Kommentiertes Vorlesungsverzeichnis Früjahrsemester 2014
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Neuere deutsche Literatur<br />
Neuere deutsche Literatur<br />
Basiskurs<br />
Thomas Nehrlich<br />
Rebellen<br />
Veranstaltungsnummer 399377<br />
Zeit Dienstag 14–16<br />
Dauer 18.02.–27.05.<br />
ECTS BA: 5<br />
Kann nicht als freie Leistung bezogen werden<br />
Der Kurs greift einen Themenkomplex auf, der im Basiskurs „Helden“ im FS 2013 bereits angesprochen<br />
wurde, konkretisiert ihn aber im Hinblick auf eine bestimmte potenzielle Helden-Figur:<br />
den Rebellen. Ein Besuch des „Helden“-Kurses im FS 2013 ist nicht Voraussetzung zum Besuch<br />
dieses Kurses.<br />
Rebellen sind, solange sie Rebellen sind, potenzielle, ambivalente Figuren. Das Urteil der Geschichte<br />
über sie ist noch nicht gefällt; noch ist unklar, ob sie als Helden, als Tyrannenmörder, Befreier<br />
oder Staatsgründer gefeiert oder als Schurken, als Querulanten oder Terroristen verurteilt<br />
werden. Bei der Beschäftigung mit den Rebellen gehen wir von der These aus, dass Rebellion<br />
als Heldenmuster und Erzählmodell in unseren westlichen Demokratien und „postheroischen<br />
Gesellschaften“ (Herfried Münkler) nach dem 2. Weltkrieg zunehmend problematisch wird. Entsprechend<br />
konzentriert sich die Textauswahl auf die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Taugte<br />
Rebellion zuvor – z.B. bei Schiller – noch als Fluchtpunkt oder Hintergrund verschiedenster Narrative<br />
und Figuren, so scheint insbesondere nach dem desillusionierenden Kriegsausgang 1945<br />
in den meisten europäischen Literaturen die Schilderung von Rebellion nur noch im Modus der<br />
Parodie, der Distanzierung und des Zweifels möglich. Vielleicht weil der große verbindende Antagonist<br />
fehlt, gegen den man mithilfe von Rebellionsgeschichten anschreiben könnte, vielleicht<br />
weil Demokratie per se weniger empörungsanfällig ist als autokratische Regierungsformen, sind<br />
zeitgenössische Rebellionserzählungen häufig geprägt von einem Mangel an Veranlassung, von<br />
Ziellosigkeit der Auflehnung, Untauglichkeit der Mittel und Dubiosität der Akteure. Übliche<br />
Rebellionen als Kampf eines Unterdrückten gegen eine unrechtverübende Obrigkeit kommen<br />
kaum noch vor. Texte, die man in diesem Zusammenhang untersuchen kann, wären etwa Max<br />
Frischs pseudodidaktische Satire Wilhelm Tell für die Schule, in der der Schweizer Nationalmythos<br />
des Rebellen Tell ad absurdum geführt wird, oder Arno Schmidts Erzählung Schwarze Spiegel,<br />
in der sich der Protagonist, einsamer Überlebender eines dritten Weltkriegs, als grantelnder<br />
und zivilisationsmüder Eigenbrötler von einer unterdessen versunkenen Kultur abzugrenzen<br />
versucht. Auch das Problem des Terrorismus als desavouierter Form der Rebellion und wichtige<br />
historische Rebellionsereignisse wie „’68“ und die „Wende“ werden thematisiert. Daneben<br />
werden als Vergleichsgrundlage „klassische“ Rebellionsnarrative wie Kleists „Kohlhaas“ und<br />
Schillers „Wilhelm Tell“ gelesen. Ein Blick auf Rebellionsdarstellungen in anderen Künsten und<br />
Medien (Musik, Malerei, Comics, Film, Presse) rundet den Kurs ab.<br />
Die Lektüre wird zu Beginn des Seminars mit den Teilnehmenden abgestimmt. Vorschläge sind<br />
willkommen.<br />
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Literatur<br />
• Herfried Münkler: Heroische und postheroische Gesellschaften. In: Merkur 61 (August/September<br />
2007), H. 8/9, S. 742–752.<br />
• Rupert Gaderer: „Querulanz“. Skizze eines exzessiven Rechtsgefühls. Hamburg: Textem<br />
2012.<br />
• Beatrice Heuser: Rebellen, Partisanen, Guerilleros. Asymmetrische Kriege von der Antike bis<br />
heute. Paderborn u.a. 2013.<br />
Basiskurs<br />
Dr. Martina King<br />
Wiener Moderne<br />
Veranstaltungsnummer 399320<br />
Zeit Donnerstag 14–16<br />
Dauer 20.02.–22.05.<br />
ECTS BA: 5<br />
Kann nicht als freie Leistung bezogen werden<br />
Ab 1890 sammelt sich in Wien eine Gruppe junger, rebellischer Autoren um den österreichischen<br />
Literaturkritiker Hermann Bahr – Hugo von Hofmannsthal, Arthur Schnitzler, Leopold<br />
von Andrian, Georg Beer-Hofmann; auf der Suche nach neuen literarischen Ausdrucksformen<br />
und Themen trifft man sich im legendären Cafe Griensteidl. Dies ist der Auftakt zu einer einzigartigen<br />
Periode der künstlerischen Innovation und Pluralisierung. Sie bringt nicht nur stilistischen<br />
Wandel und neue Darstellungstechniken hervor, sondern auch neue Genres: eine neue<br />
‚Impressions‘-Kunst der flüchtigen Sinneseindrücke, den inneren Monolog, Einakter, Einakterzyklen,<br />
Prosalyrik, Skizzen.<br />
Unter dem Einfluss bahnbrechender wissenschaftlicher und philosophischer Theorien – Sigmund<br />
Freuds Psychoanalyse, Ernst Machs Erkenntniskritik – wird das menschliche ‚Ich‘ als Einheit in<br />
Frage gestellt und die Seele zum literarischen Schauplatz; Erzählungen, Dramentexte und Essays<br />
erkunden die Regungen, Wünsche und Abgründe menschlicher Emotionalität. Dabei stehen<br />
vor allem Themen im Vordergrund, die die Konventionen der spätbürgerlichen Gesellschaft<br />
sprengen: Emanzipation der Frau, Sexualität, Amoralität, Wahnsinn, Traum, Tod, Exotismus.<br />
Im Seminar sollen zunächst die wissensgeschichtlichen und literaturtheoretischen Grundlagen<br />
‚Jung-Wiens‘ erarbeitet werden – anhand ausgewählter Texte Freuds und Machs sowie programmatischer<br />
Essays von Hermann Bahr wie Die neue Psychologie (1891) oder Das Ich ist<br />
unrettbar (1903). Zentral wird auch Hofmannsthals ‚Chandos‘-Brief (1902) sein, den die Literaturgeschichtsschreibung<br />
als ‚Magna Charta der Epoche‘ bezeichnet hat (Riedel). Schliesslich<br />
wollen wir uns anhand von ausgewählten Artikeln, Erzähl- und Dramentexten von Karl Kraus,<br />
Arthur Schnitzler, Hugo v. Hofmannsthal und Robert Musil ein Bild machen von der einzigartigen<br />
literarischen Vielfalt, die diese Schwellenzeit prägt.<br />
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