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Predigt vom 07. Juli 2013 - Stiftskirche Stuttgart

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Gottesdienst in der <strong>Stiftskirche</strong> <strong>Stuttgart</strong> am 7.7.<strong>2013</strong><br />

<strong>Predigt</strong> über Jesaja 43,1-5 von Prälat Ulrich Mack<br />

Text:<br />

1 Und nun spricht der Herr, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel:<br />

Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du<br />

bist mein!<br />

2 Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen<br />

sollen; und wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich<br />

nicht versengen.<br />

3 Denn ich bin der HERR, dein Gott, der Heilige Israels, dein Heiland. Ich habe Ägypten für<br />

dich als Lösegeld gegeben, Kusch und Seba an deiner statt,<br />

4 weil du in meinen Augen so wert geachtet und auch herrlich bist und weil ich dich lieb habe.<br />

Liebe Gemeinde,<br />

dieses Bibelwort ist keine Postwurfsendung. Solche Briefkastenfüller kennen wir:<br />

Prospekte von irgendwelchen Unternehmen, auf denen kein Name steht, keine<br />

Adresse, sondern nur: „An alle Haushalte“. Unpersönlich sind sie und darum<br />

unbeliebt. Viele Briefkästen haben einen Aufkleber: Keine Werbung, bitte keine<br />

Postwurfsendung.<br />

Heute Morgen kommt vieles darauf an, dass wir die Sätze der Bibel aus Jesaja 43<br />

eben nicht als Postwurfsendung verstehen, sondern als adressierten Brief - als<br />

persönliches Wort Gottes: Fürchte dich nicht - das ist per du gesprochen, unter vier<br />

Augen, zum ersten Mal an das Volk Israel - und im Licht von Jesus Christus an jede<br />

und jeden von uns. Ich habe dich erlöst - das ist persönlich gemeint. Ich habe dich<br />

bei deinem Namen gerufen - keine religiöse Wurfsendung, sondern Zuspruch Gottes<br />

in mein und dein Leben.<br />

Fürchte dich nicht - jemand hat mal herausgefunden, dass diese Aufforderung gut<br />

365 mal in der Bibel vorkommt, für jeden Tag also mindestens ein mal: Fürchte dich<br />

nicht - zu Hirten und Königen ist es gesagt, zu Armen und Reichen, zu Jungen und<br />

Alten.<br />

Zieht sich eine Spur dieses Wortes auch durch meine Tage und Jahre?<br />

1


Fürchte dich nicht – Im Krankenhaus lag ich, und es war noch unsicher, was bei den<br />

Untersuchungen rauskommt. Da habe ich das Wort für mich gehört: Fürchte dich<br />

nicht. Oder damals, als wir eines unserer Kinder verletzt zum Arzt trugen. Oder<br />

manchmal vor schwierigen Gesprächen und Entscheidungen, wenn mich Furcht<br />

packen will: Nein, fürchte dich nicht.<br />

Gründe sich zu fürchten gibt es jeden Tag - wenn Mitmenschen sich in Konflikte<br />

verrennen und Beziehungen drücken - da kann die Furcht packen. Oder wenn ich<br />

sehe, wie unser Volk sich immer mehr in eine Gottvergessenheit verrennt und wie<br />

dann ethische Maßstäbe fallen - bei der Sexualität genauso wie beim ehrlichen<br />

Umgang mit Geld.<br />

Gründe sich zu fürchten gibt es viele – im persönlichen Lebensbuch wie in der<br />

Tageszeitung.<br />

Es dürfte jetzt kaum jemand hier sein, der nicht von sich erzählen könnte - Momente<br />

der Sorge, Zeiten der Angst, Bilder der Furcht.<br />

Aber hier nun Gottes Wort - persönlich, nicht Postwurf: Du, fürchte dich nicht.<br />

Warum nicht? Gründe sich zu fürchten gibt es viele. Aber, so sagt der Bibeltext<br />

heute, Gott ist aktiv.<br />

Er hat seine Gründe gegen unsere Furcht gesetzt.<br />

Drei Gründe:<br />

o ich habe dich erlöst,<br />

o ich habe dich bei deinem Namen gerufen,<br />

o und: du bist mein.<br />

Drei Gründe Gottes gegen meine Furcht. Spüren wir ihnen nach:<br />

Zuerst: Gott sagt: Ich habe dich erlöst<br />

Das hebräische Wort bedeutet genauer: Ich habe dich losgekauft, freigekauft - habe<br />

mich eingesetzt dafür, dass du wieder frei kommst - ein Wort aus der Schuldknechtschaft<br />

- wenn ein Mensch sich hineinverstrickt hat in Schulden und sie nicht bezahlen<br />

kann, wenn er sich verrannt hat in Schuld und nicht weiter weiß.<br />

3


So wie das Volk Israel gebunden und verzweifelt war, als es diese Sätze zum ersten<br />

Mal hörte.<br />

Jetzt muss ich einen Abstecher in die Geschichte machen, damit wir den Text<br />

verstehen. Israeliten waren damals in Gefangenschaft, gut 500 Jahre vor Christus.<br />

Im Land Babylon saßen sie. Zuhause hatten sie einen Krieg verloren, die Häuser<br />

lagen in Schutt und Asche, der Tempel war zerstört, und sie, die Oberschicht der<br />

Israeliten, war verschleppt nach Babylon. Da sitzen sie nun ganz unten, ziemlich<br />

down, schuften als Sklaven fremder Herrscher, gefangen in einem fremden Land,<br />

gebunden in der selbstverschuldeten Vergangenheit - und sie schreien: wer macht<br />

uns wieder frei? Wer löst die Ketten?<br />

Da hören sie, wie ein Prophet eine Botschaft von Gott bringt, wie er das Wort der<br />

Befreiung sagt: Tröstet mein Volk, eure Rettung kommt. Ihr dürft heim. Ich habe dich<br />

erlöst.<br />

Damals - bald nach der Ankündigung des Propheten, hat Israel es erfahren, wie es<br />

ist, frei zu werden, wieder heimzukommen. Der Psalm 126, den wir vorhin beteten –<br />

wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, dann werden wir sein wie die<br />

Träumenden – der stammt aus dieser Zeit.<br />

Und Israel hat es immer wieder so gebetet und so erfahren: Gott führt auch durch<br />

Niederlagen, und er hat die Kraft, neu anzufangen. Auch nach 1945, als sich die KZ-<br />

Türen von Auschwitz öffneten und die der anderen Lager, und dann 1948 die<br />

Heimkehr, Gründung des neuen Staates Israel. Da spannt sich ein weiter Bogen.<br />

Und wir als Christen tun gut darin, Gott, den Herrn der Geschichte, um Frieden zu<br />

bitten - besonders für den Nahen Osten, für Israel und jetzt aktuell für Ägypten und<br />

für Syrien, die Länder voller Spannungen. Schenke Gott, dass sich dort Gerechtigkeit<br />

und Frieden durchsetzt.<br />

Und nun hören wir Gottes Wort – das Wort des Herrn der Weltgeschichte und<br />

unserer Lebensgeschichte – seinen Befreiungsruf hören wir nun für uns hier und<br />

5


heute, den Ruf, der sich seit der Babylonischen Gefangenschaft durch die Bibel<br />

zieht: Gott kann einen neuen Anfang stiften.<br />

Wir leben nicht in Babylon. Wir sind äußerlich freie Menschen. Was Gefangenschaft<br />

nach einem verlorenen Krieg bedeutet, wissen nur noch die älteren von uns. Aber wir<br />

ahnen in anderer Weise etwas davon, was gefangen sein heißt. Wir kennen innere<br />

Fesseln, eher unsichtbare – stellen Sie sich ein Ruderboot vor, mit einem Seil ist es<br />

am Ufer angebunden, aber das Seil sieht man nicht, weil es unter Wasser liegt - und<br />

jetzt steigt einer in das Boot, will vorwärtskommen und rudert wie wild, aber das Seil<br />

bindet ihn an, hält ihn gefangen.<br />

Wir kennen das Seil der Sorge, das uns seelisch bindet. Wir kennen die Stricke der<br />

Angst. Und wir kennen Ketten der Schuld - Vergangenheit, die anklagt, falsche<br />

Bindungen. Sie können in jedem Menschenleben wieder anders und sehr persönlich<br />

aussehen.<br />

Und nun Gottes befreiendes Wort: Ich habe dich erlöst. Wir hören das für uns, weil<br />

Gott es in Jesus Christus noch einmal und für uns gesagt hat. Jesus hat selbst<br />

einmal betont: Ich bin gekommen, um euch Freiheit zu bringen, um euch Erlösung<br />

anzubieten. Das ist nicht einfach so billig dahingesagt. Jesus hat dafür bezahlt. Er<br />

hat sich selbst dafür gegeben. Es hat ihn das Leben gekostet. Er hat selbst seinen<br />

Tod so erklärt: Ich gebe mein Leben, damit ihr Erlösung habt.<br />

Er ist – im Bild gesprochen, er ist in die Tiefe des Leids bis in den Tod eingetaucht,<br />

um die Seile durchzuschneiden, die unser Lebensboot festhalten wollen.<br />

Und immer neu will er uns sagen:<br />

Fürchte dich nicht – deine Sorgen, ich kenne sie. Ich trage sie mit.<br />

Deine Ängste – sieh doch: das Vertrauen zu mir soll und kann viel stärker sein.<br />

Deine Vergangenheit ist bei mir, deine Schuld ist vergeben – ich habe dich erlöst.<br />

So können wir es im Vertrauen auf Christus durchbuchstabieren.<br />

Und dann die zweite Zeile hören:<br />

7


Ich habe dich bei deinem Namen gerufen<br />

Wir haben bei Christus einen Namen. Wir sind bei ihm keine Nummer.<br />

Von der Ursehnsucht des Menschen, sich selbst einen Namen zu machen, erzählt<br />

schon die Urgeschichte der Bibel. In 1. Mose 11 steht sie - die Geschichte <strong>vom</strong><br />

Turmbau zu Babel. Da sagten die Menschen zueinander: Laßt uns eine Stadt und<br />

einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reicht, damit wir uns einen<br />

Namen machen.<br />

Nicht einfach Ruhmsucht steckt dahinter, sondern die Sehnsucht, doch ja nicht<br />

vergessen zu sein. Die Sorge, das Leben könnte ins Nichts zerrinnen.<br />

Sich einen Namen machen. Alexander der Große gründete viele Städte und nannte<br />

die meisten davon nach sich selbst „Alexandria“.<br />

Octavius, der Adoptivsohn des berühmten Cäsar - er hieß einfach Octavius, zu<br />

Deutsch: der achte (da fiel dem Familienvater nichts Besseres mehr ein!) - dieser<br />

Octavius machte sich einen Namen, indem er sich Augustus nannte, der Erhabene.<br />

Sich einen Namen machen, nicht eine Nummer sein. Nicht vergessen werden.<br />

Ursehnsucht des Menschen.<br />

Und da spricht nun Gott durch den Propheten: Nein, nein, verkrampf dich nicht: Du<br />

musst dich nicht erst wertvoll machen. Du mußt nicht mit der Furcht leben, dass das<br />

Leben ins Nichts zerrinnt. Denn ich - so sagt der lebendige Gott - ich habe dich bei<br />

deinem Namen gerufen. Du bist mein, gehörst mir! So wertvoll bist du, so geliebt mit<br />

Ewigkeitsqualität – Ich habe dich lieb.<br />

Es ist schon merkwürdig: Ausgerechnet in Babel war es, wo sich Menschen diesen<br />

Turm bauen wollten, der an den Himmel reicht, um sich einen Namen zu machen –<br />

viele Jahrhunderte später ist ein Teil des Volkes Israel eben dort in der<br />

Babylonischen Gefangenschaft. Erst der Turm bis an den Himmel - der stolze<br />

Mensch gegen Gott - und ein Debakel wurde daraus, Verwirrung und Völker gegen<br />

Völker.<br />

9


Dann an derselben Stelle viel später: Israel gefangen. Der gebrochene Mensch -<br />

schuldig vor Gott.<br />

Und da lässt Gott sagen: Ich habe dich bei deinem Namen gerufen – du bist nicht<br />

eine Nummer, sondern hast bei mir einen Namen. Du bist nicht vergessen, nicht am<br />

Ende. Jetzt reicht nicht der stolze Turm des Menschen bis zum Himmel - das bringt<br />

immer nur Elend, wenn der Mensch sich zum Gott macht. Aber umgekehrt: Jetzt<br />

reicht der Himmel bis in die Tiefen des Menschen: Du, ich kenne dich, ich lasse dich<br />

nicht los, ich nenne dich beim Namen, du bist mein. Das bringt Heil.<br />

Ein Familienvater hatte zur Römerzeit das Recht, dem Kind einen Namen zu geben –<br />

auch, was oft vorkam, dem adoptierten Kind. Und die Namensgebung gab eine<br />

Identität. Sie zeigte: Du gehörst jetzt zu mir, zu meiner Familie.<br />

So ist es mit uns Christen auch: in der Taufe wurde unser Vor- und Nachname<br />

genannt – aber da haben wir noch einen Namen bekommen: wir sind auf den Namen<br />

von Jesus Christus getauft, und seitdem gehört der Name „Christus“ - oder einfach<br />

„Christ“ - zu unserem persönlichen Namen dazu als weltweiter Familienname<br />

gleichsam – „Ulrich Mack, Christ“ – oder „Dieter Scheufele, ein zu Christus<br />

gehörender“ – und nun setzen Sie, wenn Sie getauft sind, fröhlich Christus hinter<br />

Ihren Namen.<br />

Das bedeutet: Gott kennt beides - unseren persönlichen Namen und den weltweiten<br />

Familiennamen auch: du gehörst zu Christus. Deshalb: fürchte dich nicht, egal, was<br />

kommen mag.<br />

Darum – die dritte Zeile: Du bist mein. Du gehörst zu mir.<br />

Das, liebe Mitchristen, könnte man auch falsch verstehen. Man könnte dieses Wort<br />

hören und denken: Na schön, wenn ich erlöst bin und zu Jesus gehöre, dann darf mir<br />

eigentlich nichts Schlimmes mehr passieren - und dann ist jede Krankheit oder jeder<br />

Mißerfolg im Beruf oder ein Unfall - dann darf das alles nicht sein, und wenn es<br />

kommt, so denken manche, dann habe ich zu wenig geglaubt oder Gott ist schuld<br />

daran.<br />

11


Aber Gott verspricht keine leidensfreie Zone. Von Feuer und Wasser spricht der<br />

Bibeltext - es gibt auch heiße Situationen im Leben, Wüstenstrecken auch. Und<br />

Wasser: In jedem Leben gibt es auch Wellen - Streß oder Krisen oder Krankheiten,<br />

und wer kann es nicht nachfühlen, was Petrus erlebte: Herr hilf, ich ertrinke. Gott<br />

sagt nicht: Ich führ dich ab jetzt um Wasser und Feuer herum. Aber er verspricht:<br />

Wenn du Feuer oder Wasserstrecken erlebst, dann bin ich bei dir, und all die<br />

Gefahren können dich nicht im Allertiefsten von Gott trennen.<br />

Denn: du bist mein! Du gehörst zu mir.<br />

Diese Zugehörigkeit ist in der Bibel sehr ganzheitlich gemeint. Du bist mein – und<br />

zwar mit deinem ganzen Leben, nicht nur mit deiner religiösen Oberfläche.<br />

Du bist mein - nicht nur teilweise, sondern mit allen Facetten deines Lebens. Das<br />

jetzt in allen Verästelungen des Lebens wahr sein lassen – das ist wichtig und ein<br />

Geschenk zugleich: zum Beispiel bei dem, was wir besitzen: du bist mein: auch dein<br />

Geld gehört in Gottes Hand, auch deine Beziehungen, auch deine Art, mit deiner<br />

Ehre umzugehen und mit deiner Seele und mit der Schuld – der eigenen und die der<br />

anderen. Da wird Erlösung konkret. Da trifft sie und prägt unser Leben.<br />

Und darum erst recht: fürchte dich nicht.<br />

Bleibt die Frage: Was ist das nun - eine Postwurfsendung nur, die man schnell links<br />

liegen läßt? Oder ist dieses Wort fürchte dich nicht jetzt wie ein persönlicher Brief,<br />

zum Aufheben und Mitnehmen? Die guten Gründe Gottes gegen die Furcht hören<br />

jedenfalls nicht auf. Sie lassen uns denken – und danken.<br />

Amen<br />

Lied: Vergiss nicht zu danken …<br />

13

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