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Markenführung 2020<br />

Wie die neuen Medien die Mechanismen der<br />

Markenführung ändern<br />

Nürnberg, 26. November 2010


Markenführung 2020 –<br />

Wie die neuen Medien die Mechanismen der Markenführung ändern<br />

Ein Blick in die Zukunft. Was kommt da noch auf uns zu? Alles übertrieben oder nachhaltiger Trend?<br />

Nun, leider gibt es zur Zukunft nicht allzu viele belastbare Zahlen, deswegen erlauben Sie mir bitte, zumindest zur Einstimmung<br />

damit anzufangen.<br />

Die Deutschen sind online. Alle. Fast jedenfalls. Über alle Altersgruppen. Im Schnitt über zwei Stunden pro Tag. Von den bis<br />

29-Jährigen sind schon 95% im Netz. Und nicht nur im stillen Kämmerlein zu Hause. 40% der Handybesitzer haben ein<br />

Smartphone – die Anbieter rechnen damit, dass bis 2015 so gut wie alle Handys Smartphones sein werden. Schon heute ist<br />

jeder zweite Smartphone-Besitzer online. Aber online zu sein ist nicht alles, Und bereits zwei Drittel der Internet-Nutzer sind in<br />

Sozialen Netzwerken.<br />

Wenn über die neuen Medien und die interaktiven<br />

Qualitäten des Web 2.0 gesprochen wird, klafft allerdings<br />

zwischen der Anzahl der Registrierten und der Anzahl der<br />

Schöpfer<br />

11%<br />

Mitglieder<br />

10%<br />

Kritiker<br />

10%<br />

PASSIVE<br />

73%<br />

1 (N)ONLINER Atlas 2010, http://www.initiatived21.de/nonliner-atlas/zentralen-ergebnisse-noa2010<br />

2 Studie eCircle, 2010, Online Befragung, Basis n=1000<br />

3 http://www.initiatived21.de/aktuelles/news/21-prozent-der-handybesitzer-nutzen-das-mobile-internet<br />

Markenführung 2020 - Christoph Prox 2<br />

Aktiven eine deutliche Lücke. Unterschiedliche Studien<br />

kommen zu leicht unterschiedlichen Ergebnissen. Einig sind<br />

sie sich aber in der Tatsache, dass nur ein relativ kleiner<br />

Teil wirklich aktiv bzw. schöpferisch ist.<br />

Ich will Sie nicht mit Formeln und Modellen quälen, aber die<br />

Zahlen liegen je nach Quelle und konkreter Definition so<br />

zwischen 1% und höchstens 20%.<br />

Die Verbraucheranalyse 2009 zählt zum Beispiel 15,8%<br />

aktive Internet-User – am ehesten engagieren sie sich noch<br />

in Blogs (6%), nur jeweils etwa 3% laden Bilder oder Videos<br />

hoch oder arbeiten zum Beispiel bei Wikipedia oder<br />

ähnlichen Plattformen mit. Aktiv kann man allerdings auch<br />

in <strong>Social</strong> Networks sein.


Und hier entwickelt sich im Zeitalter von Facebook & Co. ein interaktiverer Internetnutzertypus. Über 11 Mio. Deutsche sind<br />

aktuell bei Facebook registriert. Knapp die Hälfte loggt sich täglich ein, die durchschnittliche wöchentliche Nutzungsfrequenz ist<br />

binnen eines Jahres um knapp die Hälfte auf etwa 3,5 mal pro Woche gestiegen. Der durchschnittliche Jugendliche ist in drei<br />

Netzwerken registriert, verbringt dort täglich zwei Stunden und hat nahezu 200 Kontakte. Zwar gibt es auch schon die ersten<br />

Gegenbewegungen mit „Quit Facebook“, was einem Facebook bekanntlich nicht gerade leicht macht. Aber 34.000 Austritte sind<br />

bei nahezu 500 Mio. Usern weltweit noch sehr bescheidene Dimensionen.<br />

Dass Facebook mittlerweile das drittgrößte Land der Erde wäre, hat man schon<br />

häufiger einmal gehört. Aber die Neuen Medien allein auf Facebook, Twitter oder<br />

Xing zu beschränken, wäre zu kurzgesprungen. Hier entwickelt sich tatsächlich<br />

eine neue Welt mit unterschiedlichsten Anwendungen. Selbst wenn uns das Web<br />

3.0, auch das semantische Web genannt, noch gar nicht erreicht hat.<br />

Markenführung 2020 - Christoph Prox 3<br />

Und wer meint, die Neuen Medien würden sich doch wie eine New Economy-<br />

Blase oder die Sternschnuppe Second Life in absehbarer Zeit in Wohlgefallen<br />

auflösen, der möge noch einmal nachdenken.<br />

Manch einer meint sicherlich, die Neuen Medien würden sich doch wie eine New<br />

Economy-Blase oder die Sternschnuppe Second Life in absehbarer Zeit in<br />

Wohlgefallen auflösen. Die Experten sehen das anders. Es gibt zu diesem Thema<br />

einige interessante Delphi-Studien, unter anderem von der publisuisse. Diese<br />

führte erstmals 2005, nochmals 2009 eine Delphi-Studie zu „Medien der Zukunft“<br />

durch. Befragt wurden Technologie-Experten, Medienfachleute und Endverbraucher.<br />

Während 2005 noch große Uneinigkeit vorherrschte, ist das Bild jetzt sehr<br />

homogen: 73% der Experten (und nur unwesentlich weniger Medienexperten und<br />

Endverbraucher) sehen das Szenario der digitalen Vielfalt auf uns zukommen.<br />

Dies geht für 2015 von einer vollständigen Digitalisierung aus. Innovationen<br />

haben den Massenmarkt erreicht und durchdrungen. Neue Technologien haben<br />

sich entwickelt und wurden massenreif gemacht. Inhalte können praktisch überall<br />

systemübergreifend abgerufen werden – anything, anytime, anywhere. Internet<br />

und TV werden Leitmedien, IPTV weit verbreitet sein.


Warum ist das alles für die Markenführung so relevant?<br />

Weil dies eine Entwicklung ist, die gesellschaftliche Implikationen hat. Weil sich nicht nur<br />

die Medienlandschaft und die Technologie ändern, sondern mit ihr auch das Verhalten der<br />

Menschen. Und damit auch, wie sie ihr Markenwissen erwerben.<br />

Warum gesellschaftlicher Wandel? Technologischer Wandel allein verändert noch keine<br />

Gesellschaft – er tut es nur, wenn er Resonanz in Bedürfnissen findet. Und diese Bedürfnisse<br />

sind meistens nicht neu, sondern uralt und werden nur neu interpretiert und bedient.<br />

Das Automobil revolutionierte das Verständnis von Mobilität, Flexibilität und Freiheit.<br />

Das, was wir momentan erleben, vergleichen manche Medienwissenschaftler mit der Einführung<br />

des Buchdrucks. Selbiger ermöglichte erstmals die Reproduktion und Verbreitung<br />

von Wissen. Und schuf auch – durch die Strukturierung in Kapitel, Abschnitte, etc. – unser<br />

analog-sequentielles Weltbild mit einem linear-kausalen Denken.<br />

Das Internet gibt den Menschen nun Wissen und Macht in die Hand wie vorher nur der<br />

Buchdruck. Die Vollendung erfolgt durch das Web 2.0, das den Menschen darüber hinaus<br />

auch Kontrolle über Inhalte in die Hand gibt. So wie der Buchdruck den Beginn der Säkularisierung<br />

und den Machtverlust der Kirchenfürsten bedeutete, so droht das Web 2.0<br />

heute viele Monarchen der Markenartikelindustrie zu entmachten, wenn sie sich nicht an<br />

die neue Zeit anpassen können. Die Geschwindigkeit nimmt zu. Beliebig viele<br />

Informationen, nur eine Zuckung des Zeigefingers entfernt. Klick.<br />

Dagegen ist die Fernbedienung des Fernsehers gar nichts. Man klickt sich durch. Und<br />

nimmt sich kaum Zeit mehr. Entweder, eine Seite spricht sofort an – oder man ist schon<br />

auf der nächsten. Vergleichen Sie mal die Länge eines Webtextes mit dem einer<br />

Zeitschrift oder Zeitung. Es muss schon auf eine Bildschirmseite gehen, damit es eine<br />

Chance hat. Und diese Art der Informationsaufnahme, das Kurze, Gehetzte, Komprimierte,<br />

wird zum allgemeinen Standard. Die Geduld sinkt, die Bereitschaft sich mit etwas in der<br />

Tiefe auseinanderzusetzen ebenso. Gleichzeitig steigt die Reizschwelle, die überschritten<br />

werden muss, um überhaupt noch wahrgenommen zu werden. Das Normale, Alltägliche<br />

läuft Gefahr unterzugehen.<br />

Markenführung 2020 - Christoph Prox 4


Inwiefern ändern Internet und die neuen Medien die Gesellschaft?<br />

Die Neuen Medien zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie die traditionelle Einbahnstraßenkommunikation in das<br />

überführen, was man eigentlich unter Kommunikation versteht, nämlich einen Austausch, eine Konversation. Sie entwickeln<br />

sich deswegen so rasant, weil sie die Bedürfnisse der Menschen nach (Raus: Kontrolle, ) sozialer Interaktion und Unterhaltung<br />

bedienen. Und das in einer magischen Mischung aus Distanz und Nähe. Märkte werden daher immer stärker durch situativen<br />

Austausch geprägt. Vernetzung als neue Form der sozialen Ordnung. Es gibt keine Geheimnisse mehr. Urteilsbildung wird von<br />

einem individuell/intuitiven zu einem (raus: sozial dezentralisierten und) statistischen sozialen Vorgang. Man wählt, was die<br />

besten Bewertungen bekommt, wie das heute bereits erkennbar ist (raus: in den Bewertungen) bei bei Amazon, Tripadvisor,<br />

dooyoo, idealo, Facebook und Co.<br />

Das geht einher mit einem veränderten Bewusstseinszustand: Ich möchte das, was da auf uns zukommt, einmal als „persönlichen<br />

Informations- und Lebensfluss“ bezeichnen. Ein Strom aus Anreizen und Informationen, die uns wichtig sind, an denen<br />

uns liegt. Ein Strom, der ständig an uns vorbeifließt, der sich dynamisch verändert. Zugreifen ist ganz einfach. Der Lese- und<br />

Verarbeitungsvorgang gleicht hier eher einem schnellen, intuitiven Scannen und Filtern von Informationen. Wobei der Strom


auf unseren Input reagiert. Man kann quasi Steine in Form von Posts, Kommentaren oder Klicks hineinwerfen, um die Fließrichtung<br />

und -geschwindigkeit mit zu beeinflussen. Das geht viel weiter als nur Emails mobil zu empfangen. Die „Tweets“,<br />

„Feeds“ und „Streams“ von heute geben bereits einen ersten Vorgeschmack auf dieses Flow-Gefühl. In Zukunft werden aber<br />

nicht nur Freunde meinen „Lifestream“ füttern. Das Netz wird recht genau wissen, was uns interessiert.<br />

Und es wird den Strom intelligent mit personalisierten Informationen, Dokumenten, Terminen und Vorschlägen füttern. Beruflich<br />

wie Privat. Dieser personalisierte Informationsstrom wird von überall aus zugänglich sein, mobiles Breitband Internet und Cloud<br />

Computing selbstverständlich. Wir sind damit nicht nur „always on“, sondern eher „always in“. Im Fluss. Und wir werden seltener<br />

abschalten und fast immer auf standby stehen.<br />

Neu ist v.a. die individuelle Qualität, Allgegenwärtigkeit und Zugänglichkeit der Informationen. Was sich durch die neuen Medien<br />

ändern wird, sind die Verarbeitungsprozesse. Kürzer. Schneller wechselnd. Fließend. Eine ganz nahe Projektionsfläche<br />

der Welt. Das spannende daran ist, dass jeder seinen Lebensstrom haben wird – man kann ihn selbst mitbestimmen und gestalten.<br />

Das heißt, jeder Lebensstrom wird sich von dem der anderen unterscheiden, individuell sein.<br />

Nehmen wir einmal an, eine Ihrer Leidenschaften ist das Halten oder Züchten von Feuersalamandern. Früher waren Sie damit<br />

möglicherweise ziemlich allein in Ihrem Umfeld, haben sich tagtäglich um Ihre Tierchen gekümmert. Einmal in der Woche das<br />

Terrarium sauber gemacht, dann haben Sie wahrscheinlich einmal monatlich die Terrarien-Rundschau oder so gelesen und<br />

mal bei Ihrem Zoofachhändler vorbeigeschaut, mit dem Sie darüber diskutieren konnten, ob nun Mehlwürmer oder Nacktschnecken<br />

das bessere Futter sind.<br />

Heute können Sie sich im Feuersalamander-Chat mit Gleichgesinnten unterhalten, über Hunderte von Websites stöbern und<br />

überhaupt einen Großteil Ihrer Zeit mit Ihrem Hobby verbringen.<br />

Aber es muss gar nicht so ausgefallen sein: Für was auch immer Sie sich interessieren, das Web ermöglicht es, sich entschieden<br />

länger und ausführlicher mit den Themen zu beschäftigen als das früher der Fall gewesen wäre. Leider hat man die Länge<br />

der Tage nicht gleichzeitig angepasst. Bei 24 Stunden ist nach wie vor Schluss.<br />

Das heißt nun, dass die „High Involvement“-Themen mehr Zeit bekommen, zweite Reihe-Themen leiden und alles andere<br />

bekommt genauso wenig Zeit ab wie vorher. Die meisten Menschen werden in Zukunft nicht die Zeit haben oder es wird ihnen<br />

die Zeit nicht wert sein, sich intensiv mit Konfitüre, Zahnpasta oder Girokonten zu beschäftigen. Das bedeutet aber umgekehrt,<br />

dass für diese Themen „mentale Abkürzungen“, die die Entscheidungsprozesse vereinfachen – und das sind Marken ja nun<br />

einmal, – relevant bleiben oder noch relevanter werden.<br />

Markenführung 2020 - Christoph Prox 6


Markenführung 2020 - Christoph Prox 7<br />

Wissen wird als Erfolgsfaktor weniger wichtig. Wie die Menschen mit der<br />

Einführung des Taschenrechners nach und nach das Kopfrechnen verlernten<br />

(und auch verlernen durften), verliert mit Wikipedia der Brockhaus<br />

seine Bedeutung, auch der im Kopf. Alles ist schließlich innerhalb weniger<br />

Sekunden abrufbar. Die externe Festplatte wird wichtiger, der eigene Kopf<br />

braucht weniger Speicherkapazität.<br />

Und weil das so ist, wird sich auch das Erlernen von Informationen ändern.<br />

Es reicht oberflächlich. Und darf schnell und kurz sein. Muss es sogar.<br />

Wie Mittelstraß schon in den 90ern prophezeit hat: Wir werden zu Informationsriesen<br />

und Wissenszwergen. Es mangelt nicht an Daten, Fakten,<br />

Informationen. Aber selbst die Interpretation wird öfters einmal „outgesourct“,<br />

man reflektiert weniger, plappert eher nach, orientiert sich an den<br />

Urteilen anderer. Aktionismus und Herdentrieb ersetzen überlegtes Handeln.<br />

Das Internet, speziell seit Web 2.0, seit es von einem Einbahnstraßen-<br />

zu einem interaktiven Medium geworden ist, schafft die totale<br />

Transparenz. Und die totale Objektivität.<br />

Nun, das mit der totalen Objektivität ist so eine Sache. Die Menschen<br />

lernen mittlerweile, dass das Internet auch nicht der weiße Ritter ist, für<br />

den man es eine Weile gehalten oder auf den man zumindest gehofft<br />

hatte.<br />

Wie bei allen erfolgreichen Dingen<br />

bringt Erfolg eine Professionalisierung<br />

und Kommerzialisierung mit sich. Und<br />

beides verträgt sich mit Idealismus nur<br />

bedingt. Kommerzialisierung führt dazu, dass der Zweck die Mittel wenn schon nicht heiligt, so<br />

doch legitimiert. Die Unschuld geht verloren. Gefälschte Kundenrezessionen bei der Bahn oder<br />

WePad, manipulierbare Reihenfolgen bei Suchergebnissen und Berichte fraglicher Recherchequalität<br />

unbekannter Absender tragen dazu bei, dass die Menschen das Web als Informationsquelle<br />

Nr. 1 zwar nach wie vor nutzen, sich aber nicht allein darauf verlassen wollen. Auch ist<br />

die Transparenz eine Medaille mit zwei Seiten. Die gläserne Welt für den Nutzer und der<br />

gläserne Nutzer für die, die über die Daten verfügen.


Marke? Bleibt! Warum Marken auch in der neuen Welt wichtig bleiben<br />

Die Technologie ändert also die Gesellschaft. Und zwar in der Art wie sie Informationen<br />

aufnimmt, verarbeitet und verwertet. Und weil Marken in erster Linie aus „gelernter<br />

Information“ – rational und emotional, aus Botschaften und konkreten Signalen – bestehen,<br />

ist diese Entwicklung von höchster Relevanz für die Markenführung. Aber haben Marken in<br />

der schönen neuen Welt der Klicks und des grenzenlosen Austauschs mit anderen<br />

zukünftig überhaupt eine Rolle zu spielen? Wird sie die totale Transparenz des Webs nicht<br />

überflüssig machen? Werden sie nicht schnell demaskiert und unterminiert?<br />

Und wenn sie denn bleiben sollten, wird ihre Führung nicht den Unternehmen aus der Hand<br />

genommen und geht in Verbraucherhand über? Die Unternehmen führen ihre Marken dann<br />

nicht mehr, sie dackeln den Menschen hinterher, versuchen so gut es geht Schritt zu halten<br />

und die Marken fast opportunistisch dem Zeitgeist anzupassen?<br />

Nun, an den Argumenten ist was dran – wir meinen: Ganz so wird es nicht kommen, es gibt<br />

noch ein paar andere Argumente. Die totale Objektivität ist auch im Web ein nicht<br />

erfüllbares Ideal, die totale Transparenz vielfach ein theoretisches Konstrukt, weil die<br />

Menschen nicht beliebig viel Zeit haben, um die Möglichkeiten tatsächlich zu nutzen. Und<br />

weil das Finden relevanter Informationen bei ansteigender Datenfülle und manipulierbarer<br />

Suchalgorithmen immer schwieriger wird. Nun, letzteres mag durch die nächsten<br />

technologischen Entwicklungen, wie die des semantischen Webs, in Zukunft besser<br />

werden, dennoch gelten die starken Argumente für Marken auch in einer vernetzten Welt:<br />

Menschen suchen nach Orientierung.<br />

Menschen suchen nach kognitiver Vereinfachung.<br />

Menschen wollen sich abgrenzen.<br />

Menschen möchten Zugehörigkeit zum Ausdruck bringen.<br />

Menschen wollen sozialen Status dokumentieren.<br />

Menschen wollen sich an Vergangenes erinnern.<br />

Menschen wollen sich hin und wieder mit etwas Besonderem verwöhnen.<br />

Markenführung 2020 - Christoph Prox 8


Neue Medien. Antwort auf alles? Ein Systematisierungsraster<br />

Wir haben uns intensiv mit der Thematik beschäftigt, Literatur gewälzt, Erkenntnisse aus eigenen Studien ausgewertet, sowohl<br />

hier als auch bei unseren ausländischen Schwesterbüros, Cases recherchiert und natürlich das Web selbst abgegrast.<br />

Im Verlauf dieser Recherchen stößt man darauf, dass es keine allgemeingültige Antwort auf die Relevanz der neuen Medien für<br />

die Markenführung gibt. Es ist tatsächlich von Kategorie zu Kategorie unterschiedlich. Das mögen Sie so schon einmal gehört<br />

haben, hilft aber nicht wirklich weiter. Wir haben daher versucht, das Ganze einmal zu systematisieren. Was auch nicht so leicht<br />

ist, weil die Dinge von so vielen Faktoren abhängen.<br />

Zwei Dimensionen sind für eine Systematisierung am besten geeignet: Auf der Y-Achse Involvement, auf der X-Achse die<br />

Erklärungsbedürftigkeit. Warum diese Systematisierung? Weil sie zeigt, welches Potential Neue Medien gewissermaßen aus<br />

dem Stand entwickeln: Faktor Involvement: Das Web ist – im Gegensatz zum Fernsehen – ein Aktiv-Medium. Das heißt, was<br />

ich mir anschaue, will ich mir auch anschauen, es trifft mich nicht so einfach zufällig. Auch wenn immer raffiniertere (und<br />

penetrant-lästigere) Pop-Ups versuchen, diese Gesetze außer Kraft zu setzen. Mit anderen Worten: Ich beschäftige mich mit<br />

den Themen, die mich interessieren. Den Rest blende ich aus. Faktor Erklärungsbedürftigkeit: Unabhängig vom Involvement<br />

gibt es Themen, bei denen ich mich auskenne oder die so simpel sind, dass ich sie auch ohne Hilfe verstehe. Und solche, wo es<br />

etwas komplizierter wird. Technische Zusammenhänge, oder komplexere Dienstleistungen. Hier kann ein wenig Aufschlauen<br />

nicht schaden. Auch wenn Involvement natürlich von Mensch zu Mensch unterschiedlich ist, haben wir ein paar<br />

Beispielkategorien eingefügt, die Sie in der Zwischenzeit sicherlich alle gelesen haben.<br />

Markenführung 2020 - Christoph Prox 9


Hohe Bedeutung für die Markenführung können die Neuen Medien demnach oben rechts entwickeln. Die Menschen interessieren<br />

sich für die Produkte und wünschen sich mehr Informationen. Unten rechts ist dieses Bedürfnis situativer: Nämlich nur<br />

dann, wenn konkrete Entscheidungen anstehen. Schwierig wird es unten links: Die Produkte und ihre Absendermarken sind<br />

eher einfach und nicht besonders interessant. Warum sollte sich also jemand in den neuen Medien mit ihnen beschäftigen?<br />

Auch die Produkte oben links sind einfach, üben aber mehr Faszination und daher mehr Anziehungskraft aus. Auch wenn die<br />

vier Felder unterschiedliche Ausgangsrelevanz für den Einsatz Neuer Medien haben, heißt das noch nicht, dass diese nicht in<br />

allen vier Feldern funktionieren<br />

können. Die Stoßrichtungen<br />

sind nur andere. Zentral ist:<br />

Wer Menschen erreichen<br />

will, muss ihnen einen<br />

relevanten Nutzen bieten.<br />

Warum sonst sollte ich mich<br />

mit der Marke auseinandersetzen?<br />

Auf der rechten Seite ist dies<br />

relativ einfach: Die Produkte<br />

erschließen sich nicht in allen<br />

Details von selbst. Hier kann der<br />

Absender mit geeigneten Serviceangeboten<br />

helfen. Da das Involvement<br />

oben rechts entsprechend hoch ist, bestehen hier tatsächlich Chancen für eine kontinuierliche Interaktion mit der Marke, wenn<br />

das Neue Medien-Angebot interessant genug ist. Unten rechts wird Hilfe ebenfalls dankbar angenommen. Wenn dann der<br />

Bausparvertrag aber einmal abgeschlossen ist, der Stromtarif umgestellt oder das DSL-Netz läuft, ist es mit der Interaktion<br />

allerdings fürs Erste vorbei. Der schwierigste Quadrant ist unten links. Zu erklären oder helfen gibt es hier kaum etwas. Wenig<br />

Menschen interessieren sich so ernsthaft für die Ingredienzien von Knäckebrot oder die Wirkstoffe von Zahnpasta, dass sie<br />

danach aktiv im Web fahnden würden. Hier muss man auffallen, kreativ sein, häufig unterhalten – aber das bitte mit Bezug zum<br />

Markenversprechen.<br />

Ein Gorilla, der zu Phil Collins „In the air tonight“ auf das Schlagzeug eindrischt, schafft zwar viele Youtube Visits, dürfte aber für<br />

den Absender Cadbury‘s Schokolade null und gar nichts bewirken. So viel haben Gorillas schließlich nicht mit dem „Besten aus<br />

einem halben Glas Milch“ zu tun. Nicht mal mit einem ganzen Glas …Oben links ist‘s einfacher, wie z. B. einige durchaus<br />

erfolgreiche Neue Medien-Kampagnen im Bereich alkoholische Getränke zeigen: Durch das Involvement ist ein kontinuierlicher<br />

Dialog bzw. eine dauerhafte Interaktion möglich.<br />

Markenführung 2020 - Christoph Prox 10


Einige Beispiele<br />

Fangen wir mit unten links an, also dort, wo eigentlich die Bedeutung im Markenführungsmix am geringsten sein sollte und es<br />

stark um Unterhaltung geht. Interessanterweise finden sich hier doch einige Beispiele – wohl auch deswegen, weil hier einige<br />

der großen Markenartikler verortet sind. Und auch, weil die beiden Achsen nicht die einzigen Faktoren sind, die über Sinn und<br />

Unsinn der Neuen Medien entscheiden, sondern z. B. auch die Budgethöhe. Gerade bei geringen Budgets sind Strategien,<br />

die auf klassischen Medien beruhen, ziemlich hoffnungslos. Die Neuen Medien bieten hier ohnehin mit die einzige Alternative<br />

(neben POS-Maßnahmen).<br />

Das Vorzeigebeispiel schlechthin ist aktuell Old Spice mit „Smell like a<br />

man, Man“, mit einer unglaublichen Resonanz in den USA. „Dein Typ<br />

sieht zwar nicht so aus wie ich, aber er kann riechen wie ich“ – was mit<br />

dem Superbowl begann, wurde zum Web- und New <strong>Media</strong>-Kult, bei<br />

dem der Old Spice-Man sogar Promis wie Ashton Kutcher per Video<br />

auf ihre per Twitter gestellten Fragen antwortet. P&G apostrophiert<br />

das Ganze auch als großen Markterfolg.<br />

Und wer sich die Verkaufszahlen nach dem Kampagnenstart anschaut,<br />

könnte auch zu diesem Schluss kommen. Allerdings macht eine genauere<br />

Analyse deutlich, dass es sich hier in erster Linie um die Wirkung einer<br />

radikalen Preispromotion „Buy one, get one for free + a4$ Coupon“ in<br />

Drugstores handelt. Gilette, ebenfalls von P&G, wurde im selben Zeitraum<br />

mit derselben Promotion unterstützt – und hat dieselben Ergebnisse.<br />

Die bereinigten Zahlen, die den Baseline-Effekt ausweisen, zeigen ein<br />

ganz leichtes Verkaufsplus. Trotzdem: In diesem Beitrag soll es ja um Markenführung gehen – und für die Stärkung der<br />

Marke Old Spice hat diese Kampagne mit Sicherheit eine Menge getan.<br />

Baccardi ist ein Fall für ein kaum erklärungsbedürftiges High Involvement-Produkt: Natürlich aufgrund der jungen Zielgruppe<br />

auch perfekt geeignet. Kampagnenidee: Wir unterstützen Euch beim – Partyfeiern! Hier kann man Parties planen, sich präsentieren,<br />

andere kennenlernen. Partystadt wählen (mit Partystadt-Botschaftern, Partystadt-Blog), Party-Uni-Tour (Termine,<br />

Bildergalerie), Partyplaner (Freunde einladen). Das Budget war überschaubar, der Weg-Ansatz wurde schön verzahnt mit<br />

Plakaten vor Diskos und Disko-Promotions. Sehr erfolgreich, der Absatz stieg um 50%.<br />

Markenführung 2020 - Christoph Prox 11


Andere Erfolgsstories in Deutschland sind Bébé Youngcare oder Ritter Sport Olympia. Eine Kampagne, die zwar nicht nur über<br />

<strong>Social</strong> <strong>Media</strong> lief, aber darin eine wichtige Komponente hatte, und sogar den Gold Effie bekam.<br />

Und schließlich, ganz aktuell, die Telekom-Kampagne „Millon Voices“ mit Thomas D von den Fantastischen Vier. Hier passen<br />

die Neuen Medien natürlich wie die Faust aufs Auge. Für einen Telekommunikationskonzern gehören diese natürlich zum Kern<br />

des Geschäfts. Wieder mal ein Ansatz, der die Telekom hochgradig emotional in Szene setzt, der die Leute – wie schon<br />

seinerzeit bei Paul Potts – packt und zum Mitmachen animiert. Die Reaktionen sind beeindruckend – und besonders schön<br />

daran ist natürlich auch die Tatsache, dass mit dem Versenden von kleinen Videos und Song-Schnipseln die Breitband-<br />

Kompetenz der Telekom inszeniert wird. Also keine Unterhaltung um der Unterhaltung willen, sondern mit relevanten<br />

Markenbotschaften. Schließlich fungiert das alles auch noch als Launchkampagne für den neuen Telekom Music Shop – hier<br />

wird eine 360 Grad-Kampagne über die Neuen<br />

Medien zu einem richtigen Gewinner.<br />

Am meisten bieten sich die neuen Medien im<br />

Bereich High Involvement / Erklärungsbedürftig<br />

an.<br />

Automobil ist hier prototypisch. Von der neuen<br />

Kampagne für den Polo GTI werden Sie<br />

womöglich gelesen haben. VW begeht hier<br />

Neuland, indem die gesamte Kampagne<br />

komplett über die Neuen Medien, genauer<br />

gesagt auf Facebook, läuft. Zwei Dinge<br />

kommen hier noch dazu, die diese Strategie<br />

plausibel machen: Eine sehr spezielle<br />

Zielgruppe, bei der klassisch hohe Streuverluste<br />

auftreten würden, und ein kleines Budget.<br />

Das ist ein perfektes Beispiel für einen<br />

sogenannten „Long Tail“-Ansatz, wo also das<br />

Internet erlaubt, auch kleinste Zielgruppen<br />

wirtschaftlich zu erreichen und zu bedienen.


Was nun? Was tun? Fünf konkrete Handlungsempfehlungen<br />

Schön, Beispiele sind immer nett, was aber kann oder sollte man tun? Wir haben gesehen, dass die Neuen Medien zwar die<br />

Welt verändern, aber ihre Nutzung für die Markenführung nicht so ganz einfach ist – und vor allem in unterschiedlichen<br />

Kategorien unterschiedliche Strategien verlangt. Dann geben wir mal „Butter bei die Fische“. So, wie Sie es von uns gewohnt<br />

sind, fünf konkrete Dinge, über die Sie nachdenken sollten:<br />

1. Etablieren Sie ein Notfall-Team<br />

Auch wenn Sie nichts im Bereich Neue Medien unternehmen wollen. Auch wenn Sie die Einstellung haben sollten „Schau mer<br />

mal, dann seh ma scho“. Eines sollten Sie auf jeden Fall tun: Ein „Notfall-Team“ etablieren. Was heißt das? Keiner ist vor<br />

einem GAU im Web gefeit. Auch das edelmütigste und beliebteste Unternehmen kann in eine Krise geraten, wenn z. B. der<br />

Marketingleiter nach einer feuchtfröhlichen Feier ein kleines Kind<br />

anfährt. Wenn eine solche Krise da ist, muss schnell gehandelt<br />

werden …… und professionell. Klassische hierarchische Abstimmungsprozesse<br />

funktionieren dann nicht mehr, weil die zu bearbeitende<br />

und beantwortende Flut an Meldungen a) die Kapazität von<br />

einzelnen oder z. B. einer PR-Abteilung bei weitem übersteigt und<br />

b) in Echtzeit reagiert werden muss. Das bedeutet in diesen Fällen<br />

eine Dezentralisierung der Markenführung. Wählen Sie entsprechen-<br />

De, geeignete Mitarbeiter aus und schulen Sie diese entsprechend.<br />

Entwickeln Sie einen Notfallplan. Dies ist eine Aufgabe, die wirklich<br />

JEDES Unternehmen betrifft.<br />

Beispiele gibt es genügend, an dieser Stelle nur eines, wie aus einem<br />

kleinen Vorfall ein großer Unfall werden kann:<br />

United Airlines: Auf einem Flug von Halifax nach Chicago mit United<br />

wurde die Gitarre von Dave Caroll Opfer von „Flugübungen“ bei der<br />

Gepäckverladung. Nachdem auf seine Beschwerden nicht reagiert<br />

wurde, hat er einen Song über den Fall komponiert und auf YouTube<br />

veröffentlicht. Das Video wurde bisher fast 9,5 Mio mal angeklickt.<br />

United hat schließlich die Gitarre doch noch ersetzt und verwendet<br />

das Video mittlerweile in Schulungen für Kundenservice.<br />

Markenführung 2020 - Christoph Prox 13


2. Passen Sie Ihre Schlagzahl der neuen Welt an<br />

Eine Konsequenz aus den genannten Entwicklungen ist, dass Markenführung agiler und dynamischer wird. Die Zeiten, da<br />

eine Marke einmal sauber durchdekliniert wurde, das umgesetzt und dann alle paar Jahre ein Relaunch kam, sind für die<br />

meisten vorbei. Dazu passiert in der Zwischenzeit zu viel. Auch hier gilt gewissermaßen: Always on. Das bedeutet, dass<br />

Marken keine statischen Gebilde mehr sind, sondern zu aktiven, pulsierenden Systemen werden sollten, die in Kontakt mit<br />

ihren Zielgruppen treten und mit diesen bestenfalls interagieren. Die vor allem im High Involvement-Bereich neue Impulse<br />

setzen müssen, um interessant und im Gespräch zu bleiben. Und im Low Involvement-Bereich immer wieder aktualisieren<br />

müssen, um in den Köpfen zu bleiben. Das heißt auch, dass Marken interessant und facettenreich sein müssen, dass sie in<br />

der Lage sein müssen zu überraschen. Ein sehr enges Korsett ist dabei schädlich, die Marke muss beweglich sein. Es geht in<br />

Zukunft weniger um rigide, detailliert durchdeklinierte „executional mandatories“ als um Kohärenz. Wer zu starr ist, langweilt,<br />

wer langweilt gerät aus dem Blickfeld. Und wer nicht mehr wahrgenommen wird, wird schnell vergessen. Beispiele für<br />

derartige „lebendige Marken“ sind Ikea – stets unverkennbar, aber immer wieder neu; Red Bull, Nike; Google (mit immer<br />

wieder neu kreativen Gestaltungen des Logos – das aber wohl dosiert) oder – mit kleineren Budgets – das ist im Übrigen<br />

nicht nur eine Frage des Geldes, das können durchaus auch kleinere Marken tun.<br />

… aber werden Sie nicht zum Aktionisten<br />

Allerdings sollte die Erhöhung der Schlagzahl nicht zum wilden<br />

Umherrudern führen. Es gilt, die Zügel noch selbst in der Hand zu<br />

halten und nicht zum Getriebenen zu werden. Wenn Sie heute in<br />

Blogs und Communities gehen, finden Sie vermutlich so gut wie<br />

zu jeder Marke Diskussionen. Das Web funktioniert hier nicht nur<br />

wie eine Lupe, sondern wie ein Mikroskop.<br />

Man kann Dinge entdecken, von denen man nicht die geringste<br />

Ahnung hatte, dass sie überhaupt existieren. Und manches<br />

davon wird überwirklich groß.<br />

Die Frage ist: Wie wichtig sind diese? Oder anders: Wer sollte sich<br />

darum kümmern? Disaster-Check: Ja. Und ein Trendmonitoring: Auch. Permanentes Feedback über die Beobachtung und<br />

Auswertung dieser Rund-um-die-Uhr-Kommunikation kostet jedoch Zeit und hält Sie von dem ab, was Sie eigentlich tun<br />

sollten. Stichwort: Schirrmacher: Multi-Tasking und Permanent-Ablenkung führen zum Verlust des Richtungssinns.<br />

Markenführung 2020 - Christoph Prox 14


3. Leben Sie Ihre Marke im Unternehmen<br />

Mit der Dynamisierung der Marke und dem Ansteigen der Touchpoints werden mehr und mehr Mitarbeiter mit der Außenwelt<br />

interagieren und somit zum Markenbotschafter. Damit das geschehen kann, muss allerdings die Markenidentität im<br />

Unternehmen zunächst verstanden und verinnerlicht werden. Warum? Wenn eine Marke ständig neue Impulse setzen soll,<br />

muss klar sein, wofür sie steht. Was zur Marke passt, und wo ihre Grenzen sind. Die Leitplanken oder wie hier auf dem Bild –<br />

die Curbs - müssen klar definiert werden. Wo bin ich auf Kurs, wo abseits der Strecke? Sie könnten jetzt sagen: „Na toll, das<br />

sagen Sie seit ungefähr 15 Jahren“. Stimmt, seit 18 sogar. Aber das hier ist trotzdem nicht die alte Leier vom Markensteuerrad,<br />

klaren Markensignalen und so weiter.<br />

Was ändert sich? Marke durfte nie komplex sein. Jetzt aber gibt es ein explizites Postulat nach Einfachheit. Zum einen, weil die<br />

Welt sich so schnell dreht, dass für um die Ecke Gedachtes keine Zeit mehr ist. Zum anderen, weil die Marke vom Unternehmen<br />

als Ganzes verinnerlicht werden muss, nicht nur von Marketing und Vertrieb. Wenn die Marke zukünftig dezentraler nach außen<br />

getragen wird, wenn mehr und mehr Mitarbeiter zu Markenbotschaftern werden (und das sollten sie), dann muss sie schnell und<br />

klar verstanden und verinnerlicht werden.<br />

Der Unterschied zu einem stärker monolithisch/statischen Markenverständnis ist, dass die Markenidentität eher einen Korridor<br />

als einen Punkt beschreibend erfolgen muss. Und dass neben dem, was die Marke darstellt, auch aufgezeigt werden sollte, was<br />

sie nicht ist. Oft wird erst verständlich, was und wie ich bin, wenn klar<br />

wird, was ich nicht bin. Einfach, klar, mit klaren Leitplanken, innerhalb<br />

derer Interpretationsspielräume bestehen. Ins Unternehmen getragen und<br />

von den Mitarbeitern als Bestandteil der Unternehmenskultur internalisiert.<br />

Das ist eine Evolution des Verständnisses von Markenidentität.<br />

Zwei Beispiele, was das heißt und was nicht. Nicht gerade überraschend<br />

kommt Toyota als japanisches Unternehmen mit den neuen Anforderungen<br />

an die dezentralisierte Markenführung noch überhaupt nicht<br />

zurecht. Noch Tage nach dem PR-Desaster der Unfallserien aufgrund<br />

klemmender Gaspedale fiel Toyota nichts Besseres ein als auf der<br />

Website Sondermodelle eines Schokoladenherstellers zu propagieren,<br />

außerdem Pressekonferenzen in japanisch ohne Dolmetscher zu geben.<br />

Das wirkt überheblich und unsensibel und macht die Situation noch schlimmer. Aber es geht hier nicht darum, Toyota eines<br />

überzuziehen, sondern zu verdeutlichen, dass sehr hierarchische, starre Organisationen im allgemeinen mit der neuen Ordnung<br />

schwer zurechtkommen werden. Die Neuen Medien einfach als einen neuen Kommunikationskanal zu betrachten, wird nicht<br />

funktionieren.<br />

Markenführung 2020 - Christoph Prox 15


Aber es geht auch anders. Dell hat aus schlechten Erfahrungen<br />

gelernt. Vor drei Jahren sind sie noch selbst an den Pranger gestellt<br />

worden, für zu passives, arrogant-ignorantes Verhalten und<br />

haben dadurch empfindliche Einbußen erlitten. Inzwischen ist<br />

Dell zu einem der Vorreiter in der Nutzung von <strong>Social</strong> <strong>Media</strong><br />

geworden – und darin, wie man damit organisatorisch umgeht.<br />

Dell hat dezentrale Markenführung verinnerlicht. <strong>Social</strong> <strong>Media</strong><br />

Reps finden sich in der gesamten Organisation, in Marketing,<br />

Sales, Product Org, Service und HR. Allein in den letzten zehn<br />

Wochen wurden 3,500 Mitarbeiter trainiert als Dell Official <strong>Social</strong><br />

<strong>Media</strong> Reps – nicht alle, um aktiv zu kommunizieren, auch um<br />

effektiv zuzuhören. Diese werden nicht kontrolliert oder gemonitort.<br />

Der Fokus liegt auf einer guten Ausbildung. Gemessen wird mit unterschiedlichsten<br />

KPIs und Metrics. Allein bei Twitter unterhält<br />

Dell zwölf unterschiedliche Kanäle, Inform (5), Sell (3), Engage<br />

(3), Support (1 – Dell Cares), zum großen Teil erst 2010 gelauncht.<br />

Paul Watzlawick hat einmal geschrieben: „Jede Kommunikation<br />

hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt, wobei Letzterer<br />

den Ersteren bestimmt.“ Wenn das stimmt, macht hier Dell<br />

einiges richtig.<br />

Dezentrale Beziehungskommunikation ist ein Thema, über das auch andere Unternehmen, insbesondere im Quadranten „High<br />

Involvement und erklärungsbedürftig“ nachdenken sollten.<br />

Markenführung 2020 - Christoph Prox 16<br />

Marketing<br />

<strong>Social</strong> <strong>Media</strong> <strong>University</strong><br />

...<br />

...<br />

Vertrieb<br />

Service<br />

Entwicklung<br />

...


4. Nutzen Sie die Innovationskraft des Internets<br />

Als Kommunikationsinstrument sind die Neuen Medien nicht überall bedeutsam für die Markenführung. Marke lebt aber<br />

bekanntlich stark aus den Produkten. Und die meisten Marken profitieren besonders von Innovationen. Hier kann und sollte<br />

tatsächlich jedes Unternehmen das Potential des Web 2.0 nutzen. Und auch wer sich eigene Plattformen à la Procter &<br />

Gamble nicht leisten kann oder will, kann sich die neuen Trends der Co-Creation oder des Crowd-Sourcing zu Nutze machen.<br />

Zwei Beispiele möchte ich Ihnen zeigen:<br />

Markenführung 2020 - Christoph Prox 17<br />

Ein großer Kunde aus der Motorradindustrie hat mit uns das<br />

Advisory Panel aufgebaut. Wir betrachten hier verschiedene<br />

Communities: Hispanics, Gebraucht-Bikes, Frauen, Hardcore-<br />

Fans, etc., geben immer wieder Fragestellungen unterschiedlichster<br />

Art ins Panel. Welche Bedeutung hat der Testride und was kann<br />

der Hersteller hier verbessern? Welche Fanartikel wünschen sich<br />

Biker? Wie kommen bestimmte Produktideen an? Wie werden<br />

Kampagnenideen beurteilt? Was erwarten sich die Biker<br />

von Club-Mitgliedschaften? Welche Benefits werden erwartet? Usw.<br />

Das Ganze ist ein Riesenerfolg – und kommt sowohl bei den<br />

Mitgliedern als auch beim Hersteller selbst hervorragend an.<br />

Ganz konkret um Innovationen ging es bei Lipton. Und zwar mit Hilfe<br />

von Leading Edge Consumers, die bei zukunftsträchtigen Healthund<br />

Wellness-Themen vorne dabei waren.<br />

Aus zehn Ländern rund um die Welt, verbunden mittels interaktiver<br />

Plattform, speziell in ein Liption Design gebracht. Dort bekamen sie<br />

Aufgaben zu Trends, Codes, Benefits, Situationen, etc., konnten in<br />

Gruppen diskutieren, geleitet vom Moderator, konnten sich im Chat<br />

austauschen, konnten Ideen und Eindrücke hochladen, etc. Sie<br />

wurden sowohl als Trendscouts als auch als Ideengeber eingesetzt. Wichtigstes Ergebnis war die Identifikation von grünem<br />

Tee als Hauptpotentialfeld – die erste von zahlreichen Neuproduktideen ist bereits erfolgreich in Lateinamerika und Asien/<br />

Mittlerer Osten eingeführt und steht noch zur Einführung in anderen Schlüsselmärkten an: Lipton Feel Green.


5. Entwickeln Sie Markenführungsstrategien für den Point of Sale<br />

Die klassischen Medien werden bleiben, aber an Bedeutung für die Markenführung verlieren. Gerade im Low Involvement-<br />

Bereich kann das nicht durch die Neuen Medien kompensiert werden. Trotzdem werden Menschen auch in Zukunft<br />

Markenwissen erwerben, auch in Zukunft wird es einen Prozess der Markengenese bei Verbrauchern geben. Diese wird nur<br />

anders ablaufen. Der Point of Sale wird zum zentralen Touchpoint, im Servicebereich genauso wie bei Konsumgütern.<br />

Auch im High Involvement-Bereich wird der wichtiger. Marken sind daher gefordert, Strategien zu entwickeln, die die Marke am<br />

Point of Sale adäquat inszenieren. Möglichkeiten gibt es hier viele, von der auffälligen Packungsgestaltung durch Form<br />

und/oder Farbe für mehr Shelf-Impact, intelligenten themenbezogenen Aktionen (nicht: simple Preispromotions) bis hin zu<br />

Markeninseln am POS oder dem Einsatz virtueller Medien. Hier wird in Zukunft noch einiges auf uns zukommen. Das Thema<br />

Shopper-Marketing wird wichtiger, ebenso die Verzahnung von Marketing und Vertrieb. Aber beides würde einen eigenen<br />

Vortrag füllen können und den Rahmen hier sprengen.<br />

Markenführung 2020 - Christoph Prox 18


Lassen Sie mich zum Schluss zusammenfassen:<br />

Es ist keine Frage, ob sich die Neuen Medien durchsetzen werden oder nicht. In der Gesellschaft sind sie bereits<br />

angekommen, ihr Durchmarsch scheint unaufhaltsam. Noch nicht ganz so klar ist, wie bedeutend sie für die<br />

Markenführung werden – auch wenn wir meinen, dass dieses Denkraster und die Empfehlungen Sie auf die nächsten<br />

Jahre gut vorbereiten sollten. Bis 2020 wird dann noch so viel passieren, dass eine seriöse Vorhersage nicht möglich ist.<br />

Wie schon Karl Valentin sagte: Das Problem mit Prognosen ist ja, dass sie schwierig sind, insbesondere, wenn sie die<br />

Zukunft betreffen.<br />

Geben Sie sich einstweilen weder Luftschlösserarchitekten noch Ewig-Gestrigen und Fortschrittsverweigerern hin. Und<br />

sorgen Sie dafür, dass es uns nicht so gehen wird, wie vielen aus der Generation unserer Eltern (zumindest meiner<br />

Eltern), die die Einführung des Computers als für sie selbst nicht mehr bedeutsam gesehen haben und die jetzt im Alter<br />

bedauern, abgehängt worden zu sein.<br />

Die Neuen Medien sind weder Teufelswerk noch Hexerei, es menschelt an allen Ecken und Enden. Beobachten Sie die<br />

Entwicklung mit positiver Grundhaltung und einem klaren Kopf. Schauen Sie Ihren Kindern über die Schultern und<br />

sammeln Sie eigene Erfahrungen. Meine Töchter, inzwischen 16 und 18, trauen mir den Umgang damit auch noch zu,<br />

dann schaffen Sie das erst recht!<br />

Markenführung 2020 - Christoph Prox 19


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Bildnachweis<br />

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Seite 18 Barbara Pheby / www.fotolia.de, Seite 18 Matty Symons / www.fotolia.de, Seite 18 Marc Heiligenstein / www.fotolia.de<br />

Markenführung 2020 - Christoph Prox 20

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