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Hochschulgottesdienst in der Laurentius-Kirche am 10 - Augustana ...

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Prof. Dr. Dieter Becker<br />

<strong>Hochschulgottesdienst</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Laurentius</strong>-<strong>Kirche</strong> <strong>am</strong> <strong>10</strong>. Februar 2013<br />

Wieviel Toleranz (v)erträgt <strong>der</strong> Glaube? Text: Markus 7, 24-30<br />

Thema: „Die K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die Hunde und das Brot - Jesus im <strong>in</strong>terreligiösen Streitgespräch“<br />

Begrüßung zu Anfang des Gottesdienstes<br />

„Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.<br />

Amen.“<br />

Herzlich begrüße ich Sie zu diesem Gottesdienst hier <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Laurentius</strong>-<strong>Kirche</strong>. Es ist schön,<br />

dass wir wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> dieser großen Runde vers<strong>am</strong>melt s<strong>in</strong>d. Wir wissen aber auch, dass wir<br />

durch die Übertragungsanlage mit Menschen <strong>in</strong> den Häusern und Heimen <strong>der</strong> Diakonie<br />

verbunden s<strong>in</strong>d und schließen sie <strong>in</strong> unseren Kreis mit e<strong>in</strong>.<br />

Mit diesem Gottesdienst kommt die Themenreihe zum Verhältnis von Toleranz und Glaube<br />

zu ihrem Abschluss. Wir haben ihn unter die Überschrift gestellt: „Die K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die Hunde und<br />

das Brot - Jesus im <strong>in</strong>terreligiösen Streitgespräch“. Vielleicht konnten Sie an den<br />

vergangenen Sonntagen auch die an<strong>der</strong>en Themen mit bedenken: die Aufgabe <strong>der</strong> Toleranz<br />

gegenüber allem weltanschaulich und sozial Fremden, die Offenheit gegenüber den<br />

manchmal so nervend An<strong>der</strong>en <strong>in</strong> <strong>der</strong> christlichen Geme<strong>in</strong>de, die Grenzen <strong>der</strong> Toleranz,<br />

wenn es um soziale Missstände <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft geht.<br />

Toleranz ist aber auch e<strong>in</strong> Gegengift gegen alles engstirnige Recht-haben-Wollen. Mit<br />

Menschen, die darauf beharren, Recht zu haben, ist es nicht leicht:<br />

„An dem Ort, an dem wir Recht haben, / werden niemals Blumen wachsen / im<br />

Frühjahr. / Der Ort, an dem wir Recht haben, / ist zertr<strong>am</strong>pelt und hart / wie e<strong>in</strong> Hof.“<br />

E<strong>in</strong>er <strong>der</strong> meistgelesenen mo<strong>der</strong>nen israelischen Dichter, Jehuda Amichai, 1 hat gesehen,<br />

dass <strong>der</strong> Ort, wo wir e<strong>in</strong>fach nur Recht haben, e<strong>in</strong> ziemlich trostloser Ort se<strong>in</strong> kann. Wir<br />

bleiben dann alle<strong>in</strong>.<br />

„Zweifel und Liebe aber / lockern die Welt auf / wie e<strong>in</strong> Maulwurf, wie e<strong>in</strong> Pflug. / Und<br />

e<strong>in</strong> Flüstern wird hörbar / An dem Ort, wo das Haus stand, / das zerstört wurde.“<br />

Toleranz-zeigen-Können ist häufig das Gegenteil von Recht-haben-Wollen. Toleranz kommt<br />

vom late<strong>in</strong>ischen Wort tolerare - ertragen. Toleranz ist vor allem gefragt, wenn es um D<strong>in</strong>ge<br />

geht, die uns nicht gefallen. Der Blick <strong>in</strong> die Geschichte zeigt, dass Toleranz nicht<br />

selbstverständlich ist. Toleranz ist e<strong>in</strong>e Riesenerrungenschaft!<br />

In se<strong>in</strong>em heutigen Gebrauch ist <strong>der</strong> Begriff häufig mit <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung nach religiöser<br />

Toleranz verbunden. Dabei liegt es nahe, dass wir <strong>in</strong> diesen Tagen, <strong>in</strong> denen sich das zentrale<br />

Ereignis <strong>der</strong> Reformation zum 500. Mal jährt, fragen, wie sich unsere mo<strong>der</strong>nen Konzepte<br />

von Gewissensfreiheit und Toleranz zu den Grunde<strong>in</strong>sichten <strong>der</strong> Reformation verhalten.<br />

Nach Luther s<strong>in</strong>d Glaube und Gewissen grundsätzlich frei. Manche sehen Mart<strong>in</strong> Luther<br />

deshalb als e<strong>in</strong>en Wegbereiter <strong>der</strong> Toleranz.<br />

1 Jehuda Amichai wurde 1924 als Ludwig Pfeuffer <strong>in</strong> Würzburg geboren, 1935 wan<strong>der</strong>te se<strong>in</strong>e F<strong>am</strong>ilie mit ihm nach<br />

Paläst<strong>in</strong>a aus und starb im Jahr 2000 <strong>in</strong> Jerusalem. Er wurde zu e<strong>in</strong>em Anwalt des Friedens und <strong>der</strong> Aussöhnung im Nahen<br />

Osten und arbeitete eng mit paläst<strong>in</strong>ensischen Autoren zus<strong>am</strong>men. Vgl. den Adventskalen<strong>der</strong> „an<strong>der</strong>ezeiten“<br />

2009/<strong>10</strong>.


Es gibt aber Situationen, <strong>in</strong> denen ke<strong>in</strong>e Toleranz möglich ist. Dazu gehört Mart<strong>in</strong> Luthers<br />

„Hier stehe ich, ich kann nicht an<strong>der</strong>s, Gott helfe mir“ auf dem Reichstag zu Worms. Auch<br />

Luthers Toleranz hatte Grenzen.<br />

Wenn wir heute für unsere Gegenwart sagen sollen, wo e<strong>in</strong> Gewähren-Lassen angebracht<br />

und wo e<strong>in</strong> entschiedenes Ne<strong>in</strong> erfor<strong>der</strong>lich ist, tun wir uns oft schwer.<br />

Wie würden Sie die Frage beantworten, ob Christen und Muslime an denselben Gott<br />

glauben? Wie stehen Sie zum Beispiel zu <strong>der</strong> Frage des Verkaufs von christlichen <strong>Kirche</strong>n an<br />

jüdische o<strong>der</strong> muslimische Geme<strong>in</strong>den?<br />

„Wieviel Toleranz (v)erträgt <strong>der</strong> Glaube?“ – ke<strong>in</strong>e, e<strong>in</strong> wenig, viel? Glaube und Toleranz<br />

gehören zus<strong>am</strong>men. Der Glaube erträgt sie nicht nur, er verträgt sie, ja er braucht Sie!<br />

Predigt zu Markus 7,24-30<br />

Und Jesus stand auf und g<strong>in</strong>g von dannen <strong>in</strong> die Gegend von Tyrus und g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Haus und<br />

wollte es niemand wissen lassen und konnte doch nicht verborgen bleiben.<br />

Son<strong>der</strong>n alsbald hörte e<strong>in</strong>e Frau von ihm, <strong>der</strong>en kle<strong>in</strong>e Tochter e<strong>in</strong>en unre<strong>in</strong>en Geist hatte,<br />

und sie k<strong>am</strong> und fiel nie<strong>der</strong> zu se<strong>in</strong>en Füßen;<br />

es war aber e<strong>in</strong>e griechische Frau aus Syrophönizien, und sie bat ihn, dass er den unre<strong>in</strong>en<br />

Geist von ihrer Tochter austriebe.<br />

Jesus aber sprach zu ihr: Lass zuvor die K<strong>in</strong><strong>der</strong> satt werden; es ist nicht fe<strong>in</strong>, dass man den<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>n ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde.<br />

Sie antwortete aber und sprach zu ihm: Ja, Herr; aber doch essen die Hunde unter dem Tisch<br />

von den Bros<strong>am</strong>en <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>.<br />

Und er sprach zu ihr: Um dieses Wortes willen gehe h<strong>in</strong>; <strong>der</strong> unre<strong>in</strong>e Geist ist von de<strong>in</strong>er<br />

Tochter ausgefahren.<br />

Und sie g<strong>in</strong>g h<strong>in</strong> <strong>in</strong> ihr Haus und fand das K<strong>in</strong>d auf dem Bette liegen, und <strong>der</strong> unre<strong>in</strong>e Geist<br />

war ausgefahren.<br />

„Herr, segne unser Reden und unser Hören. Amen.“<br />

Liebe Geme<strong>in</strong>de,<br />

<strong>der</strong> Predigttext beleuchtet nur e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Szene. Sie ist gut zu überschauen. Da ist e<strong>in</strong>e<br />

syrische Frau, e<strong>in</strong>e Nicht-Jüd<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>e Auslän<strong>der</strong><strong>in</strong>, die Jesus um Heilung für ihre kranke<br />

Tochter bittet. Jesus aber lehnt ab, denn zuerst sollen die K<strong>in</strong><strong>der</strong> Israels satt werden und<br />

dann erst die „Hunde“. Mit „Hunden“ benutzt er e<strong>in</strong> Schimpfwort für die Nicht-Juden, zu<br />

denen diese Frau gehört. Sie aber nimmt den Vergleich auf, bleibt <strong>in</strong> dem Bild und führt es<br />

konsequent weiter: vom Tisch fallen doch auch Fladenstückchen für die Hunde ab! Und<br />

deshalb gibt Jesus <strong>der</strong> Bitte <strong>der</strong> Frau nach und heilt die Tochter.<br />

Die Geschichte kann uns <strong>in</strong> dem Wissen bestärken, dass <strong>der</strong> „Friede Gottes“, den Jesus<br />

verkündigt, auch unter uns wirks<strong>am</strong> se<strong>in</strong> kann, obwohl wir Menschen e<strong>in</strong>es an<strong>der</strong>en Volks<br />

s<strong>in</strong>d und zu e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en Zeit und an e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en Ort leben. Aber: Jesus tritt uns <strong>in</strong>


dieser Erzählung ziemlich unbequem entgegen und macht unsere Vorstellungen vom<br />

„Kuschel-Heiland“ zunichte. Drei Beobachtungen möchte ich zunächst herausheben:<br />

1) Jesus will se<strong>in</strong>e Ruhe haben<br />

Zu Anfang heißt es: „Von dort stand er auf und g<strong>in</strong>g fort…“ Dieses „von dort“ markiert, dass<br />

unserer Erzählung etwas vorausg<strong>in</strong>g. Jesus hat sich mit den Schriftgelehrten und Pharisäern<br />

ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>gesetzt. Sie hatten ihn gefragt, warum se<strong>in</strong>e Jünger vor dem Essen nicht die<br />

Hände waschen, wie es die jüdischen Re<strong>in</strong>heitsgebote verlangen. Nach e<strong>in</strong>igem H<strong>in</strong> und her<br />

war Jesus gleichs<strong>am</strong> <strong>der</strong> Kragen geplatzt. Nicht was <strong>in</strong> den Menschen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geht,<br />

verunre<strong>in</strong>igt ihn, hat er ihnen gesagt, son<strong>der</strong>n nur das, was aus se<strong>in</strong>em Mund und se<strong>in</strong>em<br />

Herzen herauskommt: böse Worte, überhebliche Gedanken, böses Tun. (Mk 7,22-23). Die<br />

Leute haben Jesus erregt und wir sehen ihn nun weiterziehen. Weg von diesen Leuten, die<br />

ihn mit ihrer aufgesetzten Frömmigkeit nerven.<br />

Aber als er dann nach Tyrus kommt, wird es auch nicht besser! Tyrus, heute heißt die Stadt<br />

<strong>am</strong> Mittelmeer Sûr und hat 120.000 E<strong>in</strong>wohner. Tyrus liegt jenseits <strong>der</strong> Grenze, außerhalb<br />

des nördlichen Israels. Die Stadt war von syrischer und phönizischer − also nicht-jüdischer −<br />

Kultur geprägt. Aber natürlich wussten die Menschen im Grenzbereich ziemlich genau, was<br />

hüben und drüben geschah. Verschiedene biblische Erzählungen spielen <strong>in</strong> diesem Gebiet. In<br />

dieser Gegend gewährte schon die Witwe von Sarepta dem Propheten Elia Unterschlupf (1<br />

Kön 17). Auch Jesus möchte sich hier zurückziehen. Aber: e<strong>in</strong>fach <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Haus gehen und<br />

hoffen, dass es niemand erfährt, erweist sich als unmöglich. Der Messias möchte se<strong>in</strong><br />

Geheimnis hüten, aber die Menschen entdecken es dennoch. Er ist noch nicht lange dort, als<br />

schon e<strong>in</strong>e Frau zu ihm kommt, <strong>der</strong>en Tochter erkrankt ist. Und erneut wird Jesus wie<strong>der</strong> mit<br />

dem Thema kultischer Re<strong>in</strong>heit und Unre<strong>in</strong>heit konfrontiert: die Tochter <strong>der</strong> Frau hat e<strong>in</strong>en<br />

„unre<strong>in</strong>en“ Geist. Das K<strong>in</strong>d ist unruhig, aufsässig, frech, macht <strong>der</strong> Mutter zu schaffen. Se<strong>in</strong><br />

Verhalten ist auffällig, auch se<strong>in</strong>e Stimme, die Bewegungen, die Art, mit an<strong>der</strong>en<br />

umzugehen. Kann Jesus nicht nur an<strong>der</strong>e über „re<strong>in</strong> und unre<strong>in</strong>“ belehren, kann er auch<br />

heilend e<strong>in</strong>greifen? Kann er <strong>der</strong> Mutter helfen wie e<strong>in</strong>st <strong>der</strong> Prophet Elisa dem Syrer Naeman<br />

(2 Kön 5)?<br />

2) Jesus hat ke<strong>in</strong>e Lust auf Dialog<br />

Jesus ist bewusst, dass diese Frau zu e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en Volk gehört. Sie ist Syrer<strong>in</strong>, Phönizier<strong>in</strong>.<br />

Sie spricht griechisch mit ihm. Sie glaubt an Gottheiten, die man <strong>in</strong> Israel ablehnt. Aber sie<br />

erwartet etwas von ihm! Können ihr die Ärzte und ihre Priester <strong>in</strong> ihrem Land nicht helfen?<br />

Warum wirft sie sich ihm zu Füßen? Ist das nicht gespielte Unterwürfigkeit um des eigenen<br />

Vorteils willen? Wie schlimm ist es, prom<strong>in</strong>ent zu se<strong>in</strong>.<br />

Was dann passiert, ist ke<strong>in</strong> Ruhmesblatt für Jesus. Wir alle hätten das von ihm wohl so nicht<br />

erwartet. Ist es nicht e<strong>in</strong> Skandal, wie er mit <strong>der</strong> Frau umgeht? Ja, was Jesus <strong>der</strong> Frau<br />

entgegen schleu<strong>der</strong>t, ist heftig. Er versucht die Frau abzuweisen: „Ich b<strong>in</strong> nur zu den<br />

verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt.“ Da sche<strong>in</strong>t ke<strong>in</strong> Platz zu se<strong>in</strong> für die<br />

existentielle Not e<strong>in</strong>es konkreten Menschen. „Es ist nicht recht“, so das harte Wort Jesu,<br />

„den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n das Brot wegzunehmen und es den Hunden vorzuwerfen!“


Vielleicht war das d<strong>am</strong>als e<strong>in</strong>e Redeweise wie das „Perlen nicht vor die Säue werfen“. Aber<br />

es ist stärker, verletzen<strong>der</strong>, weil es hier nicht nur um den Schutz des Ästhetischen, son<strong>der</strong>n<br />

um existenzielle Grundbedürfnisse geht. Jesus bewegt sich hier jenseits je<strong>der</strong> political<br />

correctness. Was er sagt, ist diskrim<strong>in</strong>ierend. Er provoziert.<br />

Aber war Jesus nicht sonst viel toleranter? Hatte er nicht verteidigt, dass die Jünger das Brot<br />

mit ungewaschenen Händen essen dürfen. Jetzt kommt diese Frau und bittet, dass das „Brot<br />

des Reiches Gottes“ auch <strong>in</strong> die Hände von Nicht-Juden gelangen darf. Ist das so viel an<strong>der</strong>s,<br />

als das Brot mit unre<strong>in</strong>en Händen zu essen? − Ja, ist es! Bei aller Empörung kann ich auch e<strong>in</strong><br />

wenig verstehen, dass sich Jesus nicht auch noch auf diese Herausfor<strong>der</strong>ung e<strong>in</strong>lassen will.<br />

Muss man alles gestatten? Gibt es nicht auch Grenzen für das religiöse Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong>?! Es gibt<br />

e<strong>in</strong>e Toleranz, die geht zu weit!<br />

Aber ich merke, dass sich <strong>der</strong> Evangelist Markus diesen Standpunkt hier nicht zu Eigen<br />

macht. Er erzählt diese Geschichte offenbar, weil er selbst e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en Blick auf die D<strong>in</strong>ge<br />

hat. Markus lebt ja außerhalb <strong>der</strong> jüdischen St<strong>am</strong>mlande. Er selbst ist gläubig geworden,<br />

obwohl er ke<strong>in</strong> Jude ist. Er hat die Erfahrung gemacht, dass <strong>der</strong> Gott Israels Heilung für alle<br />

will, die ihrer bedürfen – auch für Menschen aus nichtjüdischen Völkern.<br />

Der Evangelist Markus hat deshalb den Dialog, <strong>der</strong> sich zwischen <strong>der</strong> Frau und Jesus<br />

entsp<strong>in</strong>nt, genau geformt. „Es ist nicht recht, das Brot <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> den Hunden zu geben“.<br />

Me<strong>in</strong>t Jesus mit dem Wort Hunde hier die streunenden Straßenköter, vor denen wir uns<br />

ekeln? Vielleicht. Aber die Frau versteht es, die Abfuhr, die ihr Jesus gibt, noch e<strong>in</strong>mal zu<br />

„drehen“. In ihrer Entgegnung gebraucht sie das Wort Hunde <strong>in</strong> <strong>der</strong> Verkle<strong>in</strong>erungsform. Sie<br />

spricht von Hündchen, jenen kle<strong>in</strong>en süßen Tieren, denen die Hausbewohner gern gestatten,<br />

bei <strong>der</strong> Mahlzeit dabei zu se<strong>in</strong>. Es geht nun um junge Hunde, die nicht wie alte bequem o<strong>der</strong><br />

krank <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ecke liegen. Junge Hunde hat man gern <strong>in</strong> <strong>der</strong> F<strong>am</strong>ilie: „Ja, Herr. Aber auch die<br />

Hunde fressen unter dem Tisch von den Fladenkrümeln <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>!“<br />

Das ist schlagfertig! Die Frau nimmt das Bild auf, das Jesus gebraucht hat, um sie<br />

abzuweisen. Und sie wi<strong>der</strong>spricht ihm auf Augenhöhe: „... aber die Krümel!“ „Die kle<strong>in</strong>en<br />

Stückchen, die Bröckchen, die den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n runterfallen, die reichen uns ja, die helfen uns<br />

schon!“<br />

Und sie ist raff<strong>in</strong>iert. Sie spricht Jesus nicht nur als Rabbi, als Lehrer und Arzt an, ne<strong>in</strong>, sie<br />

nennt ihn „Herrn“. Sie gebraucht das griechische Wort „Kyrios“. Das ist <strong>der</strong> Begriff, <strong>der</strong> e<strong>in</strong><br />

Messias-Bekenntnis bedeutet. Noch bevor Petrus im nächsten Kapitel sagen kann: „Du bist<br />

<strong>der</strong> Christus!“, wird dies Bekenntnis schon von e<strong>in</strong>er Frau aus Syrien gesprochen. Mich<br />

wun<strong>der</strong>t es nicht, dass sich d<strong>am</strong>it das Verhalten Jesu ihr gegenüber verän<strong>der</strong>t.<br />

3) Jesus lernt im Disput<br />

Der arrogante, <strong>der</strong> abweisende, <strong>der</strong> fremdenfe<strong>in</strong>dliche Jesus lernt etwas <strong>in</strong> <strong>der</strong> Begegnung<br />

mit dieser Frau. Im Streitgespräch mit den Pharisäern und Schriftgelehrten hatte er <strong>am</strong> Brot<br />

deutlich gemacht, dass es nicht auf äußere Frömmigkeit ankommt. Jetzt erteilt ihm diese<br />

Frau e<strong>in</strong>e Lektion, und zwar wie<strong>der</strong>um <strong>am</strong> Brot!<br />

Diese Frau hat das letzte Wort, nicht Jesus. Das ist ungewöhnlich. In den Evangelien ist es<br />

normalerweise so, dass jemand – e<strong>in</strong> Jünger, e<strong>in</strong> Freund, e<strong>in</strong> Gegner – Jesus e<strong>in</strong>e Frage stellt


o<strong>der</strong> etwas behauptet. Und Jesus kontert dann mit e<strong>in</strong>er Antwort, die korrigiert, ergänzt,<br />

den Horizont weitet. Hier behält die Frau das letzte Wort, und Jesus än<strong>der</strong>t se<strong>in</strong>e Me<strong>in</strong>ung<br />

und entspricht ihrem Wunsch. Es ist das e<strong>in</strong>zige Mal <strong>in</strong> den Evangelien, dass es jemandem<br />

gel<strong>in</strong>gt, Jesus zu e<strong>in</strong>er S<strong>in</strong>nesän<strong>der</strong>ung zu veranlassen.<br />

Das Markusevangelium zeigt uns <strong>am</strong> Disput zwischen Jesu und <strong>der</strong> fremden Frau wie weit<br />

unser Gottesverständnis greifen muss. Gott ist größer, als wir gewöhnlich von ihm denken.<br />

Wir müssen unseren eigenen Horizont weiten. Das ist nicht e<strong>in</strong>fach. Aber Markus<br />

unterstreicht diesen Gedanken <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Evangelium sehr deutlich.<br />

Vor <strong>der</strong> Begegnung Jesu mit dieser Frau hat <strong>der</strong> Evangelist von e<strong>in</strong>er Brotvermehrung<br />

erzählt. Es s<strong>in</strong>d 5000 Menschen die an e<strong>in</strong>em abgelegenen Ort zus<strong>am</strong>men gekommen s<strong>in</strong>d<br />

und dann merken, dass es schon so spät ist, dass sie nicht mehr aufbrechen und im nächsten<br />

Ort Essen kaufen können. Jesus sättigt sie dann, <strong>in</strong>dem er das Vorhandene segnet und an<br />

alle austeilt. Es bleiben sogar zwölf Körbe übrig. Zwölf ist die Symbolzeit Israels: zwölf für die<br />

zwölf Stämme dieses Volkes.<br />

Unmittelbar nach unserem Predigttext wird dann erneut e<strong>in</strong>e Speisung berichtet. Dieses Mal<br />

s<strong>in</strong>d es 4000 Menschen, die durch e<strong>in</strong>e wun<strong>der</strong>s<strong>am</strong>e Brotvermehrung satt werden. Dieses<br />

Mal wird berichtet, dass sich Jesus im Gebiet des südlichen Syriens bef<strong>in</strong>det, e<strong>in</strong>er Region<br />

die überwiegend von Nicht-Juden bewohnt war. Diesmal bleiben sieben Körbe übrig. Sieben<br />

ist die Symbolzahl <strong>der</strong> Welt: drei für den Himmel, vier für die Erde. Jesus ist nicht nur für<br />

Israel da, son<strong>der</strong>n für die ganze Welt, Juden wie Nicht-Juden. Markus zeigt sehr deutlich, was<br />

er denkt.<br />

Was bedeutet das für uns?<br />

Auch für uns s<strong>in</strong>d Kultur und Religion <strong>der</strong> Fremden oft unbequem. Sie stören uns <strong>in</strong> unserer<br />

Ruhe. Am liebsten sollen sie verschw<strong>in</strong>den. Wir haben oft ke<strong>in</strong>e Lust, Brücken zu bauen. Es<br />

ist angenehm, bei den Fremden Urlaub zu machen, aber dann bleiben wir auch <strong>am</strong> besten <strong>in</strong><br />

unserem Ferien-Ressort. Und wenn wir uns doch e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> die Altstadt und auf den Basar<br />

trauen, dann möchten wir als Touristen unerkannt bleiben und f<strong>in</strong>den es pe<strong>in</strong>lich, dass man<br />

uns nachläuft und zum Kauf von Tüchern, Le<strong>der</strong>waren o<strong>der</strong> Uhren animieren will. Ich werde<br />

nicht vergessen, wie mich vor Jahren während e<strong>in</strong>er Wirtschaftskrise <strong>in</strong> Simbabwe die<br />

Händler auf e<strong>in</strong>em Markt geradezu angefleht haben, ihre kle<strong>in</strong>en Ste<strong>in</strong>figuren zu kaufen, da<br />

ihre F<strong>am</strong>ilien zuhause hungerten.<br />

Und: Haben wir „Lust auf Dialog“? S<strong>in</strong>d wir <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage, die Sprache <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en zu<br />

sprechen? Wie viele von uns s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> großen Weltsprachen so mächtig, dass sie <strong>in</strong><br />

ihnen diskutieren können? Wir gehen oft davon aus, dass Jesus nur Ar<strong>am</strong>äisch gesprochen<br />

habe – aber hier sehen wir ihn auf Griechisch disputieren. Es ist so wichtig, dass an <strong>der</strong><br />

<strong>Augustana</strong>-Hochschule auch Studierende aus an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n und <strong>Kirche</strong>n s<strong>in</strong>d, dass sie uns<br />

als Deutsche anregen, mit Ihnen Englisch, Französisch, Portugiesisch und vielleicht<br />

Ungarisch, Slowakisch o<strong>der</strong> Indonesisch zu sprechen. Ich f<strong>in</strong>de es großartig, wenn ich höre,<br />

dass an den Sprachkursen <strong>der</strong> Volkshochschule hier <strong>in</strong> unserem Ort auch immer wie<strong>der</strong><br />

Repräsentanten unserer Dienste und Werke teilnehmen und sich − manchmal noch nach <strong>der</strong><br />

Pensionierung − den Mühen des Erlernens e<strong>in</strong>er fremden Sprache aussetzen.


In <strong>der</strong> Begegnung mit dieser fremden Frau lernt Jesus sich selbst besser kennen: er lernt<br />

etwas über se<strong>in</strong>e eigene Aufgabe, und er lernt etwas über se<strong>in</strong>e eigene Religion. Wenn Gott<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Vergangenheit dem Abrah<strong>am</strong> e<strong>in</strong> Versprechen gab, dem Mose die Tora und die<br />

Propheten beauftragte, se<strong>in</strong>en Willen kund zu tun, so ist se<strong>in</strong> Ziel mit den Menschen doch<br />

universal und nicht auf e<strong>in</strong> Volk begrenzt.<br />

In <strong>der</strong> Vorbereitung ist mir aufgefallen, dass sich Ausleger und Prediger <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

vor allem für die Heilungsbitte <strong>der</strong> Frau <strong>in</strong>teressiert haben. Auf ihrer Seite haben sie sich<br />

gesehen. Mit ihr haben Sie sich identifiziert. Auch diese Ausleger wollten etwas von Jesus.<br />

Sie selbst waren <strong>in</strong> Not, Sie hatten e<strong>in</strong> Anliegen, und er sollte Ihnen helfen. Dass Jesus nicht<br />

sogleich bereit ist zu helfen, konnte sie nicht schrecken. Das haben sie als<br />

„Glaubensprüfung“ verstanden. Sie wussten sich Jesus gegenüber <strong>in</strong> <strong>der</strong> Rolle <strong>der</strong> <strong>in</strong>ständig<br />

Bittenden. Mit ihm zu diskutieren o<strong>der</strong> gar zu disputieren erschien ihnen unmöglich.<br />

E<strong>in</strong>e solche Auslegung muss nicht falsch se<strong>in</strong>. Es ist aber zutreffen<strong>der</strong>, wenn wir auch den<br />

eigentlichen Bezugspunkt wahrnehmen, nämlich, dass wir als Christen heute immer wie<strong>der</strong><br />

vor Herausfor<strong>der</strong>ungen stehen, die – wie diese Frau d<strong>am</strong>als an Jesus – Menschen an<strong>der</strong>en<br />

Glaubens an uns richten.<br />

Kontroverse <strong>in</strong> H<strong>am</strong>burg<br />

Ich würde Ihnen gern e<strong>in</strong>en Fall zum Nachdenken für diesen Sonntag mit auf den Weg<br />

geben, <strong>der</strong> zur Zeit <strong>in</strong> H<strong>am</strong>burg evangelische und katholische Christen beschäftigt. Dort<br />

wurde schon vor zehn Jahren im Stadtteil Horn die evangelische Kapernaum-<strong>Kirche</strong> als<br />

Vers<strong>am</strong>mlungsort <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>de entwidmet und an e<strong>in</strong>en Investor verkauft. Nun soll die<br />

<strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> wie<strong>der</strong>um an<strong>der</strong>e Hände übergehen und zwar an e<strong>in</strong>en isl<strong>am</strong>ischen Vere<strong>in</strong>, <strong>der</strong> sie<br />

zu e<strong>in</strong>er Moschee umbauen möchte. Den Mitglie<strong>der</strong>n des Vere<strong>in</strong>s – so sagen Sie – ist das<br />

Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> von Christen und Muslimen wichtig. Bisher halten die Muslime <strong>am</strong> Freitag ihr<br />

Gebet <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tiefgarage e<strong>in</strong>es Bürogebäudes ab.<br />

In den H<strong>am</strong>burger <strong>Kirche</strong>n und <strong>der</strong> Stadtgesellschaft sorgt die geplante neue Nutzung e<strong>in</strong>er<br />

ehemaligen <strong>Kirche</strong> für Streit. Hier werde „e<strong>in</strong>e Grenze überschritten“, es handele sich um<br />

e<strong>in</strong>en „D<strong>am</strong>mbruch“? Die <strong>Kirche</strong> werde „verunre<strong>in</strong>igt“, wenn dort jetzt Muslime beten; sie<br />

sei ke<strong>in</strong> „Gotteshaus“ mehr.<br />

Zu beachten ist auch, dass die <strong>Kirche</strong> unter Denkmalschutz steht und <strong>der</strong> Turm bei e<strong>in</strong>er<br />

neuen Nutzung nicht abgerissen werden darf. Wenn <strong>der</strong> Turm stehenbleibt, wird das dann<br />

zum Zeichen <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lage des christlichen Glaubens gegenüber den nun im <strong>Kirche</strong>nraum<br />

Betenden Muslimen? O<strong>der</strong> könnte <strong>der</strong> Turm dazu beitragen, dass schon durch die bauliche<br />

Struktur sichtbar ist, dass hier e<strong>in</strong> Zentrum entsteht, <strong>in</strong> dem Muslime und Christen e<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

begegnen?<br />

Irritation und Heilung<br />

Die Begegnung mit Menschen an<strong>der</strong>er Religion ist e<strong>in</strong>e Herausfor<strong>der</strong>ung. Sie ist voller<br />

Irritationen. Da gilt es oft etwas auszuhalten. Die an<strong>der</strong>en treten uns ja gegenüber mit ihren<br />

existenziellen Bedürfnissen und mit ihren nicht ger<strong>in</strong>gen Erwartungen an uns. Da ist es gut,<br />

<strong>in</strong> dieser Erzählung heute zu sehen, dass auch Jesus vor Herausfor<strong>der</strong>ungen stand, <strong>in</strong> denen<br />

er mühs<strong>am</strong> umdenken musste.


Die Begegnung Jesu mit dieser Frau aus Syrophönizien eröffnet ihm neue Perspektiven: Er<br />

lernt, dass e<strong>in</strong>e Frau schlagfertig argumentieren kann. Er erkennt, dass h<strong>in</strong>ter ihrem<br />

couragierten Auftreten e<strong>in</strong>e existenzielle Not steckt. Er begreift, dass es nicht gut ist, an<strong>der</strong>e<br />

herabzusetzen und sich selbst für besser zu halten. Der lernende Jesus ist das Urbild <strong>der</strong><br />

Toleranz!<br />

Und <strong>der</strong> heilende Jesus ist das Urbild des Arztes, des Arztes <strong>der</strong> hilft und verb<strong>in</strong>det, ohne die<br />

Bekehrung, die Konversion zu verlangen. Sich <strong>in</strong> Liebe dem an<strong>der</strong>en zuwenden, schadet dem<br />

eigenen Glauben nicht. Die existenzielle Not <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en l<strong>in</strong><strong>der</strong>n, hilft dem konkreten<br />

Menschen. Ob e<strong>in</strong>e Religion weiter besteht o<strong>der</strong> wie die altkanaanäische <strong>der</strong> Frau <strong>in</strong> unserer<br />

Erzählung untergeht, entscheidet sich nicht an unserer Hilfe. Von uns Christen dürfen auch<br />

heute Kräfte ausgehen, die den an<strong>der</strong>en beistehen, ohne dass wir Sie umstimmen müssen,<br />

sich von ihrer Religion abzuwenden. Von unseren jüdischen Schwestern und Brü<strong>der</strong>n dürfen<br />

wir lernen, dass das Ziel Gottes mit den Menschen die „Völkerwallfahrt zum Zion“ (Jes 2,2-4;<br />

Mi 4,1-4) ist und nicht das Verschw<strong>in</strong>den <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Religionen.<br />

Schluss<br />

Der Glaube „erträgt“ nicht nur Toleranz, ne<strong>in</strong>, er „verträgt“ sie gut, ja, er trägt sie <strong>in</strong> sich.<br />

Leidenschaftlich für den Glauben e<strong>in</strong>treten, heißt liebend dem an<strong>der</strong>en beistehen. Glaube<br />

und Toleranz gehören zus<strong>am</strong>men. Sie gehören zus<strong>am</strong>men wie „die K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die Hunde und<br />

das Brot“. Das ist die Erfahrung <strong>in</strong>terreligiösen Disputs. Es ist e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>sicht, die Jesus selbst<br />

uns h<strong>in</strong>terlassen hat.<br />

„Und <strong>der</strong> Friede Gottes, <strong>der</strong> höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und S<strong>in</strong>ne <strong>in</strong><br />

Christus Jesus. Amen.“

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