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Hartmut Traub - Die Drei

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gut begründet behaupten, kommt ihr der anthroposophische<br />

Steiner sehr nahe.<br />

Woods Hinweis auf Steiners Wie erlangt man<br />

Erkenntnisse höherer Welten? (W1, 30) ist in<br />

diesem Zusammenhang deshalb sehr missverständlich.<br />

<strong>Die</strong>ses Buch ist kein »Suchbuch«,<br />

sondern ein »Lehrbuch«. In ihm tritt der Unterschied<br />

zwischen dem Schüler, als dem Suchenden<br />

und Strebenden, und dem Lehrer, als<br />

dem Wissenden und Eingeweihten, klar hervor<br />

(vgl. T, 934ff.).<br />

Im Hinblick auf Woods These vom variablen<br />

Sprachgebrauch und der Multiperspektivität<br />

(W1, 32f.) hat diese Bedeutungsverschiebung<br />

im Gelehrtenideal eine gravierende Konsequenz.<br />

Denn, weil der Gelehrte nach Fichte,<br />

der Eingeweihte bei Steiner, über das Wahrheitswissen<br />

verfügt, kann der von Wood geforderte<br />

freie Sprachgebrauch bei Fichte und Steiner<br />

eine sprachphilosophische »Begriffskunst«<br />

genannt werden. Ohne klare Orientierung und<br />

Begründung des Wissens in der Wahrheit fehlt<br />

der Sprache und auch der Perspektive das entscheidende<br />

Kriterium für ein Urteil über eine<br />

entweder angemessene oder weniger angemessene<br />

Rede oder über eine umfassende oder verkürzte<br />

Ansicht der Dinge. Dichtung und Wissenschaft<br />

beziehen die Überzeugungskraft ihrer<br />

Sprache aus ihrer Begründung in der Wahrheit.<br />

Ohne diesen Bezug bleiben sie Glasperlenspiele<br />

oder hypothetische Spekulation.<br />

Ich bin deshalb von Woods These nicht überzeugt,<br />

dass es das »Ideal« des Wahrheitsstrebens<br />

war, das Steiner bei Fichte angezogen hat.<br />

Meines Erachtens ist es Fichtes Konzept eines<br />

wahrheitsbegründeten Gelehrtentums, das sich<br />

der Idee einer ganzheitlichen Bildung verpflichtet<br />

weiß, worin Steiner das »Ideal« gesehen hat,<br />

dem er nachzueifern sich als junger Mann entschlossen<br />

hatte (vgl. T, u.a. 32).<br />

<br />

<br />

Der zweite Kritikpunkt im ersten Teil seines Essays<br />

betrifft das Problem der »retrospektiven<br />

Interpretation«. Wood glaubt in meiner eigenen<br />

Argumentation den Fehler entdecken zu können,<br />

den ich der anthroposophischen Steinerdeutung<br />

vorwerfe, nämlich Steiners frühe philosophischen<br />

Schriften im Licht der späteren<br />

Anthroposophie auszulegen (W1, 38). Woods<br />

Kritik stützt sich darauf, dass ich sowohl Steiners<br />

späte Urteile über die Bedeutung Fichtes<br />

für seinen eigenen philosophischen Werdegang<br />

als auch Steiners späte Urteile über seine religiöse<br />

Prägung sozusagen als biografische Tatsachen<br />

verstehe, obwohl sie sich auf Aussagen<br />

Steiners aus Mein Lebensgang (1923-25) stützen.<br />

Für die Kritik an meiner vermeintlich retrospektiven<br />

Interpretation bezieht sich Wood<br />

zum einen auf die Fußnote 329 auf der Seite<br />

530f. und zum anderen auf das Kapitel 9.2.2<br />

im dritten Teil meines Buches. In beiden Fällen<br />

handelt es sich aber nicht um eine retrospektive<br />

Interpretation. Denn im ersten Fall beruhen<br />

meine Analysen nicht allein auf Steiners<br />

Bekenntnissen aus Mein Lebensgang, sondern<br />

an vielen Stellen wird auf den Briefwechsel<br />

Steiners verwiesen, der belegt, dass das, was<br />

Steiner später über sein Verhältnis zu Fichte<br />

geurteilt hat, mit dem übereinstimmt, was er<br />

auch damals, in den frühen 1880er Jahren, geschrieben<br />

hat.<br />

Was die religiöse Sozialisation Steiners betrifft,<br />

geht auch hier der Vorwurf retrospektiver Interpretation<br />

ins Leere. Denn es gibt kaum authentische<br />

Quellen, die mittels retrospektiver<br />

Interpretation umgedeutet werden könnten.<br />

Hier sind wir weitgehend auf Steiners eigene<br />

Lebenserinnerungen angewiesen. Meine Arbeit<br />

zum Kapitel 9.2.2 in Teil 3 bestand nicht in der<br />

Interpretation, sondern in der Ausleuchtung<br />

des von Steiner übermittelten Sozialisationskontextes.<br />

Hier geht es nicht um retrospektive<br />

Interpretation, sondern um eine umfassendere<br />

Würdigung dessen, was Steiner uns über seine<br />

Kindheit mitgeteilt hat. Meine Kritik an der<br />

anthroposophischen Lesart der einschlägigen<br />

Passagen aus Mein Lebensgang besteht darin,<br />

dass sie diese einseitig rezipiert (T, 793ff.). Im<br />

Übrigen halte ich meine Lesart der religiösen<br />

Sozialisation Steiners für »anthroposophiekompatibler«<br />

als die gängige Auffassung vom<br />

technikvernarrten und liberalistisch erzogenen<br />

jungen Steiner. Denn aus meiner Auffassung<br />

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