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Die Nominierungen - Die Deutsche Bühne

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Victoria Behr<br />

Prächtige Puppen voller Gefühle<br />

Barbara Ehnes I<br />

Chris Kondek<br />

Paul Zoller<br />

Labyrinth der Narren<br />

„Emilia Galotti“ am Theater<br />

Oberhausen<br />

Vielleicht wurde Victoria Behr mal in<br />

einem Opernfundus vergessen und<br />

erst Tage später wieder heraus geholt.<br />

In einem opulenten, riesigen Kostümlager,<br />

einem Märchenland mit eigenen<br />

Gesetzen, in dem die Gewänder vergangener<br />

Jahrhunderte lagern. Kei-ne<br />

Kostümbildnerin bedient sich so hemmungslos<br />

bei historisierenden Klamotten<br />

wie die Frau aus dem Herbert-<br />

Fritsch-Team. Wobei Victoria Behr nicht<br />

rekonstruiert, sondern neu schafft. Sie<br />

verbindet barocke Elemente mit der<br />

Commedia dell‘arte, knallbunt in den<br />

Farben, als wären selbst die Kostüme<br />

noch geschminkt. <strong>Die</strong> Filme Tim Burtons<br />

scheinen eine Inspirationsquelle<br />

zu sein.<br />

Puderperücken, gelockt und getürmt.<br />

Bunte Strümpfe, schwarzweiße<br />

Jacken, Rüschenhemden, lange Gewänder.<br />

Das Outfit des Oberhausener Ensembles<br />

in Gotthold Ephraim Lessings<br />

bürgerlichem Trauerspiel „Emilia Galotti“<br />

ist typisch Behr-ig. <strong>Die</strong> Gewänder<br />

sind die Grundlage für outrier te Gesten,<br />

ausgestellte Künstlichkeit, hysterische<br />

Überdrehtheit – die wiederum<br />

typisch Fritschige Theaterästhetik. <strong>Die</strong><br />

Kostüme setzen krasse optische Zeichen,<br />

definieren eine Phantasiewelt<br />

des puren Spiels. Besonders spannend<br />

wird es, wenn es Schauspielern gelingt,<br />

durch die prächtige Puppenhaftigkeit<br />

wahre Gefühle durchschimmern zu<br />

lassen. In der „Emilia Galotti“ gibt es<br />

solche Momente existentieller Verzweiflung<br />

und Traurigkeit im Rahmen<br />

knalliger Komik.<br />

Victoria Behrs Kostüme haben eine<br />

riesige Definitionsmacht, sie scheinen<br />

psychologisches Spiel nicht zuzulassen.<br />

Doch es lohnt sich, auch mal gegen<br />

sie zu spielen, die grellen Signale<br />

mit Innerlichkeit anzufüllen. Getragen<br />

von kantigen Schauspielerpersönlichkeiten<br />

bekommen die Kostüme eine<br />

Vielschichtigkeit, die überwältigt.<br />

Stefan Keim<br />

Im Dazwischen<br />

„Quijote. Trip zwischen den Welten“<br />

am Hamburger Thalia Theater<br />

Ihre Architekturen wölben sich in den<br />

Raum, verschachteln sich, besetzen die<br />

<strong>Bühne</strong> und stehen den Schauspielern<br />

gern mal im Weg – Hemmnis und Herausforderung<br />

zugleich: Barbara Ehnes‘<br />

<strong>Bühne</strong>nbilder bringen die Welt,<br />

wie wir sie sehen, aus dem Lot und die<br />

Menschen in Konfrontation mit sich<br />

selbst. Am Thalia Theater geschah das<br />

zuletzt im vergangenen Januar mit<br />

Stefan Puchers „Quijote. Trip zwischen<br />

den Welten“.<br />

Ein rätselhaftes Spiegelkabinett<br />

steht da auf der <strong>Bühne</strong>. Irritierendes<br />

Sammelsurium aus Ecken, Treppen, Wänden,<br />

die sich wundersam zur Schachtel,<br />

zur Hütte, zum Ufo fügen – je nachdem,<br />

in welcher Seelenabteilung Don Quijote<br />

und der Zuschauer sich gerade herumtreiben.<br />

Spiegelkabinett und Projektionsfläche<br />

für das <strong>Bühne</strong>ngeschehen<br />

wie für die Video-Sequenzen von Chris<br />

Kondek. Der Videokünstler aus Boston<br />

arbeitete mit Robert Wilson und Laurie<br />

Anderson, lebt seit 1999 in Berlin,<br />

war eine feste Größe zunächst an der<br />

Volksbühne, später überall für Stefan<br />

Pucher. Dessen Inszenierungen wachsen<br />

gern aus dem <strong>Bühne</strong>nraum heraus;<br />

und wenn in „Don Quijote“ Film und<br />

Schauspiel einander überblenden, sich<br />

wilde Spektralfarben einmischen, dann<br />

verwaschen Konserve und Live-Act zum<br />

psychedelischen Rausch.<br />

Realität nachzubilden, käme Barbara<br />

Ehnes, die zunächst Theater- und<br />

Literaturwissenschaft studierte, wohl<br />

nicht in den Sinn. <strong>Die</strong> <strong>Bühne</strong>nbilder<br />

der Schülerin von Wilfried Minks und<br />

Marina Abramovic lassen die Nähe zur<br />

freien Kunst spüren. Sie schaffen Situationen,<br />

fordern Reaktionen. Puchers<br />

aufwändigen Inszenierungen kommen<br />

ihre Räume besonders entgegen.<br />

Weil sie das Theater ins Dazwischen<br />

versetzen, irgendwo zwischen Welt<br />

und Vorstellung.<br />

Ruth Bender<br />

Ligetis „Le Grand Macabre“ am<br />

Staatstheater Mainz<br />

Wie denn: Das soll Breughelland sein?<br />

Das abgebrannte, verhurte, versoffene<br />

Breughelland des belgischen Autors<br />

Michel de Ghelderode, dem György Ligeti<br />

in seiner Oper „Le Grand Macabre“<br />

ein so bizarres Klangdenkmal gesetzt<br />

hat? Man sieht kahle Aufbauten und<br />

Versatzstücke, in dezentem Grau und<br />

feiner Fugenführung gekachelt. Und<br />

man ertappt sich unversehens bei<br />

dem Gedanken, dass nun sicher bald<br />

die Installateure kommen und hier das<br />

Sortiment eines gehobenen Sanitärhauses<br />

präsentieren werden.<br />

Aber dann! Dann nämlich wird dieses<br />

<strong>Bühne</strong>nbild lebendig. Es beginnt<br />

sich zu drehen, die Versatzstücke bewegen<br />

sich, es wird in Besitz genommen<br />

von einer Bande Vergnügungstollwütiger,<br />

die weniger dem mittelalterlichen<br />

Breughelland entsprungen scheinen<br />

als vielmehr der heutigen Spaßgesellschaft.<br />

Live gefilmte Videos überblenden<br />

die Konturen – und plötzlich ist<br />

aus der anfangs so klaren <strong>Bühne</strong> ein<br />

lebenspralles, sinneverwirrendes Labyrinth<br />

geworden, das für all die Besoffenen,<br />

Verzweifelten, erotisch Besessenen<br />

und gelegentlich nur leicht Bekleideten<br />

in Lorenzo Fioronis Inszenierung am<br />

Staatstheater Mainz eine Unmenge an<br />

Räumen, Nischen und Winkel bietet.<br />

Paul Zoller, in Innsbruck geboren und<br />

den Opernregisseuren Thilo Reinhardt<br />

und Lorenzo Fioroni sowie dem Choreografen<br />

Mario Schröder durch häufigere<br />

Zusammenarbeit verbunden, ist etwas<br />

Erstaunliches gelungen: Mit scheinbar<br />

einfachen Mitteln, mit Drehbühne, beweglichen<br />

Versatzstücken, Licht und Videos<br />

schafft er die raffinierte Architektur<br />

eines Weltuntergangs-Spektakels.<br />

Er spielt das Spiel, das Ligeti verlangt<br />

und das Lorenzo Fioronis Inszenierung<br />

braucht – lässt aber immer erkennen,<br />

dass es eben ein Spiel ist. Genau so<br />

aber passt es wunderbar zur grotesken<br />

Kunst-Klang-Welt, die György Ligeti<br />

1978 ans Licht der <strong>Bühne</strong> gebracht hat.<br />

Detlef Brandenburg<br />

DER FAUST<br />

<strong>Die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Bühne</strong> 11 I 2012<br />

XXIII

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