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Nackt auf fremdem Land (Die Kinder auf dem Feld)

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Gt 08020 / p. 892 / 1.10.2007<br />

<strong>Nackt</strong> <strong>auf</strong> <strong>frem<strong>dem</strong></strong> <strong>Land</strong> (<strong>Die</strong> <strong>Kinder</strong> <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> <strong>Feld</strong>)<br />

EvThom 21,1-4<br />

(1) Maria sagte zu Jesus: Wem gleichen deine Jüngerinnen und Jünger?<br />

(2) Er sagte: Sie gleichen kleinen <strong>Kinder</strong>n, die sich <strong>auf</strong> einem <strong>Feld</strong> <strong>auf</strong>halten,<br />

das ihnen nicht gehört. (3) Wenn die Herren des <strong>Feld</strong>es kommen, werden sie<br />

sagen: »Lasst uns unser <strong>Feld</strong>!«. (4) Sie sind nackt vor ihnen, damit sie es<br />

ihnen lassen und sie ihnen ihr <strong>Feld</strong> geben.<br />

(5) Deswegen sage ich: Wenn der Hausherr bemerkt, dass der <strong>Die</strong>b kommt,<br />

wird er wachsam sein, bis er kommt, und wird ihn nicht eindringen lassen in<br />

sein Haus, sein Königreich, dass er seine Sachen wegnimmt. (6) Ihr aber seid<br />

wachsam gegenüber der Welt! (7) Umgürtet eure Hüften mit großer Kraft,<br />

damit die Räuber keinen Weg finden, um zu euch zu kommen.<br />

(8) Denn das Nötige, <strong>auf</strong> das ihr wartet, wird gefunden werden. (9) Ein verständiger<br />

Mensch soll in eurer Mitte sein! (10) Als die Frucht reif war, kam<br />

er schnell mit seiner Sichel in seiner Hand und erntete sie.<br />

(11) Wer Ohren hat zu hören, soll hören!<br />

Sprachlich-narrative Analyse (Bildlichkeit)<br />

<strong>Die</strong> eigentliche Parabel umfasst EvThom 21,2-4. Sie wird durch eine Frage von Maria<br />

nach den Jüngerinnen und Jüngern eingeleitet (21,1), <strong>auf</strong> die hin Jesus die kurze Geschichte<br />

als Erläuterung erzählt. Durch den ausdrücklichen Vergleich in 21,2 ist der<br />

Wechsel zur Bildebene signalisiert. In 21,5 beginnt mit »deswegen sage ich euch …« ein<br />

neues Thema, das in 21,6 f. in Aufforderungen in der zweiten Person Plural übergeht.<br />

21,8–10 bringen einen dritten thematischen Abschnitt, während 21,11 mit <strong>dem</strong> Aufruf<br />

zum Hören den ganzen Komplex abschließt. Auch 21,5–7 und 21,8–10 verwenden jeweils<br />

bildliche Sprache aus unterschiedlichen Bereichen. Da es Parallelen in synoptischen<br />

Parabeln gibt, sind sie dort mit einbezogen (siehe Artikel zu Q 12,39f.; Mk 4,26–29).<br />

Trotz dieser eigenständigen Bedeutung bilden sie aber auch eine Anwendung für die Parabel<br />

in 21,1–4 und sind deshalb für ihre Interpretation wichtig. 21,5 bietet keinen Einstieg<br />

zu einem neuen Spruch, sondern schließt ausdrücklich an das Vorausgehende an.<br />

Der Text bietet einige Schwierigkeiten in der Übersetzung bzw. Stellen, an denen er<br />

unterschiedlich verstanden werden kann. So ist die Wiedergabe des koptischen<br />

(šēre šēm) mit »kleine <strong>Kinder</strong>« zwar korrekt, ergibt aber je nach inhaltlichem Verständnis<br />

der Parabel nicht viel Sinn. Deshalb wird manchmal vermutet, dass der koptische<br />

Ausdruck eine unangemessene Übersetzung des griechischen Originals bietet, in<br />

<strong>dem</strong> vermutlich pa…@ (pais) stand, was sowohl Kind als auch Sklave, Knecht bedeutet,<br />

und entsprechend übersetzt wurde (so z. B. Plisch 2007, im Erscheinen).<br />

Außer<strong>dem</strong> ist die Zuordnung der Pronomen oft unklar, es ist vor allem in V4 nicht<br />

sicher, ob eigentlich die <strong>Kinder</strong> den Herren das <strong>Feld</strong> übergeben oder umgekehrt – d. h. es<br />

ist sprachlich nicht eindeutig, wie die Geschichte ausgeht. In meiner Sicht sprechen in V3<br />

die Herren, da nur sie »unser <strong>Feld</strong>« sagen können. Demgegenüber sind in V4 die <strong>Kinder</strong><br />

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Gt 08020 / p. 893 / 1.10.2007<br />

<strong>Nackt</strong> <strong>auf</strong> <strong>frem<strong>dem</strong></strong><strong>Land</strong> EvThom 21,1-4<br />

Subjekt, sie sind nackt und überlassen es (das <strong>Feld</strong>) entsprechend der Aufforderung den<br />

Herren. Aber wird im letzten Teil von V4 dieser Umstand einfach nochmals wiederholt<br />

oder wechselt hier das Subjekt und die Herren übergeben am Ende das <strong>Feld</strong> den <strong>Kinder</strong>n?<br />

<strong>Die</strong> die Parabel einleitende Frage nach den JüngerInnen wird von Maria gestellt,<br />

gemeint ist Maria Magdalena. Denn sie ist im EvThom Teil der Gruppe (vgl. EvThom<br />

114), während die Mutter Jesu nur negativ erwähnt wird. Außer<strong>dem</strong> stellt sie auch in<br />

anderen Schriften ähnliche Fragen, die sich <strong>auf</strong> die JüngerInnen beziehen (SJC BG<br />

p.117,12–17 par.; Dial NHC III, 5 p.131,19-132,5). <strong>Die</strong> Gruppe umfasst im EvThom<br />

eindeutig Frauen und Männer, denn Salome bezeichnet sich selbst als Jüngerin (EvThom<br />

61,4: verwendet wird das griechische Wort maqhtffi@ (mathētēs) mit einem femininen<br />

koptischen Artikel) und die Zugehörigkeit von Maria und anderen Frauen wird in<br />

EvThom 114 ausdrücklich verteidigt. Als Einleitung der Parabel fragt also eine Jüngerin<br />

nach der Gruppe der JüngerInnen. <strong>Die</strong>s unterstreicht das direkte Interesse an dieser Frage.<br />

In der Parabel wird nicht das Reich Gottes oder eine andere himmlische Größe bildlich<br />

beschrieben, sondern die Existenz der JüngerInnen (anders Plisch 2007, im Erscheinen).<br />

In der Geschichte, mit der die JüngerInnen verglichen werden, interagieren zwei<br />

Gruppen von Personen miteinander, die durch einen Ort miteinander in Beziehung stehen.<br />

<strong>Die</strong> einen, die kleinen <strong>Kinder</strong> oder evtl. SklavInnen, halten sich <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> <strong>Feld</strong> <strong>auf</strong>, das<br />

den anderen, den Herren, gehört. Um dieses <strong>Feld</strong> streiten sie, die Herren fordern ihren<br />

Besitz ein, und die <strong>Kinder</strong> überlassen es ihnen, möglicherweise um es am Ende doch zu<br />

bekommen. Der Ausgang der Parabel ist wie oben schon erwähnt sprachlich unklar, es ist<br />

nicht sicher, ob die <strong>Kinder</strong> am Ende das <strong>Feld</strong> behalten können oder ob sie es durch doppeltes<br />

Erzählen betont den Herren überlassen. Den Wendepunkt in der Geschichte zwischen<br />

der Situationsschilderung einschließlich der Forderung der Herren (21,2 f.) und<br />

<strong>dem</strong> Resultat des Überlassens des <strong>Feld</strong>es (21,4) bildet das <strong>Nackt</strong>sein der <strong>Kinder</strong> gegenüber<br />

den Herren. <strong>Die</strong> <strong>Kinder</strong> setzen ihr <strong>Nackt</strong>sein der Forderung der Herren entgegen,<br />

wie auch immer es am Ende ausgeht. Es ist ein unmittelbarer Kontakt zwischen beiden<br />

Parteien, sonst sind beide <strong>auf</strong> das <strong>Feld</strong> bezogen. Eine Verfügungsgewalt der Herren über<br />

die <strong>Kinder</strong> ist nicht ersichtlich, auch wenn das Machtgefälle zwischen beiden eindeutig<br />

ist. <strong>Die</strong> <strong>Kinder</strong> sind von Anfang an in einer schwachen Position, es ist nicht ihr <strong>Feld</strong>. <strong>Die</strong><br />

Schwäche der <strong>Kinder</strong> spiegelt sich auch in der Erzählung, von ihnen werden nur Zustände<br />

beschrieben: Sie halten sich <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> <strong>Feld</strong> <strong>auf</strong>, sie sind nackt. Den Herren dagegen<br />

gehört das <strong>Feld</strong> und sie treten aktiv <strong>auf</strong>, sie kommen und stellen eine Forderung.<br />

SozialgeschichtlicheAnalyse(Bildspendender Bereich)<br />

Eine sozialgeschichtliche Analyse der Parabel bietet große Schwierigkeiten, weil die Einzelheiten<br />

des Bildes nicht in einen gemeinsamen sozialen Kontext passen. Im koptischen<br />

Text geht es um <strong>Kinder</strong>, aber ihr Alter ist nicht eindeutig festgelegt, trotz der Näherbestimmung<br />

als klein können es auch Jugendliche sein. Sie halten sich <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> <strong>Feld</strong> <strong>auf</strong>,<br />

das kann ein Besuchen, aber auch ein Wohnen bezeichnen. Spielen sie dort, ähnlich wie<br />

in der Parabel Q 7,31–35 (siehe Artikel zu Q 7,31-35)? Oder leben sie dort, haben sie also<br />

keine Häuser? Oder bearbeiten sie das <strong>Feld</strong>, handelt es sich um eine Art <strong>Land</strong>besetzung?<br />

<strong>Die</strong>se letzte Deutung passt am besten zum folgenden Auftritt der Herren, ist aber mit den<br />

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ParabelnimThomasevangelium<br />

<strong>Kinder</strong>n nicht besonders sinnvoll, in diesem Fall müsste wohl von SklavInnen die Rede<br />

sein. Insgesamt ist die Parabel sehr disparat gestaltet, es werden verschiedene soziale Verortungen<br />

angedeutet, dann aber nicht weitergeführt: <strong>Die</strong> <strong>Kinder</strong> sind zwar wichtige Personen,<br />

aber in der Parabel gehört sonst nichts zum Bereich Kindheit. Auch das <strong>Feld</strong> steht<br />

alleine, es wird nicht landwirtschaftlich oder anderweitig genutzt. <strong>Die</strong> Herren schließlich<br />

könnten ein Gegenüber zu SklavInnen bilden, aber selbst wenn im Text SklavInnen statt<br />

<strong>Kinder</strong> gelesen wird, sind die Herren nicht <strong>auf</strong> sie bezogen, sie werden nur als Besitzer des<br />

<strong>Feld</strong>es eingeführt.<br />

<strong>Die</strong> einzige durchgehende Linie in der Erzählung ist die Rechtlosigkeit und schwache<br />

Position der <strong>Kinder</strong>. Sie haben kein Anrecht <strong>auf</strong> das <strong>Feld</strong>, <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> sie sich befinden.<br />

Dazu passt die Bezeichnung als <strong>Kinder</strong>, die als schutzlos und abhängig angesehen werden<br />

können (Kleijwegt/Amedick 2004, 874 u. ö.). <strong>Die</strong> Herren dagegen zeigen schon in dieser<br />

Bezeichnung ihre Macht. Das <strong>Nackt</strong>sein der <strong>Kinder</strong> verweist ebenfalls <strong>auf</strong> Ausgeliefertsein<br />

und fehlenden Status (H. O. Maier 2006, 26). Es wird also in der Erzählung eine<br />

Situation der grundlegenden Rechtlosigkeit und Unsicherheit <strong>auf</strong>gerufen, und zwar nicht<br />

durch ein in sich konsistentes Bild, sondern durch die Kombination von Einzelzügen aus<br />

verschiedenen Kontexten. <strong>Die</strong>se grundsätzliche Position ist offensichtlich für das Bild der<br />

JüngerInnen entscheidend.<br />

Analysedes Bedeutungshintergrunds(Bildfeldtradition)<br />

<strong>Die</strong> Schwäche und Hilflosigkeit der <strong>Kinder</strong> in der Parabel knüpft zunächst an das biblische<br />

Motiv an, dass Gott <strong>auf</strong> der Seite der Armen und Rechtlosen steht. <strong>Die</strong>s gilt in<br />

sozialer Hinsicht, wenn Fürsorge wie etwa das Kleiden von <strong>Nackt</strong>en (z. B. Mt 25,36) gefordert<br />

wird. In Fortsetzung dieses Motivs werden die Armen und Kleinen als Gott besonders<br />

nah angesehen, so dass entsprechende Selbstbezeichnungen für Gemeindeglieder<br />

gewählt werden (z. B. die »Kleinen« im Matthäusevangelium), die vermutlich nicht nur<br />

eine soziale sondern auch eine ideelle Realität widerspiegeln. <strong>Die</strong>ser Hintergrund macht<br />

eine Identifizierung der JüngerInnen mit den <strong>Kinder</strong>n in der Parabel besonders leicht.<br />

Speziell <strong>Kinder</strong> werden auch als Beispiel für die JüngerInnen und Vorbild für den<br />

Weg zum Reich Gottes dargestellt (Mt 18,1–5; 19,13–15 par). Im Vergleich dazu ist in<br />

EvThom 21 die Rechtlosigkeit und das Ausgeliefertsein der <strong>Kinder</strong> durch die Kombination<br />

mit anderen Elementen (fremdes <strong>Feld</strong>, <strong>Nackt</strong>heit) besonders betont. Außer<strong>dem</strong> ist<br />

<strong>auf</strong>fällig, dass Jesus im EvThom die JüngerInnen schon als <strong>Kinder</strong> beschreibt, sie entsprechen<br />

diesem Bild, es wird ihnen nicht nur zum Nacheifern empfohlen.<br />

Eine besondere Bedeutung hat in der Parabel das <strong>Nackt</strong>sein der <strong>Kinder</strong>. Hier sind<br />

verschiedene Hintergründe zur Erklärung denkbar. Zum einen ist <strong>Nackt</strong>heit ein Zeichen<br />

besonderer Armut und Hilflosigkeit. In kriegerischen Auseinandersetzungen bedeutet<br />

<strong>Nackt</strong>heit den äußersten Statusverlust (Am 2,16). Das <strong>Nackt</strong>sein der <strong>Kinder</strong> könnte also<br />

noch eine Steigerung ihrer schwachen Position zeigen. Zum anderen ist der Gedanke weit<br />

verbreitet, dass der Körper ein Kleid für die Seele bildet, das sie auch wieder ablegt, um<br />

die Welt zu verlassen. <strong>Die</strong> <strong>Nackt</strong>heit bedeutet dann eine Körperlosigkeit (DeConick/Fossum<br />

1991, 124). Z. B. sieht Philo die <strong>Nackt</strong>heit der Seele als positiv, wenn sie ein Ablegen<br />

der körperlichen Leidenschaften und Hinwenden zur Tugend beinhaltet (Philo, LA<br />

II.54 f.).<br />

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Gt 08020 / p. 895 / 1.10.2007<br />

Zusammenfassende Auslegung(Deutungshorizonte)<br />

<strong>Nackt</strong> <strong>auf</strong> <strong>frem<strong>dem</strong></strong><strong>Land</strong> EvThom 21,1-4<br />

Eine erste Möglichkeit zur Deutung der Parabel knüpft an die in ihr sichtbare soziale<br />

Situation an. <strong>Die</strong> JüngerInnen werden als in jeder Hinsicht ohne Rechte und Status dargestellt:<br />

Sie sind <strong>Kinder</strong>, sie haben kein Anrecht <strong>auf</strong> den Ort, an <strong>dem</strong> sie sich befinden, sie<br />

sind sogar nackt und dadurch völlig ausgeliefert. In der Erzählung führen die <strong>Kinder</strong><br />

diesen Zustand nicht selber herbei, aber versuchen ihn auch nicht abzuwenden. Es bleibt<br />

deshalb offen, ob ein erstrebenswertes Ideal oder einfach nur die Realität dargestellt wird<br />

oder vielleicht beides gemischt ist. <strong>Die</strong> Situation der Rechtlosigkeit lässt sich jedenfalls<br />

gut <strong>auf</strong> die soziale Situation der JüngerInnen im EvThom beziehen. <strong>Die</strong> JüngerInnen<br />

wandern ohne festen Wohnsitz (EvThom 42; 86), sie sind angewiesen <strong>auf</strong> Unterstützung<br />

von außen (EvThom 14) und sollen sich trotz<strong>dem</strong> nicht sorgen (EvThom 36). Sie sind<br />

faktisch fremd, arm und rechtlos, aber dies kann auch der eigene Anspruch und Absicht<br />

sein (Patterson 1993, 127 ff.). In den synoptischen Aussendungsreden ist diese Art der<br />

Existenz ein theologisches Programm (Lk 9,3; 10,3 f. par.). <strong>Die</strong> Parabel beschreibt eine<br />

solche Situation sehr viel allgemeiner und von einem konkreten Auftrag gelöst, das ganze<br />

Sein der JüngerInnen ist so bestimmt. Zu dieser Deutung passt auch 21,8 aus der Anwendung,<br />

der die Versorgung mit <strong>dem</strong> Notwendigen verheißt. Eigenes Bemühen ist nicht<br />

gefordert.<br />

<strong>Die</strong> Allgemeinheit der Erzählung durch die Vermischung von verschiedenen sozialen<br />

Hintergründen macht es aber auch leicht, die ganze Situation im übertragenen Sinne<br />

zu verstehen. <strong>Die</strong> JüngerInnen können sich, auch wenn sie vielleicht Häuser besitzen,<br />

trotz<strong>dem</strong> als grundsätzlich heimatlos verstehen. <strong>Die</strong> Parabel kann ihre Fremdheit in der<br />

Welt, ihr Nichteingebundensein in irdische Strukturen beschreiben. In dieser Deutung<br />

bekommt das eigentlich ganz passive Verhalten der <strong>Kinder</strong> eine aggressive Note: Sie haben<br />

nicht nur kein Recht <strong>auf</strong> das <strong>Land</strong>, <strong>auf</strong> <strong>dem</strong> sie sich <strong>auf</strong>halten, sondern sie entblößen<br />

sich noch weiter aller Ansprüche. Ihre <strong>Nackt</strong>heit lehnt jeden Kompromiss ab – die <strong>Kinder</strong><br />

verweigern sich jeder möglichen Verwicklung. <strong>Nackt</strong>heit als äußerster Statusverlust<br />

scheint hier gerade beabsichtigt.<br />

Mit dieser mehr existential-individuellen als sozialen Deutung lässt sich auch die<br />

erste Anwendung in EvThom 21,5–7 verbinden, obwohl die Aussage <strong>auf</strong> den ersten Blick<br />

völlig gegensätzlich erscheint. Hier ist die Identifikationsfigur für die Angesprochenen<br />

ein Hausherr, der ganz anders als die <strong>Kinder</strong> eigenen Besitz hat und diesen verteidigt.<br />

Während die <strong>Kinder</strong> nackt sind, mündet das zweite Bild in die Aufforderung sich zu<br />

umgürten. <strong>Die</strong> Kombination der beiden Verhaltensweisen lässt sich aber verstehen, wenn<br />

jeweils unterschiedliche Arten von Besitz gemeint sind (Uro 2003, 66). Bestimmte Dinge<br />

haben nicht den geringsten Wert für die JüngerInnen, sie haben keinen Bezug zu ihnen<br />

und sind ohne weiteres bereit, sie vollständig <strong>auf</strong>zugeben – wie die <strong>Kinder</strong> das <strong>Feld</strong> und<br />

ihre Kleidung. Aber anderes hat sehr großen Wert und sie sind willig und fähig dafür zu<br />

kämpfen – wie der Hausherr. In der Verbindung drückt sich also eine Ambivalenz zwischen<br />

Loslassen und Festhalten aus (G. M. Martin 1998, 97).<br />

<strong>Die</strong> Anwendung bietet im Aufruf zur Wachsamkeit gegenüber der Welt (21,6) auch<br />

einen Hinweis, wie die beiden Pole inhaltlich zu füllen sind. <strong>Die</strong> Welt gehört für den<br />

Hausherrn zum feindlichen Gegenüber und könnte <strong>dem</strong>entsprechend für die <strong>Kinder</strong><br />

das sein, was sie bereitwillig <strong>auf</strong>geben. Zum <strong>Feld</strong> haben sie von Anfang an keinen Bezug,<br />

auch wenn es ihr Aufenthaltsort ist. In diesem Zusammenhang lässt sich die <strong>Nackt</strong>heit als<br />

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ParabelnimThomasevangelium<br />

Aufgeben der körperlichen Existenz interpretieren. <strong>Die</strong> JüngerInnen lassen irdische Leiblichkeit<br />

hinter sich, weil sie nicht zu ihrem allein wichtigen inneren Kern gehört. <strong>Die</strong>se<br />

Konstellation lässt sich vor <strong>dem</strong> Hintergrund von gnostischen Vorstellungen lesen, in<br />

denen ein himmlischer Teil im Menschen versehentlich in die Welt und in den Körper<br />

geraten ist und beides wieder verlassen will, aber klare Hinweise <strong>auf</strong> diesen speziellen<br />

Kontext enthält die Erzählung nicht. Auch in stoischer Philosophie wird Indifferenz<br />

und bereitwilliges Loslassen in manchen Bereichen gefordert, dazu gehört auch der Körper<br />

(Uro 2003, 68 f.). <strong>Die</strong> Parabel kann so ermutigen, die unwichtigen Dinge auch wirklich<br />

beiseitezulassen. Sie kann sogar eine tröstliche Deutung des Sterbens sein, das nicht<br />

schlimm ist, wenn die JüngerInnen in der Welt ohnehin nur zu Gast sind (G. M. Martin<br />

1998, 96). Das Ablegen der Körper wird mitunter aber auch als Rückkehr in einen asexuellen<br />

Zustand vor <strong>dem</strong> Sündenfall verstanden, wozu die Bezeichnung als <strong>Kinder</strong> passt<br />

(DeConick/Fossum 1991, 134 f.; DeConick 2006b, 109; auch S. L. Davies 1983, 118 f.).<br />

Auch diese spezifische Sicht lässt sich aber an der Parabel selbst nicht untermauern und<br />

im folgenden Spruch EvThom 22 dient das Bild der Säuglinge eher zur Darstellung einer<br />

ungestörten Einheit mit Gott als zur Betonung der Aufhebung von sexueller Differenzierung<br />

(siehe Artikel zu EvThom 22). <strong>Die</strong> Parabel EvThom 21,1-4 bleibt offen für verschiedene<br />

Deutungen und vermeidet eindeutige Festlegungen.<br />

Judith Hartenstein<br />

Literatur zumWeiterlesen<br />

G. M. Martin, Das Thomas-Evangelium. Ein spiritueller Kommentar, Stuttgart 1998, 95-98.<br />

S. J. Patterson, The Gospel of Thomas and Jesus, Sonoma 1993.<br />

U.-K. Plisch, Das Thomasevangelium. Originaltext mit Kommentar, Stuttgart 2007 (im Erscheinen).<br />

R. Uro, Thomas. Seeking the Historical Context of the Gospel of Thomas, London u. a. 2003.<br />

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