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Einige zusammengestellte Beiträge der Debatte - Anna Seghers

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<strong>Beiträge</strong> zur Diskussion um die Benennung einer Straße, zusammengestellt von <strong>der</strong> <strong>Anna</strong>­<strong>Seghers</strong>­Gesellschaft<br />

Hessische/Nie<strong>der</strong>sächsische Allgemeine vom 13. Dezember 2012<br />

<strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> ist Namensgeberin<br />

Ortsbeirat legt neuen Straßennamen fest<br />

WEHLHEIDEN. Nach <strong>der</strong> deutschen Schriftstellerin <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> ( 1900­1983) soll die Straße auf<br />

dem Gelände <strong>der</strong> ehemaligen Feuerwehrschule in Wehlheiden, wo zurzeit das Sternberg Carreé<br />

entsteht, benannt werden. Dies beschloss <strong>der</strong> Ortsbeirat Wehlheiden nach längerer Diskussion während<br />

seiner jüngsten Sitzung.<br />

Hessische/Nie<strong>der</strong>sächsische Allgemeine vom 25. Januar 2013<br />

CDU gegen Benennung nach <strong>Seghers</strong><br />

KASSEL. Die Kasseler CDUFraktion ist entsetzt über den Beschluss von SPD und Grünen im<br />

Ortsbeirat Wehlheiden, eine Straße im Stadtteil nach <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> zu benennen. Das erklärt <strong>der</strong><br />

stellvertretende Vorsitzende, Bernd­Peter Doose, jetzt in einer Pressemitteilung.<br />

„Eine Straße nach einer bekennenden Stalinistin, von <strong>der</strong> ihr Schriftstellerkollege Hermann Hesse<br />

einmal bemerkte, dass sie an Stalin glaube wie ein frommer Katholik und gegen Wi<strong>der</strong>legungen, selbst<br />

wenn sie aus Tatsachen bestehten, vollkommen taub sei, zu benennen, ist ein Schlag ins Gesicht aller<br />

Opfer dieser unmenschlichen Ideologie“, sagt Doose. <strong>Seghers</strong> habe von ihrem schriftstellerischen<br />

Wirken einmal abgesehen, zeitlebens gegen die Demokratie agitiert und sei als Vorsitzende des<br />

Schriftstellerverbandes <strong>der</strong> DDR eine exponierte Stütze dieses Unrechtsstaates gewesen.<br />

Alternative Vorschläge<br />

SPD und Grüne im Ortsbeirat Wehlheiden hätten dies bei ihrem Vorschlag offenbar billigend in Kauf<br />

genommen. Die Vorschläge <strong>der</strong> CDU im Ortsbeirat, die betroffene Straße nach einem<br />

sozialdemokratischen Wehlhei<strong>der</strong> Original wie Schorsche Hollstein o<strong>der</strong> nach <strong>der</strong> Kasseler Partnerstadt<br />

Arnstadt zu benennen, hätten lei<strong>der</strong> kein Gehör gefunden.<br />

Stattdessen wurde von SPD und Grünen die Benennung nach einer politischen Extremistin, die, genau<br />

wie seinerzeit die Nationalsozialisten, schon die Weimarer Republik bekämpft habe, vorgeschlagen. Die<br />

CDU­Faktion verurteilt diesen Vorschlag aufs Schärfste und for<strong>der</strong>t den Magistrat auf, diesem<br />

Vorschlag nicht zu folgen. (use)


<strong>Beiträge</strong> zur Diskussion um die Benennung einer Straße, zusammengestellt von <strong>der</strong> <strong>Anna</strong>­<strong>Seghers</strong>­Gesellschaft<br />

EXTRA TIP vom 6. Februar 2013<br />

„Deutsches Kulturgut”: Diskussionen um „<strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong>­Straße” reißen<br />

nicht ab<br />

Joanna Wiewiorska<br />

Das Schreiben mit dem Vorschlag, eine Straße in Nie<strong>der</strong>zwehren nach <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> zu benennen<br />

wurde bereits 2006 unterbreitet – und abgelehnt.<br />

Kassel. Seit Wochen sorgt <strong>der</strong> Vorschlag, eine neue Straße in Wehlheiden nach <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> zu<br />

benennen, für Zoff zwischen Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Kasseler CDU und SPD (EXTRA TIP berichtete). Die<br />

jüdische Exil­Schriftstellerin teilt die Gemüter: Einerseits ist sie eine mit dem Büchner­Preis<br />

ausgezeichnete Bestseller­Autorin, die vor <strong>der</strong> Diktatur des Dritten Reichs fliehen musste. An<strong>der</strong>erseits<br />

erhielt sie auch den sowjetischen Stalin­Friedenspreis und engagierte sich politisch und literarisch in<br />

<strong>der</strong> DDR.<br />

Auch Gerhard Rin<strong>der</strong>, Mitglied im Ortsbeirat Nie<strong>der</strong>zwehren, fragt sich, weshalb Kassel „vehement<br />

eine <strong>Anna</strong>­<strong>Seghers</strong>­Straße will”: Schon vor rund sieben Jahren gab es die Diskussion, eine Straße in<br />

Nie<strong>der</strong>zwehren nach <strong>der</strong> Exil­Autorin zu benennen – <strong>der</strong> Vorschlag wurde abgelehnt. „In mehreren<br />

Ortsbeiratssitzungen kam es zu heftigen Diskussionen über die Person <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong>. Deren Vita wird<br />

in den bekannten Nachschlagewerken ausführlich behandelt, was politische Interpretationen<br />

normalerweise ausschließt“. Im Ortsbeirat habe man schließlich entschieden, dass Straßennamen keine<br />

tiefgreifenden Streitigkeiten auslösen dürfen. Auch die Stadt Kassel habe daraufhin Abstand vom<br />

Namen ›<strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong>‹ genommen. „Hoffentlich siegt auch im Stadtteil Wehlheiden die Vernunft”, so<br />

Rin<strong>der</strong> in einer schriftlichen Mitteilung.<br />

“Es darf keine pauschale Ablehnung geben”<br />

Gernot Rönz. Foto: Archiv<br />

In einer Presseerklärung <strong>der</strong> Grünen Rathausfraktion wie<strong>der</strong>um heißt es,<br />

die Kasseler CDU sei „noch im Denken des Kalten Krieges verhaftet“.<br />

„Es ist unstrittig, dass <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong>’ großer Wunsch nach Freiheit in <strong>der</strong><br />

DDR auf brutalste Weise genommen wurde und dass sie sich für die<br />

falsche Ideologie entschieden hat“, sagt Gernot Rönz,<br />

Fraktionsvorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Grünen Rathausfraktion. Unstrittig sei, dass es<br />

einer kritischen Auseinan<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> Person <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> bedarf.<br />

Damit stehe sie in <strong>der</strong> Tradition an<strong>der</strong>er Künstler, die sich bewusst für ein<br />

Leben in <strong>der</strong> damaligen DDR entschieden haben, so Rönz. „Eine<br />

pauschale Ablehnung darf es nicht geben“. Unstrittig sei auch die<br />

literarische Bedeutung von <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong>’ Romanen: Ausnahmslos alle<br />

Bundeslän<strong>der</strong> sehen die Lektüre von <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong>’ Literatur in <strong>der</strong><br />

gymnasialen Oberstufe vor. „Es wäre wünschenswert, wenn sich die CDU<br />

nicht nur über Wikipedia über bedeutende deutsche Persönlichkeiten<br />

informiert, son<strong>der</strong>n das Urteil den Personen überlässt, die sich intensiv<br />

und wissenschaftlich fundiert mit ihnen auseinan<strong>der</strong>setzen. Die Mainzer


<strong>Beiträge</strong> zur Diskussion um die Benennung einer Straße, zusammengestellt von <strong>der</strong> <strong>Anna</strong>­<strong>Seghers</strong>­Gesellschaft<br />

Ehrenbürgerin <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> gehört unstrittig zum deutschen Kulturgut.” Auch den Zeitpunkt des<br />

CDU­Protestes kritisieren die Grünen. Seit Jahren gebe es eine öffentliche Liste des Archivs <strong>der</strong><br />

deutschen Frauenbewegung mit geeigneten Persönlichkeiten, um mehr Straßen und Plätze nach Frauen<br />

zu benennen. „Die Entscheidung, eine Straße nach <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> zu benennen und mit dem Zusatz<br />

›Schriftstellerin‹ zu versehen, dient <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> komplexen deutschen Geschichte”,<br />

erklärt Gernot Rönz.


<strong>Beiträge</strong> zur Diskussion um die Benennung einer Straße, zusammengestellt von <strong>der</strong> <strong>Anna</strong>­<strong>Seghers</strong>­Gesellschaft<br />

Berlin/Mainz, 6. Februar 2013<br />

Brief <strong>der</strong> <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> Gesellschaft Berlin und Mainz e.V. an die<br />

Abgeordneten <strong>der</strong> SPD und <strong>der</strong> Grünen im hessischen Landtag<br />

Liebe Abgeordnete <strong>der</strong> SPD und <strong>der</strong> Grünen in Hessen,<br />

vielleicht ist ja schon alles zu spät, aber falls die Idee, in Wehlheiden eine Straße nach <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> zu<br />

benennen, noch aktuell ist, was <strong>der</strong> Autorin in ihrem 30. Todesjahr durchaus angemessen wäre und was<br />

uns als <strong>Anna</strong>­<strong>Seghers</strong>­Gesellschaft Berlin und Mainz e.V. natürlich sehr freuen würde, möchte ich<br />

Ihnen gern eine Argumentationshilfe gegen die Ewig­Gestrigen aus <strong>der</strong> Kasseler CDU­Fraktion, die<br />

sich offenbar in den „Schützengräben des Kalten Krieges“ eingerichtet haben, zukommen lassen.<br />

Die in <strong>der</strong> Zeitung „Hessische/Nie<strong>der</strong>sächsische Allgemeine“ vom 13. Dezember 2012 veröffentlichte<br />

Nachricht (s. unten) erinnerte in erschrecken<strong>der</strong> Weise an die <strong>Debatte</strong>n, die in den 50er/60er Jahren im<br />

Mainzer Landtag geführt wurden, bevor man sich dann doch dafür entschied, sich mit <strong>der</strong> Autorin und<br />

ihrem Werk differenziert auseinan<strong>der</strong>zusetzen und <strong>der</strong> Dichterin die Ehrendoktorwürde <strong>der</strong> Mainzer<br />

Universität zu verleihen und sie zur Ehrenbürgerin <strong>der</strong> Stadt Mainz zu ernennen. Eine Integrierte<br />

Gesamtschule in Mainz trägt inzwischen den Namen <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> und ein Platz ist nach ihr benannt.<br />

Seit über 20 Jahren gibt es eine <strong>Anna</strong>­<strong>Seghers</strong>­Gesellschaft, <strong>der</strong>en Mitglie<strong>der</strong> aus ganz Deutschland<br />

sowie aus Frankreich, England, Dänemark, China, den USA usw. sich jedes Jahr zu einer Jahrestagung<br />

treffen und ein Jahrbuch herausgeben. Auf unserer Homepage und in unseren Jahrbüchern kann man<br />

nachlesen, wie Wissenschaftler/innen und Leser/innen darum gekämpft haben, Klischees und<br />

Halbwahrheiten entgegenzuwirken, durch eine differenzierte und sachliche Auseinan<strong>der</strong>setzung mit den<br />

Texten und Kontexten und mit <strong>der</strong> Person <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong>.<br />

Neben den Jahrbüchern sind in den letzten Jahrzehnten umfangreiche Bücher und Filme (Wilhelm von<br />

Sternburg, Friedrich Albrecht, Sigrid Bock, Christiane Zehl Romero, Monika Melchert usw.)<br />

erschienen, die durch ein um Wahrheit und Würde bemühtes Herangehen geprägt sind.<br />

Im Anhang finden Sie zwei Aufsätze, die ich für die Zeitschriften „Deutschunterricht“ und<br />

„Germanistik“ sowie für das <strong>Seghers</strong>­Jahrbuch „Argonautenschiff“ geschrieben habe. Sie nehmen die<br />

unausrottbaren Vorurteile und Klischees gegen <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> auf und versuchen, sie durch Argumente<br />

und die Herstellung von Zusammenhängen zu entkräften.<br />

Über eine Rückmeldung würde ich mich sehr freuen.<br />

Im Namen des Vorstands <strong>der</strong> <strong>Anna</strong>­<strong>Seghers</strong>­Gesellschaft Berlin und Mainz e.V. grüße ich Sie sehr<br />

herzlich und wünsche Ihnen Viel Erfolg in Ihrer Arbeit,<br />

Dr. Ursula Elsner, Vorsitzende


<strong>Beiträge</strong> zur Diskussion um die Benennung einer Straße, zusammengestellt von <strong>der</strong> <strong>Anna</strong>­<strong>Seghers</strong>­Gesellschaft<br />

Hessische/Nie<strong>der</strong>sächsische Allgemeine 07.02.2013<br />

Streit um Straßennamen: „Das ist eine Provinzposse“<br />

Kassel. SPD und Grüne im Ortsbeirat Wehlheiden haben beschlossen, eine Straße im Stadtteil nach <strong>der</strong><br />

jüdischen Schriftstellerin <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> (1900 bis 1983) zu benennen. Dagegen protestiert die Kasseler<br />

CDU­Fraktion.<br />

Die Kasseler CDU lehnt sie ab: Die Schriftstellerin<br />

<strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong>. Das Bild entstand 1980 an ihrem 80.<br />

Geburtstag. Foto: dpa.<br />

<strong>Seghers</strong> sei eine Stalinistin und Antidemokratin, behauptet <strong>der</strong><br />

CDU­Stadtverordnete Bernd­Peter Doose. Über den Streit und<br />

<strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> sprachen wir mit dem Literaturwissenschaftler<br />

Prof. Peter Seibert von <strong>der</strong> Universität Kassel.<br />

Was sagen Sie über die <strong>Seghers</strong>­<strong>Debatte</strong>, die <strong>der</strong>zeit in Kassel<br />

geführt wird?<br />

Prof. Peter Seibert: Das ist eine Provinzposse. Überall in<br />

Deutschland, nicht nur im Osten, sind Straßen nach <strong>Anna</strong><br />

<strong>Seghers</strong> benannt worden. In ihrer Heimatstadt Mainz ist sie zur<br />

Ehrenbürgerin ernannt worden. Wenn man sagt, es darf keine<br />

<strong>Anna</strong>­<strong>Seghers</strong>­Straße geben, dann darf auch keine Straße und<br />

Schule mehr nach Bertolt Brecht benannt werden.<br />

Die CDU führt an, <strong>Seghers</strong> sei eine Stalinistin und Antidemokratin gewesen.<br />

Seibert: Kein Mensch, <strong>der</strong> von <strong>Seghers</strong> „Das siebte Kreuz“ gelesen hat, käme auf die Idee, dass sie eine<br />

Stalinistin gewesen ist. In dem Roman geht <strong>der</strong> Kommunist gleich unter. Sie zeichnete stattdessen den<br />

Entwurf eines Helden, <strong>der</strong> nicht zum sozialistischen Realismus stalinistischer Prägung passte. Übrigens<br />

wurde „Das siebte Kreuz“ 1944 in Hollywood mit Spencer Tracy, einem bekennenden Katholiken, in<br />

<strong>der</strong> Hauptrolle verfilmt. Darüber hinaus ist <strong>Seghers</strong> von <strong>der</strong> Autorin Christa Wolf, die niemals als<br />

Stalinistin bezeichnet worden wäre, hoch gelobt worden.<br />

<strong>Seghers</strong> hat sich nach Ende des Zweiten Weltkriegs und ihrem Exil in Mexiko dazu entschieden, in die<br />

DDR zu gehen. Was waren ihre Ambitionen?<br />

Seibert: Sie hat sicherlich gehofft, dass mit <strong>der</strong> DDR ein Staat entsteht, in dem <strong>der</strong> Faschismus<br />

überwunden wird. Bei Bertolt Brecht und Heinrich Mann war das ebenso <strong>der</strong> Fall. Zudem haben die<br />

Westzonen damals sehr gezögert, Linke, die im Exil waren, wie<strong>der</strong> aufzunehmen. Ost­Berlin hat diese<br />

Leute hingegen mit offenen Armen empfangen. Brecht hat gar sein eigenes Theater bekommen. <strong>Seghers</strong><br />

gehörte in Ost­Berlin <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> West­Exilierten an. Da gab es starke Unterschiede zu <strong>der</strong> Gruppe,<br />

die Walter Ulbricht nach seiner Rückkehr aus dem sowjetischen Exil 1945 gegründet hat.<br />

Die CDU wirft <strong>Seghers</strong> vor, dass sie 1955 in einem Schauprozess <strong>der</strong> DDR den Politiker und SED­<br />

Funktionär Paul Merker belastet hat.<br />

Seibert: Merker gehörte ebenso wie <strong>Seghers</strong> <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> West­Exilierten an, die in <strong>der</strong> DDR unter<br />

Druck gesetzt worden sind. Es ist richtig, dass sie für ihren Freund und Weggefährten keine Partei<br />

ergriffen hat. <strong>Seghers</strong> hat damals wohl noch geglaubt, man müsse sich solidarisch mit <strong>der</strong> Führung <strong>der</strong>


<strong>Beiträge</strong> zur Diskussion um die Benennung einer Straße, zusammengestellt von <strong>der</strong> <strong>Anna</strong>­<strong>Seghers</strong>­Gesellschaft<br />

DDR zeigen. Sie hat sich in die Literatur zurückgezogen und das Erlebte in <strong>der</strong> Erzählung „Der<br />

gerechte Richter“ verarbeitet. Ähnliches kennen wir von Brecht: Nach seinem Tod hat man von ihm<br />

Gedichte zum nie<strong>der</strong>geschlagenen Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 gefunden. Die DDR hat auch<br />

Romane von <strong>Seghers</strong> abgelehnt.<br />

Nennen Sie ein Beispiel.<br />

Seibert: „Transit“. Das ist meiner Ansicht nach <strong>der</strong> beste Roman des gesamten Exils. Er spielt in<br />

Marseille, thematisiert das Exil selbst und ist eine wun<strong>der</strong>schöne Liebesgeschichte. Während im<br />

Westen „Transit“ immer hoch gelobt und rezipiert worden ist, wurde er in <strong>der</strong> DDR abgelehnt. „Das<br />

siebte Kreuz“ steht noch heute in jedem Lehrplan drin.<br />

<strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> spielt als Schriftstellerin bis heute also eine herausragende Rolle?<br />

Seibert: Ja. Deshalb darf man bei <strong>der</strong> <strong>Debatte</strong> in Kassel nicht vergessen, dass eine Straße nach <strong>der</strong> Frau<br />

benannt werden soll, weil sie eine bedeutende Literatin von Weltrang gewesen ist. Zudem würde die<br />

Benennung auch bedeuten, dass man eine verfolgte Jüdin würdigt. Man sollte „Das siebte Kreuz“ und<br />

„Transit“ von <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> lesen, bevor man solch eine Namensgebung ablehnt. Kassel muss ein<br />

bisschen aufpassen, dass über diese zur Posse gewordene <strong>Debatte</strong> nicht bald bundesweit berichtet wird.<br />

Doose (CDU) bleibt bei Nein zu <strong>Seghers</strong><br />

In <strong>der</strong> Diskussion um die Neubenennung einer Straße nach <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> weist <strong>der</strong> stellvertretende<br />

CDU­Fraktionsvorsitzende Bernd­Peter Doose darauf hin, dass <strong>Seghers</strong> nicht nur eine Mitläuferin,<br />

son<strong>der</strong>n als „exponierte Stütze des Unrechtsstaates DDR vor allem eine Täterin“ gewesen sei. So habe<br />

sie sich nicht nur zur sowjetischen Invasion in Ungarn 1956 bekannt, son<strong>der</strong>n auch zum Prager Frühling<br />

1968 geschwiegen.<br />

Den Volksaufstand in <strong>der</strong> DDR am 17. Juni 1953, bei dem es viele Tote und Verletzte gab, habe <strong>Seghers</strong><br />

in ihrem Werk „Das Vertrauen“ mit dem Satz zu verharmlosen versucht: „Als die Arbeit wie<strong>der</strong> lief,<br />

wurden noch ein paar verhaftet, teils daheim, teils im Betrieb.“ <strong>Seghers</strong> sei auch aktiv tätig geworden<br />

bei <strong>der</strong> Verfolgung Unschuldiger. So habe sie Paul Merker, den ranghöchsten von <strong>der</strong> DDR verfolgten<br />

Kommunisten, als Agenten belastet und dazu beigetragen, dass Merker Opfer eines antisemitischen<br />

Schauprozesses wurde.<br />

„Dass <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> belastet ist, hat auch die Diskussion in Nie<strong>der</strong>zwehren gezeigt, wo <strong>der</strong> Ortsbeirat<br />

2006 die Benennung einer Straße nach <strong>der</strong> Stalinistin abgelehnt hat“, sagt Doose. (use)


<strong>Beiträge</strong> zur Diskussion um die Benennung einer Straße, zusammengestellt von <strong>der</strong> <strong>Anna</strong>­<strong>Seghers</strong>­Gesellschaft<br />

Hessische/Nie<strong>der</strong>sächsische Allgemeine vom 7. Februar 2013<br />

CDU­Kassel: Erinnerung an eine Kommunistin und Jüdin? –<br />

Nein Danke!<br />

Jonas Dörge<br />

SPD und Grüne des Ortsbeirats in Wehlheiden (Kassel) wollen eine Straße nach <strong>der</strong> Schriftstellerin<br />

<strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> benennen. <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> (eigentlich Netty Reiling) war nicht nur Schriftstellerin,<br />

son<strong>der</strong>n eine jüdische Kommunistin. Sie verfasste u.a. die viel gerühmten Romane „Das Siebte Kreuz“<br />

und „Transit“ und trat 1928 <strong>der</strong> KPD bei. Ihre Bücher wurden in Deutschland nach <strong>der</strong><br />

Machtübernahme <strong>der</strong> Nazis verbrannt, sie selber konnte über die Schweiz nach Mexiko in das Exil<br />

fliehen. Nach 1945 war sie Mitglied <strong>der</strong> SED und von 1955 bis 1978 Präsidentin des<br />

Schriftstellerverbandes <strong>der</strong> DDR.<br />

Die Benennung einer Straße nach einer jüdischen Kommunistin? „<strong>Seghers</strong> sei eine Stalinistin und<br />

Antidemokratin“ dröhnt <strong>der</strong> CDU­Stadtverordnete Bernd­Peter Doose. Sie sei nicht nur eine<br />

Mitläuferin, son<strong>der</strong>n „exponierte Stütze des Unrechtsstaates DDR vor allem eine Täterin“ gewesen. In<br />

diesem Zusammenhang will sich die CDU nicht nur zum Fürsprecher <strong>der</strong> aufständischen Arbeiter in <strong>der</strong><br />

DDR des Jahres 1953 machen. Irgendwo haben die Lokalgrößen <strong>der</strong> CDU ausgegraben, dass es in <strong>der</strong><br />

SED auch einen Paul Merker gegeben hat, <strong>der</strong> von <strong>Seghers</strong> verraten worden sei. Doch würde man eine<br />

Straße nach ihm benennen, die CDU wäre genauso empört.<br />

„Die Weimarer Demokratie ist nicht etwa zugrunde gegangen, weil angeblich die Deutschen we<strong>der</strong><br />

Republikaner noch Demokraten sein können. Sie ist daran zugrunde gegangen, dass die Regierungen,<br />

… sie in den Dienst des deutschen Imperialismus gestellt haben. … Durch diese Feststellung wird die<br />

Mitverantwortung des deutschen Volkes für die Machtergreifung Hitlers, für dessen Krieg und seine<br />

Verbrechen in keiner Weise verkleinert o<strong>der</strong> entschuldigt. … Der Sieg über den Nazismus ist das Ziel<br />

<strong>der</strong> Antihitlerkoalition, als dessen Anhänger sich je<strong>der</strong> demokratische, je<strong>der</strong> freie Deutsche fühlen<br />

muss. Nicht allen freien Deutschen im Auslande ist es vergönnt, an dem großen Kampf mit <strong>der</strong> Waffe in<br />

<strong>der</strong> Hand teilzunehmen. … Ihnen ist die Aufgabe gestellt, soweit als möglich nach Deutschland<br />

hineinzuwirken, … um das Programm <strong>der</strong> Alliierten, … zu propagieren, um dem deutschen Volke die<br />

ungeheure Verantwortung, die es … durch die Teilnahme an [dem] Krieg trägt, klarzumachen.“ (Paul<br />

Merker, Deutschland – Sein o<strong>der</strong> Nicht Sein. Bd. 1, 1944)<br />

Merker war seit 1920 Mitglied <strong>der</strong> KPD, geriet dann in den dreißiger Jahren in Opposition zum<br />

herrschenden Kurs <strong>der</strong> KPD. Merker war aktiv gegen das Naziregime tätig. Er leistete nach 1933<br />

illegale Parteiarbeit und floh 1942 aus Marseille nach Mexiko. Nach 1945 dann Mitglied des<br />

Parteivorstandes <strong>der</strong> SED und hatte sich für die Entschädigung von Juden ausgesprochen. Im Zuge<br />

antisemitisch geprägter politischer Säuberungen wurde er aus <strong>der</strong> SED im Jahr 1950 ausgeschlossen<br />

und 1952 verhaftet. Ihm wurden zionistische Positionen vorgeworfen. Es heißt es im typischen Duktus<br />

des linken Antisemitismus: “Es unterliegt keinem Zweifel mehr, dass Merker ein Subjekt <strong>der</strong> USA­<br />

Finanzoligarchie ist, <strong>der</strong> die Entschädigung des jüdischen Volkes nur for<strong>der</strong>te, um dem USA­<br />

Finanzkapital das Eindringen in Deutschland zu ermöglichen. [...] Merker fälschte die aus deutschen<br />

und ausländischen Arbeitern herausgepressten Maximalprofite <strong>der</strong> Monopolkapitalisten in angebliches<br />

Eigentum des jüdischen Volkes um.” Und in einem weiteren Bericht wird festgestellt: “Erst die


<strong>Beiträge</strong> zur Diskussion um die Benennung einer Straße, zusammengestellt von <strong>der</strong> <strong>Anna</strong>­<strong>Seghers</strong>­Gesellschaft<br />

Entlarvung <strong>der</strong> Rolle <strong>der</strong> Zionisten als einer imperialistischen Spionagezentrale führte zur völligen<br />

Demaskierung Merkers als eines Agenten des USA­Imperialismus.” (zit. n. Christian Krause,<br />

Antifaschismus und Antisemitismus, 2003) (Das auch heute noch antizionistisch agierende<br />

Friedensforum Kassel hat auf seiner Homepage einen Artikel zum Schicksal <strong>der</strong> sogenannten<br />

Westemigranten veröffentlicht. Der antijüdische und antizionistische Hintergrund <strong>der</strong><br />

Parteisäuberungen wird dort mit keinem Wort erwähnt.) Im Prozess gegen Merker hat auch <strong>Seghers</strong><br />

Merker belastet. Bis Anfang 1956 verblieb Merker in Haft und wurde dann heimlich rehabilitiert.<br />

Merker verbrachte die letzten Jahre seines Lebens ohne politische Funktionen als Lektor im Verlag<br />

„Volk und Welt“.<br />

Aber auch <strong>Seghers</strong> gehörte zum Personenkreis, <strong>der</strong> nach Mexiko emigrierte und zudem jüdischer<br />

Herkunft war. Sie gehörte also zu denen, die <strong>der</strong> tatsächlich stalinistischen Parteigruppe um Ulbricht<br />

und Mielke von vornherein verdächtig war und auch auf <strong>der</strong> Abschussliste stand. Angesichts <strong>Seghers</strong><br />

gewiss nicht mutigem Verhalten im Merkerprozess ihr einen Strick zu drehen und zu schließen, sie sei<br />

eine exponierte Stütze des Unrechtsstaates gewesen ist verleum<strong>der</strong>isch und zeugt nicht nur von einem<br />

borniertem Antikommunismus in <strong>der</strong> Tradition <strong>der</strong> nationalsozialistischen Ideologie vom jüdischen<br />

Bolschewismus, son<strong>der</strong>n auch von historischer Ahnungslosigkeit. Der Vorwurf <strong>der</strong> CDU verkennt<br />

sowohl <strong>Seghers</strong> Wirken, ihren tatsächlichen Einfluss und ihre Position, als auch die Mechanismen<br />

stalinistischer Repression und Verfolgungen und poststalinistischer Herrschaftsverhältnisse.<br />

Dass es in <strong>der</strong> CDU keine Vorstellung von <strong>der</strong> politischen und gesellschaftlichen Lage im postfaschistischen<br />

Deutschland gibt, vor <strong>der</strong> das Leben und Wirken <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> adäquat beurteilt werden kann,<br />

davon kann man getrost ausgehen. <strong>Seghers</strong>, <strong>der</strong>en Eltern Opfer nationalsozialistischer Judenverfolgung<br />

waren, entschied sich nach 1945 wie<strong>der</strong> nach Deutschland – dem „unangenehmen Mittelstück Europas“<br />

(<strong>Seghers</strong>) – zurückzukehren. Konfrontiert mit <strong>der</strong> „Eiszeitstimmung“ (<strong>Seghers</strong>, zit. n. Annette Leo, Die<br />

Falle <strong>der</strong> Loyalität, 2006) gegenüber den Überlebenden, Verfolgten und Oppositionellen des<br />

Naziregimes in <strong>der</strong> postfaschistischen Volksgemeinschaft Deutschlands, war es durchaus logisch, sich<br />

denen anzuschließen, die ja nicht nur behaupteten, mit <strong>der</strong> deutschen Vergangenheit radikal zu brechen.<br />

Wenige Jahre nach <strong>der</strong> Erfahrung des Holocaust, <strong>der</strong> Rolle des deutschen Volkes und die Bedeutung des<br />

Wi<strong>der</strong>stands in Deutschland schien es folgerichtig, im Sozialismus den einzigen sicheren Ort vor <strong>der</strong><br />

Barbarei des Faschismus zu sehen. Bestärkt wurde diese Haltung durch die Situation im Westen<br />

Deutschlands. Nachdem dort die Alliierten die Verantwortung für Entnazifizierung und Reeducation<br />

den örtlichen Behörden übergaben, wurden in Windeseile die übelsten Nazis in sämtlichen<br />

gesellschaftlichen Bereichen in Amt und Würden gebracht. Nicht nur Globke und Lübke standen<br />

beispielhaft für die Positionen von wichtigen Personen des Nationalsozialismus, die in <strong>der</strong> BRD zu<br />

bedeutende Positionen übertragen wurden, ihre Namen sind sowohl in Provinz als auch auf höchster<br />

Regierungsebene Legion.<br />

Völlig verschlossen bleibt <strong>der</strong> CDU auch die bleibende literarische Bedeutung <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong>. Ihre<br />

Romane sind inhaltlich und formal brillante Werke, die sich von den (wechselnden) Vorgaben<br />

„parteigerechter“ Literatur deutlich unterschieden. Die bis 1944 (Transit) erschienen Romane stehen für<br />

eine Konzeption eines Realismus, <strong>der</strong> für das allgemein Menschliche steht. Für <strong>Seghers</strong> war in <strong>der</strong><br />

Situation Deutschlands <strong>der</strong> Weimarer Republik <strong>der</strong> Kommunismus Ausdruck <strong>der</strong> Menschheitsbefreiung<br />

und dessen politisches Streben und Agieren in <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung mit dem Nationalsozialismus<br />

identisch mit dem Menschheitsinteresse. <strong>Seghers</strong> Romanfiguren treten dem Leser nicht als<br />

Kommunisten gegenüber, son<strong>der</strong>n als verfolgte, unterdrückte und aufbegehrende Menschen, die für<br />

eine an<strong>der</strong>e und bessere Welt einstehen, leiden, untergehen o<strong>der</strong> bestehen. Manche von ihnen, wie die<br />

Romanfigur Heisler im „Das siebte Kreuz“ sind Kommunisten, könnten aber genauso gut Zeuge<br />

Jehovas, Bekenntnispfarrer o<strong>der</strong> parteiloser Humanist sein (J. Rühle, Schriftsteller <strong>der</strong> Revolution).


<strong>Beiträge</strong> zur Diskussion um die Benennung einer Straße, zusammengestellt von <strong>der</strong> <strong>Anna</strong>­<strong>Seghers</strong>­Gesellschaft<br />

<strong>Seghers</strong> stand mit dieser Position nicht allein. Vor allem nach 1945 (bei einigen auch schon ein paar<br />

Jahre vorher), als immer deutlicher wurde, wie sich <strong>der</strong> Kommunismus als Herrschaftssystem etablierte,<br />

verabschiedeten sich einige Schriftsteller und Intellektuelle von <strong>der</strong> Identifikation des Kommunismus<br />

mit dem Menschheitsinteresse. <strong>Seghers</strong> blieb aus den o.g. Gründen auch unter den Verhältnissen <strong>der</strong><br />

DDR bei ihrer Position. Vor dem Hintergrund <strong>der</strong> realen gesellschaftlichen Auseinan<strong>der</strong>setzungen<br />

mussten ihre Romane notwendig schwächer werden. Sie sind allenfalls noch als verklausulierte<br />

Spiegelung <strong>der</strong> verkehrten Verhältnisse zu verstehen. Der literarischen Bedeutung ihrer Werke in den<br />

Jahren 1928 bis 1944 tut diese späte Phase keinen Abbruch. Gegen die ihr vorgeworfene Rolle<br />

Stalinistin zu sein spricht allein schon das 1957 verfasste aber erst 1990 veröffentlichte Werk „Der<br />

gerechte Richter“.


<strong>Beiträge</strong> zur Diskussion um die Benennung einer Straße, zusammengestellt von <strong>der</strong> <strong>Anna</strong>­<strong>Seghers</strong>­Gesellschaft<br />

Hessische/Nie<strong>der</strong>sächsische Allgemeine vom 8. Februar 2013<br />

Knappe Mehrheit für <strong>Seghers</strong>­Straße<br />

44 Prozent sprachen sich bei Abstimmung im Internet für Benennung nach <strong>der</strong><br />

Schriftstellerin aus<br />

Kassel. Die Straße, die in dem neuen Wohngebiet auf dem Gelände <strong>der</strong> früheren Feuerwehrschule in<br />

Wehlheiden gebaut wird, soll nach <strong>der</strong> Schriftstellerin <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> (1900 bis 1983) benannt werden.<br />

Zwei deutsche Schriftsteller treffen sich<br />

in Weimar: Das Foto zeigt <strong>Anna</strong><br />

<strong>Seghers</strong> und Thomas Mann im Jahr<br />

1955. Archivfoto: dpa.<br />

Das hat zumindest eine nicht repräsentative Internet­Umfrage unter<br />

www.hna.de ergeben. Das Ergebnis fiel allerdings knapp aus. Von den<br />

791 Teilnehmern votierten 349 (44,1 Prozent) für die Benennung nach<br />

<strong>der</strong> Schriftstellerin. 41,2 Prozent waren dagegen.<br />

Nachdem SPD und Grüne im Ortsbeirat die Benennung beschlossen<br />

hatten, protestiert nun dagegen <strong>der</strong> Kasseler CDU­Stadtverordnete<br />

Bernd Peter Doose. In seinen Augen war <strong>Seghers</strong> eine Stalinistin.<br />

Die Leser diskutieren weiterhin das Thema kontrovers im Internet.<br />

Auszüge aus <strong>der</strong> <strong>Debatte</strong>: Bela schreibt: „Es wäre aber sicher auch kein<br />

Beinbruch, wenn die SPD diese Benennung nicht durchsetzt. Es gibt<br />

sicher viele Persönlichkeiten, auf die sich alle einigen können. Eine<br />

Kommunistin ist unabhängig von ihrer schriftstellerischen Leistung<br />

sicher eine schwierige Wahl.“<br />

huttich kommentiert: „Es gab in Deutschland vor ,1000‘ Jahren mal eine<br />

Zeit, da wurden Bücher verbrannt, weil ihre politische Ausrichtung<br />

einer damaligen Partei nicht gefiel. Wo sollen wir denn jetzt wie<strong>der</strong> <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> Bücher abliefern,<br />

falls Herr Doose Ähnliches plant?“<br />

Nicht alle Christdemokraten sehen <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> so kritisch wie die Kasseler: Die CDU­nahe Konrad­<br />

Adenauer­Stiftung erinnert <strong>der</strong>zeit in ihrer Akademie in Berlin an die Bücherverbrennung durch die<br />

Nazis vor 80 Jahren. Unter dem Titel „Verbrannte Bücher – von den Nazis verfemte Schriftsteller“ wird<br />

auf großen Stelen über bekannte Autoren, <strong>der</strong>en Bücher von den Faschisten vernichtet wurden,<br />

informiert. Neben Erich Kästner, Kurt Tucholsky sowie vielen an<strong>der</strong>en Schriftstellern erinnert die<br />

Adenauer­Stiftung auch an <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong>. (use)


<strong>Beiträge</strong> zur Diskussion um die Benennung einer Straße, zusammengestellt von <strong>der</strong> <strong>Anna</strong>­<strong>Seghers</strong>­Gesellschaft<br />

Junge Welt vom 9. Februar 2013<br />

Hessische Literaturstädte des Tages: Kassel/Frankfurt<br />

Die Klischee­Hessen, die in den Comedyprogrammen mundartlich verachtet werden wie sonst nur die<br />

Sachsen, sind in Süd­ und Mittelhessen anzutreffen. Die meisten von ihnen begreifen Nordhessen schon<br />

als ein an<strong>der</strong>es Bundesland. Denn dort haben »die Leut« eine an<strong>der</strong>e Sprache, einen an<strong>der</strong>en<br />

Regierungsbezirk und eine an<strong>der</strong>e evangelische Landeskirche.<br />

Und sie haben Kassel. Eine Schnarch­ und Ödstadt, so denkt man in Frankfurt am Main, <strong>der</strong> größten<br />

hesssichen Metropole, über die zweitgrößte. Aus Kassel stammen legendäre große kleine Sozi­Buben<br />

wie Holger Börner o<strong>der</strong> Hans Eichel. Ist die dortige SPD schon rechts, ist es die CDU allemal. In dem<br />

Stadtteil Wehlheiden kämpft sie gegen eine geplante <strong>Anna</strong>­<strong>Seghers</strong>­Straße. Begründung: Die von den<br />

Nazis aus dem Land gejagte Schriftstellerin (1900–1983) sei als »eine exponierte Stütze des<br />

Unrechtsstaates DDR vor allem eine Täterin« gewesen. Sie habe we<strong>der</strong> den sogenannten<br />

Arbeiteraufstand 1953 noch den Ungarnaufstand 1956 begrüßt und zu Prag 1968 nur geschwiegen.<br />

Weltliteratur, Hollywood, Schullektüre? Gildet nicht in Kassel.<br />

Doch auch in Frankfurt droht <strong>der</strong> Kommunismus, glauben die Dippegucker Peter Sloterdijk, Rüdiger<br />

Safranski und Hugo Müller­Vogg. Im Focus bezichtigen sie den südhessischen Universal­Lokal­<br />

Matadoren Frank Schirrmacher des Linksopportunismus. Denn <strong>der</strong> FAZ­Mitherausgeber verunglimpfe<br />

in seinem neuem Buch mit dem – sprechenden – Titel »Ego« den mo<strong>der</strong>nen Menschen als »Homo<br />

oeconomicus«. Und damit sozusagen den gesamten Kapitalismus. Der einst als FAZ­Mitherausgeber<br />

geschaßte Hugo Müller­Vogg glaubt, Schirrmacher habe »mit untrüglichem Gespür bemerkt: Der<br />

Zeitgeist weht seit Lehman Brothers und den Folgen von links. Und nur wer den bedient, darf auf dem<br />

Buchmarkt auf Gewinnexplosion rechnen.« Die Kassler CDU sollte in Deckung gehen. (cm)


<strong>Beiträge</strong> zur Diskussion um die Benennung einer Straße, zusammengestellt von <strong>der</strong> <strong>Anna</strong>­<strong>Seghers</strong>­Gesellschaft<br />

Frankfurter Rundschau vom 9./10. Februar 2013<br />

Das Kreuz mit <strong>der</strong> <strong>Seghers</strong><br />

Joachim F. Tornau<br />

Kasseler CDU will Straße nicht umbenennen<br />

Die Kasseler CDU steht zu ihren Bildungslücken. <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong>? Die international anerkannte<br />

Schriftstellerin? Verfasserin unter an<strong>der</strong>em des Romans „Das siebte Kreuz“, <strong>der</strong> in allen deutschen<br />

Bundeslän<strong>der</strong>n auf den Schullehrplänen steht? Keine Ahnung, wer das ist. „Wir kannten die Frau<br />

<strong>Seghers</strong> ja gar nicht“, bekennt Bernd Peter Doose, stellvertreten<strong>der</strong> Fraktionschef <strong>der</strong> CDU im Kasseler<br />

Stadtparlament. Doch dann habe man recherchiert. Und festgestellt: Nach dieser Frau eine Straße zu<br />

benennen, wie es SPD und Grüne vereinbart hatten, ist vollkommen unmöglich.<br />

Nicht nur Mitläuferin<br />

„Entsetzt“ sei man und verurteile den Namensvorschlag „aufs Schärfste“ teilte die Union mit. Der<br />

Grund: Die jüdische Kommunistin, die von den Nazis aus Deutschland vertrieben worden war, hatte<br />

sich nach ihrer Rückkehr aus dem Exil für ein Leben in <strong>der</strong> DDR entschieden. Und fungierte dort<br />

jahrelang als Präsidentin des Schriftstellerverbands.<br />

<strong>Seghers</strong> sei, meint die CDU, „nicht nur eine Mitläuferin, son<strong>der</strong>n als exponierte Stütze des<br />

Unrechtsstaats DDR eine Täterin gewesen“. Wenn nach dieser „Antidemokratin“ und „Stalinistin“ nun<br />

in Kassel eine Straße benannt würde, wäre das ein „Schlag ins Gesicht aller Opfer dieser<br />

unmenschlichen Ideologie“.<br />

An<strong>der</strong>swo sieht man das entspannter. <strong>Anna</strong>­<strong>Seghers</strong>­Straßen gibt es in vielen Städten West­ wie<br />

Ostdeutschlands. In ihrer Geburtsstadt Mainz ist die Schriftstellerin sogar Ehrenbürgerin und<br />

Namensgeberin <strong>der</strong> öffentlichen Bibliothek. In Kassel dagegen wähne sich die CDU offenbar immer<br />

noch im kalten Krieg, sagt Gernot Rönz, Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> grünen Rathausfraktion, und lästert: „Es<br />

wäre wünschenswert, dass sich die CDU nicht nur über Wikipedia über bedeutende deutsche<br />

Persönlichkeiten informiert, son<strong>der</strong>n das Urteil den Personen überlässt, die sich intensiv und<br />

wissenschaftlich fundiert mit ihnen auseinan<strong>der</strong>setzen.“ Dem Literaturwissenschaftler Peter Seibert<br />

etwa, Professor an <strong>der</strong> Universität Kassel und Experte für Exilliteratur. „Man kann <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> nicht<br />

einfach als Stalinistin diffamieren“, sagt Seibert. „Wir finden das nirgendwo, dass <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> dem<br />

Stalinismus das Wort geredet hätte.“<br />

Christiane Zehl Romero, Ger manistik­Professorin an <strong>der</strong> ‘Tufts University in Medford (Massachusetts)<br />

und Verfasserin einer <strong>Seghers</strong>­Biografie, bescheinigt <strong>der</strong> Schriftstellerin zwar „politische Naivität“. Ihr<br />

Verhalten in <strong>der</strong> DDR, von <strong>der</strong> sie „zunehmend enttäuscht“ gewesen sei, dürfe jedoch nicht so<br />

undifferenziert bewertet werden wie von <strong>der</strong> CDU. „Es ist leicht, aus einem langen und schweren Leben<br />

die Momente herauszusuchen, die für Verdammungen herhalten können.“


<strong>Beiträge</strong> zur Diskussion um die Benennung einer Straße, zusammengestellt von <strong>der</strong> <strong>Anna</strong>­<strong>Seghers</strong>­Gesellschaft<br />

Begründung abgeschrieben<br />

Eine Selektivität in <strong>der</strong> Wahrnehmung lässt sich <strong>der</strong> Kasseler CDU in <strong>der</strong> Tat nachweisen. Zur<br />

Untermauerung ihrer Vorwürfe verbreitete die Fraktion einen „Hintergrund“, den sie offensichtlich aus<br />

dem Interne zusammenkopiert hatte. „Das ist unser Text“, behauptet Fraktionsvize Doose gleichwohl.<br />

„Ein Plagiat sehe ich da nicht drin.“ Doch abgeschrieben wurde außer bei Wikipedia auch bei <strong>der</strong><br />

Literaturkritikerin Ursula Homann sowie aus Artikeln von Spiegel und Zeit. Dabei verzichtete die CDU<br />

nicht nur auf Quellenangaben, son<strong>der</strong>n ließ alles weg, was ihr nicht in den Kram passte.<br />

So übernahm man aus einem Nachruf, <strong>der</strong> 1983 in <strong>der</strong> Wochenzeitung Die Zeit erschienen war, einen<br />

Absatz über <strong>Seghers</strong>’ fragwürdige Haltung zum Aufstand in <strong>der</strong> DDR vom 17. Juni 1953 Wort für Wort.<br />

Eine an<strong>der</strong>e Passage des Artikels verwandte man lieber nicht. Denn darin erinnerte <strong>der</strong> Autor Rolf<br />

Michaelis an die „kleinkarierten Proteste <strong>der</strong> CDU“ gegen die Mainzer Ehrenbürgerschaft für die DDR­<br />

Schriftstellerin.<br />

Hessische/Nie<strong>der</strong>sächsische Allgemeine vom 10. Februar 2013<br />

Leserbrief<br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

ich wende mich mit meinem Leserbrief in <strong>der</strong> Causa <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> an Sie und stelle es Ihnen frei,<br />

diesen in Ihrem geschätzten Blatt zu veröffentlichen. Hier mein Text:<br />

Der Protest gegen den Vorschlag, eine neue Straße in Kassel nach <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> zu benennen, erinnert<br />

an Deutsche, die den 8. Mai 1945 als „Katastrophe“ und nicht als Befreiung vom Faschismus bewerten:<br />

Sie warfen den Emigranten vor, sich „gedrückt“ und es sich „im Ausland bequem gemacht“ zu haben<br />

o<strong>der</strong> zu „Verrätern des Vaterlandes“ geworden zu sein. Solche Schmähungen richteten sich gegen Menschen,<br />

denen <strong>der</strong> deutsche Staat aus rassistischen, religiösen und politischen Gründen das Lebensrecht<br />

entzogen hatte. Wer das Glück hatte, sich in Zufluchtslän<strong>der</strong> retten zu können, lebte dort meist unter<br />

schwierigen sozialen Bedingungen und litt unter dem Verlust <strong>der</strong> Heimat. Diese quittierte solche<br />

Schicksale den Überlebenden bei Rückkehr mit Vorwürfen und Ausgrenzung.<br />

Viele Emigranten, auch die Schriftsteller, trugen auf vielfältige Weise dazu bei, die Herrschaft des<br />

Mordregimes in Deutschland zu zerschlagen. Manche taten dies als Angehörige <strong>der</strong> alliierten Truppen<br />

mit <strong>der</strong> Waffe in <strong>der</strong> Hand, an<strong>der</strong>e – so auch Thomas Mann (über die BBC) o<strong>der</strong> Friedrich Wolf (über<br />

Radio Moskau) – mit <strong>der</strong> Macht des Wortes. Das Buch „Das siebte Kreuz“ von <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> trugen<br />

US­amerikanische Soldaten in ihrem Tornister als sie unter mör<strong>der</strong>ischem Feuer in <strong>der</strong> Normandie ankamen.<br />

Die Ehrenbürgerin von Mainz, würde – lebte sie noch –, heute vermutlich gegen die deutschen<br />

Asyl­Regelungen protestieren, die Verfolgten die Rettung verwehren. Sie hätte mit ihren beiden<br />

Kin<strong>der</strong>n wahrscheinlich nicht überlebt, wäre sie permanent auf bürokratische Hin<strong>der</strong>nisse gestoßen.<br />

Mit besten Leser­Grüßen<br />

Rudolf Schwinn (Bonn­Castell)


<strong>Beiträge</strong> zur Diskussion um die Benennung einer Straße, zusammengestellt von <strong>der</strong> <strong>Anna</strong>­<strong>Seghers</strong>­Gesellschaft<br />

http://haraldpflueger.com/ vom 21. Februar 2013<br />

Anti­Semitismus in Kassel: CDU­Boss diffamiert die jüdische<br />

Schriftstellerin <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong><br />

Harald Pflueger<br />

In <strong>der</strong> nordhessischen Provinz­Hauptstadt Kassel ist ein Streit um die längst überfällige Benennung<br />

einer Straße nach <strong>der</strong> weltberühmten deutschen Schriftstellerin und Jüdin <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> entbrannt. An<br />

sich eine Selbstverständlichkeit, u. a. in Bremen, Berlin, Potsdam, Cloppenburg, Vellmar und selbst im<br />

bayerischen Schwabmünchen gibt es eine <strong>Anna</strong>­<strong>Seghers</strong>­Straße. Mainz hat <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> die Ehrenbürgerschaft<br />

verliehen und die Universitäts­Bibliothek nach ihr benannt. Doch in <strong>der</strong> Documenta­Stadt<br />

hat man es nicht so mit jüdischen Künstlern.<br />

Der Kasseler CDU war ein Straßenname mit <strong>der</strong> prominenten Jüdin ein Dorn im Auge. In <strong>der</strong> Partei <strong>der</strong><br />

Ewiggestrigen scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Ähnlich wie die beschämenden Boykott­<br />

Aufrufe des Springer­Konzerns in den sechziger Jahren wollte die Kasseler CDU erneut ein Exempel<br />

statuieren. Sie schickte ihren stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, Bernd­Peter Doose, vor und <strong>der</strong><br />

entblödete sich nicht, zu behaupten, die große deutsche Schriftstellerin „glaubte an Stalin wie ein<br />

frommer Katholik“.<br />

Offensichtlich benötigt man nur genügend Einfalt mit einer gehörigen Portion Demagogie, vielleicht<br />

auch noch „ein paar Schoppen“ dazu, um in Kassel stellvertreten<strong>der</strong> Fraktionsvorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> CDU<br />

werden zu können. So heißt es in den primitiven Ausfällen <strong>der</strong> CDU­Spitze weiter: „Ich finde es<br />

unerhört eine bekennende Altstalinistin, die auch in <strong>der</strong> DDR nicht durch demokratische und<br />

menschenfreundliche Verhaltensweisen aufgefallen ist, so zu ehren.“ So das CDU­Sprachrohr Doose.<br />

Die Jüdin <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> promovierte in Heidelberg und hat ihre Doktorarbeit zum Thema "Jude und<br />

Judentum im Werk Rembrandts“ ­ im Gegensatz zu zahlreichen prominenten CDU­Parteifreunden des<br />

Herrn Doose ­ noch selbst verfaßt. Sie wurde von <strong>der</strong> Gestapo als Jüdin und Kommunistin verhaftet,<br />

ihre Bücher wurden verboten und verbrannt. Später hatte sie Gelegenheit über die Schweiz nach Paris<br />

zu fliehen und landete schließlich in Marseille, wo sie ihren weltberühmten Roman „Transit“ zu<br />

schreiben begann. Ein an<strong>der</strong>er Roman „Das siebte Kreuz“ wurde von Fred Zinnemann (12 Uhr mittags)<br />

für MGM bereits 1944 mit Spencer Tracy verfilmt. Der US­Amerikanische Hollywood­Streifen durfte<br />

in Westdeutschland aber erst 1971 (!!) gezeigt werden. Hans Werner Henze nahm den Roman „Das<br />

siebte Kreuz“ zur Grundlage seiner 9. Sinfonie. In Marseille erlangte <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> schließlich ein<br />

Visum für Mexico und konnte dorthin fliehen. Nach dem Ende <strong>der</strong> Nazi­Herrschaft zog sie zunächst für<br />

ein paar Jahre nach West­Berlin und schließlich in die Hauptstadt <strong>der</strong> DDR.<br />

<strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> gehört zu den weltweit berühmtesten Autoren <strong>der</strong> Exil­Literatur.<br />

Doch zurück zu den Kasseler Christen. Primitive Hetzer werden es mit schlichtem Intellekt und<br />

Lückentext­Abitur wohl niemals in die Birne bekommen, den literarischen Wert eines Kunstwerks zu<br />

achten, wenn sie die politischen Ansichten des Autors nicht teilen können. Es fehlt ihnen einfach die<br />

demokratische Kultur, was aber kein Wun<strong>der</strong> ist, in dem Land, das sich ganz „offiziell“ als Nachfolger<br />

des Nazi­Staates sieht und bis heute keinen nennenswerten eigenen Beitrag zur Aufklärung seiner Nazi­<br />

Vergangenheit beigetragen hat.<br />

Und, was erdreisten sich diese ungehobelten Flegel in <strong>der</strong> hessischen CDU eigentlich, Demokratie­


<strong>Beiträge</strong> zur Diskussion um die Benennung einer Straße, zusammengestellt von <strong>der</strong> <strong>Anna</strong>­<strong>Seghers</strong>­Gesellschaft<br />

Defizite in <strong>der</strong> DDR anzuprangern ? Ist es nicht gerade das CDU­Regime in Hessen, unter dessen<br />

Verantwortung unliebsame Bürger psychiatrisiert werden. Es war doch gerade in Hessen, wo man vier<br />

unliebsame Steuerfahn<strong>der</strong> schlichtweg für „verrückt“ erklärte und aus dem Dienst entfernte ­ nur weil<br />

sie auf die Idee kamen, nicht nur die kleinen Handwerksbetrieb mal genauer unter die Lupe zu nehmen,<br />

son<strong>der</strong>n sich auch die Frankfurter Großbanken in ihrer Eigenschaft als Steuerfahn<strong>der</strong> vorknöpfen<br />

wollten. Der gute Herr Doose sollte sich hinter die Ohren schreiben, wer einer Partei angehört, unter<br />

<strong>der</strong>en Verantwortung ganz normale, aber kritische Bürger <strong>der</strong>art verfolgt werden und wie in den<br />

übelsten Diktaturen wegen angeblicher „paranoid­querulatorischen“ Störungen psychiatrisiert werden,<br />

sitzt im Glashaus und sollte die Klappe halten, erst recht, wenn es um Literatur geht, von <strong>der</strong> er nun<br />

überhaupt nichts versteht.<br />

O<strong>der</strong> wie sieht es denn in Hessen mit dem Amigo­Filz im Justizwesen aus ? Waren es denn nicht die<br />

Neffen des heutigen Ministerpräsidenten Bouffier, die wild und brutal an<strong>der</strong>e verprügelt haben sollen<br />

und das Amtsgericht Gießen das Verfahren anschließend ohne jegliche Beweisaufnahme auf „wun<strong>der</strong>same<br />

Weise“ einstellte, so daß sich die Gerichtssprecherin Beate Mengel sogar bemüßigt sah, dem staunenden<br />

Volk vorbeugend zu erklären, „Wir wurden nicht im Geringsten unter Druck gesetzt.“ Natürlich<br />

wurde niemand „unter Druck“ gesetzt, aber je<strong>der</strong> Justiz­Bedienstete weiß, wie er beför<strong>der</strong>t wird und<br />

wann nicht. Ganz wie in totalitären Staaten.<br />

Wenn es um die Neffen des Ministerpräsidenten geht, scheint <strong>der</strong> Rechtsstaat aber sowieso außer kraft<br />

gesetzt zu werden und die reinste Willkür steht auf <strong>der</strong> Tagesordnung. So schreibt die Frankfurter<br />

Rundschau am 28.03.2011: Wenn die Neffen von Bouffier „in Schlägereien geraten wie etwa im<br />

Februar 2007 vor dem Vereinsheim des Männerturnvereins MTV 1846 Gießen, dann erreicht ›ein<br />

Anruf‹ den damaligen Innenminister Volker Bouffier – und er eilt am späten Abend persönlich zum<br />

Schauplatz <strong>der</strong> Keilerei und hat gleich auch noch Gießens Polizeipräsidenten Manfred Schweizer im<br />

Schlepptau.“ Auch die schulischen Probleme <strong>der</strong> Zöglinge des Bouffier­Clans werden wie in afrikanischen<br />

Clan­Diktaturen gelöst: 2009 drohte einem Neffen „an <strong>der</strong> Ricarda­Huch­Schule in Gießen<br />

Ungemach, weil er trotz aller För<strong>der</strong>ung und Bemühungen <strong>der</strong> Lehrer null Punkte in Geschichte<br />

bekommen hatte und nicht zum Abitur zugelassen werden sollte. Doch er wurde wie durch ein Wun<strong>der</strong><br />

von höherer Stelle vor dem Durchfallen gerettet: Das Staatliche Schulamt schaltete sich ein und verfügte<br />

gegen das Votum <strong>der</strong> Lehrer, dass <strong>der</strong> Junge zugelassen werden müsse. „Das wäre bei keinem an<strong>der</strong>en<br />

Schüler passiert“, heißt es bis heute in Gießen. Der Familienclan rund um Ministerpräsident Volker<br />

Bouffier stehe offenbar unter einem beson<strong>der</strong>en Schutz,“ schreibt die Frankfurter Rundschau dazu.<br />

Und Herr Doose, räumen Sie doch erstmal mit Ihren alten Nazis auf, bevor Sie auf an<strong>der</strong>e zeigen.<br />

Lassen Sie endlich die zahllosen nach Nazis <strong>der</strong> Wehrmacht benannten Kasernen <strong>der</strong> Bundeswehr nach<br />

Demokraten umbenennnen, bevor Sie in Sachen „<strong>Anna</strong>­<strong>Seghers</strong>­Straße“ den „großen Willi“ markieren.<br />

Wollen wir auch nicht vergessen, daß die CDU Dutzende Alt­Nazis in den hessischen Landtag als<br />

Abgeordnete schickte, darunter den ehemaligen CDU­Vorsitzenden Alfred Dregger, <strong>der</strong> sich nicht<br />

scheute, sich regelmäßig für die Freilassung von Kriegs­Verbrechern einzusetzen und gemeinsam mit<br />

Gerhard Frey (DVU), Jörg Hai<strong>der</strong> (FPÖ) und Franz Schönhuber (Republikaner) ein Buch unter dem<br />

Titel „Der Völkermord an den Deutschen ­ 50 Jahre Vertreibung“ zu verfassen. Selbst in <strong>der</strong> fünften<br />

Wahlperiode (1962 ­ 1966) waren noch 10 <strong>der</strong> 28 CDU­Landtagsabgeordneten alte NSDAP­Mitglie<strong>der</strong>,<br />

also 35,7% ­ mehr als ein Drittel. Heute hat die CDU wahrscheinlich nur deswegen keine alten Nazis<br />

mehr in ihren Landtagsfraktion, weil alle gestorben sind ­ sonst säßen sie noch heute dort.<br />

Aber auch noch im Jahre 2003 tönte <strong>der</strong> ehemalige hessische CDU­Bundestagsabgeordnete Martin<br />

Hohmamm:<br />

„wir haben nun gesehen, wie stark und nachhaltig Juden die revolutionäre Bewegung in Rußland und


<strong>Beiträge</strong> zur Diskussion um die Benennung einer Straße, zusammengestellt von <strong>der</strong> <strong>Anna</strong>­<strong>Seghers</strong>­Gesellschaft<br />

mitteleuropäischen Staaten geprägt haben. […].Mit einer gewissen Berechtigung könnte man im<br />

Hinblick auf die Millionen Toten dieser ersten Revolutionsphase nach <strong>der</strong> „Täterschaft“ <strong>der</strong> Juden<br />

fragen. Juden waren in großer Anzahl sowohl in <strong>der</strong> Führungsebene als auch bei den Tscheka­<br />

Erschießungskommandos aktiv. Daher könnte man Juden mit einiger Berechtigung als ›Tätervolk‹<br />

bezeichnen. Das mag erschreckend klingen. Es würde aber <strong>der</strong> gleichen Logik folgen, mit <strong>der</strong> man<br />

Deutsche als Tätervolk bezeichnet. […] Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben also<br />

gesehen, daß <strong>der</strong> Vorwurf an die Deutschen schlechthin, ›Tätervolk‹ zu sein, an <strong>der</strong> Sache vorbeigeht<br />

und unberechtigt ist. Wir sollten uns in Zukunft gemeinsam gegen diesen Vorwurf wehren. Unser<br />

Leitspruch sei: Gerechtigkeit für Deutschland, Gerechtigkeit für Deutsche“<br />

Da ist es also wie<strong>der</strong>, das alte Feindbild: Juden und Kommunisten<br />

Bei dieser Gelegenheit wollen wir auch den berüchtigten Schriftführer <strong>der</strong> CDU Kassel­Nord, Daniel<br />

Budzynski, erinnern. Er gehörte jahrelang nicht nur als führen<strong>der</strong> Funktionär <strong>der</strong> Kasseler CDU,<br />

son<strong>der</strong>n auch gleichzeitig <strong>der</strong> rechtsextremen Organisation „Freier Wi<strong>der</strong>stand Kassel” an. Erst 2011<br />

legte er sein CDU­Amt nie<strong>der</strong>. Beson<strong>der</strong>s brisant, Budzynski gehörte zu jenem Stadtverband <strong>der</strong> CDU,<br />

in dem die Killer <strong>der</strong> NSU­Bande den Internetcafébesitzer Halit Yozgat ermordeten. Und wie es <strong>der</strong><br />

Zufall so will, berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung unter Berufung auf „Sicherheitskreise“ in<br />

Wiesbaden, ein beamteter Geheimdienst­Agent des hessischen CDU­Regimes sei ­ entgegen früherer<br />

<strong>Anna</strong>hmen ­ doch zum Zeitpunkt des Mordes in dem Internetcafé gewesen, ohne sich später als Zeuge<br />

zu melden.<br />

Eine Partei, die ­ wie die hessische CDU ­ mit so viel braunem Sumpf behaftet ist, sollte sich etwas<br />

genauer überlegen, was sie zum Besten gibt, wenn es um einen Strassennamen nach <strong>der</strong> bedeutendsten<br />

deutschen Schriftstellerin, ausgerechnet <strong>der</strong> Exil­Literatur, geht. Wann wird diese ewige Hetze gegen<br />

Juden und Kommunisten mal ein Ende finden ?<br />

Und last but not least, was ist denn eigentlich mit <strong>der</strong> IM­Vergangenheit <strong>der</strong> CDU­Bundeskanzlerin,<br />

Angela Merkel ? Sie läßt dem WDR die Veröffentlichung von Fotos aus ihrer FDJ (nicht Ost­CDU !!) ­<br />

Zeit verbieten. Warum ? War die FDJ­Sekretärin für Propaganda, Angela Merkel, denn keine so böse<br />

Kommunistin wie <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> ? Spielte Merkel nicht eine Rolle bei <strong>der</strong> Demütigung des DDR­<br />

Kritikers Robert Havemann und wie will ausgerechnet Angela Merkel „durch demokratische und<br />

menschenfreundliche Verhaltensweisen“ in <strong>der</strong> DDR aufgefallen sein?<br />

Ein anständiger Demokrat hat keine Probleme mit Kommunisten, Herr Doose ­ nur die alten und neuen<br />

Nazis. Ein deutsches Problem.<br />

Überall in Europa werden Kommunisten genauso wie an<strong>der</strong>e politische Richtungen respektiert und<br />

geachtet. Bei unseren Nachbarn in Österreich wurden die Kommunisten vor ein paar Wochen in Graz,<br />

<strong>der</strong> zweitgrößten Stadt Österreichs, sogar zur zweitstärksten Partei gewählt. Der dortige Vorsitzende <strong>der</strong><br />

CDU­Bru<strong>der</strong>partei ­ ÖVP ­ gratulierte <strong>der</strong> Kommunistischen Partei Österreichs ganz selbstverständlich<br />

zu ihrem sensationnellen Wahlerfolg und bedauerte, daß die Kommunisten keine Koalition mit seiner<br />

ÖVP eingehen wollten. In Kassel muß man da in Sachen Demokratie noch sehr viel lernen.<br />

Lieber Herr Doose, als Politiker und Sprücheklopfer sind sie überflüssig, ich hoffe sie können<br />

wenigstens einigermaßen Anstreichen und Lackieren, Obermeister Ihrer Innung sind Sie ja.

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