Quecksilberwand
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Queck<br />
silber<br />
wand<br />
<strong>Quecksilberwand</strong> – Koketterie,<br />
Eitelkeit und andere Attitüden<br />
Philipp Gufler im Projektraum des Wolff Verlags<br />
Unter den Linden 40, 10117 Berlin<br />
Koketterie,<br />
Eitelkeit und<br />
andere Attitüden<br />
Ausstellung: 30.11.2012 - 31.1.2013<br />
Eröffnung: 29.11.2012, 20 Uhr
Was ich denke<br />
(was du denkst)<br />
„Ich, sage ich würde nie einen Roman in erster Person<br />
Singular schreiben.<br />
Der Spiegel liegt da. Hunger, Durst oder allein die Lust etwas<br />
Verbindliches zu finden, hervorzubringen, bedingen meine<br />
Nervosität. Doch die Vorstellung des Geschmacks – des<br />
Gefühls auf meiner Zunge – stößt mich in dem Moment wieder<br />
ab wo es mich gerade anzog – ich mich anzog. Absorption<br />
und Reflexion. Die Brechung aller Farben durch beinah<br />
alle Farben und nochmals umgekehrt. So sehe ich dich<br />
im Spiegel im rechten Winkel auch nochmals seitenverkehrt<br />
und im Unrechten – nochmals es wird immer nur ein<br />
Dazwischen geben! Die unebenen Farben, voll Schlieren<br />
und Fehlern, hüllen uns ein. Sie geben wider und wieder.“<br />
– Ich finde es gut, das dieser Text nicht linear ist wie ein Chat!<br />
– Voll.<br />
– Wollte eine dritte Farbe – geht aber nicht.<br />
– Warum eigentlich das Zitat in Anführungszeichen?<br />
Since queer theory originated in the early 1990s, its insights<br />
and modes of analysis have been taken up by scholars<br />
across the humanities and social sciences.<br />
– Ich denk mir halt nun schon die ganze Zeit, dass es dieses<br />
Schreiben ist, das Hin und Her, was deiner Arbeit am<br />
nächsten kommt – viel näher als das oben. Und was machen<br />
wir jetzt?<br />
– Ich glaub wir sind fertig – mach mal kurz nichts.<br />
– Dann geh ich schnell duschen.<br />
– Das mit den Farben macht den Text sehr schön. Schreiben<br />
als Handlung mit Zeitstruktur und Allem!<br />
– Herr Schmidtlein, Sie haben so schöne Augen. Gestern<br />
war‘s sehr lustig. Ich muss heute noch lachen.<br />
– Ich wechsle mal die Farbe. Ich wäre gestern so gerne mit<br />
dir nach Hause gegangen und hätte bei dir geschlafen.<br />
– Hab seit gestern die ganze Zeit Angst umzufallen, gar<br />
nicht mehr zu funktionieren.<br />
– Magst du vielleicht etwas weiter oder umschreiben?<br />
...und eröffnen einen neuen Raum in den Regenbogenfarben.<br />
Du und deine Umgebung werden homoerotisch<br />
Inszeniert. Genießt du es dich so zu sehen?<br />
<strong>Quecksilberwand</strong> – Koketterie,<br />
Eitelkeit und andere Attitüden<br />
– Philipp Gufler & Max Schmidtlein<br />
Es ist allgemein beliebt, mit Symbolen die eigene soziale<br />
oder ökonomische Positionierung zu inszenieren, ebenso,<br />
wie sie zu verschleiern. Das Changieren zwischen Haben und<br />
Nichthaben, zwischen Sein und Nichtsein ist in Mode.<br />
Die zerschlissenen Jeans täuschen das Prekariat vor, die<br />
Hornbrille suggeriert intellektuelle Intelligenz.<br />
Während Koketterien ursprünglich als eine rein weibliche<br />
Verhaltensweise beschrieben wurde, ist sie heute bei beiden<br />
Geschlechtern sehr beliebt. Das Damen Conversations<br />
Lexikon von 1834 schmäht die Koketterie als falsche Grazie.<br />
Seit Wikipedia – mit zum Teil fragwürdigen Weisheiten –<br />
zu einem ubiqitär zugänglichen, ausgelagerten Gedächtnis<br />
geworden ist, weiß man, dass die Koketterie als Vortäuschung<br />
von Bildung allseits anerkannte Methode ist, um ein<br />
Bild des eigenen Seins zu konstruieren. Koketterie ist zwar<br />
eine Erscheinung der Klassengesellschaft und dem Sehnen<br />
nach Aufstieg, Reichtum und Glück, aber scheint unter<br />
anderen Vorzeichen in unserer Gesellschaft tief verankert<br />
und ist heute für beide Geschlechter zum Ausdruck der<br />
persönlichen und ideellen Befindlichkeit geworden.<br />
Philipp Gufler zeichnet in seiner Auseinandersetzung mit<br />
Selbstdarstellungen ein Bild unserer Identitäten. Diese<br />
sind, das kann jeder von uns am eigenen Beispiel bestätigen,<br />
vielfältig und schwer zu fassen. Der regenbogenfarbige<br />
Spiegelsockel ist ein Gegenüber auf Augenhöhe, lebensgroß,<br />
schulterbreit, in dem der Betrachter sich und die ihn<br />
umgebende Welt wieder findet. Die Welt scheint erweitert,<br />
etwas verkehrt und verzerrt und wesentlich bunter. Dank<br />
dem reflektierenden Glasgegenüber wird die eigene Wahrnehmung<br />
erweitert. Man erhascht einen Blick in etwas<br />
vertraut Unbekanntes.<br />
„Ich ist ein anderer!“ exklamierte Rimbaud im 19. Jahrhundert<br />
– aber bin ich vielleicht doch dieser? Fragen nach<br />
Identität, nach Authentizität treiben nicht nur die Kunst seit<br />
Jahrhunderten an. Wo stehen wir, sind wir wirklich<br />
Individuum oder haben unsere Gene und neuronalen Verbindungen<br />
uns fest im Griff? Im Bemühen um ein bisschen<br />
Autonomie inmitten eines Systems, das Höchstleistungen<br />
von jedem Einzelnen erwartet, wird das „Ich“ fragmentarisch,<br />
fragil, flüchtig wie Quecksilber. Sehen wir es im rosa<br />
getönten Spiegel aufblitzen – das „Ich“ oder das „Andere“,<br />
folgt dem klassischen Moment des Überprüfens der Frisur<br />
ein Moment der Unsicherheit. Trotz aller Begeisterung über<br />
das eigene Spiegelbild wendet mancher sich betroffen ab.<br />
Sei es ob des offensichtlichen Narzissmus oder des Bewusstwerdens<br />
der Fragilität der Persönlichkeit.<br />
Wie schöne Schatten ihrer Selbst blicken die weiß auf Glas<br />
gedruckten Vögel von den Wänden auf den „bunten Vogel“<br />
aus Spiegelglas in der Mitte des Raumes. Gleich einem Zitat<br />
barocker Schönheit ist die Schmähung der Vögel im Raum<br />
versammelt und zeigt, wie mächtig die Auseinandersetzung<br />
mit der Welt, mit den „Anderen“ unsere eigene Wahrnehmung<br />
beeinflusst. Wir sind nicht allein mit dem Abbild<br />
unseres Selbst in diesem Raum, wir werden genau beobachtet<br />
von den Schatten an den Wänden, deren Gedanken uns<br />
verborgen bleiben, aber in uns gespiegelt und erdacht die<br />
eigene Selbstdarstellung formen.<br />
Darstellungen des Selbst und des eigenen Reichtums waren<br />
auch im 17. Jahrhundert hoch im Kurs. Room for art lovers<br />
schematisiert das Gebaren der adeligen Mäzenen, die sich in<br />
ihren Kunstsammlungen repräsentierten. Die überbordende<br />
Pracht der ursprünglichen Gemäldegalerien wird in der<br />
Unschärfe der Umrisslinien zu minimalistischen, ironischen<br />
Kartografien, die das Gedankenspiel einer Übertragung<br />
ins Zeitgenössische zulassen.<br />
Der Autor Hubert Fichte, als Halbjude, Halbweiser und<br />
Homosexueller mit den Grenzbereichen des „Normalen“<br />
vertraut, setzte sich mit dem Fremden und Andersartigen<br />
in Politik, Religion, Moral, Lebenswelt, Sozial- und<br />
Sexualverhalten auseinander. In seiner Geschichte der<br />
Empfindlichkeit suchte er als eine Art früher 68er eine Welt,<br />
in der nicht gequält und zerstört wird. Seine Anliegen sind<br />
dem Jetzt nicht fremd.<br />
Man kann empfindlich werden beim Lesen der Textcollagen,<br />
die Philipp Gufler in Auseinandersetzung mit dem<br />
Schriftsteller entwickelte. Immer wieder wird der Betrachter<br />
auf sich selbst zurückgeworfen wenn er in den Spurensuchen<br />
Philip Guflers auf die Ich-Suche Fichtes stößt und<br />
im Blick über die Schulter sich selbst im Spiegel findet.<br />
Mit Titeln wie Ihr seid ja alle Buchfiguren, eure Liebe ist<br />
unvergänglich wird deutlich, wie fließend die Übergänge<br />
zwischen Betrachter, Künstler, Kunstfiguren sind. Man kann<br />
alles erzählen, man kann alles sein. Heute, jetzt, immer.<br />
Doch möchte man alles sein? Wo ist das Authentische? Was<br />
ist das authentische eigentlich? Die Entfremdung wird<br />
trotz oder gerade wegen unserer Liebe zur Selbstgestaltung<br />
zur ewigen Begleitung des Authentischen.<br />
Als Buchfiguren könnten wir uns spielend im bunten<br />
Spiegel verlieren, das Ich als relativ begreifen.<br />
– Seraphine Meya<br />
Pride III, Siebdruck auf Spiegelglas,<br />
45 x 45 x 185 cm, 2011<br />
Die Schmähung der Vögel, Siebdrucke auf Glas,<br />
je 34 x 40 cm, 2012<br />
Die regenbogenfarbige Spiegelsäule Pride III bildet den<br />
Gelenkpunkt der Ausstellung. In den opake Färbungen<br />
der “<strong>Quecksilberwand</strong>” spiegelt sich die eigene Gestalt und<br />
ihre Umgebung: wie durch ein Prisma, in sämtliche Farbspektren<br />
getaucht. In diesem optischen Spiel bleibt Pride III<br />
kaum autonome Skulptur, sondern bezieht das eigene<br />
Spiegelbild in die Szenografie der Ausstellung mit ein. Denn<br />
nicht nur die eigenen Blicke sind auf dieses bunte Monument<br />
der Selbstwahrnehmung und -inszenierung gerichtet.<br />
Eine anthropromorphe Versammlung aus „exotischen“ und<br />
„heimischen“ Singvögeln, die in affektierter Körperhaltung<br />
ihr Gefieder präsentieren und ihre Gesangkünste zum<br />
Besten geben, wenden sich ebenfalls der bunten Säule zu.<br />
Die einzelnen Vogelgestalten entstammen aus einem<br />
kuriosen Bildprogramm des „Vogelkonzerts“. Eine Sonderform<br />
niederländischer Jagddarstellungen, die im frühen<br />
17. Jahrhundert beliebt war. Oft wird die orchestrale Veranstaltung<br />
von einem strengen Kauz dominiert, der neben<br />
einer Partitur das Geflügelensemble autoritär dirigiert. Wie<br />
auch in den originalen Vorlagen bleibt es uneindeutig, ob<br />
die Kreaturen sich in einem virtuosen Balzakt überbieten<br />
wollen oder sich in Empörung über den regenbogenfarbigen<br />
Spiegelsockel ereifern, in dem das Spiegelbild des Betrachters<br />
selbst zum Teilnehmer des Spektakels wird.<br />
Room for Art Lovers, Siebdruck auf Papier, 2012<br />
Room for Art Lovers versammelt Variationen eines Bildprogramms,<br />
das Kunstsammlungen und ihr Patronat<br />
darstellt. Die Siebdrucke auf Papier sind Aneignungen<br />
originaler Gemälde, wie beispielsweise David Teniers d. J.<br />
Galerie des Leopold Wilhelm von Österreich in Brüssel (1653):<br />
ein außerordentlich üppiges Kunstkabinett aus insbesondere<br />
weiblichen Akten, in deren Mitte der Mäzen selbst repräsentiert<br />
ist. Zwar werden in den maßstabsgetreuen Siebdrucken<br />
der Prunk, die Fülle und ihr Patronat nicht mehr<br />
identifizierbar, jedoch hinterlassen die entleerten Schemen<br />
von Gemälden und Skulpturen ein analytisches Bild über<br />
solche „imaginären Orte der Repräsentation“. Denn die<br />
Originale bildeten keine wirklich existierenden Sammlungen<br />
ab, sondern waren Inszenierungen, in denen Ideale von<br />
Kunstkennerschaft, Bildungsbekenntnisse, Autoritätsanspruch,<br />
Weiblichkeit sowie Männlichkeit visualisiert<br />
werden sollten.<br />
Für Hubert Fichte, Kunststoff, Text, 2 Tafeln, 2012<br />
Für Hubert Fichte kann als gedankliche Collage gelesen<br />
werden, die Überlegungen zur sozialen und biologischen<br />
Geschlechtlichkeit als Identität verbalisiert. Das Changieren<br />
des Textes zwischen Zeiten, Perspektiven, Genres und<br />
Themen, greift, wie Hubert Fichtes Begriff des „roman<br />
fleuve“, die sich ständig verändernden Wahrnehmungszustände<br />
der eigenen Identität auf. Als ein Versuch das<br />
Selbst, in der Vielfalt sozialer und kultureller Erscheinungen,<br />
Kategorien, Clichés, Irrtümer, Wahlfreiheiten und -zwänge<br />
zu erfassen und immer wieder herausfordern zu wollen.<br />
Impressum<br />
Ausstellung<br />
Projektraum Wolff Verlag: Robert Eberhardt<br />
Unter den Linden 40, 10117 Berlin<br />
Kuratoren: Seraphine Meya und Christoph Blaas<br />
Publikation<br />
Gestaltung: Damian Maria Domes<br />
Auflage: 400<br />
– Christoph Blaas<br />
Besonderer Dank gilt Shirin Botas, Klaus vom Bruch,<br />
Adrian Djukic, Paul Hiller, Susanne Schacht, Lisa Schairer,<br />
Florian Scherübl, Max Schmidtlein und Renata Tati.<br />
Mit freundlicher Unterstützung der Welde Biermanufaktur<br />
Abb. Links: Philipp Gufler, Room for Artlovers (St. Lukas),<br />
Siebdruck auf Papier, 2012<br />
Abb. Umseitig: Philipp Gufler, Verschmähung der Vögel,<br />
Siebdruck auf Glas, 34 x 40 cm, 2012<br />
Screening: Was du denkst was ich denke mit Max<br />
Schmidtlein, 1.12.2012, 18 Uhr