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2. Weihnachtstag, Ev. Friedenskirche Unna-Massen

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Der Himmel ist offen – Predigt zum <strong>2.</strong> <strong>Weihnachtstag</strong>, 26.1<strong>2.</strong>11, über Off. 7,9-17<br />

Liebe Gemeinde,<br />

ich liebe Weihnachten. Es ist ein wundersames und wunderbares Fest. Es ist das Fest des<br />

offenen Himmels. Himmel und Erde berühren sich, Gegensätze treffen aufeinander, und wir<br />

spüren: es sind keine Gegensätze mehr, sondern es gehört zusammen, weil Gott und Mensch<br />

zusammen gehören. Die Armseligkeit im Stall und die Menge der himmlischen Heerscharen,<br />

die Dunkelheit der Geburt und der Lichtschein des geöffneten Himmels, die Mordpläne des<br />

Herodes und die Anbetung durch die Weisen aus dem Morgenland – sie stehen symbolisch<br />

für die ganze Spanne unseres irdischen Daseins, das sich abspielt zwischen himmelhoch<br />

jauchzendem Glück und bodenloser Verzweiflung, zwischen festlich strahlendem Überfluss<br />

und bitterster Armut, zwischen übervollen Gabentischen und feucht-fröhlicher Geselligkeit<br />

und tiefster Einsamkeit und Verlorenheit.<br />

Sie haben hoffentlich alle schöne, anregende und erfüllte Festtage erlebt und können<br />

Weihnachten genießen. Aber vielleicht ist es für Sie auch besonders in diesem Jahr ein<br />

nachdenkliches Fest, weil Sie um einen lieben Menschen trauern, der bisher immer an Ihrer<br />

Seite war, weil Sie mit Sorge ins nächste Jahr blicken, weil sich in Ihrem Leben etwas<br />

Grundlegendes geändert hat und nichts mehr so ist wie es war, weil Ihnen der Zauber, den das<br />

Fest für Kinder hat, längst schon abhanden gekommen ist. Gerade dann gilt Ihnen die<br />

Weihnachtsbotschaft! Denn sie erzählt ja davon, dass Gott und die Menschen vereint sind und<br />

das Leben heil wird.<br />

Der Predigttext für den <strong>2.</strong> Feiertag stammt auf dem Buch der Offenbarung des Johannes und<br />

nimmt genau diesen Faden auf. Johannes lebte am Ende des 1. Jahrhunderts. Unter dem<br />

römischen Kaiser Diokletian gab es grausame Christenverfolgungen und alltägliche<br />

Unterdrückung der Christen. Um die Gemeinden zu schwächen, wurde ihr<br />

Gemeindevorsteher Johannes verhaftet und auf die Insel Patmos verbannt. Man glaubte ihn<br />

damit unschädlich zu machen. Aber er hatte dort großartige Visionen, die er aufschrieb und<br />

als Trostbrief an seine Gemeinden schickte. Uns sind sie allesamt im Buch der Offenbarung<br />

überliefert. Eine dieser Visionen ist der heutige Predigttext, ein Blick in den offenen Himmel,<br />

der denen, die auf der Erde Trübsal leiden, die Augen öffnet und das müde Herz stärkt:<br />

Off. 7,9-17<br />

Danach sah ich, und siehe, eine große Schar, die niemand zählen konnte, aus allen Nationen<br />

und Stämmen und Völkern und Sprachen; die standen vor dem Thron und vor dem Lamm,<br />

angetan mit weißen Kleidern und mit Palmzweigen in ihren Händen, und riefen mit großer<br />

Stimme: Das Heil ist bei dem, der auf dem Thron sitzt, unserm Gott, und dem Lamm! Und alle<br />

Engel standen rings um den Thron und um die Ältesten und um die vier Gestalten und fielen<br />

nieder vor dem Thron auf ihr Angesicht und beteten Gott an und sprachen: Amen, Lob und<br />

Ehre und Weisheit und Dank und Preis und Kraft und Stärke sei unserm Gott von Ewigkeit zu<br />

Ewigkeit! Amen.<br />

Und einer der Ältesten fing an und sprach zu mir: Wer sind diese, die mit den weißen<br />

Kleidern angetan sind, und woher sind sie gekommen? Und ich sprach zu ihm: Mein Herr, du<br />

weißt es. Und er sprach zu mir: Diese sind’s, die gekommen sind aus der großen Trübsal und<br />

haben ihre Kleider gewaschen und haben ihre Kleider hell gemacht im Blut des Lammes.<br />

Darum sind sie vor dem Thron Gottes und dienen ihm Tag und Nacht in seinem Tempel; und<br />

der auf dem Thron sitzt, wird über ihnen wohnen. Sie werden nicht mehr hungern noch<br />

dürsten; es wird auch nicht auf ihnen lasten die Sonne oder irgendeine Hitze; denn das Lamm<br />

mitten auf dem Thron wird sie weiden und leiten zu den Quellen des lebendigen Wassers, und<br />

Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.<br />

1


Ein wundersames Bild: eine große Schar von Menschen aus allen Völkern und Sprachen in<br />

weißen Kleidern und mit Palmzweigen in den Händen singen und loben Gott, der inmitten<br />

aller Engel auf seinem Thron im Himmel sitzt! Was bedeutet das?<br />

Diese Menschen sind alle die, die aus großer Trübsal kommen.<br />

Wenn wir unseren Blick schweifen lassen, kann das ja vieles bedeuten. Die Menschen auf den<br />

Philippinen gehören dazu, die aktuell von Überschwemmungen betroffen sind. Die<br />

Thailänder, die ihr Schicksal teilen ebenso. Die Japaner, die von Erdbeben, Tsunami und<br />

Atomkatastrophe betroffen waren und sind. Die Menschen, die in Libyen ihr Leben ließen.<br />

Die Kriegstoten Afghanistans. Die verfolgten und niedergeknüppelten Demonstranten in<br />

Syrien, Ägypten und Rußland. Und dann die Ostafrikaner, die von Bürgerkrieg, Dürre und<br />

Hunger betroffen sind. Millionen Menschen verhungern in Somalia! Man muss sich das<br />

einmal vorstellen! Wir haben zu denken an die brutale Verfolgung von koptischen Christen in<br />

Ägypten. Aber auch an die von Neo-Nazis ermordeten Mitbürger türkischer Abstammung. An<br />

die Opfer brutaler Gewalt in unserer eigenen Gesellschaft. An die, die es aus der Bahn<br />

geworfen hat und die nun betteln gehen in unseren Fußgängerzonen. Nehmen wir sie<br />

überhaupt wahr? Und wenn, wie reden wir mit ihnen? Herablassend oder aufmunternd<br />

herzlich? Trübsal leiden sicher auch diejenigen, die gestorben sind, bevor sie die Ernte ihres<br />

Lebens einfahren konnten, junge Leute, Unfallopfer.<br />

Es geht hier also um alle, „die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden“. Weiße<br />

Gewänder und Palmzweige kennzeichnen sie als Sieger. Das ist wieder so ein wundersamer<br />

Kontrast: Die Sieger sind die, die auf Erden zu den Verlierern gehören, die Gescheiterten, die<br />

mit blutendem Herzen und blutenden Wunden, die Traumatisierten, die, deren Blut zum<br />

Himmel schreit. Sie dürfen kommen in den Thronsaal Gottes, „um zu Tische zu sitzen im<br />

Reiche des Herrn“.<br />

Was wird mit denen, die hier leiden und um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, fragten<br />

sich die Christen zur Zeit der Christenverfolgung durch Diokletian. Sie sahen hier nur Blut<br />

und Leid und Tod und Schmerzen und Tränen. Und die Frage, ob das Leiden einen Sinn hat,<br />

trieb sie um und stürzte sie auch in große Glaubenszweifel. Wo ist Gott in all diesem Elend<br />

und dieser Ungerechtigkeit, war ihre drängende Frage. Die Antwort des Johannes lautet: Noch<br />

nicht. Die Zeit eures Triumphes ist noch nicht da. Aber ihr werdet Sieger sein. Euch wird<br />

Gerechtigkeit gewährt werden. Allem Augenschein zum Trotz. Keiner ist vergessen. Niemand<br />

geht verloren. Dereinst, bei Gott, bekommt alles seinen Sinn, und Gott wird abwischen alle<br />

eure Tränen.<br />

Wie kann das sein?<br />

- Gott wird als Lamm bezeichnet. Damit ist nicht das Opferlamm gemeint, sondern es steht<br />

hier als Metapher für Ohnmacht. Der Allmächtige hat sich für Ohnmacht entschieden. Das ist<br />

seine Strategie. Gott, der allmächtige, wird Mensch. Er nimmt Knechtsgestalt an. Er erniedrigt<br />

sich selbst und geht die Wege der Menschen mit, und zwar nicht die Wege der vermeintlich<br />

Reichen, Schönen und Mächtigen, sondern eben genau die Wege der Armen und Elenden, der<br />

Unterdrückten und Geknechteten, der Kranken, der Trauernden und der unter Schmerzen<br />

Leidenden. Gott kommt herunter vom Thron und taucht ein in das traurige Leben vieler<br />

Menschen, die sich mutterseelenallein fühlen. Sie sollen nicht auch noch gottverlassen sein.<br />

Das ist das Wunder der Weihnacht: der heruntergekommene Gott!<br />

2


Die christliche Botschaft ist eine Anfrage an den Lebensstil der Reichen. In den Kreisen der<br />

Armen erklärt sie sich von selbst. Das birgt immer noch genügend sozialen Sprengstoff in<br />

sich.<br />

In der Weihnachtsausgabe der ZEIT findet sich das Dossier eines Journalisten und einer<br />

Schauspielerin, die als „Maria und Josef“, verkleidet als obdachloses Paar, in den beiden<br />

Taunusstädten unterwegs waren, wo die wohlhabendsten Deutschen wohnen. Sie haben<br />

gebettelt, um Obdach gebeten und Hilfe gesucht. Begegnet sind ihnen nur einige wenige, die<br />

verschämt etwas gegeben haben. Die meisten haben sie ihre Verachtung offen spüren lassen.<br />

Sie wurden als Störfall betrachtet. - Gottes Geburt ist ein Störfall. Sie ist so gemeint: Lasst<br />

euch aufstören, Ihr Reichen und Gesättigten, Ihr allzu Selbstzufriedenen. Die Trübsal leiden<br />

hier auf Erden erwartet die Erlösung, aber die hartherzig sind und selbstbezogen, erwartet<br />

etwas anderes. – Interessant an dieser Reportage fand ich vor allem die Bestätigung, dass<br />

Menschen mit geringem Einkommen viel eher bereit sind Mitleid zu zeigen und sich für<br />

andere einzusetzen als Menschen mit hohem Einkommen. Und erschreckend die Erkenntnis,<br />

dass inzwischen von einem „Klassenkampf von oben“ gesprochen wird. Reiche schotten sich<br />

ab und die Mehrheit der Bundesbürger will von Armen nichts wissen. Einzelschicksale<br />

interessieren nicht. Ganze Menschengruppen werden diffamiert als faul, selber schuld und<br />

„dem Staat auf der Tasche“ liegend.<br />

Gott als Lamm bedeutet, Gott ist auf der Seite der Ohnmächtigen. Der Sohn Gottes wird zu<br />

einem der ihren. Er wird zu einem leidenden Gerechten. Er ist mit denen solidarisch, die wie<br />

Lämmer abgeschlachtet werden. Seine Passionsgeschichte ist ein Glied in der Kette von<br />

Millionen Passionsgeschichten. Aber weil der Eine nicht im Tod geblieben, sondern zum<br />

Sieger über Hölle und Tod geworden ist, haben die Leidenden in ihm einen Hoffnungsträger.<br />

Das Paradoxon, dass die Verlierer von heute die Sieger von morgen sind, hat also in dem<br />

anderen Paradoxon seine Ursache: Blut wird durch Blut entfernt. Vergossenes Blut steht in<br />

der Bibel für erlittenes Unrecht. Es schreit gen Himmel. So bekommen diejenigen Stimme,<br />

denen in der Welt himmelschreiendes Unrecht geschieht. Gott verzichtet in Jesus Christus auf<br />

jegliche Macht und wird selbst zum Opfer. Mit seinem Blut wird das Blut aller Opfer aus<br />

ihren Kleidern gewaschen. Das ist Solidarisierung mit den Elenden, die bis zum äußersten<br />

geht, bis zum Tode, ja, bis zum Tode am Kreuz.<br />

Uns mag das unappetitlich erscheinen, aber wenn wir Abendmahl feiern und aus dem Kelch<br />

trinken, haben wir Anteil daran. „Christi Blut für dich vergossen“ bedeutet Lebenselixier:<br />

Kraft, auch Leid und schwere Zeit auszuhalten. Bei einer Geburt, wenn neues Leben zur Welt<br />

kommt, fließt Blut. Das ist ein Blutvergießen wie es Gott gefällt.<br />

Mit der Niederkunft Mariens wird ein neues Kapitel in der Geschichte Gottes mit uns<br />

Menschen aufgeschlagen. Gott bekommt einen Nabel! Der längst Augen und Ohren, Arm und<br />

Herz, Hand und Fuß hat, lässt sich gebären, gibt sich aus der Hand, macht sich verletzlich.<br />

Am Ende nimmt er diese Narbe, der er das menschliche Leben verdankt, zusammen mit den<br />

Narben, die ihm das Leben geschlagen hat, mit sich in den Himmel. So haben die Armen und<br />

Elenden nun ihren himmlischen Anwalt gefunden, der ihnen den rechten Platz im Himmel<br />

bereitet.<br />

Eine wundersame Geschichte – sie rüttelt auf und tröstet zugleich.<br />

Ich wünsche Ihnen noch gesegnete und getröstete Weihnachten und Frieden und<br />

Gerechtigkeit für Sie und die Welt. Amen.<br />

3

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