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1000 Jahre Hufeisen und Hufbes<strong>ch</strong>lag<br />

Ueli Gutkne<strong>ch</strong>t-Mäder<br />

Das bisher älteste Hufeisen in der S<strong>ch</strong>weiz stammt mit grosser Si<strong>ch</strong>erheit aus dem<br />

9. Jahrhundert und wurde 1967 auf der Burg Bellinzona ausgegraben. Weil aber<br />

physikalis<strong>ch</strong>e und <strong>ch</strong>emis<strong>ch</strong>e Methoden versagen, klaffen in der Hufeisendatierung<br />

grosse Lücken. Die vom Kerzerser Tierarzt Urs Imhof neben der praktis<strong>ch</strong>en Tätigkeit<br />

als Landtierarzt in seiner Freizeit in über dreissigjähriger Arbeit entwickelten<br />

Methoden bringen nun Li<strong>ch</strong>t ins bisherige Dunkel.<br />

Die Wände seines Büros sind tapeziert mit systematis<strong>ch</strong> geordneten und bes<strong>ch</strong>rifteten<br />

Hufeisen aus vers<strong>ch</strong>iedenen Jahrhunderten, Röntgenbildern von stark verrosteten<br />

Hufeisen, fotokopiert in diversen Massstäben, Skizzen, Messreihen,<br />

Typisierungslisten, Notizen über Formenunters<strong>ch</strong>iede, Analysen und Tabellen von<br />

Funden aus der ganzen S<strong>ch</strong>weiz. In den Regalen stapeln si<strong>ch</strong> Fa<strong>ch</strong>literatur und die<br />

Ordner mit Datenblättern, Notizen und Korrespondenzen. Wenig ergiebig waren<br />

Imhofs virtuelle Besu<strong>ch</strong>e bei amerikanis<strong>ch</strong>en Hufs<strong>ch</strong>mieden im Internet.<br />

Über ar<strong>ch</strong>äologis<strong>ch</strong>e Dienste eingetroffene Fundstücke aus vers<strong>ch</strong>iedenen Landesteilen,<br />

aber au<strong>ch</strong> aus Salzburg und Holland sind Zeugnisse seiner Bekanntheit in<br />

Fa<strong>ch</strong>kreisen.<br />

Versu<strong>ch</strong> und Irrtum<br />

Mit den Tabellen und Messreihen der vers<strong>ch</strong>iedensten Masse versu<strong>ch</strong>t er Massierungen<br />

zu erfassen, die für eine Typisierung dienli<strong>ch</strong> sein könnten. «Na<strong>ch</strong> unzähligen<br />

Ordnungsversu<strong>ch</strong>en musste i<strong>ch</strong><br />

zum Darwins<strong>ch</strong>en Naturprinzip des<br />

‹Versu<strong>ch</strong>s und Irrtums› greifen», stellt<br />

Imhof lakonis<strong>ch</strong> fest. Heute ist er einer<br />

der wenigen, wenn ni<strong>ch</strong>t gar der einzige,<br />

der Hufeisen auf 50 Jahre genau bestimmen<br />

kann.<br />

Im letzten Semester seines Veterinärstudiums<br />

besu<strong>ch</strong>te Imhof nebenbei<br />

Grundvorlesungen und einige Praktika<br />

über Ur- und Frühges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te. 1962<br />

ma<strong>ch</strong>te Professor Bandi ihn darauf aufmerksam,<br />

dass es bisher ni<strong>ch</strong>t gelungen<br />

sei, gefundene Hufeisen einigermassen<br />

Der Kerzerser Veterinär und Hufeisenfors<strong>ch</strong>er<br />

Urs Imhof mit einem Teil seiner Sammlung<br />

und systematis<strong>ch</strong>en Auswertungen.<br />

(Foto: Ueli Gutkne<strong>ch</strong>t)<br />

genau zu datieren. Seit Bandis Anstoss<br />

arbeitet Imhof nun am Datierungsproblem<br />

und die Lösung ist na<strong>ch</strong> 36jähriger<br />

Fors<strong>ch</strong>ung in Griffnähe.<br />

107


Die Fa<strong>ch</strong>begriffe am Hufeisen.<br />

(S<strong>ch</strong>weizer Ar<strong>ch</strong>iv für Tierheilkunde)<br />

Zur Studienzeit von Urs Imhof war das<br />

Pferd die wi<strong>ch</strong>tigste Tierart. In den<br />

Klinikstunden wurde intensiv die Lahmheitsbes<strong>ch</strong>lagweise<br />

geübt; bei der Behandlung<br />

einer Lahmheit ist vielfa<strong>ch</strong><br />

ein angepasster Bes<strong>ch</strong>lag vordringli<strong>ch</strong>.<br />

Eine gute Kenntnis des Hufbes<strong>ch</strong>lags<br />

ist deshalb gefragt. Hufeisen waren<br />

au<strong>ch</strong> in seiner militäris<strong>ch</strong>en Karriere<br />

seine Begleiter. Beim «Abverdienen»<br />

des Veterinärleutnants in der Hufs<strong>ch</strong>miede-Rekrutens<strong>ch</strong>ule<br />

musste er<br />

den Rekruten die theoretis<strong>ch</strong>en Kenntnisse<br />

des Hufbes<strong>ch</strong>lages vermitteln<br />

und erhielt nebenbei umfassenden Einblick<br />

in die Praxis. Seither zollt er<br />

jedem Hufs<strong>ch</strong>mied grosse Ho<strong>ch</strong>a<strong>ch</strong>tung.<br />

Er ist am Zusammenstellen der Resultate<br />

und mö<strong>ch</strong>te diese Arbeit dann in<br />

Fa<strong>ch</strong>kreisen zur Diskussion stellen.<br />

«Na<strong>ch</strong> Abs<strong>ch</strong>luss der provisoris<strong>ch</strong>en<br />

Chronologie-Tabelle habe i<strong>ch</strong> kurz<br />

no<strong>ch</strong>mals ausländis<strong>ch</strong>e Literatur dur<strong>ch</strong>gesehen<br />

und gefunden, dass meine<br />

Tabelle au<strong>ch</strong> ausserhalb der S<strong>ch</strong>weiz<br />

herangezogen werden kann. Sie muss<br />

aber no<strong>ch</strong> genau überprüft werden.»<br />

Dies würde bedeuten, dass au<strong>ch</strong> genau<br />

datierte Hufeisen von ausländis<strong>ch</strong>en<br />

Fundstellen für die Ergänzung der<br />

Tabelle eingesetzt werden könnten. «I<strong>ch</strong><br />

hoffe, dass mein Beri<strong>ch</strong>t eine Flut von Kritik, Verbesserungsvors<strong>ch</strong>lägen und Meldungen<br />

von weiteren, vor allem datierten Hufeisen, besonders aus der Zeit na<strong>ch</strong><br />

1700 bringen wird. Jedenfalls sollte es nun mögli<strong>ch</strong> sein, die vielen no<strong>ch</strong> überall<br />

lagernden Stücke zu datieren», hofft Imhof.<br />

108<br />

Methodis<strong>ch</strong>es Vorgehen<br />

Die ersten Bü<strong>ch</strong>er über den Hufbes<strong>ch</strong>lag ers<strong>ch</strong>ienen im 16. Jahrhundert. Hilfrei<strong>ch</strong><br />

sind für Imhof besonders drei s<strong>ch</strong>weizeris<strong>ch</strong>e Veröffentli<strong>ch</strong>ungen aus neuerer Zeit.<br />

«I<strong>ch</strong> sammelte Abbildungen von Hufeisen in Publikationen über Ausgrabungen in<br />

der S<strong>ch</strong>weiz. Zudem s<strong>ch</strong>rieb i<strong>ch</strong> alle Museen in der S<strong>ch</strong>weiz an, mit der Bitte um<br />

Zusendung von Abbildungen ni<strong>ch</strong>t publizierter Hufeisen. Dabei bes<strong>ch</strong>ränkte i<strong>ch</strong>


mi<strong>ch</strong> auf die S<strong>ch</strong>weiz, um eventuelle geographis<strong>ch</strong>e Unters<strong>ch</strong>iede in Hufeisentypen<br />

und Verwendungszeit mögli<strong>ch</strong>st auszus<strong>ch</strong>liessen», erläutert Imhof den Anfang<br />

seiner systematis<strong>ch</strong>en Fors<strong>ch</strong>ung. Ni<strong>ch</strong>t alle Museumsleiter waren hilfsbereit. Ein<br />

Prominenter reagierte gar gehässig.<br />

So entstand eine Dokumentation von rund 200 Hufeisen und Fragmenten. Zwei<br />

Drittel waren intakt oder hö<strong>ch</strong>stens bis zu einem Viertel defekt. Nur sie konnten für<br />

die Arbeit herangezogen werden.<br />

«Die Abbildungen vergrösserte i<strong>ch</strong> auf 1:1 und bestimmte viele Masse. Und zwar<br />

diejenigen, die für eine Typisierung Erfolg verspra<strong>ch</strong>en. Dazu hielt i<strong>ch</strong> das Vorkommen<br />

oder Fehlen von Griff, S<strong>ch</strong>miedemarke (Stempel im Eisen) und Rutenstollen<br />

sowie deren Form fest. Ebenso vermerkte i<strong>ch</strong> die Zuordnung dur<strong>ch</strong> den<br />

Ausgräber, besonders ob sie na<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tzugehörigkeit oder dur<strong>ch</strong> Verglei<strong>ch</strong><br />

erfolgte», erklärt Imhof sein Vorgehen. Wi<strong>ch</strong>tige Merkmale sind ausserdem die<br />

Anzahl Nagellö<strong>ch</strong>er, Eisen links/re<strong>ch</strong>ts, für Vorder- oder Hinterbeine, ob mit<br />

Wellenrand oder glatt.<br />

Glei<strong>ch</strong>zeitig sammelte er bei seinen Hofbesu<strong>ch</strong>en als Tierarzt rund 200 von Bauern<br />

auf dem Felde gefundene Eisen. Bald stellte er fest, dass die Ausgräber Eisen<br />

na<strong>ch</strong> 1700 kaum erwähnenswert fanden. Damit fehlten Dokumente für das 18. und<br />

19. Jahrhundert. Die undatierten Feldfunde s<strong>ch</strong>einen jedo<strong>ch</strong> diese Lücke auszufüllen.<br />

Dank Autobahnbau<br />

Man<strong>ch</strong>mal kommen Imhof au<strong>ch</strong> tragis<strong>ch</strong>e Ereignisse zu Hilfe. So der Brand der<br />

Burg S<strong>ch</strong>eidegg (BL) im Jahre 1320/1325, bei dem zwei Pferde ums Leben kamen.<br />

Von ihnen fanden die Ausgräber je drei Hufeisen. Und 1968 stiess man in Kiesen<br />

(BE) beim Bau einer Kanalisationsleitung für die Nationalstrasse N6 auf ein guterhaltenes<br />

Pferdeskelett samt den vier dazugehörenden Eisen. Die Datierung der<br />

Kno<strong>ch</strong>en mit der C14-Methode ergab, dass das Pferd zwis<strong>ch</strong>en 1580 und<br />

1640 starb, vermutli<strong>ch</strong> bei der lokalen Übers<strong>ch</strong>wemmung von 1630. Imhof hat<br />

1994 in der Fa<strong>ch</strong>zeits<strong>ch</strong>rift «S<strong>ch</strong>weizer Ar<strong>ch</strong>iv für Tierheilkunde» ausführli<strong>ch</strong> darüber<br />

beri<strong>ch</strong>tet.<br />

S<strong>ch</strong>wieriger ist die Bestimmung anhand der Funds<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten. Je na<strong>ch</strong> Bodenbes<strong>ch</strong>affenheit<br />

sanken die Eisen im Laufe der Jahrhunderte tiefer und die Funds<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>t<br />

spielt für die Datierung nur eine untergeordnete Rolle. Deshalb ist diese Datierung<br />

nur mit grossen Vorbehalten zu betra<strong>ch</strong>ten. So fand si<strong>ch</strong> in der römis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>t<br />

bei der Brücke von Le Rondet an der Broye ein Hufeisen, das na<strong>ch</strong> heutigen Kenntnissen<br />

von Imhof aus der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts stammt.<br />

Formen und Varianten<br />

Imhof unters<strong>ch</strong>eidet im wesentli<strong>ch</strong>en folgende Grundformen: Stempeleisen<br />

mit Wellenrand bis Mitte des 13. Jahrhunderts. Die Wellenränder entstanden<br />

beim S<strong>ch</strong>mieden der Nagellö<strong>ch</strong>er dur<strong>ch</strong> die Materialverdrängung. Darauf<br />

109


vorne links<br />

vorne re<strong>ch</strong>ts<br />

hinten links<br />

hinten re<strong>ch</strong>ts<br />

Die vier bei Kiesen BE 1968 gefundenen Hufeisen.<br />

(S<strong>ch</strong>weizer Ar<strong>ch</strong>iv für Tierheilkunde)<br />

folgten bis in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts glattrandige Stempeleisen<br />

ohne Wellenrand. Bis etwa Mitte des 17. Jahrhunderts standen Falzeisen im<br />

Gebrau<strong>ch</strong>.<br />

Das Ordonnanzeisen der S<strong>ch</strong>weizer Armee ist ein Falzeisen; private Halter dagegen<br />

bes<strong>ch</strong>lagen ihre Pferde mit dem solideren Stempeleisen. Wegen den modernen<br />

Strassenbelägen werden die Eisen im Gegensatz zu früher nur no<strong>ch</strong> mit Steckstollen<br />

bestückt. Alle modernen Eisen sind an ihrer Vorderseite mit der senkre<strong>ch</strong>ten<br />

«Kappe» versehen. Platten- und Stegeisen kommen bei Hufkrankheiten als orthopädis<strong>ch</strong>e<br />

Eisen zur Anwendung. Zu den Spezialitäten zählen Eisen für Maultiere,<br />

O<strong>ch</strong>sen und Kühe.<br />

110


Hufeisen als Glücksbringer<br />

Im Bu<strong>ch</strong> der Taktik des oströmis<strong>ch</strong>en Kaisers Leo (889–911) (Constitutio de apparatu<br />

armorum Nr. 4) werden zum ersten Mal Hufeisen mit Nägeln erwähnt. «Die<br />

ausführli<strong>ch</strong>e bes<strong>ch</strong>reibende Bezei<strong>ch</strong>nung lässt darauf s<strong>ch</strong>liessen, dass es damals<br />

no<strong>ch</strong> eine ziemli<strong>ch</strong> neue Sa<strong>ch</strong>e war.» (Winkelmann, 1928.)<br />

Im Museum in Aosta zeugt ein spätgotis<strong>ch</strong>er Türsturz mit Hufeisen und Amboss<br />

vom Berufsstolz der Hufs<strong>ch</strong>miede.<br />

Hufeisen gelten seit Generationen als Glücksbringer. Wer kennt sie ni<strong>ch</strong>t, die Neujahrskarten<br />

mit Kaminfeger, vierblättrigen Kleeblättern und Hufeisen? Und der<br />

deuts<strong>ch</strong>e Di<strong>ch</strong>ter Johann Peter Hebel bes<strong>ch</strong>reibt in einem seiner Gedi<strong>ch</strong>te, wie<br />

Jesus mit seinen Jüngern unterwegs ein Hufeisen fand, das er bei einem S<strong>ch</strong>mied<br />

gegen Bares eintaus<strong>ch</strong>te und vom Erlös Kirs<strong>ch</strong>en kaufte.<br />

Walter Drack aus Uitikon-Waldegg ZH s<strong>ch</strong>reibt 1990 in «Bayeris<strong>ch</strong>e Vorges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tsblätter»<br />

von Hufeisen an Kir<strong>ch</strong>en- und Kapellentüren in Frankrei<strong>ch</strong>,<br />

Bayern und Baden-Württemberg. Sie stammen als Zei<strong>ch</strong>en der Dankbarkeit von<br />

Besitzern erkrankter und geheilter Pferde.<br />

Ueli Gutkne<strong>ch</strong>t (1941)<br />

Meine ersten journalistis<strong>ch</strong>en Gehversu<strong>ch</strong>e ma<strong>ch</strong>te i<strong>ch</strong> während meiner Lehrzeit<br />

als S<strong>ch</strong>riftsetzer im Berner Tagblatt. Na<strong>ch</strong> 16 Jahren in Basel, Bern und Züri<strong>ch</strong><br />

lebe i<strong>ch</strong> wieder in Ried bei Kerzers und s<strong>ch</strong>reibe seither regelmässig Beiträge für<br />

den «<strong>Seebutz</strong>», die «Freiburger Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>ten» und die Beilage «Der Kleine Bund».<br />

Die eigene Dunkelkammer ermögli<strong>ch</strong>t mir die optimale Verarbeitung meiner<br />

Fotos. I<strong>ch</strong> bin in einer mittelgrossen Druckerei in Köniz verantwortli<strong>ch</strong> für die<br />

Kundenbetreuung, Disposition und Produktion.<br />

Beiträge im «<strong>Seebutz</strong>» lassen komplexen Zusammenhängen im Gegensatz zu<br />

Tageszeitungen Raum. Darum wüns<strong>ch</strong>e i<strong>ch</strong> dem Heimatbu<strong>ch</strong> des Seelandes ein<br />

langes Leben.<br />

111

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