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PORTRÄT des Dirigenten Robin Ticciati - Opernhaus Zürich

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Don Giovanni<br />

25<br />

Funkelnde Blicke,<br />

lebendige Hände<br />

<strong>Robin</strong> <strong>Ticciati</strong> gehört zu den jungen <strong>Dirigenten</strong>, die mit grossen<br />

Schritten auf dem Weg zur Weltkarriere unterwegs sind.<br />

In <strong>Zürich</strong> stürzt er sich mit seiner ganzen Begabung in das<br />

Mozart-Abenteuer eines neuen «Don-Giovanni»<br />

Foto: Marco Borggreve


Don Giovanni<br />

26<br />

Da sind diese Hände. Keine nervösen Hände,<br />

sondern lebendige. <strong>Robin</strong> <strong>Ticciati</strong> sitzt entspannt<br />

auf seinem Stuhl neben dem Regisseur,<br />

den Pianisten im Blick, die Sänger, als<br />

Koordinator wird der Dirigent noch nicht<br />

wirklich gebraucht, aber er ist schon dabei in diesem frühen<br />

Stadium der Proben. Ganz dabei. Wie unwillkürlich heben<br />

sich seine Hände von den Knien, die rechte hält locker einen<br />

Bleistift am Ende und deutet das Tempo an, die linke formt<br />

einen Bogen, über zwei Takte hinweg, sanft, organisch,<br />

erinnert für ein paar Sekunden an jenes Ganze, von dem<br />

vorerst nur die herumliegenden Partituren und Klavierauszüge<br />

künden: Don Giovanni, mittlerweile 226 Jahre alt, seit<br />

Mozart selbst die Uraufführung in Prag dirigierte, seitdem<br />

ein Kernstück unserer Kultur. Ein paar profunde Töne von<br />

Peter Mattei als Giovanni genügen, ein funkelnder Blick,<br />

schon spürt man Oper hier im labyrinthischen Probensaal.<br />

So vieles ist schon da, so vieles ist noch offen vorm<br />

wackligen Kulissenprovisorium. Ein heikles Stadium, dieses<br />

frühe, vielleicht auch das magischste. Die Menschwerdung der<br />

Figuren. Wer werden sie sein? Als hätte man alle Zeit der Welt,<br />

werden sie von Regisseur Sebastian Baumgarten über Details<br />

eingekreist. Gesten, Blickwinkel, Entfernungen. Handwerk.<br />

Immer mal ein paar Töne dabei, immer wieder Abbruch – aber<br />

die Musik ist da, auch ungespielt, und <strong>Robin</strong> <strong>Ticciati</strong> ist da.<br />

Kein bisschen ungeduldig, gut gelaunt, neugierig. Nichts<br />

von dem, was Baumgarten auf englisch erklärt, entgeht ihm,<br />

ab und zu fragt er etwas oder macht einen Vorschlag auf<br />

die Weise, wie sich seine Hände bewegen, ganz rund, sofort<br />

präsent, nichts an sich reissend. Er ist keiner, der den Finger<br />

hebt und sagt «Moment, jetzt möchte ich doch mal wissen,<br />

ob…» oder «Ich finde aber, dass….» Er scheint einfach die<br />

Präsenz der Musik zu verkörpern, so wie Baumgarten die<br />

Suche und die Frage.<br />

Diese Ausstrahlung verblüfft bei einem 30-Jährigen,<br />

der seine erste Oper vor gerade mal zwölf Jahren dirigierte,<br />

eine Studentenaufführung am Trinity College in Cambridge,<br />

wo <strong>Ticciati</strong> Musikwissenschaft studierte. «Wir machen Così,<br />

magst du dirigieren?», fragten die Kommilitonen, denn das<br />

eine oder andere Konzert hatte er schon geleitet. «Klar»,<br />

habe er gesagt. «Ich hatte keine Ahnung, was es heisst, eine<br />

Oper zu dirigieren. Wir machten es auf englisch, und ich<br />

habe mir nicht mal den Text in meine Partitur geschrieben!<br />

Aber wir haben es irgendwie geschafft, und es wurde sogar<br />

etwas Besonderes.» Die Kunde davon drang zu Simon Rattle.<br />

Der dirigierte gelegentlich das National Youth Orchestra, in<br />

dem <strong>Robin</strong> Pauke spielte. «Er deutete an, dass er in Mahlers<br />

Achter vielleicht ein bisschen Hilfe brauchen könnte. Ich<br />

war vorgewarnt. Wir waren in Birmingham halb durch die<br />

Probe, da legte er den Stab hin und sagte, <strong>Robin</strong> dirigiert<br />

jetzt mal, und ich höre zu. Und ich ging da runter…»<br />

So ähnlich beginnen viele Geschichten von shooting stars,<br />

die derzeit im <strong>Dirigenten</strong>gewerbe gerade zu schwarmweise<br />

auftreten und wie etwa Andris Nelsons für höchste Posten<br />

im Gespräch sind. Je<strong>des</strong> zweite britische Orchester hat einen<br />

blutjungen Chef. «Vielleicht gibt es im Moment besonders<br />

viele Verrückte», kommentiert <strong>Ticciati</strong> den Jungdirigentenboom.<br />

Er ist ein bisschen genervt vom meteoric rise stuff und<br />

dass jeder Journalist auf seinen Lockenkopf und den «jungenhaften<br />

Charme» hinweist, wobei das mit den Locken stimmt,<br />

während keiner erwähnt, dass <strong>Ticciati</strong>s Hände sogar dann<br />

noch Ausstrahlung haben, wenn er im Bistro etwas erzählt<br />

und beiläufig untermalt. Zur Frage nach den Anfängen meint<br />

er: «Ist das wichtig?», und grinst: «Okay, es ist wichtig…»<br />

Dass <strong>Ticciati</strong>s Aufstieg zunächst behutsam verlief, liegt<br />

vielleicht an seiner Familie. Wenn der Vater Anwalt ist und die<br />

Mutter Psychotherapeutin, geht es einigermassen reflektiert<br />

zu. Und Musik, sagt <strong>Robin</strong>, «war immer im Haus, nichts<br />

Aussergewöhnliches.» Er lernte Klavier und Geige, die er<br />

auch bald im National Youth Orchestra spielte. Später kam<br />

Schlagzeug dazu, er wechselte im Orchester an die Pauke.<br />

Als eines Tages Colin Davis die erste Sinfonie von Jean Sibelius<br />

probte und die Musik als «Reise» und «Geschichte»<br />

vermittelte, hat es den Fünfzehnjährigen erwischt. «I want to<br />

play the score», wusste er, er wollte nicht nur ein Instrument<br />

spielen, sondern die Partitur. Holte sich Freunde zusammen,<br />

sie probten Mozart: ein Kyrie und ein Violinkonzert.<br />

Schnell merkte er, wie sein Körper mitmachte: «Die Gestik<br />

ist komplett verbunden mit dem Klang, den ich hören will.»<br />

Unterricht im Dirigieren hat er nie gehabt. «Ich gucke auf<br />

die Partitur und frage: Wie will ich diesen Klang?»<br />

Er fing nicht zu weit oben an, nach der Sache mit Rattle.<br />

Der 23-Jährige wurde Dirigent in einer schwedischen Kleinstadt,<br />

beim Gävle Symfoniorkester in Schweden, wenig später<br />

leitete er ausserdem Glyndebourne on Tour, das Tournee-Ensemble<br />

<strong>des</strong> Glyndebourne Festival, <strong>des</strong>sen musikalischer Leiter<br />

er im kommenden Jahr wurde. 2009 holte ihn das Scottish<br />

Chamber Orchestra, seitdem ist er auch Erster Gastdirigent<br />

der Bamberger Symphoniker. In Salzburg debütierte er 2006<br />

im Rahmenprogramm mit einer unbekannten kleinen Mo-


Don Giovanni<br />

27<br />

zartoper und fiel sofort auf. Fünf Jahre später stand er an der<br />

Salzach beim Figaro in der Regie von Claus Guth am Pult<br />

<strong>des</strong> Orchestra of the Age of Enlightenment, dieselbe Spielzeit<br />

brachte das Debüt an der Metropolitan Opera mit Hänsel und<br />

Gretel, und nun mussten natürlich die Scala (Peter Grimes)<br />

und Covent Garden folgen, wo <strong>Ticciati</strong> im Februar mit Eugen<br />

Onegin debütierte. Klingt nach Glamour, aber wenn es<br />

darum ginge, käme er nicht mit Sebastian Baumgarten klar.<br />

Dieser Regisseur, vierzehn Jahre älter als der Dirigent,<br />

misstraut grundsätzlich den gut gefetteten Schienen der<br />

Rezeption. Er führt auch Don Giovanni auf andere Wege.<br />

Welche, das wird sich weisen, stutzig machen einen in der<br />

Probe nur die Dissonanzen, die der Pianist in einigen Rezitativen<br />

spielt, mitunter nur einzelne Töne. Man experimentiere<br />

im Moment mit den Rezitativen, erklärt <strong>Ticciati</strong>, andere<br />

Klänge, Orgel, Geräusche. «Vielleicht ist es auch mal ganz<br />

still und wir hören das Rezitativ nur im Geist.» Er ist noch<br />

gespalten. «An manchen Tagen wache ich auf und denke,<br />

ich verwunde Mozart. Aber nach einer Probe wie dieser<br />

finde ich, es ist eine Erforschung, the spirit of questing!»<br />

Dieses Forschen passt auch wieder zu seinem eigenen Weg<br />

zu Mozart. «Das Ideal, mit dem ich aufwuchs, war das von<br />

Colin Davis: Schönheit! Die Aufnahmen der Siebziger. Dann<br />

fing ich an zu analysieren.»<br />

Er lernte die Grammatik der Klassik, und er wollte<br />

wissen, wie es damals geklungen haben kann. Gardiner und<br />

Harnoncourt führten ihn in eine neue Welt. Er zählt zu jener<br />

Generation, die den Einsatz historischer Instrumente und<br />

einen Mozart mit dem Kammerton von 430 Hertz schon<br />

auf Profiniveau vorfand, und die Arbeit mit einem historisch<br />

informierten Ensemble wie La Scintilla in <strong>Zürich</strong> ist<br />

ihm vertraut. «Es geht um Grammatik, Tempo, Rhetorik.<br />

13. bis 31. August 2013<br />

Gelände Gartencenter Zulauf AG<br />

Schinznach-Dorf<br />

www.operschenkenberg.ch<br />

Dirigent: Marc Tardue<br />

Regie: Andreas Baesler<br />

Bühnenbild: Karel Spanhak<br />

Kostüme: Ulli Kremer<br />

Chor: Valentin Vassilev<br />

Mary E. Williams/Hrachuhi Bassenz (Leonora)<br />

Larissa Schmidt/Annunziata Vestri (Azucena)<br />

Peter Bernhard/Paulo Ferreira (Manrico)<br />

Tito You/Michele Govi (Luna)<br />

Sinfonieorchester Camerata Schweiz<br />

Chor der Oper Schenkenberg<br />

Tickethotline der<br />

Oper Schenkenberg<br />

0844 13 13 13<br />

oder ticketcorner.ch


Don Giovanni<br />

28<br />

Je mehr man von stilistischen Fragen versteht, <strong>des</strong>to freier<br />

wird man als Dirigent, als Dramaturg der Musik. Dann kann<br />

man damit spielen.» Donna Elviras erste Arie zum Beispiel.<br />

Viermal derselbe Akkord, Es-Dur, dann erst der Wechsel zur<br />

Dominante. «Dreht man das weiter, kann man sagen, da ist<br />

ein Moment <strong>des</strong> Stillstands. Man kann warten. Das Tempo<br />

halten. Warten, warten. Und wenn der Akkord sich ändert,<br />

kannst du es bewegen!» Und das sagt wiederum etwas über<br />

Elviras Zustand. Dieses Zögern zuerst. Darum also hat er<br />

in der Probe die Akkorde sanft zusammengehalten, nicht<br />

den Takt zerteilt. Was so organisch aussieht bei ihm, kommt<br />

keineswegs nur aus dem Instinkt <strong>des</strong> «Naturtalents».<br />

«Wenn ich erst in vier Wochen käme wie so viele <strong>Dirigenten</strong>,<br />

dann MÜSSTE ich so etwas hart und unterteilt zeigen,<br />

damit es präzis ist, dann ginge es in Richtung Diktatur. Da<br />

ich jetzt anfange, kann ich den Sängern die Chance geben,<br />

ihre Physis, ihren Atem zu finden. Und dann kann man auch<br />

die Musik atmen lassen. Und da kommt die Interpretation<br />

von Drama und Musik eng zusammen.» Etwas davon war<br />

schon zu merken in dieser Probe. In vielen kleinen Fragmenten,<br />

Versuchen, Andeutungen zwischen Don Giovanni,<br />

Leporello und Elvira, Baumgartens freundlicher Genauigkeit<br />

und <strong>Ticciati</strong>s wacher Ruhe und all den Leuten vom Team,<br />

zwischen Kaffeebechern und Klavier beginnt sich aufs Neue<br />

der Geist dieser Oper zu regen, vor dem der Dirigent auch<br />

ein bisschen Angst hat. «Wenn ich Don Giovanni dirigiere,<br />

fühle ich mich am Ende nicht besonders gesund. Jedenfalls<br />

ging mir das bis jetzt so. Diese unaufhörliche Dramatik,<br />

dieses Runterzerren! Die Seele welkt mit den Harmonien!»<br />

Im Bistro kommt das Steak. Blutig, wie er es bestellt hat,<br />

mit Nudeln. «Good», ächzt er glücklich.<br />

Volker Hagedorn<br />

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inkl, MwSt. und Versand Abrechnung als Jahresrechnung über vier Ausgaben, Auslandpreise auf Anfrage.<br />

Hodlerstrasse 8 – 12<br />

CH-3000 Bern 7<br />

www.kunstmuseumBern.CH<br />

di 10H – 21H mi–so 10H – 17H<br />

Die Ausstellung ist eine<br />

Kooperation mit dem Museo<br />

Cantonale d’Arte und Museo<br />

d’Arte Lugano, wo sie vom<br />

14. September 2013 bis zum<br />

12. Januar 2014 gezeigt wird

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