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Aktuelle Ausgabe - Braunlager Zeitung

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Seite 8 <strong>Braunlager</strong> <strong>Zeitung</strong><br />

Juli 2013<br />

Der Rauhfußkauz im Harz – Einblicke in sein heimliches Leben<br />

„Rauhfußkauz“ ist ein Zauberwort<br />

für jeden Naturfreund.<br />

In Süddeutschland sagt<br />

man liebevoll „Rauz“. Wer<br />

möchte nicht den melodischen<br />

Balzgesang des Rauzes<br />

„u-u-u-u-u“ und immer wieder<br />

„u-u-u-u“ hören? Wer<br />

möchte nicht in das runde<br />

braune Gesicht eines jungen<br />

Rauzes mit den großen gelben<br />

Augen schauen?<br />

Es ist ein Musterbeispiel für<br />

das „ Kindchenschema“, auf<br />

das Menschen besonders gut<br />

ansprechen. Doch diese Highlights<br />

können nur selten in der<br />

Natur erlebt werden. Dafür<br />

gibt es mehrere Gründe: die<br />

Größe des Rauz-Lebensraumes,<br />

seine nächtliche Lebensweise,<br />

sein Brüten in meist<br />

über 10 m hoch liegenden<br />

Höhlen des Schwarzspechts<br />

und das Erlöschen seines auffälligen<br />

Balzgesanges nach der<br />

Verpaarung. Allerdings gibt es<br />

noch andere akustische Hinweise<br />

auf seine Anwesenheit.<br />

Wanderer können den Gesang<br />

des Rauzes im Frühjahr auch<br />

tagsüber hören, allerdings nur<br />

selten und kurz. Dieses wird<br />

zwar als Tagesbalz interpretiert,<br />

doch es ist nur eine<br />

Männchen und Weibchen (rechts) bei der Balz.<br />

Übersprungshandlung durch<br />

Störung eines Männchens am<br />

Schlafplatz in hoher Balzstimmung.<br />

Auch Warnlaute von Kleinvögeln<br />

können auf die Anwesenheit<br />

eines Rauzes hinweisen.<br />

Doch kann das so genannte<br />

„Hassen“ auch beim<br />

Erscheinen anderer Eulen-,<br />

Greifvogel- und Krähenarten<br />

In der Höhle wird es eng.<br />

auftreten. Ein Nachtwanderer<br />

oder ein Jäger kann bei völliger<br />

Stille plötzlich Schnalzlaute<br />

aus der Nähe hören, die den<br />

Rufen eines Eichhörnchens ähneln.<br />

Sie sind eine Art Unwillensäußerung<br />

des Rauzes.<br />

Manchmal wird der Mensch<br />

als seltene Erscheinung im<br />

Wald auch noch umkreist.<br />

Aufgrund nur weniger Beobachtungen<br />

wusste man lange<br />

nicht, ob der Rauz im Harz<br />

überhaupt regelmäßig vorkommt.<br />

Aus dem Anfang des<br />

letzten Jahrhunderts gibt es<br />

zwar Bälge von geschossenen<br />

Räuzen - entsprechend der<br />

damaligen Methode zum<br />

Jetzt werden die Räuze munter<br />

Nachweis seltener Tiere.<br />

Doch die festgestellten Rauzaktivitäten<br />

waren vielfach unklar<br />

und unsicher. Die bisherigen<br />

Hinweise wurden von den<br />

Ornithologen F. Knolle, P.<br />

Mannes und H. Zang zusammengefasst.<br />

Durch neuere Beobachtungen<br />

wuchs das Interesse<br />

am Rauz stark an. In den<br />

50er Jahren begann infolge<br />

der zunehmenden Motorisierung<br />

der Menschen eine hektische<br />

Suche nach dem Rauz,<br />

wobei auch Klangattrappen<br />

benutzt wurden.<br />

Hierbei waren im Harz besonders<br />

die Ornithologen aus<br />

Hildesheim und Braunschweig<br />

aktiv. Doch mancher Nachweis<br />

erwies sich als Gesang,<br />

der aus dem Kassettenrekorder<br />

eines anderen Detektivs<br />

ertönte. Der erste Brutnachweis<br />

gelang erst 1959 bei<br />

Braunlage in einer ausgefaulten<br />

Höhle 2m hoch in einem<br />

Alleebaum am Waldrand. In<br />

demselben Jahr wurde auch<br />

eine Brut bei Schierke entdeckt.<br />

Weitere Nachsuchen zeigten<br />

schnell, dass es in höheren<br />

Lagen des Harzes kaum Höhlen<br />

gab, die für den Rauz geeignet<br />

waren. Schnelle Abhilfe<br />

konnte nur durch Aufhängen<br />

von Nistkästen erreicht werden.<br />

Deshalb wurden von H.<br />

Zang und P. Kunze auf einer<br />

Fläche von etwa 140 km2<br />

zwischen Bad Harzburg und<br />

Braunlage Nistkästen verteilt<br />

und betreut. In den folgenden<br />

Jahren fanden tatsächlich Bruten<br />

statt, ihre Anzahl nahm jedoch<br />

nicht weiter zu.<br />

In den 70er Jahren wurden<br />

auch zwischen Bad Grund und<br />

Buntenbock Räuze festgestellt.<br />

Hier waren durch den<br />

Jahrhundertsturm 1972 große<br />

Freiflächen entstanden, auf<br />

denen es regelmäßig zu Massenvermehrungen<br />

der Wühlmäuse<br />

kam. Aufgehängte<br />

Nistkästen wurden sofort<br />

vom Rauz angenommen. Deshalb<br />

wurden von O.<br />

Schwerdtfeger, E. Kunzendorff<br />

und R. Dietrich auf einer<br />

Fläche von 200 km2 Fichtenwald<br />

zwischen Bad Lauterberg,<br />

Altenau, Hahnenklee,<br />

Lautenthal und Seesen 200<br />

Nistkästen gleichmäßig verteilt.<br />

Es handelt sich um Fichtenwälder<br />

verschiedener Altersklassen<br />

in Höhenlagen<br />

zwischen 450 und 800 m ü.<br />

NN. Unterhalb befinden sich<br />

Buchenwälder, in deren Althölzern<br />

die Schwarzspechte<br />

ihre Höhlen zimmern.<br />

Wegen des dortigen höheren<br />

Nahrungsangebotes leben<br />

dort allerdings auch die größeren<br />

Waldkäuze, die Prädatoren<br />

(Feinde) junger Räuze<br />

sind. Deshalb weichen die<br />

Räuze in die höher gelegenen<br />

Fichtenwaldgebiete aus und<br />

können dort die aufgehängten<br />

Nistkästen nutzen.<br />

Da im Untersuchungsgebiet<br />

fast alle Räuze in diesen<br />

Nistkästen brüten müssen,<br />

können relevante Daten wie<br />

in einem Labor erfasst werden.<br />

Deshalb wurde diese Untersuchung<br />

von Beginn an als<br />

Forschungsprojekt konzipiert.<br />

Es wird vom Verfasser bereits<br />

seit 35 Jahren durchgeführt<br />

(www.o-schwerdtfeger.de).<br />

Dabei werden stets dieselben<br />

Methoden benutzt, und damit<br />

viele verschiedene Daten vollständig<br />

erfasst. Es werden fast<br />

alle Alt- und Jungkäuze durch<br />

wissenschaftlichen Fang und<br />

Beringung identifiziert. An ihnen<br />

werden auch viele biome-<br />

Fotos (5): Ortwin Schwerdtfeger<br />

trische Daten erfasst.<br />

In diesem für Mitteleuropa<br />

einmaligen populationsökologischen<br />

Projekt zeigten sich<br />

neue Zusammenhänge zur<br />

Biologie des Rauhfußkauzes:<br />

Die jährliche Anzahl der Bruten<br />

und die mittlere Anzahl<br />

der Eier pro Brut schwankt in<br />

gleichem Maße wie die Häufigkeit<br />

der Mäuse.<br />

Diese verändert sich zyklisch<br />

von Jahr zu Jahr. Durch<br />

das starke Schwanken des<br />

jährlichen Mäuseangebotes<br />

kommt es vor, dass nach einem<br />

„guten“ Mäusejahr mit<br />

z.B. 40 Rauzbruten im nächsten<br />

„schlechten“ Jahr nur 5<br />

Bruten stattfinden. Auch die<br />

jährliche durchschnittliche Anzahl<br />

der Eier pro Brut verringert<br />

sich von 7 auf bis zu 2 Eiern.<br />

Die Eier werden in Abständen<br />

von 2 Tagen gelegt. Die<br />

Jungvögel schlüpfen auch in<br />

diesen Zeiträumen, wodurch<br />

sie alle verschieden alt sind. In<br />

den ersten Wochen der Brut<br />

oder vor ungünstigem Wetter<br />

wird in der Bruthöhle vermehrt<br />

Nahrung deponiert (bis<br />

zu 32 Mäuse). Dadurch können<br />

aktuelle Schwierigkeiten<br />

beim Fang der Beute überbrückt<br />

werden.<br />

Der Rauz ist ein Ansitzjäger<br />

und fängt im Harz hauptsächlich<br />

Wühlmäuse (Erdmäuse,<br />

Rötelmäuse) und Langschwanzmäuse<br />

(Waldmäuse,<br />

Gelbhalsmäuse). Bei Mangel<br />

dieser Hauptnahrung schlägt<br />

er Kleinvögel bis zur Amselgröße<br />

und Spitzmäuse. Doch<br />

reicht diese Ersatznahrung allein<br />

nicht aus, um Jungkäuze<br />

aufzuziehen.<br />

Für eine Brut übernimmt<br />

das kleinere Männchen fast<br />

die gesamte Versorgung des<br />

Weibchens und der Jungkäuze<br />

bis zu deren Selbständigwerden.<br />

Dies dauert mehr als 4<br />

Monate. Denn nach dem Ausfliegen<br />

werden die Jungkäuze<br />

noch mindestens 1 Monat lang<br />

vom Männchen geführt. Dabei<br />

Flügge Jungkäuze, noch vom Vater geführt.<br />

werden sie auf ihr weiteres<br />

Leben vorbereitet. Das braune<br />

Gesicht der Jungkäuze<br />

wandelt sich am Ende des<br />

Sommers in das helle Gesicht<br />

der Altkäuze um.<br />

Die Weibchen haben schon<br />

während der Nestlingszeit ihrer<br />

Jungen die Möglichkeit,<br />

mit einem anderen Männchen<br />

eine neue Brut durchzuführen.<br />

Ein Männchen kann dagegen<br />

aufgrund seiner Inanspruchnahme<br />

bei der ersten<br />

Brut eine weitere Brut nur<br />

gleichzeitig mit einem anderen<br />

Weibchen durchführen, genannt<br />

Bigynie. Im Harz wurde<br />

sogar mehrmals Trigynie nachgewiesen.<br />

Dabei versorgt dasselbe<br />

Männchen sogar gleichzeitig<br />

drei Bruten. Diese speziellen<br />

Verhaltensweisen kommen<br />

aber nur in Jahren mit<br />

hohem Mäuseangebot vor.<br />

Hier wird deutlich, dass der<br />

Rauz Massenvorkommen von<br />

Mäusen optimal für seine eigene<br />

Reproduktion nutzt. Im<br />

Harz sind 80 % aller ausgeflogenen<br />

Jungkäuze in guten<br />

Ein Rauz beobachtet uns.<br />

Mäusejahren aufgewachsen.<br />

Dafür hat sich beim Rauz ein<br />

dynamisches System entwickelt.<br />

So besteht in einem Gebiet<br />

mit gutem Mäusejahr ein<br />

großer Teil der Brutvögel aus<br />

Immigranten, die teilweise aus<br />

Entfernungen von mehreren<br />

100 km einwandern.<br />

Nachweise gibt es im Harz<br />

aus Belgien, Tschechien Österreich<br />

und der Schweiz sowie<br />

auch in umgekehrten Richtungen.<br />

Die Immigranten verlassen<br />

das Gebiet aber meistens<br />

wieder. Die hohen Fluktuationen<br />

zeigen sich auch daran,<br />

dass von den Brutvögeln nur<br />

20 % der Männchen und<br />

11 % der Weibchen im Gebiet<br />

aufwachsen sind.<br />

Nur durch dieses Verhaltenssystem<br />

konnte es 1991 im<br />

Untersuchungsgebiet zu dem<br />

Jahrhundertjahr des Rauzes<br />

mit 85 Bruten kommen. Denn<br />

in den benachbarten Brutgebieten<br />

gab es in diesem Jahr<br />

kaum Mäuse. In Mitteleuropa<br />

ist also eine Vernetzung der<br />

potentiellen Brutgebiete untereinander<br />

vorhanden.<br />

Es hat sich gezeigt, dass das<br />

Migrationsverhalten bei den<br />

Weibchen häufiger vorkommt<br />

als bei den Männchen. Dagegen<br />

erfüllen Männchen, die<br />

nach ihrer Ansiedlung in der<br />

Nähe bleiben, eine wichtige<br />

Aufgabe zur Besiedlung und<br />

zum Erhalt von Brutgebieten.<br />

Sie leben auch in schlechten<br />

Mäusejahren im Gebiet. Einige<br />

dieser Männchen konnten 10<br />

Jahre lang dort festgestellt<br />

werden. Sie bringen durch ihre<br />

starke Balzaktivität in guten<br />

Mäusejahren umherstreifende<br />

Weibchen aber auch Männchen<br />

dazu, in der Umgebung<br />

zu bleiben und zu brüten. Die<br />

Ansässigen machen also „Reklame“<br />

für das Gebiet. Dadurch<br />

kommt es zu Häufungen<br />

von Brutplätzen.<br />

Das langjährige Forschungsprojekt<br />

am Rauz im<br />

Harz nützt auch dem Artenschutz.<br />

Denn Schutzmaßnahmen<br />

können nur effektiv<br />

durchgeführt werden, wenn<br />

die Biologie der betreffenden<br />

Tierart genau bekannt ist. Für<br />

den Rauz hat sich gezeigt, dass<br />

diese seltene Eulenart im Harz<br />

gute Lebensbedingungen vorfindet<br />

– es fehlen nur die<br />

Bruthöhlen.<br />

Wie sieht die Zukunft des<br />

Rauhfußkauzes aus? Im Laufe<br />

der Untersuchung hat sich die<br />

Waldstruktur des Untersuchungsgebietes<br />

bereits verändert.<br />

Durch Windbrüche sind<br />

Freiflächen entstanden. Kleinere<br />

Flächen verbessern den<br />

Lebensraum des Rauzes. Größere<br />

Freiflächen, die von Tälern<br />

ausgehen, veranlassen<br />

aber den Waldkauz und sogar<br />

den Uhu, in höhere Lagen zu<br />

fliegen und somit in den Lebensraum<br />

des Rauz einzudringen.<br />

Natürlich sollte man zukünftig<br />

den Rauz nicht durch<br />

Aufhängen von Nistkästen in<br />

die direkte Abhängigkeit vom<br />

Menschen bringen. Waldbau<br />

und Waldbewirtschaftung haben<br />

die Möglichkeit, die Wälder<br />

so zu gestalten, dass möglichst<br />

viele waldtypische Tierarten<br />

dort leben können.<br />

Erhebliche Veränderungen<br />

der großflächigen Fichtenwälder<br />

ergeben sich durch das<br />

seit 20 Jahren laufende ökologische<br />

Walderneuerungsprogramm<br />

der Niedersächsischen<br />

Landesforsten (LÖWE).<br />

Dabei sind auch in oberen<br />

Höhenlagen vermehrt Buchenbestände<br />

vorgesehen.<br />

Dann könnten auch Naturhöhlen<br />

entstehen. Aber das<br />

wird noch Jahrzehnte dauern.<br />

Zugleich ergeben sich aber<br />

auch bessere Nahrungsbedingungen<br />

für Waldkauz und<br />

Marder. Diese wirken sich als<br />

Prädatoren auf den Bestand<br />

des Rauzes negativ aus.<br />

Deshalb kann man noch<br />

nicht voraussagen, ob der<br />

Rauz auch in Zukunft im Harz<br />

vorkommen wird. Dies hängt<br />

von vielen miteinander vernetzten<br />

und sich verändernden<br />

Einflüssen ab, die vom<br />

Rauz unbewusst berücksichtigt<br />

werden.<br />

Schließlich „entscheiden“<br />

die Rauhfußkäuze selbst, ob<br />

ein Waldgebiet Ihren Ansprüchen<br />

genügt. Insofern ist der<br />

Rauz auch ein Bioindikator für<br />

den naturgemäßen Waldbau.<br />

Dr. Ortwin Schwerdtfeger

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