zur Ausstellungseröffnung, von Hans-Willi Ohl - Anna Seghers
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Eröffnung der Ausstellung „Legalisierter Raub. Der Fiskus und die<br />
Ausplünderung der Juden in Hessen und Rheinhessen 1933-1945“ am 16.<br />
Januar 2014 in der KZ-Gedenkstätte Osthofen – Ein persönlicher<br />
Erfahrungsbericht<br />
<strong>von</strong> <strong>Hans</strong>-<strong>Willi</strong> <strong>Ohl</strong><br />
Ich fahre <strong>von</strong> Darmstadt nach Osthofen bei Worms. Denselben Weg müssen wir<br />
1978, also vor 36 Jahren, mit dem Bus <strong>zur</strong>ückgelegt haben. Damals wurde beim<br />
ehemaligen KZ eine Gedenktafel enthüllt. Initiiert wurde die Aktion <strong>von</strong> der<br />
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) und ihrem Vorsitzenden Karl<br />
Schreiber aus Bickenbach an der Bergstraße. Er, selbst Insasse in Osthofen, war es,<br />
der mich damals auf den Roman „Das siebte Kreuz“ <strong>von</strong> <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> hingewiesen<br />
hat. Er war es, der als einziger, den ich kannte, eine Originalausgabe des Romans<br />
besaß. Er war es, der den Kontakt zu Lore Wolf, der Freundin <strong>von</strong> <strong>Anna</strong> <strong>Seghers</strong> in<br />
Frankfurt/M. vermittelte. Der Text der Tafel, die an der Außenmauer des ehemaligen<br />
KZ hängt, lautet:<br />
HIER WAR 1933-35<br />
DAS HESSISCHE<br />
KZ LAGER OSTHOFEN<br />
NIEMALS WIEDER<br />
LAGERGEMEINSCHAFT<br />
EHEMALIGER INSASSEN<br />
DES KZ LAGERS OSTHOFEN<br />
Heute findet die Veranstaltung in einem Saal statt, der nach Karl Schreiber benannt<br />
ist. Sein Porträt hängt an der Wand. Es beginnt mit Musik. Leonie Flaksman (Violine)<br />
und ihre Schwester Juliane (Violoncello) spielen das Duet op. 31 <strong>von</strong> Frederigo<br />
Florillo, <strong>von</strong> dem ich noch nie etwas gehört habe.<br />
Wolfgang Faller, der Direktor der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-<br />
Pfalz, begrüßt uns und führt in die Ausstellung ein, nicht ohne die vielen Beteiligten<br />
zu nennen, die man braucht, um ein solches Projekt durchzuführen.<br />
Dr. Carsten Kühl, der Finanzminister des Landes Rheinland-Pfalz und Schirmherr<br />
der Ausstellung, spricht ein Grußwort. Nach Malu Dreyer, der Ministerpräsidentin <strong>von</strong><br />
Rheinland-Pfalz, ist er das zweite Mitglied der Regierung, das ich erlebe. Er ist der<br />
Chef der Finanzbeamten in Rheinland-Pfalz und erzählt <strong>von</strong> seinem Vater, der<br />
Finanzbeamter war. Schuldig, im Sinne der Ausstellung, habe er aufgrund der<br />
‚Gnade der späten Geburt’ nicht werden können, allenfalls als Soldat der<br />
Wehrmacht. Allerdings könne sein Großvater, Jahrgang 1896 und ebenfalls<br />
Finanzbeamter (Gelächter des Publikums), durchaus zu jenen gehört haben, die mit<br />
dem ‚legalisierten Raub’ zu tun gehabt haben könnten. In der Familie sei allerdings<br />
darüber nie gesprochen worden.<br />
Nach dem ‚Prelude’ und der ‚Canzonetta’ <strong>von</strong> Reinhold Glière (auch noch nie gehört)<br />
führt Katharina Stengel vom Fritz-Bauer-Institut inhaltlich in die Ausstellung ein. Als<br />
Beispiel für die Enteignung und Ausplünderung der deutschen Juden durch den NS-<br />
Staat (willfährig durchgeführt und vollstreckt <strong>von</strong> den Finanzbehörden) nennt sie die<br />
Familie Reiling in Mainz, deren Schicksal in einer Vitrine der Ausstellung<br />
dokumentiert wird. Sie verweist auf das Dokument, in dem fein säuberlich aufgelistet
ist, welche Gegenstände die Familie 1939 dem Mainzer Pfandhaus übergeben<br />
musste. Sie zitiert auch aus einem Dokument, in dem nach dem Krieg der<br />
Kulturdezernent Oppenheimer <strong>von</strong> den Behörden mitgeteilt bekam, dass für diese<br />
Enteignung niemand zuständig sei und sich auch niemand an diesen Vorgang<br />
erinnern könne, ein exemplarischer Fall.<br />
Helge Heynold vom Hessischen Rundfunk liest sodann aus Originaldokumenten<br />
dieses beschämenden Vorgangs, die zeigen, wie die Bürokratie – hier der<br />
Finanzsektor – die Voraussetzungen für die spätere Vernichtung der Juden schuf. Er<br />
zitiert – mir stockt der Atem – aus der Vernehmung des Gestapo-Mitarbeiters Robert<br />
Mohr aus dem Jahr 1959. Der beschrieb, wie die Juden aus dem Volksstaat Hessen<br />
in der damaligen Hauptstadt Darmstadt in der Liebig-Oberrealschule ‚konzentriert’<br />
wurden, bevor sie zu Fuß zum Güterbahnhof laufen mussten, <strong>von</strong> wo sie in die<br />
Vernichtungslager deportiert wurden, darunter z.B. Hedwig und Flora Reiling. An<br />
eben dieser Schule habe ich 1973 mein Abitur abgelegt! Damals war dieser<br />
Verwendungszweck der Schule in den vierziger Jahren nicht bekannt. Erst viel später<br />
wurde durch ein Projekt der Schule, bei dem Schülerinnen und Schüler die älteren<br />
Nachbarn befragten, klar, wozu die Schule einstmals gedient hatte. Heute erinnert<br />
eine Gedenktafel an dieses Ereignis.<br />
Nach der bekannten ‚Air’ <strong>von</strong> Johann Sebastian Bach erinnert der Vorsitzende des<br />
Fördervereins Projekt Osthofen, Volker Gallé, noch einmal an die Tatsache, dass in<br />
den siebziger Jahren niemand gedacht hätte, dass heute eine solche Form der<br />
Erinnerungskultur in Osthofen existieren würde, was ich nur bestätigen kann. Ich<br />
weiß noch, dass damals (1978) kein Wirt in Osthofen bereit war, uns für eine Tasse<br />
Kaffee und ein Stück Kuchen aufzunehmen. Diese Akzeptanz hat sich heute<br />
geändert. Eine neue Generation hat offensichtlich verstanden, dass die Gedenkstätte<br />
ein Teil der Geschichte Osthofens ist.<br />
Am Ende der sehr gut besuchten Veranstaltung weise ich die Ausstellungsmacher<br />
noch darauf hin, dass eine Beschriftung in der Vitrine der Familie Reiling fehlerhaft<br />
ist. Unter einem Exemplar des ‚Siebten Kreuzes’ steht dort nämlich, dass der Roman<br />
im mexikanischen Exil entstanden sei. Aber das ist sicher nur eine leicht<br />
korrigierbare Marginalie.