Ursula Ehler Das Wilde ist ja innen. Tankred Dorst Wir leben miteinander und reden über Stücke, über erfundene Personen, wie wir auch über andere, reale Menschen reden. Da gibt es gar keinen Unterschied. Wir leben mit ihnen. Und die kommen dann in eine Schublade in Ihrem Apothekerschrank? Tankred Dorst Ja, hier. <strong>Die</strong>se Schubladen sind unser einziges Ordnungsprinzip für angefangene oder geplante Projekte. <strong>Die</strong> nicht geschriebenen Stücke sind für mich genauso lebendig wie die geschriebenen. Ursula Ehler Ich finde, dass Stücke ohnehin nie ganz fertig sind. Tankred Dorst Bei „Merlin“ haben wir uns gesagt, dass wir einfach aufhören, sonst wäre der Stoff immer weitergewuchert. Wie lange haben Sie denn etwa daran geschrieben? Tankred Dorst Über zwei Jahre. Ursprünglich kam die Anregung von Peter Zadek. Ich habe dann Mallory gelesen, „La Mort d’Arthur“, und dachte: Ritter, die sich totschlagen um ihrer Ehre willen – mir fällt dazu gar nichts ein. Wir haben aber dann doch angefangen. Ursula Ehler Und sind verreist mit unseren Heften, weil wir gerne unterwegs in Hotels schreiben, an einem fremden Ort, umgeben von fremden Menschen und einer fremden Sprache. Wer war für Sie ein prägender Autor, Herr Dorst? Tankred Dorst Natürlich Büchner, natürlich Tschechow. Und Gerhart Hauptmann, wie er seine Personen erfindet und in seine Vorstellungswelt einbringt. Ursula Ehler Und natürlich der Allergrößte. Tankred Dorst Ja. Shakespeare sowieso. Ich habe ihn schon als Vierzehnjähriger gelesen und natürlich nicht verstanden. Ich habe mich dann mein Leben lang immer wieder mit Shakespeare beschäftigt, noch heute mache ich Entdeckungen. Hatten Sie schon als Jugendlicher den Wunsch, Schriftsteller zu werden? Tankred Dorst Ja. Schon immer. Eigentlich schon als Kind. (Er lacht) Ich habe mir Menschen, die ich kannte, die ich sah, immer in Geschichten vorgestellt. Mir Abenteuer für sie ausgedacht. Dabei war ihr Vater Unternehmer? Tankred Dorst Als er starb, war ich noch sehr klein. Ich kann mich kaum an ihn erinnern. Dass er tot war, hat meine Phantasie sehr beschäftigt. Ein Mann, der jahrelang lungenkrank im Bett liegt, sich mehr und mehr in die Krankheit zurückzieht, während draußen auf den Straßen die Ideologie des Gesunden, des Starken lärmt. <strong>Die</strong> Nazizeit hatte begonnen. Ich hatte als Kind, als Jugendlicher meine eigene Welt, habe gelesen und gelesen. Gerade in umfangreiche Bücher kann man sich als Leser intensiv hineinbegeben, wie in eine große Höhle mit vielen Schluchten. Als ich nach Krieg und Gefangenschaft in einem düsteren Haus in Wuppertal wohnte und den ganzen Dostojewski las, dachte ich unter dem Einfluss der Lektüre, ich sei in einem Dostojewski– Haus, in dem ein Mord geschieht. Sie haben früh für Zadek eine Romanadaption gemacht, „Kleiner Mann, was nun“ nach Fallada. Tankred Dorst Damals durfte man so etwas als Dramatiker eigentlich gar nicht. Zadek wollte ein Stück auf die <strong>Bühne</strong> bringen, das nicht brechtisch– lehrhaft ist, sondern von Menschen handelt, die den Zuschauer in Bochum interessieren. Natürlich ist ein Dialog auf der <strong>Bühne</strong> etwas anderes als ein Dialog im Roman. Friedrich Luft hat damals einen großen Verriss geschrieben, weil er die Idee falsch fand. Zadek hat die Kritik riesengroß vergrößert ins Foyer gehängt. Das Stück ist dann trotzdem viel gespielt worden. Bis heute. Den grundsätzlichen Einwand gegen Romanadaptionen gibt es immer noch. Ursula Ehler Manchmal zu Recht. Tankred Dorst Aber wie Brecht richtig sagte: Wenn es denn kein Theater ist, was wir machen, nennen wir es eben „Thaeter“. Solange es seine Wirkung tut und die Geschichte sich erzählt, ist das doch egal. – Meinungen … Meinungen! Es wurde ja auch behauptet, man wolle und könne keine Geschichten mehr erzählen. Ich wollte das immer. <strong>Die</strong> Motive und Anregungen, sogar Technik und Stil kommen aus dem eigenen Erleben. Warum haben Sie in den 90er Jahren die Biennale mitbegründet? War Ihnen langweilig? Tankred Dorst Ursprünglich hatte ich mit Ursula eine andere Idee: Wir hätten gern in Bamberg ein internationales Festival mit dem Thema „<strong>Deutsche</strong> Romantik“ ins Leben gerufen. Wir hatten schon ein reiches Programm, nicht nur Theater, auch Konzerte, Veranstaltungen über Kunst, über Politik, auch über Psychiatrie und andere Themen aus der Romantischen Bewegung, die heute noch nachwirken, lebendig sind. Aber die Stadt zögerte, die Entscheidung über das Projekt wurde immer wieder hinausgeschoben. Da besuchte uns Manfred Beilharz, der damals Intendant in Bonn war, und erzählte uns von seinem Plan, eine Biennale zu machen, Neue Stücke aus Europa, was gut zu der damaligen Europa–Euphorie passte. Ursula Ehler Was schrieben die Autoren in dieser Zeit des Umbruchs in Europa? Neugierig sind wir ja immer gewesen – wir waren gewonnen! So haben wir uns auf die Reise gemacht. Tankred Dorst Wir haben schöne, wunderliche, spannende Sachen gesehen. In Bialystok, im östlichen Polen, gab es ein Theater, das nannte sich „Mittelpunkt der Welt“ – es befand sich sehr abgelegen im Wald. Wie kamen Sie dann nach Bayreuth? Tankred Dorst Ich glaube, Wolfgang Wagner hatte in den Kammerspielen in München den „Merlin“ gesehen und dachte wohl, ich hätte Verständnis und Interesse für Wagners „Ring“, für diesen mythischen Stoff. Am Anfang war die Arbeit dort sehr schwierig, der Zeitdruck immens – aber es wurde mir eine wichtige Zeit. Ich denke noch immer darüber nach, ein Stück über meine Bayreuther Erfahrungen zu schreiben, mit dem Titel „<strong>Die</strong> Fußspur der Götter“. VI <strong>Die</strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Bühne</strong> 11 I 2012
Drei Komponisten – Drei Jubiläen! Richard Wagner Rienzi, der Letzte der Tribunen konzertante Aufführung Young Premiere: 13.1.2013 Giuseppe Verdi La Traviata Lange, Erath, Kurz, Murauer Premiere: 17.2.2013 Benjamin Britten Gloriana Young, Jones, Ultz Premiere: 24.3.2013 »Wagner-Wahn« 12.5-2.6.2013 dirigiert von Simone Young 12.5. Lohengrin - 14.5. Tristan und Isolde 15.5. Der fliegende Holländer 17.5. <strong>Die</strong> Meistersinger von Nürnberg 19.5. Parsifal - 22.5. Tannhäuser 26.5. Das Rheingold - 28.5. <strong>Die</strong> Walküre 31.5. Siegfried - 2.6. Götterdämmerung Telefon: (040) 35 68 68 www.staatsoper-hamburg.de