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AndresenEinphasiger oder dreiphasiger Handschrifterwerb - BLLV

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Ute Andresen<br />

Einphasiger <strong>oder</strong> <strong>dreiphasiger</strong> <strong>Handschrifterwerb</strong>?<br />

Die Handschrift ist und bleibt in der Schule wesentlichstes Mittel des Lernens, der Kommunikation<br />

und der Leistungskontrolle. Sie soll eindeutig lesbar und flüssig sein und schließlich auch eine<br />

persönliche Handschrift. Man sollte es den Kindern nicht unnötig schwer machen, so eine Handschrift<br />

zu erwerben. Die Vertreter der Grundschrift meinen, dafür genüge eine einphasige, gründlich<br />

abgespeckte Version dessen, was bisher als Schriftunterricht und Schriftpflege nötig schien.<br />

Ihr Konzept ist zugespitzt: Alle Kinder erarbeiten sich ihre Handschrift eigenaktiv und von Anfang<br />

an als „persönliche Handschrift“. Sie eignen sich Buchstabenkenntnis an, indem sie Wörter verschriften<br />

und dafür Buchstaben (Druckschrift) von einer Anlauttabelle abmalen, so gut es eben geht.<br />

Daneben <strong>oder</strong> danach diskutieren sie ihre Schrift untereinander und erproben die Schreibweise von<br />

Buchstaben selbstständig, belehrt von einer Kartei. Die Lehrerin berät sie hinsichtlich günstiger<br />

Schreibweisen; sie müssen ihrem Rat aber nicht folgen. Später erarbeiten sich die Kinder die<br />

Verbindung einiger Buchstaben, wieder belehrt von einer Kartei und unverbindlich beraten von<br />

Mitschülern und Lehrerin. Ein Umlernen <strong>oder</strong> Neulernen soll nicht nötig sein.<br />

Ursache dafür, dass Kinder heute oft unbeholfen, langsam, unleserlich und ungern Schreibschrift<br />

schreiben und diese so bald wie möglich aufgeben, soll sein: Wenn die Kinder im ersten Schuljahr<br />

nur Druckschrift (unverbunden) geschrieben haben, ist eine Schreibschrift nach dem Vorbild einer<br />

Ausgangsschrift (verbunden) eine teilweise ganz neue Schrift, die ihre Schreibfertigkeit demotivierend<br />

einschränkt. „Ich konnte doch schon gut schreiben, jetzt kann ich es wieder nicht!“<br />

Verschwiegen <strong>oder</strong> nicht bedacht wird, dass die Schwierigkeiten, sich nach der Druckschrift eine<br />

Schreibschrift anzueignen, wesentlich didaktogen sind: In der autodidaktischen Aneignung der DS-<br />

Buchstaben entstehen vielfach Schreibgewohnheiten, die zugunsten der Schreibweisen in den verbundenen<br />

Ausgangsschriften abgelegt bzw. überwunden werden müssten. Das ist für die Kinder<br />

äußerst mühsam und verlangt intensive, kompetente, individuelle Anleitung und viel strikte Übung.<br />

Die Didaktik des Übergangs von der Druckschrift zur Schreibschrift wird aber seit Jahren vor allem<br />

vom Abarbeiten von Lehrgängen in Form von Schreiblernheften bestimmt, die dieser Anforderung<br />

gar nicht entsprechen können. Außerdem: Die Schreibschrift wird oft zu spät und nicht sachgemäß<br />

eingeführt und zu wenig geübt, um sie zu automatisieren. Und die Vereinfachte Ausgangsschrift VA<br />

lässt sich zwar formgerecht malen, aber sie ist für flüssiges und schnelles Schreiben nicht geeignet,<br />

zerfällt in der Beschleunigung und wird oft unleserlich. Kein Wunder, dass vielen Kindern die<br />

Schreibschrift nicht lieb, wert und geläufig werden kann.<br />

Aus all diesen Bedingungen ergibt sich die heutige Situation, in der viele Kinder in der Grundschule<br />

eine defizitäre Handschrift entwickeln. Die Grundschrift mit ihrem Lernkonzept soll nun mehr Vereinfachung,<br />

mehr Autodidaktik der Kinder, weniger Lernanspruch und mehr eigenwillige Handschriften<br />

bringen. Ein Schritt tiefer in die Sackgasse von Vereinfachung und Autodidaktik eines<br />

Lerngegenstandes, der sachgerechte Didaktik und verantwortungsbewussten Unterricht verlangt.<br />

Zwei der Hauptvertreter der Grundschrift haben bisher für die VA als die beste Ausgangsschrift<br />

plädiert und seit Jahren für alle drei Ausgangsschriften schriftdidaktisch unzureichende Schreiblernhefte<br />

auf dem Markt. Haben sie etwaige Zusammenhänge mit der Schriftnot, die sie jetzt mit der<br />

Grundschrift kurieren wollen, selbst- und methodenkritisch analysiert? Dazu liest man nichts.


Das Konzept eines dreiphasigen <strong>Handschrifterwerb</strong>s beschreibt eine Gegenposition, die in<br />

fünfundzwanzig Jahren eigener Unterrichtsarbeit in der Grundschule gereift und mit vielfältigen,<br />

teils alten, teils neuen praktischen und wissenschaftlichen Erkenntnissen abgeglichen worden ist. Es<br />

spiegelt die Komplexität des <strong>Handschrifterwerb</strong>s, entwirrt und stuft die damit verbundenen Aufgaben<br />

und ermöglicht individuellen Ehrgeiz in Bezug auf klare Ziele.<br />

In der 1. Phase: unverbundene Kernbuchstaben<br />

Erstes Ziel ist die Aneignung unverbundener Buchstaben, allgemein Druckschrift genannt. Die<br />

Buchstaben müssen so verfertigt werden, dass die spätere Schreibschrift daran anschließen kann.<br />

Dem dienen die Modellbuchstaben der handgeschriebenen Druckschrift hDs; ihnen ist die<br />

optimale Schreibweise zu entnehmen. Diese Erstschrift der Kinder entspricht weitgehend ihrer<br />

Leselernschrift und den Umweltschriften. Richtig und verbindlich angeleitet eignen sie sich mit ihr<br />

Kernform und Kernbewegung aller Buchstabenpaare (Majuskel und Minuskel) an. Sie lernen<br />

formähnliche Buchstaben zu unterscheiden und Buchstaben und Laute in Verbindung zu setzen.<br />

Grundlegende Zusammenhänge zwischen Sprechsprache und Schriftsprache werden gemeinsam<br />

erkundet, als bedeutsam erläutert und wahrgenommen und allmählich hoffentlich auch verstanden.<br />

Damit all das gelingt, werden die Buchstaben nacheinander und nicht zu langsam von der Lehrerin<br />

eingeführt und dabei auch miteinander verglichen und voneinander unterschieden. Jeder Buchstabe<br />

wird mit einem Worterlebnis emotional, als Lautzeichen, als Form- und als dynamische Bewegungsgestalt<br />

visu-motorisch unverwechselbar im Gedächtnis verankert. Dabei sollten zugleich Feinmotorik<br />

und bewusste Handwerklichkeit, Auge-Hand-Koordination, Wahrnehmung von und Verständigung<br />

über Schriftdetails, Transfer von Gelerntem auf Neues, Regeln verpflichtenden Lernens<br />

im Miteinander, Sinn für die rechte Übung, Anstrengungsbereitschaft und das Interesse an Schreibkultur,<br />

Literatur und Sachtexten entwickelt werden.<br />

Wie schlechte Stifthaltung müssen auch falsche Schreibgewohnheiten verhindert <strong>oder</strong> so früh wie<br />

möglich überwunden werden. Das heiß: Sobald Kinder Buchstaben mehrfach benutzen, sollten sie<br />

die jeweils optimale Linienführung mit genauer, dichter Anleitung und Korrektur einüben. Zielerreichendes<br />

Lernen für alle Kinder verlangt vor allem anfangs mehr Übung für Kinder, die besondere<br />

Mühe haben. In der Regel leuchtet das den Kindern ein.<br />

Spontan entstehende Eigentexte der Kinder sollten immer möglich und willkommen sein. Für sie<br />

gelten lange Zeit keine strengen Regeln. Sie sollten von der Lehrerin abgeschrieben, in Schrift und<br />

Orthographie vorbildlich, und in der Klasse veröffentlicht werden. Das ehrt und stärkt die<br />

Autorenkinder nachhaltig und zeigt zugleich das Ziel, zu dem sie unterwegs sind.<br />

In der 2. Phase: konventionelle Schreibschrift<br />

Nach etwa einem halben Jahr können die Kinder mit allen Druckbuchstaben so weit vertraut und in<br />

Feinmotorik und Schriftverständnis so gut geübt sein, dass ihnen die Schreibschrift als neue Konvention<br />

nahe liegt. Eingeführt wird sie mit Bezug auf die Kernbewegungen der handgeschriebenen<br />

Druckschrift. Wenn die in der Schreibweise von SAS, LA <strong>oder</strong> VA aufgehen, ist die Schreibschrift<br />

eine kinderlogische Weiterentwicklung erworbenen Könnens und wird zum Gegenstand frischen<br />

Lerneifers: „Ist ja viel leichter! Und schöner!“ Da Schreibschrift aber zunächst nur langsam von der<br />

Hand geht, bleibt Druckschrift noch eine Weile alltägliche Nutzschrift.<br />

Das zweite Ziel ist also eine Handschrift, in der Buchstaben nicht mehr nebeneinander gestellt,<br />

sondern verbunden werden. Dabei lernt man, sie fließend zugleich gesondert und als Teile eines<br />

Ganzen wahrzunehmen und zu verfertigen. Das Modell der Schreibschrift sollte ästhetisch überzeu-


gen, ökonomisch, rhythmisch, flüssig und formklar zu schreiben sein und Formreserven für individuelle<br />

Vereinfachungen bei Beschleunigung enthalten. Die Schulausgangsschrift SAS erfüllt solche<br />

Ansprüche am besten, die Vereinfachte Ausgangsschrift VA tut es nicht.<br />

Die Bewegungsmuster der veränderten Buchstaben werden, von der Lehrerin verpflichtend<br />

angeleitet, gemeinsam erübt, dann ebenso ihre sinnvolle Verbindung. Das alles wird begleitet von<br />

Fachsimpeleien, um die Wahrnehmung von Feinheiten der Schrift zu entwickeln und den Eifer der<br />

Kinder zu stärken, sich die eigene Handschrift zum Anliegen zu machen. So vorbereitet können die<br />

Kinder die Verbindung vor allem der Minuskeln durchs ganze Alphabet in Freiarbeit trainieren und<br />

dabei auch erkennen, wann der nächste Buchstabe besser angesetzt als angebunden wird.<br />

Die Kinder schreiben dabei in leere Schreibhefte mit dezenten Linien auf weißem Grund. Da sieht<br />

die Lehrerin rasch, wo sie eine Korrektur empfehlen <strong>oder</strong> gar verlangen muss. Das lebendige<br />

Gesicht jeder Kinderhandschrift ist auch klarer erkennbar, wenn sie sich nicht in dunklen Linien, in<br />

farbiger Umgebung und neben perfekt und starr gedruckter technischer Schrift behaupten muss. Am<br />

Ende sollte nur das Werk des Kindes auf dem Blatt zu sehen sein. Das ermutigt! Die Schrift eines<br />

Kindes muss auch beileibe nicht ganz genau so wie die perfekt gestaltete, gedruckte Ausgangsschrift<br />

geraten. Diese muss nur im Wesentlichen und flüssig nachvollzogen werden. Das eigentliche<br />

Vorbild der Kinder ist die vor ihren Augen entstehende Handschrift ihrer Lehrerin.<br />

Künftig verwenden die Kinder Druckschrift und Schreibschrift. Beide werden immer geläufiger und<br />

damit auch persönlicher. Die Handschrift ist jetzt wie das Lesen Kulturtechnik im Dienst aller Lernund<br />

Prüfungsaufgaben. Sie muss mit steigenden Anforderungen Schritt halten und bleibt nur dann<br />

gut lesbar, wenn prinzipiell ein hoher Anspruch gilt, der auch individuell unterstützt wird. Das<br />

bedeutet: Die Handschrift muss möglichst oft in zusammenhängenden Texten geschrieben und in<br />

allen Schreibaufgaben beachtet, gewürdigt und notfalls korrigiert werden. - Für Kinder mit<br />

besonderen Schwierigkeiten werden eigene Maßstäbe vereinbart.<br />

Handgeschriebenes der LehrerInnen sollte stets vorbildlich sein. Das ehrt und stärkt die Kinder.<br />

In der 3. Phase: persönliche Handschrift<br />

Im vierten Schuljahr können die meisten Kinder beginnen, ihre ganz persönliche Handschrift aus<br />

dem ihnen nun geläufigen, reichen und sicheren Form- und Bewegungsinventar zu entwickeln.<br />

Dabei werden sie einzelne Buchstaben aus anderen Schriften übernehmen, auch Druck- und<br />

Schreibschrift mischen und ihre Buchstaben so verbinden, wie es der individuellen Geläufigkeit<br />

ihres Schreibens dient und dem Schreibanlass angemessen ist.<br />

Sie sollten nun in der Lage sein, sich bewusst und selbstständig um Schreibweisen zu bemühen, in<br />

denen Geschwindigkeit und Lesbarkeit miteinander ausgeglichen sind. Voraussetzung dafür ist, dass<br />

sie bis dahin einerseits Kriterien für allgemein erkennbare Einzelformen und Verbindungen und<br />

andererseits wohlgeübte, automatisierte Bewegungsmuster erworben haben.<br />

Sie können schließlich je nach Zweck des Geschriebenen unterschiedlich schnell und deutlich<br />

schreiben: rasch und flüchtig in einer individuell vereinfachten Notizschrift, in der manches nur aus<br />

dem Kontext verständlich wird, <strong>oder</strong> sorgsam und in nahezu konventioneller Druck- <strong>oder</strong><br />

Schreibschrift, wo es auf zweifelsfreie und allgemeine Lesbarkeit und darum auf jeden einzelnen<br />

Buchstaben ankommt.<br />

So wird im Laufe der Jahre ihre Handschrift mit ihnen erwachsen und ganz persönlich werden.<br />

Ute Andresen * Allianz für die Handschrift * April 2013<br />

Giselastr. 11, 80802 München* T/F: 089-335422 * Andresen-Ute@web.de

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