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Referat von Prof. Dr. med. Dr. phil. Thomas Fuchs (pdf/179.64KB)

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<strong>von</strong> der beliebig steigerungsfähigen Geschwindigkeit des Unbelebten, nämlich<br />

der Daten, Bilder und Finanzströme, für die es keine Entfernungen, keine Verzögerungen<br />

mehr gibt. Die explosionsartige Beschleunigung des Verkehrs lässt<br />

zwar auch für den Menschen die Entfernungen schrumpfen, aber um den Preis,<br />

dass nun das Nahe nicht mehr wahrgenommen wird. Die Beschleunigung in der<br />

Zeit führt zu einem Verschwinden des Raumes, in dem man verweilen kann. Es<br />

entsteht eine unruhige Aufenthaltslosigkeit, eine "zielstrebige Ziellosigkeit". Ja<br />

die erstrebten Ziele verlieren schon bei der Annäherung ihren Reiz, so als ahnte<br />

man die wiederum ausbleibende Erfüllung schon voraus.<br />

Hier treffen wir auf eine eigentümliche Dialektik: In Gesellschaften, die <strong>von</strong> einer<br />

Beschleunigung <strong>von</strong> Konsumtion, technischer Kommunikation und Mobilität<br />

geprägt sind, nehmen die Erfahrungen <strong>von</strong> Sinnerfüllung und Nähe offensichtlich<br />

eher ab. Eine Gesellschaft, die eine immer größere Vielzahl <strong>von</strong> Wünschen<br />

weckt und suggeriert, sie alle erfüllen zu können, führt zu immer mehr<br />

Frustration. Die suchtartige Grundstruktur der gesellschaftlichen Ökonomie entwertet<br />

die Erfahrungen und beraubt sie ihres Sinns. Anstelle erfüllender Erlebnisse<br />

tritt immer mehr eine leere Betriebsamkeit, eine Hyperaktivität, in der das<br />

Subjekt im Grunde seiner eigenen Tätigkeiten und Genüsse entfremdet ist. In<br />

dieser leeren Hyperaktivität liegt bereits der Keim <strong>von</strong> Sinnverlust, Depressivität<br />

und Burnout.<br />

Dieser Wettlauf mit der Zeit, unter dem wir leiden, resultiert letztlich aus einem<br />

kollektiven Kampf gegen die Endlichkeit und Sterblichkeit; er ist gewissermaßen<br />

eine „Flucht nach vorn.“ Um unsere Lebensausbeute in der kurzen Frist bis<br />

zum Tod zu erhöhen, müssen wir das Rad <strong>von</strong> Innovation, Produktion, Konsum<br />

und Verbrauch immer rascher vorantreiben. Im Wettlauf mit der Zeit versuchen<br />

die Individuen, durch Techniken der Selbstbeschleunigung Zeit zu gewinnen,<br />

nicht nur um mithalten zu können, sondern auch um in ihrer begrenzten Lebenszeit<br />

mehr vom Leben, <strong>von</strong> der Welt zu haben. Die fortwährende Beschleunigung<br />

aller Zeitabläufe und Tätigkeiten entspringt auch dem illusionären Wunsch, dem<br />

Tod mehr Zeit abjagen und in einem Leben möglichst zwei, drei oder mehr Leben<br />

unterbringen zu können. Die Gegenwart genügt nicht, sie zeigt nur, was<br />

noch fehlt und was noch möglich wäre.<br />

Das Ergebnis ist ein Verlust des Lebensrhythmus, der Balance zwischen den<br />

verschiedenen Sphären des Lebens, besonders zwischen Arbeit und Freizeit.<br />

Verschiedenste technische und kommunikative Medien, die eine Allgegenwart<br />

und Simultaneität des noch so Entfernten herstellen, ja die so etwas wie einen

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