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Meike Fessmann: Wo ist bloß die Postkarte aus Argentinien ...

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<strong>die</strong> nie nur zum Exempel einer vorab schon gewissen Weltsicht werden. Fast <strong>ist</strong> es<br />

so, als ließe er sie einfach machen. Und wie er sie machen lässt! Nichts von den<br />

großen und kleinen Animositäten, <strong>die</strong> sich über <strong>die</strong> Jahre zwischen Ehepartnern<br />

einrichten, wird unter den Teppich gekehrt. Lustvoll inszeniert er eingespielte<br />

Dialoge mit hoher Verletzungsgefahr. Jeder kennt <strong>die</strong> empfindlichen Stellen des<br />

anderen, mal werden sie gezielt angesteuert, mal freundlicherweise umgangen. Und<br />

erst das wechselseitige Belauern beim Älterwerden. Alfred <strong>ist</strong> nachsichtiger als Sally,<br />

<strong>die</strong> mit Sport und Schminke den „Stellungskrieg gegen <strong>die</strong> Schwerkraft der<br />

Verhältnisse” kämpft. Umso weniger kann sie es ertragen, dass das Altern ihres<br />

Gatten den Eindruck verstärkt, auch sie selbst sei „eindeutig nicht mehr jung”.<br />

Wie <strong>aus</strong> einem Flächen-Diagramm schneidet Arno Geiger ein halbes Jahr <strong>aus</strong> dem<br />

Leben der Finks her<strong>aus</strong>, von Juli bis zu Silvester 2008, dem Beginn einer Krise über<br />

deren Höhepunkt bis zum allmählichen Abflauen. Sally, <strong>die</strong> ihren englischen Vater<br />

nie kennengelernt hat und bei ihren österreichischen Großeltern aufgewachsen <strong>ist</strong>,<br />

wird ziemlich rasch <strong>aus</strong> der Trostlosigkeit des Hotelzimmers erlöst. Der Anruf einer<br />

Freundin zitiert sie zurück nach Wien: in ihrem H<strong>aus</strong> sei eingebrochen worden. Wie<br />

ein Katalysator verstärkt der Einbruch <strong>die</strong> Spannung zwischen den Ehepartnern.<br />

Während Sally meint, solche Dinge müsse man eben hinnehmen, und sich sofort in<br />

Aufräumungs- und Renovierungsarbeiten stürzt, leckt Alfred monatelang seine<br />

Wunden. Immer wieder entdeckt er den Verlust von Kleinigkeiten, und sei es nur<br />

eine <strong>Postkarte</strong>, <strong>die</strong> er Sally vor Jahren <strong>aus</strong> <strong>Argentinien</strong> geschrieben hat. Für <strong>die</strong><br />

Musealisierung alter Liebesbeweise fehlt seiner Frau <strong>die</strong> Antenne, spätestens seit sie<br />

sich mit dem Mann ihrer Freundin auf eine Affäre eingelassen hat, <strong>die</strong> sie voller<br />

Inbrunst, ohne Skrupel und mit gehörigem Vertuschungsgeschick zelebriert.<br />

Während <strong>die</strong> Schilderungen von Sallys Alltag als Lehrerin eher platt und ein wenig<br />

angelesen wirken, bewährt sich Arno Geiger beim Schürzen der amourösen Intrige<br />

als Me<strong>ist</strong>er der Einfühlung, der szenischen Zuspitzung und nicht zuletzt der sexuellen<br />

Direktheit. Allein wie er <strong>die</strong> Affäre in Gang bringt, <strong>ist</strong> ein dialogisches Kabinettstück.<br />

Da stehen <strong>die</strong> beiden befreundeten Ehepaare im vom Einbruch völlig verwüsteten<br />

H<strong>aus</strong>, Alfred verzweifelt, <strong>die</strong> Freundin besorgt, Sally hat soeben tapfer <strong>die</strong> Tränen<br />

unterdrückt und gibt nun zum Besten, sie sei eigentlich „wie geschaffen für ein<br />

sorgloses Leben”. Erik antwortet schlicht: „So geht’s mir auch.”<br />

Arno Geiger bleibt immer nah an seinen Figuren, schmiegt sich mal dem Innenleben<br />

Sallys, mal dem Alfreds an, beide sind für den Leser nicht gänzlich sympathisch,<br />

wohl aber verstehbar. Am Alltag der Familie mit drei erwachsenen, aber noch nicht<br />

ernsthaft flügge gewordenen Kindern nimmt man ebenso teil wie an den mit urbaner<br />

Überzeugungskraft gestalteten Liebesstunden zwischen Sally und Erik. Der Blick<br />

über <strong>die</strong> Donau <strong>aus</strong> dem Vienna Danube <strong>ist</strong> eindeutig imposanter als der <strong>aus</strong> dem<br />

schäbigen Hotelzimmer aufs englische Hochmoor. Doch <strong>die</strong> Affäre geht zu Ende,<br />

früher als es Sally lieb <strong>ist</strong> und auf eine Weise, <strong>die</strong> sie vor Wut und gekränktem Stolz<br />

kochen lässt.<br />

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