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Die Vorbilder der Juragewässerkorrektion<br />
in der Wasserbauges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />
Prof. Dr. Daniel Vis<strong>ch</strong>er, ETH Züri<strong>ch</strong><br />
Teil 2<br />
Die Linthkorrektion von 1807–1816<br />
Die si<strong>ch</strong> im 17. und dann besonders im 18. Jahrhundert mehrenden Übers<strong>ch</strong>wemmungen,<br />
und insbesondere die Wassernot der Jahre 1762 und 1784, bra<strong>ch</strong>te die<br />
Bevölkerung längs der Linth und am Walensee in grosse S<strong>ch</strong>wierigkeiten. In den<br />
dur<strong>ch</strong>feu<strong>ch</strong>teten Ebenen grassierte die damals als Sumpf-, Faul- oder We<strong>ch</strong>selfieber<br />
bekannte Malaria und verkürzte die Lebenserwartung drastis<strong>ch</strong>. Dann<br />
wurden die Zeiten dur<strong>ch</strong> die au<strong>ch</strong> in diesem Gebiet zwis<strong>ch</strong>en Franzosen, Russen<br />
und Österrei<strong>ch</strong>ern ausgetragenen Kämpfe von 1799 no<strong>ch</strong> widriger.<br />
Na<strong>ch</strong> einem entspre<strong>ch</strong>enden Auftrag legte der Artilleriehauptmann Lanz, von Bern,<br />
der eidgenössis<strong>ch</strong>en Regierung im Jahre 1784 einen Korrektionsplan vor. Na<strong>ch</strong><br />
dem Vorbild der Lüts<strong>ch</strong>inenumleitung und des Kanderdur<strong>ch</strong>sti<strong>ch</strong>s (die Hüriba<strong>ch</strong>umleitung<br />
wurde im Aufruf von 1807 an die «S<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Nation» ni<strong>ch</strong>t erwähnt)<br />
sollte die Linth in den Walensee umgeleitet werden. Die erwähnten Kriegswirren<br />
verhinderten aber zunä<strong>ch</strong>st eine Verwirkli<strong>ch</strong>ung; der Baubes<strong>ch</strong>luss erfolgte<br />
erst 1805 und der Baubeginn 1807. Als Präsident und Hauptpromotor des Unternehmens<br />
wirkte der Naturwissens<strong>ch</strong>aftler und Politiker Hans Conrad Es<strong>ch</strong>er von<br />
Züri<strong>ch</strong>. Die Detaillierung des Projektes übernahm der badis<strong>ch</strong>e Rheinwuhrinspektor<br />
Johann Gottfried Tulla, der<br />
zusammen mit seinem Oberingenieur<br />
anfängli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> die Bauleitung innehatte.<br />
Die Hauptlast der Projekt- und<br />
Bauleitung lag aber auf Es<strong>ch</strong>er und<br />
dem ihm beigestellten Glarner Ratsherrn<br />
Conrad S<strong>ch</strong>indler.<br />
Die ersten Arbeiten betrafen den Bau<br />
eines von Näfels und Mollis bis zum<br />
Walensee führenden Kanals. Er war<br />
rund 5 km lang und bestand aus einem<br />
Doppelprofil. Das eigentli<strong>ch</strong>e Hauptgerinne<br />
sollte nur dem Nieder- und<br />
Mittelabfluss der Linth dienen und insbesondere<br />
das Ges<strong>ch</strong>iebe abführen; das<br />
gesamte Gerinne war auf das Hö<strong>ch</strong>stho<strong>ch</strong>wasser<br />
ausgeri<strong>ch</strong>tet. Im Jahre 1811<br />
wurde die Linth, die au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> flussauf- Die flussbauli<strong>ch</strong>en Arbeiten des Linthwerkes.<br />
29
wärts korrigiert worden war, in dieses neue Bett umgeleitet. Von da an wirkte also<br />
der Walensee als Rückhalteraum für ihre Ho<strong>ch</strong>wasser- und Ges<strong>ch</strong>iebefra<strong>ch</strong>ten.<br />
Dur<strong>ch</strong> die na<strong>ch</strong> der Kanderumleitung am Thunersee gewonnenen Erfahrungen<br />
gewitzigt, ma<strong>ch</strong>te man si<strong>ch</strong> soglei<strong>ch</strong> daran, den Walensee um fast 2 m abzusenken.<br />
Zu diesem Zweck wurden der Ausfluss aus dem See, das kleine Flüss<strong>ch</strong>en Maag<br />
sowie der daran ans<strong>ch</strong>liessende Linthlauf, bis zum Züri<strong>ch</strong>see korrigiert. Dabei war<br />
es wegen dem kleinen Gefälle der Linthebene ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong>, all den Windungen<br />
der natürli<strong>ch</strong>en Gewässer mit ihren Verzweigungen zu folgen. Es musste ein<br />
mögli<strong>ch</strong>st gestreckter Kanal mit einem, dem Molliser-Kanal ähnli<strong>ch</strong>en Doppelprofil<br />
erstellt werden. Seine Länge vom Walen- bis zum Züri<strong>ch</strong>see errei<strong>ch</strong>te rund<br />
15 km. Die Einweihung dieses Linthkanals erfolgte 1816, und s<strong>ch</strong>on ein Jahr später<br />
sorgte ein grosses Ho<strong>ch</strong>wasser für eine erste Bewährungsprobe, wel<strong>ch</strong>e einige<br />
gezielte Na<strong>ch</strong>arbeiten erforderte, jedo<strong>ch</strong> die Wirksamkeit des Systems unter<br />
Beweis stellte.<br />
Damit war die Bevölkerung in der Linthebene und am Walensee – letztere insbesondere<br />
in Weesen und Walenstadt – ab 1816 vor weiteren Übers<strong>ch</strong>wemmungen<br />
si<strong>ch</strong>er. Nun musste im S<strong>ch</strong>utz der Dämme das einst fru<strong>ch</strong>tbare, aber im 17. und<br />
18. Jahrhundert versumpfte Land entwässert und rekultiviert werden. Dabei galt es,<br />
die Hinterwässer, wel<strong>ch</strong>e wegen der Dämme ni<strong>ch</strong>t mehr in die Linth münden<br />
konnten, zu fassen und gesondert abzuleiten. Diese und andere Meliorationsarbeiten<br />
dauerten bis ins 20. Jahrhundert hinein, zeigten aber in doppelter Hinsi<strong>ch</strong>t<br />
s<strong>ch</strong>on vorher eine grosse Wirkung: Einmal konnten bis 1845 sämtli<strong>ch</strong>e Aktien, mit<br />
denen das Unternehmen finanziert worden war, bis auf einen ges<strong>ch</strong>enkten Betrag<br />
von 10% dur<strong>ch</strong> Landgewinn abgegolten werden. Dann vers<strong>ch</strong>wand bald – und das<br />
au<strong>ch</strong> im Gefolge anderer grosser Flusskorrektionen – die Malaria.<br />
Die Juragewässerkorrektion von 1868–1891<br />
Beim Austritt aus der Hügelzone bei Aarberg dur<strong>ch</strong>querte die Aare früher eine<br />
breite Ebene bis Büren, wo sie die aus dem Bielersee ausfliessende Zihl aufnahm.<br />
Von dort dur<strong>ch</strong>zog sie dann in vielen Windungen die weiten Flä<strong>ch</strong>en von Büren bis<br />
Solothurn. Das geringe Gefälle dieser fast 30 km langen Strecke gab Anlass zu<br />
Ges<strong>ch</strong>iebeablagerungen mit Verengungen und Erhöhungen des Flussbettes, die<br />
den Ho<strong>ch</strong>wasserabfluss hemmten und zu häufigen Übers<strong>ch</strong>wemmungen des<br />
Umgeländes führten. Aufgrund der Chroniken s<strong>ch</strong>eint es, dass die Häufigkeit dieser<br />
widrigen Ereignisse in der Mitte des 16. Jahrhunderts zunahm. Die Siedlungen,<br />
ursprüngli<strong>ch</strong> am Rand der Gefahrenzone erstellt, wurden von den Ausuferungen<br />
zunehmend errei<strong>ch</strong>t und ges<strong>ch</strong>ädigt. Ein Teil ihres Kulturlandes ging dabei in der<br />
umsi<strong>ch</strong>greifenden Versumpfung verloren.<br />
Dementspre<strong>ch</strong>end wurden au<strong>ch</strong> die Hilferufe der Betroffenen immer lauter, bis die<br />
Berner Regierung, wel<strong>ch</strong>e für einen Grossteil der Gefahrenzone zuständig war,<br />
Literatur<br />
Linth-Es<strong>ch</strong>er Gesells<strong>ch</strong>aft 1993, D. Vis<strong>ch</strong>er, 1992, wo si<strong>ch</strong> weitere Hinweise finden.<br />
30
na<strong>ch</strong> Abhilfe su<strong>ch</strong>te. Von 1704 bis 1833 beauftragte sie rund ein Dutzend Experten<br />
mit der Ausarbeitung von Korrektionsprojekten. Einer der bekannteren unter ihnen<br />
war der badis<strong>ch</strong>e Rheinwuhrinspektor Johann Gottfried Tulla mit seinem Projektvors<strong>ch</strong>lag<br />
von 1816. Den Expertisen fehlte es aber an kühnen Würfen, die dem<br />
komplizierten Zusammenspiel der drei Juraseen – Murten-, Neuenburger- und<br />
Bielersee – mit ihren Ausflüssen und der Aare Re<strong>ch</strong>nung trugen. Dafür waren wohl<br />
au<strong>ch</strong> die vorhandenen topografis<strong>ch</strong>en und hydrologis<strong>ch</strong>en Grundlagen zu wenig<br />
bekannt. Man begann in der S<strong>ch</strong>weiz ja erst ab 1807, und nur ganz ausnahmsweise,<br />
Abflüsse mit dem bis heute verwendeten Woltmanflügel zu messen. Und Höhenbestimmungen<br />
liessen si<strong>ch</strong> bis etwa zu diesem Zeitpunkt in sol<strong>ch</strong> ausgedehnten<br />
fla<strong>ch</strong>en Gegenden offenbar kaum genauer als auf 1 bis 2 Fuss vornehmen. So blieb<br />
denn au<strong>ch</strong> jeder Vors<strong>ch</strong>lag auf dem Papier, bis weitere Übers<strong>ch</strong>wemmungen zu<br />
einer Realisation drängten. Es kam wiederholt vor, dass die Gewässer derart über<br />
die Ufer traten, dass aus den Juraseen, den angrenzenden Sümpfen und den Ebenen<br />
von Büren bis Solothurn vorübergehend ein einziger See entstand. Dies ges<strong>ch</strong>ah<br />
au<strong>ch</strong> 1831 und 1832, so dass si<strong>ch</strong> unter der Führung von Johann Rudolf S<strong>ch</strong>neider,<br />
einem Arzt aus der Gegend, ein örtli<strong>ch</strong>es lnitiativkomitee bildete, das von den<br />
betroffenen Kantonen Bern, Freiburg, Waadt und Neuenburg bald den Status einer<br />
offiziellen Vorbereitungsgesells<strong>ch</strong>aft erhielt.<br />
1840 wurde der damals weitherum konsultierte Bündner Oberingenieur Ri<strong>ch</strong>ard<br />
La Nicca mit der Ausarbeitung einer Lösung beauftragt, wel<strong>ch</strong>e er 1842 vorlegte.<br />
Sie umfasste zum einen die Umleitung der Aare von Aarberg in den Bielersee, die<br />
Ableitung des vereinigten Aare- und Zihlwassers vom Bielersee na<strong>ch</strong> Büren sowie<br />
die Ausweitung und Vertiefung des Aarelaufs von Büren na<strong>ch</strong> Solothurn. Zum<br />
andern sah sie eine Vergrösserung der vom Murten- in den Neuenburgersee fliessenden<br />
Broye sowie der vom Neuenburger- in den Bielersee fliessenden Zihl vor.<br />
Das Ziel des Projektes war es, aus den Juraseen glei<strong>ch</strong>sam kommunizierende<br />
Gefässe zu s<strong>ch</strong>affen, in denen si<strong>ch</strong> die<br />
Ho<strong>ch</strong>wasser der Aare jeweils s<strong>ch</strong>adlos<br />
ausbreiten konnten. Diesen flussbauli<strong>ch</strong>en<br />
Massnahmen sollten no<strong>ch</strong> begleitende<br />
Meliorationsarbeiten in den neu<br />
gesi<strong>ch</strong>erten Ebenen folgen.<br />
Diese Lösung war so umfassend, ja so<br />
kühn, dass sie von vielen ni<strong>ch</strong>t verstanden<br />
wurde. Es bedurfte deshalb einer<br />
jahrelangen Aufklärungsarbeit dur<strong>ch</strong> die<br />
Vorbereitungsgesells<strong>ch</strong>aft, bis endli<strong>ch</strong><br />
26 Jahre später, das heisst 1868, der erste<br />
Spatensti<strong>ch</strong> erfolgen konnte. Zu dieser<br />
Verzögerung trugen allerdings au<strong>ch</strong><br />
die Wirren des Sonderbundkrieges von<br />
1847/1848 bei sowie der Umstand, dass<br />
für die Zusammenarbeit von fünf Kantonen<br />
– zu den oben erwähnten gesellte Die Juragewässerkorrektion 1868–1891.<br />
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si<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> Solothurn – und dem Bund, zuerst die gesetzli<strong>ch</strong>en Grundlagen<br />
ges<strong>ch</strong>affen werden mussten.<br />
Das Kernstück der Juragewässerkorrektion war der Hagneckkanal, dur<strong>ch</strong> den die<br />
Aare von Aarberg in den Bielersee umgeleitet wurde. Er wies eine Länge von 8 km<br />
auf und dur<strong>ch</strong>querte den zwis<strong>ch</strong>en dem Grossen Moos und dem Bielersee liegenden<br />
Molassehügel in einem 35 m tiefen Eins<strong>ch</strong>nitt, der allein den grossen Aushub von<br />
fast 1 Million Kubikmetern Material notwendig ma<strong>ch</strong>te. Die entspre<strong>ch</strong>enden<br />
Arbeiten wurden allerdings dur<strong>ch</strong> den Einsatz von dampfbetriebenen Baubahnen,<br />
Dampfbaggern und Dampfkränen sowie einer Flotte von Transportkähnen wesentli<strong>ch</strong><br />
erlei<strong>ch</strong>tert. Die programmgemäss vorangetriebenen Arbeiten führten 1878 zum<br />
Ziel, als ein Teil des Aarewassers den neuen Weg benutzte, anfängli<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong>sam<br />
nur zögerli<strong>ch</strong>, dann immer mehr, und s<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> zu 100%. Dabei erfuhr der Dur<strong>ch</strong>sti<strong>ch</strong>,<br />
teils gewollt, teils ungewollt, eine starke Ausweitung und Vertiefung dur<strong>ch</strong><br />
Erosion. Die Folge war unter anderem eine ansehnli<strong>ch</strong>e Deltabildung im Bielersee.<br />
Es würde zu weit führen, hier no<strong>ch</strong> alle anderen Arbeiten der Juragewässerkorrektion<br />
zu bes<strong>ch</strong>reiben. Das Projekt von La Nicca bewährte si<strong>ch</strong> aber letztli<strong>ch</strong> in allen<br />
Teilen und ma<strong>ch</strong>te das Seeland – wie die ganze Gegend bezei<strong>ch</strong>net wird – ho<strong>ch</strong>wassersi<strong>ch</strong>er<br />
und landwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> intensiv nutzbar, und zwar für rund 70 Jahre.<br />
Dann ma<strong>ch</strong>ten die dur<strong>ch</strong> die Entsumpfung und den Torfverzehr bedingten grossräumigen<br />
Geländesetzungen eine gewisse Verstärkung der einstigen Massnahmen<br />
notwendig. Eine Arbeit, die als zweite Juragewässerkorrektion bezei<strong>ch</strong>net und<br />
1962 bis 1973 vorgenommen wurde.<br />
Die Umleitung der Mel<strong>ch</strong>aa von 1880<br />
Na<strong>ch</strong> ihrem Austritt aus dem Grossen Mel<strong>ch</strong>tal, floss die Mel<strong>ch</strong>aa früher östli<strong>ch</strong> an<br />
Sarnen vorbei und mündete rund 2 km unterhalb des Sarnersees in die Sarneraa. Bei<br />
starker Ho<strong>ch</strong>wasser- und Ges<strong>ch</strong>iebeführung verursa<strong>ch</strong>te sie in Sarnen und rund um<br />
Literatur:<br />
D. Vis<strong>ch</strong>er, 1992, mit weiteren Literaturhinweisen.<br />
A. Lambert, 1989.<br />
32
den Sarnersee Übers<strong>ch</strong>wemmungen. Das Muster dieses Prozesses ist aus den vorangehenden<br />
Abs<strong>ch</strong>nitten bekannt: Der S<strong>ch</strong>uttkegel an der Mündung und die Überbeanspru<strong>ch</strong>ung<br />
der Abflusskapazität der Sarneraa führten zu einem Rückstau bis<br />
zum See hinauf. Die letzte grosse Ho<strong>ch</strong>wassernot trat 1830 ein. Dann wurde na<strong>ch</strong><br />
Abhilfe gesu<strong>ch</strong>t und in Form einer Umleitung der Mel<strong>ch</strong>aa in den Sarnersee<br />
gefunden. Der Bau erfolgte 1880 und zeigte die erhoffte Wirkung. Seitdem hat die<br />
Mel<strong>ch</strong>aa im See ein Delta von 1,3 Millionen Kubikmeternanges<strong>ch</strong>üttet. Etwa zwei<br />
Drittel davon fielen in den ersten 30 Jahren an.<br />
Leider sind dem Verfasser au<strong>ch</strong> hier keine Angaben über den Projektverfasser, das<br />
Projekt und die Bauausführung bekannt.<br />
Zusammenfassung und Hinweis auf weitere mögli<strong>ch</strong>e Projekte<br />
Die Juragewässerkorrektion hatte in der S<strong>ch</strong>weizer Wasserbau-Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te also<br />
dur<strong>ch</strong>aus ihre Vorbilder und Parallelen. Ja, die Umleitung eines Wildwassers in<br />
einen See kann geradezu als typis<strong>ch</strong>e s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Form der Wasserwehr<br />
bezei<strong>ch</strong>net werden. Denn es s<strong>ch</strong>eint, dass in den bena<strong>ch</strong>barten Ländern ni<strong>ch</strong>ts Verglei<strong>ch</strong>bares<br />
realisiert wurde.<br />
Abs<strong>ch</strong>liessend sei der Frage na<strong>ch</strong>gegangen, ob es in der S<strong>ch</strong>weiz no<strong>ch</strong> andere<br />
sol<strong>ch</strong>e Projekte gab. Ein Blick auf die S<strong>ch</strong>weizerkarte zeigt diesbezügli<strong>ch</strong> ein Zweifa<strong>ch</strong>es:<br />
1. Viele Flüsse der S<strong>ch</strong>weiz ergiessen si<strong>ch</strong> bereits natürli<strong>ch</strong>erweise in einen See: der<br />
Alpenrhein in den Bodensee, die untere Linth in den Züri<strong>ch</strong>see, die Lorze in<br />
den Zugersee, die Muota, die Engelberger Aa und die Urner Reuss in den Vierwaldstättersee,<br />
die obere Aare in den Brienzersee, die Walliser Rhone in den<br />
Genfersee, der Tessin und die Maggia in den Langensee usw. Diese Wildwasser<br />
bedurften also keiner Umleitung im bespro<strong>ch</strong>enen Sinne.<br />
2. Als Flüsse, die si<strong>ch</strong> von den topografis<strong>ch</strong>en Verhältnissen her für eine Umleitung<br />
geeignet hätten, wären insbesondere zu nennen: die Sitter in den Bodensee (zum<br />
Beispiel in der Gegend von Wittenba<strong>ch</strong>), die Sihl in den Züri<strong>ch</strong>see (irgendwo<br />
zwis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>indellegi und Züri<strong>ch</strong>-Enge) sowie die Arve bei Genf (beim Vorort<br />
Carouge). Der Verfasser kennt aber keine entspre<strong>ch</strong>enden Vors<strong>ch</strong>läge, die über<br />
3 <strong>Seebutz</strong> 2001<br />
33
erste Ideen hinausgingen. Die in diesem Zusammenhang etwa erwähnten,<br />
1960/1970 projektierten Sihlstollen bei S<strong>ch</strong>indellegi und in Züri<strong>ch</strong>-Enge, waren<br />
ni<strong>ch</strong>t als Umleitungen der ganzen Sihl geda<strong>ch</strong>t, sondern bloss als Ho<strong>ch</strong>wasserentlastungen.<br />
Tempora mutantur<br />
Glei<strong>ch</strong>sam ergänzend sei no<strong>ch</strong> vermerkt, dass frühere Generationen ihre Probleme<br />
selbstverständli<strong>ch</strong> anders sahen und anders lösten, als wir es heute tun. «Die Zeiten<br />
ändern si<strong>ch</strong> – und wir ändern uns mit ihnen», heisst ein altes Spri<strong>ch</strong>wort. Dem Mut,<br />
dem Einsatz und der Leistung unserer Vorfahren bei der Wasserwehr müssen wir<br />
aber Respekt zollen.<br />
Literatur<br />
A<strong>ch</strong>ermann, I. (1971): Der vers<strong>ch</strong>upfte Surenenknab und seine Spiessgesellen. Zum 60-jährigen Bestehen der<br />
Aawasserkorporation Buo<strong>ch</strong>s-Ennetbürgen, Eigenverlag, Buo<strong>ch</strong>s, 44 S.<br />
Geiser, K. (1914): Brienzersee und Thunersee; Historis<strong>ch</strong>es und Re<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>es über den Abfluss. Publikation<br />
Nr. 2 des S<strong>ch</strong>weiz. Wasserwirts<strong>ch</strong>aftsverbandes, 174 S.<br />
Graf, J.H. (1869): Samuel Bodmer (1652–1724), in «Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Mathematik und der Naturwissens<strong>ch</strong>aften in<br />
bernis<strong>ch</strong>en Landen bis in die neuere Zeit». Verlag Wyss, Bern und Basel, S. 85–104.<br />
Grosjean, G. (1962): Die Ableitung der Kander in den Thunersee vor 250 Jahren. Jahrbu<strong>ch</strong> vom Thuner- und<br />
Brienzersee, 62. Jg., Ufers<strong>ch</strong>utzverband Thuner- und Brienzersee, Interlaken, S. 19–41.<br />
Hassler, H. (1977): Zug, in «Eidg. Amt für Strassen- und Flussbau – Ho<strong>ch</strong>wassers<strong>ch</strong>utz in der S<strong>ch</strong>weiz<br />
1877–1977». Eidg. Drucksa<strong>ch</strong>en- und Materialzentrale, Bern, S. 89–92.<br />
Lambert, A. (1989): Das Delta der Grossen Mel<strong>ch</strong>aa im Sarnersee. Zeits<strong>ch</strong>rift «Wasser, Energie, Luft», Baden,<br />
Jg. 81., H 4/5, S. 61–64.<br />
Linth-Es<strong>ch</strong>er Gesells<strong>ch</strong>aft (1993): Das Linthwerk, Eigenverlag Mollis, 143 S.<br />
S<strong>ch</strong>nitter, N. (1992): Die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des Wasserbaus in der S<strong>ch</strong>weiz. Olynthus Verlag, Oberbözberg, S. 115.<br />
Vis<strong>ch</strong>er, D. (1989): Die Umleitung der Lüts<strong>ch</strong>ine in den Brienzersee im Mittelalter – Legende oder Wirkli<strong>ch</strong>keit?<br />
Zeits<strong>ch</strong>rift «Wasser, Energie, Luft», Baden, Jg. 81, H. 9, S. 239–242.<br />
Vis<strong>ch</strong>er, D. (1992): Die Entwicklung des s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>en Flussbaus, in S<strong>ch</strong>eidegger, F., «Aus der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der<br />
Baute<strong>ch</strong>nik», Bd. 2, Anwendungen, Birkhäuser Verlag, Basel, S. 160–174.<br />
Vis<strong>ch</strong>er, D. und Fankhauser, U. (1990): 275 Jahre Kanderumleitung. Zeits<strong>ch</strong>rift «Wasser, Energie, Luft», Baden,<br />
Jg. 82, H. 1/2, S. 17–25.<br />
Vis<strong>ch</strong>er, D. (1995): Eine typis<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Form der Wasserwehr. S<strong>ch</strong>weiz. Zeits<strong>ch</strong>rift für Forstwesen,<br />
Jg.146, H. 8, S. 613–628.<br />
Verfasser<br />
Prof. Dr. Daniel Vis<strong>ch</strong>er, Versu<strong>ch</strong>sanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) der ETH Züri<strong>ch</strong>,<br />
CH-8092 Züri<strong>ch</strong><br />
34<br />
Sprü<strong>ch</strong>e<br />
Das ist die köstli<strong>ch</strong>ste der Gaben, die Gott dem Mens<strong>ch</strong>enherzen<br />
gibt, die eitle Selbstsu<strong>ch</strong>t zu begraben, indem die Seele glüht und<br />
liebt.<br />
Emanuel Geibel