Vom Barock zur Aufklärung XII - Heinrich Detering
Vom Barock zur Aufklärung XII - Heinrich Detering
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Vorlesung Wintersemester 2012/13:<br />
Geschichte der deutschen Literatur I:<br />
<strong>Vom</strong> <strong>Barock</strong> <strong>zur</strong> <strong>Aufklärung</strong>.<br />
Lessings Dramen
Der Anti-Klopstock: Matthias Claudius (1740–1815),<br />
der „Wandsbecker Bote“<br />
Klopstock:<br />
Willkommen, o silberner Mond,<br />
schöner, stiller Gefährt der Nacht!<br />
Du entfliehst? Eile nicht, bleib, Gedankenfreund!<br />
Sehet, er bleibt, das Gewölk wallte nur hin.<br />
Claudius:<br />
Der Mond ist aufgegangen<br />
Die goldnen Sternlein prangen<br />
Am Himmel hell und klar;<br />
Der Wald steht schwarz und schweiget,<br />
Und aus den Wiesen steiget<br />
Der weiße Nebel wunderbar.
Als der Hund tot war<br />
Alard ist hin, und meine Augen fließen<br />
Mit Tränen der Melancholie!<br />
Da liegt er tot zu meinen Füßen!<br />
Das gute Vieh!<br />
Er tat so freundlich, klebt’ an mich wie Kletten,<br />
Noch als er starb an seiner Gicht.<br />
Ich wollt ihn gern vom Tode retten,<br />
Ich konnte nicht.<br />
Am Eichbaum ist er oft mit mir gesessen,<br />
In stiller Nacht mit mir allein;<br />
Alard, ich will dich nicht vergessen,<br />
Und scharr dich ein,<br />
Wo du mit mir oft saß’st, bei unsrer Eiche,<br />
Der Freundin meiner Schwärmerei. –<br />
Mond, scheine sanft auf seine Leiche!<br />
Er war mir treu.
1747 Der junge Gelehrte, 1749 Die Juden<br />
u. a. Typenkomödien<br />
1751 Kleinigkeiten, Rokoko-Gedichte<br />
1756/57 Briefwechsel über das Trauerspiel<br />
(mit Fr.Nicolai und Moses Mendelssohn),<br />
Beschäftigung mit dem Faust-Stoff<br />
1766 Laokoon oder Über die Grenzen der<br />
Malerei und Poesie<br />
1767-69 Hamburgische Dramaturgie<br />
Gotthold Ephraim<br />
Lessing, Wolfenbüttel<br />
(Kamenz, Sachsen 1729-<br />
Braunschweig 1781)<br />
1755 Miss Sara Sampson<br />
1764 (1767 gedruckt) Minna v. Barnhelm<br />
1772 Emilia Galotti<br />
1777-78 im Streit mit Hauptpastor Johann<br />
Melchior Goeze, Hamburg: 1779 Nathan<br />
der Weise; 1780 Die Erziehung des<br />
Menschengeschlechts
Lessings Dramentheorie als Anti-<br />
Gottsched<br />
• Aristoteles‘ éleos und phóbos als<br />
„Mitleid“ und „Furcht“ übersetzt,<br />
kátharsis nicht als Reinigung von den<br />
Leidenschaften, sondern als Reinigung<br />
der Leidenschaften, die ‚sozial<br />
kompatibel‘ werden sollen.<br />
• „Der mitleidigste Mensch ist der beste<br />
Mensch.“<br />
• Theater als Schule der Empathie: „Das<br />
Trauerspiel soll unsere Fähigkeit,<br />
Mitleid zu fühlen, erweitern.“<br />
• Bedingung: „gemischte Charaktere“.<br />
• Literatur für „Bürger“ im Sinne von<br />
citoyen, nicht bourgeois.<br />
• „Vor Lessing gab es kein deutsches<br />
Theater.“ (Madame de Staël)
1755 Miss Sara Sampson<br />
erstes bedeutendes Bürgerliches Trauerspiel<br />
in Deutschland (nach Richard Steele,<br />
George Lillo, den empfindsamen<br />
englischen Romanen): ein Märtyrerdrama<br />
des bürgerlichen Empfindungskults<br />
1772 Emilia Galotti<br />
statt „zu vieler Thränen nur Keime von<br />
Thränen“: scharf kritische Selbstreflexion<br />
des sich autonom setzenden Gefühls<br />
1764 (1767) Minna von Barnhelm oder<br />
Das Soldatenglück<br />
weder Tragödie noch Typenkomödie:<br />
Charakterkomödie als selbstreflexive<br />
Verbindung beider; Problematisierung<br />
von Kriegsethos und Nationen, von Geld<br />
vs. Ehre, von Geschlechterdiskursen)
1779 Nathan der Weise<br />
• aus der Beschäftigung mit christlicher<br />
und islamischer Theologie und mit<br />
Moses Mendelssohns Haskala als einer<br />
jüdischen (Selbst-) <strong>Aufklärung</strong> (dazu lies<br />
Gerhard Lauer),<br />
• Mendelssohn als Vorbild:<br />
• Kreuzzugs-Ideologie(n) und Bild der<br />
Menschheitsfamilie (wie in Wolframs<br />
von Eschenbach Willehalm),<br />
• die Ringparabel (nach Boccaccio) als<br />
Erläuterung und selbstreflexive<br />
Exemplifizierung einer aufgeklärten<br />
Diskursethik (Habermas) –<br />
• optimistische Vision und pessimistische<br />
Analyse: „eine Atempause auf einem<br />
Schlachtfeld“ (Ruth Klüger)
Nathan: … Nicht die Kinder bloß, speist man<br />
Mit Märchen ab. – … Vor grauen Jahren lebt' ein Mann in Osten,<br />
Der einen Ring von unschätzbarem Wert<br />
Aus lieber Hand besaß. Der Stein …<br />
hatte die geheime Kraft, vor Gott<br />
Und Menschen angenehm zu machen, wer<br />
In dieser Zuversicht ihn trug. Was Wunder,<br />
Daß ihn der Mann in Osten darum nie<br />
<strong>Vom</strong> Finger ließ; und die Verfügung traf,<br />
Auf ewig ihn bei seinem Hause zu<br />
Erhalten? Nämlich so. Er ließ den Ring<br />
Von seinen Söhnen dem geliebtesten;<br />
Und setzte fest, daß dieser wiederum<br />
Den Ring von seinen Söhnen dem vermache,<br />
Der ihm der liebste sei ... –<br />
Versteh mich, Sultan.<br />
Saladin: Ich versteh dich. Weiter!
Nathan: So kam nun dieser Ring, von Sohn zu Sohn,<br />
Auf einen Vater endlich von drei Söhnen;<br />
Die alle drei ihm gleich gehorsam waren,<br />
Die alle drei er folglich gleich zu lieben<br />
Sich nicht entbrechen konnte. …<br />
Das ging nun so, solang es ging. – Allein<br />
Es kam zum Sterben, und der gute Vater<br />
Kömmt in Verlegenheit. Es schmerzt ihn, zwei<br />
Von seinen Söhnen, die sich auf sein Wort<br />
Verlassen, so zu kränken. – Was zu tun? –<br />
Er sendet in geheim zu einem Künstler,<br />
Bei dem er, nach dem Muster seines Ringes,<br />
Zwei andere bestellt, und weder Kosten<br />
Noch Mühe sparen heißt, sie jenem gleich,<br />
Vollkommen gleich zu machen. … Froh und freudig ruft<br />
Er seine Söhne, jeden insbesondre;<br />
Gibt jedem insbesondre seinen Segen, –<br />
Und seinen Ring, – und stirbt. – Du hörst doch, Sultan?
Saladin (der sich betroffen von ihm gewandt):<br />
Ich hör, ich höre! – Komm mit deinem Märchen<br />
Nur bald zu Ende. – Wird's?<br />
Nathan: Ich bin zu Ende.<br />
Denn was noch folgt, versteht sich ja von selbst. –<br />
Kaum war der Vater tot, so kömmt ein jeder<br />
Mit seinem Ring, und jeder will der Fürst<br />
Des Hauses sein. Man untersucht, man zankt,<br />
Man klagt. Umsonst; der rechte Ring war nicht<br />
Erweislich; – (nach einer Pause, in welcher er des Sultans Antwort<br />
erwartet) Fast so unerweislich, als<br />
Uns itzt – der rechte Glaube.<br />
Saladin: Wie? das soll<br />
Die Antwort sein auf meine Frage? ...<br />
Nathan: Soll<br />
Mich bloß entschuldigen, wenn ich die Ringe<br />
Mir nicht getrau zu unterscheiden, die<br />
Der Vater in der Absicht machen ließ,<br />
Damit sie nicht zu unterscheiden wären.
Nathan: Der Richter sprach: … Ich höre ja, der rechte Ring<br />
Besitzt die Wunderkraft beliebt zu machen;<br />
Vor Gott und Menschen angenehm. Das muß<br />
Entscheiden! Denn die falschen Ringe werden<br />
Doch das nicht können! – Nun; wen lieben zwei<br />
Von Euch am meisten? – Macht, sagt an! Ihr schweigt?<br />
Die Ringe wirken nur <strong>zur</strong>ück? und nicht<br />
Nach außen? Jeder liebt sich selber nur<br />
Am meisten? – Oh, so seid ihr alle drei<br />
Betrogene Betrüger! … – Mein Rat ist aber der: … Hat von<br />
Euch jeder seinen Ring von seinem Vater:<br />
So glaube jeder sicher seinen Ring<br />
Den echten. – Möglich; daß der Vater nun<br />
Die Tyrannei des einen Rings nicht länger<br />
In seinem Hause dulden willen! – … Wohlan!<br />
Es eifre jeder seiner unbestochnen<br />
Von Vorurteilen freien Liebe nach!<br />
Es strebe von euch jeder um die Wette,<br />
Die Kraft des Steins in seinem Ring' an Tag / Zu legen!
Christian Wilhelm (von) Dohm<br />
(1751-1820)<br />
Mendelssohn: „der philosophische<br />
Staatskundige“ neben Lessing als<br />
„dem philosophischen Dichter“<br />
Über die bürgerliche<br />
Verbesserung der Juden (1781/83)<br />
u. a. Schriften zu Theorie und<br />
Praxis aufgeklärter Toleranz
…gerade dieses ist der Fehler der Regierungen, welche die trennenden<br />
Grundsätze der Religion nicht weiser zu mildern gewußt, und nicht vermocht<br />
haben, in der Brust des Juden und des Christen ein Gefühl des<br />
Bürgers anzufachen, das die Vorurtheile beyder längst verzehren müssen.<br />
Diese Regierungen waren christliche, und wir können also, wenn wir unpartheyisch<br />
seyn wollen, den Vorwurf nicht von uns ablehnen, daß wir zu<br />
den ungeselligen Gesinnungen beyder Partheyen das Meiste beygetragen<br />
haben. Wir waren immer die herrschenden, uns lag es daher ob, dem Juden<br />
menschliche Gefühle dadurch einzuflössen, daß wir ihm Beweise der unsrigen<br />
gäben; wir mußten, um ihn von seinen Vorurtheilen gegen uns zu<br />
heilen, die eignen zuerst ablegen. Wenn diese also noch itzt den Juden<br />
abhalten, ein guter Bürger, ein geselliger Mensch zu seyn, wenn er Abneigung<br />
und Haß gegen den Christen fühlt, wenn er sich durch die Gesetze<br />
der Redlichkeit gegen ihn nicht so gebunden glaubt; so ist dieß Alles unser<br />
Werk. ... Wir sind der Vergehungen schuldig, deren wir ihn anklagen ...<br />
Diese Politick ist ein Ueberbleibsel der Barbarey der verflossnen Jahrhunderte,<br />
eine Wirkung des fanatischen Religionshasses, die der <strong>Aufklärung</strong><br />
unsrer Zeiten unwürdig, durch dieselbe längst hätte getilgt werden sollen.
Ich wage es, selbst die standhafte Anhänglichkeit an<br />
die ihren Vätern, von der Gottheit selbst verlie-hene<br />
Lehre, dem jüdischen Charakter als einen guten<br />
Zug an<strong>zur</strong>echnen, und ich hoffe hierin die<br />
Beystimmung eines jeden zu erhalten, der nicht von<br />
allen andern Menschen verlangt, daß sie mit ihm in<br />
den Gesichtspunkt seiner Kindheit eintreten sollen<br />
… Treue Befolgung der Grundsätze, die man für<br />
wahr hält, bestimmt den moralischen Werth eines<br />
Menschen, und wer kann es sich versagen, den<br />
Juden hochzuachten, den keine Martern bewegen<br />
können, zu essen, was er von Gott selbst sich verboten<br />
glaubt, und den Nichtswürdigen zu verachten,<br />
der nur um niedrigen Vortheils willen von dem<br />
ehrwürdigen Glauben seiner Jugend, seinen Verwandten<br />
und seinem Volk sich losreißt, und den<br />
heiligen Glauben der Christen dadurch entweiht,<br />
daß er sich zu ihm bekennt, ohne innere Ueberzeugung<br />
seiner göttlichen Wahrheit zu fühlen.
Karsch:<br />
Ein Gebet an den Mars<br />
Du Gott des Krieges, lass die Erde!<br />
[…]<br />
Begib vom Kampfplatz dich <strong>zur</strong>ück,<br />
Geharnischt wie du bist, an Haupt, an Arm und Fuße.<br />
Cupido zieht dich aus, und deinem ersten Kusse<br />
Dankt unsre ganze Welt ihr Glück.<br />
Der Zorn in einer Frau rief, Mavors, dich hernieder,<br />
Die Sehnsucht einer Frau hol dich den Göttern wieder,<br />
Und ewig komm uns nicht <strong>zur</strong>ück.
Gleim: An das achtzehnte Jahrhundert<br />
Mit Kriegen fingst du an, mit Kriegen endest du,<br />
Mit Säbel- und mit Federkriegen,<br />
Jahrhundert! Allen Kriegeszügen<br />
Sah Gott vom höchsten Himmel zu!<br />
War, Kriege sehen, sein Vergnügen?<br />
Nein! rief’s vom Himmel, Menschenkind!<br />
Nein! aber eure Seelen sind<br />
Von Gott dem Schöpfer frei erschaffen,<br />
Das Reich der Tugenden, das Reich<br />
Der Wissenschaften lag vor euch,<br />
Und ihr erwähltet Waffen!
Claudius: Kriegslied *<br />
’s ist Krieg! s’ ist Krieg! O Gottes Engel wehre,<br />
Und rede du darein!<br />
’s ist leider Krieg – und ich begehre<br />
Nicht schuld daran zu sein!<br />
Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen<br />
Und blutig, bleich und blass,<br />
Die Geister der Erschlagnen zu mir kämen,<br />
Und vor mir weinten, was?<br />
Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,<br />
Verstümmelt und halb tot<br />
Im Staub sich vor mir wälzten, und mir fluchten<br />
In ihrer Todesnot?<br />
* hier: der Bayerische Erbfolgekrieg 1778/79
Wenn tausend tausend Väter, Mütter, Bräute,<br />
So glücklich vor dem Krieg,<br />
Nun alle elend, alle arme Leute,<br />
Wehklagten über mich?<br />
Wenn Hunger, böse Seuch’ und ihre Nöten<br />
Freund, Freund und Feind ins Grab<br />
Versammleten, und mir zu Ehren krähten<br />
Von einer Leich herab?<br />
Was hülf mir Kron und Land und Gold und Ehre?<br />
Die könnten mich nicht freun!<br />
’s ist leider Krieg – und ich begehre<br />
Nicht schuld daran zu sein!