september – november 2006
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acteure<br />
Fotos: GP/Teresa Novotny<br />
„Entscheidend ist das Wachstum“<br />
INTERVIEW mit Alexander Egit,<br />
44, über Greenpeace in China.<br />
Der studierte Politikwissenschafter<br />
arbeitet seit über zwei Jahrzehnten<br />
in der Umweltszene.<br />
Seit 1996 ist er bei Greenpeace in<br />
Zentral- und Osteuropa angestellt,<br />
davon acht Jahre als Kampagnenleiter,<br />
und war maßgeblich am Aufbau<br />
der osteuropäischen Büros beteiligt.<br />
Die vergangenen beiden Jahre<br />
pendelt er als strategischer Berater für<br />
die chinesischen Büros zwischen<br />
Peking, Hongkong und Wien.<br />
Was hat dich nach China gebracht?<br />
Greenpeace International hat China zur<br />
Priorität erklärt und Büros in Hongkong,<br />
Peking und Guangzhou eingerichtet. Ich<br />
bin dort, um strategisch zu beraten und mit<br />
einem Team einen Mehrjahresplan zu erarbeiten,<br />
aber auch um die Mitarbeiter vor<br />
Ort zu trainieren.<br />
Warum China und nicht Indien oder Afrika?<br />
China hat die höchste Wachstumsdynamik;<br />
was in China passiert, hat die größte globale<br />
Auswirkung. Man denke nur an den<br />
Klimawandel. Auch die kaufkräftige KonsumentInnenenschicht<br />
wächst in China rasant,<br />
sodass sie im überregionalen Maßstab<br />
zur Umweltzerstörung beiträgt.<br />
Man kann wohl nicht einfach als westliche<br />
Organisation in China aufkreuzen und<br />
seine Arbeit verrichten. Wo liegen die<br />
Unterschiede?<br />
Natürlich ist das Regime in China nicht zu<br />
vergleichen mit einer europäischen Demokratie.<br />
Es ist ein Einparteien-System, es<br />
gibt Medienzensur. Andererseits besteht<br />
für Umweltthemen insgesamt ein offenes<br />
Ohr. Die Chinesen sehen, dass ihr Wirtschaftswachstum<br />
von den Umweltfolgekosten<br />
aufgefressen wird. Die Gesundheitskosten<br />
durch die Luftverschmutzung<br />
und den Pestizideinsatz oder der Verlust<br />
fruchtbarer Flächen oder Trinkwasserressourcen<br />
sind gewaltige Probleme. Die sind<br />
der chinesischen Regierung bewusst. Außerdem<br />
verursachen Umweltprobleme oft<br />
soziale Unruhen. Wenn es kein Trinkwasser<br />
mehr gibt oder Felder nicht mehr bewässert<br />
werden können, weil ein Fluss verseucht<br />
wurde, wehren sich die Menschen.<br />
Also duldet die Regierung NGOs?<br />
Sie unterstützt sie sogar, solange man von<br />
bestimmten Themen die Finger lässt, etwa<br />
dem Drei-Schluchten-Staudamm oder<br />
Atomkraft. Es ist übrigens nicht so, dass die<br />
JournalistInnen in China, die über Umweltthemen<br />
schreiben, zensuriert werden,<br />
sondern sie wissen selbst, was sie schreiben<br />
können und was nicht. Aber der Hunger<br />
nach Umweltinformationen ist in China<br />
enorm hoch.<br />
Welche Themen werden am ehesten aufgegriffen?<br />
Themen rund um Gentechnik und Ernährung<br />
zum Beispiel. Wir haben gerade sehr<br />
erfolgreich auf Pestizide in Lebensmitteln<br />
hingewiesen. Bei der Gentechnikkampagne<br />
geht es uns um Produkte, die gentechnisch<br />
veränderte Organismen enthalten,<br />
aber auch um Freisetzungen. Seit zwei<br />
Jahren ist die Aussaat von gentechnisch<br />
verändertem Reis gestoppt.<br />
Die chinesische Regierung fürchtet sich davor,<br />
Exportmärkte für ihre Reisprodukte zu<br />
verlieren, aber auch vor der Abhängigkeit<br />
von multinationalen Konzernen. Sie wollen<br />
zwar Multis reinholen, ihnen auf der anderen<br />
Seite aber nicht zu viel Macht geben.<br />
Was sie vor allem ablehnen, ist, dass<br />
Chinesen schlechter behandelt werden<br />
oder eine problematischere Nahrung zu<br />
sich nehmen als z. B. Europäer.<br />
Das klingt, als wäre die chinesische Regierung<br />
in einigen Dingen sehr weitsichtig?<br />
Die wirklich machtvollen PolitikerInnen<br />
sind noch sehr stark auf dieser Wachstumsschiene.<br />
Darunter gibt es schon PolitikerInnen,<br />
die verstehen, dass es so nicht weitergehen<br />
kann. Man versucht in China mit<br />
diversen Maßnahmen, ein bisschen zu ökologisieren,<br />
aber entscheidend ist das<br />
Wachstum. Es geht einfach zu schnell. Und<br />
weil China so ein riesengroßes Land ist,<br />
geht es hier auch um die globale Zukunft.<br />
Wie effizient auch immer die Autos oder<br />
die elektrischen Geräte in China sind, bei<br />
der momentanen Zunahme reicht das<br />
einfach nicht.<br />
Zu welchen Themen arbeitet Greenpeace<br />
noch in China?<br />
Energie ist ein wichtiges Thema, das massive<br />
Wachstum im Verkehrs- und im Kraftwerksbereich.<br />
Greenpeace fokussiert sich<br />
auf die Energieproduktion, vor allem auf<br />
kalorische Kraftwerke. Wir versuchen<br />
„China Light and Power“ (CLP), einen der<br />
weltgrößten Energiekonzerne, dazu zu<br />
bewegen, auf erneuerbare Energien umzustellen.<br />
Man darf China nicht unterschätzen, es<br />
passiert viel. China hat die weltweit größte<br />
Fläche an thermischen Solaranlagen installiert<br />
und ist in absehbarer Zeit wohl<br />
auch einer der größten Windenergieproduzenten.<br />
Aber auch hier: Das Wachstum<br />
saugt alles auf.<br />
Weitere Themen?<br />
China importiert Holz oft aus illegalen<br />
Quellen, z. B. aus Papua-Neuguinea, exportiert<br />
es dann in verarbeiteter Form nach<br />
Europa und profitiert von der Wertschöpfung.<br />
Wir arbeiten daran, dass China nicht<br />
länger auf diese Art die illegale Abholzung<br />
tropischer Regenwälder unterstützt.<br />
Ein anderes Thema: elektronischer Müll,<br />
der nach China gebracht und von den<br />
Menschen unter fürchterlichen Bedingungen<br />
zerlegt wird. Wir versuchen, das Thema<br />
bei der Wurzel zu packen und Computerkonzerne<br />
oder Mobiltelefonhersteller<br />
dazu zu bringen, von vornherein auf<br />
giftige Substanzen in den Produkten zu<br />
verzichten.<br />
Waren deine in Europa gesammelten<br />
Erfahrungen mit Kampagnen auf China<br />
übertragbar?<br />
Nein, aber ich habe viel mit Osteuropa gearbeitet,<br />
jetzt bei Greenpeace und vorher<br />
bei Global 2000, auch schon zu kommunistischen<br />
Zeiten. Die Bedingungen waren<br />
in vielerlei Hinsicht vergleichbar. Natürlich<br />
ist es anders, zum Beispiel weil es in<br />
China keine Oppositionsparteien gibt. Es<br />
geht einem Politiker in China nicht darum,<br />
bei den nächsten Wahlen zu gewinnen, es<br />
geht ihm nicht einmal besonders um sein<br />
Image. Das hat Vor- und Nachteile. Er hat<br />
nicht viel zu verlieren, aber dafür kann er<br />
von einer höheren Warte aus agieren.<br />
Die Umsetzungschancen sind in China<br />
höher, weil Dinge zum Teil ohne Rücksicht<br />
auf Verluste passieren. Im negativen Sinn<br />
etwa beim Drei-Schluchten-Staudamm:<br />
Der Energiehunger ist groß, also werden<br />
eine Million Menschen, auch gegen<br />
ihren Willen, abgesiedelt. Umgekehrt<br />
können sie ein notwendiges Umweltprogramm<br />
in einem unglaublichen Tempo<br />
durchziehen.<br />
Und auf Unternehmensseite?<br />
Da sind die Unterschiede nicht so groß.<br />
Für Greenpeace macht es natürlich einen<br />
Unterschied, dass wir keine direkten Aktionen<br />
machen können, außer in Hongkong.<br />
Wir können uns im Grunde nicht<br />
einmal mit einem Transparent auf einen<br />
Platz stellen. Ein sich spontan formierender<br />
Protest ist für die Regierung in China<br />
schwer handhabbar. Sie wollen die<br />
Kontrolle behalten.<br />
Wie arbeitet Greenpeace, wenn nicht mit<br />
Aktionen?<br />
Es gibt zum Beispiel Mitarbeiter, die als<br />
Bauern verkleidet gentechnisch veränderten<br />
Reis einkaufen gehen. Wenn die zuständigen<br />
Behörden oder die Wissenschaftler<br />
behaupten, den gibt’s nicht,<br />
legen wir den Sack Reis bei einer Pressekonferenz<br />
gemeinsam mit Labor-Gutachten<br />
auf den Tisch.<br />
Ähnlich arbeiten wir bei Pestiziden: Wir<br />
testen Gemüse und präsentieren die Resultate.<br />
Wir versuchen auch, die Einhaltung<br />
bestehender Umweltgesetze einzufordern.<br />
Es gibt viele Provinzen, wo<br />
Umweltgesetzte verletzt werden. Dort informieren<br />
wir die Medien und rütteln damit<br />
die Verantwortlichen auf. Aber eben<br />
nicht durch Bilder, sondern eher durch<br />
den Inhalt.<br />
Wie beurteilst du China als Militärmacht?<br />
Das Verhältnis zu Taiwan oder zu Japan<br />
ist nicht so schlecht, wie es immer dargestellt<br />
wird. Viel bedrohlicher sind die bevorstehenden<br />
Ressourcenkämpfe. Wenn<br />
es China nicht schafft, seine Ressourcenprobleme<br />
zu lösen, der innenpolitische<br />
Druck aber steigt, weil die Menschen in<br />
Richtung Wohlstand unterwegs sind, dann<br />
steigt der Druck zur Ressourcenkolonialisierung,<br />
ähnlich wie bei den USA. Dann<br />
wird die Welt den Preis dafür bezahlen.<br />
Sowohl was das globale Klima als auch<br />
was den Frieden betrifft.<br />
Hast du die Umweltverschmutzung auch<br />
selbst erfahren?<br />
Es gibt Tage, an denen ich die 20 Minuten<br />
Fußmarsch von meiner Unterkunft zum<br />
Büro in Peking mit einer Maske zurücklege,<br />
weil die Staubbelastung so hoch ist.<br />
Man merkt auch, dass die Wüste an Peking<br />
heranrückt, eine Folge des Klimawandels.<br />
Statt, wie bei uns, Schnee und<br />
Hagel liegt manchmal Sand in der Stadt.<br />
Das hat etwas sehr Apokalyptisches. Vielleicht<br />
ist auch deshalb Umwelt ein so großes<br />
Thema: Du spürst die negativen Auswirkungen<br />
jeden Tag in der Hauptstadt.<br />
Kann man da optimistisch bleiben?<br />
Die Frage ist: Wo geht die Reise hin? Der<br />
höhere Wohlstand führt zu mehr Verbrauch,<br />
aber auch zu mehr Bewusstsein.<br />
Dieses höhere Bewusstsein einer Zivilgesellschaft<br />
ist immer ein ganz wichtiger<br />
Motor, nicht nur für ökologische, sondern<br />
auch für politische Veränderungsprozesse.<br />
Es geht in vielerlei Hinsicht in die richtige<br />
Richtung. Aber geht es schnell genug?<br />
Hier sehe ich auch ein bisschen die Rolle<br />
von Greenpeace: Wir müssen Prozesse,<br />
die in die richtige Richtung gehen, beschleunigen.<br />
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Interview: Roman Kellner<br />
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