Rechtsnatur des Verfahrens mit der vorgesetzten Stelle nach § 18 ...
Rechtsnatur des Verfahrens mit der vorgesetzten Stelle nach § 18 ...
Rechtsnatur des Verfahrens mit der vorgesetzten Stelle nach § 18 ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Baurecht (Zeitschrift) Seite 1 von 13<br />
Baurecht (Zeitschrift) > Jahr 2009 > Heft 11 > Aufsätze > Ziviles Baurecht > Lembcke: <strong>Rechtsnatur</strong> <strong>des</strong> <strong>Verfahrens</strong> <strong>mit</strong> <strong>der</strong> <strong>vorgesetzten</strong><br />
<strong>Stelle</strong> <strong>nach</strong> § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B (Seite 1666 - 1674) ><br />
Moritz Lembcke, Hamburg 1<br />
Seite: 1666<br />
<strong>Rechtsnatur</strong> <strong>des</strong> <strong>Verfahrens</strong> <strong>mit</strong> <strong>der</strong> <strong>vorgesetzten</strong> <strong>Stelle</strong> <strong>nach</strong> § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/<br />
B<br />
– Leistungsbestimmungsrecht <strong>nach</strong> § 315 BGB –<br />
Die VOB/B enthält in § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B ein Verfahren zur außergerichtlichen Streitbeilegung <strong>mit</strong><br />
öffentlichen Auftraggebern. Die durchgeführten Verfahren sind auf den ersten Blick überschaubar. Das<br />
Bun<strong>des</strong>ministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) hat im Zeitraum 2000–2006 42<br />
Verfahren abgewickelt. Auf Lan<strong>des</strong>ebene haben die Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong> 35 Verfahren pro Jahr zu verzeichnen<br />
1 . Vergleicht man diese Zahlen einmal <strong>mit</strong> denen <strong>des</strong> wohl renommiertesten Anbieters von Schiedsgerichtsverfahren,<br />
<strong>der</strong> Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS), so wird deutlich, dass<br />
das Verfahren <strong>nach</strong> § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B nicht so unbedeutend ist, wie es zunächst scheint: Im Jahr 2006<br />
wurden dort 42 neue deutsche Verfahren registriert.<br />
"Für die Vielzahl <strong>der</strong> öffentlichen Bauaufträge" stellt "die Regelung <strong>nach</strong> § <strong>18</strong> Nr. 2 ein bewährtes<br />
außergerichtliches Verfahren zur Streitbeilegung dar (…) 1 ." Die bislang geringe praktische Bedeutung<br />
liegt darin begründet, dass fundamental falsche Vorstellungen über das Schlichtungsverfahren vorherrschen.<br />
"Die Schwächen <strong>des</strong> <strong>Verfahrens</strong>" 2 liegen in den Anwen<strong>der</strong>n, nicht in <strong>der</strong> Regelung <strong>des</strong> § <strong>18</strong><br />
Nr. 2 VOB/B. Bislang wird von <strong>der</strong> ganz herrschenden Literaturmeinung übersehen, dass die vorgesetzte<br />
<strong>Stelle</strong> eine Entscheidung <strong>nach</strong> billigem Ermessen treffen muss, die insbeson<strong>der</strong>e auch die Interessen <strong>des</strong><br />
Auftragnehmers zu beobachten hat. Seit Bestehen <strong>des</strong> § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B ist durch den dogmatischen<br />
Irrweg <strong>der</strong> Literatur ein volkswirtschaftlicher Milliardenschaden entstanden.<br />
1. Ablauf<br />
Das Verfahren <strong>nach</strong> § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B gilt <strong>nach</strong> dem Wortlaut für Verträge <strong>mit</strong> Behörden (§ <strong>18</strong> Nr. 2<br />
Abs. 1 Satz 1 VOB/B). Zweck <strong>des</strong> <strong>Verfahrens</strong> ist die Vermeidung eines Gerichtsverfahrens 1 . Bei Meinungsverschiedenheiten<br />
kann <strong>der</strong> Auftragnehmer die vorgesetzte <strong>Stelle</strong> anrufen (§ <strong>18</strong> Nr. 2 Abs. 1 Satz 1<br />
VOB/B). Die vorgesetzte <strong>Stelle</strong> soll dem Auftragnehmer Gelegenheit zu mündlichen Aussprache geben<br />
und die Meinungsverschiedenheit innerhalb von 3 Monaten <strong>nach</strong> <strong>der</strong> Anrufung schriftlich bescheiden<br />
(§ <strong>18</strong> Nr. 2 Abs. 1 Satz 2 VOB/B). Die Entscheidung gilt als anerkannt, wenn <strong>der</strong> Auftraggeber nicht<br />
innerhalb von 3 Monaten <strong>nach</strong> Eingang <strong>des</strong> Beschei<strong>des</strong> schriftlich Einspruch beim Auftraggeber erhebt,<br />
1 Der Autor ist Rechtsanwalt und Wirtschaftsmediator.<br />
1 Kratzenberg, in: Institut für Bauwirtschaft und Baubetrieb (2007), S. 115, 119.<br />
1 Bun<strong>des</strong>ministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Erläuterung <strong>der</strong> Än<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> VOB/B 2006 v. 14.9.2006, IBR-online;<br />
Deutschen Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen (DVA), Beschluss Hauptausschuss Allgemeines zur Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong><br />
VOB Teil B v. 27.6.2006, IBR-online.<br />
2 Merkens, NZBau 2008, 150, 150.<br />
1 BGH, Urteil v. 28.2.2002 – VII ZR 455/00 –, NJW 2002, 1488, 1488; Kniffka/Koeble, Kompendium, 14 Rdnr. 16; Nicklisch/Weick,<br />
VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 12; Kratzenberg, NZBau 2006, 601, 605; Joussen, in: Ingenstau/Korbion, B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 12; Merkens, in:<br />
Kapellmann/Messerschmidt, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 16; Merkens, NZBau 2008, 150, 151; Zanner/Franke, in: Franke/Kemper/Zanner/<br />
Grünhagen, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 28; Zerhusen, Außergerichtliche Streitbeilegung, Rdnr. 196; Bewersdorf, in: Ganten/Jagenburg, Motzke,<br />
VOB/B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 1; Reineke, IBR 1996, 67, 67; Heiermann, in: Heiermann/Riedl/Rusam, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 9; Daub/Piel/<br />
Soergel/Steffani, VOB, ErlZ B <strong>18</strong>.19; Franz/Schirmer, in: Leinemann, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 35.<br />
Baurecht (Zeitschrift)<br />
© Wolters Kluwer Deutschland
Baurecht (Zeitschrift) Seite 2 von 13<br />
Baurecht (Zeitschrift) > Jahr 2009 > Heft 11 > Aufsätze > Ziviles Baurecht > Lembcke: <strong>Rechtsnatur</strong> <strong>des</strong> <strong>Verfahrens</strong> <strong>mit</strong> <strong>der</strong> <strong>vorgesetzten</strong><br />
<strong>Stelle</strong> <strong>nach</strong> § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B (Seite 1666 - 1674) ><br />
soweit <strong>der</strong> Auftragnehmer auf diese Rechtsfolge im Bescheid hingewiesen wurde (§ <strong>18</strong> Nr. 2 Abs. 1<br />
Satz 3 i.V.m. § <strong>18</strong> Nr. 2 Abs. 1 Satz 2 VOB/B).<br />
2. <strong>Rechtsnatur</strong> <strong>des</strong> <strong>Verfahrens</strong><br />
a) Meinungsstand<br />
Seite: 1667<br />
Die Literatur ist sich hinsichtlich <strong>der</strong> <strong>Rechtsnatur</strong> <strong>des</strong> § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B uneinig und hat bislang keinen<br />
ganzheitlichen Lösungsansatz zu finden vermocht. Kaiser hat "Die vertragsrechtliche Bedeutung <strong>des</strong><br />
§ <strong>18</strong> Nr. 2 Satz 3 VOB/B" schon vor über 30 Jahren grundlegen<strong>der</strong> beleuchtet 1 . Er ist zu dem Schluss<br />
gekommen, dass es sich bei dem Bescheid <strong>der</strong> <strong>vorgesetzten</strong> <strong>Stelle</strong> grundsätzlich um "eine rechtsgeschäftliche<br />
Erklärung" 2 handelt. Kaiser hat verschiedene Fallgruppen gebildet, anhand <strong>der</strong>er er dann die<br />
Rechtsqualität dieses "Angebotes" bestimmt 3 . Es reiche in <strong>der</strong> Rechtsfolge von einem<br />
Abän<strong>der</strong>ungs- 4 über Anerkenntnis- 5 und Erlass- 6 , bis hin zu einem Vergleichsvertrag 7 . Teilweise sieht<br />
Kaiser aber auch "keine beson<strong>der</strong>e rechtsgeschäftliche Bedeutung" im Bescheid <strong>der</strong> <strong>vorgesetzten</strong> <strong>Stelle</strong><br />
8 , wobei hier übersehen wird, dass für diese Fallgruppe ein Angebot hinsichtlich eines Feststellungsvertrages<br />
in Betracht käme 9 .<br />
Die Literatur ist <strong>der</strong> Angebotsqualität <strong>des</strong> Beschei<strong>des</strong> <strong>der</strong> <strong>vorgesetzten</strong> <strong>Stelle</strong> gefolgt 1 . Gegen die Annahme<br />
eines Schuldanerkenntnisses o<strong>der</strong> eines Schuldversprechens durch Schweigen wird hingegen<br />
eingewendet, dass die Schriftform nicht gewahrt sei 2 . Zudem gehe § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B nicht von einem<br />
Vergleich aus 3 . Eine bloße Empfehlung, sich auf einen bestimmten Betrag zu einigen, könne nicht Inhalt<br />
<strong>des</strong> Bescheids sein 4 . Der Antrag <strong>des</strong> Auftragnehmers habe nur die Rechtsqualität einer "invitatio ad<br />
offerendum" 5 .<br />
1 Kaiser, BB 1978, 1548, 1548 ff.<br />
2 Kaiser, BB 1978, 1548, 1549; Nicklisch/Weick, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 16; Bewersdorf, in: Ganten/Jagenburg, Motzke, VOB/B, § <strong>18</strong> Nr. 2<br />
Rdnr. 37; Heiermann, in: Heiermann/Riedl/Rusam, VOB, B, § <strong>18</strong> Rdnr. 12; Daub/Piel/Soergel/Steffani, VOB, ErlZ B <strong>18</strong>.25; Franz/<br />
Schirmer, in: Leinemann, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 40.<br />
3 Diesem folgend Bewersdorf, in: Ganten/Jagenburg, Motzke, VOB/B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 35 ff.<br />
4 Nicklisch/Weick, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr.<br />
5 Joussen, in: Ingenstau/Korbion, B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 23; Zerhusen, Außergerichtliche Streitbeilegung, Rdnr. 211; Bewersdorf, in: Ganten/<br />
Jagenburg, Motzke, VOB/B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 36; Franz/Schirmer, in: Leinemann, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 40; a. A. Heiermann, in: Heiermann/Riedl/Rusam,<br />
VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 14.<br />
6 Nicklisch/Weick, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 16.<br />
7 Joussen, in: Ingenstau/Korbion, B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 23; Zerhusen, Außergerichtliche Streitbeilegung, Rdnr. 211; Franz/Schirmer, in:<br />
Leinemann, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 40.<br />
8 Kaiser, BB 1978, 1548, 1549.<br />
9 Zutreffend insoweit Bewersdorf, in: Ganten/Jagenburg, Motzke, VOB/B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 36; Nicklisch/Weick, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 16.<br />
1 Nicklisch/Weick, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 16; Joussen, in: Ingenstau/Korbion, B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 23; Merkens, in: Kapellmann/Messerschmidt,<br />
VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 27; Merkens, NZBau 2008, 150, 151; Zanner/Franke, in: Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen, VOB/B,<br />
§ <strong>18</strong> Rdnr. 35; Zerhusen, Außergerichtliche Streitbeilegung, Rdnr. 211.<br />
2 Zanner/Franke, in: Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 41.<br />
3 Zanner/Franke, in: Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 41.<br />
Baurecht (Zeitschrift)<br />
© Wolters Kluwer Deutschland
Baurecht (Zeitschrift) Seite 3 von 13<br />
Baurecht (Zeitschrift) > Jahr 2009 > Heft 11 > Aufsätze > Ziviles Baurecht > Lembcke: <strong>Rechtsnatur</strong> <strong>des</strong> <strong>Verfahrens</strong> <strong>mit</strong> <strong>der</strong> <strong>vorgesetzten</strong><br />
<strong>Stelle</strong> <strong>nach</strong> § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B (Seite 1666 - 1674) ><br />
Sehr nebulös wird das Zustandekommen <strong>des</strong> Vertrages beschrieben: Die Rechtswirkungen träten "kraft<br />
vertraglicher Vereinbarung zwischen den Parteien über die Einbeziehung <strong>des</strong> Verfahren <strong>nach</strong> § <strong>18</strong> Nr. 2<br />
VOB/B" 1 ein o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Bescheid hätte "als Vereinbarung zu gelten" 2 . An<strong>der</strong>e meinen, § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/<br />
B "entspricht einer rechtswirksamen außervertraglichen Vereinbarung, die da<strong>mit</strong> für beide Seiten bindend<br />
ist" 3 . Konkretisierend meinen an<strong>der</strong>e, ein ausdrücklich erklärtes Einverständnis <strong>des</strong> Auftraggebers<br />
sei als Annahme zu werten 4 . Die "Unterlassung <strong>des</strong> ordnungsgemäßen Einspruches" sei als<br />
"Einverständniserklärung <strong>des</strong> Auftragnehmers <strong>mit</strong> dem Inhalt <strong>des</strong> Bescheids" 5 über § <strong>18</strong> Nr. 2 Abs. 1<br />
VOB/B zu fingieren 6 . Daneben wird dann noch betont, § <strong>18</strong> Nr. 2 Abs. 1 Satz 3 VOB/B erhalte "den<br />
Verzicht <strong>des</strong> Auftraggebers auf den Zugang <strong>der</strong> Annahmeerklärung (…) gemäß § 151 Satz 1 BGB" 7 .<br />
An<strong>der</strong>e wenden ein, § 151 Satz 1 BGB sei nicht anwendbar, weil "<strong>der</strong> Auftragnehmer <strong>der</strong> Anerkennende<br />
bzw. Versprechende" 8 sei o<strong>der</strong> weil das Angebot <strong>der</strong> Behörde grundsätzlich <strong>nach</strong> § 146 BGB<br />
erlösche 9 . Auch wird in diesem Zusammenhang eine "unwi<strong>der</strong>legliche Vermutung" erwogen 10 . Vertreten<br />
wird auch, <strong>der</strong> Auftragnehmer nehme das Angebot "durch schlüssiges Verhalten" 11 an. Dagegen<br />
wird eingewendet, § <strong>18</strong> Nr. 2 Abs. 1 Satz 3<br />
Seite: 1668<br />
VOB/B diene nur als Beweiserleichterung, weil das Schuldverhältnis nicht dem Streit entzogen<br />
werde 12 . Für den erheblichen Bescheidungsteil <strong>der</strong> Praxis gehe § <strong>18</strong> Nr. 2 Abs. 1 Satz 3 VOB/B ins<br />
Leere, da "kein Angebot im vertragsrechtlichen Sinn" 13 vorläge. An<strong>der</strong>e sehen insbeson<strong>der</strong>e für die<br />
Annahme eines Schuldanerkenntnisses o<strong>der</strong> Schuldversprechens die Schriftform als nicht gewahrt 14 .<br />
4 Joussen, in: Ingenstau/Korbion, B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 16.<br />
5 Bewersdorf, in: Ganten/Jagenburg, Motzke, VOB/B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 38.<br />
1 Merkens, in: Kapellmann/Messerschmidt, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 27.<br />
2 Daub/Piel/Soergel/Steffani, VOB, ErlZ B <strong>18</strong>.25.<br />
3 Kuss, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 14.<br />
4 Joussen, in: Ingenstau/Korbion, B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 23; Zerhusen, Außergerichtliche Streitbeilegung, Rdnr. 211.<br />
5 Joussen, in: Ingenstau/Korbion, B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 23.<br />
6 Kaiser, BB 1978, 1548, 1550; Heiermann, in: Heiermann/Riedl/Rusam, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 12; Kiesel, NJW 2002, 2064, 2066; Voit,<br />
in: Messerschmidt/Voit, VOB Teil B, § <strong>18</strong> Rdnr. 2; a. A. Bewersdorf, in: Ganten/Jagenburg, Motzke, VOB/B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 33.<br />
7 Joussen, in: Ingenstau/Korbion, B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 23; zustimmend Zerhusen, Außergerichtliche Streitbeilegung, Rdnr. 211. Ähnlich<br />
auch Heiermann, in: Heiermann/Riedl/Rusam, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 14.<br />
8 Zanner/Franke, in: Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 41; wohl auch Merkens, in: Kapellmann/Messerschmidt,<br />
VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 27.<br />
9 Kaiser, BB 1978, 1548, 1550.<br />
10 Bewersdorf, in: Ganten/Jagenburg, Motzke, VOB/B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 33; Nicklisch/Weick, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 17.<br />
11 Weick, Standardvertragsbedingungen, S. 225.<br />
12 Zanner/Franke, in: Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 41; zustimmend Heiermann, in: Heiermann/Riedl/Rusam,<br />
VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 14.<br />
13 Kaiser, BB 1978, 1548, 1550.<br />
14 Heiermann, in: Heiermann/Riedl/Rusam, VOB, B, § <strong>18</strong> Rdnr. 14.<br />
Baurecht (Zeitschrift)<br />
© Wolters Kluwer Deutschland
Baurecht (Zeitschrift) Seite 4 von 13<br />
Baurecht (Zeitschrift) > Jahr 2009 > Heft 11 > Aufsätze > Ziviles Baurecht > Lembcke: <strong>Rechtsnatur</strong> <strong>des</strong> <strong>Verfahrens</strong> <strong>mit</strong> <strong>der</strong> <strong>vorgesetzten</strong><br />
<strong>Stelle</strong> <strong>nach</strong> § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B (Seite 1666 - 1674) ><br />
Es wird deutlich, dass eine Willenseinigung <strong>der</strong> Parteien erheblich Schwierigkeiten in <strong>der</strong> dogmatischen<br />
Begründung <strong>nach</strong> sich zieht. Dabei wird völlig verkannt, dass es auch Rechtsinstitute gibt, bei denen<br />
diese entbehrlich ist 1 und trotzdem positive o<strong>der</strong> negative Schuldanerkenntnisse, sei es durch Vergleich<br />
o<strong>der</strong> Teilerlass, herbeigeführt werden können 2 . Bei diesen Rechtsinstituten tritt an die <strong>Stelle</strong> <strong>des</strong> zweiseitigen<br />
Vertrages, die einseitige Gestaltung 3 , weil <strong>der</strong> zweiseitige Vertrag antizipiert ist.<br />
b) Leistungsbestimmung<br />
aa) Parteiwille<br />
Zunächst sollte <strong>der</strong> Parteiwille <strong>nach</strong> den §§ 133, 157 BGB im Hinblick auf § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B ausgelegt<br />
werden, da<strong>mit</strong> in einem zweiten Schritt eine dogmatische Einordnung <strong>des</strong> <strong>Verfahrens</strong> gelingt (bb) –<br />
denn auch die Regelungen <strong>der</strong> VOB/B sind <strong>der</strong> Auslegung zugänglich 1 .<br />
(1) Bescheid <strong>der</strong> <strong>vorgesetzten</strong> <strong>Stelle</strong><br />
(a) Wortlaut<br />
Vom Wortlaut <strong>des</strong> § <strong>18</strong> Nr. 2 Abs. 1 Satz 3 VOB/B ist "Entscheidung" zunächst einmal etwas Verbindliches<br />
und nicht nur eine Empfehlung o<strong>der</strong> ein Vergleichsvorschlag 1 . Entscheidungen entfalten im<br />
Gegensatz zu Angeboten zudem un<strong>mit</strong>telbare Rechtswirkungen. Betrachtet man den administrativen<br />
Charakter <strong>des</strong> <strong>Verfahrens</strong>, so wird deutlich, dass <strong>mit</strong> "bescheiden" (§ <strong>18</strong> Nr. 2 Abs. 1 Satz 2 VOB/B)<br />
grundsätzlich Verwaltungsakt-ähnliche Rechtsinstitute gemeint sind und nicht etwa die Andienung eines<br />
öffentlich-rechtlichen Vertrages. Verwaltungsakte zeichnen sich u. a. dadurch aus, dass eine "un<strong>mit</strong>telbare<br />
Rechtswirkung <strong>nach</strong> außen" (§ 35 Satz 1 VwVfG) eintritt, wobei die Behörde an Recht und Gesetz<br />
gebunden ist (Art. 20 Abs. 3 GG). Bei einem Angebot ist dieses aber gerade nicht <strong>der</strong> Fall, da es inhaltlich<br />
grundsätzlich an keine Maßstäbe gebunden ist, ver<strong>nach</strong>lässigt man an dieser <strong>Stelle</strong> einmal die §§ 138,<br />
242 BGB als äußerste Grenze. Da die öffentlich-rechtliche Rechtsmaterie aber nur terminologisch in<br />
den VOB/B-Vertrag Eingang gefunden hat, ist die Lösung in privatrechtlichen Kategorien zu<br />
suchen 2 . Fest steht aber, dass die Entscheidung Entscheidungscharakter hat und <strong>nach</strong> Maßstäben getroffen<br />
sein muss, die Recht und Gesetz beobachten. So werden etwa Vereinsverwaltungsakte als<br />
Leistungsbestimmungsrecht qualifiziert 3 . Diese Feststellungen stehen dem von <strong>der</strong> herrschenden Meinung<br />
vermuteten Angebotscharakter <strong>der</strong> Entscheidung entgegen.<br />
(b) Systematische Auslegung<br />
Das Verfahren <strong>nach</strong> § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B ist unter <strong>der</strong> Überschrift "Streitigkeiten" geregelt. § <strong>18</strong> Nr. 1<br />
VOB/B enthält Regelungen zum Gerichtsverfahren. § <strong>18</strong> Nr. 4 VOB/B regelt die material-technische<br />
Untersuchung, die rechtsdogmatisch als Schiedsgutachtenverfahren zu verorten ist. § <strong>18</strong> Nr. 3 VOB/B<br />
regelt unter Bezugnahme auf § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B die Möglichkeit weitere Verfahren zur Streitbeilegung<br />
1 MünchKomm.-Gottwald, BGB, § 315 Rdnr. 4.<br />
2 Rieble, in: Staudinger (2004), § 315 Rdnr. 56.<br />
3 Rieble, in: Staudinger (2004), § 315 Rdnr. 73.<br />
1 Kapellmann, NJW 2008, 257, 257 ff.<br />
1 Joussen, in: Ingenstau/Korbion, B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 16; a. A. wohl Zerhusen, Außergerichtliche Streitbeilegung, Rdnr. 198; Bewersdorf,<br />
in: Ganten/Jagenburg, Motzke, VOB/B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr.<br />
2 Joussen, in: Ingenstau/Korbion, B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr.<br />
3 MünchKomm.-Gottwald, BGB, § 315 Rdnr. 27.<br />
Baurecht (Zeitschrift)<br />
© Wolters Kluwer Deutschland
Baurecht (Zeitschrift) Seite 5 von 13<br />
Baurecht (Zeitschrift) > Jahr 2009 > Heft 11 > Aufsätze > Ziviles Baurecht > Lembcke: <strong>Rechtsnatur</strong> <strong>des</strong> <strong>Verfahrens</strong> <strong>mit</strong> <strong>der</strong> <strong>vorgesetzten</strong><br />
<strong>Stelle</strong> <strong>nach</strong> § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B (Seite 1666 - 1674) ><br />
aufzunehmen. Die systematische Auslegung zeigt, dass § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B von materiellen und prozessualen<br />
Regelung zur Beilegung von Streitigkeiten umgeben ist, die allesamt Verfahren regeln. Insoweit<br />
ist das Verfahren <strong>nach</strong> § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B als "Schiedsstelle" 1 o<strong>der</strong> als "Schlichtungsverfahren" 2 zu<br />
verorten – als materielles Prozessrecht.<br />
(c) Sinn und Zweck<br />
Seite: 1669<br />
Von <strong>der</strong> Rechtsprechung und dem Schrifttum wird als Sinn und Zweck <strong>des</strong> <strong>Verfahrens</strong> <strong>mit</strong> <strong>der</strong> <strong>vorgesetzten</strong><br />
<strong>Stelle</strong> die Vermeidung eines Gerichtsverfahrens als Auslegungshilfe fruchtbar gemacht 1 . Die<br />
Vermeidung eines Gerichtsverfahrens ist nicht nur eine berechtigte Erwartung <strong>des</strong> Auftragnehmers 2 ;<br />
auch <strong>der</strong> Auftraggeber will als staatliche Organisationseinheit keine staatlichen Mittel<br />
verschwänden 3 , we<strong>der</strong> solche <strong>des</strong> Justizhaushaltes, noch eigene Aufwendungen für eine gerichtliche<br />
Auseinan<strong>der</strong>setzung in Gestalt von Rechtsanwalts- und Privatgutachterkosten, sowie Kosten für eigenes<br />
Personal, das lange Zeit durch einen Rechtsstreit gebunden werden kann.<br />
Legt man diese Auslegungsgrundsätze auch für den Inhalt <strong>der</strong> Entscheidung <strong>der</strong> <strong>vorgesetzten</strong> <strong>Stelle</strong> an,<br />
so wird deutlich, dass die Entscheidung jedenfalls so beschaffen sein muss, als ein Gerichtsverfahren<br />
vermeidbar scheint. Dieses wird nur <strong>der</strong> Fall sein, wenn die Entscheidung nicht <strong>mit</strong> einem Einspruch<br />
<strong>des</strong> Auftraggebers i. S. von § <strong>18</strong> Nr. 2 Abs. 1 Satz 3 VOB/B beantwortet wird, weil dann ein Gerichtsverfahren<br />
endgültige Klärung herbeiführen kann. Hieraus folgt, dass die Entscheidung für den Auftragnehmer<br />
grundsätzlich "annehmbar" sein muss, um <strong>mit</strong> den Worten <strong>der</strong> Literatur zu sprechen.<br />
Zutreffen<strong>der</strong> formuliert muss die Entscheidung einspruchslos akzeptiert werden können. Der Bescheid<br />
muss also grundsätzlich <strong>der</strong> materiellen Rechtslage entsprechen, sodass bei feststellenden Bescheiden<br />
eine "richtige" Feststellung gewollt ist 1 . Bei vertragsergänzenden o<strong>der</strong> vertragsän<strong>der</strong>nden Bescheiden<br />
wird man grundsätzlich eine ausgewogene, den Interessenausgleich berücksichtigende Entscheidung als<br />
vereinbart sehen müssen, da insoweit keine rechtlich richtige Entscheidung möglich ist. Nur so wird<br />
man <strong>der</strong> Parteiintention <strong>des</strong> arbitrium boni viri gerecht.<br />
Weicht die Entscheidung <strong>der</strong> <strong>vorgesetzten</strong> <strong>Stelle</strong> von diesem Entscheidungsmaßstab ab, wird man aber<br />
noch nicht zwingend <strong>mit</strong> einem Einspruch <strong>des</strong> Auftragnehmers zu rechnen haben. Dieser wird im Zuge<br />
einer ökonomischen Analyse prüfen, welches Ergebnis er <strong>mit</strong> welchem Aufwand innerhalb eines Gerichtsverfahrens<br />
erzielen können wird, ob also ein Scheitern <strong>des</strong> <strong>Verfahrens</strong> für ihn günstiger wäre (Best<br />
1 BGH, Urteil v. 28.2.2002 – VII ZR 455/00 –, NJW 2002, 1488, 1488; Ebersbach, IBR 1996, 275, 275; Kuss, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 23.<br />
2 Schulze-Hagen, IBR 1995, 63, 63; Wiesel, IBR 2004, 55, 55; Kratzenberg, IBR 2002, 342, 342; Zanner/Franke, in: Franke/Kemper/<br />
Zanner/Grünhagen, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 26; Joussen, in: Ingenstau/Korbion, B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 1; Bewersdorf, in: Ganten/Jagenburg/<br />
Motzke, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 28; Dähne, IBR 2000, 529, 529.<br />
1 BGH, Urteil v. 28.2.2002 – VII ZR 455/00 –, NJW 2002, 1488, 1488; Kniffka/Koeble, Kompendium, 14 Rdnr. 16; Nicklisch/Weick,<br />
VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 12; Kratzenberg, NZBau 2006, 601, 605; Joussen, in: Ingenstau/Korbion, B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 12; Merkens, in:<br />
Kapellmann/Messerschmidt, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 16; Merkens, NZBau 2008, 150, 151; Zanner/Franke, in: Franke/Kemper/Zanner/<br />
Grünhagen, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 28; Zerhusen, Außergerichtliche Streitbeilegung, Rdnr. 196; Bewersdorf, in: Ganten/Jagenburg, Motzke,<br />
VOB/B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 1; Reineke, IBR 1996, 67, 67; Heiermann, in: Heiermann/Riedl/Rusam, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 9; Daub/Piel/<br />
Soergel/Steffani, VOB, ErlZ B <strong>18</strong>.19; Franz/Schirmer, in: Leinemann, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 35.<br />
2 Joussen, in: Ingenstau/Korbion, B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 6; Franz/Schirmer, in: Leinemann, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 35.<br />
3 Bewersdorf, in: Ganten/Jagenburg, Motzke, VOB/B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 1; Joussen, in: Ingenstau/Korbion, B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 3; Zerhusen,<br />
Außergerichtliche Streitbeilegung, Rdnr. 196.<br />
1 "Unvoreingenommen und sachlich", vgl. Kuss, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 12.<br />
Baurecht (Zeitschrift)<br />
© Wolters Kluwer Deutschland
Baurecht (Zeitschrift) Seite 6 von 13<br />
Baurecht (Zeitschrift) > Jahr 2009 > Heft 11 > Aufsätze > Ziviles Baurecht > Lembcke: <strong>Rechtsnatur</strong> <strong>des</strong> <strong>Verfahrens</strong> <strong>mit</strong> <strong>der</strong> <strong>vorgesetzten</strong><br />
<strong>Stelle</strong> <strong>nach</strong> § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B (Seite 1666 - 1674) ><br />
Alternative to Negotiated Agreement). Bedenkt man, dass Bauprozesse unkalkulierbar sind, sich über<br />
Jahre hinziehen können und entsprechende Kosten verursachen, hingegen für den Auftragnehmer ein<br />
schneller Liquiditätsfluss von großer Bedeutung ist, wird dieser auch Entscheidungen einspruchslos<br />
hinnehmen, die nicht gänzlich "richtig" sind o<strong>der</strong> einen vollständig ausgewogenen Interessenausgleich<br />
beinhalten. Der Auftragnehmer wird auch eine Entscheidung akzeptieren, die "nur" billiges Ermessen<br />
beobachtet 1 , weil er selbst im Falle <strong>des</strong> vollständigen Obsiegens <strong>mit</strong> hohen, nicht ersatzfähigen Kosten<br />
belastet wird 2 .<br />
Nach allem muss <strong>der</strong> Parteiwille dahingehend ausgelegt werden, als dass die vorgesetzte <strong>Stelle</strong> eine<br />
Entscheidung <strong>nach</strong> billigem Ermessen zu treffen hat, die auch für den Auftragnehmer bindend sein soll.<br />
Gegen die Annahme <strong>des</strong> Parteiwillens einer Bindungswirkung spricht nicht, dass die Rechtsordnung<br />
grundsätzlich den zweiseitigen Vertrag vorsieht und ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht Ausnahmecharakter<br />
hat. Dem Auftragnehmer steht es frei, sich um die Leistung <strong>mit</strong> dem Auftraggeber zu<br />
streiten, weil er das Verfahren einleiten "kann" (§ <strong>18</strong> Nr. 2 Abs. 1 Satz 1 VOB/B). Das Leistungsbestimmungsrecht<br />
ist daher (einseitig) fakultativ ausgestaltet und wird erst durch den Antrag <strong>des</strong> Auftragnehmers<br />
ausgelöst. Dem Auftraggeber bleibt also unbenommen die Leistungsbestimmung zu umgehen.<br />
Hierin liegt ein wichtiger Unterschied zu §§ 1 Nr. 3 und<br />
Seite: 1670<br />
Nr. 4 Satz 1 VOB/B 1 . Zudem beinhaltet § 316 BGB eine Vermutung, dass ein Leistungsbestimmungsrecht<br />
vereinbart ist 2 .<br />
(2) Pflicht zur Bescheidung<br />
Der Auftragnehmer hat die berechtigte Erwartung, dass er einen entsprechenden Bescheid erhält, wenn<br />
er die vorgesetzte <strong>Stelle</strong> anruft und den Sachverhalt entsprechend vorher aufbereitet hat. Er ist hierfür<br />
regelmäßig <strong>mit</strong> juristischem und fachtechnischem Rat finanziell erheblich belastet worden 1 . Die auftraggebende<br />
<strong>Stelle</strong> hat nicht nur eine Auskunftspflicht, welche <strong>Stelle</strong> als vorgesetzte <strong>Stelle</strong> anzusehen<br />
ist und setzt sich im Falle <strong>der</strong> Verletzung einem Schadensersatzanspruch aus 2 . Auch durch eine pflichtwidrige<br />
o<strong>der</strong> gar ausbleibende Entscheidung wird <strong>der</strong> Zweck von § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B gefährdet: Es geht<br />
um die Vermeidung einer gerichtlichen Auseinan<strong>der</strong>setzung.<br />
Der Auftragnehmer hat bei rechtsdogmatisch zutreffen<strong>der</strong> Einordnung <strong>des</strong> § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B zudem<br />
diese effiziente Möglichkeit <strong>der</strong> Streitbeilegung in seiner Kalkulation berücksichtigt. Er will daher auch<br />
für den Fall, dass nicht, verspätet o<strong>der</strong> fehlerhaft über seine Meinungsverschiedenheit beschieden wird,<br />
sich beim öffentlichen Auftraggeber schadlos halten. Er will den Verzugsschaden kompensiert wissen<br />
1 Ähnlich Joussen, in: Ingenstau/Korbion, B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 6: "(…) unbedingt einer ernsthafte, allein von sachlichen Gesichtspunkten<br />
und in objektiver Betrachtungsweiseausgerichtete Verhandlungsbereitschaft".<br />
2 10 % <strong>des</strong> Streitwertes bis zum Klageantrag nur an Dokumentationskosten, vgl. Jung/Steding, BB-Beil. 2001, 2, 9, 13.<br />
1 Siehe unten.<br />
2 Mayer-Maly, in: Staudinger (1979), § 316 Rdnr. 6; Medicus, in: Prütting/Wegen/Weinreich, § 316 BGB Rdnr. 1.<br />
1 Dieses verkennen Merkens, in: Kapellmann/Messerschmidt, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. <strong>18</strong>; Merkens, NZBau 2008, 150, 151; Joussen, in:<br />
Ingenstau/Korbion, B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 2: "Rechts<strong>nach</strong>teile entstehen dadurch keiner Partei".<br />
2 Nicklisch/Weick, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 15; Joussen, in: Ingenstau/Korbion, B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 12; Merkens, in: Kapellmann/Messerschmidt,<br />
VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 19; Merkens, NZBau 2008, 150, 151; Zanner/Franke, in: Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen, VOB/B,<br />
§ <strong>18</strong> Rdnr. 32; Bewersdorf, in: Ganten/Jagenburg, Motzke, VOB/B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 12; Daub/Piel/Soergel/Steffani, VOB, ErlZ B<br />
<strong>18</strong>.23; Franz/Schirmer, in: Leinemann, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 37.<br />
Baurecht (Zeitschrift)<br />
© Wolters Kluwer Deutschland
Baurecht (Zeitschrift) Seite 7 von 13<br />
Baurecht (Zeitschrift) > Jahr 2009 > Heft 11 > Aufsätze > Ziviles Baurecht > Lembcke: <strong>Rechtsnatur</strong> <strong>des</strong> <strong>Verfahrens</strong> <strong>mit</strong> <strong>der</strong> <strong>vorgesetzten</strong><br />
<strong>Stelle</strong> <strong>nach</strong> § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B (Seite 1666 - 1674) ><br />
und auch den Schaden, <strong>der</strong> ihm dadurch erwächst, dass er ersatzweise die Meinungsverschiedenheit<br />
gerichtlich klären lassen muss, anstatt in den Genuss <strong>des</strong> kostenlosen und schnellen Schlichtungsverfahrens<br />
<strong>nach</strong> § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B zu kommen.<br />
Der Parteiwille ist <strong>mit</strong>hin so auszulegen, dass eine Entscheidungspflicht <strong>der</strong> Behörde gewollt ist.<br />
bb) Rechtsdogmatische Einordnung<br />
(1) Materielles Prozessrecht<br />
Das Verfahren <strong>mit</strong> <strong>der</strong> <strong>vorgesetzten</strong> <strong>Stelle</strong> wird zutreffend vom Bun<strong>des</strong>gerichtshof als<br />
"Schiedsstelle" 1 o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Literatur als "Schlichtungsverfahren" 2 bezeichnet. Auch werden an<strong>der</strong>en<br />
Drittentscheidungsverfahren erwogen 3 . Es geht daher bei § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B um <strong>Verfahrens</strong>recht. Hierzu<br />
passt die rechtsdogmatische Einordnung <strong>der</strong> herrschenden Literaturmeinung, die in <strong>der</strong> Entscheidung<br />
<strong>der</strong> Behörde ein Angebot erblickt, wenig. Die vorgesetzte <strong>Stelle</strong> steht zwar im Lager <strong>des</strong> Auftraggebers<br />
4 , gleichwohl ist sie an Recht und Gesetz gebunden. Dieses verleiht ihr jedenfalls mehr Unabhängigkeit<br />
und Neutralität, als etwa den Aufsichtsgremien einer privatrechtlich organisierten Gesellschaft.<br />
Auch wenn die vorgesetzte <strong>Stelle</strong> nicht Dritter ist und <strong>des</strong>wegen keine Einordnung als Schiedsgutachten<br />
in Betracht kommt 5 , so ist doch bemerkenswert, dass bereits Kaiser festgestellt hat, dass § <strong>18</strong> Nr. 2<br />
VOB/B "unserem Zivilrechtssystem durchaus nicht fremd" 6 ist und auf § 317 BGB verwiesen hat. Auch<br />
will Kaiser bei unverschuldeter Versäumung <strong>der</strong> Einspruchsfrist sogar die Regelungen <strong>der</strong> §§ 233 ff.<br />
ZPO analog anwenden und erwägt ein Rechtsschutzbedürfnis als Zulässigkeitsvoraussetzung 7 – alles<br />
Aspekte, die rein prozessualen Charakter haben. Nach diesen erhellenden Erkenntnissen eines materiellen<br />
Prozessrechts ist Kaiser aber wie<strong>der</strong> in das Dunkel <strong>des</strong> allgemeinen VOB/B Dilemmas abgeglitten:<br />
Die VOB/B regelt in erster Linie rechtsstarr die gegenseitigen Rechte und Pflichten <strong>der</strong> Bauvertragsparteien<br />
und beinhaltet nur vorsichtige Ansätze eines materiellen Prozessrechts. Gleichwohl gibt es aber<br />
auch diese Elemente einer contract administration, die zwar weniger ausgeprägt sind, aber dennoch<br />
nicht durch dogmatische Irrwege verwässert<br />
Seite: 1671<br />
werden dürfen. Ich habe in diesem Zusammenhang einmal das Engineer-Verfahren 1 <strong>nach</strong> den FIDIC-<br />
Bedingungen dem Verfahren <strong>nach</strong> § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B gegenübergestellt 2 (und nicht verglichen) – lei<strong>der</strong><br />
wurde mir nur bescheinigt, dass dieses "hemmungslos und sachfremd" 3 sei.<br />
1 BGH, Urteil v. 28. 2002 – VII ZR 455/00 –, NJW 2002, 1488, 1488; Ebersbach, IBR 1996, 275, 275; Kuss, VOB, B, § <strong>18</strong> Rdnr. 23.<br />
2 Schulze-Hagen, IBR 1995, 63, 63; Wiesel, IBR 2004, 55, 55; Kratzenberg, IBR 2002, 342, 342; Zanner/Franke, in: Franke/Kemper/<br />
Zanner/Grünhagen, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 26; Joussen, in: Ingenstau/Korbion, B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 1; Bewersdorf, in: Ganten/Jagenburg/<br />
Motzke, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 28; Dähne, IBR 2000, 529, 529.<br />
3 Joussen, in: Ingenstau/Korbion, B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 29; Heiermann, in: Heiermann/Riedl/Rusam, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 9.<br />
4 Zerhusen, Außergerichtliche Streitbeilegung, Rdnr. 197; Bewersdorf, in: Ganten/Jagenburg, Motzke, VOB/B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 10;<br />
Heiermann, in: Heiermann/Riedl/Rusam, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 16.<br />
5 Joussen, in: Ingenstau/Korbion, B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 3; Zanner/Franke, in: Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 27.<br />
6 Kaiser, BB 1978, 1548, 1548. So auch Bewersdorf, in: Ganten/Jagenburg, Motzke, VOB/B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 10.<br />
7 Kaiser, BB 1978, 1548, 1550.<br />
1 Hierzu Lembcke, IBR 2006, 1553, 1553.<br />
2 Lembcke, IBR 2006, 535, 535.<br />
Baurecht (Zeitschrift)<br />
© Wolters Kluwer Deutschland
Baurecht (Zeitschrift) Seite 8 von 13<br />
Baurecht (Zeitschrift) > Jahr 2009 > Heft 11 > Aufsätze > Ziviles Baurecht > Lembcke: <strong>Rechtsnatur</strong> <strong>des</strong> <strong>Verfahrens</strong> <strong>mit</strong> <strong>der</strong> <strong>vorgesetzten</strong><br />
<strong>Stelle</strong> <strong>nach</strong> § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B (Seite 1666 - 1674) ><br />
Dieser rechtsvergleichende Blick schärft aber beim Rückblick auf das deutsche Recht tatsächlich das<br />
Bewusstsein für selbiges und erlaubt es, sich von festgefahrenen Denkrillen zu lösen und ausgetretende<br />
Pfade zu verlassen. Der Engineer soll auch <strong>nach</strong> den FIDIC-Bedingungen als Dritter die Streitbeilegung<br />
vornehmen, obwohl er vom Auftraggeber beauftragt und bezahlt wird. Dieses Verfahren ist als eine<br />
Kategorie <strong>der</strong> Expert Determination zu verorten, dem deutschen Schiedsgutachtenrecht 1 . Konkret ist<br />
das Engineer-Verfahren als Leistungsbestimmung <strong>nach</strong> § 315 BGB zu verorten 2 . Insoweit handelt es<br />
sich bei § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B um ein dem Schiedsgutachten ähnliches 3 Rechtsinstitut: § 315 BGB eröffnet<br />
diese umfassende Schlichtungsmöglichkeit 4 .<br />
(2) § 315 BGB<br />
(a) Leistungsbestimmung durch Partei<br />
Betrachtet man den Parteiwillen, <strong>der</strong> eine Entscheidung <strong>nach</strong> billigem Ermessen von <strong>der</strong> Behörde abverlangt,<br />
so fällt <strong>der</strong> Blick auf das materielle Prozessrecht <strong>des</strong> BGB. Die §§ 317 ff. BGB bestimmen,<br />
dass die Leistung durch einen Dritten bestimmt wird. Dieser hat bei <strong>der</strong> Leistungsbestimmung billiges<br />
Ermessen zu beachten (§ 319 Abs. 1 Satz 1 BGB). Allerdings steht die vorgesetzte <strong>Stelle</strong> im Lager <strong>des</strong><br />
Auftraggebers. Soll die Leistung "durch einen <strong>der</strong> Vertragschließenden bestimmt" werden, so ist diese<br />
in § 315 Abs. 1 BGB geregelt. Unproblematisch ist, dass die vorgesetzte <strong>Stelle</strong> nicht Partei <strong>des</strong> Vertrages<br />
ist 1 . Die unilaterale Leistungsbestimmung ist "nur verbindlich, wenn sie <strong>der</strong> Billigkeit entspricht" (§ 315<br />
Abs. 3 Satz 1 BGB); die Drittleistungsbestimmung "wenn sie offenbar unbillig ist" (§ 319 Abs. 1 Satz 1<br />
BGB). Es wird deutlich, dass das Gesetz die Drittleistungsbestimmung an<strong>der</strong>s behandelt als die unilaterale<br />
Leistungsbestimmung 2 . Wegen <strong>der</strong> fehlenden Unabhängigkeit werden an die unilaterale Leistungsbestimmung<br />
höhere Anfor<strong>der</strong>ungen an die Bindungswirkung gestellt, als an eine Drittentscheidung.<br />
Dieses gilt umso mehr, als <strong>der</strong> Gesetzgeber die Parteileistungsbestimmung vor <strong>der</strong><br />
Drittleistungsbestimmung vermutet 3 . Das Verfahren <strong>nach</strong> § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B ist da<strong>mit</strong> als Leistungsbestimmung<br />
i. S. von § 315 BGB zu verorten 4 , wobei gewisse Modifikationen auf Grund <strong>des</strong> dispositiven<br />
Charakters 5 unschädlich sind. Unschädlich ist auch, dass eine Behörde die Leistungsbestimmung vor-<br />
3 Hök, ZAP 5/2007, 191, 191. Ferner Quack, BauR 2008, 1204, 1204 ff.<br />
1 Vgl. insoweit grundlegend, Borowsky, Schiedsgutachten.<br />
2 Lembcke, WiRO 2006, 321, 323.<br />
3 A. A. Joussen, in: Ingenstau/Korbion, B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 3; Zanner/Franke, in: Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen, VOB/B, § <strong>18</strong><br />
Rdnr. 27.<br />
4 Rieble, in: Staudinger (2004), § 315 Rdnr. 94.<br />
1 BGH, Urteil v. 30. 2003 – V ZR 216/02 –, Juris Rdnr. 17 = NJW-RR 2003, 1355, 1355 ff.<br />
2 Symptomatisch insoweit "dem DAB ein vorübergehen<strong>des</strong> Leistungsbestimmungsrecht i. S. <strong>des</strong> § 315 BGB" beizumessen, vgl. Boldt,<br />
Vorläufige baubegleitende Streitentscheidung, Rdnr. 855.<br />
3 Rieble, in: Staudinger (2004), § 315 Rdnr. 245.<br />
4 Lembcke, IBR 2008, 1223; wohl auch Greger/Stubbe, Schiedsgutachten, Rdnr. 53, <strong>18</strong>3 u. 249; Jansen, in: Ganten/Jagenburg, Motzke,<br />
VOB/B, § 2 Nr. 3 Rdnr. 22.<br />
5 BGH, Urteil v. 6.3.1985 – IVa ZR 171/83 –, NJW-RR 1986, 164, 164 f.; Rieble, in: Staudinger (2004), § 315 Rdnr. 62.<br />
Baurecht (Zeitschrift)<br />
© Wolters Kluwer Deutschland
Baurecht (Zeitschrift) Seite 9 von 13<br />
Baurecht (Zeitschrift) > Jahr 2009 > Heft 11 > Aufsätze > Ziviles Baurecht > Lembcke: <strong>Rechtsnatur</strong> <strong>des</strong> <strong>Verfahrens</strong> <strong>mit</strong> <strong>der</strong> <strong>vorgesetzten</strong><br />
<strong>Stelle</strong> <strong>nach</strong> § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B (Seite 1666 - 1674) ><br />
nimmt 6 . Die Gemeinsamkeiten <strong>des</strong> <strong>Verfahrens</strong> <strong>nach</strong> § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B <strong>mit</strong> dem Verwaltungsverfahren<br />
bleiben unverkennbar 7 .<br />
(b) Modifikation durch materielle Ausschlussfrist<br />
Den Literaturstimmen, die eine gewisse Zustimmungsfiktion im unterlassenen Einspruch durch den<br />
Auftragnehmer erblicken 1 , ist teilweise zu folgen.<br />
Die Parteien habe eine sofortige Rechtswirkung <strong>der</strong> Entscheidung vereinbart, wenn diese <strong>nach</strong> billigem<br />
Ermessen getroffen wurde. Da die Regelung <strong>des</strong> § <strong>18</strong> Nr. 2 Abs. 1 Satz 3 BGB dem Verwaltungsverfahren<br />
<strong>nach</strong>gebildet ist, entfaltet die Entscheidung grundsätzlich wie ein Verwaltungsakt sofort Rechtswirkungen.<br />
Es besteht auch kein Grund, den Auftragnehmer vorläufig vor den Rechtswirkungen einer<br />
Entscheidung zu schützen, da die-<br />
Seite: 1672<br />
se <strong>nach</strong> billigem Ermessen zu erfolgen hat. Wenn die Entscheidung nicht <strong>nach</strong> billigem Ermessen getroffen<br />
wurde, entfaltet sie entsprechend auch keine Rechtswirkungen.<br />
Der Auftragnehmer muss innerhalb von drei Monaten verlautbaren lassen, ob er <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Entscheidung<br />
endgültig einverstanden ist, da<strong>mit</strong> da<strong>nach</strong> Rechtssicherheit und da<strong>mit</strong> Planungssicherheit für die Beteiligten<br />
besteht. Der Auftraggeber will wissen, inwieweit er im gerichtlichen Ersatzbestimmungsverfahren<br />
<strong>nach</strong> § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB <strong>mit</strong> Nachtragsstreitigkeiten rechnen muss, da<strong>mit</strong> er diese Positionen noch<br />
in <strong>der</strong> laufenden Projektabwicklung kalkulatorisch berücksichtigen kann. Die Entscheidung <strong>der</strong> <strong>vorgesetzten</strong><br />
<strong>Stelle</strong> entfaltet daher nicht erst <strong>nach</strong> drei Monaten für den Auftragnehmer Rechtswirkungen 1 .<br />
Die Parteien haben <strong>mit</strong> § <strong>18</strong> Nr. 2 Abs. 1 VOB/B die Kontrolle <strong>der</strong> Leistungsbestimmung durch eine<br />
materielle Ausschlussfrist befristet. Wenn <strong>der</strong> Auftragnehmer nicht innerhalb von 3 Monaten Einspruch<br />
beim Auftraggeber erhebt, gilt die Entscheidung als anerkannt (§ <strong>18</strong> Nr. 2 Abs. 1 Satz 3 VOB/B). Der<br />
Inhalt <strong>des</strong> Beschei<strong>des</strong> gilt dann so, als wäre er vertraglich vereinbart worden 1 , da eine Bestätigung <strong>des</strong><br />
Auftragnehmers <strong>der</strong> Gestaltungserklärung <strong>der</strong> <strong>vorgesetzten</strong> <strong>Stelle</strong> fingiert wird 2 . Dieses gilt insbeson<strong>der</strong>e<br />
für den Fall, als die Entscheidung <strong>der</strong> <strong>vorgesetzten</strong> <strong>Stelle</strong> wegen Unbilligkeit schwebend unwirksam<br />
ist. Diese wird durch einen ausbleibenden Einspruch durch den Auftragnehmer bestätigt, wird da<strong>mit</strong><br />
endgültig wirksam und <strong>der</strong> Schwebezustand beendet. Zwar sieht das BGB einen solchen Fall ausdrücklich<br />
nur in § 660 Abs. 2 vor. Auch die Gestaltungserklärung <strong>des</strong> § 315 BGB ist aber nur relativ und da<strong>mit</strong><br />
heilbar 3 . Die Billigkeitskontrolle dient nur dem Auftragnehmer, da <strong>der</strong> Auftraggeber vor seiner eigenen<br />
Leistungsbestimmung nicht geschützt werden muss. Dem Auftragnehmer steht es frei, auf diesen Schutz<br />
6 BGH, Urteil v. <strong>18</strong>.2.1955 – V ZR 110/53 –, NJW <strong>18</strong>55, 665, 665; BVerwG, Urteil v. 19.1.1980 – 4 C 21/89 –, Juris Rdnr. 40 = BVerwGE<br />
84, 257, 257 ff.; Hager, in: Ermann, § 317 Rdnr. 3.<br />
7 MünchKomm.-Gottwald, BGB, § 315 Rdnr. 49; Lembcke, NVwZ 2008, 42, 42 ff.<br />
1 Kaiser, BB 1978, 1548, 1550; Heiermann, in: Heiermann/Riedl/Rusam, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 12; Kiesel, NJW 2002, 2064, 2066; Voit,<br />
in: Messerschmidt/Voit, VOB Teil B, § <strong>18</strong> Rdnr. 2; a. A. Bewersdorf, in: Ganten/Jagenburg, Motzke, VOB/B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 33.<br />
1 OLG Jena, Urteil v. 26.9.2007 – 2 U 227/07, IBR 2009, 485 (m. Anm. Lembcke).<br />
1 Rieble, in: Staudinger (2004), § 315 Rdnr. 66.<br />
2 Rieble, in: Staudinger (2004), § 315 Rdnr. 156.<br />
3 Ramrath, JR 1993, 309, 309 ff.; Rieble, in: Staudinger (2004), § 315 Rdnr. 153.<br />
Baurecht (Zeitschrift)<br />
© Wolters Kluwer Deutschland
Baurecht (Zeitschrift) Seite 10 von 13<br />
Baurecht (Zeitschrift) > Jahr 2009 > Heft 11 > Aufsätze > Ziviles Baurecht > Lembcke: <strong>Rechtsnatur</strong> <strong>des</strong> <strong>Verfahrens</strong> <strong>mit</strong> <strong>der</strong> <strong>vorgesetzten</strong><br />
<strong>Stelle</strong> <strong>nach</strong> § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B (Seite 1666 - 1674) ><br />
zu verzichten. Dieses zeigt etwa § 144 Abs. 1 BGB. Soweit die Entscheidung <strong>der</strong> <strong>vorgesetzten</strong> <strong>Stelle</strong><br />
nicht <strong>der</strong> Billigkeit entspricht, ist die Entscheidung daher gewissermaßen "aufschiebend bedingt".<br />
Zahlt <strong>der</strong> Auftragnehmer auf eine Entscheidung <strong>des</strong> Auftraggebers hin, kann dieses nicht zwingend als<br />
Bestätigung aufgefasst werden; etwa wenn <strong>der</strong> Auftragnehmer keine Kenntnis von <strong>der</strong> Unbilligkeit hat,<br />
kann dieses nicht angenommen werden 1 .<br />
Soweit die AGB-Kontrolle <strong>nach</strong> § 310 Abs. 1 Satz 3 BGB eröffnet ist, ergeben sich aus § 308 Nr. 5<br />
BGB keinerlei Probleme, da im Geschäftsverkehr nur § 307 BGB Anwendung findet. Insoweit zeigt<br />
§ 375 Abs. 2 Satz 3 HGB, dass eine fingierte Erklärung dem gesetzlichen Leitbild im kaufmännischen<br />
Geschäftsverkehr entspricht 1 .<br />
(c) Einseitig<br />
Dem Auftraggeber steht <strong>nach</strong> § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B kein Einspruchsrecht zu. Dieses wäre auch einigermaßen<br />
befremdlich, da er nicht vor seiner eigenen Leistungsbestimmung geschützt werden muss. Diese Regelung<br />
harmoniert <strong>mit</strong> § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB, <strong>der</strong> eine mangelnde Bindungswirkung nur "für den<br />
an<strong>der</strong>en Teil" vorsieht. Grundsätzlich führt dieses dazu, dass nur <strong>der</strong> Auftragnehmer die Bindungswirkung<br />
<strong>der</strong> Entscheidung für sich beseitigen kann (§ 315 Abs. 3 Satz 2 BGB). Der Auftraggeber bleibt<br />
auch für diesen Fall an seine Entscheidung gebunden. Es ist nicht ersichtlich, dass die Parteien insoweit<br />
einen an<strong>der</strong>en Willen haben.<br />
(d) Zwischenergebnis<br />
§ 315 Abs. 1 BGB lässt eine Leistungsbestimmung im Schuldvertrag durch eine Partei zu. Diese hat<br />
durch empfangsbedürftige Willenserklärung zu erfolgen (§ 315 Abs. 2 BGB). Der Gesetzgeber vermutet<br />
hierbei, dass <strong>der</strong> Bestimmungsberechtigte auf "billiges Ermessen" verpflichtet ist (§ 315 Abs. 1 BGB)<br />
und sieht eine gerichtliche Kontrolle <strong>des</strong>sen vor (§ 315 Abs. 3 BGB). Die Unterwerfungsvereinbarung<br />
<strong>des</strong> § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B begründet als Rechtsfolge das Leistungsbestimmungsrecht als Gestaltungsakt.<br />
Die Unterwerfung durch den Auftragnehmer erfolgt endgültig durch<br />
Seite: 1673<br />
seinen Antrag 1 . Die Ausübung <strong>des</strong> Gestaltungsaktes führt zur Konkretisierung <strong>des</strong> Bauvertrages o<strong>der</strong><br />
zu Streitbeilegung im engeren Sinne. § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B ist <strong>nach</strong> allem als Leistungsbestimmungsrecht<br />
<strong>nach</strong> § 315 Abs. 1 BGB zu verorten, das durch einen Antrag <strong>des</strong> Auftragnehmers aufschiebend bedingt<br />
ist.<br />
(3) Abgrenzung zu an<strong>der</strong>en Rechtsinstituten<br />
Voraussetzung für ein Schiedsgerichtsverfahren (§§ 1025 ff. ZPO) wäre, dass die Entscheidung <strong>der</strong><br />
<strong>vorgesetzten</strong> Behörde einem rechtskräftigen gerichtlichen Urteil gleich stünde (§ 1055 ZPO) und jedenfalls<br />
Erstinstanzlich <strong>der</strong> Weg zu den staatlichen Gerichten ausgeschlossen sein soll, wenn das<br />
Verfahren <strong>nach</strong> § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B einmal begonnen hat. Die Entscheidung <strong>der</strong> <strong>vorgesetzten</strong> <strong>Stelle</strong> steht<br />
aber we<strong>der</strong> einem rechtskräftigen Urteil gleich, noch sind die Parteien daran gehin<strong>der</strong>t den Weg vor die<br />
1 Rieble, in: Staudinger (2004), § 315 Rdnr. 155.<br />
1 Rieble, in: Staudinger (2004), § 315 Rdnr. 66; Hager, in: Ermann, § 315 Rdnr. 19. Grundlegend f. Schulz, Der Ersatzlieferungs- und<br />
Nachbesserungsanspruch <strong>des</strong> Käufers im internen deutschen Recht, im UCC und im CISG (2001), S. 141.<br />
1 Rieble, in: Staudinger (2004), § 317 Rdnr. 34.<br />
Baurecht (Zeitschrift)<br />
© Wolters Kluwer Deutschland
Baurecht (Zeitschrift) Seite 11 von 13<br />
Baurecht (Zeitschrift) > Jahr 2009 > Heft 11 > Aufsätze > Ziviles Baurecht > Lembcke: <strong>Rechtsnatur</strong> <strong>des</strong> <strong>Verfahrens</strong> <strong>mit</strong> <strong>der</strong> <strong>vorgesetzten</strong><br />
<strong>Stelle</strong> <strong>nach</strong> § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B (Seite 1666 - 1674) ><br />
Gerichte zu suchen, wenn die Entscheidung zu lange auf sich warten lässt 1 . Das Verfahren <strong>nach</strong> § <strong>18</strong><br />
Nr. 2 VOB/B ist daher nicht als Schiedsgerichtsverfahren zu verorten 2 .<br />
(4) §§ 1 Nr. 3 und Nr. 4 Satz 1 VOB/B<br />
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass auch das einseitige Anordnungsrecht <strong>des</strong> Auftraggebers<br />
aus §§ 1 Nr. 3 und Nr. 4 Satz 1 VOB/B zunächst ein ähnliches Schicksal in <strong>der</strong> Literatur erfuhr, wie das<br />
Leistungsbestimmungsrecht in § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B. Die herrschende Literatur ordnete das Anordnungsrecht<br />
als Kontrahierungszwang ein 1 , obwohl nur ein Leistungsbestimmungsrecht "dem inhaltlichen<br />
Gehalt <strong>der</strong> Regelung gerecht" 2 wird und <strong>der</strong> Auslegung <strong>des</strong> Parteiwillens entspricht. Der Bun<strong>des</strong>gerichtshof<br />
entschied, Anordnungen <strong>nach</strong> §§ 1 Nr. 3 und Nr. 4 Satz 1 VOB/B "än<strong>der</strong>n die vertraglichen<br />
Pflichten <strong>des</strong> Auftragnehmers" 3 , sodass die Konstruktion <strong>des</strong> Kontrahierungszwangs Ablehnung erfuhr,<br />
da sogleich Rechtwirkungen durch die Anordnung <strong>des</strong> Auftraggebers herbeigeführt werden und nicht<br />
nur die Pflicht <strong>des</strong> Auftraggebers entsprechend zu kontrahieren begründet wird. Später konkretisierte<br />
<strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>gerichtshof das Anordnungsrecht als ein "dem § 315 BGB ähnliches" 4 Leistungsbestimmungsrecht<br />
und sprach in <strong>der</strong> Folgezeit vom "durch § 1 Nr. 4 VOB/B eingeräumte einseitige Leistungsbestimmungsrecht"<br />
5 o<strong>der</strong> "§ 1 Nr. 4 VOB/B regelt ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht <strong>des</strong><br />
Auftraggebers" 6 .<br />
Diese Erkenntnisse setzten sich nun auch in <strong>der</strong> Literatur durch 1 . An diesem Beispiel wird deutlich,<br />
dass das materielle Prozessrecht <strong>der</strong> VOB/B als Fremdkörper wahrgenommen wird und <strong>der</strong> Rahmencharakter<br />
<strong>des</strong> Bauvertrages nur als ein kranken<strong>des</strong> Phänomen wahrgenommen wird. Tatsächlich sind<br />
Vertragsanpassungen und an<strong>der</strong>e Konflikte aber <strong>der</strong> Regelfall. Der Bun<strong>des</strong>gerichtshof hat diesen Weg<br />
<strong>mit</strong> seiner Kooperationsrechtsprechung ohnehin längst verlassen und statuiert echte (Neu)verhandlungspflichten.<br />
Es ist dringend erfor<strong>der</strong>lich, "dass über den Tellerrand festgefahrener Meinungen<br />
hinaus, neue, vielleicht auch ungewöhnliche Lösungen einer unvoreingenommenen Betrachtung ausgesetzt<br />
werden" 2 . Die "Das haben wir immer schon so gemacht"-Mentalität sollte überdacht werden.<br />
3. Praktische Konsequenzen <strong>der</strong> dogmatischen Einordnung<br />
1 Nicklisch/Weick, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 17.<br />
2 Joussen, in: Ingenstau/Korbion, B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 29; Heiermann, in: Heiermann/Riedl/Rusam, VOB, B, § <strong>18</strong> Rdnr. 9.<br />
1 Cuypers, BauR 1994, 426, 428; Jensen, Das Dilemma, S. 58 (Fn. 58). Noch heute Kemper, in: Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen,<br />
VOB, B, § 1 Rdnr. 67; offen gelassen Weyer, BauR 1990, 138, 142.<br />
2 Quack, ZfBR 2004, 107, 108.<br />
3 BGH, Urteil v. 14.7.1994 – VII ZR <strong>18</strong>6/93 –, Juris, Rdnr. 10 = NJW-RR 1995, 80, 80 ff.<br />
4 BGH, Urteil v. 25.1.1996 – VII ZR 233/94 –, Juris, Rdnr. 15 = BGHZ 131, 392, 392 ff.<br />
5 BGH, Urteil v. 24.7.2003 – VII ZR 79/02 –, Juris, Rdnr. 33 = NJW-RR 2004, 92, 92 ff.; zustimmend BGH, Urteil v. 27.11.2003 – VII<br />
ZR 53/03 –, Juris, Rdnr. 36 = BGHZ 157, 102, 102 ff.<br />
6 BGH, Urteil v. 27.11.2003 – VII ZR 346/01 –, NJW-RR 2004, 449, 449 Ls. 1.<br />
1 Kniffka, ibr-online-Komm, § 631 Rdnr. 377; Quack, ZfBR 2004, 107, 107 ff.; Acker/Garcia-Scholz, BauR 2002, 550, 552; Leinemann,<br />
NJW 1998, 3672, 3672 ff.; Thode, ZfBR 2004, 214, 215; Hildebrandt, BauR 2007, 1121, 1125; Schwenker, BauR 2008, 175, 179;<br />
Keldungs, in: Ingenstau/Korbion, VOB/B, § 1 Nr. 4 Rdnr. 2; Kuffer/Wirth, Handbuch, Rdnr. 421; Nicklisch/Weik, VOB/B, § 1<br />
Rdnr. 30 a; v. Rinteln, in: Kapellmann/Messerschmidt, VOB/B, § 1 Rdnr. 113.<br />
2 Englert/Schalk, BauR 2009, 874, 875.<br />
Baurecht (Zeitschrift)<br />
© Wolters Kluwer Deutschland
Baurecht (Zeitschrift) Seite 12 von 13<br />
Baurecht (Zeitschrift) > Jahr 2009 > Heft 11 > Aufsätze > Ziviles Baurecht > Lembcke: <strong>Rechtsnatur</strong> <strong>des</strong> <strong>Verfahrens</strong> <strong>mit</strong> <strong>der</strong> <strong>vorgesetzten</strong><br />
<strong>Stelle</strong> <strong>nach</strong> § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B (Seite 1666 - 1674) ><br />
Die dogmatische Einordnung als Leistungsbestimmungsrecht hat erhebliche Konsequenzen für die Praxis.<br />
Die Entscheidung <strong>der</strong> <strong>vorgesetzten</strong> <strong>Stelle</strong> ist <strong>nach</strong> dem Parteiwillen und <strong>der</strong> Auslegungsregel 1 <strong>des</strong><br />
§ 315 Abs. 1 BGB "<strong>nach</strong> billigem Ermessen zu tref-<br />
Seite: 1674<br />
fen,,. Hierbei besteht ein Entscheidungsspielraum 2 . Die vorgesetzte <strong>Stelle</strong> wird regelmäßig rechtsgestaltend<br />
und nicht feststellend tätig 3 . Es wird die Parteiintention <strong>des</strong> arbitrium boni viri vermutet 4 .<br />
Hierzu ist von <strong>der</strong> <strong>vorgesetzten</strong> <strong>Stelle</strong> <strong>der</strong> Einzelfall 5 – <strong>mit</strong>hin die konkrete Meinungsverschiedenheit<br />
– zu betrachten. Geschuldet ist eine arbitrale Vertragskontrolle 6 , die die ,,Austauschgerechtigkeit im<br />
Einzelfall" 7 herstellt.<br />
Die 2-Monats-Frist <strong>des</strong> § <strong>18</strong> Nr. 2 Satz 2 VOB/B ist als Sollvorschrift ausgestaltet 1 und beinhaltet eine<br />
Regelvermutung 2 . Es besteht die Verpflichtung <strong>der</strong> Behörde, die Meinungsverschiedenheit "möglichst<br />
zugig zu bescheiden" 3 . Insbeson<strong>der</strong>e bei komplexen Streitigkeiten kann eine längere Entscheidungsfrist<br />
veranlasst sein 4 . Eine angemessene Entscheidungsfrist ergibt sich bereits aus dem Parteiwillen, sowie<br />
§ 315 Abs. 3 BGB und nicht erst aus Beson<strong>der</strong>en o<strong>der</strong> zusätzlichen Vertragsbedingungen 5 . Die Verletzung<br />
führt zu Schadensersatzansprüchen <strong>des</strong> Auftragnehmers 6 . Auch soweit die Entscheidung nicht<br />
o<strong>der</strong> nicht "<strong>nach</strong> billigem Ermessen" getroffen wird, besteht ein Anspruch auf Schadensersatz wegen<br />
Verzuges 7 . Für die Verzögerung <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Entscheidung bedarf es hierfür keines Verzuges 8 . Es genügt<br />
1 Rieble, in: Staudinger (2004), § 315 Rdnr. 62; Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 315 Rdnr. 5; Gehrlein, in: Bamberger/Roth, BGB, § 315<br />
Rdnr. 5.<br />
2 Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 315 Rdnr. 10.<br />
3 Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 315 Rdnr. 10.<br />
4 Mot. II, S. 192.<br />
5 Stadler, in: Jauernig, BGB, § 315 Rdnr. 7.<br />
6 MünchKomm.-Gottwald, BGB, § 315 Rdnr. 9.<br />
7 MünchKomm.-Gottwald, BGB, § 315 Rdnr. 31.<br />
1 Nicklisch/Weick, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 16; Merkens, in: Kapellmann/Messerschmidt, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 21.<br />
2 So wohl auch Joussen, in: Ingenstau/Korbion, B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 16.<br />
3 Zanner/Franke, in: Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 34; Joussen, in: Ingenstau/Korbion, B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 14;<br />
MünchKomm.-Gottwald, BGB, § 315 Rdnr. 39 u. 41; a. A. wohl Bewersdorf, in: Ganten/Jagenburg, Motzke, VOB/B, § <strong>18</strong> Nr. 2<br />
Rdnr. 16; Merkens, NZBau 2008, 150, 151; Stadler, in: Jauernig, BGB, § 315 Rdnr. 12; Heiermann, in: Heiermann/Riedl/Rusam, VOB/<br />
B, § <strong>18</strong> Rdnr. 10. Wi<strong>der</strong>sprüchlich Kuss, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 13 u. 19.<br />
4 Vgl. etwa LG Bonn, Beschluss v. 20.6.1995 – 1 O 101/95 –, NJW-RR 1996, 1487, 1487 f.<br />
5 A. A. Joussen, in: Ingenstau/Korbion, B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 14.<br />
6 Joussen, in: Ingenstau/Korbion, B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 14; Zanner/Franke, in: Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 203;<br />
Rieble, in: Staudinger (2004), § 315 Rdnr. 283; a. A. Bewersdorf, in: Ganten/Jagenburg, Motzke, VOB/B, § <strong>18</strong> Nr. 2 Rdnr. 16.<br />
7 Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 315 Rdnr. 13; Stadler, in: Jauernig, BGB, § 315 Rdnr. 12; Gehrlein, in: Bamberger/Roth, BGB, § 315<br />
Rdnr. 8; a. A. Nicklisch/Weick, VOB/B, § <strong>18</strong> Rdnr. 16.<br />
8 BGH, Urteil v. 30.3.1979 – V ZR 150/77 –, BGHZ 74, 345, 345 ff.<br />
Baurecht (Zeitschrift)<br />
© Wolters Kluwer Deutschland
Baurecht (Zeitschrift) Seite 13 von 13<br />
Baurecht (Zeitschrift) > Jahr 2009 > Heft 11 > Aufsätze > Ziviles Baurecht > Lembcke: <strong>Rechtsnatur</strong> <strong>des</strong> <strong>Verfahrens</strong> <strong>mit</strong> <strong>der</strong> <strong>vorgesetzten</strong><br />
<strong>Stelle</strong> <strong>nach</strong> § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B (Seite 1666 - 1674) ><br />
eine objektive Verzögerung 9 , die dann anzunehmen ist, wenn die Entscheidung nicht in angemessener<br />
Zeit getroffen wurde 10 .<br />
Das Verfahren <strong>nach</strong> § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B dürfte <strong>mit</strong> dieser zutreffenden dogmatischen Einordnung aus<br />
seinem Dornröschenschlaf erwachen. Die herrschende Literatur unterliegt einem fundamentalen Irrtum,<br />
<strong>der</strong> <strong>der</strong> Bauwirtschaft durch eine uneffiziente Streitkultur einen Milliardenschaden beschert hat. Die<br />
Praxis wird sich grundlegend <strong>mit</strong> § <strong>18</strong> Nr. 2 VOB/B und einem systematischen Konfliktmanagement<br />
beschäftigen müssen, um das eigene Haftungsrisiko zu minimieren. Betrachtet man die aktuelle Diskussion<br />
um außergerichtliche Streitbeilegung im Bauwesen, so dürfte die hier angestellte dogmatische<br />
Einordnung spätestens in zweiter Instanz vor den Oberlan<strong>des</strong>gerichten auf fruchtbaren Boden fallen.<br />
Der "Weg aus <strong>der</strong> Spirale <strong>des</strong> wirtschaftlichen Unfugs" 1 ist auch vor dem Bun<strong>des</strong>gerichtshof vorgezeichnet.<br />
9 Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 315 Rdnr. <strong>18</strong>.<br />
10 BGH, Urteil v. 30.3.1979 – V ZR 150/77 –, BGHZ 74, 341, 345; MünchKomm.-Gottwald, BGB, § 315 Rdnr. 46; Gehrlein, in: Bamberger/Roth,<br />
BGB, § 315 Rdnr. 10.<br />
1 Kniffka, BauR 2006, 1549, 1552.<br />
Baurecht (Zeitschrift)<br />
© Wolters Kluwer Deutschland