ZEIT FORUM der Wissenschaft – 21 - Die Zeit

Moderation
Ich möchte den kulturhistorischen Faden noch mal aufgreifen. Sigmund Freud
prägt in seiner Zeit gerade das therapeutische Interesse am Individuum,
sozusagen das Entdecken des Ichs, in einer Epoche, die auch von gewaltigen
Umbrüchen geprägt ist – auch damals geschah das, was heute wieder neu
beklagt wird: Auflösung der Großfamilien, Veränderung gesellschaftlicher
Zusammenhänge. In dem Moment kommt die Stärkung und Entdeckung des
Individuums durch Freud.
Jetzt gibt es wieder eine neue Debatte, die Großfamilie muss wieder her. Die
Frau muss wieder Kinder kriegen. Wir Deutschen sterben aus und müssen jetzt
richtig ran. Als Individuum sind wir eigentlich Luxuswesen, die diese
Gesellschaft eigentlich nicht brauchen kann.
Hans J. Markowitsch
Als Gedächtnisforscher sage ich: Zukunft geht nicht ohne Vergangenheit. Ich
will ein Beispiel bringen, wie wichtig die Vergangenheit für die Zukunft von
Individuen ist.
Da gab es letzten November eine Studie in Amerika, bei der Kinder im Alter von
vier bis sieben Jahren untersucht wurden, die in den ersten drei, vier
Lebensjahren in rumänischen und russischen Waisenhäusern unter sehr
schlechten Verhältnissen gelebt haben und die dann von amerikanischen
Familien adoptiert wurden. Die Forscher haben bei den Kinder einmal einfach
so und einmal in einer sozialen Situation – das Kind war bei der Mutter auf dem
Schoß – untersucht, wie viele Hormone freigesetzt werden, Hormone Oxytocin,
Vasopressin, die für die kindliche Bindung an die Eltern wichtig sind. Oxytocin
ist aber auch wichtig überhaupt für die Bindung und wird beispielsweise auch
beim Geschlechtsverkehr ausgeschüttet, um die beiden Partner mehr
aneinander zu binden.
Was da gefunden wurde, war, dass im Vergleich zu den eigenen Kindern, die
von Anfang an in dem Elternhaus aufwuchsen, die ehemaligen Waisenkinder
ZEIT-Forum der Wissenschaft: „Sigmund Freud: Das Rätsel der menschlichen Psyche“ 32