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Interview mit Dirigent Teodor Currentzis - Opernhaus Zürich

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Drei Schwestern<br />

22<br />

«Wir gelten als die Radikalen<br />

in Russland»<br />

<strong>Teodor</strong> <strong>Currentzis</strong> dirigiert Schostakowitschs Oper «Lady Macbeth von Mzensk».<br />

Er ist gebürtiger Grieche und hat sich tausend Kilometer<br />

östlich von Moskau in Perm eine künstlerische Wahlheimat geschaffen<br />

Foto: XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX


Herr <strong>Currentzis</strong>, Sie waren bis 2010 Chef dirigent an<br />

der Oper in Novosibirsk und sind seit 2011 in gleicher<br />

Funktion an der Oper in Perm – einer Stadt, die zwar<br />

im Vergleich zu Novosibirsk deutlich näher an Europa<br />

liegt, einem aber nicht unbedingt als erstes einfällt,<br />

wenn man über die Kulturzentren der Welt spricht.<br />

Wie sind Sie als Grieche in Sibirien ge landet, und was<br />

hält Sie im tiefsten Russland?<br />

Ja, ich bin immer noch in Russland, obwohl ich viele Angebote<br />

aus dem Westen hatte. Ich liebe Russland! Es<br />

ist ein magisches Land. Man kann dort Dinge machen,<br />

die man nirgends sonst machen kann.<br />

Kultur interessiert. Und deshalb habe ich das Angebot aus<br />

Perm angenommen, und alle Mitglieder meines Ensembles<br />

sind <strong>mit</strong>gekommen. Das ist ein Paradox: Musiker, die<br />

zu den besten in Europa gehören, leben jetzt in Perm!<br />

Ich organisiere Meisterklassen für meine Musiker, in denen<br />

wir uns barocken Tänzen widmen – und diese nach acht<br />

Stunden Proben abends auch selbst tanzen. Im Foyer unseres<br />

Theaters organisieren wir alle zwei Wochen Abende<br />

für die Musiker, wir spielen nur für uns die Musik, die uns<br />

gefällt, tragen Gedichte vor – oft bis zum nächsten Morgen.<br />

Es ist wie eine Bruder schaft. Leider sind Musiker in<br />

anderen Orchestern oft Sklaven des Systems.<br />

Foto: Stefan Deuber<br />

Was zum Beispiel?<br />

Zum Beispiel habe ich dort mein Ensemble MusicAeterna<br />

gegründet. Anfang der neunziger Jahre spielten ja vor allem<br />

diejenigen Musiker auf historischen Instrumenten, die<br />

auf modernen Instrumenten niemals Virtuosen geworden<br />

wären. Ich bin anders vorgegangen: Ich habe die besten<br />

Musiker eingeladen, die ich finden konnte, und sie einer<br />

«Gehirnwäsche» unterzogen. Die Resultate waren fantastisch!<br />

Wir haben ein anarchistisches Kollektiv gegründet –<br />

ohne irgendwelche Gewerkschaften. Wir versammelten<br />

uns nicht, um zu arbeiten, sondern um unsere Träume zu<br />

verwirklichen.<br />

Gibt es nicht angenehmere Orte, um seine Träume<br />

zu verwirklichen?<br />

Sicher, wir alle hätten anderswo Arbeit finden können, in<br />

schöneren Städten. Aber ich fühle mich wohl in Perm.<br />

Manchmal arbeiten wir vier bis fünf Stunden ohne Pause,<br />

einmal haben wir eine ganze Woche lang über vier Takten<br />

meditiert. Wir können uns stundenlang darüber unterhalten,<br />

welcher Akkord mehr schmerzt und welche Empfindungen<br />

wir ausdrücken wollen. Nicht ob man lauter oder<br />

leiser spielen soll ist die Frage, sondern uns geht es um<br />

eher unterbewusste, fast metaphysische Empfindungen, die<br />

durch die Musik ausgelöst werden. Im normalen Musikbetrieb<br />

<strong>mit</strong> seinen genau festgelegten Probenzeiten ist so<br />

etwas nicht möglich. Da muss man immer Kom promisse<br />

machen. Auf diese Art und Weise wird niemals ein ganzes<br />

Orchester für dieselbe Idee und dasselbe Wunder der<br />

Kunst kämpfen. Wir waren bisher sehr erfolgreich, haben<br />

viele Preise gewonnen. Wir gelten als die «Radikalen»<br />

in Russland, aber das Publikum folgt uns. Nur die Stadt­<br />

Regierung in Novosibirsk hat sich nicht besonders für<br />

Sie arbeiten ja nicht nur <strong>mit</strong> Ihrem eigenen Ensemble,<br />

sondern dirigieren oft auch andere Orchester, die<br />

an diese Systeme gebunden sind – wie jetzt auch das<br />

Orchester der Oper <strong>Zürich</strong>.<br />

Dieses Orchester bildet eine grosse Ausnahme. Meiner<br />

Meinung nach ist es eines der besten europäischen Opernorchester,<br />

weil es ein grosses Verständnis für die Alte<br />

Musik besitzt – viele Musikerinnen und Musiker dieses<br />

Orchesters spielen im Orchestra La Scintilla ja auch<br />

auf alten Instrumenten. Wer die Alte Musik nicht versteht,<br />

geht oft sehr grob an die Musik der Romantik heran.<br />

Die Musiker hier sind sehr genau, sehr beweglich und sehr<br />

intelligent. Sie verstehen vieles, was andere Musiker in<br />

anderen Opernorchestern nicht verstehen.<br />

War es Ihr Wunsch, hier in <strong>Zürich</strong> die «Lady Macbeth»<br />

zu dirigieren?<br />

Nein, das hat Andreas Homoki mir vorgeschlagen.<br />

Aber dieses Stück ist mir sehr nah, ich habe es schon oft<br />

dirigiert – in einer sehr radikalen Inszenierung an der<br />

Oper in Novosibirsk und in mehreren konzertanten Aufführungen,<br />

sowohl in Russland als auch im westlichen Ausland.<br />

Ich gehe anders an dieses Stück heran als die meisten<br />

anderen <strong>Dirigent</strong>en, denn ich sehe vor allem die polyphone<br />

Struktur dieser Oper. Die Gefahr bei dieser genialen<br />

Musik besteht meiner Ansicht nach darin, sie als hauptsächlich<br />

illustrativ zu begreifen.<br />

Was ist Ihrer Meinung nach so genial an dieser Oper?<br />

Diese Oper ist eine Komödie. Und durch diese Komödie<br />

hindurch werden die tragischsten Dinge über die menschliche<br />

Existenz erzählt. Die Figuren in diesem Stück erleben<br />

wir wie in einem merkwürdigen Schattentheater, nicht


wie reale Figuren. Durch dieses Schattentheater entsteht<br />

eine fast hypnotische Wirkung, wie im Traum, durchaus<br />

unangenehm. Dinge kommen zum Ausdruck, die sich<br />

nicht durch Sprache ausdrücken lassen. Die Textvorlage<br />

von Nikolaj Leskow bildete für Schostakowitsch die<br />

Grundlage, um die Büchse der Pandora zu öffnen. Das<br />

ist keine «Reportage»-Oper und auch kein Werk, das ein<br />

Verdikt aussprechen will gegen irgendetwas.<br />

“<br />

In dieser Oper gibt es unglaublich<br />

starke Kontraste, das<br />

geht bis zum akustischen Schock<br />

”<br />

Aber dieses Stück ist doch auch eine Satire auf die<br />

Verhältnisse seiner Zeit.<br />

Natürlich. Aber andererseits versucht Schostakowitsch,<br />

<strong>mit</strong> den Figuren dieser Oper seine eigene Geschichte<br />

zu erzählen, sein eigenes Unterbewusstes nach aussen zu<br />

kehren – und erzählt von Liebe, Tod, Leidenschaft,<br />

Zärtlichkeit und Grausamkeit. In dieser Oper gibt es unglaublich<br />

starke Kontraste, die Dynamik reicht vom<br />

vierfachen piano zum vierfachen forte. Das geht bis zum<br />

akustischen Schock. Der Selbstmord des Romantizismus!<br />

Wie meinen Sie das?<br />

Schostakowitsch kannte Bergs Wozzeck sehr gut, das hört<br />

man; auch Mahlers Lied von der Erde wird zitiert, Strauss’<br />

Rosenkavalier kannte er ebenfalls. Schostakowitsch nimmt<br />

alle diese grossen, wichtigen Kompositionsschulen <strong>mit</strong><br />

in sein Boot, wie Noah die Tiere <strong>mit</strong> in die Arche nahm, um<br />

sie vor der Katastrophe zu retten. Und als sie dann alle<br />

auf dem Gipfel des Ararat sitzen, übergiesst er sie <strong>mit</strong> Benzin<br />

und zündet sie an. Und dann geht er seinen eigenen Weg.<br />

Sprechen wir über die Hauptfigur dieser Oper: Katerina<br />

Ismailowa tötet erst ihren Schwiegervater, indem<br />

sie ihm Rattengift ins Essen mischt, dann ermordet sie<br />

gemeinsam <strong>mit</strong> ihrem Liebhaber Sergej ihren Ehemann,<br />

und als Sergej sie betrügt, reisst sie schliesslich<br />

auch noch dessen Geliebte <strong>mit</strong> sich in den Tod. Wer<br />

ist diese Frau?<br />

Sie ist die «Frau nebenan»! Wie in dem gleichnamigen Film<br />

von François Truffaut ist sie eine Frau, die man jeden<br />

Tag sieht, eine im Alltag nette, höfliche Frau, die sich unter<br />

gewissen Umständen in eine Lady Macbeth verwan ­<br />

deln kann – allerdings eine Lady Macbeth ohne Macbeth.<br />

Sie tötet, um zu lieben. Nicht um Macht zu erlangen,<br />

nicht für irgendeinen Ehemann. Sondern um zu lieben. Das<br />

ist schrecklich. Wenn sie für Macht töten würde, wäre es<br />

einfacher – für die Moral.<br />

Katerina tut schreckliche Dinge – und trotzdem fühlen<br />

wir <strong>mit</strong> ihr, haben Mitleid, wenn ihre Schuld<br />

entdeckt wird und sie ins Straflager nach Sibirien muss.<br />

Ich habe kein Mitleid <strong>mit</strong> Katerina. Im zweiten Akt,<br />

<strong>Teodor</strong> <strong>Currentzis</strong><br />

<strong>Teodor</strong> <strong>Currentzis</strong>, geboren 1972 in Athen, gehört zu den eigenwilligsten<br />

und aufregendsten <strong>Dirigent</strong>en seiner Generation. Er<br />

studierte in St. Petersburg bei Ilja Musin, der auch <strong>Dirigent</strong>en wie<br />

Valery Gergiev, Semyon Bychkov und Yuri Temirkanov unterrichtete.<br />

Nach seinem Studium ging <strong>Currentzis</strong> nach Moskau und<br />

arbeitete <strong>mit</strong> den Moskauer Virtuosen, dem russischen Nationalorchester<br />

und dem Russischen Philharmonischen Orchester.<br />

Es folgte eine Einladung nach Novosibirsk, wo er am dortigen<br />

Staatlichen Opern- und Balletttheater «Le baiser de la fée» von<br />

Strawinsky einstudierte und anschliessend das Angebot erhielt,<br />

dort Chefdirigent zu werden. Während seiner Wirkungszeit<br />

wurde die Oper Novosibirsk 15 Mal <strong>mit</strong> der «Goldenen Maske»<br />

ausgezeichnet, der wichtigsten Auszeichnung in der russischen<br />

Theaterlandschaft. Seit 2011 ist <strong>Currentzis</strong> Künstlerischer Direktor<br />

der Oper Perm. In den letzten Jahren ist er unter anderem<br />

<strong>mit</strong> den Wiener und den Münchner Philharmonikern sowie dem<br />

Mahler Chamber Orchestra aufgetreten und hat an den Opernhäusern<br />

von Madrid, Paris und Moskau sowie bei den Festspielen<br />

in Bregenz und Baden-Baden für Furore gesorgt.


wenn sie zu Sergej sagt, er solle sie so küssen, dass ihre<br />

Lippen weh tun, klingt es wie eine Sinfonie von Mahler.<br />

In dieser Szene spricht nicht Katerina zu Sergej, das<br />

ist Schostakowitsch selbst, der eine ideale Welt der Liebe<br />

entwirft, in der er gerne leben würde. Deshalb fühle<br />

ich <strong>mit</strong> Schostakowitsch, nicht <strong>mit</strong> Katerina. Diese Frau<br />

ist ein Instrument, durch die er eine grosse Wahrheit<br />

über seine Träume zum Ausdruck bringt. Ich glaube nicht<br />

an Logik. Wenn etwas lustig scheint, glaube ich nicht<br />

daran, dass man lachen soll. Worte drücken manchmal das<br />

Gegenteil dessen aus, was sie zu bedeuten scheinen.<br />

Bei Schostakowitsch passiert das oft durch die Musik: Sie<br />

öffnet Türen in eine ganz andere, unerwartete Richtung.<br />

Mir scheint, wenn Schostakowitsch noch leben würde, dann<br />

würden ihm Filme von David Lynch sehr gefallen, zum<br />

Beispiel Mulholland Drive. In diesem Film weiss man nie,<br />

ob man schläft oder wach ist. Die Dinge, die in diesem Film<br />

passieren, sind zwar irgendwie logisch, aber gleichzeitig<br />

erscheint alles sehr fragil, zerbrechlich, als könnte die Logik<br />

jederzeit aufge hoben werden. Es ist eine seltsame Welt,<br />

die sich in eine andere Realität verwandeln kann, wenn man<br />

genauer hinschaut. Mysteriös. Vielleicht besteht darin<br />

das Genie Schostakowitschs – er ist Pragmatiker und schafft<br />

es doch, durch diesen Pragmatismus die Logik zu durchbrechen.<br />

Das Gespräch führte Beate Breidenbach

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