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Zeichen des Untergangs.pdf

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ZEICHEN DES UNTERGANGS<br />

Bald darauf erreichten sie einen großen See, an dem sich einige Siedler vor langer Zeit<br />

niedergelassen hatten. In einiger Entfernung blieben die Gefährten stehen und beobachteten die<br />

Häuser am Rand <strong>des</strong> Sees. Nach allem, was sie erlebt hatten, war ein wenig Vorsicht sicher nicht<br />

verkehrt.<br />

Die Sonne stand bereits tief am Himmel, mit den Schatten wuchs die Nacht.<br />

„Da stimmt etwas nicht“, sagte Amras in die Stille hinein.<br />

„Was meinst du? Ich sehe nichts“, antwortete Ragnarok ratlos.<br />

„Genau das meine ich. Kein Rauch. Kein Licht. Es ist tiefster Winter und dort drüben brennt nicht<br />

ein Feuer.“<br />

„Du meinst...?“<br />

„Dort lebt niemand mehr. Wir kommen zu spät.“<br />

„Die Frostmenschen?“, vermutete Vladimir nachdenklich. „Es sollte wohl keine Zeugen geben.“<br />

„Was auch immer passiert ist“, sagte Sigma ohne Furcht in der Stimme. „Wir müssen nachsehen.<br />

Irgendwo im Dorf gibt es vielleicht einen Hinweis auf die Lage <strong>des</strong> Tempels. Zumin<strong>des</strong>t können wir<br />

dort die Nacht angenehmer verbringen, als hier draußen.“<br />

Er macht sich auf Richtung Fischerdorf, doch Ragnarok und Amras blieben stehen.<br />

„Was soll das? Wollt ihr hier draußen die Nacht verbringen?“<br />

„Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache“, meinte Ragnarok nur. „Etwas sagt mir, dass wir das<br />

Dorf meiden sollten. Eine Nacht mehr in der Wildnis, was macht das schon. Lasst uns morgen bei<br />

Tageslicht nachschauen, was geschehen ist. Nicht im Schatten der Nacht. Wer weiß, was dort auf<br />

uns lauert.“<br />

Amras nickte.<br />

„Auch ich bin der Meinung. Ich traue der Ruhe nicht. Wir bleiben hier. Wenn ihr gehen wollt, geht.<br />

Wir bereiten derweil das Lager vor.“<br />

In Sigmas Augen blitzte es zornig. Ihm war anzusehen, wie eilig er es hatte, den Tempel zu finden.<br />

Einige Augenblicke starrte er Amras und Ragnarok fast feindselig an. Doch dann zuckte er nur mit<br />

den Schultern und winkte Vladimir, ihm zu folgen. Gemeinsam stampften sie durch den Schnee am<br />

Ufer <strong>des</strong> Sees zum Dorf. Während Amras Feuerholz aus seinem Rucksack hervorholte, bemühte<br />

sich Ragnarok, die Zelte als Schutz gegen die beißende Kälte aufzuschlagen. Wenig später saßen sie<br />

stumm am Rand <strong>des</strong> Feuers und blickten in den Tanz der Flammen. Das Holz knackte, Funken<br />

stoben empor. Der Wind ergriff sie und trug sie weit hinauf in den inzwischen nachtschwarzen<br />

Himmel. Ragnarok folgte dem Funkenflug mit den Augen und seufzte.<br />

„Was denkst du über Sigma?“, fragte er Amras unvermittelt. Ragnarok wusste, dass sich die beiden


nahe standen. Auch er selbst hatte Sigmas Freundschaft stets geschätzt, doch in letzter Zeit fiel es<br />

ihm zunehmend schwerer, ihm zu vertrauen. Zu geheimnisvoll und rätselhaft waren seine Motive.<br />

Und er hatte das Gefühl, dass ihnen der Kleriker etwas verheimlichte. Er kannte Amras gut genug,<br />

um zu merken, dass der Halbelf ebenso dachte. In sein Gesicht hatte sich ein sorgenvoller Zug<br />

eingegraben.<br />

„Er lässt uns zurück“, antwortet Amras ohne den Blick von den Flammen abzuwenden.<br />

„Schritt für Schritt. Weshalb vermag ich nicht zu sagen. Doch er schlägt eine Richtung ein, in die<br />

ich ihm nicht folgen kann. Ich fürchte, dass sich unsere Wege bald trennen werden.“<br />

„Der Gedanke ist mir auch schon gekommen. Aber ich will ihn nicht mit Vladimir alleine ziehen<br />

lassen. Noch nicht. Ich traue ihm nicht. Er trägt etwas Dunkles in sich. Und Sigma scheint es zu<br />

nähren. Wir hätten sie nicht alleine ziehen lassen sollen.“<br />

„Ich werde ihm zur Seite stehen, solange ich es vermag. Auch für den Orden. Obwohl ich nicht<br />

glaube, dass ich noch einmal zurückkehren werde.“<br />

Ragnarok hob überrascht den Kopf. Wenngleich sie sich im Kloster nie besonders heimisch gefühlt<br />

hatten, war es doch das einzige Zuhause, das sie kannten. War es nicht Sinn und Zweck dieser<br />

Mission, genau das zu schützen?<br />

„Wo willst du sonst hin? Du gehörst hierher. Wie wir alle.“<br />

Amras schüttelte kaum merklich den Kopf. Sein Blick verharrte in der Glut. In seinen Augen<br />

flackerte das Licht <strong>des</strong> Feuers.<br />

„Nein, sagte er. „Ich gehöre nicht hierher. Nicht ins Kloster, nicht in dieses Land. Ich will fort,<br />

Ragnarok. Weit fort von dem ewigen Eis, der Kälte und dem Schnee. In den Süden. Ins<br />

Waldlandreich oder an die Küste. Das ist nicht mein Land, das war es nie. Ich habe nur auf die<br />

passende Gelegenheit gewartet.“<br />

Er wandte den Kopf und blickte Ragnarok an.<br />

„Was ist mit dir, alter Freund? Bleibst du dein Leben lang beim Orden? Du hast in den Mauern <strong>des</strong><br />

Klosters doch ebenso wenig ein Zuhause wie ich. Und ich könnte auf der Reise einen verlässlichen<br />

Gefährten gebrauchen.“<br />

Ragnarok schwieg eine Zeit lang. Er hatte selbst nie darüber nachgedacht den Orden zu verlassen.<br />

Er kannte nichts anderes. Andererseits hatte Amras wohl recht. Er hatte nie dazu gehört. Die<br />

Aussicht, sein ganzes Leben in den eisigen landen zu verbringen, behagte ihm mit einem Male<br />

überhaupt nicht. Der Süden klang verlockend, in der Tat.<br />

„Vielleicht“, sagte er schließlich mehr zu sich selbst.<br />

„Vielleicht eines Tages.“

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