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Von Kunden für Kunden. - Hochschule Bremerhaven

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<strong>Von</strong> <strong>Kunden</strong> <strong>für</strong> <strong>Kunden</strong>.<br />

Über die Rolle von Prosumenten <strong>für</strong> die Kreuzfahrtbranche<br />

Um sich über ein Kreuzfahrtschiff oder eine Route zu informieren, gibt es vor allem zwei<br />

Möglichkeiten: offizielles Werbematerial und inoffizielle Erfahrungsberichte. Letztere erlangen<br />

durch das Internet einen enormen Bedeutungszuwachs. Bereitgestellt werden sie von<br />

‚Prosumenten’. Prof. Dr. Michael Vogel, Leiter des Studiengangs Cruise Industry Management<br />

an der <strong>Hochschule</strong> <strong>Bremerhaven</strong>, untersucht in diesem Beitrag die Rolle der Prosumenten und<br />

ihren Nutzen <strong>für</strong> die Kreuzfahrtbranche.<br />

Um es gleich vorwegzunehmen: Mit diesem Beitrag will ich Sie davon überzeugen, ein<br />

Prosument von Kreuzfahrten zu werden. Allen wäre damit gedient: anderen tatsächlichen und<br />

potenziellen Kreuzfahrtkunden, den Anbietern von Kreuzfahrten und auch Ihnen selbst.<br />

Nicht umsonst wende ich mich mit diesem Appell an die Leserschaft von ‚an Bord’, weist sie<br />

doch schon heute eine erfreulich große Zahl von Prosumenten auf, auch wenn die betreffenden<br />

Personen vielleicht gar nicht wissen, dass sie diese Bezeichnung verdienen.<br />

Prosumenten nach Toffler<br />

Den Begriff Prosument prägte der Zukunftsforscher Alvin Toffler 1980 in seinem Buch ‚Die dritte<br />

Welle’. Toffler sagte voraus, dass der Wettbewerb Hersteller oder Anbieter von<br />

Massenprodukten zunehmend dazu zwingen würde, diese <strong>für</strong> einzelne <strong>Kunden</strong>gruppen und<br />

schließlich sogar <strong>für</strong> den einzelnen <strong>Kunden</strong> individuell maßzuschneidern.<br />

Laut Toffler würden Unternehmen zu diesem Zweck ihre <strong>Kunden</strong> immer stärker am<br />

Produktionsprozess direkt beteiligen, speziell bei Fragen von Funktionalität und Design. Aus<br />

passiven Konsumenten müssten hier<strong>für</strong> aktive Prosumenten, also produzierende Konsumenten<br />

werden. Erst der Einsatz von Prosumenten würde nach Toffler jenen Grad an Individualisierung<br />

von Produkten ermöglichen, der nötig sei, um sich von der Masse abzuheben.<br />

In der Praxis haben sich Tofflers Prognosen hinsichtlich der Individualisierung von<br />

Massenprodukten bis heute kaum bestätigt. Bei den meisten Produkten können (und wollen?)<br />

<strong>Kunden</strong> auch weiterhin nur zwischen einer beschränkten Anzahl vorgegebener Varianten<br />

wählen, statt sich in den Herstellungsprozess selbst einzubringen. Eine erwähnenswerte<br />

Ausnahme in der Touristik ist die individuell konfigurierbare Bausteinreise, die sich als<br />

Alternative zur Pauschalreise wachsender Beliebtheit erfreut.<br />

Prosumenten im Cluetrain Manifest<br />

In jüngerer Zeit wies ein anderes Aufsehen erregendes Buch mit dem eigentümlichen Titel<br />

‚Cluetrain Manifest’ den Prosumenten eine neue Rolle im Wirtschaftsprozess zu. Das Werk<br />

befasst sich mit den Konsequenzen neuer Kommunikationstechnologien <strong>für</strong> die Informiertheit<br />

und die Machtposition von <strong>Kunden</strong>.<br />

Es kommt zu dem Ergebnis, dass <strong>Kunden</strong> dank ihrer Vernetzung heute voneinander mehr über<br />

Produkte erfahren können als von den Anbietern; ja sogar, dass untereinander vernetzte<br />

<strong>Kunden</strong> mehr über Produkte wissen können als die Anbieter selbst. Dem Cluetrain Manifest<br />

zufolge haben es die meisten Unternehmen versäumt zu lernen, wie sie mit dieser neuen Art<br />

von aufgeklärten, informierten und selbständigen Konsumenten kommunizieren müssen.<br />

Konsumenten ersetzen also die Produzenten zunehmend in der Rolle der Lieferanten von<br />

Produktinformationen. Durch die Übernahme dieser Rolle aber werden die Konsumenten selbst<br />

Teil des Produktionsprozesses und somit zu Prosumenten.<br />

Als Beispiel <strong>für</strong> ein Unternehmen, das verstanden habe, wie wichtig Prosumenten als<br />

Informationsquelle <strong>für</strong> andere Konsumenten sind, nennt das Cluetrain Manifest den Internet-<br />

Buchhändler Amazon.com. Dieses Unternehmen stellt seine Homepage zur Verfügung, damit<br />

<strong>Kunden</strong> eigene Inhalte wie z.B. Rezensionen und Käufer- bzw. Verkäuferbeurteilungen<br />

1


veröffentlichen können. Der damit erzielte Mehrwert <strong>für</strong> Bücherfreunde ist enorm und beschert<br />

Amazon.com nun schon seit Jahren eine einzigartige Marktposition.<br />

Kreuzfahrt-Prosumenten<br />

Im seetouristischen Zusammenhang können als Prosumenten Menschen gesehen werden, die<br />

ihre Kreuzfahrterfahrungen, Meinungen und Ratschläge anderen Interessierten in einer Weise<br />

zur Verfügung stellen, dass diese sie bei Bedarf abrufen können. Es geht also um ein<br />

Informationsangebot, das durch Nachfrage aktiviert wird.<br />

Nicht als Prosumenten gelten damit all jene besonders erfahrenen und sehr<br />

sendungsbewussten Passagiere, die jedes Gespräch zwangsläufig auf ihr Lieblingsthema<br />

lenken. Denn hierbei manifestiert sich das Informationsangebot zuweilen sogar in völliger<br />

Abwesenheit von Nachfrage.<br />

Kreuzfahrtpassagiere, die sich als Prosumenten engagieren, sind Konsumenten, die das von<br />

Produktanbietern, Journalisten und professionellen Produkttestern kommerziell gelieferte und<br />

entsprechend einseitige Informationsangebot um ihr eigenes, nichtkommerzielles Angebot<br />

ergänzen. Sie produzieren Inhalte, die keineswegs objektiv, neutral und vollständig sein sollen,<br />

sondern gerade subjektiv, persönlich und möglicherweise anekdotisch, vor allem aber<br />

authentisch. Die Bereitstellung nichtkommerzieller Informationen über kommerzielle Produkte ist<br />

der Kern dieses Prosumententums.<br />

Kommunikationskanäle der Kreuzfahrt-Prosumenten sind beispielsweise die Leserbriefe und<br />

Reiseberichte in ‚an Bord’ und anderen Zeitschriften. Themenbezogene Diskussionsforen,<br />

Weblogs, Gästebücher und spezielle Datenbanken im Internet bieten hier jedoch inzwischen<br />

weitaus vielfältigere Möglichkeiten. Besonders in den USA gibt es bereits zahllose Anlaufstellen<br />

dieser Art im Netz.<br />

Nutzen <strong>für</strong> Konsumenten<br />

Prosumenten helfen anderen Konsumenten bei der Orientierung, indem sie ihnen Erfahrungen,<br />

Meinungen und Rat bieten. Ohne im Verdacht zu stehen, durch gezielte Schönfärberei,<br />

Übertreibungen und Auslassungen anderen Konsumenten etwas verkaufen zu wollen,<br />

genießen Prosumenten häufig eine deutlich höhere Glaubwürdigkeit als die Anbieter der<br />

Produkte, um die es geht.<br />

Prosumenten geben ihre Erfahrungen, Meinungen und Ratschläge preis, weil sie gehört und<br />

anerkannt werden wollen, aber auch, um im Gegenzug von den Beiträgen anderer<br />

Prosumenten zu profitieren. So sind vor allem im Internet inzwischen gewaltige Prosumenten-<br />

Netzwerke entstanden, die auf einer Balance von Geben und Nehmen beruhen.<br />

Der Einfluss solcher Netzwerke auf Kaufentscheidungen ist sehr hoch. Die alte Marketingweisheit,<br />

nach der ein unzufriedener Kunde neun anderen potenziellen <strong>Kunden</strong> vom Kauf abrät,<br />

gehört damit endgültig der Vergangenheit an. Denn eine negative Produktbewertung wird unter<br />

Umständen tausendfach gelesen. Natürlich eröffnet dies auch enorme Missbrauchsmöglichkeiten.<br />

Nutzen <strong>für</strong> Produzenten<br />

Aktive, engagierte Konsumenten, die sich zu Wort melden und sich einmischen, sind <strong>für</strong><br />

Produzenten von hohem Wert. Denn sie ermöglichen Dialog, stellen quasi den Rückkanal zu<br />

den Unternehmen dar und erlauben es diesen, ihr Angebot laufend zu verbessern, die<br />

Feinheiten der <strong>Kunden</strong>bedürfnisse zu erfassen und so ein der Nachfrage besser<br />

entsprechendes Produkt zu erstellen.<br />

Die meisten Anbieter leihen ihren <strong>Kunden</strong> inzwischen zwar ein Ohr, wenn es um Reklamationen<br />

oder spontane Verbesserungsvorschläge geht. Doch damit haben sie noch lange nicht das Ohr<br />

am Markt. Denn wirklich interessant wird es erst, wenn die <strong>Kunden</strong> sich miteinander<br />

unterhalten, wenn sie nicht mehr die exponierten Rollen des Reklamierenden oder<br />

Vorschlagenden spielen.<br />

2


In solchen vermeintlich unbeobachteten Momenten, in denen <strong>Kunden</strong> ihr taktisches Verhalten<br />

ablegen und sich in aller Offenheit mit Ihresgleichen austauschen, könnten Anbieter besonders<br />

viel über ihre eigenen Produkte lernen - wenn sie nur dabei wären.<br />

Genau deshalb sind die Diskussionen, die von Prosumenten in den entsprechenden<br />

Netzwerken geführt werden, von solch enormem Erkenntniswert <strong>für</strong> Anbieter. Mit etwas Glück<br />

können sie dort all das in Erfahrung bringen, was ihren Fragebögen, <strong>Kunden</strong>zufriedenheitsstudien<br />

und Ideenkästen entgeht. Produktplanung, Marketing, <strong>Kunden</strong>service und Qualitätsmanagement<br />

könnten so auf eine ganz andere Grundlage gestellt werden.<br />

Gesucht: Netzwerk der Kreuzfahrt-Prosumenten<br />

Ich zweifle nicht daran, dass sich in der deutschsprachigen Kreuzfahrtwelt genug Prosumenten<br />

finden würden, um die ‚kritische Masse’ an Teilnehmern zu erzeugen, die es braucht, damit ein<br />

seetouristisches Prosumenten-Netzwerk dauerhaft fortbestehen kann. Ebenso wenig zweifle ich<br />

daran, dass ein solches Netzwerk <strong>für</strong> alle Beteiligten von großem Wert wäre und einen<br />

besonderen Beitrag zur weiteren seetouristischen Marktentwicklung leisten könnte.<br />

Was aber aus meiner Sicht bis heute weitgehend fehlt, ist - bildlich gesprochen - das<br />

Gravitationszentrum, um das herum sich die kritische Masse verdichten könnte. Die<br />

Zeitschrift‚an Bord’ mit ihrer eingeführten Marke, ihrer fachkundigen Leserschaft, der Rubrik<br />

‚Leser-Echo’ und den zahlreichen von Lesern <strong>für</strong> Leser geschriebenen Reiseberichten bietet<br />

hier<strong>für</strong> einen möglichen Ausgangspunkt.<br />

Doch müsste ein erfolgreiches Prosumenten-Netzwerk unbedingt auf das Internet als Medium<br />

setzen. Hinsichtlich Aktualität, Flexibilität und Interaktivität ist das Internet den Printmedien<br />

überlegen. Das Netzwerk könnte die Form eines unabhängigen, offenen Forums annehmen.<br />

Offenheit steht dabei <strong>für</strong> freien Zugang, aber auch <strong>für</strong> Transparenz. Speziell die Unabhängigkeit<br />

von Veranstaltern, Reedereien und Vertriebsorganisationen wäre eine Voraussetzung <strong>für</strong><br />

Glaubwürdigkeit der Inhalte.<br />

Mit einem solchen übergreifenden, von vielen Prosumenten gespeisten Netzwerk wäre zugleich<br />

eine Alternative zu den traditionellen <strong>Kunden</strong>clubs geschaffen, die nur von jeweils einem<br />

Unternehmen gespeist werden mit dem Ziel, Passagiere an sich zu binden, und in deren Natur<br />

es damit liegt, ihre Mitglieder gezielt zu beeinflussen.<br />

Die Finanzierung des Netzwerks könnte über die Verwertung der Beiträge und Diskussionen<br />

seiner Mitglieder gewährleistet werden. Basierend auf diesen Inhalten könnten beispielsweise<br />

Auswertungen und Studien angefertigt werden, nach denen sich Reedereien, Veranstalter und<br />

Vertriebsorganisationen die Finger lecken würden.<br />

Die geballte Erfahrung von aktiven Kreuzfahrt-Prosumenten über Schiffe und Routen ließe sich<br />

auch als Schiffs- und Routenführer in Buchform herausgeben, der einem Douglas Ward mit<br />

seinem „Berlitz Cruise Guide“ das Fürchten lehren könnte. Das oben genannte Cluetrain<br />

Manifest ist übrigens in ähnlicher Weise entstanden.<br />

Ob ein solches Prosumenten-Netzwerk auch in Verhandlung mit Kreuzfahrtanbietern treten<br />

sollte, um Sonderkonditionen <strong>für</strong> Clubmitglieder zu erreichen, bliebe zu prüfen. Mit dem Pfund<br />

der gebündelten Kaufkraft der Mitglieder ließe sich sicher gut wuchten. Doch letztlich würden<br />

die wirtschaftlichen Vorteile zulasten der Autonomie des Netzwerks gehen und damit zu dem,<br />

was sein Wesen ausmachen würde.<br />

Internetlinks zum Text<br />

Internetfassung des Buchs ‚Cluetrain Manifest’:<br />

• www.cluetrain.com/book/index.html<br />

Beispiel seetouristischer Prosumenten-Netzwerke:<br />

• www.kreuzfahrttreff.de<br />

• www.cruise2.com<br />

• www.cruisemates.com/articles/reviews/<br />

• www.cruisereviews.com<br />

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