Darstellerin I Darsteller Schauspiel Fabian Hinrichs. Burghart Klaußner. Jana Schulz. 1 Fabian Hinrichs mit Ensemble in René Polleschs „Kill your Darlings! Streets of Berladelphia“ an der Volksbühne am Rosa- Luxemburg-Platz Berlin. 2 Burghart Klaußner (mit Christian Sengewald) als Willy Loman in „Tod eines Handlungsreisenden“ am St. Pauli Theater Hamburg. 3 „Was ihr wollt“ mit Jana Schulz als Viola / Sebastian am Schauspielhaus Bochum. 1 2 3 Fotos: Tagesspiegel/Doris Spiekermann-Klaas, Wilhelm Reinke, Diana Küster (Porträts v. li. n. re.), Thomas Aurin (1), Matthias Horn (2), Arno Declair (3) X <strong>Die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Bühne</strong> 11 I 2012
Fabian Hinrichs Empathische Ironie Burghart Klaußner Jana Schulz Zwei Seelen im rasenden Leib „Kill your Darlings! Streets of Berladelphia“ an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin René Pollesch und ein Abend über die Suche nach der wahren Liebe. Wer hätte geahnt, dass dabei Theater entsteht, das nicht mit Zitaten in komplizierten Hirnwindungen stecken bleibt, sondern das in den Bauch, ja ins Herz sackt? „Warum bringt sich niemand mehr aus Liebe um?” fragt Fabian Hinrichs zu Beginn des 70-minütigen Monologs „Kill your Darlings! Streets of Berladelphia“. Der Satz kommt so überraschend aus seinem Mund, gleichzeitig so ernsthaft wie bei einem Kind, das nach der Größe des Universums fragt. Währenddessen trabt er in Glitzerhosen pausenlos über die <strong>Bühne</strong>; der stumme „Chor“ aus Turnern formt derweil Figuren. Der Pollesch-Sound: Sprech-Speed, Diskurs-Geschwurbel und jede Menge Ironie – er klingt bei Hinrichs kaum an. Pollesch hat mit diesem Schauspieler zu einem wärmeren Ton, einer höheren Temperatur gefunden. Wo sonst den Pollesch-Stars die Postdramatik aus jeder Wortkaskade quillt, steht mit dem schelmischen Hinrichs ein „echter Mensch“ auf der <strong>Bühne</strong> und will sich mit uns verbünden. „Das reicht uns nicht, da fehlt doch was!“ wiederholt er endlos zum Thema „verbindliche Beziehung“. „<strong>Die</strong> besten Szenen haben wir rausgeschnitten, die würden wir nicht ertragen“, proklamiert er. „Ich auch nicht, ich könnte nie wieder ein Theaterstück spielen!“ Und dann erneut: dieses einverständige Grinsen, das so viel sagt wie: „Naja, nicht im Ernst ...“ Seine Ironie ist eine empathische, dem kalten Zynismus fern. Dabei seziert und stilisiert er jede Silbe, greift zu großen Gesten – und spielt doch so, als würde er mit jedem Zuschauer im Anschluss am liebsten noch ein Bier trinken. Es gilt „Love is all around us“: vom Regisseur zum Schauspieler zum Publikum – und zurück. Barbara Behrendt Erlöschendes Leben Willy Loman in „Der Tod eines Handlungsreisenden“ am St. Pauli Theater Hamburg Willy Loman ist ein Nichts. Dabei gleicht er von außen betrachtet dem Durchschnittsamerikaner: mit Haus, Ehefrau, zwei Söhnen und einem Job als Vertreter. Doch hinter dem Schein wartet der Abgrund: In Wahrheit ist sein Leben längst zusammengebrochen. Beständig geht es bergab, bis nach rund zweieinhalb Stunden der „Tod eines Handlungsreisenden“ eintritt. Am Hamburger St. Pauli Theater inszenierte Wilfried Minks den schweren Stoff. Wenn Burghart Klaußner als Willy Loman die <strong>Bühne</strong> betritt, muss man zwei Mal hinschauen, bevor man ihn wahrnimmt – so grau, gedrückt und unscheinbar kommt er daher. Er hat versagt, das aber ist mit seinem Weltund Selbstbild nicht vereinbar. Und so betet er die Formeln des American Dreams unermüdlich vor sich hin und lügt sich dabei selbst in die Tasche. Klaußner spielt den zwanghaften Optimisten derart überzeugend, dass man sogar in Kenntnis des Dramenausgangs noch versucht ist, ihm die Zuversich t abzukaufen, mit der er sich selbst zu beeinflussen hofft. Entsprechend nuanciert lässt er zu, dass die Ausweglosigkeit sein Dasein unermüdlich untergräbt – Klaußners Seiltanz ist beängstigend, seine Haltlosigkeit ohne soziales Netz geht gründlich unter die Haut. Erst verliert er den Verstand, dann sein Leben: Um das innere Verlöschen zum Ausdruck zu brin-gen, braucht Klaußner keine einzige große Geste – nur ein Leiser-Werden bis zur tödlichen Stille und einen Körper, der allmählich in sich zusammenfällt. Burghart Klaußner spielt die Titelfigur so beunruhigend gut, dass sein Selbstmord nicht nur ihm die finale Lösung liefert, sondern auch das Publikum aus dem schier ausweglosen Spiel gleichsam wie erlöst entlässt. Dagmar Ellen Fischer Viola und Sebastian in „Was ihr wollt“ am Schauspielhaus Bochum Wie viele ist sie? Der Augenblick der Erkenntnis ist das Grausamste, was ein gestörter Geist erleben kann. Viola, die Schiffbrüchige, die Fremde, hat sich nicht nur als Mann getarnt, um ihre Überlebenschancen zu erhöhen. Ihr Zwillingsbruder Sebastian und sie sind eine Person. Oder vielmehr zwei Persönlichkeiten, die sich einen Körper teilen. Gibt es noch mehr? Roger Vontobel treibt in seiner Inszenierung der abgründigen Komödie „Was ihr wollt“ am Bochumer Schauspielhaus Shakespeares Spiel mit den Identitäten ins Extreme. So weit, bis es die Schauspielerin Jana Schulz fast zu zerreißen scheint. <strong>Die</strong>ses komplexe Regiekonzept wäre für jede Darstellerin eine große Herausforderung. Für Jana Schulz gilt das besonders. Denn sie ist keine elegante Jongleurin mit Masken und Tonfällen, sondern immer bis aufs Blut ehrlich, direkt, authentisch. Kleists bedingungslos fühlende Heldinnen Penthesilea und Käthchen kann sie durchfühlen wie niemand sonst. Nun soll sie doppelt ehrlich sein oder sogar dreifach, wenn man Cesario mitrechnet, den Mann, in den sich Viola bewusst verwandelt. Ohne zu ahnen, dass in ihr noch andere schlummern. <strong>Die</strong> Verzweiflung der Schauspielerin wird zur Verstörtheit des Menschen, den sie darstellt. ViolaSebastianCesario wütet, kämpft, klatscht ins Wasser auf der gefluteten <strong>Bühne</strong>, sucht tobend die eigene Mitte und entdeckt, dass sie nicht nur eine hat. In ihrer kreatürlichen Kraft findet Jana Schulz Momente gebrochener Poesie, eine zerbrechliche Amazone, deren erotische Wirkung auf Männer und Frauen nur zu größerer Verwirrung führt. Sie muss noch mehr kämpfen. Immer mehr. Und das hört niemals auf. Stefan Keim DER FAUST <strong>Die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Bühne</strong> 11 I 2012 XI