Predigt über Jeremia 22,29
Predigt über Jeremia 22,29
Predigt über Jeremia 22,29
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
1<br />
<strong>Predigt</strong> über <strong>Jeremia</strong> <strong>22</strong>,<strong>29</strong><br />
Liebe Freunde!<br />
O Land, Land, Land, höre des HERRN Wort. Diese Worte des Propheten <strong>Jeremia</strong> (<strong>22</strong>,<strong>29</strong>)<br />
stehen seit der Kirchenrenovierung von 1933 auf dem Balken unter der Empore hinten. Und<br />
es gibt einen direkten Zusammenhang mit der Reichspogromnacht. Denn am 16. November<br />
1938 war Buß- und Bettag und dieser Vers aus dem Propheten <strong>Jeremia</strong> war damals der<br />
<strong>Predigt</strong>text: O Land, Land, Land, höre des HERRN Wort.<br />
Wir haben vorher schon gehört, dass die Kirchen vor 70 Jahren zu den Verbrechen gegen die<br />
Juden und zur Zerstörung der Synagogen geschwiegen haben, ja, dass manche Pfarrer sie<br />
sogar theologisch gerechtfertigt haben. Nur eine verschwindend kleine Zahl von Pfarrern<br />
hatte damals den Mut, zu protestieren - darunter einer aus unserer württembergischen<br />
Landeskirche, der heute fast vergessen ist und an den ich deshalb erinnern möchte: Julius von<br />
Jan, damals Pfarrer in Oberlenningen bei Kirchheim/Teck. Er hat in seiner Buß- und<br />
Bettagspredigt damals klar Stellung bezogen und musste dafür dann einen hohen Preis<br />
bezahlen: 9 Tage später kamen SA-Männer aus den Nachbarorten, schlugen ihn mit<br />
Stahlruten und Knüppeln brutal zusammen, verhafteten ihn und brachten ihn vor ein<br />
Sondergericht. Julius von Jan wurde zu Zuchthaus verurteilt, aus Württemberg ausgewiesen,<br />
später kam er als Soldat in einer Strafkompanie an die Ostfront. Dass er die Zeit des<br />
Nationalsozialismus und den Krieg überlebt hat, grenzt schon fast an ein Wunder.<br />
O Land, Land, Land, höre des HERRN Wort. Der Prophet <strong>Jeremia</strong> sagt das den Mächtigen<br />
seiner Zeit, die wenig nach Gottes Willen fragten: Arme wurden ausgebeutet, während die<br />
Reichen rauschende Feste feierten. Witwen und Waisen hungerten, Fremde waren ohne<br />
Schutz, Richter ließen sich bestechen und die Hohenpriester am Tempel segneten dieses<br />
Unrecht auch noch mit frommen Worten ab. Unerbittlich prangert der Prophet <strong>Jeremia</strong> diese<br />
Missstände in Juda an und sagt das drohende Gericht Gottes über das Land für seine Sünden<br />
voraus - ein Gericht, das wenige Jahre später mit der Zerstörung Jerusalems durch die<br />
Babylonier Wirklichkeit wird.<br />
Liebe Freunde!<br />
In seiner Buß- und Bettagspredigt bezog nun Julius von Jan diese Worte des <strong>Jeremia</strong> auf die<br />
Ereignisse der Reichspogromnacht: Er fragte, warum denn heute kein Prophet wie <strong>Jeremia</strong><br />
gegen das Unrecht aufstehe, das dem jüdischen Volk angetan wurde. Drei Dinge prangerte<br />
der Oberlenninger Pfarrer in seiner <strong>Predigt</strong> an:
2<br />
1. Die Verbrechen der Nazis gegen die Juden in der Reichspogromnacht. Er findet sehr<br />
deutliche Worte, die ich Euch einmal im Original vorlesen möchte: Hier haben wir die<br />
Quittung bekommen für den großen Abfall von Gott und Christus, auf das organisierte<br />
Antichristentum. Die Leidenschaften sind entfesselt, die Gebote Gottes missachtet,<br />
Gotteshäuser, die andern heilig waren, sind ungestraft niedergebrannt worden, das Eigentum<br />
der Fremden geraubt oder zerstört, Männer, die unserem Volk treu gedient haben …, wurden<br />
ins Konzentrationslager geworfen, bloß weil sie einer anderen Rasse angehörten. Am Ende<br />
des Gottesdienstes forderte deshalb Julius von Jan den Führer persönlich zur Buße auf – eine<br />
mutige Tat, denn das hieß doch, dass er Adolf Hitler öffentlich einen Sünder nannte.<br />
2. Julius von Jan redete aber auch seinen Gemeindegliedern ins Gewissen. Er wusste, dass<br />
viele die Verbrechen gegen die Juden in der Reichspogromnacht verurteilten. Aber niemand<br />
wagte den Mund aufzumachen. Doch dieses Schweigen würde auf das deutsche Volk<br />
zurückfallen, da war sich der Oberlenninger Pfarrer sicher. Er sagte in seiner <strong>Predigt</strong>: Es ist<br />
eine entsetzliche Saat des Hasses, die jetzt wieder ausgesät worden ist. Welch entsetzliche<br />
Ernte wird daraus erwachsen …? Keine sieben Jahre später liegen die deutschen Städte in<br />
Trümmern. Julius von Jan hat wie der Prophet <strong>Jeremia</strong> den Krieg mit seinen Zerstörungen<br />
und allem Leid als ein Gericht Gottes verstanden.<br />
Und schließlich geht er 3. in seiner Buß- und Bettagspredigt auch mit der Kirche ins Gericht:<br />
Er wirft den Bischöfen vor, dass sie die wenigen mutigen Pfarrer nicht unterstützen, die vor<br />
dem Unrecht der Nazis gewarnt haben – ein Martin Niemöller oder ein Paul Schneider etwa,<br />
die für ihren Glauben im KZ saßen, oder ein Paul Schempp hier in Iptingen, der seines Amtes<br />
enthoben wurde, weil er keinen Eid auf Hitler schwören wollte. Dagegen haben viele wichtige<br />
Kirchenvertreter den Nazis nach dem Mund geredet – für Julius von Jan muss deshalb die<br />
Kirche zuerst Buße tun und umkehren.<br />
Der Oberlenninger Pfarrer kann zum Unrecht nicht schweigen, das dem Volk Israel angetan<br />
wurde. Es liegt ihm wie eine Last auf der Seele. Und so schließt er seine <strong>Predigt</strong> auch mit den<br />
Worten: Gott Lob! Es ist herausgesprochen vor Gott und in Gottes Namen. Nun mag die Welt<br />
mit uns tun, was sie will! Wir stehen in unseres Herren Hand. Gott ist getreu! Du aber, o<br />
Land, Land, Land, höre des HERRN Wort.<br />
Liebe Freunde!
3<br />
Julius von Jan hat geahnt, dass seine mutige <strong>Predigt</strong> persönliche Folgen für ihn haben würde.<br />
Schon bald hingen an seinem Pfarrhaus Plakate mit Schmähungen, z. B. er sei ein<br />
„Judenknecht“. Am Tag, als er überfallen und verhaftet wurde, hat er vorher noch mit einem<br />
Mann aus seiner Gemeinde zusammen gebetet, um auch in Anfechtungen festbleiben zu<br />
können. Und vom Besuch bei einer Schwerkranken kommt er selbst gestärkt zurück, weil es<br />
ihm Mut machte, wie diese Frau im Glauben ihr Leiden trägt. Für mich sind das zwei ganz<br />
wichtige Einsichten: Unser Glaube an Gott ist kein Wellness-Angebot für Wohlfühltage,<br />
sondern unser Glaube fordert von uns die Bereitschaft, Stellung zu beziehen und dafür auch<br />
die Konsequenzen zu tragen. Kraft dafür aber bekommen wir aus der Verbindung mit Gott –<br />
aus dem Gebet allein oder mit anderen zusammen.<br />
O Land, Land, Land, höre des HERRN Wort.<br />
Liebe Freunde!<br />
Und was hat uns Julius von Jan heute noch zu sagen – 70 Jahre nach der Reichspogromnacht?<br />
Als 1938 die Synagogen brannten, waren wir noch nicht geboren. Unsere Großeltern oder<br />
Urgroßeltern vielleicht trugen damals die Verantwortung. Sind wir also nicht betroffen?<br />
Niemand von uns kann für etwas schuldig gesprochen werden, was er nicht getan hat. Aber<br />
die Folgen dessen, was in deutschem Namen geschehen ist, liegen als Last auf uns. Und mit<br />
dieser auferlegten Verantwortung müssen wir umgehen. Manchmal ist die Versuchung groß,<br />
die Last einfach abzuschütteln. Viele wollen nicht mehr an die Nazizeit erinnert werden, ja,<br />
wollen sie bewusst vergessen. Aber ich glaube: Nur wenn wir die Last der Verantwortung auf<br />
uns nehmen, wird Gott unseren Weg begleiten.<br />
Gedenken an die Verfolgung der Juden im Dritten Reich heißt: Erschrecken vor den<br />
Möglichkeiten, schuldig zu werden – damals wie heute, aus Gedankenlosigkeit, aus<br />
Egoismus, aus Angst. Gedenken heißt: Das Leiden der Opfer sehen. Um die trauern, die<br />
sterben mussten. Wahrnehmen, dass viele noch leben, die von den Folgen der Grausamkeiten<br />
gezeichnet sind, die sie durch Deutsche erlitten haben. Gedenken heißt: Neue Wege suchen,<br />
wie wir als Christen Juden begegnen können.<br />
Heute – am Vorabend des 70. Jahrestages der Reichspogromnacht – möchte ich drei konkrete<br />
Punkte benennen, wo wir neue Wege gehen können:<br />
1. Wir sollten jeder Form von Gewalt schon im Kleinen widerstehen. Der Zerstörung
4<br />
jüdischer Synagogen gingen damals viele andere Schritte voraus: Boykott jüdischer<br />
Geschäfte, Verbote des Schwimmbad- oder Kinobesuches für Juden, Entlassung jüdischer<br />
Beamter und vieles mehr. Wenn man sich erst einmal an einen Schritt gewöhnt hat, kommt<br />
die nächste Stufe der Gewalt ganz von selbst. Deshalb seid wachsam: Wo z. B. in Euren<br />
Klassen Mitschüler durch Worte fertig gemacht werden, da schreitet ein. Habt den Mut, Nein<br />
zu sagen, wo einer systematisch ausgeschlossen und gemobbt wird. Vor allem aber greift ein,<br />
wenn jemandem körperliche Gewalt angetan wird. Schaut da nicht weg – auch wenn es nicht<br />
leicht ist, gegen eine Mehrheit aufzustehen.<br />
2. Wir müssen bewusst auf unsere Sprache achten. Nach der Reichspogromnacht und nach<br />
der Ermordung von sechs Millionen Juden in Europa gibt es Begriffe, die wir einfach nicht<br />
mehr verwenden dürfen: „Endlösung“ oder „Vergasung“ gehören dazu. Und auch, dass wir<br />
nicht wie am Stammtisch von „dem Jud“ reden. Außerdem erschrecke ich, wenn ich im<br />
Stadion gegnerische Fans singen höre: „Es fährt ein Zug direkt von Stuttgart nach Auschwitz<br />
…“. So etwas dürfen wir um Gottes Willen nicht sagen, denn das ist menschenverachtend.<br />
Schließlich 3.: Buße fängt bei jedem Einzelnen an, indem jeder zu seiner Schuld und seiner<br />
Verantwortung steht. Das heißt: Schuld kann man nicht verrechnen. Das wird ja leider immer<br />
wieder versucht, etwa so: „Okay, wir Deutschen haben Schuld gegenüber den Juden, aber<br />
Dresden wurde auch zerstört und die Deutschen aus dem Osten aus ihrer Heimat vertrieben.“<br />
Oder manche sagen: „Die Israelis sind doch auch nicht besser in ihrem Umgang mit den<br />
Palästinensern.“ Lasst Euch auf solche Vergleiche nicht ein! Der Holocaust lässt sich nicht<br />
entschuldigen oder wegrechnen. „Verdrängen hält die Erlösung auf, Sich-Erinnern bringt sie<br />
näher“, steht zu Recht über dem Tor von Jad Waschem, der Gedenkstätte für die ermordeten<br />
Juden in Jerusalem. „Verdrängen hält die Erlösung auf, Sich-Erinnern bringt sie näher.“<br />
Liebe Freunde!<br />
Erinnern wir uns also an mutige Menschen wir Julius von Jan und nehmen sie uns als<br />
Vorbild. Dann wächst aus dem Leid der Reichpogromnacht doch noch neue Hoffnung: O<br />
Land, Land, Land, höre des HERRN Wort. Amen