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Marburger Forum 2 (2001), Heft 5 − „Misery“ (Kritik von Uwe Kühneweg)<br />
Marburger Forum Beiträge zur geistigen Situation der Gegenwart Jg. 2 (2001), Heft 5<br />
„Misery" von S<strong>im</strong>on Moore nach Stephen King<br />
<strong>im</strong> Hessischen Landestheater Marburg<br />
Premiere: 6. Oktober 2001<br />
In der Spielzeitplanung des Hessischen Landestheaters gibt es regelmäßig einige Leerstellen, die eine flexible Spielplangestaltung<br />
und das Zugehen auf aktuelle Stücke und Themen ermöglichen. In der Rubrik »Ein aktuelles Studiostück« präsentiert das<br />
Marburger Theater jetzt »Misery«, eine von S<strong>im</strong>on Moore ursprünglich für das Londoner West End Theatre besorgte<br />
Dramatisierung des Thrillers von Stephen King (deutsch unter dem Titel: »Sie«). Stephen Kings Roman erschien 1987 und wurde<br />
1990 − wie fast alle seine Bücher − auch verfilmt. Ob die Theaterfassung von S<strong>im</strong>on Moore für den eingefleischten<br />
Stephen−King−Fan nur ein schaler Aufguß ist, vermag ich nicht einzuschätzen. Ohne Kenntnis der Roman−Vorlage läßt sich aber<br />
doch so viel sagen, daß Moore ein effektvolles, gut gemachtes Theaterstück in bester anglo−amerikanischer Tradition geschrieben<br />
hat, das in Marburg kongenial realisiert wird. Unter der Regie von Luisa Brandsdörfer haben die beiden Darsteller Thomas Streibig<br />
und Christine Reinhardt einen ganz großen Abend und bieten konzentrierte, überzeugende und stellenweise mitreißende<br />
Schauspielkunst.<br />
Paul Sheldon, ein erfolgreicher Schriftsteller (in gewisser Weise das alter ego Stephen Kings) wird nach einem Autounfall in<br />
einsamer Gegend von Anni Wilkes gefunden und – mit gebrochenen Beinen − auf ihre Farm verbracht. Anni ist nicht nur zufällig<br />
Krankenschwester, sondern − nach eigenen Worten – Paul Sheldons größter Fan. Ihre besondere Liebe gilt einer Serie von<br />
historischen Liebesromanen um eine junge Frau namens Misery. Der verehrte Autor hat aber <strong>im</strong> letzten Buch dieser Reihe seine<br />
Heldin sterben lassen, wohl auch, um sich ganz anderen Gegenständen zuzuwenden. Doch nun ist Paul Sheldon in Annis Hand<br />
geraten, und sie nutzt ihre Chance und zwingt den Autor, die geliebte Misery wieder zum Leben zu erwecken.<br />
Es entwickelt sich ein mit allen Mitteln geführter, höchst ungleicher Kampf. Der Autor Paul Sheldon ist zwar unumschränkter Herr<br />
seiner literarischen Kreaturen, aber nun ist er in eine scheinbar unentrinnbare Falle geraten: die Liebe seines treuesten Fans. Es<br />
geht um Liebe, aber vor allem auch um Macht, psychologische Kriegführung und sogar brutale Gewalt. Stephen King ist ein Meister<br />
des Horror−Genres, aber die Zuschauer der Marburger Aufführung lernen nicht nur einfach das Gruseln, sondern werden auch zum<br />
Lachen an<strong>im</strong>iert, das dann <strong>im</strong> nächsten Moment wiederum <strong>im</strong> Halse stecken bleibt.<br />
Die Handlung des Zweipersonenstücks erstreckt sich über mehrere Monate, durch einen langen amerikanischen Winter. Die<br />
eineinhalb Stunden dauernde Aufführung (es gibt keine Pause) kann das Publikum durchweg auf hohem Spannungsniveau fesseln.<br />
Der große Beifall des Premierenpublikums galt einem insgesamt gelungenen Theaterabend, vor allem aber den großartigen<br />
schauspielerischen Leistungen: Thomas Streibig verkörpert den Autor Sheldon, den Weg zur Erkenntnis seiner aussichtslosen Lage<br />
und sein verzweifeltes Ringen um Leben und Freiheit einfühlsam und bewegend; Christine Reinhardt zeigt in der Rolle der Anni<br />
Wilkes das breite Spektrum ihrer darstellerischen Möglichkeiten zwischen Hysterie und kalter Berechnung. Die Regieleistung der<br />
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Marburger Forum 2 (2001), Heft 5 − „Misery“ (Kritik von Uwe Kühneweg)<br />
jungen Luisa Brandsdörfer ist besonders hervorzuheben: die Inszenierung hat einen geschlossenen Spannungsbogen, das Tempo<br />
wird gekonnt variiert. Für die Ausstattung mit vielen gelungenen Details zeichnet in bewährter Weise Axel Pfefferkorn<br />
verantwortlich.<br />
Kurzum: Der Abend ist eine Werbung für das Theater (nicht nur für das Marburger, sondern für das Theater überhaupt) und eine<br />
Empfehlung wert – nicht nur für Fans von Stephen King.<br />
Uwe Kühneweg<br />
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