Untitled - Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe
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Timo Linsenmaier<br />
Institut <strong>für</strong> Kunstwissenschaft<br />
<strong>Staatliche</strong> <strong>Hochschule</strong> <strong>für</strong> <strong>Gestaltung</strong> <strong>Karlsruhe</strong><br />
Abschlußarbeit zur Erlangung des Akademischen Grades<br />
eines Magister Artium (M.A.)<br />
Die Entwicklung des sowjetischen Trickfilms seit 1960<br />
am Beispiel des Studios Sojuzmul’tfil’m<br />
Vorgelegt am 09. Mai 2005<br />
Betreuer und Erstgutachter: Prof. Dr. Beat Wyss<br />
Zweitgutachter: Prof. Dr. Hans Belting<br />
Timo Linsenmaier<br />
Speyerer Str. 26<br />
76199 <strong>Karlsruhe</strong><br />
Matr.-Nr. 562
Inhalt<br />
Minima Marginalia – Versuch eines Pamphlets<br />
Anstelle eines Vorworts 3<br />
Transliteration 8<br />
Die wichtigste aller Künste ist <strong>für</strong> uns – der Trickfilm 9<br />
Einführung<br />
Die Disney-Hypnose – Mythos oder Wirklichkeit?<br />
Sowjetischer Trickfilm von den Anfängen bis zum Tauwetter 21<br />
Ahnengalerie<br />
Das Studio Sojuzmul’tfil’m von 1960 bis 1990 32<br />
Viele sind wir nicht mehr…<br />
Schluß und Ausblick 65<br />
Abbildungen 79<br />
Bildnachweis 105<br />
Filmographie 106<br />
Bibliographie 117<br />
2
Minima Marginalia — Versuch eines Pamphlets<br />
Anstelle eines Vorwortes<br />
Die Sprache kleiner Kinder und die der Tiere scheint die gleiche zu<br />
sein. Die Analogie von Mensch und Affe wird von der Ähnlichkeit, die<br />
Clowns mit Tieren haben, scharf herausgestellt. Die Konstellation von Tier,<br />
Narr und Clown konstituiert eine der grundlegendsten Dimensionen der Kunst.<br />
Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie 1<br />
Во время наших бесед Литвинова часто занималась смехом.<br />
Смеялась она так обильно, что если бы мне пришлось отмечать<br />
ремарками все места, которые она в разговоре выделяла смехом, нам<br />
пришлось бы допечатывать еще треть этой книги. Мы оставили<br />
сплошной текст – в череде букв смеха Ренаты не видно. Тем,<br />
кто услышит этот смех, и предназначена наша книга.<br />
Aleksej Vasili’ev, Богиня 2 .<br />
Es steht außer Zweifel, daß der Trickfilm, und mit ihm in noch größerem Maße die<br />
Trickfilmgeschichte, ein äußerst wenig beachtetes Thema in den<br />
Geisteswissenschaften darstellt. Das ist außerordentlich bedauerlich, stellt doch die<br />
Animationskunst ein ganz eigenes, weites Feld mit eigenen ästhetischen<br />
Grundsätzen und einer eigenen Entwicklungsgeschichte dar, dessen künstlerische<br />
Diversität zu untersuchen ausgesprochen interessant und fruchtbar ist. In Amerika<br />
beginnt sich in letzter Zeit die Disziplin Animation Studies zu etablieren, deren<br />
Protagonisten sich aber vornehmlich auf Trickfilm nordamerikanischer Provenienz<br />
beschränken. Wenig Interesse wird dort schon so allgegenwärtigen Phänomenen wie<br />
den japanischen anime entgegengebracht, von anderen Weltgegenden ganz zu<br />
schweigen. Die sowjetischen Geisteswissenschaften, die sich schon früh mit dem<br />
Trickfilm auch theoretisch auseinandersetzten, ihn von Anfang an auch als<br />
Kunstform begriffen und akzeptierten, und so eine Ausnahme darstellten, liegen<br />
heute brach und haben es sich zum größten Teil in einem spätmarxistischen Habitus<br />
1<br />
Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie, Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1970, p. 175.<br />
2<br />
Aleksej Vasili’ev, aus dem Vorwort zu Богиня. Разговоры с Ренатой Литвиновы. Москва:<br />
Афиша, 2004, p. 11.<br />
3
wohnlich eingerichtet, die den unter veränderten ideologischen Vorzeichen<br />
stattfindenden Diskursen der Gegenwart wenig zu bieten vermag. Symptomatisch<br />
<strong>für</strong> die Unterschiede, die untersucht werden könnten, wäre etwa ein Vergleich von<br />
Bakhtins vitalem, erneuerndem Begriff des Grotesken mit der formalisierenden<br />
Anwendung desselben Begriffes bei Asenin. Solcherart Reibungsflächen können hier,<br />
der Natur unserer Arbeit entsprechend, nur gestreift werden, zeigen aber auf, wie<br />
weit der Trickfilm, bis heute weitgehend unbeachtet, in solche Bereiche vorstößt.<br />
So schmerzhaft diese Auslassungen sind, dieser theoretische Hintergrund kann<br />
hier nur in Ansätzen Beachtung finden, zumal die vorhandene Literatur nur äußerst<br />
spärlich ist. Im postsowjetischen Bereich der Geisteswissenschaften, speziell aber der<br />
Trickfilmgeschichte und –theorie sind nur wenige Versuche unternommen worden,<br />
aus dem Korsett der weltanschaulichen Vorgaben aus sowjetischer Zeit<br />
auszubrechen. Ein Beispiel da<strong>für</strong> liefert Alexej Orlovs „Аниматограф и его анима“ 3 .<br />
Allerdings wird hier noch auf einem fast romantisch zu nennenden Katharsisbegriff<br />
beharrt, inspiriert von Lev Vygotskijs Überlegungen zum Thema. Orlov ist dennoch<br />
einer der wenigen westlich denkenden Forscher, von daher ist sein Beitrag nicht<br />
hoch genug einzuschätzen. In jüngster Zeit ist Natalia Krivuljas Buch „Лабиринты<br />
анимации“ 4 (auf Grundlage ihrer Dissertation) erschienen, die sich zum ersten Mal<br />
theoretisch fundiert mit den ästhetischen Implikationen des Trickfilms, speziell des<br />
sowjetischen, auseinandersetzt. Ihre Arbeit leidet allerdings ein wenig unter der<br />
ungeheuren Fülle der zu besprechenden Filme, die sich aus dem verständlichen<br />
Dilemma ergibt, daß die Autorin sehr wohl gemerkt hat, welche grundlegende<br />
Arbeit auf diesem Gebiet noch zu leisten ist.<br />
Auch der Kreis der westlichen Kollegen, die sich umfassend mit dem Thema<br />
auseinandersetzen, ist ausgesprochen überschaubar. Es gibt nur ein wirkliches<br />
Standardwerk im Bereich der Trickfilmgeschichte, ein Umstand, der bereits klar<br />
werden läßt, wie es um das Forschungsgebiet bestellt ist. Es handelt sich dabei um<br />
3 Алексей Орлов, Аниматограф и его Анима, Москва: Импето, 1995.<br />
4 Наталия Кривуля, Лабиринты анимации, Москва: Грааль, 2002.<br />
4
Giannalberto Bendazzis etwa 500 Seiten starkes „Cartoons: 100 Years of Cinema<br />
Animation“ 5 , das einen kompletten Überblick über den Trickfilm seit seinen<br />
Anfängen gibt. Sein Nachteil liegt klar auf der Hand: Vieles kann nur angedeutet<br />
werden, vieles wird nur gestreift, was eigentlich tiefere Betrachtung verdient hätte,<br />
manches ist gar zu schematisch dargestellt. Dennoch stellt das Buch einen<br />
notwendigen Schritt in der Erschließung des Themas dar und ist ein unverzichtbares<br />
Nachschlagewerk. Im speziellen Falle Disneys eignet sich Frank Thomas’ und Ollie<br />
Johnsons „Disney Animation: The Illusion of Life“ 6 als ein solches Nachschlagewerk,<br />
in dem die beiden Veteranen aus seinem Studio einen hervorragenden Einblick in<br />
Disneys Arbeits- und Denkweise bieten. Mit „Of Mice and Magic: A history of<br />
American animated cartoons“ 7 hat Leonard Maltin ein ausgezeichnetes<br />
Übersichtswerk über den Trickfilm in den Vereinigten Staaten geschaffen. Zu guter<br />
Letzt sei noch Ester Leslies „Hollywood Flatlands: Animation, Critical Theory and<br />
the Avant-Garde“ 8 erwähnt, das zum ersten Mal einen umfassenden Einblick in die<br />
Ansätze und Gedankengänge gewährt, die die kritische Theorie des frühen und<br />
mittleren zwanzigsten Jahrhunderts mit dem Trickfilm verbindet. Es ist ihr damit ein<br />
Werk gelungen, das auf anschaulichste Art und Weise die Geschichte des Trickfilms<br />
aus der Sicht der kritischen Theorie nacherzählt.<br />
Trotz dieser wenigen Lichtblicke kann noch lange nicht davon gesprochen<br />
werden, daß die Animation und ihre Problemstellungen umfassend beleuchtet<br />
worden seien. Gerade die erwähnten Werke zeigen ja, daß das Augenmerk der<br />
wenigen Forscher eher auf der Geschichte des Trickfilms in den Vereinigten Staaten<br />
liegt – die natürlich auch besser dokumentiert und leichter zu erschließen ist, als die<br />
europäische oder die asiatische.<br />
5 Giannalberto Bendazzi, Cartoons: One Hundred Years of Cinema Animation, London/Bloomington:<br />
John Libbey/Indiana University Press, 1994.<br />
6 Frank Thomas, Ollie Johnston, Disney Animation: The Illusion of Life, New York: Abbeville Press,<br />
1981.<br />
7 Leonard Maltin, Of Mice and Magic: A history of American animated cartoons, New York: Plume,<br />
1987.<br />
8 Ester Leslie, Hollywood Flatlands. Animation, Critical Theory and the Avant-Garde, London, New<br />
York: Verso, 2002.<br />
5
Unsere Arbeit konzentriert sich gerade deshalb auch auf eine sozusagen<br />
kondensierte, „phänomenologische“ Ansicht der wichtigsten Protagonisten des<br />
sowjetischen Trickfilms und auf ihre ästhetischen Entdeckungen. Es geht also nicht<br />
in erster Linie um eine begriffliche Untermauerung der gemachten Entdeckungen,<br />
obwohl sie natürlich auch immer wieder am Horizont erscheinen muß, sondern um<br />
eine Sichtbarmachung der verschiedenen Künstler, die dem westlichen Publikum im<br />
großen und ganzen unbekannt sind, wenn man einmal vom relativ spezialisierten<br />
und zahlenmäßig wenig signifikanten Publikum der einschlägigen Festivals absieht.<br />
Von daher wird hier ein Versuch unternommen, ein Register aufzustellen, das es<br />
ermöglicht, einen Überblick zu schaffen über Einflüsse, die sich bis heute fortsetzen.<br />
Es macht wenig Sinn, eine Arbeit vorzulegen, die sich mit hochspeziellen<br />
theoretischen Problemen beschäftigt, wenn die Grundlagen, nämlich das Wissen um<br />
die Filme und deren Neuerungen, die die einzelnen Künstler aufgebracht und<br />
mitgetragen haben, nicht gegeben ist. Dennoch kann nur noch einmal wiederholt<br />
werden, wieviel Bedarf <strong>für</strong> ein solches Vorhaben noch besteht. Der Trickfilm muß<br />
aus seiner marginalisierten Stellung herausfinden und in Beurteilung und Interesse<br />
den Stellenwert einnehmen, der im auch zusteht.<br />
Es kann daher nur noch einmal die Hoffnung geäußert werden, daß gerade<br />
auch dem in dieser Hinsicht richtiggehend unterversorgten deutschen Publikum die<br />
Möglichkeit gegeben wird, sich mit Animation in ihrer ganzen Bandbreite<br />
auseinanderzusetzen. Besonders die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender sind in<br />
dieser Hinsicht gefordert. Daß ein solches Unterfangen machbar ist, zeigt nicht<br />
zuletzt die BBC, die seit den neunziger Jahren immer wieder ganze Nächte lang<br />
Trickfilme aus vielen Nationen, vor allem aber aus dem ehemaligen Ostblock, gezeigt<br />
und so ein trickfilmfreundliches Klima geschaffen hat, das z.B. in der <strong>für</strong> beide Seiten<br />
äußerst ergiebigen Kooperation von Christmasfilms Moskau mit S4C Cardiff Früchte<br />
trug.<br />
In Deutschland stehen solche Pionierleistungen noch aus, und es bleibt zu<br />
hoffen, daß in dem Land, das immerhin mit dem Stuttgarter Trickfilmfestival eines<br />
6
der international renommiertesten Festivals vorzuweisen hat, bald weitere Schritte<br />
unternommen werden, um aus der fast schon provinziellen Beschaulichkeit, mit der<br />
hier heute an das Thema herangegangen wird, herauszukommen. Vielleicht kann<br />
diese Arbeit ein wenig dazu beitragen.<br />
Allen jenen zu danken, die sie ermöglicht haben, das läßt sich kaum<br />
bewerkstelligen. Allen voran aber gelten mein herzlichster Dank und meine größte<br />
Bewunderung meinem wissenschaftlichen Betreuer am VGIK in Moskau, Prof.<br />
Stanislav Sokolov. Ohne seine geduldige und kritische Führung, seinen schier<br />
unermeßlichen Wissensschatz, den er mir bedingungslos zur Verfügung stellte, und<br />
seine kontinuierliche Hilfe wäre diese Arbeit nicht, was sie geworden ist. Auch den<br />
vielen anderen Professoren, Dozenten und Mitarbeitern des VGIK, ganz besonders<br />
den Bibliothekarinnen, die mich bei der Arbeit unterstützten, möchte ich an dieser<br />
Stelle danken. Auch meinen vielen Gesprächspartnern aus dem Studio<br />
Sojuzmul’tfil’m sei herzlich <strong>für</strong> ihr Entgegenkommen gedankt.<br />
Das Stipendium, das mir die Forschungen in Moskau erlaubte, kam vom<br />
Deutschen Akademischen Austauschdienst. Dessen Mitarbeitern, sowohl in Bonn als<br />
auch in Moskau, sei ebenfalls <strong>für</strong> ihre Unterstützung gedankt. Ebenso danke ich<br />
meinen Professoren in <strong>Karlsruhe</strong>, Hans Belting und Boris Groys, <strong>für</strong> die<br />
Unterstützung bei der Vorbereitung meines Themas. Professor Beat Wyss sei<br />
außerdem da<strong>für</strong> gedankt, daß er sich bedingungslos mit mir ins kalte Wasser eines<br />
ihm neuen Themas stürzte und mir auf der letzten Etappe zur Seite stand.<br />
Roland Meyer, Frank-Thorsten Moll, Jacob Birken und Sylvia Winkelmayer gilt<br />
mein Dank <strong>für</strong> das kritische Korrekturlesen des Manuskripts und viele erhellende<br />
Ratschläge. Und last, but not least geht mein Dank an Natalia Volodina. Ohne sie gäbe<br />
es diese Arbeit nicht.<br />
7
Transliteration<br />
Die Transliteration aus dem Russischen, die im Text vorgenommen wird, folgt<br />
einigen sich auf den ersten Blick widersprechenden Prinzipien. Um dem Leser die<br />
Orientierung zu erleichtern, hier ein Überblick über die Richtlinien des Autors.<br />
Literaturangaben russischer Autoren und Zitate aus russischer Literatur werden<br />
generell in russischer Sprache wiedergegeben. Dagegen werden Eigennamen,<br />
Autoren- und Künstlernamen in Transliteration wiedergegeben. Film- sowie<br />
Buchtitel im Text werden beibehalten, aber die Übersetzung angegeben.<br />
Geographische Bezeichnungen im Text werden entsprechend den Empfehlungen der<br />
Duden-Transkription angegeben.<br />
Ansonsten erfolgt die Umschrift des kyrillischen Alphabetes (abgesehen in<br />
Zitaten, deren Transliteration übernommen wird) nach der Zeichentabelle des<br />
Gosstandart Rossii ST SEV 1362 von 1978, da er der einzige Transliterations-Standard<br />
ohne diakritische Zeichen ist. Gleichzeitig ist dieser Standard der bereits genannten,<br />
dem deutschen Leser eher vertrauten, im wissenschaftlichen Bereich aber nicht<br />
gebräuchlichen Duden-Transkription ähnlich und vermeidet so die<br />
Unannehmlichkeiten des im angloamerikanischen Bereich verwendeten ISO R9 von<br />
1995 oder der Library-of-Congress-Transliteration (LC) von 1905.<br />
8
Die wichtigste aller Künste ist <strong>für</strong> uns — der Trickfilm<br />
Einführung<br />
В 1907 году в Финляндии в Куокалле, где Владимир Ильич жил на даче вместе с<br />
Богдановым, Бони-Бруевичем и другими […] однажды […] поднял[ся] разговор о<br />
кинематографе, [и Ленин] стал проводить мысль, что […], когда массы овладеют<br />
кино и когда оно будет в руках настоящих деятелей социалистической культуры,<br />
то оно явится один из могущественных средств просвещения масс. 9<br />
Lenin, Stalin, die Partei über das Kino, Moskau/Leningrad 1938<br />
Вы [, сказал мне Ленин,] у нас слывете покровителем искусства, так вы должны<br />
твердо помнить, что из всех искусств для нас важнейшим является кино. 10<br />
Brief Lunacharskijs an Baltjanskij vom 9. Januar 1925<br />
„Die wichtigste aller Künste ist <strong>für</strong> uns das Kino.“ Dieser Satz Lenins ist inzwischen<br />
zu einem solchen Gemeinplatz geworden, daß sich kaum noch ein Autor die Mühe<br />
macht, seine Quelle, einen Brief des Kulturkomissars Anatolij Lunacharskij,<br />
anzugeben 11 . Dennoch ist es angebracht, ihn dieser Arbeit voranzustellen – obwohl<br />
Vladimir Ilych selbst wahrscheinlich nicht im Geringsten daran gedacht hätte, seinen<br />
Satz auch auf den Trickfilm anzuwenden.<br />
Die Sowjetunion entwickelte sich dennoch zu einem der führenden<br />
Trickfilmproduzenten der Welt. Neben Hollywood und Tokio war Moskau bis zum<br />
Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 einer der wichtigsten Standorte der globalen<br />
Trickfilmindustrie, der diese Bezeichnung wirklich verdiente. Von 1936 bis 1991<br />
wurden im zentralen Studio „Sojuzmul’tfil’m“ in Moskau etwa 2000 Filme<br />
hergestellt. Neben diesem existierten noch weitere Studios in den Hauptstädten der<br />
Unionsrepubliken, z.B. in Tiflis oder Kiev, und in einigen der wichtigeren Städte der<br />
Russischen Sozialistischen Sowjetrepublik, z.B. in Leningrad oder Sverdlovsk.<br />
9<br />
Ленин, В.И. [Ed. Николай Лебедев], Ленин, Сталин, Партия о Кино, Москва/Ленинград:<br />
Искусство, 1938, p. 7 passim.<br />
10<br />
Brief Lunacharskijs an Baltjanskij vom 9. Januar 1925, cit. sec. Ленин, Сталин, Партия о Кино,<br />
p. 23.<br />
11<br />
Cf. Fußnote 10.<br />
9
Auch nach dem Ende des „kommunistischen Projektes“, nach dem Wegfallen<br />
staatlich verordneter jährlicher Output-Quoten und üppiger staatlicher Finanzierung<br />
gibt es diese Studios noch. Die staatlichen Finanzbeihilfen sind dürftiger geworden,<br />
und die Konkurrenz, vor allem durch billige Massenproduktionen aus Japan und<br />
den USA, ist beträchtlich gestiegen (vor dem Zerfall der Sowjetunion kamen die<br />
einzigen Trickfilmserien aus dem Westen, die ausgestrahlt wurden, aus dem Hause<br />
Disney), aber es gibt inzwischen neben den privatisierten großen Studios aus der<br />
Sowjetzeit eine Reihe kleiner privater Studios, z.B. Pilot oder Christmasfilms, die<br />
erfolgreich Animationsfilme produzieren. Von einer Industrie kann allerdings nicht<br />
mehr gesprochen werden – in ihrer Arbeitsweise und auch in den entstehenden<br />
Filmen ähneln die Studios heute eher denen in Europa, besser zu definieren als<br />
„konzentriert und kreativ“ denn als „industriell“. Jedenfalls hat der russische<br />
Trickfilm den Übergang vom sozialistischen System ins kapitalistische etwas besser<br />
verkraftet als der russische Spielfilm, der sich erst jetzt, nach knapp 15 Jahren,<br />
langsam von der Krise erholt, in die ihn der Zerfall der Mosfil’m-Studios, des<br />
„Hollywoods des Ostens“, gestürzt hat 12 .<br />
Es kommt nicht von ungefähr, daß der russische Trickfilm so relativ<br />
unbeschadet weiterexistiert: in den Jahrzehnten seit dem „Tauwetter“ unter<br />
Khrushhev bis hin zur „Perestroika“ unter Gorbachev, besonders aber in den späten<br />
70er und den 80er Jahren, entwickelten sich neue Techniken und Arbeitsweisen,<br />
wurden aber vor allem neue ästhetische Ansätze aufgetan, neue Bildwelten entdeckt<br />
und es erfolgte eine generelle Orientierung hin zu einer Art von Animation, die ich<br />
„animation auteur“ nennen möchte, dem „cinéma auteur“ 13 entsprechend. Die relativ<br />
schwerfällige, arbeitsintensive und auf unbedingten Naturalismus ausgelegte<br />
12<br />
Zur Geschichte der Mosfil'mstudios cf. die Reihe М. А. Богданов et al., Мосфильм: стати,<br />
публикации, изобразительные материалы, Москва: Искусство, 1959 – 1988, besonders Band 8:<br />
М. А. Богданов et al., Размышление о фильмах: сборник киностудии Мосфильм, Москва:<br />
Искусство, 1980; zur Bedeutung der Studios <strong>für</strong> die Entwicklung der sowjetischen Filmtheorie cf.<br />
Семен Израилевич Фрейлих, Теория кино: От Эйзенштейна до Тарковского, Москва:<br />
Академический проект, 2002.<br />
13<br />
Zum Ursprung dieses Begriffs cf. François Truffauts essay Une certaine tendence du cinéma<br />
français von 1954.<br />
10
Technik des Éclair 14 , seit der Industrialisierung der sowjetischen Trickfilmproduktion<br />
in der Mitte der dreißiger Jahre nahezu ausschließlich angewandt, wurde zwar<br />
immer noch verwendet, sie trat aber in den Hintergrund. Statt dessen entwickelte<br />
sich eine Vielzahl neuer Stile, auch angeregt durch internationalen Austausch, der<br />
vermehrt stattfand. Die Liste der Einflüsse ist lang, zumal in den achtziger Jahren,<br />
die als Blütezeit des sowjetischen Trickfilms betrachtet werden kann, jeder<br />
ernstzunehmende Autor bemüht war, in seinen Filmen ästhetische Neuerungen<br />
einzuführen. Für die Art von Studios, wie sie heute bestehen, ist eine solche auf den<br />
Autor ausgerichtete Art zu arbeiten natürlich weit besser geeignet. Diese ästhetische<br />
Entwicklung hängt auch mit dem politischen Klima zusammen, in dem sie stattfand,<br />
sie aber allein an diesem festmachen zu wollen, erscheint uns ein wenig zu kurz<br />
gegriffen 15 : Ästhetische Veränderungen, die in dieser Periode augenfällig das Bild<br />
der Animationskunst verändern, hängen wohl ursächlicher mit den Künstlern<br />
zusammen, die sie propagieren und produzieren, als mit der, zumal politischen,<br />
„Außenwelt“. Genauer formuliert hieße dies, daß sich einige innovative Geister die<br />
Gunst der Stunde zunutze machten, um Neuerungen ins Bildsystem, aber auch in die<br />
ideologische und theoretische Ausrichtung der neuen Produktionen einzubringen,<br />
und so das Erscheinungsbild des sowjetischen Trickfilms radikal veränderten. Wir<br />
versuchen hier deshalb eine Analyse der Filme und Bildfindungen derjenigen<br />
Künstler vorzunehmen, die mit ihren Filmen Wegweisendes geschaffen haben,<br />
ästhetische Neuerungen erschlossen haben und damit über ihre Zeit hinaus wirken –<br />
ohne allerdings die sozialen und ökonomischen Gegebenheiten ganz aus dem Blick<br />
zu verlieren.<br />
Wir gehen dabei näher auf Künstler ein, die während der Zeit von etwa 1962 bis<br />
etwa 1991 arbeiteten. Dieser Zeitabschnitt wurde gewählt, weil sich in ihm<br />
14 Bei dieser Technik wird zunächst live action gefilmt, dann frame by frame von hinten auf den<br />
Zeichentisch projiziert, so daß der Animator nur die Konturen nachfahren muß, genaueres cf. das<br />
folgende Kapitel.<br />
15 Diese These vertritt auch Nikolas Vert im Kapitel „Пределы культурной оттепели“ seines Buches<br />
über die Geschichte des sowjetischen Staates. Cf. Николай Верт, История советского<br />
государства, Москва: Весь мир, 2 2000, p. 407 et passim.<br />
11
edeutende ästhetische Entwicklungen vollzogen, die zu einer bereits erwähnten<br />
„Blütezeit“ des sowjetischen Trickfilms in den späten siebziger und achtziger Jahren<br />
des zwanzigsten Jahrhunderts führten. Die Auswahl, die getroffen wurde, ist<br />
notwendigerweise nicht vollständig und etwas subjektiv, denn sie umfaßt nur einen<br />
Teil der sehr vielfältigen und unmöglich in eine einzige Arbeit zu kondensierende<br />
Fülle des sowjetischen Trickfilms. Bewußt wurden fast ausschließlich Künstler des<br />
Moskauer Studios Sojuzmul’tfil’m ausgewählt, denn es hatte unter der Vielzahl der<br />
Studios eine Vorreiterrolle – nicht nur, daß hier die meisten Animatoren ausgebildet<br />
wurden, auch die Nähe des Studios zur Filmhochschule und zur Zentralverwaltung<br />
ließen in seinen Räumen Trends entstehen, die von den anderen Studios dann<br />
übernommen wurden. Das wichtigste Kriterium <strong>für</strong> die Auswahl der in unserer<br />
Arbeit aufgeführten Personen aber ist, daß sie von Künstlern und Animatoren selber<br />
immer wieder als Vorbilder und Neuerer genannt werden. So finden sich in der<br />
besprochenen Gruppe die allgemein anerkannten wichtigsten Vertreter des<br />
Trickfilms in Rußland, eben jene Künstler, die in seiner Entwicklung eine<br />
Führungsrolle einnehmen. Im Endeffekt ergibt sich so ein Bild, das sich nicht nur in<br />
der russischen, sondern auch – soweit vorhanden – in der westlichen Literatur<br />
belegen läßt.<br />
Nach dem Ende des Stalin-Regimes, der unter Khrusshov begonnen<br />
Aufarbeitung des Stalinkultes und einer generellen, wenn auch zaghaften,<br />
Lockerung des ideologischen Systems, dem sogenannten politischen „Tauwetter“,<br />
herrschte in der Sowjetunion während der ersten Jahre der Amtszeit Khrusshevs (zu<br />
Beginn der sechziger Jahre) allenthalben Aufbruchstimung. Eine Reihe von<br />
Ausstellungen, Theaterstücken, Publikationen hatten sich ungeheuer belebend auf<br />
das intellektuelle Leben in Rußland ausgewirkt, und auch der Trickfilm schickte sich<br />
an, endlich die Fesseln des Sozialistischen Realismus abzuwerfen, die ihn seit 20<br />
Jahren mit starren ästhetischen und thematischen Vorgaben an die Kandare<br />
genommen hatten.<br />
12
Hinzu kommen entsprechende Tendenzen im internationalen<br />
Trickfilmgeschehen: Seit der „UPA revolution“ 16 in den späten vierziger Jahren und<br />
den bahnbrechenden Arbeiten Norman McLarens am National Film Board of Canada<br />
zur gleichen Zeit hatte eine langsame, aber sichere Befreiung von der Hypnose<br />
begonnen, in der Disney bis dahin den größten Teil der Trickfilmkünstler weltweit<br />
gehalten hatte. Für die Künstler des Ostblocks wurde in dieser Hinsicht die Zagreber<br />
Schule zum Lichtschweif am Horizont 17 . Dušan Vukotič und Zlatko Grigič, die mit<br />
viel Enthusiasmus und wenig materieller Unterstützung seitens der jugoslawischen<br />
Behörden zunächst eine Trickfilmabteilung innerhalb des Zagreber Kinostudios und<br />
dann (nachdem George Sadoul auf einem der Festivals von Annecy <strong>für</strong> die bis dahin<br />
völlig unbekannten Künstler vom Balkan den Begriff der Zagreber Schule prägte und<br />
so ihren internationalen Ruhm begründete) ein eigenes Trickfilmstudio gründeten,<br />
können völlig zu Recht als diejenigen Protagonisten angesehen werden, die die<br />
Evolution oder Emanzipation der weltweiten Szene weg von Disneys Idealen auch<br />
über den Eisernen Vorhang trugen. Im Zuge von Austausch und Weiterbildung<br />
zwischen russischen und jugoslawischen Künstlern kam es auch zum Transfer von<br />
Ideen und zur Aufnahme neuer Einflüsse.<br />
In Rußland selber hatten außerdem seit der Mitte der sechziger Jahre Fjodor<br />
Khitruks Experimente und Ivan Ivanov-Vanos Rückbesinnung auf Techniken, die<br />
seit über 20 Jahren nicht mehr angewandt worden waren (z. B. Papiermarionetten)<br />
die Bahn geebnet <strong>für</strong> junge, experimentierfreudige Trickfilmer, die sich nicht mehr<br />
nur mit den althergebrachten Themen und Techniken begnügen wollten 18 .<br />
In den siebziger Jahren, nachdem unter Brezhnev von den zaghaften<br />
Sonnenstrahlen, die vorher über den (geistigen) Horizont gelugt hatten, nicht mehr<br />
viel übrig blieb, wurde das Sojuzmul’tfil’mstudio zum Sammelbecken von<br />
16 Zur Geschichte dieses Studios cf. http://en.wikipedia.org/wiki/United_Productions_of_America.<br />
17 Einen Überblick über die Zagreber Schule bietet der Ausstellungskatalog Il disegno e la vita: Carlo<br />
Montanaro, Drawing and life: The Croatian animation of Zagreb film, Trieste, Auditorium of the<br />
Revoltella Museum, November – December 2001, Venezia: Supernova, 2001.<br />
18 Eindrucksvoll schildert Ivanov-Vano diesen Vorgang selbst in seiner Autobiographie; Иван Иванов-<br />
Вано, Кадр за кадром, Москва: Искусство, 1984.<br />
13
Nonkonformisten aller Couleur. Hier trafen sich Künstler aus der Graphik, aus der<br />
Freien Kunst, aus der Musik und der Literatur, die <strong>für</strong> die offiziellen Vorgaben, die<br />
ihnen gemacht wurden, wenig übrig hatten, oder die an Themen arbeiteten, die mit<br />
dem offiziellen Kanon nicht übereinstimmten. Es existierte natürlich auch hier eine<br />
Kontrolle, und bei zu gewagten Experimenten riskierte man, daß der Film im Regal<br />
landete oder nur in der Dritten Kategorie in den Verleih kam (was zur Folge hatte,<br />
daß er nur in sehr wenigen, hochspezialisierten Kinos gezeigt wurde); dennoch war<br />
das ideologische „Pressing“ bei weitem schwächer als in anderen Bereichen, z.B. dem<br />
Spielfilm oder der Literatur. Das hängt sicherlich auch damit zusammen, daß das<br />
offizielle Verständnis von Trickfilm als ein nur auf Kinder ausgerichtetes Medium in<br />
den Augen des Apparats ein gewisses laissez-faire zuließ. Damit ergab sich <strong>für</strong> die<br />
Regisseure und Künstler die Möglichkeit, die Grenzen auszuloten, und <strong>für</strong> viele bot<br />
genau das die Gelegenheit, in ihre Werke Subtexte einzuflechten und den Zuschauer<br />
zwischen den Zeilen lesen zu lassen. Mehr noch, von jedem jungen Regisseur, der in<br />
diesen Jahren ins Studio kam, wurden neue Entdeckungen und neue ästhetische<br />
Entscheidungen erwartet, um dem Studio, das <strong>für</strong> viele der dort Arbeitenden ein<br />
zweites Zuhause war, frische intellektuelle „Kost“ zu bieten.<br />
Das enorme kreative Potential, das im Studio Sojuzmul’tfil’m in dieser Zeit<br />
zusammenfand, machte es zu einem Schmelztiegel <strong>für</strong> künstlerische Entwicklungen,<br />
die an den entstehenden Filmen in dieser Zeit unschwer nachzuvollziehen sind.<br />
Dabei fallen drei Hauptentwicklungen besonders ins Auge:<br />
Zunächst ist wichtig zu sehen, daß die strengen ideologischen und<br />
pädagogischen Vorgaben, die die Drehbuchschreiber und Autoren bis dahin<br />
einengten, signifikant gelockert wurden. Dadurch wurde es möglich, auch aktuelle<br />
Themen aufzugreifen, ironisch zu behandeln und satirisch auszuarbeiten – was die<br />
Popularität der einzelnen Filme wie auch des Mediums im ganzen erheblich steigerte<br />
und den Autoren die Möglichkeit gab, zwischen den Zeilen Informationen, die dann<br />
von (erwachsenen) Zuschauern wieder zurückübersetzt werden konnten, zu<br />
transportieren; eine Möglichkeit, die den harmlosen oder brachial-moralischen<br />
14
Produktionen aus den Jahrzehnten zuvor verwehrt geblieben war. Bekannte<br />
Drehbuchautoren und Dramatiker begannen so <strong>für</strong> den Trickfilm zu schreiben, zum<br />
Beispiel Viktor Slavkin, ein äußerst erfolgreicher Bühnenschriftsteller („Взрослая<br />
дочь молодого человека“, „Die erwachsene Tochter des jungen Mannes“), oder<br />
Gennadi Shpalikov, der mit dem Drehbuch und den Liedtexten des Spielfilms „Я<br />
шагаю по Москве“ („Ich laufe durch Moskau“) bekannt geworden war (er arbeitete<br />
bis zum Skandal um „Стеклянная гармоника“ („Die Glasharmonika“, Abb. 107) mit<br />
Khrzhanovskij zusammen – danach wurde ihm verboten, weiter Drehbücher <strong>für</strong><br />
Trickfilme zu schreiben) 19 . Sie brachten frischen Wind in die verstaubten<br />
Drehbuchabteilungen und schrieben auch über Zeitgenössisches, Satirisches und<br />
politisch Brisantes – was bis dahin undenkbar gewesen war.<br />
Der zweite Punkt, der <strong>für</strong> das Genre insgesamt erheblich belebend wirkte, ist<br />
die Erweiterung seiner graphischen Quellen. Mit dem Beginn der sechziger Jahre<br />
kommt es zu einem entscheidenden Umbruch im sowjetischen Trickfilm. Einflüsse<br />
aus dem weltweiten Trickfilmgeschehen, daß sich bereits weitgehend aus Disneys<br />
Hypnose 20 gelöst hatte, und aus anderen sozialistischen Ländern, die ideologisch<br />
weniger streng und deshalb ästhetisch fortschrittlicher waren, führten zu einem fast<br />
vollständigen Umbau des graphischen Systems. Den Anstoß dazu gab Fjodor<br />
Khitruks Film „История одного преступления“ („Geschichte eines Verbrechens“,<br />
Abb. 46 – 47) von 1962, aber auch andere Regisseure, durch die Bank Veteranen des<br />
Genres, schüttelten nach fast drei Jahrzehnten die Fesseln des Sozialistischen<br />
Realismus ab und begannen in Formen zu arbeiten, die dem Genre angemessener<br />
waren. Die Brumberg-Schwestern drehten 1961 die gewandte und originelle<br />
Miniatur „Большие неприятности“ („Große Unannehmlichkeiten“, Abb. 9 – 12) mit<br />
deutlichem satirischen Unterton, Lev Atamanov das zeitgenössische Märchen<br />
„Ключ“ („Der Schlüssel“), Karanovich und Jutkevich den grotesken Puppentrickfilm<br />
„Баня“ („Banja“, Abb. 5 – 8), nach dem gleichnamigen Theaterstück von Vladimir<br />
19 Cf. hierzu den Abschnitt über Khrzhanovskij im vierten Kapitel.<br />
20 Zu Disneys Einfluß cf. das folgende Kapitel.<br />
15
Majakovskij. Mikhail Cekhanovskij findet 1960 nach jahrzehntelanger Selbstzensur<br />
wenigstens in Ansätzen zu seiner alten Form zurück und verfilmt die Fabel „Лиса,<br />
бобер и другие“ („Fuchs, Biber und andere“, Abb. 71) in einem frischen, grellen und<br />
dynamischen Stil, den er bis dahin gründlich aus allen seinen Filmen seit dem<br />
unglücklichen Ende von „Сказ о попе и работнике его Балде“ („Die Geschichte<br />
vom Popen und seinem Diener Balda“, Abb. 104 -105) verbannt hatte 21 . Nicht zuletzt<br />
ist auch Ivan Ivanov-Vano zu nennen, dessen fast einstündiger Film „Левша“ („Der<br />
Linkshänder“, Abb. 64 – 69) nach der gleichnamigen Erzählung Nikolaj Leskovs sich<br />
an Vorbilder anlehnt, die von englischer Zeitungsgraphik über die Kupferstiche<br />
Peters des Großen bis zu traditionellen Lubok-Holzschnitten reichen. Die Liste der<br />
Filme und Autoren ließe sich beliebig verlängern, aber eines ist klar: Die Technik des<br />
Éclair war ausgelaugt, und die Trickfilmer wandten sich neuen, unverbrauchten<br />
Bildwelten und zeitgenössischen Themen zu, die bis zu diesem Zeitpunkt off limits<br />
gewesen waren.<br />
In dieser Diversifizierung der künstlerischen Ansätze ist eine der wichtigsten<br />
Entwicklungslinien seit den sechziger Jahren zu sehen. Die Liste der Einflüsse ist<br />
lang, und sie hängt ursächlich mit dem Gemisch von Graphikern, Künstlern,<br />
Musikern und Literaten zusammen, die ihre kreativen Energien in den<br />
Schaffensprozeß im Studio einbrachten. Julo Sooster, obwohl früh gestorben, Ilja<br />
Kabakov oder Evgenij Pivovarov sind sicherlich die bekanntesten Namen unter<br />
jenen, die sich in den siebziger und achtziger Jahren im Studio tummelten und ihre<br />
Erfahrungen aus der Buchillustration oder der Malerei in die Arbeit dort<br />
einbrachten. Aber selbst jene Maler, die nicht direkt mit dem Studio in Kontakt<br />
waren, wirkten sich auf die dort entwickelten Bildsysteme aus. Das politische<br />
Tauwetter nach dem Ende des Stalin’schen Regimes hatte zu der bereits erwähnten<br />
Periode der Befreiung im Kunstgeschehen geführt. Die bis dahin verschlossenen<br />
Depots der Tretjakov-Galerie öffneten sich, und Werke aus der Zeit vor dem Zweiten<br />
21 Cf. hierzu das letzte Kapitel.<br />
16
Weltkrieg, die vormals nicht einmal betrachtet, geschweige denn ausgestellt werden<br />
durften, wurden der Öffentlichkeit und vor allem den Künstlern zugänglich und<br />
konnten so zur Basis <strong>für</strong> die Ausbildung einer neuen Generation bildender Künstler<br />
werden. Nicht nur international bekannte Maler wie Chagall, Kandinskij, El’ Lisickij,<br />
Tatlin oder Malevich wurden wieder in die Ausstellungsräume zurückgebracht,<br />
sondern auch die eher lokal bekannten, die aber um so einflußreicher <strong>für</strong> die<br />
Ausformung einer neuen, zweifelsohne relativ uneinheitlichen, aber nichtsdestotrotz<br />
als „Schroffer Stil“ („Суровый стил“) bekannt gewordenen Art zu Malen wurden 22 .<br />
Diese Wiederauferstehung der Avantgarde der zehner und zwanziger Jahre<br />
mischte sich mit einigen anderen Möglichkeiten <strong>für</strong> Künstler, ihre Quellen zu<br />
erweitern: Es wurde <strong>für</strong> eine kurze Zeitspanne möglich, zu reisen, und so tat sich das<br />
nähere und fernere Ausland als Inspirationsquelle auf. Der europäische Norden<br />
Rußlands kam wieder in Mode, und seine gut erhaltenen Traditionen gaben reiches<br />
Material, das über die früher vorgeschriebenen Themen hinausging.<br />
Nach der berühmten, von Khrusshov 1962 geschlossenen Ausstellung in der<br />
Manege 23 schließt sich dieses Fenster wieder, aber die Einflüsse bleiben. Der<br />
„Schroffe Stil“ entwickelt sich, natürlich mit Abwandlungen, zu einem offiziellen,<br />
und der Duft der Innovation, der ihm zu Beginn anhaftete, wird schal. In den<br />
Achtzigern sind es die formalen Experimente des Underground, die Neues mit sich<br />
bringen, und das Zeitalter der Malerei ist, wie anderswo, auch in der Sowjetunion<br />
vorbei. Rückgängig machen ließ sich ihr Einfluß aber nicht mehr, und gerade auch<br />
im Trickfilm lebte der Elan dieser Jahre weiter.<br />
Julo Sooster, Vladimir Jankileevskij oder Alexei Popov sind Beispiele <strong>für</strong><br />
Graphiker und Buchillustratoren, die im Sojuzmul’tfil’mstudio arbeiteten und so eine<br />
Tradition wiederbelebten, die bis zu Cekhanovskij, der auch Buchillustrator gewesen<br />
war, zurückreicht. Auch umgekehrt wurden manchmal Trickfilme zum Anlaß <strong>für</strong><br />
22 Zum „Schroffen Stil“ cf. e.g. Gertraude Sumpf, Junge sowjetische Künstler: Malerei, Graphik,<br />
Plastik, Plakat, Buchgestaltung, Ausstellung Dezember 1983 – Januar 1984, Neue Berliner Galerie im<br />
Alten Museum, Berlin: Ausstellungskatalog <strong>Staatliche</strong> Museen zu Berlin, 1983.<br />
23 Ehemaliger Marstall des Kreml, im 20. Jahrhundert als Ausstellungshalle genutzt.<br />
17
Publikationen, z.B. erschien nach der Veröffentlichung von Ivan Ivanov-Vanos<br />
„Левша“, ein Buch, in dem die story des Trickfilms, eine Sage aus Tula, erzählt und<br />
mit den Skizzen zum Film illustriert wird. Die Grenzen zwischen den Genres waren<br />
also durchlässig.<br />
Auch auf dem Gebiet der Musik, einem der wichtigsten Elemente eines<br />
Trickfilms, gab es fruchtbare Kooperationen zwischen den Pionieren der<br />
verschiedenen Stilrichtungen und Regisseuren, die mit Hilfe ihrer Musik die <strong>für</strong><br />
ihren Film benötigte Atmosphäre schufen. So ergänzten sich z.B. Khrzhanovskijs<br />
Filme und Alfred Schnittkes Konkrete Musik kongenial 24 , während Shandor Kallosh,<br />
der ganz anders, mit jazzigen Elementen, komponierte, <strong>für</strong> einige Filme von<br />
Stanislav Sokolov exquisite Tonspuren schuf. Auch andere bekannte Komponisten<br />
wie Vladimir Martynov, Aleksandr Gradskij oder German Lukjanov, um nur einige<br />
zu nennen, schrieben Musik und Lieder <strong>für</strong> Trickfilme. Viele von diesen wurden zu<br />
veritablen Schlagern und steigerten die Popularität ihrer Schöpfer noch weiter. Etwas<br />
später kommen dann auch populäre Gruppen aus der Pop- und Rockszene hinzu,<br />
z.B. schrieb Andrej Makarevich zusammen mit seiner Band „Машина времени“den<br />
Titelsong <strong>für</strong> Leonid Shvarcmans Serie über die Affenfamilie.<br />
Last but not least sind es natürlich auch die Schauspieler, die die Rollen<br />
vertonen, die entscheidend zum Erfolg eines Films beitragen. Legendär ist Evgenij<br />
Leonovs „Winnie the Pooh“, aber auch andere berühmte Bühnen- und<br />
Filmschauspieler arbeiteten an den Produktionen mit. Als Beispiele seien hier nur<br />
Oleg Tabakov oder Andrej Mironov genannt.<br />
Aus dieser Aufzählung, obwohl bei weitem nicht vollständig, ist unschwer zu<br />
erkennen, was <strong>für</strong> eine mit Kreativität aufgeladene Atmosphäre in den Studios<br />
herrschte. So weisen die heute berühmten Pioniere, seien es Fjodor Chitruk, Andrej<br />
24 Alfred Schnittkes Lebensgeschichte wäre eine eigene Untersuchung wert, vor allem, weil sie<br />
exemplarisch <strong>für</strong> das Schicksal „nicht konformer“ Komponisten in der UdSSR gelesen werden kann.<br />
Cf. hierzu besonders Jürgen Köchel [Ed.], Alfred Schnittke zum 60. Geburtstag: eine Festschrift,<br />
Hamburg: Sikorski, 1994. Zu seinem Engagement <strong>für</strong> den Trickfilm hat er sich selbst geäußert:<br />
Наталья Яковлевна Венжер [Ed.], Сотворение фильма. Несколько интервью по служебным<br />
вопросам, Москва: Союз Кинематографистов СССР, 1990, p. 72 et passim.<br />
18
Khrzhanovskij oder Jurij Norsteijn <strong>für</strong> den Zeichentrickfilm, oder Vadim<br />
Kurchevskij, Nikolaj Serebrjakov oder Stanislav Sokolov <strong>für</strong> den Puppentrickfilm,<br />
weisen in Gesprächen und Interviews immer wieder auf diese besondere Stimmung<br />
hin, in der ihre Werke entstanden – Trickfilm, mehr noch als Spielfilm, ist ein<br />
Gemeinschaftswerk mit klar umrissenen, weitgehend unabhängig voneinander<br />
funktionierenden Schaffensprozessen, und die Mitarbeiter und Co-Autoren sind<br />
immer auch ein unentbehrlicher Teil des Produktionsablaufs. In dieser Hinsicht bot<br />
das Sojuzmul’tfil’mstudio in den siebziger und achtziger Jahren eine hervorragende<br />
Grundlage <strong>für</strong> alle seine beteiligten Künstler.<br />
Die Periode der siebziger und achtziger Jahre weist aber noch eine besondere,<br />
paradoxe dritte Eigenschaft auf, auf die man in Gesprächen und beim Lesen von<br />
Artikeln immer wieder stößt: Diese Jahre waren eine Glanzzeit, künstlerisch wie<br />
materiell; man drehte einen Film nach dem anderen und konnte davon ausgehen,<br />
daß man auch nach dem Ende des Projektes, an dem man gerade arbeitete, wieder<br />
einen Platz in einem der vierzig bis fünfzig Filme, die jährlich gedreht wurden, fand.<br />
Obwohl von künstlerischer Freiheit nur eingeschränkt die Rede sein kann (immerhin<br />
blieben theoretisch-didaktische Einschränkungen, die davon ausgingen, daß<br />
Trickfilm nur ein Medium <strong>für</strong> Kinder sei, bestehen, wenn auch in abgeschwächter<br />
Form), bot das System doch eine materielle Sicherheit, von der Studios in der<br />
kapitalistischen Welt nur träumen konnten. In manchen Fällen hängt es sicherlich<br />
auch mit dem Alter der Künstler zusammen, aber es ist doch auffällig, daß mit der<br />
Perestroika, und damit mit der Anwendung marktwirtschaftlicher Prinzipien, viele<br />
bis dahin aktive Mitglieder der Szene in den Ruhestand gingen – der Wettbewerb<br />
wurde härter, und nicht jeder war glücklich darüber, sich nun, nachdem keine<br />
thematischen Einschränkungen mehr gemacht wurden, im Budget einschränken zu<br />
müssen. Die Freiheit war also ein zweischneidiges Schwert, zumindest <strong>für</strong> jene, die<br />
ihr Leben lang da<strong>für</strong> gekämpft hatten, eine eigene Sicht der Dinge an den offiziellen<br />
Stellen vorbeizumanövrieren, und <strong>für</strong> die mit dem Wegfallen der Kontrollen auch<br />
ein Teil des Stimulus wegfiel, der sie bis dahin getrieben hatte.<br />
19
Der Paradigmenwechsel in den letzten Jahren vor dem Ende der Sowjetunion,<br />
wie ihn diese Arbeit veranschaulichen soll, wäre aber ohne die grundlegenden<br />
Veränderungen, die seit dem „Tauwetter“ das Gesicht des sowjetischen Trickfilms<br />
fast vollständig veränderten, undenkbar. Gerade daß nun nicht mehr nur<br />
ausschliesslich auf Märchen und Sagen zurückgegriffen werden konnte, sondern<br />
auch explizit zeitgenössische Geschichten erzählt und satirisch behandelt werden<br />
konnten, gab dem sowjetischen Trickfilm in den siebziger und achtziger Jahren bis<br />
dahin ungekannten Aufschwung. Für viele der in dieser Zeit Arbeitenden umfaßten<br />
diese Jahre den Höhepunkt ihres Schaffens, und dementsprechend wurde das<br />
Jahrzehnt vor der Perestroika auch zum Goldenen Zeitalter des Trickfilms in der<br />
Sowjetunion. Es sollte auch nicht vergessen werden, daß im Westen der Trickfilm in<br />
einer Krise steckte, ausgelöst durch steigende Kosten in der Produktion und<br />
nachlassende Nachfrage bei den Fernsehstationen. Die Folge waren qualitativ<br />
minderwertige Serien, die nur unter dem Gesichtspunkt der Kostenoptimierung<br />
hergestellt wurden (traurige Berühmtheit in dieser Hinsicht hat Hanna-Barberas<br />
computerunterstütztes Baukasten-Animations-System erlangt 25 ). Aus dem Osten<br />
kamen dagegen hochwertig animierte und hohen künstlerischen Ansprüchen<br />
genügende Filme, die auch heute noch ihre Plätze unter den Besten ihrer Art<br />
einnehmen. Es sind die Pionierleistungen der in dieser Arbeit besprochenen<br />
Künstler, die seit den sechziger, vor allem aber in den siebziger und achtziger Jahren<br />
ihre Entdeckungen erarbeiteten, neue Bildwelten <strong>für</strong> die Allgemeinheit zugänglich<br />
machten und neue ästhetische Ausdrucksweisen eröffneten. Es ist dies keine<br />
Aufzählung, die sich verstecken muß, im Gegenteil, gerade der weltweite Einfluß,<br />
der von ihren Protagonisten auch heute noch ausgeht, ist außergewöhnlich wichtig.<br />
25 Hanna und Barbera waren sich der wenig überzeugenden animatorischen Qualität durchaus<br />
bewußt, mußten sich aber anpassen. „Disney-type animation is economically unfeasible for<br />
television, and we discovered that we could get away with less,“ zitiert Leonard Maltin Bill Hanna.<br />
Leonard Maltin, Of Mice and Magic: A history of American animated cartoons, New York: Plume,<br />
1987, p. 344.<br />
20
Die Disney-Hypnose: Mythos oder Wirklichkeit?<br />
Sowjetischer Trickfilm von den Anfängen bis zum Beginn des „Tauwetters“<br />
„Das staatlich-ästhetische Bewußtsein in der Kultur 2 besteht in<br />
der Erschaffung des Lebens nach den Gesetzen eines Epos. Das Epos<br />
in der Kultur 2 bedeutet die Erschaffung von Volksliedern<br />
nach den Gesetzen der Staatsmacht.“<br />
Vladimir Paperny, Kultura 2 26<br />
Die Emigration Ladislas Starevichs 27 nach Frankreich während des Bürgerkrieges<br />
1919 brachte die russische Trickfilmproduktion, die bis dahin von Filmen aus dem<br />
Studio seines Arbeitgebers, des ebenfalls emigrierten Unternehmers Aleksandr<br />
Khanzhonkov, dominiert worden war, vorerst zum Stillstand. Während der Meister<br />
in seinem Atelier im Dachgeschoß seines Hauses im Pariser Vorort Fontenay-sous-<br />
Bois alleine oder nur mit Hilfe seiner Tochter seine Visionen verwirklichte, wurde in<br />
der Sowjetunion seit Ende der Zwanziger Jahre eine ganze Trickfilmindustrie aus der<br />
Taufe gehoben, die zunächst vor allem kurze Propaganda-Spots produzierte, um so<br />
„learning by doing“ die ersten sowjetischen Trickfilme zu drehen 28 .<br />
Trickfilmabteilungen waren dabei generell großen Spielfilmstudios wie Mosfil’m<br />
oder Mezhrabpomfil’m angeschlossen und produzierten relativ unabhängig<br />
26 Vladimir M. Paperny, Kultura 2, Ann Arbor: Ardis, 1985, p. 243.<br />
27 Zu diesem Pionier des frühen Trickfilms cf. http://en.wikipedia.org/wiki/Starevich<br />
28 Die frühen Pioniere waren in diesem Zusammenhang auch immer bemüht, ihrem Arbeitsfeld die<br />
gebührende Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen, „привлечь внимание и интерес к этому<br />
важному и интересному участку кинематографии“ (Мультипликационный фильм, Москва:<br />
Кинофотоиздат, 1936, S. 3) und ihre ästhetischen Experimente theoretisch zu untermauern. Ein<br />
Beispiel hier<strong>für</strong> ist der Sammelband „Animationsfilm“, der 1936 herauskam und der Aufsätze der<br />
drei wichtigsten Regisseure der Zeit enthält: Nikolaj Khodataev, Ivan Ivanov-Vano und Aleksandr<br />
Ptushko. Zunächst werden theoretische Überlegungen über den Trickfilm angestellt (etwa im<br />
Kapitel „Ритмическая связь между графическим формами и формами движения“), darauf<br />
folgend werden technische Einführungen in die verschiedenen Genres des Trickfilms gegeben, die<br />
die Umsetzung der vorher beschriebenen Probleme veranschaulichen sollen. Das Buch faßt so die<br />
Bemühungen der Studios während des vorangegangenen Jahrzehnts zusammen, eine dem neuen<br />
Medium entsprechende Bildsprache zu finden, und kann gleichzeitig als Nachruf auf die frühen,<br />
experimentellen Jahre betrachtet werden, die mit dem Aufkommen des Sozialistischen Realismus zu<br />
Grabe getragen werden: „Перед нашей мультипликацией стоят те же проблемы, которые<br />
поставленный перед советской искусства в целом: Создание стиля социалистического<br />
реализма,“ schreibt G. Roshal in der Einführung (S.5).<br />
21
voneinander. Eine Ausnahme bildete nur die experimentelle Trickfilmabteilung des<br />
zentralen Kinoverbandes Sovkino, deren Ziel die Erprobung der in den USA bereits<br />
weit verbreiteten, von Earl Hurd 1915 patentierten Zelluloidfolientechnik war, und<br />
die nur wenige Filme bis in den Verleih brachte.<br />
Gerade diese relative Freiheit der frühen Pioniere, unbehelligt von<br />
kommerziellen Überlegungen arbeiten zu können, die ihren westlichen Kollegen<br />
oftmals Knebel aufzwangen, zusammen mit den Einflüssen der sich in dieser Zeit<br />
mit aller Macht entfaltenden Russischen Avantgarde, ergeben <strong>für</strong> das Jahrzehnt vor<br />
dem Beginn der stalinistischen Repressionen den Eindruck einer sehr fruchtbaren<br />
und erfolgreichen Phase der sowjetischen Animation (<strong>für</strong> Beispiele früher<br />
sowjetischer Trickfilme cf. Abb. 24 – 26, 51 – 55, 81 – 83, 86 – 89, 92 – 95 und 102).<br />
Im Jahr 1929 trat Anatolij Lunacharskij, der „futuristische“ Kulturkommissar,<br />
von seinem Posten zurück. Dieser Schritt leitete den Untergang der Russischen<br />
Avantgarde ein, die ohne die Protektion von höchster Ebene schnell aus dem<br />
offiziellen Kulturleben verdrängt wurde. 1932 wurde auf dem Allunions-Kongreß<br />
des Sowjetischen Schriftstellerverbandes der Sozialistische Realismus ins Leben<br />
gerufen, der die Ausrichtung sowjetischer Kulturschaffender <strong>für</strong> die nächsten zwei<br />
Jahrzehnte bestimmen sollte 29 .<br />
Die Mechanismen und ästhetischen Prinzipien der neuen Richtung in der<br />
Staatskunst der UdSSR sind hinlänglich bekannt und müssen deshalb hier nicht<br />
weiter ausgeführt werden. Für den Trickfilm bedeuteten sie eine Abwendung vom<br />
experimentellen Geist der frühen Filme, eine Aufgabe der Methoden, die von<br />
graphisch überzeugenden Bildfindungen im Stil der Avantgarde bis zum Einbinden<br />
experimenteller Musik reichten – von weitergehenden Experimenten, wie etwa des<br />
Gezeichneten Tons (Рисованный звук) 30 , ganz zu schweigen. 1935 sandte Walt Disney<br />
29 Für den genauen Wortlaut der Erklärung, die ein breites Echo in der Presse fand, s. z.B. Richard<br />
Taylor und Derek Spring [Eds.]: Stalinism and Soviet Cinema, New York, Routledge, 1993.<br />
30 Zum Phänomen des „Рисованный звук“ siehe das von С. Богусловский verfaßte gleichnamige<br />
Kapitel im Sammelband „Мультипликационный фильм“ Москва:, Кинофотоиздат, 1936, p. 276 –<br />
286. Die Idee des „gezeichneten Tons“, also der Generierung von Ton zum Film durch Zeichnungen<br />
22
eine Filmrolle mit Mickey-Mouse-Kurzfilmen auf das Moskauer Filmfestival, die mit<br />
Begeisterung aufgenommen wurde. Fjodor Khitruk, damals gerade ans Studio<br />
gekommen und noch ein junger, unbekannter Animator, erzählt in Otto Alders Film<br />
The Spirit of Genius 31 beeindruckend, wie er fast betäubt aus der Vorstellung kam und<br />
sich die ungeheuren Möglichkeiten ausmalte, die entstünden, würde man auch in<br />
der Sowjetunion im Disney-Stil animieren. Er war nicht der Einzige, dem Disneys<br />
Art zu animieren als das nonplusultra vorkam. Im Laufe des Jahres wurden im<br />
Kultusministerium neue Richtlinien <strong>für</strong> den zukünftigen sowjetischen Trickfilm<br />
ausgegeben, die als erstes die Auflösung der einzelnen, unabhängigen<br />
Trickfilmabteilungen und die Gründung eines zentralen Studios, des<br />
„Sojuzdetmul’tfil’mstudios“ – übersetzt „Vereinigtes Kindertrickfilm-Studio“,<br />
vorsah. Die Ausrichtung auf Kinderfilme wurde damit bereits im Namen des Studios<br />
festgeschrieben, und auch wenn die Silbe „det“ bereits 1936 aus dem Namen<br />
verschwand, blieben die ideologischen Vorgaben und die Erwartungen, die an die<br />
dort produzierten Filme gestellt wurden, die gleichen. Das neugegründete Studio<br />
wurde auf die Schaffung von Filmen getrimmt, die die runden, fließenden<br />
Bewegungen Disney’scher Charaktere und seine „naturalistische“ Art der<br />
Körperbewegung und -animation aufnahmen, und die dementsprechend<br />
auf der Tonspur, wurde in Russland zum ersten Mal im Herbst 1930 aufgebracht. Der Petersburger<br />
Tonregisseur A.M. Avraamov beginnt im Kinofotoinstitut eine Versuchsreihe zur „ornamentalen<br />
Animation des Tons“ (работа по орнаментальной мультипликации звука, p.277). Bis 1934 arbeiten<br />
neben Avraamov noch Zhelinskij und Voinov an dem Problem. Im Laufe der Zeit stoßen Jankovskij<br />
und Samoilov zu der Gruppe, die ihre eigenen Apparate und Prozeduren zur Übertragung von<br />
Zeichnungen auf die Tonspur mitbringen. Die Gruppe arbeitet auch mit dem Petersburger<br />
Konservatorium zusammen, dessen Leiter Rimskij-Korsakov an dem Problem sehr interessiert ist. Im<br />
Jahr 1934 wird das Projekt allerdings eingestellt. Beispiele <strong>für</strong> Filme (in ihrer Animation den<br />
abstrakten Filmen aus Deutschland, z.B. von Fischinger, ähnlich), die von diesem Kollektiv<br />
geschaffen wurden, sind „Музыкальный момент“ (nach Musik von Schubert) und „Прелюд до-диез<br />
минор Рахманинова“. Die Bemühungen der sowjetischen Forscher auf diesem Gebiet blieben<br />
weitgehend unbekannt, was zum einen damit zusammenhängt, dass die Filme mit der Etablierung<br />
des Sozialistischen Realismus nicht mehr gezeigt wurden bzw. als Beispiel <strong>für</strong> ein falsches<br />
Kunstverständnis hingestellt wurden (vgl. hierzu z.B. Ginsburg 1955, S. 399), zum anderen die<br />
Gruppe während der Zeit ihres Bestehens nicht international publizierte. „Нельзя не жалеть о том,<br />
что до сих пор не появилось на иностранных языках изложения теории и практики советских<br />
изобретатели, что их работы не закреплены патентом в международном обращений.“<br />
(Boguslovskij 1955, p.286)<br />
31 Otto Alder, „The Spirit of Genius“, Tag/Traum-Filmproduktion, Deutschland 1998.<br />
23
ausschließlich in Zelluloidfolientechnik gefilmt wurden, mit den entsprechenden<br />
technologischen Implikationen wie Arbeitsteilung und Spezialisierung, die in den<br />
Vereinigten Staaten bereits seit Mitte des ersten Jahrzehnts des zwanzigsten<br />
Jahrhunderts angewendet worden waren.<br />
Es ist kein Wunder, daß mit der Festigung des Stalin’schen Regimes und den immer<br />
enger werdenden Vorgaben und Einschränkungen in allen Lebensbereichen auch der<br />
Trickfilm in der Sowjetunion seine ursprüngliche Innovationskraft verliert. So wie<br />
die feinen und eleganten Gebäude der Moskauer Avantgarde von den grob-<br />
imposanten, pastellfarbenen und mit Türmchen und Erkern verzierten „7<br />
Hochhäusern“ abgelöst und das Stadtbild radikal verändert wurde, wandelte sich<br />
auch das Bild, das sich die Kulturfunktionäre vom Medium Trickfilm machten. Als<br />
Walter Benjamin 1927 nach Moskau kam, fand er in der Stadt überall Anzeichen <strong>für</strong><br />
den Beginn der Verwirklichung des sozialistischen Projekts. 32 In seiner Skizze über<br />
Moskau, die er nach seiner Rückkehr zu Papier brachte, beschreibt er das Leben in<br />
der Hauptstadt der Sowjets ähnlich, wie er Disney-Filme charakterisiert. 33 „A<br />
disorienting, crowded ride in a bus demonstrates how the world-historical<br />
experiment in the new Russia rests on the ‚complete interpenetration of technical and<br />
primitive modes of life‘. Such interpenetration reinvents along new lines and maybe<br />
better lines. Russia [und in diesem Sinne mit den eingangs erwähnten Cartoonwelten<br />
Disneys zu vergleichen, T.L.] is a place that generates a curios tempo and sets for its<br />
peasant population a new rhythm. Benjamin is convinced of the rightness of Charles<br />
Fourier’s utopia – essentially an improved nature of lemonade seas, extra moons and<br />
anti-lions. This utopia, he says, Marx recognized and Russia has begun to implement<br />
– but only begun.“ 34 Wie dann unter der heraufziehenden Diktatur Stalins nur ein<br />
paar Jahre später dem Alltag der revolutionäre Elan ausgeht, verpufft auch der<br />
32<br />
Walter Benjamin, One-Way Street and other Writings, London: New Left Books, 1979, p. 190<br />
passim.<br />
33<br />
Cf. e.g. Walter Benjamin, „Erfahrung und Armut,“ in: Gesammelte Schriften Bd. II.1, Frankfurt a.<br />
M.: Suhrkamp, 1977, p. 218-219.<br />
34<br />
Esther Leslie, Hollywood Flatlands: Animation, Critical Theory and the Avant-Garde. London,<br />
New York: Verso, 2002, p. 86.<br />
24
innovative Charakter des frühen sowjetischen Trickfilms, und die<br />
Trickfilmpersonagen werden, genau wie ihre menschlichen Gegenüber auch, in<br />
Formen gegossen, die ihrem Charakter wenig entsprechen. Im Gegensatz zu Mickey,<br />
dem zitierten Vorbild dieser Oktroyierung des neuen Stils, dieser Maus, die laut<br />
Benjamin soziale Mißstände hervorhebt und die Realität zum Vorteil der Bewohner<br />
der Cartoonwelten verdreht, sind die Personen der sowjetischen Trickfilme in den<br />
kommenden zwei Jahrzehnten nur dazu da, die herrschenden Umstände zu<br />
bestätigen. Mit dem Vorbild hat ein solches Vorgehen nur noch wenig gemein, denn<br />
tatsächlich verspottete Mickey Mouse ja die herrschenden Verhältnisse einer<br />
technologisierten Welt, ein Zug, der seinen offiziellen sowjetischen Be<strong>für</strong>wortern<br />
wohl verborgen blieb. „The films turn technical invention back into a feat of nature.<br />
In so doing they oblige audiences to confront how technology rules over them as a<br />
second nature.” 35 Von daher erscheint es auch einigermaßen unehrlich, wenn sich die<br />
Protagonisten dieses Unterfangens, allen voran Ivan Ivanov-Vano, später fragen, wie<br />
sie den Idealismus und Schwung der ersten Jahre, während der sie in improvisierten<br />
Studios ihr Handwerk lernten, mit dem drögen Alltag eines industrialisierten<br />
Großstudios, wie es Sojuzmul’tfil’m seit Mitte der Dreißiger Jahre geworden war,<br />
austauschen konnten. 36<br />
Auch einem weiteren Moskaureisenden dieser Zeit, Lion Feuchtwanger, fiel der<br />
eklatante Unterschied zwischen Verheißung und Wirklichkeit auf:<br />
„Ich habe schon davon gesprochen, wie dürftig man in Moskau wohnt, wie<br />
aneinander gepfercht. Aber der Moskauer begreift, daß man im Bezug auf das<br />
Bauwesen nach dem Prinzip vorgeht: zunächst <strong>für</strong> die Allgemeinheit und dann erst<br />
<strong>für</strong> den Einzelnen, und die Stattlichkeit der öffentlichen Gebäude und Anlagen bietet<br />
ihm eine gewisse Entschädigung. Die Klubs der Arbeiter und Angestellten, die<br />
Bibliotheken, die Parks, die Sportplätze, das alles ist weit, behaglich, die öffentlichen<br />
35 Ester Leslie, Hollywood Flatlands: Animation, Critical Theory and the<br />
Avant-Garde. London, New York: Verso, 2002, p.86<br />
36 Иван Петрович Иванов-Вано, Кадр за кадром, Москва: Искусство, 1980<br />
25
Gebäude sind repräsentativ, und infolge der durchgeführten Elektrifizierung strahlt<br />
Moskau des Nachts so hell wie nur irgend eine Stadt der Welt. Das Dasein des<br />
Moskauers aber spielt sich zum großen Teil in der Öffentlichkeit ab; er liebt das<br />
Straßenleben, hält sich gern in seinen Klubs und Versammlungsräumen auf, er ist ein<br />
leidenschaftlicher Debattierer und diskutiert lieber, als daß er still <strong>für</strong> sich meditierte.<br />
Daß seine Klubs angenehme Räume haben, macht ihm seine unschöne private<br />
Häuslichkeit erträglicher. Vor allem tröstet ihn über seine häßliche Wohnung das<br />
Versprechen hinweg: Moskau wird schön.“ 37<br />
Die tatsächliche Problematik aber, die sich hinter diesem Ansatz verbirgt,<br />
zunächst <strong>für</strong> die Allgemeinheit zu produzieren, wie Feuchtwanger das beschreibt,<br />
und der meiner Ansicht auch der wahre Grund <strong>für</strong> die komplette Ausrichtung der<br />
sowjetischen Filmproduktion auf die „Cel Technique“ war, wird deutlicher, wenn<br />
man Shamus Culhanes Frustration begegnet, die er in einem gleichnamigen Artikel<br />
erläutert: Nachdem er 1988 eine Zusammenstellung von Filmen des National Film<br />
Board of Canada gesehen hatte, wurde er sich klar, „how totally restrictive,<br />
constrictive and dulling to freedom of expression the cel system has been. What a<br />
shock was it to realize that I have never enjoyed the excitement of making an entire<br />
film myself.“ 38 Genau darin lag aber in den Augen der Kulturfunktionäre zu Beginn<br />
der (Geschmacks-)Diktatur Stalins der Vorteil dieser Methode: Die hochindividuellen<br />
und letztendlich nicht kontrollierbaren Experimente der frühen Pioniere zu<br />
überführen in ein vom einzelnen Künstler abgekoppeltes Gesamtwerk, das in seinen<br />
einzelnen Stadien erstens von außen besser zu überwachen war und zweitens den<br />
Beteiligten weniger Möglichkeiten bot, als Einzelperson in Erscheinung zu treten 39 .<br />
Dementsprechend waren geistige Werke aller Art in der Sowjetunion bis 1973 auch<br />
Teil des allgemein zugänglichen öffentlichen Kulturgutes und nicht durch Copyright<br />
37<br />
Lion Feuchtwanger, Moskau: Ein Reisebericht, Amsterdam: Querido, 1937, p. 30<br />
38<br />
Shamus Culhane, Frustration, in: John Canemaker (Ed.), Storytelling in Animation, Los Angeles,<br />
The American Film Institute, 1988, p. 40.<br />
39<br />
Zur kollektiven ästhetischen Überformung des sowjetischen Lebens unter Stalin cf. auch Boris<br />
Groys, Gesamtkunstwerk Stalin, Die gespaltene Kultur in der Sowjetunion, München: Hanser, 1988.<br />
26
und damit als geistiges Eigentum einer einzelnen Person geschützt. Der Künstler als<br />
Arbeiter am geistigen Wohl des gesamten Volkes trug so sein Scherflein zum<br />
Kulturleben des Staates bei, der ihn bezahlte.<br />
Unter diesem Gesichtspunkt der erzwungenen Kollektivisierung erscheint die<br />
Aussage von der Hypnose, unter der alle Trickfilmschaffenden der Sowjetunion nach<br />
Betrachtung der Mickey-Mouse-Filmrolle auf dem Moskauer Filmfestival gefallen<br />
seinen, wie sie Ivan Ivanov-Vano in seiner Autobiographie Кадр за кадром schildert,<br />
zumindest fragwürdig. Er benennt sogar ein ganzes Kapitel seines Buches nach dem<br />
Phänomen: „Под гипнозом Диснея“. Obwohl natürlich wie überall auf der Welt in<br />
diesen Jahren Disney einen nicht zu unterschätzenden Einfluß ausübte, ist doch nur<br />
schwer vorstellbar, daß Ivanov-Vano oder Mikhail Cekhanovskij, ein anderer höchst<br />
erfolgreicher Regisseur aus der Zeit vor der Gründung des Soyuzmul’tfil’mstudios,<br />
sich ohne Druck von oben sang- und klanglos von ihrem früheren Stil abgewendet<br />
hätten, zumal Ivanov-Vano schnell zu einer der wichtigsten Persönlichkeiten in der<br />
Kulturpolitik und zum Gründer des Lehrstuhls <strong>für</strong> Animation an der 1919<br />
gegründeten <strong>Staatliche</strong>n Filmhochschule avancierte. Es gibt auch zu denken, daß sich<br />
eine Reihe wichtiger Regisseure, wie Nikolaj Khodataev, Zenon Kommissarenko<br />
oder Jurij Merkulov, aus dem Trickfilm zurückzogen und sich der Buchillustration<br />
oder der Malerei widmeten.<br />
Die Prinzipien der Formensprache, die von nun an galten, und die diejenigen<br />
Disneys aufnahmen und intensivierten, sollten den Charakter der sowjetischen<br />
Animation bis in die Mitte der sechziger Jahre bestimmen. Wie sie von Mickey<br />
Mouse gelernt hatten, beschränkten sich die sowjetischen Animatoren von nun auf<br />
runde Formen, fließende, „realistische“ Bewegungen, eine anatomisch genaue<br />
Wiedergabe von Körperbewegungen und eine ebensolche plastische Ausarbeitung<br />
von Körpervolumina. Dementsprechend wurden die Hintergründe naturalistisch<br />
angepaßt, um die Illusion der „Realität“ noch umfassender zu machen. Im Gegensatz<br />
zum Studio Disneys aber, von dem zwar auch bekannt ist, daß den Animatoren (z.B.<br />
<strong>für</strong> Bambi) Studien an echten Tieren aufgetragen, die Zeichnungen dann aber vom<br />
27
leeren Blatt geschaffen wurden, setzte sich in Rußland die „эклер“ (von französisch<br />
éclairer; erleuchten, erhellen) getaufte Methode durch, zunächst Schauspieler die<br />
benötigten Bewegungen durchführen zu lassen, sie dabei zu filmen, und dieses<br />
Filmmaterial dann Filmbild <strong>für</strong> Filmbild auf den Zeichentisch zu projizieren, dem<br />
Animator also gewissermaßen nur die Übertragung der Phasen auf Zelluloid zu<br />
überlassen. Damit sollte eine ebensolche fotographische Genauigkeit im Trickfilm<br />
erreicht werden, wie sie die Malerei der Zeit zeigte. Daß dieses Ziel natürlich<br />
aufgrund der anderen technischen Gegebenheiten des Mediums Trickfilm schon von<br />
vornherein zum Scheitern verurteilt war, schien die Verfechter des Sozialistischen<br />
Realismus wenig zu interessieren, überwogen doch die oben bereits geschilderten<br />
ideologischen Vorteile.<br />
Die Ausrichtung des Trickfilms dieser Jahre auf eine Art künstlicher Welt steht<br />
allerdings im klaren Gegensatz zum Spielfilm, der <strong>für</strong> eben jene Verheißung, daß das<br />
sowjetische Leben schön werden würde, von der Propaganda instrumentalisiert<br />
wurde, wie eine soeben erschienene, exzellente Untersuchung von Janina Urussova<br />
zeigt. Man träumte von Moskau als einer „holden Stadt des Sozialismus, die nie<br />
komplett errichtet werden konnte, und deren Existenz trotzdem nicht zu bezweifeln<br />
ist“ 40 . Es ist die „Geschichte einer Kopfgeburt“, die auch deshalb ins öffentliche<br />
Bewußtsein überging, weil sie sich nicht nur auf Beton als Baumaterial beschränkte,<br />
sondern auch noch Zelluloid benutzte. Wo der Umgestaltung der Gesellschaft und<br />
der Architektur zeitliche und physische Grenzen gesetzt waren, wurde sie auf der<br />
Leinwand vorweggenommen – die Mosfil'mstudios, das Hollywood des Ostens, als<br />
Propagandamaschine gegründet, trugen damit ihren Teil zur Realisierung der<br />
sozialistischen Idee bei. Beim Trickfilm hingegen läßt sich ein genau<br />
entgegengesetztes Moment beobachten. Hier geht es nicht darum, eine neue heile<br />
Welt vorwegzunehmen, sondern mit Rückbezügen auf eine alte heile Welt die<br />
Unbilden der Gegenwart zu übertünchen. Mit der klaren Ausrichtung auf<br />
40<br />
Janina Urussowa, Das neue Moskau: Die Stadt der Sowjets im Film 1917 – 1941, Wien: Böhlau,<br />
2004, p. 19<br />
28
Volksmärchen und Tierfabeln, ihre Umsetzung im unverfänglichen und lebensnahen<br />
Stil des bereits erwähnten Éclair wurde eine kindliche Gegenrealität verordnet, die<br />
belangloser nicht sein könnte.<br />
Dementsprechend zeichnen sich die wenigen aus der Masse herausragenden<br />
Filme, die während der Zeit des Stalinistischen Realismus entstanden, dadurch aus,<br />
daß sie sich sowohl vom Fabelcharakter als auch von der gängigen Stilisierung<br />
soweit als möglich absetzen. Wenn man die oben beschriebenen Einschränkungen<br />
beachtet, aus deren Korsett auch diese Filme nicht komplett ausbrechen konnten,<br />
gibt es eine Reihe von Werken, die sich in erzählerischer und künstlerischer Qualität<br />
vom Großteil der im Éclair-Stil produzierten Filme unterscheiden.<br />
Ein Beispiel ist der von den Brumberg-Schwestern gedrehte Film „Fedja Zaitsev“<br />
(„Федя Зайцев“, 1948, Abb. 43). Die Geschichte des Films ist eher ermüdend: Ein<br />
Schuljunge, Fedja, kritzelt ein Strichmännchen an die Wand des Korridors und sieht<br />
zu, wie ein anderer da<strong>für</strong> bestraft wird. In der Nacht erwacht das Männchen aber<br />
zum Leben, läuft zu Fedja in die Wohnung und quält ihn so lange, bis er am nächsten<br />
Tag vor versammelter Klasse sein Vergehen eingesteht. So weit, so erzieherisch<br />
wertvoll. Was den Film aber interessant macht, ist eben jenes Männchen, das von<br />
allen physikalischen Gesetzen unabhängig durch den Film tollt. Hier kommt hin und<br />
wieder eine Ahnung davon auf, zu was Trickfilm eigentlich fähig wäre – auf der<br />
anderen Seite wird aber auch sichtbar, welche Beschränkungen sich die sowjetischen<br />
Animatoren selbst auferlegen. Felix the Cat oder ein character von Tex Avery z.B. hätte<br />
die Entfernung zwischen Boden und Fedjas Fenster mit einem Sprung bewältigt und<br />
dabei noch Pirouetten geschlagen, ein nüchternes Strichmännchen sowjetischer<br />
Prägung, sich seiner pädagogischen Wirkung immer bewußt, läßt sich zu solchen<br />
Eskapaden aber nicht hinreißen, sondern steigt konservativ eine Treppe hinauf, auch<br />
wenn die nur auf die Hauswand gezeichnet ist.<br />
Auch der Film „Der Waschtisch“ („Мойдодыр“, 1939, Abb. 77) von Ivan<br />
Ivanov-Vano überzeugt durch die Qualität seiner Animation. Als Vorlage dient ein<br />
Gedicht des berühmten Kinderbuchautors Sergej Mikhalkov, das vom Dreckspatzen<br />
29
erzählt, der eines Morgens aufwacht und so schmutzig ist, daß nicht nur seine<br />
Kleidung, sondern auch seine Spielsachen und sein Frühstück vor ihm davonlaufen.<br />
Die Geschichte bringt also genug Absurdität und Dynamik mit, um den Animatoren<br />
Gelegenheit zu geben, ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen: Da hüpfen die Bälle<br />
durcheinander, da klappern die Bauklötze übereinander, da springt der Teddybär<br />
ins Modellboot und fährt mit ihm davon, die Hose flüchtet auch und versteckt sich<br />
im Schrank – ein Tohuwabohu, daß ein wahrer Augenschmaus ist. Als nächstes hat<br />
der Waschtisch seinen Auftritt, der dem Film seinen Titel gibt – ein mächtiges Ding<br />
aus Holz und Email, das sich vor dem Jungen auftürmt und mit donnerndem Baß<br />
singt: „Ich bin der große Waschtisch, der Kommandeur der Waschlappen!“ Die<br />
Waschlappen, flankiert von allerlei Bürsten und Seifenstücken, kommen daraufhin<br />
auch gleich ins Zimmer marschiert und verpassen dem Jungen ein Bad, das es nur so<br />
schäumt. Und siehe da: Kaum ist der Schmutzfink zum Saubermann geworden,<br />
kommen auch schon alle seine Spielsachen und Kleidungsstücke zu ihm zurück…<br />
Die Geschichte, obwohl einfach gestrickt, besticht durch ihre Eleganz und die<br />
Souveränität der Umsetzung und Animation, womit der Film sicherlich eines der<br />
Meisterwerke jener Epoche ist.<br />
Das der Großteil der in der Zeit vor 1961 entstanden Filme damit eben nicht<br />
glänzen können, sei noch kurz an zwei Negativbeispielen dargelegt, die zwar aus<br />
heutiger Sicht schon wieder einen ganz eigenen, fast schon surrealen Charme<br />
entfalten, im Vergleich zu den oben genannten Filmen jedoch sowohl künstlerisch als<br />
auch erzähltechnisch augenfällig geringerer Qualität sind.<br />
Der Film „Путешествие в страну великанов“ („Die Reise ins Land der<br />
Riesen“, 1947) von Regisseur Dmitrij Babichenko erzählt die Geschichte von zwei<br />
kleinen Kindern, die nachts im Traum 41 mit dem Zug aus ihrem Märchenbuch ins<br />
Land der Riesen fahren, das wenig subtil zu Beginn aus der Vogelperspektive gezeigt<br />
41 Der Traum als Mittel der Auslagerung zu unrealistischer, oder besser, der Zensur als zu<br />
unrealistisch oder zu kritisch erscheinenden Sachverhalte im sowjetischen Trick- wie auch Spielfilm<br />
wäre eine eigene Untersuchung wert. Man denke hier vor allem an Ptushkos „Neuen Gulliver“,<br />
Protazanovs „Aelita“ oder an Petrovs „Мореплавание Солнышкина“.<br />
30
wird und die Umrisse der Sowjetunion hat. In diesem Land der Riesen finden die<br />
beiden dann nichts als Hüttenwerke und Kohlegruben vor – ohne Zweifel ein<br />
hervorragendes Thema <strong>für</strong> einen Kinderfilm, in seiner Wirksamkeit noch gesteigert<br />
vom immer wiederkehrenden Refrain des Begleittextes: „Нужен уголь и метал!“<br />
(„Wir brauchen Kohle und Metall!“). Natürlich schicken sich die beiden am Ende an,<br />
in der Schwerindustrie zu arbeiten, wenn sie groß sind – gute sowjetische Jungs<br />
eben. Daß einem solchen Film wenig Erfolg beim Publikum beschieden war, versteht<br />
sich von selbst – unserer These vom Korsett, das dem Trickfilm während dieser Jahre<br />
übergestülpt wurde, dient er aber zur treffenden Illustration.<br />
Zu einer Zeit, als in Amerika die UPA und in Kanada Norman McLaren schon<br />
lange gegen die Disney-Ästhetik zum Sturm geblasen hatten, drehte Lamis Bredis<br />
„Скорая помощь“ („Erste Hilfe“, 1949). Мистер Удав, Mister Schlange, kommt auf<br />
einem mit Blumen dekorierten Panzer ins Land der Hasen und Igel gefahren und<br />
verspricht jedem Hasen sieben neue Felle. Voraussetzung ist, daß die Hasen ihre<br />
alten Felle erstmal abgeben. Gegen den Rat der Igel sind die Hasen auch gleich Feuer<br />
und Flamme und steigen aus ihren Fellen (eine herrlich surreale Szene). Der<br />
kapitalistische Mister Schlange aber schützt Lieferschwierigkeiten vor, hält die Hasen<br />
hin und wartet geduldig den Wintereinbruch ab, um dann gnädig jedem frierenden<br />
Hasen ein neues Fell zu einem Wucherpreis abzutreten. So ist das, wenn man<br />
Kapitalisten vertraut!<br />
Der Film kam nicht in den Verleih, wohl weil man seine Handlung dann doch<br />
zu unsinnig fand 42 , und er illustriert aufs beste die kritiklose Übernahme der<br />
Disney’schen Animationsprinzipien, wie sie während dieser Zeit gang und gäbe war.<br />
Es ist also aus heutiger Sicht nicht nur die Geschichte, die, gelinde gesagt, ziemlich<br />
gewagt erscheinen muß, die Ästhetik des Films ist auch im Vergleich mit den oben<br />
erwähnten Einflüßen, die inzwischen den Trickfilm im Rest der Welt wieder von<br />
Disneys Einfluß befreit hatten, hoffnungslos veraltet. Der Film eignet sich aus diesem<br />
42<br />
Diese Vermutung äußert G. Borodin in seinem Artikel „Скорая помощь“, Киноведческие Записки<br />
№ 52, p. 295 passim.<br />
31
Grund besonders zum Abschluß eines Überblicks über die schwierigen Jahre unter<br />
der Ägide Stalins und seiner ästhetischen Vorlieben, deren Vorherrschaft erst mit<br />
Khitruks „История одного преступления“ („Die Geschichte eines Verbrechens“,<br />
Abb. 46 und 47) 1962 ihr Ende finden sollte. Vor seinem Hintergrund wird das<br />
einschneidende Potential der Neuerungen der Filme aus den Sechziger Jahren noch<br />
deutlicher, die die ästhetischen Normen der sowjetischen Trickfilmproduktion<br />
gänzlich umschrieben und ihren Anschluß an die internationale Szene wieder<br />
ermöglichten.<br />
32
Ahnengalerie<br />
Das Studio Sojuzmul’tfil’m von 1960 bis 1990<br />
Глубоко убежден, что любой мультипликационный фильм —<br />
это поэзия в большой литературе кинематографа.<br />
У нас с поэтами общий строительный материал —<br />
лаконизм, точность замысла, гипербола, метафора, ритм.<br />
Вадим Курчевский 43<br />
Auf dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 hielt Nikita Khrushhev eine Rede, die das<br />
politische Klima in der Sowjetunion grundlegend verändern sollte. Sein Vortrag „О<br />
культе личности и его последствиях“ („Über den Personenkult und seine Folgen“)<br />
zählte erbarmungslos alle die Mißbräuche und Verfehlungen auf, die die<br />
Konzentration der Macht in Stalins Händen mit sich gebracht hatte. Diese Liste<br />
brachte das bereits lange schwelende Unbehagen mit der Situation im Land seit dem<br />
Krieg zum Vorschein 44 . „В целом, послевоенная идейно-политическая обстановка<br />
не была вполне благоприятной. Распространение получили догматизм и<br />
цитатничество. Критерием истины становились высказывание<br />
руководителей.“ 45 Dementsprechend folgte eine Periode des Tauwetters<br />
(„оттепель“), die dem mit dem Erstickungstod ringenden sowjetischen Kulturleben<br />
einen ordentlichen Schub Frischluft verschaffte. „На смену тоталитарной<br />
43 Вадим Владимирович Курчевский, Изобразительное решение мультипликационного<br />
фильма. О природе гротеска и метафоры, Москва: ВГИК, p. 4.<br />
44 Die Veränderungen in der politischen Situation der Sowjetunion spiegeln sich augenscheinlich<br />
auch im Archiv der Diplomarbeiten am VGIK wieder. Das Archiv beinhaltet die Abschlußarbeiten der<br />
Filmwissenschaftlichen Fakultät seit 1951. Während diese frühen Arbeiten wie erwartet mit dem<br />
Pathos der Stalinzeit daherkommen (etwa L. Zhigapovas Arbeit „Die Rolle Josef Stalins in unseren<br />
Filmen über den Großen Vaterländischen Krieg“ von 1953), lockern die Themen während des<br />
„Tauwetters“ merklich auf und wenden sich Fragen zu, die von tatsächlichem Interesse sein können<br />
(z.B. B. Anishevs „Animation als Mittel der Welterkenntnis“ von 1972). Unter Brezhnev friert die<br />
Krushhev’sche Offenheit wieder ein, was auch die Diplomthemen zeigen (I. Prijanovskij: „Die Rolle<br />
von Arbeitern und Bauern im Sowjetischen Dokumentarfilm“, 1976), und mit der Perestroika können<br />
zum ersten Mal auch Themen behandelt werden, über die zu schreiben bis dahin unmöglich gewesen<br />
wäre (A. Korsovatov: „Das gemalte Bild in den Filmen Andrej Tarkovskijs“, 1989). So wird das<br />
Studienfeld zum Spiegel der Geschichte des Landes.<br />
45 В.А Глуздов et al., Культурология, Москва: Высшая школа, 2003, p. 129.<br />
33
идеологии, характеризующейся коллективным сознанием, приходит период<br />
оттепели.“ 46<br />
Die Stalin-Zeit mit all ihren Absurditäten und ihrer allgegenwärtigen Paranoia<br />
hinterließ auch im Studio Sojuzmul’tfil’m tiefe Wunden 47 – tatsächlich benötigte der<br />
russische Animationsfilm noch gut ein Jahrzehnt, bis er sich aus der Umklammerung<br />
des Éclair und des Sozialistischen Realismus zu lösen vermochte. Einen Einblick in<br />
diesen Prozeß, Bendazzi nennt ihn ein „timid renewal“ 48 , gibt der Sammelband<br />
„Fragen der Filmkunst“ 49 , 1955 herausgegeben von der Akademie der<br />
Wissenschaften der UdSSR. Während die Aufsätze sich mit allen möglichen Sparten<br />
auseinandersetzen, ist <strong>für</strong> unser Thema besonders Sergej Ginsburgs Abhandlung<br />
„Советская мультипликация в борьбе за реализм“ wichtig, die den schmerzhaften<br />
Charakter des Wandlungsprozesses nach Stalins Tod, wie ihn die Beteiligten<br />
empfunden haben müssen, widerspiegelt.<br />
Auf der einen Seite gibt sich Ginsburg überzeugt, daß der Trickfilm, wie er<br />
während der vergangenen zwei Jahrzehnte Usus gewesen war, vor allem der<br />
moralischen Erbauung und der pädagogischen Einflußnahme auf Kinder diene.<br />
„Мастера рисованного фильма поняли [sic!], что их искусство не имеет задач,<br />
отличных от задач других искусств, что оно должно объяснить жизнь,<br />
способствовать утверждению новой, коммунистической морали“ 50 . Auf der<br />
anderen Seite kann er aber im selben Text bereits die offensichtlichen Mängel der<br />
bisherigen Trickfilmproduktion mit ihrer fast ausschließlichen Anwendung der<br />
Éclair-Methode anprangern: „Самый большой вред, который принесло советской<br />
мультипликации некритическое отношение к приему перерисовки, состоит в<br />
46 Наталья Геннадьевна Кривуля, Лабиринты анимации. Исследование художественного<br />
образа российских анимационных фильмов второй половины ХХ века. Москва: Грааль, 2000,<br />
p. 12.<br />
47 Cf. etwa die widersinnige Kosmopolitismus-Debatte im Studio Ende der vierziger Jahre;<br />
dokumentiert von G. Borodin in „Как боролись с ‚космополитам‘ на Союзмультфильме“,<br />
Киноведческие записки №52, 2001, p. 191 et passim.<br />
48 Giannalberto Bendazzi, Cartoons, Bloomington: Indiana University Press, 1995, p. 177.<br />
49 Академия Наук СССР [Ed.], Вопросы киноискусства, Москва: Искусство, 1955.<br />
50 Сергей Гинзбург, „Советская мультипликация в борьбе за реализм“, in: Академия Наук СССР<br />
[Ed.], Вопросы киноискусства, Москва: Искусство, p. 409.<br />
34
том, что часть режиссеров забыла о своеобразие искусство рисованного фильма,<br />
стала видеть в рисованном фильме некий суррогат фильма игрового.<br />
Показательным в этом отношении примером является постановки фильма<br />
‚Каштанка‘.“ Ginsburg hat natürlich recht, wenn er Cekhanovskijs Film als ein<br />
negatives Beispiel <strong>für</strong> einen in Éclair-Technik gedrehten Film heranzieht, gleichzeitig<br />
ist aber Cekhanovskij auch jener Regisseur, an dessen Beispiel die fast schon<br />
schizophrene Verwandlung der ästhetischen Vorgaben, die Trickfilmkünstler<br />
während der stalinistischen Periode des Sozialistischen Realismus mitmachen<br />
mußten, am augenscheinlichsten illustriert werden kann.<br />
Cekhanovskij hatte, nachdem ihm Mitte der Dreißiger Jahre die Vollendung<br />
seines fast fertiggestellten Films „Сказ о Попе и работнике его Балде“ („Die<br />
Geschichte vom Popen und seinem Diener Balda“, 1930, Abb. 104 – 105) 51 verboten<br />
wurde, weil er nicht „sowjetisch“ genug sei, komplett umgeschwenkt und seinen<br />
bisherigen, hochindividuellen Stil von einem Tag auf den anderen aufgegeben.<br />
Nachdem er anschließend zwanzig Jahre lang aufs genaueste den Regeln des Éclair<br />
gefolgt war und seine Personagen nachzeichnen ließ 52 , ja manchmal sogar Charaktere<br />
seiner Trickfilme physiognomische Ähnlichkeit mit ihren realen Vorbildern gab (z.B.<br />
sind die Alten im Film „Сказка о рыбаке и о рыбке“ den Schauspielern B. Chirkov<br />
und A. Zueva wie aus dem Gesicht geschnitten [vgl. Ginsburg 1955, S. 396]), muß er<br />
sich genau diesen Umstand jetzt vorwerfen lassen. Es ist wenig verwunderlich, daß<br />
Cekhanovskij verbittert in den Ruhestand geht. Beredt gibt sein Tagebuch über seine<br />
Frustration Auskunft: „Так, перечитывая в 1946 г. свои дневники времен работой<br />
51 Dieser Film ist, zusammen mit z.B. Berthold Bartoschs „L'idée“, einer jener Filme aus der<br />
Kategorie der „nichtexistenten Filme mit durchschlagender Wirkung“. Die etwa 700 Meter, die<br />
bereits gedreht waren, verbrannten im Zweiten Weltkrieg, das einzige erhaltene Stück ist etwa 60<br />
Meter lang. Ebenso wie Bartoschs nie fertiggestellter Film versprach er ein Meisterwerk zu werden.<br />
Auch Jurij Norshtejns „Der Mantel“, seit fast 20 Jahren in Produktion und doch nur in Teilen<br />
fertiggestellt, gehört in diese Gruppe. Erstaunlicherweise haben diese Filme, obwohl nur einige<br />
wenige Frames aus ihnen bekannt sind, auf Generationen von Trickfilmkünstlern Einfluss ausgeübt -<br />
ein Umstand, der eine eigene Untersuchung wert wäre.<br />
52 Fjodor Khitruk berichtet von einer Begebenheit, in der er Cekhanovskij bat, eine ihm zugeteilte<br />
Stelle frei animieren zu dürfen. Cekhanovskij lehnte rundweg ab, es müsse abgezeichnet werden.<br />
Khitruk gab scheinbar nach, zeichnete aber dennoch stillschweigend frei – ohne das Cekhanovskij es<br />
merkte. Persönliches Gespräch mit dem Autor, Februar 2004.<br />
35
над ‚Почтой‘ и ‚Пасификом‘, Цехановский дополнил их следующей записью:<br />
‚Совсем, совсем другое отношение к работе, чем 15 лет назад. Ничего ‚нового‘ и<br />
‚замечательного‘ я делать и не помышляю.“ 53 In diesem Sinne ist Cekhanovskij<br />
sicherlich als eines der Opfer der sowjetischen Kulturpolitik anzusehen, dessen<br />
Talent im Wirrwarr der Ideologien verpuffte – ein Umstand, über den sich Ginsburg<br />
(auch das ist verständlich) allerdings lieber ausschweigt, den Asenin aber drei<br />
Jahrzehnte später zumindest andeutet: „Анализируя сегодня роль и значение<br />
этого нововведения [i.e. die Éclair-Technik], зная сто последствия и подходя к<br />
этому объективно, следует отметить и положительные и отрицательные<br />
моменты. Несомненно, чёткая дифференциация функции режиссера и<br />
художника, введение узких специальностей […] значительно ускорял создание<br />
фильмов, позволяя сделать движение мультперсонажей гибче, динамичнее, не<br />
говоря уже о том, что стоимость фильма, сделано на конвейере, значительно<br />
снизалась. […] В то же время применение конвейера нивелировало индивидуальный<br />
почерк художника [Hervorhebung T.L.].“ 54<br />
Es wird erst seit den ideologischen Veränderungen des oben beschriebenen<br />
Tauwetters wieder möglich, eine einzelne Künstlerpersönlichkeit und, innerhalb<br />
gewisser Grenzen, seine Weltsicht in den Mittelpunkt eines Filmes zu stellen. „В этот<br />
период, ‚Я‘ художника занимает одно из центральных мест в выразительной<br />
системе фильма.“ 55 So konnten Regisseure und Künstler wieder einen individuellen<br />
Stil und eine eigenständige, persönliche Aufgabenstellung in ihre Arbeit einbringen.<br />
Das soll nicht heißen, daß von nun an nur noch Meisterwerke geschaffen<br />
wurden. Man findet auch weiterhin psychologisch brachial gehaltene Fabeln, die<br />
äußerst plakativ die vorgeschriebenen Werte <strong>für</strong> eine sozialistische Gesellschaft<br />
propagieren – etwa nach dem folgenden, sozusagen von uns aus einer Vielzahl<br />
53<br />
Михаил Цехановский, „Дыхание ветром. Дневники“, Москва: Киноведческие записки №54,<br />
p.172, 2001.<br />
54<br />
С. Асенин: Мир мультфильма. М.: Искусство, 1986. с. 46.<br />
55<br />
Зайцева, Л.А. 1991. Эволюционнирование образной системы советского фильма 60-80х<br />
годов. Москва: ВГИК.<br />
36
solcher Filme destillierten Schema: Der Igel hat einen Apfel gefunden, den er mit den<br />
anderen Tieren im Wald nicht teilen will. Daraufhin fällt er in eine Grube, aus der er<br />
sich aus eigener Kraft nicht befreien kann. Die Hasen, die allesamt dabei sind, <strong>für</strong> das<br />
Wald-Kollektiv schöne Häuser zu bauen, hören seine Rufe, als sie ihre wohlverdiente<br />
Mittagspause einlegen, und kommen mit einem Kranwagen angefahren, um ihn zu<br />
retten. Daraufhin erkennt der Igel, wie schändlich er gehandelt hat, gibt den Apfel<br />
den Hasen, die ihn brüderlich teilen, und hilft selbst beim Bau der Häuser mit. Im<br />
Schlußlied wird von allen zusammen die Kameradschaft beschworen und der<br />
Sozialismus hat wieder einmal über schädliche egozentrische Einflüsse gesiegt. Im<br />
Prinzip unterscheiden sich solche Fabeln nur dadurch von den Propagandaschinken<br />
der fünfziger Jahre, daß ihre Protagonisten Tiere sind und nicht Menschen.<br />
Dementsprechend war ihr Erfolg auch begrenzt – verständlicherweise.<br />
Abgesehen von diesen zur Planerfüllung im letzten Moment bestens geeigneten<br />
Filmen gibt es nun aber eben auch andere, die sowohl künstlerisch als auch inhaltlich<br />
tendenziell neue Wege beschritten. „Начиная с середины 50-х годов; в [анимации]<br />
происходит постепенное освобождение от давления одного преобладающего<br />
стиля, делая возможным проникновение новых тенденций в анимацию на<br />
основе неожиданных культурных обращений и преемственности.“ 56<br />
Den Stein ins Rollen brachte ein Film eines neuen Regisseurs, der allerdings<br />
bereits 25 Jahre Erfahrung als Animator mit in die Regiearbeit einbrachte.<br />
Fjodor Khitruk<br />
Es war Fjodor Khitruks Film „История одного преступления“ („Geschichte eines<br />
Verbrechens“, Abb. 46 – 47) von 1962, dessen grafische Entscheidungen „innovative<br />
56 Наталья Геннадьевна Кривуля, Лабиринты анимации. Исследование художественного<br />
образа российских анимационных фильмов второй половины ХХ века. Москва: Грааль, 2000,<br />
p. 254<br />
37
for the time and especially for Soviet animation“ 57 waren. Neben dem fur die<br />
Sowjetunion prinzipiell neuen Stil, der die Regeln Disney’scher Körperproportionen<br />
und Bewegungsabläufe weitgehend außer Acht ließ und sich ein eigenes,<br />
zeitgemäßes (weil abstrahierendes) graphisches Repertoire schaffte, war auch die<br />
Handlung ein gewagter Schritt in einen bis dahin leeren Raum. Der Film erzählt eine<br />
zeitgenössische Geschichte. Er handelt von einem kleinen Angestellten, der durch<br />
seine komplette Nachbarschaft am Schlafen gehindert wird – bis ihm der Kragen<br />
platzt und er mit seiner Bratpfanne Amok läuft.<br />
Obwohl gemeinhin dieser erste Film Khitruks als der Wegweiser und die<br />
wichtigste Entdeckung im sowjetischen Trickfilm der sechziger Jahre genannt wird,<br />
und er auch zweifelsohne bleibenden Einfluß auf die weitere Entwicklung des<br />
Zeichentrickfilms haben sollte, vor allem, was die Befreiung der erzählerischen und<br />
graphischen Entscheidungen von überkommenen Formen angeht, ist in dieser<br />
Hinsicht ein etwas späterer seiner Filme von vielleicht noch fundamentalerer, wenn<br />
auch unterschwelligerer Bedeutung, da er innerhalb des Genres Märchen, das ja auch<br />
weiterhin prinzipiellen Einfluß auf den sowjetischen Trickfilmbleiben haben sollte,<br />
völlig neue Wege einschlug. 58 „Топтыжка“ („Toptyzhka“, Abb. 108), 1966 auf die<br />
Leinwand gekommen, erzählt die Geschichte von der Freundschaft zwischen einem<br />
Hasen und einem Bären. Was auf den ersten Blick wie die hundertste Variation des<br />
bekannten Märchens erscheint, ist nicht nur von der technischen Qualität der<br />
Animation her vollkommen überzeugend, sondern auch in der Art, wie die<br />
Geschichte erzählt wird, geradezu revolutionär.<br />
Im Wald leben eine Bärenmutter und ihr Bärenjunge, Toptyzhka. Die Mutter,<br />
wie alle Bären, schläft im Winter, während Toptyzhka nicht schlafen kann und lieber<br />
herausfinden würde, was da so rot zum Fenster hereinscheint. Er stiehlt sich also aus<br />
der Stube und wandert der tief am Horizont stehenden Sonne nach in den Wald.<br />
Dort trifft er erst auf eine Krähe, dann auf einen Hasenjungen, mit dem er schnell<br />
57 Giannalberto Bendazzi, Cartoons, Bloomington: Indiana University Press, 1995, p. 369.<br />
58 Diesen Hinweis verdanke ich Natal'ia Lukinych.<br />
38
Freundschaft schließt. Der äußerst knappe Dialog, mit dem die beiden Bekanntschaft<br />
schließen, ist charakteristisch <strong>für</strong> den lakonischen Grundton des gesamten Films.<br />
Die beiden fahren daraufhin Schlitten, wippen, balgen im Schnee, mit anderen<br />
Worten, sie haben eine Menge Spaß. Die Mütter der beiden, denen sie nach Rückkehr<br />
nach Hause von ihren Abenteuern erzählen, sind allerdings alles andere als<br />
beeindruckt und verbieten weitere Treffen; es kann ja schließlich nicht angehen, daß<br />
Hasen und Bären Freundschaft schließen. Für den Rest des Winters müssen<br />
Toptyzhka und der Hase sich also langweilen. Erst im Frühling, als die Bärenmutter<br />
aus dem Winterschlaf erwacht, kann Toptyzhka wieder vor die Tür, und er macht<br />
sich auch gleich auf, um den Hasen zu suchen. Als er ihn findet, hat der sich<br />
zusammen mit seiner Mutter auf das Dach ihres Häuschens retten müssen – vom<br />
Schmelzwasser mitgerissen. Wagemutig macht sich der Bär auf, um die beiden zu<br />
retten, nur um selber dabei ins Wasser zu fallen und von der Hasenmutter, die da<strong>für</strong><br />
ihr Haus den Fluten überläßt, gerettet zu werden. Die Bärenmutter, atemlos am Ufer<br />
stehend, hat das alles mitverfolgt – und siehe da, auf einmal ist doch Freundschaft<br />
zwischen Hasen und Bären möglich: Die letzte Einstellung zeigt die vier, wie sie<br />
zusammen Tee trinken.<br />
Die Geschichte ist also verhältnismäßig traditionell, es ist jedoch gerade der<br />
äußerst sparsame Einsatz anthropomorphisierender Elemente, der ihren Effekt<br />
steigert und den süßlichen Unterton, der bis dahin meist in den Märchenfilmen aus<br />
sowjetischer Produktion, noch dazu mit Tieren als Hauptpersonen, vorherrscht,<br />
durchgreifend unterbindet. Es ist der Erzähler, der spricht, und nicht die Tiere. Sie<br />
geben nur Laute von sich: Toptyshka röhrt, das Häschen keckert, die Krähe kräht;<br />
der Erzähler „übersetzt“ nur, unterstützt von den Gesten der Tiere, die illustrativ<br />
eingesetzt werden. So zieht sich Toptyshka die Ohren lang und wackelt mit der<br />
Hand als Schwanz, um der Mutter zu erklären, wen er im Wald getroffen hat. Die<br />
Hasenmutter hingegen braucht keine Erklärungen, um den Sohn übers Knie zu legen<br />
– ein vollkommen unerwartetes und gerade deshalb so effektvolles Geschehen.<br />
Ansonsten zeichnen sich die Tiere nämlich dadurch aus, daß sie sich auf vier Beinen<br />
39
ewegen, und nicht, wie sonst üblich, als „Mensch im Hasenpelz“ auf zwei. Auch<br />
das trägt, zusammen mit der meisterhaften Animation, dazu bei, jegliche<br />
überflüssige Verniedlichung zu vermeiden.<br />
Khitruk brachte in die Regiearbeit lange Jahre Erfahrung als Animator mit, die<br />
sich klar in den hochentwickelten Bewegungsabläufen seiner Filme widerspiegeln,<br />
ebenso, wie er sich seine Mannschaft junger Animatoren sorgfältig selbst aussuchte,<br />
um nur mit den besten zusammenzuarbeiten – das Ergebnis dieser sorgfältigen<br />
Auswahl sind dann natürlich auch Filme, die auf Anhieb in den Kanon der<br />
Trickfilmgeschichte aufgenommen wurden. Nach „История одного преступления“<br />
und „Топтышка“ sind hier vor allem „Каникулы Бонифации“ („Bonfazius’<br />
Ferien“, 1965, Abb. 48 – 50), „Человек в рамке“ („Mensch im Rahmen“, 1967, Abb.<br />
27 und 28), „Фильм Фильм Фильм“ („Film, Film, Film“, 1968, Abb. 41), „Остров“<br />
(„Die Insel“, 1973, Abb. 90 und 91) und „Лев и бык“ („Löwe und Stier“, 1983) zu<br />
nennen. Besonders aber die wegen Copyright-Schwierigkeiten im Westen so gut wie<br />
unbekannte russische Version von „Winnie the Pooh“ („Винни Пух“, 1969 – 1971,<br />
Abb. 114 – 116) sicherte ihm auch die unverhohlene Sympatie eines breiten<br />
Publikums – wenig erstaunlich, wenn man bedenkt, daß selbst Woolie Reiterman,<br />
der Schöpfer der Disney’schen „Winnie the Pooh“-Filme Khitruk bei einem Treffen<br />
in Burbank bestätigte, daß Khitruks Filme die besseren seien 59 .<br />
Tatsächlich ist Khitruk <strong>für</strong> die siebziger und achtziger Jahre die maßgebende<br />
Figur des Trickfilms in der Sowjetunion. Nicht nur, daß seine Filme stilistische<br />
Neuerungen einführen und salonfähig machen, in seiner Eigenschaft als Lehrer der<br />
„Höheren Kurse <strong>für</strong> Drehbuch und Regie“ (Высшие курсы для сценаристов и<br />
режиссеров), einer Einrichtung des Kultusministeriums und der <strong>Staatliche</strong>n<br />
Filmorganisation (Союз кинематографистов), und als Professor am VGIK hat er<br />
eine ganze Generation von Trickfilmern ausgebildet und geprägt. Das augenfälligste<br />
Beispiel hier<strong>für</strong> sind eine Reihe heutiger Professoren des VGIK, die alle einem<br />
59 Fjodor Khitruk, persönliches Gespräch mit dem Autor, Februar 2004.<br />
40
einzigen Jahrgang der Höheren Kurse <strong>für</strong> Drehbuch und Regie angehören und unter<br />
seiner Ägide ihr Handwerk erlernten, um dann später selber Filme zu machen.<br />
Anatolij Petrov, Leonid Nosyrev, Vadim Ugarov, Sergej Alimov gehören alle diesem<br />
Jahrgang an. Sie arbeiteten zunächst als Animatoren, um dann nach und nach selbst<br />
Filme zu drehen, zunächst kleine Beiträge <strong>für</strong> das von Anatolij Petrov ins Leben<br />
gerufene Kinojournal „Веселый карусель“ („Fröhliches Karussell“), später dann<br />
eigenständige Filme. Für sie alle, neben vielen anderen, hier ungenannten, war<br />
Fjodor Khitruk der künstlerische Mentor, und man kann ihn wirklich den Patriarchen<br />
nicht nur der Sojuzmul’tfil’mstudios, sondern der gesamten sowjetischen<br />
Trickfilmproduktion in ihrem letzten Jahrzehnt nennen – zumal er schon allein durch<br />
sein Alter noch Brücken schlagen konnte zu den Anfängen des Trickfilms in der<br />
Sowjetunion, hatte er doch vor dem zweiten Weltkrieg mit den großen Meistern des<br />
frühen Trickfilms, Mikhail Cekhanovskij, den Schwestern Brumberg oder Lev<br />
Atamanov zusammengearbeitet. Das Wissen, das sie ihm mit auf den Weg gegeben<br />
hatten, konnte er an die Generation weitergeben, die heute unterrichtet, und diese<br />
reicht es heute weiter – Khitruks Einfluß wirkt so nicht nur durch seine Filmen nach.<br />
Was Khitruk <strong>für</strong> die ästhetische Befreiung von überkommenen Traditionen<br />
gelang, versuchte ein junger Regisseur wenig später <strong>für</strong> die Ermöglichung von<br />
(politischen) Aussagen in Trickfilmen.<br />
Andrej Khrzhanovskij<br />
Andrej Khrzhanovskij, geboren 1939, ist in der Sowjetunion sicherlich der<br />
Trickfilmregisseur aus der Zeit der 70er und 80er Jahre des 20. Jahrhunderts mit der<br />
am stärksten individuell ausgeprägten politischen Einfärbung. Sein wichtigster, aber<br />
auch schwerfälligster Film, „Стеклянная гармоника“ („Die Glasharmonika“, Abb.<br />
107) von 1968 ist eines der seltenen Beispiele <strong>für</strong> einen Film aus der Zeit nach dem<br />
politischen Tauwetter unter Khrushhev, der auch nach weitreichenden Schnitten und<br />
41
nach Überarbeitung und Nachdreh von Schlüsselszenen nicht <strong>für</strong> den Verleih<br />
freigegeben wurde.<br />
Bereits sein erster Film war ein Pamphlet gegen bürokratische Engstirnigkeit<br />
und gedankenloses Befehlsempfängertum. „Жил-был Козявин“ („Es war einmal<br />
Kozjavin“, 1966, Abb. 117 - 119) erzählt von einem Beamten, der von seinem Chef<br />
angewiesen wird, „mal den Korridor runterzugehen“ und nach dem Kassierer zu<br />
suchen, der in die Richtung gelaufen sei. Da Kozjavin ihn am Ende des Korridors<br />
immer noch nicht gefunden hat, geht er einfach weiter, bis er einmal um die Erde<br />
herum ist, und kann dem Chef damit wahrheitsgemäß berichten, daß der Kassierer<br />
nicht zu finden sei. Zusammen mit Fjodor Khitruks „Человек в рамке“ („Mensch im<br />
Rahmen“, 1966, Abb. 27 und 28) ist er einer jener Filme, die scharfe Kritik am<br />
Berufsbeamtentum üben – und bei denen es deshalb umso erstaunlicher ist, daß sie<br />
von den Berufsbeamten der Zensurbehörden nicht ins Regal verbannt wurden.<br />
Vielleicht wurde ihnen die Einordnung des Filmes dadurch erschwert, daß<br />
Khrzhanovskij als einen Grundstein seiner Filme ansieht, daß der Zuschauer aktiv<br />
partizipiert: „‚It is necessary to build a meaningful frame, which demands of viewers<br />
the highest level of participation,‘ Khrzhanovsky wrote on his art. ‚The free<br />
structures of composition and the combination of various stylistic elements must aim<br />
at one sole goal: obtaining a direct, pregnant expression, a balance between emotions<br />
and the logical order of things. ‘“ 60 Dazu trug auch die Filmmusik bei, die in vielen<br />
seiner Filme von Alfred Schnittke stammte, dessen Erstes Quartett Khrzhanovskij<br />
zufällig im Radio gehört hatte 61 . Schnittke ergänzte ihn kongenial, was sich<br />
besonders in der Musik zur „Glasharmonika“ zeigte. „Музыка, которую я написал,<br />
строилась в основном на сопоставлении двух музыкальных стилей. Здесь не<br />
было попытки создать некую дробную многостилевую калейдоскопическую<br />
60<br />
Sergei Asenin, 1986, „Andrej Khrzanovsky“, in: Zagreb 86 Retrospectives, p.59, cit. sec.<br />
2<br />
Giannalberto Bendazzi, 2003, Cartoons. A Hundred Years of Cinema Animation.<br />
Bloomington/London: Indiana University Press/John Libbey, p. 371.<br />
61<br />
Cf. Наталья Венжер (Ed.), 1990, Сотворение фильма. Несколько интервью по служебным<br />
вопросам, Москва: Союз Кинематографистов СССР, p.89 passim.<br />
42
картину. А сопоставлялись два ряда: один – диссонантно-хатоническая,<br />
импульсивная музыка, иногда сведенная на некий биологически-импульсивный<br />
уровень; а другой – это музыка, стилизованная как бы под Баха, но с несколько<br />
большими возможностями в смысле инструментовки. И тут необходима была<br />
чуть более острая в гармоническом плане музыка, которая как-то охватывала бы<br />
весь огромный культурный пласт, имеющийся в этом фильме.“ 62<br />
Diese Mehrstimmigkeit sowohl des Visuellen als auch des Tonalen macht den<br />
besonderen Reiz der Filme Khrzhanoskijs aus. „Андрей Хржановский не только<br />
отказывается от иллюстративного подхода к экранизации, он создает свой<br />
собственный художественный мир на экране. В его фильмах господствует<br />
полифония. Зрелищный, словесный и музыкальный ряды составляют<br />
превесёлое многоголосье – они, перекрещиваясь, расходятся, затем какое-то<br />
мгновение идёт параллельно, чтобы вновь разойтись. Строгие рамки<br />
стихотворение словно раздвигаются, его композиция приобретают<br />
подвижность, и словно между строк возникают не по стихотворным, но по<br />
кинематографическим законам существующие самостоятельно сценки,<br />
своеобразное интермедии, основанные на драматургии чисто изобразительного<br />
ряда.“ 63 Sergej Asenin führt aber auch die Vorbehalte an, die das Establishment, in<br />
diesem Fall bestehend aus den Funktionären, Regisseuren und Psychologen des<br />
Künstlerischen Aufsichtsrat des Studios, gegen die Filme vorbrachte: „Подчеркнуто<br />
гротесковой стиль делает фильм [i.e. „Дом, который построил Джек“, Abb. 35<br />
und 36] по интонации более жёстким, чем его литературный первоисточник,<br />
несколько усложненным для восприятия, особенно детского.“ 64 Ein solcher<br />
Ansatz übersieht die Qualitäten und das Anliegen des Werks von Khrzhanovskij<br />
natürlich völlig, ist aber gleichzeitig Ausdruck <strong>für</strong> die Borniertheit und ideologischen<br />
Scheuklappen, mit denen das oberste Organ des Studios starke, eigenständige<br />
62 Альфред Шнитке, cit. sec. Наталья Венжер (Ed.), 1990, Сотворение фильма. Несколько<br />
интервью по служебным вопросам, Москва: Союз Кинематографистов СССР, p.91.<br />
63 Сергей Асенин, 1978, „Тенденция поиска“, Искусство кино 9/1978, р. 124<br />
64 Сергей Асенин, 1978, „Тенденция поиска“, Искусство кино 9/1978, р. 125<br />
43
künstlerische Charaktere behandelte – oder, mit Blick auf die übergeordneten<br />
Zensurbehörden, manchmal auch behandeln mußte.<br />
Neben Khrzhanovskij, der seine ganz eigene Welt, sowohl graphisch als auch<br />
erzählerisch, schuf, gibt es andere, die konventionelle Geschichten erzählen, dies<br />
aber in einer ausgeprägten Formensprache tun. Leonid Nosyrev z.B. greift sehr oft<br />
auf Märchen und Erzählungen Boris Shhergins zurück, eines Schriftstellers, der die<br />
Sagen und Geschichten aus dem Norden Rußlands einem größeren Publikum<br />
zugänglich gemacht hat. Um sie zu illustrieren, ihren oft ironischen und grotesken<br />
Inhalt zur Geltung zu bringen, benutzt Nosyrev Elemente altrussischer Ornamentik<br />
und Folklore, die aber karikiert werden und so die erforderliche Atmosphäre <strong>für</strong> die<br />
Geschichten fast von selbst schaffen (cf. Abb. 3). Auch Gari Bardin läßt sich hier<br />
einordnen, seine Geschichten sind fast immer satirisch verkürzt und können oftmals<br />
unter dem Schlagwort „Fabeln des Alltags“ zusammengefaßt werden; die bildliche<br />
Fantasie, die hier umgesetzt wird, die Materialien, die verwendet werden, geben<br />
ihnen aber zusätzliche Schärfe und verstärken die Genauigkeit ihrer Beobachtung.<br />
Rein auf erwachsene Zuschauer ausgelegte Filme waren selten, infolgedessen<br />
sicherten sie ihrem Schöpfer, der es ja immerhin geschafft hatte, sein Thema bei der<br />
gestrengen Auswahlkommission durchzubringen, fast automatisch Beachtung. Aber<br />
selbst die wenigen Filme, die sich unter dieser Kategorie gruppieren lassen, sind ein<br />
sicheres Zeichen <strong>für</strong> die wichtigste Entwicklung, die in diesen Jahrzehnten<br />
stattfindet: Die Entfaltung einer animation auteur, einer auf den individuellen<br />
Künstler ausgerichtete Art der Trickfilmproduktion, die letztlich nicht mehr die<br />
vorgegebene Sicht der Zertifizierungsstelle, sondern den persönlichen Ausdruck<br />
Einzelner zuläßt. Die Beispiele <strong>für</strong> diese Entwicklung sind augenfällig. An erster<br />
Stelle ist hier natürlich Jurij Norshtejn zu nennen, der international sicherlich<br />
bekannteste russische Trickfilmkünstler, der ganz allein <strong>für</strong> eine neue, nicht-lineare<br />
(und das sowohl in erzählerischer als auch in graphischer Hinsicht) Art des<br />
Trickfilms steht.<br />
44
Jurij Norshtejn<br />
Über Jurij Norshtejn, geboren 1941, zu schreiben, sollte ein leichtes Unterfangen sein,<br />
ist er doch der am weitesten bekannte und am meisten rezipierte russische<br />
Trickfilmer. Dennoch entzieht er sich immer wieder ganz bewußt einer kritischen<br />
Analyse und zieht sich gern in einen Kokon zurück, den er aus Versatzstücken einer<br />
Theorie seines Schaffens um sich webt – was die Beschäftigung mit seinen Filmen<br />
nicht eben erleichtert.<br />
Sein Werk ist auf der einen Seite ungeheuer vielschichtig, auf der anderen aber<br />
auch sehr auf ein idealistisches Künstlerbild verengt – von allen sowjetischen<br />
Trickfilmkünstlern ist er derjenige, der dem Typus des „Undergroundkünstlers“ am<br />
nächsten kommt; allein sein wallender Bart und sein nonchalantes Auftreten bei<br />
offiziellen Anlässen tragen viel dazu bei.<br />
Unbestritten ist dabei, daß Norshtejn von allen sowjetischen Autoren am<br />
meisten Einfluß auf die Entwicklung des internationalen Trickfilms genommen hat,<br />
wovon nicht zuletzt die ihm 1984 auf dem Los Angeles Olympic Arts Festival<br />
verliehene Auszeichung zeugt, wo „Сказка Сказок“ („Das Märchen aller Märchen“,<br />
1979, Abb. 101) zum besten Trickfilm aller Zeiten gekürt wurde. Der Film ist<br />
ausgesprochen vielschichtig und basiert auf einem System von Assoziationen, das<br />
Bendazzi wie folgt umreißt: „Images flow in a 27-minute, all-consuming fantasy:<br />
memories of childhood and war, Pushkin’s drawings, references to Picasso, a tango<br />
in the outskirts of the city [der berühmte Schlager „Утомленные сольнцем“ dient<br />
hier als background music, T.L.], Bach’s Well-tempered Clavichord and Mozart’s Concert<br />
№5 in F minor.“ 65<br />
Norshtejn hat nie abgestritten, daß dieser Film ein sehr persönliches Monument<br />
ist, der sich nur schwer dem Betrachter erschließt. „Фильм […] самый для меня<br />
65 Giannalberto Bendazzi, Cartoons. One Hundred Years of Cinema Animation, London/Bloomington:<br />
John Libbey/Indiana University Press, 1994, p. 373.<br />
45
дорогой, потому что он самый личный, потому что он исповедальный в очень<br />
большой степени.“ 66 Er stellt sich damit bewußt in eine Reihe mit Andrej<br />
Tarkovskij, dessen Anliegen sich in vielen Punkten mit denen Norshtejns decken.<br />
„Through poetic connections feeling is heightened and the spectator is made more<br />
active. He becomes a participant in the process of discovering life, unsupported by<br />
ready-made deductions from the plot or ineluctable pointers by the author. He has at<br />
his disposal only what helps to penetrate to the deeper meaning of the complex<br />
phenomena presented in front of him. Complexities of thought and poetic visions of<br />
the world do not have to be thrust into the framework of the patently obvious. The<br />
usual logic, that of linear sequentiality, is uncomfortably like the proof of a geometry<br />
theorem. As a method it is incomparably less fruitful artistically than the possibilities<br />
opened up by associative linking, which allows for an affective as well as rational<br />
appraisal.“ 67<br />
In diesem Zusammenhang hat Tanaka Tomoko auf den speziellen Zeitbegriff<br />
Norshtejns hingewiesen. „Как у Тарковского и Довженко, у Норштейна образы<br />
наполнены ощущением вечности.“ 68 Dieser Ansatz läßt sich auch an anderen<br />
Filmen Norshtejns nachvollziehen, etwa „Сеча при Керженце“ („Die Schlacht von<br />
Kerzhenets“, 1971, Abb. 96 – 98), „Цаплия и журавль“ („Reiher und Kranich“, 1974,<br />
Abb. 21 – 23) oder „Ежик в тумане“ („Kleiner Igel im Nebel“, 1975, Abb. 3, 45 und<br />
104). An dieser Reihe läßt sich auch weitere Neuerung belegen, <strong>für</strong> die Norshtejn<br />
steht: Die „Malereihaftigkeit“ des Filmbildes, von der Natalia Krivulja spricht. „В<br />
характере рисунка появляется мерцание линий и штрихов, незавершенность,<br />
разорванность контура, трансформационность.“ 69<br />
66<br />
Юрий Норштейн, Франческа Ярбусова [Ed.], Сказке сказок 20 лет. Каталог, Москва: Музей<br />
кино, 2000, p. 13.<br />
67<br />
Andrej Tarkovskij, Sculpting in Time, London: Bodley Head, 1986, p. 20.<br />
68<br />
Танака Томоко, „Психолгическое время в кинематографе Юря Норштейна“, Киноведческие<br />
записки №52, 2001, p. 239.<br />
69<br />
Наталья Геннадьевна Кривуля, Лабиринты анимации. Исследование художественного<br />
образа российских анимационных фильмов второй половины ХХ века, Москва: Грааль, 2000,<br />
p. 121.<br />
46
William Moritz lenkt den Blick dagegen eher auf die unterschwelligen<br />
Widerstandsmomente in den Filmen. „Norstein […] constructs his film[s] in a<br />
complex, non-linear story that conceals the implications of his images from the blunt<br />
eye of the censor.“ 70<br />
Für Norshtejn selbst steht aber immer eine selbstreflexive Perspektive im<br />
Mittelpunkt seines Schaffens: „What kind of viewer do I have in mind in my work?<br />
As paradoxical as it may seem, I have myself in mind.“ 71 Daß Norshtejn mit einer<br />
solchen autor-zentrierten Arbeitsweise nur auf wenig Verständnis beim Studio stieß,<br />
brachte seine Projekte immer wieder an den Rand des Scheiterns. „Es war Lev<br />
Atamanov, der ‚Skazka skazok‘ rettete. Er überredete den Künstlerischen Beirat,<br />
dessen Vorsitzender er zu der Zeit war, dazu, mir die zwei Monate, die ich noch zur<br />
Fertigstellung des Films benötigte, zuzugestehen. Ohne seine Fürsprache und seine<br />
Überzeugung, daß mit diesem Film etwas grundlegend Neues im Trickfilm<br />
geschaffen worden war, gäbe es den Film so heute nicht.“ 72 Bei seiner folgenden<br />
Produktion hatte er dieses Glück allerdings nicht, und „Шинель“ („Der Mantel“,<br />
Abb. 99 – 100), begonnen 1982 nach der gleichnamigen Novelle von Gogol, konnte<br />
bis heute noch nicht abgeschlossen werden.<br />
Vielleicht haben aber auch gerade diese Widrigkeiten dazu beigetragen, die<br />
künstlerische Handschrift Norshtejns so zu konzentrieren. Denn auch in jenen<br />
Filmen, in denen Norshtejn nur Teile animierte, ist seine Handschrift klar zu<br />
unterscheiden, wie Aleksej Orlov feststellt: „Глаза цапли, журавля и в меньшей<br />
степени ёжика (вследствие уменьшения их размеров) являются<br />
характернейшими элементам художественного подчерка Франчески Ярбусовой<br />
и Юрия Норштейна. Именно по глазам рисованных персонажей можно,<br />
например, легко определить те эпизоды в фильмах А. Хржановского о<br />
70 William Moritz, „Narrative stategies for resistance and protest in Eastern European Animation,“<br />
in: Jayne Pilling (Ed.), A Reader in Animation Studies, London et al.: John Libbey, 1997, p. 43.<br />
71 Cit. sec. Mieczylaw Walasek, „Just art: l’art tout court,“ Animafilm №5, Warsaw 1980, p. 42.<br />
72 Jurij Norshtejn, persönliches Gespräch mit dem Autor, Oktober 2003<br />
47
Пушкине, которые анимировал Ю. Норштейн – эти рисованные персонажи<br />
самым необъяснимым образом напоминают чем-то … самого художника.“ 73<br />
Der wichtigste Moment jedenfalls, der auch erhalten bleibt, wenn man all diese<br />
Interpretationsansätze durchspielt, und der die Magie begründet, die die Filme des<br />
Ausnahmetalentes Norshtejn auszeichnen, liegt in ihrer geheimnisvollen, fast<br />
mythischen Aura. „Анализ сюжетных линий, мотивов, образов „Сказки сказок“<br />
лишний раз доказывает, что подлинное искусство ни о чём не говорит с нами и<br />
никуда не ведёт. Его путь – внутренняя пустотность, от которой, как говаривал<br />
Выгодский, один шаг до Бога. Всё остальное – тайна.“ 74<br />
Norshtejn ist, wie bereits angesprochen, der bekannteste sowjetische Autor mit<br />
der am weitesten ausgeprägten eigenen Handschrift, doch auch gerade der<br />
Puppentrickfilm, lange Jahre in der Sowjetunion nicht praktiziert, ließ seinen<br />
Protagonisten Platz <strong>für</strong> eine eigene Sicht der Dinge und einen eigenen künstlerischen<br />
Diskurs. Die Puppenfilmabteilung des Studios war, nachdem Aleksandr Ptushko,<br />
der mit dem „Neuen Gulliver“ („Новый Гулливер“, 1935, Abb. 81 – 83) berühmt<br />
geworden war, in den dreißiger Jahren vom Posten des Studioleiters zurückgetreten<br />
war und in den Spielfilm wechselte, schnell geschlossen worden. Sicherlich spielten<br />
bei dieser Entscheidung ideologische Momente eine große Rolle, denn mit den<br />
Vorgaben des Sozialistischen Realismus, wie er unter Stalin verstanden wurde, ist<br />
die Art, wie Puppen animiert werden, nur schwer zu vereinbaren. Der tschechische<br />
Puppentrickfilmer Jirí Trnka, der „Walt Disney des Ostens“ 75 , hat eben diesen Punkt<br />
im Sinn, wenn er meint: „Кукла не выражает внешность, а идею человека.“ 76 So<br />
wurde es erst zwanzig Jahre später wieder möglich, eine Puppentrickabteilung neu<br />
aufzubauen – das know-how der frühen Pioniere war inzwischen aber natürlich<br />
weitgehend verloren gegangen. Man experimentierte deshalb zunächst mit dem<br />
73 Алексей Михайлович Орлов, Аниматограф и его Анима, Москва: Импето, 1995, p. 235.<br />
74 Алексей Михайлович Орлов, Аниматограф и его Анима, Москва: Импето, 1995, p. 253.<br />
75 Cf. den gleichnamigen Artikel von Edgar Dutka, „Jiri Trnka – Walt Disney Of The East!“,<br />
Animation World Magazine № 504, Juli 2000.<br />
76 cit. sec. И. Иванов-Вано, Кадр за кадром, Москва: Искусство, 1980, p. 198.<br />
48
Abfilmen von Handpuppenspielen. 1958 entstand so in Zusammenarbeit mit Sergej<br />
Obrascov und seinem Figurentheater der Film „Небесное создание“ („Eine<br />
himmlische Schöpfung“), der mit Trickfilm im Sinne von stop motion noch nicht viel<br />
gemein hatte, dessen Erfolg aber immerhin da<strong>für</strong> Anlaß gab, die Abteilung<br />
weiterzuführen und aufzubauen. In den ersten Jahren leitete Vladimir Degtjarev das<br />
Studio, an dessen Filmen sich die technische Evolution, die der sowjetische<br />
Puppentrickfilm durch learning by doing in den folgenden Jahren durchlief, gut<br />
nachvollziehen läßt: Von der noch etwas unbeholfenen Animation des<br />
nichtsdestotrotz auf dem Festival von Edinburgh 1957 preisgekrönten „Чудесный<br />
колодец“ („Der verzauberte Brunnen“, 1957) zu schon fortgeschritteneren Werken<br />
wie etwa der – auch ansonsten sehr sympathische, weil ausgesprochen lakonische –<br />
Film „Кто сказал мяу?“ („Wer miaut hier?“, 1962).<br />
Es sind aber erst die unter seiner Ägide herangewachsenen Regisseure der<br />
nachfolgenden Generation, die das Niveau der russischen Puppen-Animation an das<br />
internationale anschließen konnten.<br />
Nikolaj Serebrjakov<br />
Nikolaj Serebrjakov gehörte zu dieser Gruppe junger Regisseure der frühen<br />
sechziger Jahre, die es schafften, die bildliche Qualität der Filme erheblich<br />
anzuheben. Geboren 1928 in Leningrad, wo er auch an der Kunstakademie studierte,<br />
kam er 1963 nach Moskau ans Studio und debütierte gemeinsam mit Vadim<br />
Kurchevskij mit „Влюбленное облако“ („Die verliebte Wolke“), einem japanischen<br />
Märchen von Nasima Hikmeta – mit phänomenalem Erfolg: Der Film bekam Preise<br />
in Annecy, Bukarest und Oberhausen. Die beiden drehten noch einige Filme<br />
zusammen, entschlossen sich dann aber, alleine weiterzuarbeiten. „Студия от этого<br />
49
только выиграла, так как вместо одной режиссерской группы получила две.“ 77<br />
Zwei seiner bekannteren Filme sind „Не в шляпе счастье“ („Nicht im Hut ist das<br />
Glück“, 1968, Abb. 79) und „Клубок“ („Das Wollknäuel“, 1969, Abb. 56 und 57), die,<br />
wie auch seine übrigen Filme, mit ganz verschiedenen Stilmitteln arbeiten, um der<br />
individuellen Sichtweise ihres Autors Rechnung zu tragen. „Nicht im Hut ist das<br />
Glück“ glänzt mit einer sorgsam durchkomponierten Bühnensituation, in die die<br />
erzählte Geschichte lyrisch eingeschrieben wird. „‚Not in the Hat is there Happiness‘<br />
shows the director’s love of detail and attention to contemporary art (the film<br />
explicitly refers to Chagall).“ 78 „Das Wollknäuel“ erzählt ein Volksmärchen, und<br />
auch hier ist stilsicher eine Ausdrucksweise gewählt, die dem Sujet zuspielt. Die<br />
Personagen und Dekorationen sind komplett gestrickt – bzw. stricken sich im<br />
Verlauf des Films selbst, ein Vorgang, der ebenso lakonisch wie zielstrebig die<br />
Geschichte unterstützt und damit „display[s] the modern, quick rhythm that was to<br />
characterize [Serebrjakovs] more mature works.“ 79<br />
Vadim Kurchevskij<br />
Vadim Kurchevskij ist der Einflußreichere des Duos, der besonders durch das heikle<br />
ästhetische Experiment einer „combination of realism and the baroque“ 80 Aufsehen<br />
erregte. Sein erster eigenständiger Film „Мой зеленый крокодил“ („Mein grünes<br />
Krokodil“, 1966, Abb. 78), gibt mit sanfter Ironie („Die Kuh war so hübsch, so<br />
hübsch, aber das Krokodil war so grün, so schrecklich grün…“) und fast ätherischer<br />
Farbgebung die illustrativen Prinzipien vor, die seinen späteren Filmen<br />
zugrundeliegen sollten.<br />
77 И. Иванов-Вано, Кадр за кадром, Москва: Искусство, 1980, p. 193.<br />
78 Giannalberto Bendazzi, Cartoons, Bloomington: Indiana University Press, 1995, p. 368<br />
79 Giannalberto Bendazzi, Cartoons, Bloomington: Indiana University Press, 1995, p. 368<br />
80 Giannalberto Bendazzi, Cartoons, Bloomington: Indiana University Press, 1995, p. 368<br />
50
„Легенда о Григе“ („Die Legende von Grieg“, 1967, Abb. 63), besonders aber<br />
sein Hauptwerk, „Мастер из Кламси“ („Der Meister von Clamecy“, 1972, nach der<br />
Erzählung „Colas Breugnon“ von Romain Roland und mit deutlichen Anklängen an<br />
Breughel, Abb. 75 und 76) zeigen eine hochkomplexe Grundkonstruktion, die<br />
figurative Werte und Bildtextur genauso in den Vordergrund stellt wie das<br />
überzeugende „Schauspielern“ der Puppen 81 .<br />
Kurchevskij moderierte auch eine Fernsehshow, in der er Kindern über<br />
Trickfilm im allgemeinen und Puppentrickfilm im besonderen erzählte, die lange lief<br />
und großen Erfolg hatte. Die Bänder mit den aufgezeichneten Sendungen wurden<br />
aber nach seinem Ausscheiden fast vollständig vernichtet – seine Exfrau war nach<br />
Amerika ausgewandert, was den zuständigen Direktoren des Staatsfernsehens Anlaß<br />
genug war, die Bänder zu löschen: mitgefangen – mitgehangen; wieder ein<br />
sprechendes Beispiel <strong>für</strong> die Absurdität sowjetischer Kulturpolitik. 82<br />
Stanislav Sokolov<br />
Bereits zur nachfolgenden Generation der Puppentrickfilmer gehört Stanislav<br />
Sokolov, der heute den Lehrstuhl von Ivan Ivanov-Vano am VGIK innehat. Er<br />
debütierte mit „Догада“ („Der Schlaumeier“, 1977), <strong>für</strong> das er den Preis als bester<br />
Nachwuchsregisseur auf dem Filmfestival in Jerevan erhielt. Bereits in diesem frühen<br />
Film ist ein gewisser Ansatz des „l’art pour l’art“ zu spüren, der sich in kunstvoller<br />
Animation, komplexer Sujetführung und stark mit Ellipsen arbeitender Erzählweise<br />
ausdrückt. Vielleicht verleitet dies Bendazzi zu der Aussage über „Schwarzweiß-<br />
Film“, der Film sei „a […] film with a delicate although somewhat precious<br />
81 Cf. Наталья Венжер (Ed.), 1990, Сотворение фильма. Несколько интервью по служебным<br />
вопросам, Москва: Союз Кинематографистов СССР, p. 75<br />
82 Natal'ia Lukinych, persönliches Gespräch mit dem Autor, Dezember 2003.<br />
51
description of unfashionable feelings such as melancholy and nostalgia.“ 83 In der<br />
Gesamtschau der Entwicklung Sokolovs über „Догада“, den relativ unbekannten<br />
(gleichwohl aber einen seiner besten Filme) „Рыбья упряжка“ („Das Fischgespann“,<br />
1982) bis hin zu „Большой подземный бал“ („Der große unterirdische Ball“, nach<br />
Hans Christian Andersen, 1987, Abb. 13 und 14) und eben „Черно-белое<br />
кино“(„Schwarzweiß-Film“, 1985), <strong>für</strong> den er in Zagreb einen Preis erhielt, ist die<br />
Konzentration auf vielschichtige ästhetische Ausdruckskraft aber klar<br />
nachvollziehbar.<br />
Sokolov ist auch einer der am internationalsten agierenden russischen<br />
Regisseure. Kooperationen mit der DEFA in Dresden, z.B. „Падающая тень“ („Der<br />
fallende Schatten“, 1986) 84 fanden nach der Wende ihre Fortsetzung in<br />
Koproduktionen mit der britischen S4C, die mit dem Emmy <strong>für</strong> „The Winter’s Tale“<br />
1995 auch eine Auszeichnung erhielten, die zeigt, daß die „amazing myriad of<br />
innovative techniques“ 85 der russischen Künstler auch international auf<br />
Anerkennung stößt.<br />
Man sollte dabei jedoch nicht vergessen, daß auch in vermeintlich „einfachen“<br />
Filmen ganze Welten versteckt sein können – und ihre scheinbare Naivität nur die<br />
Maske <strong>für</strong> die Abgründe dahinter darstellt. Für viele Künstler war gerade die<br />
Möglichkeit, ihren Filmen einen Subtext mitzugeben, den der kundige Zuschauer<br />
entschlüßeln konnte, indem er zwischen den Zeilen las, die besondere<br />
Herausforderung.<br />
Die „Простоквашино“-Serie (1978 – 1984) 86 von Vladimir Popov (Buch: Eduard<br />
Uspenskij) z.B. durchwirkt ihre fast schon eskapistische story line von einem kleinen<br />
83<br />
Bendazzi S. 368<br />
84<br />
Auch Khitruk und Kurchevskij arbeiteten in Dresden, allerdings nicht mit dem gleichen Erfolg. Cf.<br />
dazu Volker Petzold, „Zwischen Friedrich Engels und Berggeist Rübezahl“, in: Ralf Schenk, Sabine<br />
Scholze (Ed.), Die Trickfabrik. DEFA-Animationsfilme 1955 – 1990, Berlin: Bertz, 2003.<br />
85<br />
Aus dem Umschlagtext der DVD-Edition von „Shakespeare – The animated Tales“, Ambrose Video<br />
Publishing, 2004.<br />
86<br />
Prostokvashino, hier der Name eines Dorfes, stellt ein unübersetzbares Wortspiel dar.<br />
Prostokvasha ist ein Sauermilchgetränk. Der Name des Dorfes wäre also sinngemäß<br />
52
Jungen, der mit seinem Kater aus der Stadt ins Dorf flüchtet und dort in einem<br />
verlassenen Haus ein idyllisches Leben im Stil der Kinderbücher von Astrid<br />
Lindgren beginnt, mit einer Vielzahl von sozialkritischen Elementen in den Dialogen.<br />
Das Märchen von den Bremer Stadtmusikanten (Abb. 20) wird von Drehbuchautor<br />
Jurij Entin und Regisseurin Inessa Kovalevskaja dazu genutzt, den Triumph einer<br />
gänzlich unkommunistischen Rockgruppe, die einen Schlager nach dem anderen<br />
singt (ihr Komponist war Gennadij Gladkov, der Text der Lieder kam ebenfalls von<br />
Entin), über eine Herde blasierter Hofleute zu illustrieren. Der lead singer trägt<br />
Schlaghosen, die Prinzessin Minirock, und am Ende aller Abenteuer gehen die<br />
beiden zusammen mit Esel, Hund, Katze und Hahn auf Tournee… Im Trickfilm ist<br />
so ein Erfolg möglich, der wirklichen Pop-Musikern im wahren Leben in der<br />
Sowjetunion meist verwehrt blieb 87 . Als letztes Beispiel aus dieser Reihe Filmen, die<br />
eher auf ein traditionelles Formenvokabular zurückgreifen, sich aber durch ihre<br />
originellen Geschichten und ihr einfallsreiches Spiel mit Subtexten auszeichnen, ist<br />
natürlich die Serie „Ну, погоди!“ („Na warte!“, 1969 – 1986, Abb. 84 und 85) von<br />
Regisseur Vjatcheslav Kotjonochkin zu nennen, die bar jeder sinnvollen Handlung ist<br />
und sicherlich gerade deshalb die Herzen der Zuschauer im Sturm eroberte.<br />
Allerdings ist sie auch mit unterschwelligen Hinweisen auf die sowjetische<br />
Lebenswirklichkeit gespickt, die von den damaligen Kommentatoren geflissentlich<br />
übersehen und erst nach dem Ende der Sowjetunion untersucht wurden: „Смотрия<br />
из сегодняшнего времени, я с удивлением подмечтаю детали, усколзавшие от<br />
моего взгляда раньше. Сегодня Волк и Заяц уже не выглядят отвлеченными<br />
сказочными персонажами – они видятся мне реальными продуктами<br />
социалистической эпохи, во всяком случае, дают красноречивое представление<br />
„Buttermilchhausen“. Ein großer russischer Lebensmittelkonzern hat übrigens die Namensrechte<br />
aufgekauft und vermarket mit den Charakteren des Trickfilms gekennzeichnete Milchprodukte.<br />
87 Bekanntestes Beispiel <strong>für</strong> einen immens populären Musiker und songwriter, der nie ein<br />
öffentliches Konzert spielte, ist sicherlich Vladimir Vysockij, vgl. Vert 2000, S. 460.<br />
53
о прежних социальных нормах.“ 88 Diese sozialistischen Normen drücken sich<br />
Dmirij Zabolotskij zufolge so aus: „[Истории] между Волком и Заица<br />
разигрываются большей частю в общественных местах. [Это] дает<br />
изчерпывающую картину времяпрепровожденния простового человека эпохи<br />
Брежнева, по крайней мере, в том виде, как это предподносила официальная<br />
пропаганда.“ 89 Das zeige sich vor allem im Umgang der beiden Hauptfiguren<br />
miteinander. „Волк лишен первичных половых признаков. Такое граничащее с<br />
абсурдом отрицание сексуальности […] является ‚программный‘ для мира, где<br />
все подчиннено общественному. […] Волк, как рядовой советский гражданин,<br />
подавлен не только в сексуальном плане. [Надо] признать чертей [этого факта]<br />
его необыкновенную лояльность к властям.“ 90 Obwohl also Sorge getragen wird,<br />
daß die Hauptfiguren die (Verhaltens-)Normen eines normalen Sowjetbürgers nicht<br />
überschreiten, ist die Serie nicht frei von unterschwelligen erotischen Momenten, wie<br />
Tatjana Shulga festgestellt hat: „Обратим внимание на такие милые мелочи в<br />
облике Зайца, как нежной румянчик на щеках, огромные голубые глаза и<br />
длинные, загнутые ресницы.“ 91 Diese Andeutungen, gerade, weil sie so subtil sind,<br />
geben <strong>für</strong> Shulga den Blick frei <strong>für</strong> eine Qualität dieser Serie, die sie von anderen<br />
sowjetischen Produktionen vorrteilhaft abhebt: „Эти свойства сериала, весьма<br />
далекие от тривиальных представлении об экранном образе, ставят его в<br />
оппозицию к множеству отечественных (и не только) картин, авторы которых<br />
решают проблему выражения чувств своих персонажей путем подчеркнутого<br />
декларирования эмоции.“ 92<br />
88 Дмитрий Заболотский, „Сказка о совершенном времени. ‚Ну, погоди!‘ как зеркало эпохи<br />
развитого социализма“, Искусство кино №10/1998, p. 82.<br />
89 Дмитрий Заболотский, „Сказка о совершенном времени. ‚Ну, погоди!‘ как зеркало эпохи<br />
развитого социализма“, Искусство кино №10/1998, p. 82 passim.<br />
90 Дмитрий Заболотский, „Сказка о совершенном времени. ‚Ну, погоди!‘ как зеркало эпохи<br />
развитого социализма“, Искусство кино №10/1998, p. 85.<br />
91 Татьяна Шульга, „Шестнадцать серии о совокуплении: Ну, погоди!“ in: Аниматографические<br />
записки, Выпуск I, Москва: Аниматографический центр „Пилот“, 1991, p. 88.<br />
92 Татьяна Шульга, „Шестнадцать серии о совокуплении: Ну, погоди!“ in: Аниматографические<br />
записки, Выпуск I, Москва: Аниматографический центр „Пилот“, 1991, p. 90.<br />
54
Diesen scharfsinnigen Beobachtungen steht die Analyse von A. Vartanov aus<br />
dem Jahr 1975 diametral entgegen. Von einem sowjetischen Filmwissenschaftler sind<br />
solche Schlußfolgerungen natürlich nicht zu erwarten, statt dessen beschränkt er sich<br />
auf Punkte, die mit der offiziellen Lesart vereinbar sind. „В каждом из зрителей<br />
сидит жажда справедливости, инстинктивная поддержка слабого против<br />
сильного, невинного против направленной на него угрозы.“ 93 Der eingeschlagene<br />
Weg kann dann natürlich nicht mehr verlassen werden, so daß weitere Fehlschlüsse<br />
folgen. „Драматургию картины спасают трюки.“ 94 Hier hätte ein einfacher<br />
Vergleich mit „Tom und Jerry“ genügt, um diese These zu widerlegen, aber das blieb<br />
Vartanov natürlich verwehrt. Immerhin erkennt er die Ironie der Serie:<br />
„Узнаваемость музики невысокого вкуса приводит к иронической<br />
переосмысление образа.“ 95 Die Vielschichtigkeit aber, die ohne Zweifel zum bis<br />
heute anhaltenden Erfolg der Filme beigetragen hat, wird rundweg abgestritten: „[У<br />
него найдется] то простой, похожий на самые ясные фильмы, предназначенные<br />
для детей, изобразительный язык.“ 96<br />
Aus heutiger Sicht ist Vartanov, wie oben gezeigt, jedoch in den meisten<br />
Punkten widerlegt und „Na warte!“ in den Kanon jener Filme aufgenommen<br />
worden, die <strong>für</strong> jene Qualität sowjetischer Trickfilme stehen, die mit ihren<br />
vielfältigen Subtexten auch heute noch von Interesse sind. Im Endeffekt stehen am<br />
Ende dieser Entwicklung Andrej Tatarskij und das Studio Pilot, die sich mit<br />
absurden Miniaturen im Stile der Zagreber Schule einen Namen machten. Sie geben<br />
ein hervorragendes Beispiel <strong>für</strong> die beste Qualität, die Trickfilm haben kann, nämlich<br />
gleichzeitig populär zu sein und dabei auch künstlerischen Ansprüchen zu genügen.<br />
Eduard Nazarov<br />
93 А. Вартанов, „Секрет успеха. Ну, погоди!“ Искусство кино №12/1975, p. 75.<br />
94 A. Вартанов, „Секрет успеха. Ну, погоди!“ Искусство кино №12/1975, p. 75.<br />
95 А. Вартанов, „Секрет успеха. Ну, погоди!“ Искусство кино №12/1975, p. 79.<br />
96 А. Вартанов, „Секрет успеха. Ну, погоди!“ Искусство кино №12/1975, p. 79.<br />
55
Auch Eduard Nazarov läßt sich in die Kategorie jener Regisseure einfügen, deren<br />
Filme erst auf den zweiten Blick ihre ganze Tiefe preisgeben. Nazarov „became a<br />
filmmaker only late in his life. He exhibited an original humour mixed with amused<br />
self-irony. His seemingly simple style pays sophisticated attention to detail.“ 97 Bestes<br />
Beispiel hier<strong>für</strong> ist sicherlich sein bekanntester Film „Жил-выл пёс“ („Es war einmal<br />
ein Hund“) von 1982, der das bekannte Märchen vom alten Wachhund, der aus dem<br />
Haus gejagt wird und sich im Wald mit dem alten Wolf anfreundet, den er früher<br />
selber verjagte, erzählt. Der Wolf hilft ihm schließlich, wieder ins Haus<br />
aufgenommen zu werden, indem er sich das kleinste Kind des Bauern schnappt und<br />
der Hund es ihm in einem Scheinkampf wieder abnimmt. Aus Dankbarkeit lädt der<br />
Hund den Wolf deshalb im Winter ein, sich auf einer Hochzeit den Bauch<br />
vollzuschlagen – ein Unterfangen, das beinahe in einer Katastrophe endet, als der<br />
Wolf vor lauter Wohlbehangen zu singen beginnt. Die pfiffige Geschichte wird mit<br />
Schwung und sarkastischen Dialogen erzählt und in ein filigran ausgearbeitetes<br />
ukrainisches Setting eingebettet, was den Film zu einem wahren Augenschmaus<br />
macht.<br />
Mit ebensolcher Akribie sind auch seine anderen Filme umgesetzt, die in<br />
ähnlicher Weise hinter naiv scheinenden Bildentscheidungen und simplen<br />
Geschichten einen kritischen Blick auf die Wirklichkeit verbergen. So kaschiert etwa<br />
„Мартынко“ („Martynko“, 1987) nur notdürftig hinter einer Geschichte über einen<br />
Rekruten aus der Zarenzeit die eigenen Erfahrungen Nazarovs in der sowjetischen<br />
Armee 98 .<br />
Roman Katshanov / Leonid Shvarcman<br />
97 Giannalberto Bendazzi, Cartoons, Bloomington: Indiana University Press, 1995, p.368<br />
98 Eduard Nazarov, persönliches Gespräch mit dem Autor, Januar 2004.<br />
56
Es gibt also auch unter den weniger von der Suche nach künstlerischen<br />
Errungenschaften geprägten Protagonisten des Studios Meister ihres Fachs, deren<br />
Filme beispiellosen Erfolg beim Publikum hatten und die in den Kanon einer<br />
sowjetischen Filmgeschichte der achtziger Jahre gehören.<br />
In dieser Hinsicht ist besonders Roman Katshanov zu nennen. Er wurde 1921 in<br />
Smolensk geboren. Seine Filme sind hervorragende Beispiele da<strong>für</strong>, daß ein fertiger<br />
Film immer ein Gemeinschaftswerk ist: Ohne die entsprechende Umsetzung seiner<br />
Figuren durch Leonid Shvarcman, der an vielen seiner wichtigsten Filme als Art<br />
Director mitwirkte, hätten sie sicher nicht den durchschlagenden Erfolg gehabt, der<br />
bis heute anhält. Katshanov arbeitete ein Vierteljahrhundert als Art Director,<br />
Animator und Regieassistent, bevor er 1967 mit „Варежка“ („Der Handschuh“, Abb.<br />
111 und 112) den Durchbruch als Regisseur schaffte. Der Film erhielt Preise in Gjion,<br />
Annecy und Moskau und machte seine Schöpfer international bekannt. „This film, a<br />
small treasure in its genre, features a little girl who cannot have a dog and therefore<br />
walks her mitten as if it was a dog on a winter day. While avoiding any<br />
sentimentality, Katsanov creates a delicate atmosphere and stresses the problems of<br />
dialogue between adults and children.“ 99 Von 1971 bis 1983 drehte Katshanov,<br />
wieder in Zusammenarbeit mit Leonid Shvarcman, die Serie „Cheburashka“,<br />
bestehend aus den vier eigenständigen Filmen „Крокодил Гена“ („Krokodil Gena“),<br />
„Чебурашка“ („Cheburashka“), „Шапокляк“ („Chapeauclaque“) und „Чебурашка<br />
идёт в школу“ („Cheburashka geht zur Schule“). Diese Serie war derartig<br />
erfolgreich, daß der Titelheld Cheburashka, eine Figur, die zu gleichen Teilen aus<br />
Kind, Teddybär und Äffchen zu bestehen scheint, sogar als Logo des<br />
Sojuzmul’tfil’mstudios auserkoren wurde (Abb. 29 – 34). Leonid Shvarcman, sein<br />
Schöpfer, geboren 1920, ist einer der erfolgreichsten Künstler des Studios. Er wirkte<br />
an unzähligen Puppen- und Zeichentrickfilmen als Art Director mit, beginnend 1953<br />
mit „Снежная королева“ nach dem Märchen von Hans Christian Andersen (Regie:<br />
99 Giannalberto Bendazzi, Cartoons, Indiana: Indiana University Press, 1995, p. 367.<br />
57
Ivan Ivanov-Vano), bis hin zu eigenständiger Regiearbeit in der Zeichentrickserie<br />
„Обезьянки“ („Die Affenfamilie“, 1992 – 1994) mit den Folgen „Обезьянки в<br />
опере“, „Обезьянки. Скорая помощь“ und „Обезьянки, вперёд!“ In einer dieser<br />
Folgen tritt Shvarcman selbst in der Rolle eines karikierten Gangsters auf – ein<br />
kleines ironisches Einsprengsel, das aber gleichzeitig Einblick in die Art und Weise<br />
gibt, mit welcher der Künstler die ihm gestellten Aufgaben umsetzt. Shvarcman<br />
selbst erklärt den Erfolg seiner Figuren nämlich damit, daß er <strong>für</strong> seine Puppen, die<br />
ja zumeist Tieren ähnlich sind, immer Vorbilder im Leben suchte und ihnen damit<br />
menschliche (und allzumenschliche) Züge verlieh. Ein besonders sprechendes<br />
Beispiel hier<strong>für</strong> ist der Papagei aus der Serie „38 Попугаев“ („38 Papageien“, Regie:<br />
I. Ufimcev, 1976 – 1978, Abb. 1), der in den Ansätzen seiner Gestik und Mimik eine<br />
kleine Kopie Lenins ist. 100<br />
Zusammen bildeten Katshanov und Shvarcman, zeitweise noch unterstützt von<br />
Kinderbuch- und Drehbuchautor Eduard Uspenskij, jedenfalls ein<br />
außergewöhnliches Team. Ihre individuellen Ansätze harmonierten besonders gut,<br />
und der Erfolg ihrer Filme bestätigte ihre Arbeit. „Секрет действенности<br />
‚изобразительной драматургии‘ фильмов Э. Успенского и Р. Качанова [и Л.<br />
Шварцмана] в том, что, обращаясь вроде бы к частностям, к мелочам быта, они<br />
умеют в них и с них помощью, словно нечаянно, подвести зрителя к большим<br />
проблемам человеческих отношений, смело сочетая ‚разлитое‘ о всем этом<br />
потоке ‚непритязательных мелочей‘ смешное и значительное, условность и<br />
психологически точную деталь, лукавую, пронизанную юмором сказочность и<br />
животрепещущую современную тему.“ 101 Für Katshanov waren dementsprechend<br />
nicht die Schwierigkeiten der Bewegungsführung oder die Vielschichtigkeit der<br />
geschaffenen Szenerie wichtig – wie sich das z.B. bei Stanislav Sokolov findet –<br />
während <strong>für</strong> Shvarcman nicht – wie z.B. in den Filmen Kurchevskijs – der malerische<br />
Charakter und die Plastizität seiner Figuren im Vordergrund stand. Vielmehr ging es<br />
100 L. Shvarzman, persönliches Gespräch mit dem Autor, November 2003.<br />
101 Сергей Асенин, Мир мультфильма, Москва: Искусство, 1986, p. 61.<br />
58
den beiden darum, psychologisch überzeugend, aber unaufdringlich, manchmal<br />
vielleicht sogar nur in Andeutungen, versteckt hinter der Fassade eines Märchens,<br />
menschliche Gefühle und Erlebnisse unsentimental wiederzugeben und<br />
auszudrücken. Während die Bildwelten dieses Duetts also eher an traditionelle,<br />
wenig innovatorische Ansätze erinnern, sind es die Geschichten, die erzählt, und die<br />
(Innen)welten, die geschaffen werden, die diesen Beweggrund überzeugend<br />
vertreten und die seinen Schöpfern ihren Platz im Kanon der sowjetischen<br />
Trickfilmgeschichte sichern.<br />
Es ist im Rückblick fast schon zwingend, daß auf Brezhnevs „Stagnation“ 102 und<br />
Andropovs „Operation Trawl“ 103 der Zusammenbruch des Sozialismus folgte.<br />
Gorbachevs Versuch, die sich anbahnenden Veränderungen mit Hilfe der Perestrojka<br />
wenigstens in geordneten Bahnen verlaufen zu lassen, scheiterte bekanntlich<br />
grandios. Auch der Trickfilm reagierte, diesmal einigermaßen schell, auf die sich<br />
ändernden Zeichen der Zeit.<br />
Aleksandr Tatarskij<br />
Aleksandr Tatarskij ist ohne Zweifel das enfant terrible des gesamten sowjetischen<br />
Trickfilms. Tatarskij wurde 1950 in Kiew geboren, wo er bis in die späten 70er Jahre<br />
lebte und im Studio Kievnauchfil’m sein Handwerk erlernte. In Moskau begann er<br />
im Trickfilmstudio des Staatsfernsehens (Studio „Ehkran“, auch bekannt als<br />
„Mul’ttelefil’m“) als Animator und später als Regisseur zu arbeiten, das ihm nach<br />
der vor Kreativität glühenden Atmosphäre, die in diesen Jahren im Kiewer Studio<br />
vorherrschte, leblos und dröge vorkam – eine Überzeugung, die er auch lauthals von<br />
sich gab, was es ihm nicht gerade erleichterte, im Studio zu arbeiten. 104 In einer<br />
102 Cf. zu diesem Thema http://en.wikipedia.org/wiki/Brezhnev_stagnation.<br />
103 Cf. zu diesem Thema e.g. den Artikel „Severe, Unwavering Efficiency“, Time Magazine, 07.03.1983.<br />
104 A. Tatarskij, persönliches Gespräch mit dem Autor, Februar 2004<br />
59
solchen Arbeitssituation ist es nicht weiter verwunderlich, daß Tatarskij sich schnell<br />
in den Gedanken verbiß, sein eigenes Studio gründen zu wollen – zumal er bereits in<br />
Kiew unter wahnwitzigen Voraussetzungen in Eigenregie einen fast unbekannten<br />
Film, „О птичках“, gedreht hatte. Den Tricktisch dazu hatte er selbst gebaut, von<br />
einem befreundeten Funktionär in einem Klub ein Hinterzimmer bekommen, und<br />
das Filmmaterial aus Resten offizieller Projekte zusammengebettelt. 105 Er hatte also<br />
bereits einigermaßen Übung im Verwirklichen unmöglicher Projekte. Trotzdem war<br />
die Gründung eines eigenen offiziellen Studios in der Sowjetunion, auch in den<br />
letzten Jahren der Perestroika, ein so undenkbares Unterfangen, daß selbst Freunde<br />
und Weggefährten an eine Verwirklichung des Vorhabens nicht glauben wollten.<br />
Gegen alle Widrigkeiten konnte Tatarskij dennoch nach fast einem Jahrzehnt<br />
Überzeugungsarbeit und unter Ausnutzung zahlreicher bürokratischer Tricks 1987<br />
das dritte Moskauer Animationsstudio gründen, das Studio „Pilot“.<br />
Noch bei „Ekran“ angestellt, drehte er seine ersten Filme, die ihm einige Preise<br />
einbrachten und seinen Ruf als von der Zagreber Schule inspirierter „comédien<br />
absurde“ begründeten: „Падал прошлогодний снег“ („Es fiel der Schnee vom<br />
letzten Jahr“) 1983 und „Обратная сторона луны“ („Die dunkle Seite des Mondes“)<br />
1986. Mit einem Schlag berühmt wurde er aber mit dem Film „Пластилиновая<br />
Ворона“ („Die Krähe aus Knete“), der nach einem Jahr im „Giftschrank“ der<br />
studiointernen Zensur 1985 ins Fernsehen kam und bei den Zuschauern „wie eine<br />
Bombe“ einschlug. Der Film, dessen Grundlage Kindergedichte von Alexej Kushner<br />
und Eduard Uspenskij bilden, besteht aus drei Teilen.<br />
Der erste Teil, „О Картинах“ („Über Bilder“), illustriert das gleichnamige Gedicht<br />
von Kushner. Die Verse erklären die verschiedenen Genres der Malerei, z.B. Porträt<br />
oder Landschaftsmalerei. In einem einfachen Bilderrahmen erscheinen zu diesem<br />
Zweck von Kindern gemalte Bilder, aber auch Klassiker der sowjetischen Malerei (z.<br />
B. Valentin Serov, „Mädchen mit Pfirsichen“, 1887) und anderer Länder<br />
105 G. Borodin, persönliches Gespräch mit dem Autor, April 2004<br />
60
(unvermeidlich: die „Mona Lisa“). Aufgelockert wird diese Anordnung durch kleine<br />
absurde Einschübe, die von einem Teil in den nächsten überleiten und so <strong>für</strong><br />
Abwechslung sorgen – im ganzen ergibt sich so eine äußerst dynamische<br />
Veranschaulichung des pädagogischen Unterfangens, das dem Film zugrunde liegt.<br />
Tatarskij hatte diesen Teil bereits fertig aus Kiew mitgebracht – er hatte ihn dort<br />
zusammen mit einer Gruppe Kinder im Zentralen Pionierspalast der Ukrainischen<br />
Sowjetrepublik, der über ein kleines Trickfilmstudio verfügte, aufgenommen. Die<br />
Kinder lieferten die Bilder und vertonten den fertigen Film, den das Moskauer<br />
Studio so umsonst bekam – und da im Moment sowieso das Problem bestand, daß<br />
der Plan noch nicht erfüllt war, kam diese Gelegenheit gerade recht.<br />
Der zweite Teil, „Игра“ („Spiel“), ebenfalls nach einem Gedicht von Kushner,<br />
hat ein Kinderspiel als Grundlage, bei dem entsprechend dem Text die Hände vor<br />
die Augen gehalten werden. Im Film wird an den nötigen Stellen Schwarzfilm<br />
eingefügt, weshalb jedes Mal, wenn es heißt: „… и опять не видим ничего!“,<br />
tatsächlich auch nichts zu sehen ist – eine ebenso einfache wie effektive Umsetzung<br />
des Gedichtes. Ebenso entspricht die Stilistik des Films von Kindern gemalten<br />
Bildern, gemäß dem Sujet. Am Schluß dieses Teils werden noch Hände (in Pixilation)<br />
gefilmt, die die Kameralinse (und damit die Augen des Betrachters) zuhalten, und<br />
auch demjenigen Zuschauer, der das Kindergedicht nicht kannte, verdeutlicht, was<br />
zu sehen – oder auch nicht zu sehen – ist.<br />
Den unbestrittenen Höhepunkt des Films aber bildet der dritte Teil, der dem<br />
gesamten Film seinen Namen gab. Eduard Uspenskij schrieb speziell <strong>für</strong> den Film<br />
das Gedicht „А может…“, das auf der bekannten Fabel von Krähe und Fuchs (nach<br />
La Fontaine) basiert.<br />
Die erste Einstellung zeigt ein Bild mit handelsüblichem Plastilin, das Tatarskij<br />
als „Baumaterial“ <strong>für</strong> seinen Film verwendet. Vor ihm hatte in der Sowjetunion noch<br />
niemand dieses Material verwendet, und es gab eine Anzahl Skeptiker, die es <strong>für</strong><br />
ungeeignet hielten, weil es zu schnell schmelze und sich schlecht formen ließe.<br />
Tatarskij ließ sich von seinem Vorhaben aber nicht abbringen und benutzte trotzdem<br />
61
Knetmasse 106 . Allerdings komponierte er seine Bilder im klassischen<br />
Animationsaufbau, d.h. liegend, nicht wie Bardin oder später die Aardman-Studios<br />
als Körper im Raum.<br />
Die o.g. Fabel erzählt davon, wie die Krähe ein Stück Käse findet und der Fuchs<br />
es ihr durch Schmeichelei entwendet. Bei Uspenskij bekommt die Krähe, oder<br />
vielleicht ein Hund, oder vielleicht eine Kuh, den Käse per Luftpost, und fliegt damit<br />
auf einen Baum, um zu frühstücken, oder vielleicht zu Mittag zu essen, oder<br />
vielleicht zu Abend zu essen… Der Fuchs ist vielleicht ein Strauß oder ein<br />
Hausmeister, und wem die Geschichte noch nicht verworren genug ist, <strong>für</strong> den rufen<br />
ein paar Kinder aus dem „off“ dazwischen, daß sie gern ein Nilpferd sähen – das<br />
dann auch flugs auf der Leinwand erscheint. Außerdem bevölkern noch andere<br />
Personen und Persönchen die Plastilinwelt: Ein Elefant, eine Meerjungfrau und ein<br />
teppichklopfendes Großmütterchen, das auch in einem der vorhergehenden Teile<br />
einen Auftritt hatte.<br />
Völlig ins Absurde rutscht dann die „Moral“ ab, die zusammenhanglos und<br />
(gewollt) pädagogisch wenig überzeugend, aber völlig folgerichtig – der Charme des<br />
vorausgegangenen Films liegt ja gerade in dieser Unvorhersehbarkeit – so formuliert<br />
wird: „Und was lernen wir aus dieser ganzen Geschichte? Auf Baustellen darf man<br />
nicht spielen!“ Kein Wunder, daß die sowjetischen Pädagogen, die den Film zur<br />
Veröffentlichung freigeben mußten, eine solche unkonventionelle Herangehensweise<br />
nicht guthießen und den Film zunächst ins Regal verbannten. „В сегодняшнем срезе<br />
мульткино отчетливо заметно черта странная но характерная: зияющий разрыв<br />
между поисками ищущих и рутиной продукцией многих других – пишет в<br />
журнале ‚Детская литература‘ педагог М. Гуревич – между потоком и<br />
произведениями, отмеченными печатью индивидуальности.“ 107 Nach dieser<br />
Mehrzahl mittelmäßiger Filme wurden aber auch die wenigen Ausnahmen, von<br />
denen wir hier einige behandeln, bewertet; und wer wie Tatarskij seine<br />
106 A. Tatarskij, Gespräch mit dem Autor, Februar 2004<br />
107 Татарский, Александр Михайлович, 1986, "Делать мультфильм", Юность 6/1986, p. 98.<br />
62
anderslautenden Überzeugungen zu Protokoll gab, hatte schon von vornherein mit<br />
Problemen zu rechnen.<br />
Was den dritten Teil aber, unabhängig von spätsowjetischen Debatten um den<br />
richtigen Ansatz in der Kindererziehung, künstlerisch so hinreißend macht, und ihn<br />
in die Kategorie jener Filme einordnet, die Neuerungen hervorgebracht haben, ist die<br />
Fluidität der Bilder, die ständigen Metamorphosen, die den Text des Kindergedichtes<br />
anschaulich machen und ihn gleichzeitig beim Wort nehmen. „Недосказанность<br />
превращении – я стараюсь следовать ей в своих фильмах, в которых нет чёткого<br />
сюжета.“ 108 Alles fließt unablässig, und man kann sich den Film fortwährend<br />
anschauen, und doch jedesmal wieder neue Details entdecken. Tatarskij antwortete<br />
in einem Interview auf die Frage, was ihm das wichtigste am Trickfilm sei,<br />
folgendermaßen: „[Мне] интересно быть богом, творцом своего видимого,<br />
чувственного мире, которые существует параллельно обычному, предметному,<br />
и который живёт по своим законам. Хороший фильм отличается от плохого<br />
только тем, что художнику удалось создать свой мир, в который веришь<br />
независимо от его условности, в котором чувствуешь душу.“ 109 Mit dem Film<br />
„Пластилиновая Ворона“ ist ihm diese Erschaffung einer eigenen, absurden, aber<br />
dennoch völlig stringenten Welt ohne Frage gelungen, und nicht zuletzt der Erfolg<br />
dieses Films macht ihn zum Vater einer Linie im späten sowjetischen<br />
Animationsfilm, die sich direkt von der Zagreber Schule herleiten läßt und die sich in<br />
seinem Studio „Pilot“ erfolgreich weiterentwickeln sollte. Tatarskij bildete von<br />
Anfang an auch Animatoren aus, allerdings nicht auf dem akademischen Weg,<br />
sondern durch „learning by doing“. Auf diese Weise gelang es ihm, talentierte junge<br />
Künstler zu gewinnen und zu schulen, die dann als Animatoren und Regisseure <strong>für</strong><br />
sein Studio arbeiteten. Von den über zwanzig Filmen, die seit Bestehen des Studios<br />
produziert wurden, erhielten alle Preise auf internationalen Festivals – eine<br />
108 Tatarskij im Interview, in: Ермакова, Елена, 1990, "Мир превращений Александра<br />
Татарского", Техника кино и телевидение, 6/1990, p. 4.<br />
109 Tatarskij im Interview, in: Ермакова, Елена, 1990, "Мир превращений Александра<br />
Татарского", Техника кино и телевидение, 6/1990, p. 5.<br />
63
eachtliche Bilanz und späte Rehabilitation <strong>für</strong> einen Künstler, der von der<br />
sowjetischen Kulturbürokratie beharrlich totgeschwiegen worden war.<br />
Gari Bardin<br />
Was Tatarskij <strong>für</strong> den gesamten sowjetischen Trickfilm, ist der 1941 geborene Gari<br />
Bardin ohne Zweifel <strong>für</strong> das Sojuzmul’tfil’mstudio: ein unermüdlicher „Meuterer<br />
gegen die Mittelmäßigkeit“. Bendazzis lakonische Definiton von Bardins Tätigkeiten<br />
greift sicherlich etwas zu kurz: „Garri Bardin […] was an innovative director of<br />
animated object and puppet films.“ 110 Seine Innovationskraft zeigte er bereits in<br />
seinen frühen, noch konventionelleren Filmen, von denen etwa „Летучий корабль“<br />
(„Das fliegende Schiff“, 1979) ein schrilles Musical in psychedelischen Farben ist.<br />
Sein ganzes Talent konnte der ursprünglich als Schauspieler ausgebildete Regisseur<br />
aber in Filmen entfalten, die mit neuen Materialien experimentierten, die vor ihm im<br />
sowjetischen Trickfilm noch niemand benutzt hatte. Für „Конфликт“ („Konflikt“,<br />
1983) benutzte er Streichhölzer als Soldaten, <strong>für</strong> „Выкрутасы“ („Verrenkungen“,<br />
1987) wurden die Figuren komplett aus Draht gebogen und in „Брак“ („Ehe“, 1987,<br />
Abb. 15) durchleben zwei Schnüre eine Ehekrise. 111 Auch mit Knet, der bis dahin in<br />
der Sowjetrunion noch nicht benutzt worden war, experimentierte er mit großem<br />
Erfolg, wie etwa der vielfach ausgezeichnete Film „Брек!“ („Break!“, 1985, Abb. 17 –<br />
19) zeigt. Bardins Meisterwerk ist aber zweifelsohne der 1991 auf die Leinwand<br />
gekommene Film „Серый волк энд Красная Шапочка“ („Rotkäppchen and der<br />
Wolf“). Schon mit der Benutzung des englischen Bindeworts im Titel provoziert der<br />
Autor den sowjetischen Zuschauer – aber damit nicht genug, auch die erste<br />
110 Giannalberto Bendazzi, Cartoons. A Hundred Years of Cinema Animation. Bloomington/London:<br />
Indiana University Press/John Libbey, 1995, p. 368.<br />
111 Diese Experimentierfreudigkeit machte ihm allerdings nicht nur Freunde im Studio. Eine Affäre<br />
um die Verleihung des Staatspreises führte dazu, daß Bardin gleich nach der Wende sein eigenes<br />
Studio gründete, das bis heute existiert. Cf. Гари Бардин, „Нет, я старый Бардин,“ Искусство<br />
кино №8/1992, p. 63 – 68.<br />
64
Einstellung ist nicht dazu geeignet, einem konservativen Betrachter die Empörung<br />
zu lindern: Wie die klassischen Spielfilme aus dem Mosfil’mstudio beginnt „Серый<br />
волк энд Красная Шапочка“ mit einer kreisförmigen Heranfahrt der Kamera an die<br />
vor einem roten Hintergrund stehende Statue „Рабочий и Колхозница“ von Vera<br />
Muchina – nur daß sie, aus Plastilin geformt, bis zur Unkenntlichkeit entstellt ist:<br />
Anstelle des mit Pathos überfüllten Paares von Arbeiter und Bäuerin stehen hier<br />
zwei groteske Figürchen auf dem steinernen Podest, die geradewegs einem Lehrbuch<br />
<strong>für</strong> Karikaturisten entsprungen sein könnten. Die Kamera fährt am<br />
graffitiverschmierten Sockel hinunter und zeigt eine Totale des an seinem Fuß<br />
stehenden windschiefen Holzhäuschens, in dem Rotkäppchen und seine Mutter<br />
leben. Für denjenigen, der immer noch nicht verstanden hat, <strong>für</strong> welche Stadt mit<br />
dieser fesselnden Kamerafahrt hier eine ebenso überzeugende wie sarkastische<br />
Allegorie gefunden wurde, erklingt noch das Glockensignal des sowjetischen<br />
Staatsradios und der Sprecher verkündet laut: „Говорит Москва!“ Wir folgen der<br />
Kamera ins Haus, in dem Rotkäppchen mitsamt Mutter zu den Klängen des Radios<br />
Teig kneten und eine Pirogge backen, die das Rotkäppchen dann zur Großmutter<br />
nach Paris bringen soll. An dieser Stelle treffen wir zum ersten Mal den Wolf, der vor<br />
dem Haus so schräg und harsch mitsingt, daß sich selbst den Bäumen die Blätter<br />
aufstellen – vertont wird er von Armehn Dzhigarchanian, der sein ganzes Können in<br />
die Waagschale wirft, um seinen character so aberwitzig wie möglich erscheinen zu<br />
lassen. Um sein offensichtliches Halsweh zu kurieren, läuft der Wolf zu Doktor<br />
Aibolit, dem Helden einer ganzen Serie bekannter Trickfilme (nach dem<br />
Kindergedicht von Sergej Mikhalkov), und dem ersten einer Reihe von Helden<br />
anderer Trickfilme, die den Film im folgenden noch bevölkern werden. Der Doktor<br />
weigert sich aber, den Halunken – wie er ihn nennt – zu behandeln und wird da<strong>für</strong><br />
vom Wolf gefressen. Währenddessen ist im Hause Rotkäppchen die Pirogge fertig<br />
geworden, die Mutter packt eine große Karte Europas aus und zeigt der Tochter den<br />
Weg zur Großmutter, und die beiden setzen sich „на дорожке“, eine slawische<br />
Tradition, bei der man kurz vor Abfahrt einige Sekunden innehält und schweigend<br />
65
sitzt. Die Mutter warnt das Mädchen noch vor dem Wolf, setzt ihr die Kappe auf –<br />
und los geht’s… Der Wolf, mit dickem Bauch, in dem der Doktor und einer seiner<br />
Patienten, ein Hase (n.b. den versteckten Hinweis auf die Serie „Ну, погоди!“, nur<br />
daß der Wolf den Hasen diesmal, zumindest vorläufig, tatsächlich gefressen hat),<br />
sitzen und ihrem Schicksal entgegenharren, folgt dem Rotkäppchen, getrieben von<br />
dem Verlangen, zu erfahren, mit was die Pirogge gefüllt ist. Das Mädchen wandert<br />
entlang eines teilweise zerstörten Schienenstrangs nach Westen durch eine fast schon<br />
apokalyptische Landschaft – ein weiterer offensichtlicher Hinweis auf die Ansicht<br />
der Autoren über den Zustand der in den letzten Zügen liegenden Sowjetunion. Der<br />
Wolf und das Rotkäppchen treffen sich und beginnen zu den Klängen eines<br />
Chansons von Kurt Weill zu tanzen, bis drei Musketiere, begleitet von einer Melodie<br />
aus dem Freischütz, vorbeikommen und der Wolf sich kurzfristig in eine Tanne<br />
verwandelt, um ihnen zu entgehen. Das Rotkäppchen nützt die Gelegenheit, um zu<br />
entkommen, und gelangt an die Grenze, an der zwei melancholische Zöllner stehen<br />
und „Подмосковные вечера“ singen. Der Wolf seinerseits frißt auf dem Weg<br />
dorthin noch Gena und Cheburashka (pfeiferauchend!), die mit ihrer Harmonika am<br />
Straßenrand sitzen und betteln. Während das Rotkäppchen die Grenze ohne weitere<br />
Schwierigkeiten passiert, beginnt beim Wolf der Metalldetektor zu piepen –<br />
offensichtlich ist sein Gebiß aus Stahl. Glücklicherweise kann er sich des Problems<br />
schnell entledigen, indem er die Goldstücke, die er zuvor Gena und Cheburashka<br />
gestohlen hat, als Bestechungsgeld an die Zöllner weitergibt; so kann auch er nach<br />
„Zagranitsa“ (so die latinisierte Form des russischen „заграница“, „Ausland“, auf<br />
dem Straßenschild). Dieses Ausland ist dann auch von ausländischen, sprich Disney-<br />
Figuren bevölkert: Die Drei Kleinen Schweinchen, die Sieben Zwerge und Mickey<br />
Mouse werden alle nacheinander vom Wolf gefressen, der dadurch immer dicker<br />
wird. Rotkäppchen ist währenddessen schon fast in Paris. Als der Wolf sie einholt,<br />
um die rote Kappe zu ergattern, ist am Horizont bereits der Eiffelturm sichtbar, unter<br />
dem das krumme Häuschen der Großmutter steht. Radio France beginnt mit einer<br />
Übertragung von Liedern von Brassens und Aznavour, die die Großmutter laut<br />
66
mitsingt, während sie sich schminkt. Der Wolf, unterdessen bei ihr angelangt,<br />
überwältigt sie nach einem wilden Handgemenge und frißt sie, setzt ihre Perücke auf<br />
und legt sich ins Bett. Entgegen der Vorlage der Gebrüder Grimm frißt er aber nicht<br />
das Mädchen, sondern ihre Pirogge – woraufhin er, auch in Abweichung vom<br />
Märchen, einfach explodiert, der schweren russischen Küche sei Dank. Die endlich<br />
wieder aus dem Magen des Wolfs Befreiten stimmen die Marseillaise an und machen<br />
sich zu einer Friedensdemonstration auf, während die drei Musketiere den Wolf, der<br />
sich den Bauch wieder zugenäht hat und wieder so hungrig ist wie zu Beginn des<br />
Films, in Ketten abführen. Der Film endet mit einer Einstellung, die uns, weit weg in<br />
Moskau, die Mutter von Rotkäppchen zeigt, die sich die Demonstration im Fernseher<br />
anschaut – als dieser, in einem Seitenhieb auf die Qualität sowjetischer<br />
Haushaltstechnik, seinen Geist aufgibt, endet auch der Film. Es sind weniger die<br />
Entscheidungen des Art Directors und die character, die den Charme des Films<br />
ausmachen. Die Figuren und das set sind zwar überzeugend durchgearbeitet und<br />
hervorragend animiert, haben aber ihre Vorläufer klar in den Personen aus „Брек“<br />
und „Кот в запогах“. Was den Film aber zum Meisterwerk seines Regisseurs und zu<br />
einem scharfsichtigen Spiegelbild seiner Zeit macht – sichtbar eine Aufgabe, die sich<br />
Bardin selbst gestellt hat –, ist sein Sujet, das virtuose Jonglieren mit allseits<br />
bekannten Schablonen aus der Welt des sowjetischen und des internationalen<br />
Trickfilms, das der verzerrende und ins Groteske spielende Gebrauch von Zitaten<br />
aus den Arbeiten anderer, untermalt von Schlagern und Hits, die jedes Kind<br />
mitsummen kann – im ganzen also ein im wahrsten Sinne des Wortes postmodernes<br />
pasticcio, das wie kein anderer Film seiner Epoche die Stimmung in der Sowjetunion<br />
am Ende der Perestroika wiederzugeben vermag.<br />
67
Viele sind wir nicht mehr… 112<br />
Schluß — und Ausblick in eine ungewisse Zukunft<br />
Я на солнышке лежу,<br />
и на солнышко гляжу.<br />
Все лежу и лежу,<br />
и на солнышко гляжу.<br />
Инесса Ковалевская, Как львенок и черепаха пели песню, Союзмультфильм, 1974<br />
Bereits 1947 hatte Ehjzenshtejn sich kritisch über die vollkommene Ausrichtung der<br />
sowjetischen Trickfilmproduktion auf Disney’sche Kugelformen geäußert und eine<br />
stärkere Einbeziehung russischer Kunst in die Bildfindungen der sowjetischen Art<br />
Directors gefordert: „Наши мультипликаторы стилизуются под Диснея. Между<br />
тем и в образах зверей и в стилистике начертания у нас свой собственный<br />
русский фольклор и эпос. В подтверждение я могу называть резьбу по камней,<br />
книжную миниатюру, народные художественные промыслы, и в частности,<br />
вятские игрушки.“ 113 Sergej Asenin geht das Problem von der anderen Seite her an,<br />
wenn er in der Einführung zu Ivan Ivanov-Vanos Autobiografie die Vorzüge der<br />
Vorkriegsfilme aufzählt und den Filmen im Stil Disneys gegenüberstellt: „‚Сказка о<br />
Царе Дурандае‘ так же как ‚Блек энд уайт‘ стоят вместе с ‚Органчиком‘ Н.<br />
Ходатаева в ряду лучших сатирических картин нашей мультипликации<br />
довоенных лет. Эти фильмы отличает по-народному лукавая и меткая<br />
изобразительность, высокое мастерство во целенаправленный стилизации,<br />
создающей в своей гротескно-выразительной трактовке то ‚убедительное<br />
уродство‘ сатирических фигур, которое М. Горький считал важным<br />
достоинством искусства подлинно народной културой.“ 114 Ivanov-Vano selber<br />
112<br />
Übersetzung des Titels eines Artikels zum Thema aus der Zeitschrift Kinopark, März 1999:<br />
Валентина Шемякина, „Нас осталось мало…“, Кинопарк № 3, 1999, р. 50 – 51.<br />
113<br />
С. М. Эйзенштейн, Избранные произведение в шести томах, том 3, Москва: Искусство,<br />
1964, p. 500.<br />
114<br />
С. Асенин, „Путешествие в мир мультфильма,“ в кн. Кадр за кадром, Москва: Искусство,<br />
1980, p. 10 et passim.<br />
68
verengt in seiner Autobiografie das Problem auf die bereits erwähnte Disney-<br />
Hypnose. Im Kapitel „Под гипнозом Диснея“ (S.80 – 89) erzählt er von einer<br />
Retrospektive frühen sowjetischen Films, die er auf der Weltausstellung in Montreal<br />
1967 zeigte. Da<strong>für</strong> hatte er die Filme „Каток“ („Die Eisbahn“, Abb. 51 und 52),<br />
„Царь Дурандай“ („Zar Durandaj“, Abb. 24 – 26), „Органчик“(„Die Drehorgel“,<br />
Abb. 86 - 89) und die letzten Überreste des „Сказка о попе и работнике его Балде“<br />
(„Die Geschichte vom Popen und seinem Diener Balda“, Abb. 105 und 106),<br />
außerdem den „Самоедский мальчик“ („Der Eskimojunge“, Abb. 94 und 95) und<br />
die animierten Teile aus dem „Новый Гулливер“ („Der Neue Gulliver“ Abb. 81 – 83)<br />
ausgewählt. Das Publikum, dem die Filme bis dahin völlig unbekannt gewesen<br />
waren, applaudierte begeistert, und André Martin, der die sowjetische Animation<br />
der fünfziger Jahre in seinen Publikationen immer wieder verurteilt hatte, kam auf<br />
Ivanov-Vano zu und fragte ihn, warum nur die Sowjetunion nach einem solchen<br />
fulminanten Beginn nicht auf dem bereits eingeschlagenen Weg geblieben war und<br />
sich ausschließlich an Disney orientiert hatte. Ivanov-Vano bleibt ihm eine Antwort<br />
schuldig – dem „kapitalistischen“ Kritiker die wahren Gründe <strong>für</strong> dieses Phänomen<br />
zu nennen, konnte sich auch ein so hochangesehener und hochgestellter<br />
Kulturfunktionär wie Ivanov-Vano nicht leisten. Zwischen den Zeilen seines Berichts<br />
aber klingt – ein einziges Mal im Buch – das Bewußtsein über die Einbahnstraße an,<br />
auf der das Studio sich in diesem Zeitraum bewegte: „Я не хотел говорить Андре<br />
Мартену о сложном развитии нашей мультипликацией того времени и ответил<br />
ему довольно общей фразой: Так уж сложилась наша судьба.“ 115 Kein Wort über<br />
den Sozialistischen Realismus, kein Wort über das von oben verordnete Ende der<br />
Experimente (nicht nur) auf dem Gebiet des Trickfilms, das mit der<br />
Zusammenlegung der einzelnen Trickfilmeinheiten und der Einführung der<br />
Zelluloidtechnik zusammenhing. Statt dessen wird alle Schuld auf den<br />
(unbedeutenden) Regisseur Viktor Smirnov abgewälzt, der, weil er in Amerika<br />
115 И. Иванов-Вано, Кадр за кадром, Москва: Искусство, 1980, p. 81.<br />
69
gearbeitet hatte, die „Fließbandarbeit“ der dortigen Studios kannte und in ihr die<br />
Lösung aller Probleme sah. Die Vermutung liegt nahe, daß Smirnov das Sprachrohr<br />
jener Funktionäre aus dem Zentralen Komitee <strong>für</strong> die Kino- und Fotoindustrie 116 war,<br />
die mehr Trickfilm <strong>für</strong> weniger Geld, die strikte Ausrichtung auf kindergerechte<br />
Themen (und damit das Ende politischer Satire, wie sie in den Filmen der zwanziger<br />
Jahre zu finden ist) und die schnelle Umsetzung der neuen ästhetischen Doktrin <strong>für</strong><br />
wichtiger befanden als die Produktion überzeugender Filme. Das damit zum zweiten<br />
Mal innerhalb weniger Jahre ein brain drain stattfand – nach der Revolution und der<br />
darauf folgenden Emigration wichtiger Künstler 117 nun der Rückzug einer ganzen<br />
Reihe außerordentlicher Regisseure aus dem Trickfilm – dürfte die Kulturbürokratie<br />
wenig gestört haben. So ließen z.B. Merkulov, Khodataev und Kommissarenko den<br />
Trickfilm hinter sich, ebenso folgte Aleksandr Ptushko, der zunächst noch der erste<br />
Direktor des neunen Sojuzmul’tfil’mstudios gewesen war. Die anderen mussten sich<br />
gezwungenermaßen dem neuen Stil und der neuen, industriellen Arbeitsweise<br />
unterordnen. Ivanov-Vano berichtet über die radikalen Änderungen, denen sowohl<br />
116 ГУКФ, Главный комитет кинофотопромышленность<br />
117 Neben Starevich ist hier vor allem sein Arbeitgeber, Aleksandr Khanzhonkov, zu nennen. Seine<br />
Lebensgeschichte wäre eine eigene Untersuchung wert, zumal seine Autobiographie, 1937 unter<br />
dem Titel „Ранние годы русской кинематографии“ erschienen, von der Zensur um ein Drittel<br />
gekürzt und der Zeitabschnitt nach 1921 vollkommen ausgelassen wurde. Khanzhonkov, 1877 in<br />
einem kleinen Dorf am Ufer des Don als Sohn eines Kosaken-Offiziers geboren, gründete 1911 die<br />
erste russische Kinomanufaktur, eine Aktiengesellschaft, deren Hauptgeldgeber der einflussreiche<br />
Bankier Ivan Oserov war, der auch Mitglied des Staatsrats war. Obwohl sich Oserov in seiner<br />
Autobiographie wenig wohlwollend über das kaufmännische Geschick seines Kompagnons äußerte,<br />
florierte das Kinogeschäft, und Khanzhonkov wurde zum Ziehvater nicht nur des frühen russischen<br />
Films, sondern auch des Trickfilms - Ladislas Starevich bekam, wie gesagt, von ihm seine ersten<br />
Filme finanziert. Nach der Oktoberrevolution emigrierte Khanzhonkov über Jalta zunächst nach<br />
Konstantinopel, dann nach Wien und später nach Berlin. Im Ausland verdiente er seinen<br />
Lebensunterhalt damit, seine Filme aus der Zeit vor der Revolution zu zeigen. Mehrfach versuchte<br />
er, zusammen mit emigrierten Schauspielern eine neue Kinofabrik zu gründen, das Vorhaben<br />
scheiterte aber immer wieder, trotz des guten Rufs, den er genoß. 1923 kehrte er nach Moskau<br />
zurück, wohl in der Hoffnung, daß die Neue Ökonomische Politik das Ende des Kommunismus<br />
darstellte. Diese Hoffnung zerschlug sich aber mit dem Tod Lenins und dem Ende dieses<br />
Experiments, und das Studio „Ruskino“, <strong>für</strong> dessen Gründung Khanzhonkov nach Moskau eingeladen<br />
worden war, erblickte das Licht der Welt nicht mehr. 1925 wurde er als Klassenfeind verhaftet, zu<br />
einem halben Jahr Haft verurteilt und büßte seine Bürgerrechte ein. Erst 1931 wurde er<br />
rehabilitiert, woraufhin er wieder nach Jalta zog, wo er bis zu seinem Tod 1945 lebte und vor allem<br />
publizistisch arbeitete. Khanzhonkovs Leben kann exemplarisch <strong>für</strong> die gesamte Kinoelite des<br />
vorrevolutionären Rußland gesehen werden. Es ist deshalb wenig verwunderlich, daß die<br />
Kinoindustrie (und mit ihr der Trickfilm) in Rußland bis in die Mitte der Zwanziger Jahre weitgehend<br />
brachlag.<br />
70
er, wie auch etwa die Brumberg-Schwestern, die das Studio nicht verließen, sich<br />
beugen mussten, im Kapitel „Создание Союзмультфильма“ (S. 93 - 112). Nun soll<br />
Ivanov-Vano seine Meisterschaft und seine Bedeutung <strong>für</strong> die Entwicklung des<br />
sowjetischen Trickfilms nicht abgesprochen werden. Auch kann man von einer 1980<br />
erschienenen Publikation keine wahrheitsgetreue Berichterstattung fordern<br />
(Brezhnev starb 1982), aber die nachträgliche Selbststilisierung hätte auch nicht sein<br />
müssen. Immerhin wurde Ivanov-Vano zum tonangebenden Regisseur der fünfziger<br />
und frühen sechziger Jahre. Giannalberto Bendazzi charakterisiert die Epoche<br />
dementsprechend auch als „Ivanov-Vano's Soviet Union“ und sieht in ihm „the most<br />
influential personality in cultural politics, [who,] notwithstanding the excellent<br />
technical, narrative and dramatic knowledge Soviet animators possessed, considered<br />
[animation] as a public service, responsible for good entertainment and methodical<br />
teaching.“ 118 Ohne diese Auffassung wäre er auch schwerlich zu einer solch<br />
einflußreichen Persönlichkeit geworden oder hätte seinen Lehrstuhl an der<br />
<strong>Staatliche</strong>n Filmhochschule erhalten. Seine Einschätzung des Films „Китай в огне“<br />
(„China im Feuer“, Abb. 53 – 55), der einer der ersten Versuche des Studios<br />
Mezhrabpomfil’m gewesen war, und an dessen Herstellung er teilgenommen hatte,<br />
wirft ein Licht auf seine wahre Einstellung zu den frühen Experimenten: „В 1967<br />
году, я намеревался показать ‚Китай в огне‘ на Международном фестивале-<br />
ретроспективе мультипликационных фильмов в Монреале. Но, просмотрев<br />
фильм несколько раз, я вынужден был отказаться от своей затей, так как многие<br />
сцены показались мне просто чудовищными по своей несуразности.<br />
Персонажи в них двигались примитивно, невыразительно, их поведение<br />
совершенно не соответствовали образному характеру сцены. Монтажные планы<br />
118 Giannalberto Bendazzi, Cartoons. One Hundred Years of Cinema Animation,<br />
London/Bloomington: John Libbey/Indiana University Press, 1994, p. 177; diese Ausrichtung war der<br />
gesamten Kunstproduktion eigen: bis 1973 sind sämtliche Werke, seinen sie literarischer oder<br />
künstlerischer Herkunft, nicht einmal durch Urheberrechte geschützt, sondern Teil der public<br />
domain.<br />
71
были чрезвычайно длинны и однообразны по движению. “ 119 Im weiteren führt<br />
Ivanov-Vano seine Überzeugung noch tiefer aus, dass Animation vor allem der<br />
Erziehung der jungen Generation zu dienen habe, und singt ein Loblied auf die<br />
Kommunistische Partei: „Огромное влияние на идейный, художественный рост<br />
нашей мультипликацией оказала Коммунистическая партия Советского Союза<br />
[sic!], которая четко указывала художникам на необходимость борьбы за<br />
идейность и народность нашего искусство. “ 120<br />
In diesem Kotau vor der Staatsmacht und damit letztendlich auch dem Geldgeber<br />
nicht nur <strong>für</strong> die einzelnen Projekte Ivanov-Vanos, sondern auch <strong>für</strong> seine<br />
Autobiographie, spiegelt sich das zwiespältige Verhältnis wieder, in dem die<br />
Künstler in der Sowjetunion im Allgemeinen standen – eine Frage, die über den<br />
Themenkomplex Animation hinausreicht und auch westlichen Künstlern nicht<br />
unbekannt ist, wenn sie hier auch weniger ideologisch ausformuliert erscheint: Der<br />
Konflikt zwischen Auftraggeber und Ausführendem, der sich seit der bekannten<br />
Anekdote von Apelles und Alexanders Pferd durch die Kunstgeschichte zieht.<br />
Obwohl seit dem Beginn der Sechziger Jahre eine Suche nach neuen Formen beginnt,<br />
obwohl viele Regisseure und Art Directors ihre Filme auf eine breitere Basis<br />
graphischer Quellen stellen und obwohl das Experiment wieder in den Kanon der<br />
sowjetischen Kunst aufgenommen wird, bleiben doch revolutionäre Verwerfungen<br />
aus: Die Imitation, nicht die Interpretation, wie Dušan Vukotič formuliert 121 , steht<br />
auch trotz der gewaltigen Fortschritte, die vor allem in den sechziger Jahren im<br />
Bildsystem der Sowjetunion im Ganzen stattfinden, und die Fjodor Khitruk mit dem<br />
119 И. Иванов-Вано, Кадр за кадром, Москва: Искусство, 1980, p. 19.<br />
120 И. Иванов-Вано, Кадр за кадром, Москва: Искусство, 1980, p.152<br />
121 „Особенность мультипликации в том, что в ней нет репродуцирования, невольной<br />
регистрации предметов, которые попадут в поле зрения киноглаза в художественных фильмах<br />
с актёрами. Мир мультипликации существует только на экране. Это новая действительность,<br />
исходящая из настоящей действительности, как интерпретация, а не имитация жизни. “ Душан<br />
Вукотич, Учительская газета 22. юля 1967 г., cit. sec. Асенин, Сергей, Волшебники экрана,<br />
Эстетические проблемы современной мультипликации. Москва: Искусство, 1974.<br />
72
treffenden Schlagwort „Intellektualisierung“ kennzeichnet 122 , weiterhin im<br />
Mittelpunkt der offiziellen Sichtweise. In diesem Licht ist auch verständlich, warum<br />
Aleksej Orlov eine „удивительная наивность отечественной мультипликации“ 123<br />
konstatiert – im ständigen Ringkampf mit der Zensurbehörde bleibt den<br />
Protagonisten nicht viel Kraft, über das Mittelmaß hinauszuwachsen; ein Umstand,<br />
auf den besonders Jurij Norshtejn hingewiesen hat: „Сегодня, мультипликация у<br />
нас - разная. Есть фильмы талантливые. Правда, у них нет большого смыслового<br />
запаса, но это и не входит в их задачи. Есть невозможно средний уровень, на<br />
грани атрофирования. Он существует, и будет существовать, и не атрофируется<br />
никогда. И есть очень редкие фильмы, которые по-настоящему хороши. Редкие<br />
не потому, что нет талантливых людей - просто очень часто не хватает сил. “ 124<br />
Dennoch kann von der Zeit seit der Mitte der sechziger Jahre bin zum Ende der<br />
Sowjetunion als einer ausgesprochen ergiebigen und auch erfolgreichen <strong>für</strong> den<br />
Trickfilm gesprochen werden. In gewisser Weise ähnelt die sowjetische Filmindustrie<br />
sogar dem Löwen und der Schildkröte aus dem gleichnamigen Film von Inessa<br />
Kovalevskaja, die auf dem Rücken liegen, in die Sonne schauen und darüber ein<br />
Liedchen singen – den ganzen Film über. Und als die Sonne untergeht, macht sich<br />
der Löwe auf den Heimweg, nicht ohne vorher die Schildkröte zu fragen, ob sie,<br />
wenn er morgen wieder vorbeikäme, nicht wieder zusammen singen könnten. „Na<br />
klar,“ antwortet sie ihm, „wenn Du morgen wieder da bist, singen wir ein neues<br />
Liedchen!“ Ein treffenderes Bild <strong>für</strong> die Situation des sowjetischen Films im<br />
allgemeinen, des Trickfilms aber im Besonderen läßt sich kaum finden. Der einzelne<br />
Künstler, Regisseur oder Mitarbeiter konnte sicher sein, nach dem Ende seines im<br />
Moment laufenden Projektes wieder ein neues zu finden, in einem der etwa 50<br />
122 „Za nplynulých 20 rokov prežila sovietska animovaná tvorba svoje snovuzrodenie. Nasha ‚čista<br />
výtvarná‘ kinematografia – ako bola označovana – sa stala intelektualnou.“ Ф. Хитрук, cit. sec.<br />
Rudolph Urc, Animovaný Film, Martin: Osveta, 1980, p.28<br />
123 А. М. Орлов, Аниматограф и его анима, Москва: Импето, 1995, p. 254<br />
124 Ю. М. Норштейн, Снимали Шинель…, Москва: Огонёк № 43, окт. 1988, p. 18<br />
73
Trickfilme, die Gosplan <strong>für</strong> jedes Jahr vorgesehen hatte, unterzukommen und sein<br />
Auskommen zu haben.<br />
Dementsprechend war die Untergrundkunst, die weitab der offiziellen<br />
Staatskunst ein bohème-durchtränktes Leben 125 führte, auch eher mit dem Nimbus<br />
der „echten“ Kunst versehen als der Trickfilm, dessen Studios zwar als<br />
Auffangbecken <strong>für</strong> die unbeliebten Künstler diente, aber eben doch mit staatlichem<br />
Geld finanziert wurde und unter staatlicher Aufsicht stand. Allerdings ist hier auch<br />
wieder das Wirken jener sprichwörtlichen „Mafia der Guten“, die über ein Netzwerk<br />
von Beziehungen der Sowjetbürokratie immer wieder auch Zugeständnisse<br />
abtrotzen konnte, zu beobachten. Zum Beispiel kann damit der Erfolg erklärt<br />
werden, den Fjodor Khitruk mit seiner unermüdlichen Lobbyarbeit <strong>für</strong> Jurij<br />
Norshtejns Film „Ежик в тумане“ („Kleiner Igel im Nebel“, 1975) erwirkte, nachdem<br />
der Film mehrmals wegen Zeitüberschreitung ad acta gelegt werden sollte. Dieses<br />
Phänomen ist ebenso wie die weiter oben immer wieder angesprochenen<br />
Bemühungen einzelner Künstler, in ihre Filme Subtexte einzubinden, ein<br />
wesentlicher Zug im Studio – und sicherlich ebenso systemimmanenten Ursprungs:<br />
„Ganz allgemein gesagt, eine Umgangsweise mit aufgezwungenen Systemen führt<br />
zum Widerstand gegen das historische Gesetz eines tatsächlichen Zustandes und<br />
gegen seine dogmatischen Legitimationen. Die Benutzung einer von anderen<br />
geschaffenen Ordnung führt zu einer Neuaufteilung des Raumes in dieser Ordnung,<br />
sie schafft zumindest einen Spielraum <strong>für</strong> die Bewegungen von ungleichen Kräften<br />
und <strong>für</strong> utopische Bezugspunkte.“ 126<br />
125 Zur Art und Weise dieses Lebens siehe das außerordentlich kurzweilige und informative Buch<br />
„Немухинские монологи“ von Mark Ural’skij (Марк Уральский, Немухинские монологи, Москва:<br />
Бонфи, 1999). Wir stützen uns hier auf ein Kunstverständnis, das Duchamp wie folgt formulierte:<br />
Für ihn war der Kunstmarkt ein Feld, das die Kunst gezwungenermaßen passieren mußte, doch<br />
werde sie beim Durchschreiten dieses Feldes von zu vielen fremden Faktoren auf Mittelmäßigkeit<br />
getrimmt, die durch eine „Revolution, diesmal eine von asketischer Art“ erneuert werden müsse.<br />
Deshalb war <strong>für</strong> ihn klar: „The great artist of tomorrow will go underground.“ Siehe dazu etwa:<br />
Molly Nesbit; Port of Calls, in: documenta- und Fridericianum-Veranstaltungs-GmbH (Ed.),<br />
Documenta11_Plattform 5. Ausstellungs-Katalog, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz Verlag, 2002, p. 85-<br />
102. Diesen Hinweis verdanke ich Frank-Thorsten Moll.<br />
126 Michel de Certeau, Die Kunst des Handelns, Berlin: Merve, 1988, p. 59.<br />
74
Gerade in diesem Zusammenhang muß noch einmal betont werden, wie sehr<br />
die qualitativen Veränderungen im Trickfilm der Jahrzehnte vor dem Ende der<br />
Sowjetunion mit charakteristischer Augenscheinlichkeit den russischen Trickfilm<br />
erneuert und das künstlerische und intellektuelle Niveau vieler Filme auf eine Stufe<br />
mit den besten Werken aus den traditionellen Künste angehoben haben. Dies<br />
geschah mit Hilfe einer kardinalen Umdeutung der Wirkungsmacht dieser Filme<br />
und einer substantiellen Ausweitung der Palette ihrer Genres. Dazu gehört auch die<br />
radikale Veränderung der trickfilmimmanenten Konstruktionen, zu allererst unter<br />
grundlegender Veränderung der Prinzipien zur Erarbeitung der Personage, die sich<br />
von illustrativem Darstellungs-Material zu bedeutungstragenden Elementen ganzer<br />
Kompositionen entwickeln. „Основной чертой российской анимации второй<br />
половины ХХ века [i.e. bei ihren herausragenden Protagonisten, T.L.] является<br />
тенденция заимствования или рефлексии, предполагающая свободное<br />
обращение к текстам интертекстуального пространства культуры и традициям<br />
мирового искусство и включение их в современную практику.“ 127<br />
Entscheidende Bedeutung erwirbt nicht zuletzt die Textur des Bildes, und<br />
daran anschließend die von ihr getragene Bestimmung der Parameter eines Films.<br />
Der Begriff „Textur des Bildes“ versteht sich hier vor allem als Schnittmenge der<br />
Arten und Techniken, die die Bildwelt eines Films bestimmen, und die dabei die<br />
entscheidende Neuerungskraft der Filme der von uns betrachteten Epoche darstellt.<br />
Sieht man den Trickfilm als aus der Bildenden Kunst herstammend, genauso aber als<br />
Kunst, die eine dichte literarische Tradition und ein ebensolches Potential hat, ergibt<br />
sich schnell der Eindruck des Zusammenwirkens zweier Arten der Erzählung:<br />
visuell und verbal. Da heute die verbalen, d. h. ideologische Beschränkungen im<br />
Großen und Ganzen nicht mehr existieren (was nicht bedeutet, daß die heutigen<br />
Autoren leichter als früher lebten; die Abwesenheit von Geldmitteln ist ein mächtiges<br />
127 Наталья Геннадьевна Кривуля, Лабиринты анимации. Исследование художественного<br />
образа российских анимационных фильмов второй половины ХХ века, Москва: Граал, 2000, p.<br />
255<br />
75
Werkzeug der Zensur im übertragenen Sinn), werden <strong>für</strong> die Künstler und<br />
Regisseure der heutigen Generation eben die bildlichen Eröffnungen jener Pioniere<br />
wichtiger, die in der vorliegenden Arbeit untersucht sind. „Развитие<br />
стилистических направлений в анимации 60-х – 90-х годов, связанное с уходом<br />
от канонической эстетики и универсального языка, происходит через осознание<br />
множественности языков культурного пространства и их самодействие между<br />
собой на основах отдельных сходств. “ 128<br />
Im Vergleich zu den viel weiter greifenden und auch früher einsetzenden<br />
Umwälzungen im Westen, etwa der „UPA revolution“, sind die Neuerungen<br />
natürlich vergleichsweise mild, worauf Bendazzi hinweist: „The 1960s saw a timid<br />
renewal in style and theme, which emerged particularly in folkloric representations<br />
of the Russians and of the other peoples of the immense multiracial, multi-national<br />
republic. Much time had to pass however, before Soviet animation, as well as Soviet<br />
cinema as a whole, abandoned its conventionality and its lack of creative and<br />
intellectual daring. Years had to pass, also, before the Soviet Union produced<br />
autonomous artists capable of elitist and personal creative discourses, as happened<br />
earlier in other countries with similar communist regimes such as Czechoslovakia or<br />
Poland. Unlike Russian live-action cinema, flourishing with Grigori Chukrai's works,<br />
Soviet animation did not take part in the thriving period coinciding with<br />
Khrushchev's thaw. Notwithstanding the excellent technical, narrative and dramatic<br />
knowledge Soviet animators possessed, animation was considered […] as a public<br />
service, responsible for good entertainment and methodical education. “ 129 Weiter<br />
heißt es: „In the 1980s, just a few years before the demise of the Soviet Union,<br />
animators in the Soviet Republics were finally able to exploit their potential, thanks<br />
to the new decentralization of production. Soviet artists were able to abandon the<br />
128 Наталья Геннадьевна Кривуля, Лабиринты анимации. Исследование художественного<br />
образа российских анимационных фильмов второй половины ХХ века, Москва: Граал, 2000, p.<br />
255<br />
129 Giannalberto Bendazzi, Cartoons. One Hundred Years of Cinema Animation,<br />
London/Bloomington: John Libbey/Indiana University Press, 1994, S. 177<br />
76
politics of ‚service‘ they had to follow for a long time and to start a period of<br />
autonomous work. “ 130<br />
Das ist im großen und ganzen richtig beobachtet, enthält aber<br />
Verallgemeinerungen, die der Realität nicht rundweg entsprechen. Die Gefahr<br />
großer Überblickswerke liegt wohl gerade in einer solchen Überblendung von<br />
Details, so daß sich am Ende ein zumindest unvollständiges Bild ergibt. Die gesamte<br />
Elite des sowjetischen Kinos der Nachkriegszeit auf Chukhraj zu begrenzen, ist eine<br />
nahezu sträfliche Verkürzung 131 . Abgesehen davon ist natürlich richtig, daß in der<br />
Sowjetunion ein bedeutend größere ideologische Einflußnahme ausgeübt wurde –<br />
und das sowohl im Spiel- als auch im Trickfilm – als in jenen Volksrepubliken, die<br />
eher an der Peripherie lagen und in denen dementsprechend nachlässigere<br />
Kontrollen ausgeübt wurden 132 . Es ist auch richtig, daß erst in den achtziger Jahren<br />
eine gewisse Dezentralisierung eintrat, das Sojuzmul’tfil’mstudio dementsprechend<br />
an Bedeutung verlor und mit dem Ende der Sowjetunion seine Vorreiterrolle<br />
aufgeben mußte. Es sollte dabei aber nicht vergessen werden, daß dieser Vorgang<br />
mit einer drastischen Kürzung der Mittel einherging, was zur Folge hatte, daß<br />
insgesamt weniger Filme gedreht wurden – und diese wiederum unter strikter<br />
Budgetkontrolle. Viele jener Trickfilmschaffenden, die sich diesen veränderten<br />
Vorzeichen nicht anpassen konnten, beendeten deshalb in diesen Jahren ihre Karriere<br />
– manche aus Altersgründen, manche aber auch vorzeitig.<br />
Ein solcher Paradigmenwechsel in den letzten Jahren vor dem Ende der<br />
Sowjetunion, wie ihn Bendazzi anreißt und wie ihn die vorliegende Arbeit versucht,<br />
130 Giannalberto Bendazzi, Cartoons. One Hundred Years of Cinema Animation,<br />
London/Bloomington: John Libbey/Indiana University Press, 1994, S. 333<br />
131 Nimmt man hier nur die sechziger Jahre als Grundlage, hätten zumindest noch Georgi Daneliya<br />
oder Mikhail Kalatozishvili Erwähnung verdient, kommen die siebziger Jahre hinzu, müßten<br />
wenigstens Andrej Tarkovskij und der junge Nikita Mikhalkov genannt werden. Einen ausführlichen<br />
Überblick bieten etwa Mira Liehm, The Most Important Art: Soviet & East European Film After<br />
1945, Berkeley, Los Angeles: University of California Press, 1981 oder Jay Leyda, Kino. A History of<br />
the Russian and Soviet Film: A study of the development of Russian cinema from 1896 to the<br />
present, London: George Allen & Unwin, 1973.<br />
132 Einzige Ausnahme ist hier die DDR, in der die Maßstäbe ebenso rigide waren wie in der<br />
Sowjetunion selbst. In Polen, der Tschechoslowakei und besonders in Jugoslawien aber fand nur<br />
eine sehr oberflächliche Zensur statt.<br />
77
ausführlich zu behandeln, wäre aber ohne die grundlegenden Veränderungen, die<br />
seit dem „Tauwetter“ das Gesicht des sowjetischen Trickfilms fast vollständig<br />
veränderten, undenkbar. Diese Neuerungen deshalb als „timid“ zu bezeichnen, ist<br />
ohne Zweifel zu kurz gegriffen, ebenso, wie „the renewal in style“ nur auf das<br />
Heranziehen von Quellen aus der Folklore zu reduzieren. Im Gegenteil, gerade daß<br />
nun nicht mehr nur auf Märchen und Sagen zurückgegriffen werden konnte,<br />
sondern auch explizit zeitgenössische Geschichten erzählt und satirisch behandelt<br />
werden konnten, gab dem sowjetischen Trickfilm in den siebziger und achtziger<br />
Jahren bis dahin ungekannten Aufschwung. Für viele der in dieser Zeit Arbeitenden<br />
umfaßten diese Jahre den Höhepunkt ihres Schaffens, und dementsprechend wurde<br />
das Jahrzehnt vor der Perestroika auch zu einer besonders fruchtbaren Periode <strong>für</strong><br />
den Trickfilm in der Sowjetunion. Es sollte auch nicht vergessen werden, daß im<br />
Westen der Trickfilm in einer Krise steckte, ausgelöst durch steigende Kosten in der<br />
Produktion und nachlassende Nachfrage bei den Fernsehstationen. Die Folge waren<br />
qualitativ minderwertige Serien, die nur unter dem Gesichtspunkt der<br />
Kostenoptimierung hergestellt wurden. Aus dem Ostblock kamen dagegen<br />
hochwertig animierte und hohen künstlerischen Ansprüchen genügende Filme, die<br />
auch heute noch ihre Plätze unter den Besten ihrer Art einnehmen.<br />
Daß dagegen der heutige russische Trickfilm noch mehr oder weniger<br />
händeringend nach einer überfälligen Selbstverortung im neuen, internationalen und<br />
ausgesprochen konkurrenzgeprägten Trickfilmgeschehen sucht, ist auch nicht weiter<br />
verwunderlich. Zu hart war der Übergang vom staatlichen System ins<br />
marktwirtschaftliche, zu ungewohnt ist es vielen noch bis heute, daß neben dürftigen<br />
Beihilfen des Kultusministeriums nur auf Handlangerarbeiten <strong>für</strong> große<br />
amerikanische Studios oder auf Reklameanimation zurückgriffen werden kann, um<br />
sein Geld zu verdienen. Dmitrij Naumov, Präsident der Vereinigung Russischer<br />
Trickfilmer, kann deshalb nur resigniert seufzen: „Вот ветераны каждый год<br />
собираются у Большого театра, чтобы посмотреть, кто еще осталься. Так и мы<br />
78
собираемся в Тарусе…“ 133 Den Preis der Freiheit, wie sein etwas apokalyptischer<br />
Titel lautet, versucht auch ein Sammelband 134 auszuloten, der 2001 vom Russischen<br />
Kinoverband herausgegeben wurde. Die befragten Künstler zeichnen fast durchweg<br />
ein negatives Bild der Entwicklung seit dem Ende der achtziger Jahre.<br />
Der Tonregisseur Roman Kasarjan etwa beklagt die „Hamburgerisierung“ der<br />
russischen Kinoindustrie: „В настоящее время у нас еще достаточно много<br />
талантливых и недостаточно востребованных режиссеров старшего и среднего<br />
поколения. [В то же время,] количество обучающихся в разных учебных<br />
заведениях растет с каждом годом, а уровень их профессиональной подготовке<br />
оставляет желать лучшего. И тут уж ничего не поделаешь, ибо развитие<br />
цивилизации сопровождается, с одной стороны, появлением новых цифровых<br />
технологии, а с другой – ‚гамбургеров‘, которые постепенно вытесняют ‚ручную<br />
выпечку.‘“ 135 Für Gari Bardin hingegen ist das Wegfallen einer einheitlichen<br />
Ausbildung der Kern des Übels: „Нужна школа, и к этому надо подходить очень<br />
серьезно. Пока этого нет, но отдать свой опыт кому-то хотелось бы.“ 136 Mikhail<br />
Aldashin allerdings warnt davor, in ein Lamento des Typs „Früher war alles besser!“<br />
auszubrechen, sieht aber dennoch große Einbußen, die das russische Kino<br />
hinnehmen mußte: „Не сочтите за брюзжание типа ,раньше все было лучше‘, но<br />
объективно можно сказать, что очень многое было утрачено.“ 137<br />
In gewisser Weise ist dieser Pessimismus durchaus gerechtfertigt – vergleicht<br />
man etwa die russischen Produktionen der vergangenen Jahre mit der<br />
internationalen Konkurrenz, sind die Knebel, die sich die russischen Autoren selbst<br />
auferlegen, klar ersichtlich: Die seit 1997 wiederaufgelegte „Neznaika“-Serie von A.<br />
133<br />
Валентина Шемякина, „Нас осталось мало…“, Кинопарк № 3, 1999, р. 50<br />
134<br />
В.И. Фомин [Ed.], Кино России 90-e годы: Цена свободы, Москва: Союз Кинематографистов<br />
РФ, 2001<br />
135<br />
Роланд Казарян, „Гамбургеры вместо ручной выпечки“, in: В.И. Фомин [Ed.], Кино России<br />
90-e годы: Цена свободы, Москва: Союз Кинематографистов РФ, 2001, p. 79<br />
136<br />
Гари Бардин, „Заповеди даны, стройте сценарии“, in: В.И. Фомин [Ed.], Кино России 90-e<br />
годы: Цена свободы, Москва: Союз Кинематографистов РФ, 2001, p. 89<br />
137<br />
Михаил Алдашин, „От великой иллюзии должно светлеть на душе“, in: В.И. Фомин [Ed.],<br />
Кино России 90-e годы: Цена свободы, Москва: Союз Кинематографистов РФ, 2001, p. 100<br />
79
Ljutkevich 138 (das sowjetische Original stammt aus der Mitte der siebziger Jahre)<br />
kann in keiner Weise mit den Standards, die in ähnlichen Sujet-Bereichen etwa Craig<br />
McCracken mit den „Powerpuff Girls“ 139 oder Hajime Yatate mit „Cowboy Bebop“ 140<br />
gesetzt haben, mithalten. Serien, die mit Hintergründigkeit, Selbstreferentialität,<br />
Verortung in der Trickfilmgeschichte und einfach widersinnigem Humor solcher<br />
Glanzstücke wie „Catdog“ (Peter Hannan) 141 , „Spongebob Squarepants“ (Stephen<br />
Hillenburg) 142 oder der notorischen „Ren and Stimpy Show“ (John Kricfalusi) 143<br />
mithalten könnten, sucht man vergeblich. Gelungener ist da, nicht zuletzt, weil ihr<br />
Schöpfer Tatarskij ja selbst immer im Konflikt mit den herrschenden Vorgaben stand,<br />
die Serie „Следствие ведут Колобки“ („Es ermitteln die Gebrüder Knödel“, seit<br />
1986) 144 , aber gegen die Doppelbödigkeit und Selbstironie sujetverwandter Werke<br />
wie etwa „Lupin III“ (Katou Kazuhiko) 145 hat auch sie es schwer, Boden<br />
gutzumachen. Erfolgreicher sowohl in künstlerischer als auch in erzählerischer<br />
Hinsicht ist die aus dem Internet stammende Kultserie „Masjanja“ (Oleg Kuvajov) 146 ,<br />
die aufgrund ihrer „Herkunft“ eben nicht mit dem Restballast sowjetischer<br />
Kulturpolitik zu kämpfen hat und sich deshalb in Sozialkritik und popkultureller<br />
Verwurzelung durchaus mit den „Simpsons“ oder „South Park“ messen kann.<br />
Erst in den letzten beiden Jahren hat es wieder Versuche gegeben, auch<br />
abendfüllende Trickfilme in Rußland zu drehen. „Карлик Нос“ („Zwerg Nase“,<br />
nach dem Märchen von Wilhelm Hauff, Regie: Il’ja Maksimov, 2003) 147 und „Алёша<br />
138 Cf. http://www.animator.ru/db/index.phtml?p=show_film&fid=5685, März 2005<br />
139 Cf. http://www.cartoonnetworkla.com/english/ppg/, März 2005<br />
140 Cf. http://mag.awn.com/index.php?ltype=pageone&article_no=1666, März 2005; hinter dem<br />
Pseudonym verbirgt sich das gesamte Team der Sunrise-Studios.<br />
141 Cf. http://peterhannan.com/catdog.html, März 2005<br />
142 Cf. http://news.awn.com/index.php?ltype=top&newsitem_no=13271<br />
143 Cf. Mark Langer, „Animatophilia, cultural production and corporate interests: The case of Ren &<br />
Stimpy,“ in: Jayne Pilling [Ed.], A Reader in Animation Studies, London et al.: John Libbey, 1997. p.<br />
143-163.<br />
144 Cf. http://www.animator.ru/db/index.phtml?p=show_film&fid=5292, März 2005<br />
145 Cf. http://www.lupinofficial.com/, März 2005<br />
146 Cf. http://www.ruhr-uni-bochum.de/lirsk/sphaeren/kult/masja.htm, März 2005<br />
147 Cf. http://www.animator.ru/db/index.phtml?p=show_film&fid=6176, März 2005<br />
80
Попович и Тугарин Змей“ („Aljosha Popovich“, Konstantin Bronsit, 2004) 148 , die<br />
beide aus dem Studio Mel’nitza in St.Petersburg kommen, kränkeln aber ebenso an<br />
einer schwachen, wieder einmal auf Disney hin orientierten bildlichen Ausarbeitung<br />
wie an recht einfallslosen Geschichten.<br />
Es ist deshalb eine vorwärtsschauende Rückschau, die man den heutigen<br />
Protagonisten empfehlen möchte, und die ja auch bei manchen Produktionen, vor<br />
allem bei solchen, die international co-produziert werden, mit beachtlichem Ergebnis<br />
angewandt wird. Das eine solche Rückbesinnung auf die ästhetischen Qualitäten, die<br />
in den besprochenen drei Jahrzehnten im Vordergrund standen, bei einer<br />
gleichzeitigen Loslösung von den narrativen und gedanklichen Gewohnheiten aus<br />
eben jener Zeit hervorragende Ergebnisse bringen, zeigen nicht zuletzt der Oscar <strong>für</strong><br />
Aleksandr Petrovs „Der alte Mann und das Meer“ 2000, der Emmy <strong>für</strong> Stanislav<br />
Sokolovs „The Miracle Maker“ 1995 oder die durchwegs positive kritische<br />
Aufmerksamkeit, die der Shakespeare-Serie 1997 zuteil wurde 149 . Das durchaus nicht<br />
alle vielversprechenden Autoren diesen Sprung geschafft haben und in alten<br />
Denkmustern gefangen bleiben, zeigen nicht zuletzt Produktionen wie Gari Bardins<br />
„Chucha“-Trilogie 150 oder die gerade bei Tatarskijs Pilot-Studio in Produktion<br />
gegangene 52-teilige Märchenserie, die sich mit reichlich brachialen, den<br />
sowjetischen Kinder-Beeinflussungs-Strategien nicht unähnlichen Versuchen,<br />
bestimmte Reaktionen im Zuschauer hervorzurufen, (zumindest) ins Abseits der<br />
Kritik manövrieren.<br />
Wichtige Einflüsse, die sich bis heute fortpflanzen, sind daher älter. 151<br />
Tatsächlich gibt es ja kaum einen heute arbeitenden Trickfilmkünstler aus der<br />
Independent-Szene, der sich in seinen Bildentscheidungen nicht auf Jurij Norshtejn<br />
148 http://www.animator.ru/db/index.phtml?p=show_film&fid=6567, März 2005<br />
149 Für einen Überblick cf. Надежда Муравьева, Творящие чудеса, Независимая Газета,<br />
17.07.2002<br />
150 http://www.animator.ru/db/index.phtml?p=show_film&fid=5775, März 2005<br />
151 Das sich diese Einsicht in Rußland selber erst allmählich durchsetzt, zeigt nicht zuletzt der<br />
Rechtsstreit zwischen dem Studio Soyuzmul'tfil'm und Films by Jove, Los Angeles, cf. e.g.<br />
http://www.findarticles.com/p/articles/mi_m0EIN/is_2003_April_25/ai_100603988<br />
81
eruft 152 . Es darf wohl ohne weiters als die Ironie des Schicksals bezeichnet werden,<br />
daß diese Szene in Rußland selber, zuallererst aus ökonomischen Gründen, heute<br />
nur noch schwach ausgeprägt ist. Für den Rest der Welt sind deshalb die Filme<br />
tatsächlich nicht mehr so einflußreich, die heute in Rußland, nach der Befreiung von<br />
staatlicher Bevormundung, gedreht werden, sondern diejenigen, die vom damaligen<br />
Ringen zwischen Kunst und Ideologie, das sich in „harmlosen“ Trickfilmen<br />
abspielte, künden. Es ist genau dieses Ringen, daß man sich als heutiger Zuschauer<br />
immer vor Augen führen muß, will man den Pionierleistungen, die diese Filme<br />
damals bedeuteten, heute umfassend Geltung zugestehen. Es sind die in dieser<br />
Arbeit besprochenen Künstler, die seit den sechziger, vor allem aber in den siebziger<br />
und achtziger Jahren ihre Entdeckungen erarbeiteten, neue Bildwelten <strong>für</strong> die<br />
Allgemeinheit zugänglich machten und neue ästhetische Ausdrucksweisen<br />
eröffneten. Der Einfluß, der davon auch heute noch ausgeht, ist zu wichtig, als daß<br />
man ihn in einigen wenigen Zeilen charakterisieren könnte. Dieses Unterfangen<br />
erschöpfender zu unternehmen, war der Zweck dieser Arbeit, und wenn sich der<br />
Leser an ihrem Ende ein Bild von den wichtigsten Vertretern des sowjetischen<br />
Trickfilms machen kann, ist er erreicht.<br />
152<br />
Diese Anregung verdanke ich dem polnischen Trickfilmer Piotr Dumala; persönliches Gespräch<br />
mit dem Autor, August 2004.<br />
82
Abbildungen<br />
Abb. 1: 38 Попугаев (1976 – 1985) Abb. 2: Ежик в тумане (1975)<br />
Abb.3: Архангельские Новеллы (1986) Abb. 4: Бабочка (1972)<br />
Abb. 5: Баня (1962) Abb. 6: Баня (1962)<br />
83
Abb. 7: Баня (1962) Abb. 8: Баня (1962)<br />
Abb.9: Большие неприятности (1961) Abb. 10: Большие неприятности (1961)<br />
Abb. 11: Большие неприятности (1961) Abb. 12: Большие неприятности (1961)<br />
84
Abb. 13: Большой подземный бал (1987) Abb. 14: Большой подземный<br />
бал (1987)<br />
Abb. 15: Брак (1987) Abb. 16: Большой Тылл (1980)<br />
85
Abb. 17: Брэк! (1985) Abb. 18: Брэк! (1985)<br />
Abb. 19: Брэк! (1985) Abb. 20: Бременские музыканты (1969)<br />
Abb. 21: Цапля и журавль (1974) Abb. 22: Цапля и журавль (1974)<br />
86
Abb. 23: Цапля и журавль (1974) Abb. 24: Сказка о Царе Дурандае (1934)<br />
Abb. 25: Сказка о Царе Дурандае (1934) Abb. 26: Сказка о Царе Дурандае (1934)<br />
Abb. 27: Человек в рамке (1966) Abb. 28: Человек в рамке (1966)<br />
87
Abb. 29 – 34: Чебурашка (1969 – 1983)<br />
Abb. 35: Чудеса в решете (1978) Abb. 36: Дом, который построил Джек (1976)<br />
Abb. 37: Чиполлино (1961) Abb. 38: Джябжа (1938)<br />
Abb. 39: Как казаки кулеш варили (1967) Abb. 40: Как мужья жен проучили (1976)<br />
89
Abb. 41: Фильм, фильм, фильм (1968) Abb. 42: Я к вам лечу воспоминаньем... (1977)<br />
Abb. 43: Федя Зайцев (1948) Abb. 44: Еще раз о моде (1970)<br />
Abb. 45: Ежик в тумане (1975)<br />
90
Abb. 46: История одного преступления (1962) Abb. 47: История одного преступления (1962)<br />
Abb. 48- 50: Каникулы Бонифация (1965)<br />
91
Abb. 51: Каток (1927) Abb. 52: Каток (1927)<br />
Abb. 53: Китай в огне (1925) Abb. 54: Китай в огне (1925)<br />
92
Abb. 55: Китай в огне (1925)<br />
Abb. 56: Клубок (1968) Abb. 57: Клубок (1968)<br />
Abb. 58: Конек-горбунок (1947) Abb. 59: Конек-горбунок (1947)<br />
Abb. 60: Конек-горбунок (1947) Abb. 61: Конек-горбунок (1947)<br />
93
Abb. 62: Королевский бутерброт (1985) Abb. 63: Легенда о Григе (1967)<br />
Abb. 64: Левша (1964)<br />
Abb. 65: Левша (1964) Abb. 66: Левша (1964)<br />
94
Abb. 67 – 69: Левша (1964)<br />
95
Abb. 70: Пейзаж с можжевельником (1987) Abb. 71: Лиса, бобер и другие (1960)<br />
Abb. 72: Лиса и заяц (1973)<br />
Abb. 73: Малыш и Карлсон (1968 – 1970) Abb. 74: Малыш и Карлсон (1968 – 1970)<br />
96
Abb. 75: Мастер из Кламси (1972)<br />
Abb. 76: Мастер из Кламси (1972)<br />
97
Abb. 77: Мойдодыр (1927, 2. Version 1939)<br />
Abb. 78: Мой зеленый крокодил (1966)<br />
Abb. 79: Не в шляпе счастье (1968) Abb. 80: Мечты (1931)<br />
98
Abb. 81: Новый Гулливер (1935)<br />
Abb. 82: Новый Гулливер (1935)<br />
Abb. 83: Новый Гулливер (1935)<br />
99
Abb. 84: Ну, погоди! (1971 – 1986) Abb. 85: Ну, погоди! (1971 – 1986)<br />
Abb. 86: Органчик (1933) Abb. 87: Органчик (1933)<br />
Abb. 88: Органчик (1933) Abb. 89: Органчик (1933)<br />
100
Abb. 90: Остров (1973) Abb. 91: Остров (1973)<br />
Abb. 92: Почта (1929) Abb. 93: Почта (1929)<br />
Abb. 94: Самоедский мальчик (1928) Abb. 95: Самоедский мальчик (1928)<br />
101
102
Abb. 96 – 98: Сеча при Керженце (1971)<br />
103
Abb. 99 – 100: Шинель (seit 1982, nicht fertiggestellt)<br />
Abb. 101: Сказка сказок (1979) Abb. 102: Прекрасная<br />
Люканида (1912)<br />
Abb. 103: Шпионские страсти (1967) Abb. 104: Ежик в тумане (1975)<br />
104
Abb. 105 – 106: Сказ о попе и его работнике Балде (1929)<br />
Abb. 107: Стеклянная гармоника (1968)<br />
105
Abb. 108: Топтыжка (1964)<br />
Abb. 109: Юморески (1924) Abb. 110: Юморески (1924)<br />
Abb. 111: Варежка (1967) Abb. 112: Варежка (1967)<br />
106
Abb. 113: Времена года (1969)<br />
107
108
Bildnachweis<br />
Sovexportfilm, s.a. [ca. 1986]. Каталог: Советские анимационные фильмы. Москва:<br />
Sovexportfilm: 1, 19, 29, 39, 40, 62, 73, 81 – 83, 85, 91, 98, 101 – 103, 105 – 107,<br />
111, 114, 117 – 119.<br />
Сергей Асенин, 1986, Мир мультфильма, Москва: Искусство: 3, 4, 7, 8, 16, 21 – 23,<br />
27, 28, 30 – 33, 35, 36, 41, 44, 46 – 48, 50, 63, 65, 66, 69, 71, 74, 78, 79, 112, 113, 115.<br />
Наталья Венжер (Ed.), 1990, Сотворение фильма. Несколько интервью по<br />
служебным вопросам, Москва: Союз Кинематографистов СССР: 2, 13 – 15, 17,<br />
18, 42, 56, 57, 64, 67, 68, 75, 76, 84, 90, 99 – 100, 104, 108, 116.<br />
Иван Иванов-Вано, 1980, Кадр за кадром, Москва: Искусство: 5, 6, 9 – 12, 20, 34, 37,<br />
43, 45, 49, 58 – 61, 70, 96, 97.<br />
Г. Рошаль (Ed.), 1936, Мультипликационный фильм, Москва: Кинофотоиздат: 24 –<br />
26, 38, 51 – 55, 77, 80, 86 – 89, 92 – 95, 109, 110.<br />
109
Verwendete Filme<br />
„25-0, первый день“ Рисованный с перекладкой, 8.50. Союзмультфилъм, 1968.<br />
Режиссёр Юрий Норштейн, Аркадий Тюрин, сценарист Юрий Норштейн,<br />
Аркадий Тюрин, художник-постановщик Юрий Норштейн, Аркадий<br />
Тюрин, оператор Владимир Саруханов.<br />
„38 попугаев“ Кукольный, 7.58. Союзмультфильм, 1976. Режиссёр Иван<br />
Уфимиев, сценарист Григорий Остер, художник-постановщик Леонид<br />
Шварцман, оператор Александр Жуковский, композитор Владимир<br />
Шайнский.<br />
„Аве Мария“ перекладка, 9.31. Союзмультфильм, 1972. Режиссёр Иван Иванов-<br />
Вано, Владимир Данилевич, сценарист Иван Иванов-Вано, художникпостановщик<br />
Владимир Наумов, В. Соколовa, оператор Владимир<br />
Сидоров.<br />
„Аленький цветочек“ Рисованный, 42.00. Союзмультфильм 1952. Режиссёр Лев<br />
Атаманов, сценарист Григорий Гребнер, художник-постановщик<br />
Александр Винокуров, Леопид Шварцман, оператор Михаил Друян,<br />
композитор Николай Будашкин.<br />
„Бабочка“ Рисованный, 8.13. Союзмультфильм, 1972. Режиссёр Андрей<br />
Хржавновский, сценарист Роза Хуенугдидзова, художник-постановщик<br />
Гелий Аркадьев, Юрий Нолев-Соболев, оператор Елена Петрова,<br />
композитор Альфред Шнитке.<br />
„Бабушкин козлик“ Рисованный, 18.24. Союзмультфильм, 1963. Режиссёр<br />
Леонид Амальрик, сценарист Феликс Кривин, художник-постановщик<br />
Надежда Привалова, Татьяна Сазонова, Оператор Михаил Друян,<br />
композитор Никита Богословский.<br />
„Балерина на корабле“ Рисованный, 16.45. Союзмультфильм, 1969. Режиссёр Лев<br />
Атаманов, сценарист Роза Хуснутдинова, художник-постановщик Гелий<br />
Аркаарьев, Борис Корнеев, оператор Михаил Друян, композитор Альфред<br />
Шнитке.<br />
„Банальная история“ Кукольный с натyрой, 9.36. Союзмультфильм, 1962.<br />
Режиссёр Иосиф Боярскнй, сценарист Аркадий Сиесарев, художникпостановщнк<br />
Федор Красный, оператор Теодор Бунимович, композитор<br />
Михаил Меерович.<br />
„Банкет“ Объемный, 10.06. Союзмультфнльм,1986. Режиссёр Гарри Бардин,<br />
сценарист Гарри Бардин, художник-постановщик Николай Титов,<br />
оператор Сергей Хлебников.<br />
„Баня“ Сиешаная, все виды, 53.12. Союзмультфильм, 1962. Режиссёр Анатолий<br />
Каранович, Сергей Юткевич, сценарист Анатолий Каранович, Сергей<br />
110
Юткевич, художник-постановщнк Лев 3барский, оператор Михаил<br />
Каменецкий, Н. Гринберг, Б. Арецкий, композитор Родион Щедрин.<br />
„Баранкин, будь Человеком!“ Рисованный, 21.12. Союзмультфильм, 1963.<br />
Режиссёр Александра Снехпсo-Блоцкая, сценарист В. Медведев, художникпостановщик<br />
Ильдар Урмаиче, оператор Е. Рнзо, композитор Виталий<br />
Гевглссмаи.<br />
„Бегемотик“ Рисованный, 3.42. Союзмультфильм, 1975. Режиссёр Эдуард<br />
Назаров, сценарист Эдуард Назаров, художник-постановщик Владимир<br />
Пальчиков, композитор О. Янченко.<br />
„Большие неприятности“ Рисованный 8.48. Союзмультфильм,1961. Режиссёр<br />
Валентина Брумберг, Зинаида Брумберг, сценарист Морис Слободской,<br />
художник-постановщик Валентин Лалаянц, Лама Азарх, оператор Елена<br />
Петрова, композитор Ннколай Прилуцкий.<br />
„Большой подземный бал“ Кукольный, 19.47. Союзмультфильм, 1987. Режиссёр<br />
Станислав Соколов, сценарист Виктор Славкин, художник-постановщик<br />
Елена Ликаиова, Лариса 3еневич, оператор Владимир Сидоров,<br />
композитор Шандор Каллош.<br />
„Брак“ Объемный, 9.45. Союзмультфильм, 1987. Режиссёр Гарри Бардин,<br />
сценарист Гарри Бардин, художник-постановщик Ирина Ленникова,<br />
оператор Сергей Хлебников.<br />
„Брак“ Пластилин, 10.29. Союзмультфильм, 1985. Режиссёр Гарри Бардин,<br />
сценарист Гарри Бардин, художник-постановщик Ирина Ленникова,<br />
оператор Сергей Хлебников.<br />
„Будильник“ Рисованный, 8.42. Союзмультфильм, 1966. Режиссёр Лев Мильчин,<br />
сценарист А. Митяев, художннк-постановщнк Лев Мильчин, оператор Е.<br />
Риза, композитор Ян Френкель<br />
„Букет“ Рисованный, 17.31. Союзмультфильм, 1966. Режиссёр Лев Атаманов,<br />
сценарист Михаил Вольпни, художник-постановщик Борис Корнеев,<br />
Розалия Зельма, оператор Михаил Друян, композитор Никита<br />
Богословский.<br />
„В мире басен“ Рисованный с перекладкой, 10.54. Союзмультфильм, 1973.<br />
Режиссёр Андрей Хржановский, сценарист Андрей Хржановский,<br />
художник-постановщик Николай Попов, В. Волосов, оператор Н. Климова,<br />
композитор Альфред Шнитке<br />
„В порту“ Рисованный, 16.31. Союзмультфильм, 1975. Режиссер Инесса<br />
Ковалевская, сценарист Сергей Козлов, Владимир Валуцкий, художникпостановщик<br />
Станислав Соколов, оператор С. Кощеева, композитор Марк<br />
Минков.<br />
„Ваня Датский“ Кукольный с натурой, 16.24. Союзмультфильм, 1974. Режиссёр<br />
Николай Серебряков, сценарист Аркадий Снесерев, художникпостановщик<br />
Алхиа Спешнева, оператор Александр Жуковский,<br />
композитор Владимир Мартынов.<br />
„Варежка“ Кукольный, 10.25. Союзмультфильм, 1967. Режиссёр Роман Кочанов,<br />
111
сценарист Жанна Витензон, художник-постановпсигс Леонид Шварцман,<br />
оператор Иосиф Голомб, композитор В. Гамалия.<br />
„Васнлиcа Мнкулишна“ Рисованный, 18.44. Союзмультфильм, 1975. Режиссёр<br />
Роман Давыдов, сценарист Виктория Токарева, художник-постановщик<br />
Виктор Никитин, оператор Борис Котов, композитор В. Кикта.<br />
„Виннн-Пух“ Рисованный, 10.42. Союзмультфильм, 1969. Режиссёр Федор<br />
Хитрук, сценарист Борис Заходер, художник-постановщик Эдуард<br />
Назаров, Владимир Зуйков, оператор Н. Климова, композитор Моисей<br />
Вайнберг.<br />
„Внимание, Волки!“ Рисованный, 17.54.Союзмультфильм, 1970. Режиссёр Ефим<br />
Гамбург, сценарист Лазарь Лагин, художник-постановщик Эдуард<br />
Назаров, Юло Соостер, оператор Александр Жуковской, композитор Д.<br />
Кривнцкий.<br />
„Волк и семеро козлят на новый лад“ Кукольный, 10.16. Экран, 1975. Режиссер<br />
Леонид Аристов, сценарист Юрий Энтин, художник-постановщик Л.<br />
Танасенко, оператор Эрист Гамам, композитор Алексей Рыбников.<br />
„Волшебник Изумрудного города“ Кукольный, Экран, 10 выпусков, 1973-1975.<br />
Режиссёр Юлиан Калишер, А. Боroтобов, сценарист Александр Кумма,<br />
художник-постановщик Геинадий Смолянов, оператор Евгений Туревич,<br />
Леонид Кальвинковский, Илья Мавьковецкай, композитор Анатолий<br />
Быканов, Игорь Космачев.<br />
„Времена года“ Кукольный, 9.30. Союзмультфильм, 1969. Режиссёр Иван<br />
Иванов-Вано, Юрий Норштейн, сценарист Иван Иванов-Вано, художникпостановщик<br />
Марина Сотсолова, Владимир Наумов, композитор П.<br />
Чайковский.<br />
„Выкрутасы“ Объёмный 10.00. Союзмультфильм 1987. Режиссёр Гарри Бардин,<br />
сценарист Гарри Бардин, художник-постановщик Аркадий Мелик-<br />
Саркисян, оператор В. Сидоров, Н. Скидан-Босин, композитор А.<br />
Клейман.<br />
„Гадкий утенок“ Рисованный, 19.12. Союзмультфильм, 1961. Режиссёр Владимир<br />
Дегтярев, сценарист Георгий Березко, художник-постановщик В. Игнатов,<br />
Б. Петин, оператор Николай Воинов, композитор Эдуард Колмановский.<br />
„Геракл у Адмета“ Рисованный, 20.18. Союзмультфильм, 1986. Режиссёр<br />
Анатолий Петров, сценарист Анатолий Петров, художник-постановщик<br />
Людмила Лобахова, оператор Михаил Друян, композитор Шандор<br />
Каллош.<br />
„Голубой щенок“ Рисованный, 20.12. Союзмультфильм, 1976. Режиссёр Ефим<br />
Гамбург, сценарист Юрий Энтин, художник-постановщик Даиил<br />
Мехделевич, оператор Михаил Друян, композитор Геинадий Гладков.<br />
„Дверь“ Кукольный 10.36. Союзмультфильм, 1986. Режиссёр Нина Шорина,<br />
сценарист Алексей Студзинский, художник-постановщик Владимир<br />
Дудках, оператор Юрий Каменецкий.<br />
112
„Детский альбом“ Рисованный, 19.17. Союзмультфильм, 1976. Режиссёр Инесса<br />
Ковалевская, сценарист Инесса Ковалевская, художник-постановщик<br />
Эльвира Авакях, С. Скребнева, оператор С. Кощеева, на музыку<br />
фортепьянных пьес „Детскогo альбома“ Чайковского.<br />
„Детство Ратибора“ Рисованный, 19.11. Союзмультфильм, 1973. Режиссёр Роман<br />
Давыдов, сценарист В. Батyева, В. Иванов, художник-постановщик Виктор<br />
Никитин, оператор Борис Котов, композитор В. Крикцов.<br />
„Дождь“ Рисованный, 10.13. Союзмультфильм, 1978. Режиссёр Леонид Носырев,<br />
сценарист Юрий Коваль, художник-постановщик Вера Кудрявцева,<br />
оператор Кабул Расулов, композитор Евгений Ботяров<br />
„Дом, который построил Джек“ Рисованный, 10.07. Союзмультфильм, 1976.<br />
Режиссёр Андрей Хржановский, сценарист Андрей Хржановсккй,<br />
художник-постановщик Наталия Орлова, оператор Кабул Расулов,<br />
композитор Владимир Мартынов.<br />
„Древо Родины“ Чёрный песок, 9.16. Союзмультфильм, 1987. режиссёр Владимир<br />
Петкевич, сценарист М. Шелехов, Владимир Петкевич, художникпостановщик<br />
Елена Петневич, оператор Александр Чеховский,<br />
композитор В. Артемов.<br />
„Дюймовочка“ Рисованным, 30.07. Союзмультфнльм, 1964. Режиссёр Леонид<br />
Амальрин, сценарист Николай Эрдман, художник-постановщик Надежда<br />
Привалова, Татьяна Сазонова, оператор Михаил Друяи, композитор<br />
Никита Богословский.<br />
„Ёжик в Тумане“ Перекладка, 10.29. Союзмультфильм, 1975. Режиссёр Юрий<br />
Норштейн, сценарист Сергей Котлов, художник-постановщик Фраическа<br />
Ярбусова, оператор Александр Жуковский, композитор Михаил<br />
Меерович.<br />
„Жизиь и Страдания Ивана Семёнова“ Кукольный, 18.26. Союзмультфильм,<br />
1964. Режиссёр Вадим Курчевский, Николай Серебряков, сценарист<br />
Александр Хмелик, художник-постановщик Вадим Курчевский, Николай<br />
Серебряков, оператор Теодор Бунимович, композитор Андрей Бабаев.<br />
„Жил-был Козявин“ Рисованный с перекладкой, 9.48. Союзмультфильм, 1966.<br />
Режиссёр Андрей Хржановский, сценарист Лазарь Лаете, Геннадий<br />
Шпаликов, художник-постановщик Николай Попов, оператор Борис<br />
Котов, композитор Г. Лукьянов.<br />
„Жил-был пёс“ Рисованный, 10.36. Союзмультфильм, 1982. Режиссёр Эдуард<br />
Назаров, сценарист Эдуард Назаров, художник-постановщик Эдуард<br />
Назаров, Алла Горева, оператор Михаил Друян.<br />
„Зеркало времени“ Рисованный, 10.20. Союзмультфильм, 1976. Режиссёр<br />
Владимир Тарасов, сценарист Василий Ливанов, В. Анкар, художникпостановщик<br />
Николай Кошкин, оператор Кабул Расулов, композитор<br />
Борис Шнепер.<br />
„Золотая антилопа“ Рисованный, 31.37. Союзмультфильм, 1954. Режиссёр Лев<br />
Атаманов, сценарист Николай Абрамов, художник-постановщик<br />
113
Алексаидр Винокуров, Леонид Шварцман, оператор Михаил Друян,<br />
композитор Владимир Юровский.<br />
„Золоченые лбы“ Перекладка, 17.18. Союзмультфильм, 1971. Режиссёр Николай<br />
Серебряков, сценарист Александр Хмелик, художник-постановщик Алина<br />
Спешнева, оператор Александр Жуковский, композитор А. Артемьев.<br />
„И мама меня простит“ Рисованный, 9.34. Союзмультфильм, 1975. Режиссёр<br />
Анатолий Петров, сценарист Генрих Сапгир, художник-постановщик<br />
Анатолий Петров, В. Гилярова, оператор Михаил Друян.<br />
„И с вами снова я...“ Рис. с перекладкой, 30.06. Союзмультфильм,1980. Режиссёр<br />
Андрей Хржановский, сценарист Андрей Хржановский, художникпостановщик<br />
Гелий Аркадьев, оператор Игорь Скидан-Босин, композитор<br />
Альфред Шнитке.<br />
„Икар и мудрецы“ Рисованный, 8.06. Союзмультфшгьм, 1976. Режиссёр Федор<br />
Хитрук, сценарист Федор Хитрук, художник-постановщик Эдуард Назаров,<br />
Владимир Зуйков, оператор Михаил Друян, композитор Шандор Каллош.<br />
„История одного преступления“ Рисованный 19.54. Союзмультфильм 1962.<br />
Режиссёр Федор Хитрук, сценарист Михаил Вольпин, художникпостановщик<br />
Сергей Алимов, оператор Борис Котов, композитор Андрей<br />
Бабаев.<br />
„Как один мужик двух генералов рокормил“ Рисованный, 22.38.<br />
Союзмультфильм, 1965. Режиссер Иван Иванов-Вано, Владимир<br />
Данилевич, сценарист Алексей Симуков, И. Иванов-Вано, художникпостановщикАлександр<br />
Горбачев, Аркадий Тюрин, оператор Иосиф<br />
Голомб, композитор Анатолий Александров.<br />
„Как стать человеком?“ Рисованный, 18.50. Свердловская киностудия, 1988.<br />
Режиссёр Владимир Петкевич, сценарист Владимир Голованов, Владимир<br />
Петкевич, художник-постановщик Валентин Ольшванг, оператор С.<br />
Решетников, Н. Грибков, композитор В. Артемов.<br />
„Каменный Цветок“ Кукольный, 26.35. Свердловская киностудия,1977. Режиссёр<br />
О. Нинолаевский, сценарист Александр Тимофеевский, художникпостановщик<br />
и оператор В.Баженов, композитор В. Казенин.<br />
„Каникулы Бонифации“ Рисованный, 22.58. Союзмультфильм,1965. Режиссёр<br />
Федор Хитрук, сценарист Федор Хитрук, худоиапнк-постановщик Сергей<br />
Алимов, оператор Борис Котов, композитор Моисей Вайберг.<br />
„Келе“ Рисованный, 6.44. Союзмультфильм, 1988. Режиссёр Михаил Алдашин,<br />
Пээп Пэдмансон, сценарист Михаил Алдашин, Пээп Пэдмансон,<br />
художник-постановщик Михаил Алдашин, оператор Кабул Расулов.<br />
„Клубок“ Объемный, 9.25. Союзмультфильм, 1969. Режиссёр Николай<br />
Серебряков, художник-постановщик Алина Спешнева, оператор<br />
Владимир Саруханов, композитор А. Артемьев.<br />
„Кому повем печаль мою?“ Рисованный, 9.51. Союзмультфильм,1988. Режиссёр<br />
Наталья Орлова, сценарист Альберт Иванов, художник-постановщик<br />
114
Наталья Орлова, Петр Котов, оператор Александр Чеховский, композитор<br />
В. Артемов.<br />
„Контакт“ Рисованный, 10.14. Союзмультфильм, 1979. Режиссёр Владимир<br />
Тарасов, сценарист Александр Костинский, художник-постановщик<br />
Николай Кошкин, оператор Кабул Расулов.<br />
„Контакты... Конфликты...“ Рисованный, 10.24. Союзмультфильм,1985. Режиссёр<br />
Ефим Гамбург, сценарист Михаил Жванецкий, А. Егидес, Ефим Гамбург,<br />
художник-постановщик Илья Березницкас, Игорь Макаров, оператор<br />
Валерий Струков.<br />
„Котёнок по имени Гав“ Рисованный, 9.52. Союзмультфильм, 1977 г. Режиссёр<br />
Лев Атаманов, сценарист Григорий Остер, художник-постановщик Леонид<br />
Шварцман, оператор Михаил Друян, композитор Михаил Меерович.<br />
„Кошка, которая гуляла сама по себе“ Смешанная, все виды, 74.00.<br />
Союзмультфильм, 1988. Режиссёр Идея Гаранина, сценарист Идея<br />
Гаранина, Маргарита Соловьева художник-постановщик Нина<br />
Виноградова, оператор Александр Виханский, композитор Софья<br />
Губайдулина.<br />
„Левша“ Рисованный с перекладкой, 45.05. Союзмультфильм, 1964. Режиссёр Иван<br />
Иванов-Вано, сценарист Иван Нванов-Вано, художник-постановщик<br />
Анатолий Курицын, Аркадий Тюрин, Марина Соколова, оператор Иосиф<br />
Голомб, композитор Александр Александров.<br />
„Легенда о Григе“ Кукольный, 15.54. Союзмультфильм,1967. Режиссёр Вадим<br />
Курчевский, сценарист Геннадий Цыферов, Генрих Сапгир, художникпостановщик<br />
Вадим Курчевский, Николай Двигубский, оператор<br />
Владимир Саруханов.<br />
„Легенда о Сальери“ Кукольный, 18.00. Союзмультфильм, 1986. Режиссёр Вадим<br />
Курчевский, сценарист Александр Костнискнй, Вадим Курчевский,<br />
художник-постановщик Аркадий Мелив-Саркисян, Марина Курчевская,<br />
оператор Владимир Сидоров, композитор С. Дрезине и обработке музыки<br />
Вольвгана-Амадея Моцарта.<br />
„Лесной концерт“ Рисованный, 10.48. Союзмультфильм, 1953. Режиссёр Иван<br />
Иванов-Вано, сценарист Сергей Михалков, художник-постановщик<br />
Анатолий Савчепко, Михаил Ботов, Константин Карпо, оператор Николай<br />
Воинов, композитор Александр Цфасман.<br />
„Летающий пролетарий“ Перекладка, 17.18. Союзмультфильм, 1962. Режиссёр<br />
Иван Иванов-Вано, Иосиф Боярский, сценарист Александр Галич,<br />
художник-постановщик Вадим Курчевский, оператор Теодор Буинмович,<br />
композитор Револь Бунин.<br />
„Лиса и заяц“ Рисованный, Перекладка, 12.24. Союзмультфильм, 1973. Режиссёр<br />
Юрий Норштейн, сценарист Юрий Норштейн, художник-постановщик<br />
Фраическа Ярбусова, оператор Теодор Бунимович, композитор Михаил<br />
Меерович.<br />
115
„Лиса, бобер и другие“ Рисованный, 19.18. Союзмультфильм, 1960. Режиссёр<br />
Вера Цехановская, Михаил Цехановский, сценарист Сергей Михалков,<br />
художник-постановщик Александр Беляков, Натан Лернер, оператор<br />
Елена Петрова, композитор Александр Варламов.<br />
„Малыш и Карлсон“ Рисованный, 19.36. Союзмультфнльм, 1968. Режиссёр Борис<br />
Степанцев, сценарист Борис Ларни, художник-постановщик, Анатолий<br />
Савченко, Юрий Бутирин, оператор Михаил Друян, композитор Геннадий<br />
Гладков.<br />
„Мартынко“ Рисованный, 10.26. Союзмультфильм, 1987. режиссёр Эдуард<br />
Назаров, сценарист Эдуард Назаров, художник-постановщик Виктор<br />
Чугуевский, оператор Михаил Друян.<br />
„Мастер из Кламси“ Объемный и рисованный, 25.00. Союзмультфильм, 1972.<br />
Режиссёр Вадим Курчевский, сценарист Алексей Симуков, Л. Васильева-<br />
Гангнус, художник-постановщик Теодор Тэжик, оператор Теодор<br />
Буиmович, Ян Топпер, Илья Миньковецкий, композитор Михаил<br />
Меерович.<br />
„Мимолетности“ Рисованный, 8.24. Союзмультфильм,1975. Режиссёр Макс<br />
Жеребчевский, сценарист Макс Жеребчевский, художник-постановщик<br />
Аниа Атаманова, оператор Кабул Расулов, музыкальные темы<br />
Прокофьева.<br />
„Мой зеленый крокодил“ Кукольный, 9.17. Союзмультфильм, 1966. Режиссёр<br />
Вадим Курчевский, сценарист Геннадий Цыферов, Генрих Сатир,<br />
художник-постановщик Алина Спешнева, оператор Иосиф Голомб,<br />
композитор Никита Богословский<br />
„Не в шляпе счастье“ Кукольный, 17.02. Союзмультфильм,1968. Режиссёр<br />
Николай Серебряков, сценарист Генрих Сатир, художник-постановщик<br />
Алина Спежтева, оператор Владимир Саруханов, композитор А.<br />
Артемьев.<br />
„Не любо - не слушай“ Рисованный, 10.18. Союзмультфильм, 1977. Режиссёр<br />
Леонид Носырев, сценаргст Генрих Сапгир, художник-постановщик Вера<br />
Кудряыдева-Ехгвлычева, оператор Кабул Расулов, композитор Евгений<br />
Ботяров.<br />
„Необыкновенный матч“ Рисованный, 20.01. Союзмультфильм, 1955. Режиссёр<br />
Михаил Пащенко, Борис Дежкин, сценарист Михаил Пащенко, художннкпостановщнк<br />
Петр Репкин, В. Василенко, оператор Михаил Друян,<br />
композитор Арам Хачатурян.<br />
„Непьющий воробей“ Рисованный, 16.42. Союзмультфильм, 1960. Режиссёр<br />
Леонид Амальрик, сценарист Сергей Михалков, художник постановщик<br />
Надежда Прикалова, Татьяпа Саэонова, оператор Михаил Друян,<br />
композитор Ннкита Богословский.<br />
„Ночь“ Черный песок, 9.57. Свердловская студия 1984. Режиссёр Валентин<br />
Петкевич, сценарист М.Шелехов, художник-постановщик Александр<br />
Петров, оператор С.Грибков.<br />
116
„Ну, погоди!“ Рисованный, Союзмультфильм, 1969-1993, 18 выпусков. Режиссёр<br />
Вячеслав Котёночкни, сценарист Феликс Камов, Аркадий Хайт, Александр<br />
Курляндский, художник-постановщик Свезозар Русаков, оператор Елена<br />
Петрова.<br />
„Обратная сгорона луны“ Рисованный, 9.41. Экран, 1983. Режиссёр Александр<br />
Татарский, сценарист Игорь Ковалев, Е. Назаренко, художникпостановщик<br />
Е. Косарева, оператор Эрнст Гаман, композитор Вл.<br />
Назарова.<br />
„Ограбление по...“ Рисованный, 18.50. Союзмультфильм, 1978. Режиссёр Ефим<br />
Гамбург, сценарист Михаил Лигнкеров, художник-постановщик Даниил<br />
Менделевич, Игорь Макаров, оператор Михаил Друан, композитор<br />
Геннадий Гладков.<br />
„Окно“ Рисованный, 10.24. Союзмультфильм, 1966. Режиссёр Борис Степанцев,<br />
сценарист Борис Ларин, художник-посгановщик Анатолий Савченко, Петр<br />
Репкин оператор Михаил Друяи, композитор С. Прокофьев.<br />
„Освобожденный Дон Кихот“ Кукольный, 18.30. Союзмультфильм, 1987.<br />
Режиссёр Вадим Курчевский, сценарист В. Кернике, художникпостановщик<br />
Аркадий Мевик-Саркисян, Марина Курчевская, оператор<br />
Сергей Хлебников, композитор Шаидор Каллош.<br />
„Осень“ Рисованный с перекладкой, 41.58. Союзмультфильм, 1982. Режиссёр<br />
Антфей Хржановский, сценарист Аидрей Хржановский, художникпостановщик<br />
Юрий Батанин, оператор Игорь Скидан-Босин, композитор<br />
Альфред Шнитке.<br />
„Остров“ Рисованный, 9.41. Союзмультфильм, 1973. Режиссёр Федор Хитрук,<br />
сценарист Федор Хитрук, художник-постановщик Эдуард Назаров,<br />
Владимир Зуйков, оператор Михаил Друян, композитор Шандор Каллош.<br />
„Охота“ Рисованный, 10.14 Союзмультфильм, 1979. Режиссёр Эдуард Назаров,<br />
сценарист Александр Костинский, Эдуард Назаров, художникпостановщик<br />
Юрий Батанин, оператор Михаил Друян, композитор<br />
Александр Градский.<br />
„Падал прошлогодний снег“ Пластилин, 19.45. Экран 1983. Режиссёр Александр<br />
Татарский, сценарист Сергей Иванов, художиик-постановщик Л.<br />
Танасенко оператор Иосиф Голомб, композитор Григорий Гладков.<br />
„Парадоксы в стиле рок“ Рисованный, компьютерная обработка, 10.06.<br />
Союзмультфильм, 1982. Режиссёр Ефим Гамбург, сценарист Михаил<br />
Липскеров, Ефим Гамбург, художник-постановщик И. Макаров, оператор<br />
Михаил Друян, Александр Пекарь.<br />
„Пейзаж с МОжжевельником“ Смешанная, все виды, 29.23. Союзмультфильм<br />
1987. Режиссёр Андрей Хржановский, Владимир Угаров, сценарист<br />
Андрей Хржановский, художник-постановщик Владимир Угаров, Илья<br />
Кабаков, оператор Кабул Расулов, композитор Альфред Шнитке.<br />
117
„Пер Гюнт“ Объемный, 29.36. Союзмультфильм, 1979. Режиссёр Вадим<br />
Курчевский, сценарист Раиса Фричннская, Вадим Курчевский, художникпостановщик<br />
Нина Виноградова.<br />
„Песни огненных лет“ Рисованный, 20.01. Союзмультфильм, 1971. Режиссёр<br />
Инесса Ковалевская, Ирина Крякова, сценарист Ирина Крякова,<br />
художник-постановщик Ильдар Урманче, оператор Елена Петрова,<br />
композитор Евтений Ботяров, В. Крикцов.<br />
„Письмо“ Кукольный, 9.38. Союзмультфильм, 1970. Режиссёр Роман Качанов,<br />
сценарист Жаина Витензон, художник-постановщик Леонид Шварцман,<br />
оператор Теодор Буниновнч, композитор Владимир Шаинский.<br />
„Пластилиновая Ворона“ Пластилин, 8.57. Экран 1981. Режиссёр Александр<br />
Татарский, сценарист Александр Tатарский, художник-постановщик<br />
Игорь Ковалев, оператор Эрнст Гаман, композитор Григорий Гладков.<br />
„Плюс Электрифнкация“ Рисованный, 9.42. Союзмультфильм, 1972. Режиссёр<br />
Иван Аксенчук, сценарист Альберт Сежни, художник-постановщик Борис<br />
Акулнинчев, оператор Н. Клюкова, композитор Юрий Саульский<br />
„Подпись неразборчива“ Рисованный, 10.41. Союзмультфильм, 1954. Режиссёр<br />
Алексаидр Иванов, сценарист Леонид Ленч, художник-постановщик Игорь<br />
Знамеиский, Валентин Лалаяиц, оператор Ннколай Воинов, композитор<br />
Никита Богословскнй.<br />
„Поезд памяти“ Смешанная, все виды, 19.30. Союзмультфильм, 1975. Режиссёр<br />
Николай Серебряков, сценарист Алексей Спешнев, художникпостановщик<br />
Алина Спетиева, оператор Юрий Нейман, композитор<br />
Гениадий Гладков.<br />
„Полигон“ Рисованный, 10.14. Союзмультфильм, 1977. Режиссёр Анатолий<br />
Петров, сценарист С. Гансовский, художник-постановщик Галина<br />
Баранова, оператор Михаил Друян.<br />
„Похождения Чичикова“ Объёмый, 10.02. Союзмультфильм, 1974. Режиссёр<br />
Борис Степанцев, сценарист Борис Степанцев, Борис Ларни, художникпостановщик<br />
Геннадий Новожилов, оператор Ян Топпер, композитор<br />
Николай Каретнюсов<br />
„Принцесса и людоед“ Рисованный, 10.00. Союзмультфильм,1977. Режиссёр<br />
Эдуард Назаров, сценарист Генрих Сапгир, художник-постановщик<br />
Эдуард Назаров, Владимир Пальчиков, оператор Кабул Расулов,<br />
композитор Александр Градсккй.<br />
„Происхождение вида“ Рисованный, 10.12. Союзмультфильм, 1966. режиссёр<br />
Ефим Гамбург, сценарист Лазарь Лагин, художник-постновщик Натан<br />
Лернер, оператор Михаил Друян.<br />
„Русские напевы“ Рисованный, 10.48. Союзмультфильм, 1972. Режиссёр Инесса<br />
Ковалевская, сценарист Ирина Крякова, художник-постановщик Виталий<br />
Бобров, А. Яралов, оператор Борис Котов, композитор И. Якутенко<br />
„Рыбья улряжка“ Объемный, 18.50. Союзмультфильм,1982. Режиссёр Станислав<br />
Соколов, сценарист Г. Снегерев, В. Глоцер, художник-постановщик Елена<br />
118
Ливанова, Станислав Соколов, оператор Владимир Сидоров, композитор<br />
Шандор Каллош.<br />
„Садка богатый“ Объемный, 19.19. Союзмультфильм, 1975. Режиссер Вадим<br />
Курчевский, сценарист Алексей Симуков, художник-постановщик И.<br />
Клименко, оператор Теодор Бунимович, Ян Топпер, композитор Николай<br />
Кретников.<br />
„Самый маленький гном“' Кукольный, 10.18. Союзмультфильм, 1977. Режиссёр<br />
Михаил Каменецкий, сценарист Михаил Липескеров, художникпостановщик<br />
А. Васильев, оператор Теодор Бунимович, композитор Игорь<br />
Космачев.<br />
„Сеча при Керженще“ Рисованный, перекладка, 10.14. Союзмультфильм, 1971.<br />
Режиссёр Иван Иванов-Вано, Юрий Норштейн, сценарист Иван Иванов-<br />
Вано, художник-постановщик Аркадий Тюрин, Марина Соколова,<br />
оператор Борис Саруханов<br />
„Синюшкин колодец“ техн. неизв., 16.49. Свердловская киностудия, 1973.<br />
Режиссёр Валерий Фомин, сценарист А.Розина, художник-постановщик<br />
Валерий Фомин, оператор Вячеслав Сумки, композитор Георгий Родыгин.<br />
„Сказка о живом времени“ Кукольный, 9.36. Союзмультфильм, 1969. Режиссёр<br />
Николай Серебряков, сценарист Овсей Дриз, художник-постановщик<br />
Алина Спешнева, оператор Владимир Сидоров, композитор А. Артемьев.<br />
„Сказка о мертвой царевне и семи богатырях“ Рисованный, 31.48.<br />
Союзмультфильм 1951. Режиссёр Иван Иванов-Вано (И Вано), сценарист<br />
Юрий Олеша, художник-постановщик Лев Мильчин, оператор Николай<br />
Воинов, композитор Ю. Нинольский.<br />
„Сказка о попе и егo работнике Балде“ Рисованный, 79.48. Союзмультфильм,<br />
1973. Режиссёр Инесса Ковалевская, сценарист Ирина Крякова, художникпостановщик<br />
Борис Акулиничев, оператор Михаил Друян, композитор<br />
Анатолий Быканов<br />
„Сказка об очень высоком человеке“ Кукольный, 9.48. Союзмультфильм, 1983.<br />
Режиссёр Нина Шорина, сценарист Геирик Сатир, Овсей Дриз, художникпостановщик<br />
Юрий Батанин, Лев Евзович, оператор Владимир Сидоров,<br />
композитор Н. Дружеюсов.<br />
„Сказка сказок“ Рис., Перекладка, 29.25. Союзмультфильм, 1979. Режиссёр Юрий<br />
Норштейн, сценарист Людмила Петрушевская, художник-постановщик<br />
Франческа Ярбусова, оператор Игорь Скидан-Босин, композитор Михаил<br />
Меерович.<br />
„Скамейка“ Рисованный, 10.24. Союзмультфильм, 1967. Режиссёр Лев Атаманов,<br />
сценарист Херлуф Бидструп, художник-постановщик Борис Корнеев,<br />
Розалия Зельма, оператор Михаил Друан, композитор Никита<br />
Богословский.<br />
„Слово о хлебе“ Рисованный, 9.40. Союзмультфильм, 1971. Режиссёр Иван<br />
Аксеичук, сценарист Альберт Сажки, художник-постановщик Макс<br />
Жеребчевский, оператор Н. Климова, композитор Александр Локшин.<br />
119
„Снегурочка“ Рисованный, 69.00. Союзмультфильм, 1952. Режиссёр Иван Иванов-<br />
Вано, сценарист Иван Иванов-Вано, А Снежкo-Блоцкая, художникпостановщик<br />
Лев Мильчин, В. Нтапин, Н. Строгонова, оператор Николай<br />
Воинов, композитор Н. Римский-Корсаков/Л. Щварц<br />
„Старые знакомые“ Рисованный, 20.00. Союзмультфильм, 1956. Режиссёр<br />
Мнхаил Пащенко, Борис Дежкин, сценарист Михаил Пащенко, Борис<br />
Дежкин художник-постановщик Борис Дежкин, В. Василенко, оператор<br />
Михаил Друян, композитор Арам Хачатурян.<br />
„Стеклянная гармоника“ Рисованный с перекладкой, 20.54. Союзмультфильм,<br />
1968. Режиссёр Андрей Хржановский, сценарист Геннадий Шпаликов,<br />
художник-постановщик Юло Состер, Юрий Нолев-Соболев, оператор Е.<br />
Ризо, композитор Альфред Шнитке.<br />
„Страна оркестрия“ Кукольный, 15.48. Союзмультфильм, 1964. Режиссёр<br />
Анатолий Каранович, сценарист Кирилл Раппопорт, художникпостановщик<br />
Валентина Василенко, оператор Михаил Каменецкий,<br />
Н.Гринберг, композитор Никита Богословский.<br />
„Только для взрослых“ (выпуск 1 - 3) Рисованный. Союзмультфильм, 1971 - 1974.<br />
Режиссёр Ефим Гамбург, сценарист Аркадий Хайт, Александр<br />
Курлянцский, художник-постановщик Натан Лернер, оператор Михаил<br />
Друян, композитор Д. Кривицкий.<br />
„Топтыжка“ Рисованный с перекладкой, 9.34. Союзмультфильм, 1964. Режиссёр<br />
Федор Хитрук, сценарист Федор Хитрук, художник-постановщик Сергей<br />
Алимов, оператор Ворис Котов, композитор Моисей Вайнберг.<br />
„Три толстяка“ Рисованный, 35.36. Союзмультфильм, 1963. Режиссёр Валентина<br />
Брумберг, Зинаида Брумберг, сценарист Виктор Шкловскеб, художникпасгановщик<br />
Валентин Лалаянц, Лама Азарх, оператор Елена Петрова,<br />
композитор Александр Арламов.<br />
„Франтишек“ Кукольный, 16.11. Союзмультфильм, 1967. Режиссёр Вадим<br />
Курчевский, сценарист Владимир Владимиров, художник-постановщик<br />
Ольга Гвоздева, оператор Владимир Саруханов, композитор Михаил<br />
Меерович.<br />
„Цапля и журавль“ Перекладка, 10.15. Союзмультфильм, 1974 . Режиссёр Юрий<br />
Норштейн, сценарист Роман Качанов, Юрий Норштейн, художникпостановщик<br />
Франческа Ярбусова, оператор Александр Жуковский,<br />
композитор Михаил Меерович.<br />
„Человеке рамке“ Рисованный, Перекладка 10.24 Союзмультфильм, 1966.<br />
Режиссёр Федор Хитрук, сценарист Федор Хитрук, художник-постановщик<br />
Сергей Алимов, оператор Борис Котов, Композитор Борис Шнаппер.<br />
„Черно-белое кино“ Объемный, 19.30. Союзмультфильм, 1984. Режиссёр<br />
Станислав Соколов, сценарист Виктор Славкни, художник-постановщик<br />
Елена Ливанова, Лариса Зеневич, оператор Александр Виханский,<br />
композитор Шандор Каллош.<br />
120
„Чудеса в решетe“ Рисованный, 10.09. Союзмультфильм, 1978 г. режиссёр<br />
Андрей Хржановский, сценарист Андрей Хржановский, художникпостановщик<br />
Юрий Бататанин, Наталья Орлова, оператор Кабул Расулов,<br />
композитор В. Мартынов.<br />
„Шкаф“ Рисованный, 5.00. Союзмультфильм, 1971. Режиссер Андрей<br />
Хржановский, сценарист Роза Хусиугдимова, художник-постановщик<br />
Валерий Угаров, оператор Н. Клинова, композитор Альфред Шнитке.<br />
„Щелкунчик“ Рисованный, 27.06. Союзмультфильм, 1973. Режиссёр Борис<br />
Степанцев, сценарист Борис Ларин, художник-постановщик Анаroгпдн<br />
Савченко, Николай Ерыхалов, оператор Михаил Друян, Ян Топпер, на<br />
музыку балета Петра Чайковского<br />
„Юноша Фридрих Энгельс“ Рис. с перекадкой, 20.54. Союзмультфильм, DEFA,<br />
1970. Режиссёр Федор Хитрук, Вадим Курчевский, Катя Георги, Клаус<br />
Георги, сценарист Федор Хитрук, Вадин Курчевский, Кати Георги, Клаус<br />
Георги художник-постановщик Вадим Курчевский, Владимир Наумов,<br />
оператор М. Хенке, В. Бенш, композитор В. Пич.<br />
„Я жду птенца“ Кукольный, 18.12. Союзмультфильм, 1966. Режиссёр Николай<br />
Серебряков, сценарист Аркадий Снаарев, художник-постановщик<br />
Николай Серебряков, Ильдар Урманче, оператор Владимир Сарухагов,<br />
композитор Евгений Крылатов, Александр 3ацелин.<br />
„Я к вам лечу воспоминаньем...“ Рисованный с перекладкой, 30.24.<br />
Союзмультфильм, 1977. Режиссёр Андрей Хржановский, сценарист<br />
Андрей Хржановский, художник-постановщик Юрий Багапш, Владимир<br />
Янкилевский, оператор С. Кощеева, Игорь Скидан-Босни, композитор<br />
Альфред Шнитке.<br />
121
Verwendete Literatur 153<br />
Adorno, Theodor W. 1970. Ästhetische Theorie. Frankfurt/Main: Suhrkamp.<br />
Allan, Robin. 1997. „European Influences on early Disney feature films.“ In: Jayne<br />
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Bakhtin, Michail. 1987. Rabelais und seine Welt. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.<br />
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London/Bloomington: John Libbey/Indiana University Press.<br />
Benjamin, Walter. 1963. Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen<br />
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Benjamin, Walter. 1977. „Erfahrung und Armut“ In: Gesammelte Schriften Bd. II.1.<br />
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Furniss, Maureen. 1998. Art in Motion. Animation Aesthetics. London et al.: John<br />
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153 Die Form der Einträge dieser Bibliographie folgt DIN 1505 „Titelangaben von Schrifttum“ und DIN<br />
5007 „Regeln <strong>für</strong> die alphabetische Ordnung“.<br />
122
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http://mag.awn.com/index.php?ltype=pageone&article_no=1666, März 2005<br />
http://news.awn.com/index.php?ltype=top&newsitem_no=13271, März 2005<br />
http://peterhannan.com/catdog.html, März 2005<br />
http://www.animator.ru/db/index.phtml?p=show_film&fid=5292, März 2005<br />
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http://www.animator.ru/db/index.phtml?p=show_film&fid=5775, März 2005<br />
http://www.animator.ru/db/index.phtml?p=show_film&fid=6176, März 2005<br />
http://www.animator.ru/db/index.phtml?p=show_film&fid=6567, März 2005<br />
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http://www.ruhr-uni-bochum.de/lirsk/sphaeren/kult/masja.htm, März 2005<br />
Köchel, Jürgen [Ed.]. 1994. Alfred Schnittke zum 60. Geburtstag: eine Festschrift.<br />
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Korte, Helmut. 2000. Einführung in die Systematische Filmanalyse. Berlin: Erich<br />
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case of Ren & Stimpy.“ In: Jayne Pilling (Ed.). A Reader in Animation Studies.<br />
London et al.: John Libbey, p. 143-163.<br />
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Leyda, Jay. 1973. Kino. A History of the Russian and Soviet Film: A study of the<br />
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discourse: Bakhtin, intertextuality and the cartoon carnival.“ In: Jayne Pilling<br />
(Ed.). A Reader in Animation Studies. London et al.: John Libbey, p. 203-220.<br />
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130
Erklärung<br />
Hiermit bestätige ich, diese Arbeit selbstständig verfasst und keine anderen als die<br />
angegebenen Quellen und Materialien verwendet zu haben.<br />
Timo Linsenmaier<br />
<strong>Karlsruhe</strong>, 09. Mai 2005<br />
Aus Gründen der Lesbarkeit wurde auf die Angabe der weiblichen Formen im Text<br />
verzichtet. Alle Bezeichnungen verstehen sich aber selbstverständlich immer auf<br />
beide Geschlechter angewandt.<br />
131