
meinen Vorvätern<br />
Meine Vorväter: Dies ist dein Name,<br />
hier ist deine Heimat.<br />
Ich: (meinen Vorvätern nachsprechend)<br />
Mein Name ist <strong>Linyekula</strong>,<br />
Sohn von Mobutu, dein Ruhm ist<br />
mein Stolz, oh Zaire, unsterbliches<br />
Land meiner Vorfahren.<br />
So wurde ich in einem Land namens<br />
Zaire geboren, der fürsorglichsten<br />
Hand unter der Sonne. Mein ganzes<br />
Leben glaubte ich daran, bis…<br />
1997, aus einem Gespräch mit der<br />
Geschichte<br />
Zaire war eine von Mobutu in die<br />
Welt gesetzte Lüge, ein totes, verstoßenes<br />
Land. Vielleicht ist mein<br />
Name Kabila; vielleicht bin ich der<br />
Bankert von König Leopold II. und<br />
dem Unabhängigen Staat Kongo.<br />
Ich bin ein Kindersoldat, der sich<br />
durch einen Haufen aus Lügen,<br />
vergewaltigten Jungfrauen und<br />
Cholera wühlt. Demokratische<br />
Republik Kongo war mein richtiger<br />
Name, meine Vorväter wurden<br />
richtiggestellt… Mein ruhmreiches<br />
Erbe…<br />
* * *<br />
Wo ist die Wahrheit? Gibt es da<br />
draußen einen Stein oder eine Eule<br />
oder einen Fluss oder einen Hexer,<br />
der lehren könnte<br />
„wie zu mir selbst gehen<br />
zu meinem Volk<br />
wenn mein Blut brennt und<br />
meine Geschichte in Trümmern<br />
liegt?“ (Adonis)<br />
Eine mögliche Antwort: Land der<br />
Exils oder Heimatland, vielleicht ist<br />
jedes Land nur ein Exil, vielleicht<br />
ist mein einzig wahres Land mein<br />
Körper. So überlebe ich wie ein Lied,<br />
das nie geschrieben wurde…<br />
Eine andere mögliche Antwort:<br />
Nun, da wir uns in diesem Raum<br />
begegnet sind, Kamerad, lass uns<br />
innehalten und Seite an Seite sitzen.<br />
Ich sage dir meinen Namen und<br />
singe meine Nationalhymne oder<br />
was ich davon noch weiß, und du<br />
sagst mir deinen, dann gehen wir<br />
getrennter Wege, einen schwachen<br />
Duft zurücklassend, unsere Gegenwart<br />
wie Schatten im Staub…<br />
* * *<br />
Ist das Kunst? Ist das Tanz? Ist das<br />
zeit genössischer afrikanischer Tanz?<br />
Woher weiß ich, ob das hier Kunst<br />
ist? Ist Kunst der Versuch, sich dem<br />
Kreislauf der Zerstörung entgegenzustemmen,<br />
indem man umgeben<br />
von Hoffnungslosigkeit Schönheit<br />
und Träume sät? Und wenn dieser<br />
Widerstand im Körper eingeschrieben<br />
wäre? Der Körper ist der letzte<br />
Schutzschild der Freiheit. Der Freiheit,<br />
an Hunger und Krankheiten<br />
zu sterben…<br />
Jetzt drehe ich mich immer wieder<br />
im selben Kreis, bin verwirrt und<br />
verloren, ich halte jetzt besser den<br />
Mund, genug von dieser Vergeblichkeit,<br />
zeitgenössische afrikanische<br />
Kunst, geht’s noch! … Mir geht<br />
Afrika sowieso am Arsch vorbei.<br />
Wenn ich schreibe, dann nur „für<br />
mich selbst, für ein paar Freunde<br />
und um den Lauf der Zeit zu besänftigen“<br />
(Jorge Luis Borges). Meine<br />
Zeit... Was zum Teufel kümmert<br />
mich Afrika? Mein Teil von Afrika<br />
kümmert sich auch nicht um mich.<br />
Jahrelanger Krieg, vergewaltigte<br />
Frauen, Epidemien, Millionen von<br />
Toten... Das ist das Vermächtnis<br />
meiner Vorväter, im besten Falle<br />
bleibt mir genug Kraft, um auf<br />
meinem Ruinenhaufen zu überleben...<br />
Unabhängiger Staat Kongo<br />
... Demokratische Republik Kongo...<br />
Republik Zaire... König Leopold II. ...<br />
Lumumba... Mobutu...<br />
* * *<br />
Auf die Bühne gehen: ein Versuch,<br />
meinen Namen zu erinnern. Einen<br />
Körper zu zeigen, der sich weigert<br />
zu sterben. Sich durch Ruinen zu<br />
wühlen, die ich für ein Haus<br />
ge halten habe, auf der Suche nach<br />
Spuren: ein Gedicht von Rimbaud,<br />
Banyua-Rituale, die mir meine<br />
Großmutter zeigte, Ndombolo-Tanzschritte<br />
aus einem Musikvideo von<br />
Papa Wemba, Lateinunterricht bei<br />
Pater Pierre Lommel… Was immer<br />
ich nützlich finde… Die Ästhetik des<br />
Überlebens… Aufsammeln, was<br />
immer auf dem Weg liegt, um für<br />
eine Weile ein Obdach zu haben…<br />
Ich improvisiere… Improvisation ist<br />
hier kein ästhetischer Luxus,<br />
sondern ein Zustand des Lebens, des<br />
Überlebens: In solch einer feindlichen<br />
Um gebung, nie wissend, wie<br />
das Morgen aussieht (wieder ein<br />
Krieg? Eine Epidemie?), muss man<br />
improvisieren, um am Leben zu<br />
bleiben…<br />
Macht nichts, wenn es Afrika egal<br />
ist. Einzig die Meinung meiner Großmutter<br />
zählt. Denn ich weiß, was<br />
für eine merkwürdige Kreatur zeitgenössische<br />
Kunst ist. Die Frage ist:<br />
Wie kann ich eine Art Identifizierung<br />
mit so einem komischen Medium<br />
ermöglichen? Wenn sie meinen Tanz<br />
gesehen hat, kann sie dann sagen:<br />
„Na ja… ich habe nichts verstanden…<br />
aber ich habe es erkannt.”<br />
* * *<br />
Mein Tanz ist ein Versuch, Begegnungsräume<br />
mit Korken zu verschließen…<br />
Ich habe meinen Namen<br />
irgendwo auf den dunklen Pfaden<br />
der Geschichte verloren… Und seitdem<br />
bin ich auf der Wanderung…<br />
1974… Kabako… König Leopold II. …<br />
Vermächtnis… 1997… Lieder… Exil…<br />
Adonis…<br />
Ah, soleil!<br />
Aus dem Englischen von<br />
Karen Witthuhn / Transfiction<br />
- Warum wirst du Dinosaurier<br />
genannt?<br />
- Weil ich der letzte meiner Art bin.<br />
Der letzte meiner Art wie die letzte<br />
Flasche kühles Bier in einer Stadt<br />
am Rande der Zivilisation. Der letzte<br />
meiner Art wie das letzte Lächeln<br />
eines Bankräubers, der im Sterben<br />
liegt und das Geheimnis seiner<br />
Schätze für immer mit ins Grab<br />
nimmt. Der letzte meiner Art wie<br />
der letzte Monolog von Molière, wie<br />
das „Requiem“ von Mozart, wie die<br />
letzte Gage des Virtuosen.<br />
Der letzte meiner Art wie die allerletzte<br />
Mandarine, die sich immer<br />
noch stur an einen kümmerlichen<br />
Baum klammert, obwohl die Dürrezeit<br />
die Landschaft bereits mit<br />
ihrem unseligen braunen Gewand<br />
bedeckt. Wie der letzte Brocken<br />
Sperma vor der Andropause. Wie<br />
der letzte König einer kurzlebigen<br />
Dynastie. Das letzte Rätsel des<br />
Mysteriums. Das letzte Schiff auf<br />
dem Fluss. Letzter Kuss. Letzter<br />
Schlaf. Letzte Liebe. Letztes<br />
Plädoyer vor dem letzten Schafott<br />
des allerletzten der kindlichen<br />
Diktatoren-Lehrlinge.<br />
Requiem aeternam dona nobis,<br />
Domine<br />
- Von welcher Art bist du?<br />
- Von der Art der Hunde<br />
- Wie dumm!<br />
- Ich meine von der Art der Königshunde,<br />
von der Art der verrückten<br />
Königshunde, von der Art der<br />
Dichterhunde, von der, die mit<br />
dem Tanz in den Beinen und dem<br />
Blitz in den Augen geboren werden,<br />
von der Art der Dichtergaukler, der<br />
Sopranisten-Skalpierer, von der Art<br />
derer, die nackt auf einem öffentlichen<br />
Platz stehen, ohne die geringste<br />
Scham zu empfinden, und von<br />
denen man nicht weiß, ob man sie<br />
unschuldig oder pervers nennen soll.<br />
Ich bin von der Art derer, die man<br />
für den Rest ihres Lebens zum Tode<br />
verurteilt, mit geschlossenen Augen,<br />
zugehaltener Nase und das Gesicht<br />
abgewandt. Ich bin das Vomitorium<br />
der Republik.<br />
Kyrie eleison<br />
Christe eleison<br />
Gefängnis von Makala, Kinshasa,<br />
2006<br />
Aus dem Französischen<br />
von Valerie Schneider<br />
Veranstalter: <strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong> · Ein Geschäftsbereich der Kulturveranstaltungen des Bundes GmbH · Gefördert durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien · Intendant: Dr. Thomas Oberender · Kaufmännische<br />
Geschäftsführerin: Charlotte Sieben · Foreign Affairs · Künstlerische Leitung: Matthias von Hartz · Künstlerische Mitarbeit: Cornelius Puschke · Dramaturgie: Carolin Hochleichter · Musikkurator: Martin Hossbach · Produktionsleitung:<br />
Caroline Farke · Technische Leitung: Matthias Schäfer · Produktion: Ann-Christin Görtz · Mitarbeit Technische Leitung: Lotte Grenz · Student Affairs: Katja Herlemann · Architektur: realities:united · Ausstattung Festival und Focus:Wette:<br />
Frieda Schneider · Mitarbeit Ausstattung: Agnes Fabich, Jasmin Wiesli · Praktikum: Milena Kowalski, Alexandra Keiner, Johanna Colmsee · Künstlerbetreuung: Loredana Cimino, Nuria Gimeno · Redaktion: Anne Phillips-Krug,<br />
Christina Tilmann · Übersetzung: Karen Witthuhn / Transfiction, Stefanie Gerhold, Nico Laubisch, Valerie Schneider · Graphik: Ta-Trung, Berlin · Technische Leitung: Andreas Weidmann · Leiter Beleuchtung: Carsten Meyer · Leiter Tontechnik:<br />
Manfred Tiesler, Axel Kriegel · Bühneninspektor: Thomas Pix · Bühnenmeister: Benjamin Brandt, Claudia Stauß · Beleuchtungmeister: Jürgen Koß, Hans Fründt · Tonmeister: Martin Trümper · Bühne: Birte Dördelmann, Stephan<br />
Fischer, Sybille Casper, Pierre Joel Becker, Manuel Solms, Mirco Neugart, Karin Hornemann, Maria Deiana, Thomas Pix, Fred Langkau · Licht: Lydia Schönfeld, Robert Wolf, Arndt Rhiemeier, Bastian Heide, Ruprecht, Lademann, Mathilda<br />
Kruschel, Frank Szardenings · Ton: Axel Kriegel, Stefan Höhne, Tilo Lips, Klaus Tabert, Falco Ewald, Sebastian Pieper, Simon Franzkowiak, Felix Podzwadkowski, Hardy Hartenberger · Azubis: Malte Gottschalk, Otis Weihrauch