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Der spanische Regisseur Calixto Bieito erzählt ... - Opernhaus Zürich

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Die Soldaten<br />

20<br />

Radikal<br />

heutig<br />

<strong>Der</strong> <strong>spanische</strong> <strong>Regisseur</strong> <strong>Calixto</strong> <strong>Bieito</strong> <strong>erzählt</strong> in<br />

seinen Inszenierungen vom Menschsein in allen Facetten.<br />

Er scheut dabei nicht den Blick in die Abgründe<br />

des Daseins, um Verdrängtes und Alptraumhaftes ans<br />

Licht zu bringen.<br />

Text Bettina Auer, Fotos Danielle Liniger<br />

Man kann sich schwer vorstellen, dass<br />

<strong>Calixto</strong> <strong>Bieito</strong> ein scheuer Mensch ist. Zumindest, wenn man<br />

eine seiner Inszenierungen mit den drastischen Szenen und<br />

extremen Bildern, für die er bekannt ist, gesehen hat. Aber<br />

es stimmt. Er ist kein Mann der vielen Worte. Auf seinen<br />

Proben wartet er erst mal, bis es still ist. Dann geht es los.<br />

<strong>Bieito</strong> ist ein rastlos Reisender. Doch auch wenn er in<br />

vielen Ländern zuhause ist, weil man ihn für Inszenierungen<br />

in ganz Europa, in Chicago oder Buenos Aires anfragt, bleiben<br />

seine <strong>spanische</strong>n Wurzeln sehr präsent. Oft sind es Filme<br />

von Luis Buñuel, Bilder von Goya und Dalí oder Gedichte<br />

des von <strong>Bieito</strong> sehr verehrten Federico García Lorca, die<br />

während der Vorbereitung auf eine neue Produktion erste<br />

Referenzen bilden. Auch die <strong>spanische</strong> Geschichte, gerade die<br />

des 20. Jahrhunderts, lässt ihn nicht los. Sie scheint zugleich<br />

Bürde und Inspiration für ihn zu sein, wie man zuletzt in<br />

seiner poetischen Aufführung von Isaac Albéniz’ wenig bekannter<br />

Oper Pepita Jiménez in Buenos Aires sehen konnte:<br />

<strong>Bieito</strong> entfaltete ein ganzes Kaleidoskop <strong>spanische</strong>n Lebens,<br />

düstere und sinnliche Bilder von unterdrückter Leidenschaft<br />

und inniger Religiosität – einer Frömmigkeit, wie wir sie in<br />

Mitteleuropa nur noch aus Romanen des 19. Jahrhunderts<br />

kennen. Im Bühnenbild von Rebecca Ringst wurden die<br />

Figuren der Oper zu kleinen, verletzlichen Menschen vor<br />

einer übermächtigen geschlossenen Wand aus schweren<br />

Schränken. Dort lauerten die verdrängten Erinnerungen<br />

an den <strong>spanische</strong>n Faschismus und nahmen den Menschen<br />

die Luft zum Atmen. Zwischen betenden alten Frauen,<br />

Beichtstuhl und Kinderchorgesang wandelte ein freundlicher<br />

Priester. Ganz nebenbei öffnete er einen der Schränke, um<br />

dem älteren Bonvivant der Oper ein junges behindertes<br />

Mädchen zuzuführen. Wenig später schimpfte er mit einem


Die Soldaten<br />

21<br />

Foto: XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX<br />

<strong>Calixto</strong> <strong>Bieito</strong> und Sunnyboy Dladla proben eine<br />

Szene aus Zimmermanns «Soldaten»


Die Soldaten<br />

22<br />

Carlos Nogueira, William Lombardi, Yuriy Tsiple, Sunnyboy<br />

Dladla, Reinhard Mayr: Szene aus dem ersten Akt<br />

frechen Jungen, wobei er ihn etwas zu lange auf dem Schoss<br />

behielt. Beide Situationen stehen so nicht im Libretto, der<br />

<strong>Regisseur</strong> hat sie erfunden. Mit wenigen Details hat <strong>Bieito</strong><br />

den stets milde lächelnden Priester (und damit natürlich die<br />

katholische Kirche) in ein völlig anderes Licht gerückt.<br />

Wie der <strong>Regisseur</strong> mit einem einzigen szenischen Moment<br />

die Perspektive auf eine ganze Aufführung verändern<br />

kann, liess sich auch in seiner Inszenierung von Weills Aufstieg<br />

und Fall der Stadt Mahagonny in Antwerpen beobachten.<br />

<strong>Bieito</strong> weckt in den Proben die Lust,<br />

verborgene Wünsche preiszugeben<br />

<strong>Der</strong> Abend war eine entfesselte Dauerparty: fröhliche, aufgeputschte<br />

Menschen auf der rastlosen Suche nach Vergnügen,<br />

grelle Farben, Spaghetti-Schlachten, böse Spielchen.<br />

Irgendwann tauchte eine stumme, nackte Frau auf, eine<br />

ungeschönte, traurige Hure, die durch ihre Verletzlichkeit<br />

mit einem Mal das ganze hektische Tohuwabohu als albernen,<br />

geschmacklosen Tanz um die Leere entlarvte.<br />

<strong>Calixto</strong> <strong>Bieito</strong> hat viel Schauspiel inszeniert, war Direktor<br />

eines Theaters in Barcelona und Festivalleiter in<br />

Salamanca. In den letzten Jahren befasste er sich überwiegend<br />

mit Musiktheater. Als ich seine ersten Arbeiten in Deutschland<br />

sah, faszinierende Aufführungen voller Extreme und<br />

Gewalt, liess mich eine Frage nicht mehr los: Wie schafft<br />

es <strong>Bieito</strong>, dass Sänger in seinen Inszenierungen nicht nur<br />

gut spielen, sondern bereit sind, über Grenzen zu gehen,<br />

Konvention oder Scham zu überwinden und die in der<br />

Oper leider oft übliche «als ob»-Spielweise weit hinter sich<br />

zu lassen? Mittlerweile, nach vielen gemeinsamen Arbeiten,<br />

bin ich seinem Geheimnis etwas näher gekommen. <strong>Bieito</strong><br />

hat eine besondere Fähigkeit: Er weckt in seinem Gegenüber<br />

die Lust, sich zu zeigen. Er verführt die anderen dazu, sich<br />

zu öffnen, verborgene Wünsche und ungelebte Phantasien<br />

preiszugeben und vielleicht – unter dem Schutz der Rolle –<br />

auszuleben. Wie macht er das?<br />

Die Grundlage ist sicher, dass <strong>Calixto</strong> <strong>Bieito</strong> auf den Proben<br />

eine angstfreie Atmosphäre kreiert. Bei ihm gibt es kein<br />

richtig oder falsch, keine Peinlichkeit, weil etwas noch nicht<br />

gelingt, keine Fehler. (Denn manchmal entsteht ja aus einem<br />

vermeintlichen Fehler gerade die neue, die bessere Idee.) Man<br />

erlebt bei ihm kein diktatorisches Niedermachen von Sängern<br />

oder Mitarbeitern, keine Schreierei in der nervösen Endprobenzeit<br />

– <strong>Bieito</strong>s Kommentare sind immer ermutigend und<br />

aufbauend. Er schenkt den Künstlern Selbstvertrauen, weil er


Die Soldaten<br />

23<br />

<strong>Der</strong> <strong>Regisseur</strong> ist Teamplayer – Sarah <strong>Der</strong>endinger (Video),<br />

Rebecca Ringst (Bühnenbild) und <strong>Calixto</strong> <strong>Bieito</strong><br />

auf der Probe<br />

ihnen mehr zutraut als sie sich selbst. Und gerade wenn auf<br />

der Bühne brutale oder heikle Situationen gearbeitet werden,<br />

wird am meisten gelacht. Wenn der <strong>Regisseur</strong> beispielsweise<br />

probiert, wie Kaspar in der Wolfsschlucht ein schwarzes Ritual<br />

vollzieht und eine junge Braut aufschlitzt, um in ihrem Blut<br />

die «Freikugeln» zu taufen, oder wie in Poulencs Oper Gespräche<br />

der Karmelitinnen der Beichtvater des Klosters vom<br />

Pöbel gedemütigt wird, kichert der <strong>Regisseur</strong> laut, um die<br />

Spannung herauszunehmen. Obwohl im Musiktheater nun<br />

mal viele Menschen auf der Probebühne sitzen, der Dirigent,<br />

Pianistinnen, Assistenten, Inspizienten, Souffleusen und viele<br />

andere mehr, so dass sich eine einzelne Sopranistin während<br />

einer Arie bisweilen einer ganzen Horde von Zuschauern<br />

gegenüber sieht, gelingt es <strong>Bieito</strong>, eine völlig intime Arbeitssituation<br />

herzustellen. Als gäbe es nur die Sängerin und den<br />

<strong>Regisseur</strong> und niemanden sonst im Raum. <strong>Bieito</strong> entwickelt<br />

auf den Proben einen Sog, der ungeahnte Energien freisetzt<br />

und den Sängern ermöglicht, für ihre Bühnen-Figuren ganz<br />

aus ihrer eigenen Persönlichkeit zu schöpfen, individuelle<br />

Grenzen zu überwinden und dadurch ungeheure Freiheit<br />

zu gewinnen. (Und tatsächlich, man kann beobachten, wie<br />

diese Freiheit sie jeden Tag schöner werden lässt!) Manche<br />

Künstler staunen selbst darüber, manche werden «süchtig»<br />

nach so viel Intensität und künstlerischer Eigenverantwortung.<br />

So wird es möglich, dass auch Ensemblemitglieder,<br />

die gerne auf routinierte Opern-Gestik zurückgreifen, über<br />

sich hinauswachsen. <strong>Bieito</strong> erreicht sie, packt sie, findet auf<br />

den Proben einen Weg zu ihrem verschlossenen Inneren,<br />

das sie nun – vielleicht ohne sich dessen bewusst zu sein –<br />

wieder offenlegen.<br />

Wem das zu weich gespült klingt, zu sehr nach «Wir<br />

haben uns alle lieb», der täuscht sich. <strong>Bieito</strong> fordert stets<br />

Nach so viel Intensität kann man<br />

süchtig werden<br />

vollen Einsatz, emotional und körperlich. Er probt hochkonzentriert<br />

und kompakt. Mit Schonhaltungen von Sängern<br />

oder nur markierten Gefühlen kann er nichts anfangen und<br />

verliert schnell das Interesse. Denn seine Arbeit verläuft<br />

nicht über lange Erklärungen, sondern über Energie. «Zu<br />

spüren, wo die meiste Energie im Raum ist, das ist es, was<br />

einen <strong>Regisseur</strong> ausmacht», so definiert er selbst kurz und<br />

lapidar seinen Beruf.<br />

Vielleicht ist <strong>Calixto</strong> <strong>Bieito</strong> ein Menschenfänger,<br />

vielleicht ein Intuitionsmagier. Auf jeden Fall ist er ein


Die Soldaten<br />

24<br />

Teamplayer, der seinen künstlerischen Partnern, Bühnenbildnerin<br />

Rebecca Ringst und Kostümbildner Ingo Krügler,<br />

mit denen er seit Jahren zusammenarbeitet, grosse Gestaltungsfreiheit<br />

lässt und viel Verantwortung übergibt. Werke,<br />

seien es Opern oder Dramen, beschreibt er nicht über ihre<br />

Struktur, sondern vielmehr als emotionale Landschaften<br />

oder Gedichte. <strong>Der</strong> <strong>Regisseur</strong> versteht sich als Menschenerzähler,<br />

der auf der Bühne vom Menschsein in all seinen<br />

Facetten berichten will. Dabei schaut er uns tief in die Seele<br />

und fördert auch das zu Tage, was wir doch so gut verdrängt<br />

hatten und gar nicht wissen wollten. Denn <strong>Bieito</strong> scheut sich<br />

nicht vor unseren inneren Abgründen, bizarren Phantasien<br />

und dunklen Träumen, weil sie für ihn zum Menschsein<br />

gehören. Sie gerade interessieren ihn, und das Theater ist<br />

für ihn der Ort, um sich mit ihnen auseinanderzusetzen.<br />

Seine künstlerische Arbeit geht jedoch weit darüber<br />

hinaus: Mit aufklärerischem Furor zeigt er der heutigen Welt<br />

in seinen Inszenierungen, wie es um sie steht. Weil er (Musik-)Theater<br />

nur als Spiegel bzw. Antwort auf die aktuellen<br />

Er verortet die alten Geschichten<br />

radikal im ungeschönten Heute<br />

Verhältnisse begreifen kann, verortet er jede noch so alte<br />

Geschichte radikal im ungeschönten Heute. Für mich ist<br />

<strong>Bieito</strong> ein ausgesprochen politischer <strong>Regisseur</strong>, auch wenn<br />

er das selbst nie von sich behaupten würde. Und die erregten,<br />

sehr persönlichen Diskussionen, die sich während der<br />

Proben unter den Mitarbeitern oder nach den Aufführungen<br />

zwischen den Zuschauern entzünden, sind ein wichtiger<br />

Teil seiner Arbeit. <strong>Bieito</strong>s Theater lässt uns nicht kalt, es<br />

initiiert Prozesse und zeigt damit, dass der <strong>Regisseur</strong> mit<br />

seiner kraftvollen Theatersprache und seinen pointierten Interpretationen<br />

den wunden Nerv unserer Gesellschaft trifft.<br />

In einem Interview sagte <strong>Calixto</strong> <strong>Bieito</strong>: «Unsere einzige<br />

Religion heute ist Vergnügen und Geld. Damit werden<br />

die Menschen aber nur unzufrieden und unglücklich.<br />

Wenn wir die Spiritualität, die Kunst und die Liebe, die drei<br />

Grundlagen von Menschsein überhaupt, untergehen lassen:<br />

‹finita la comedia›. Wenn wir sie nicht mehr haben, sind wir<br />

nichts anderes als Affen.» •<br />

Bettina Auer ist Operndramaturgin und hat die Regiearbeiten<br />

von <strong>Calixto</strong> <strong>Bieito</strong> in vielen Produktionen begleitet<br />

Die Soldaten<br />

Oper in vier Akten von Bernd Alois Zimmermann (1918 –1970)<br />

Musikalische Leitung Marc Albrecht<br />

Inszenierung <strong>Calixto</strong> <strong>Bieito</strong><br />

Bühnenbild Rebecca Ringst<br />

Mitarbeit Bühnenbild Annett Hunger<br />

Kostüme Ingo Krügler<br />

Lichtgestaltung Franck Evin<br />

Video Sarah <strong>Der</strong>endinger<br />

Dramaturgie Beate Breidenbach<br />

Wesener Pavel Daniluk<br />

Marie, seine Tochter Susanne Elmark<br />

Charlotte, seine Tochter Julia Riley<br />

Weseners alte Mutter Cornelia Kallisch<br />

Stolzius Michael Kraus<br />

Stolzius' Mutter Hanna Schwarz<br />

Obrist Reinhard Mayr<br />

Desportes Peter Hoare<br />

Pirzel Michael Laurenz<br />

Eisenhardt Cheyene Davidson<br />

Haudy Yuriy Tsiple<br />

Mary Oliver Widmer<br />

1. junger Offizier Sunnyboy Dladla<br />

2. junger Offizier William Lombardi<br />

3. junger Offizier Carlos Nogueira<br />

Gräfin de la Roche Noëmi Nadelmann<br />

Junger Graf Dmitry Ivanchey<br />

Andalusierin / Madame Roux Beate Vollack<br />

3 Hauptleute Benjamin Mathis, Gerhard<br />

Nennemann, Karl-Heinz Waidele<br />

Betrunkener Offizier Elias Reichert<br />

Junger Fähnrich Benjamin Mathis<br />

Bedienter der Gräfin Wolfram Schneider-Lastin<br />

Soldaten-Chor Yves Brühwiler, Mateusz<br />

Niedzwiedzki, Fabian Jud,<br />

Philipp Hillebrand, Florian Weiss,<br />

Robert Michler, Michael Suter,<br />

Philippe Adam, Rajiv Satapati,<br />

Martin Zimmermann,<br />

Viktor Majzik, Joao Santos,<br />

Luca Bernard, Jonas Ehrler,<br />

Nenad Ivkovic, Samuel Klauser,<br />

Simon Locher, Elias Reichert<br />

Philharmonia <strong>Zürich</strong><br />

Statistenverein am<br />

<strong>Opernhaus</strong> <strong>Zürich</strong><br />

Unterstützt von den<br />

Freunden der Oper <strong>Zürich</strong><br />

Premiere 22 September 2013<br />

Weitere Vorstellungen 26 Sep, 4, 8, 15, 19, 26 Okt 2013


Foto: XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX<br />

<strong>Calixto</strong> <strong>Bieito</strong> inszeniert drastisches Musiktheater –<br />

und ist doch ein scheuer Mensch

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