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Interview mit Dirigent Teodor Currentzis - Opernhaus Zürich

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wie reale Figuren. Durch dieses Schattentheater entsteht<br />

eine fast hypnotische Wirkung, wie im Traum, durchaus<br />

unangenehm. Dinge kommen zum Ausdruck, die sich<br />

nicht durch Sprache ausdrücken lassen. Die Textvorlage<br />

von Nikolaj Leskow bildete für Schostakowitsch die<br />

Grundlage, um die Büchse der Pandora zu öffnen. Das<br />

ist keine «Reportage»-Oper und auch kein Werk, das ein<br />

Verdikt aussprechen will gegen irgendetwas.<br />

“<br />

In dieser Oper gibt es unglaublich<br />

starke Kontraste, das<br />

geht bis zum akustischen Schock<br />

”<br />

Aber dieses Stück ist doch auch eine Satire auf die<br />

Verhältnisse seiner Zeit.<br />

Natürlich. Aber andererseits versucht Schostakowitsch,<br />

<strong>mit</strong> den Figuren dieser Oper seine eigene Geschichte<br />

zu erzählen, sein eigenes Unterbewusstes nach aussen zu<br />

kehren – und erzählt von Liebe, Tod, Leidenschaft,<br />

Zärtlichkeit und Grausamkeit. In dieser Oper gibt es unglaublich<br />

starke Kontraste, die Dynamik reicht vom<br />

vierfachen piano zum vierfachen forte. Das geht bis zum<br />

akustischen Schock. Der Selbstmord des Romantizismus!<br />

Wie meinen Sie das?<br />

Schostakowitsch kannte Bergs Wozzeck sehr gut, das hört<br />

man; auch Mahlers Lied von der Erde wird zitiert, Strauss’<br />

Rosenkavalier kannte er ebenfalls. Schostakowitsch nimmt<br />

alle diese grossen, wichtigen Kompositionsschulen <strong>mit</strong><br />

in sein Boot, wie Noah die Tiere <strong>mit</strong> in die Arche nahm, um<br />

sie vor der Katastrophe zu retten. Und als sie dann alle<br />

auf dem Gipfel des Ararat sitzen, übergiesst er sie <strong>mit</strong> Benzin<br />

und zündet sie an. Und dann geht er seinen eigenen Weg.<br />

Sprechen wir über die Hauptfigur dieser Oper: Katerina<br />

Ismailowa tötet erst ihren Schwiegervater, indem<br />

sie ihm Rattengift ins Essen mischt, dann ermordet sie<br />

gemeinsam <strong>mit</strong> ihrem Liebhaber Sergej ihren Ehemann,<br />

und als Sergej sie betrügt, reisst sie schliesslich<br />

auch noch dessen Geliebte <strong>mit</strong> sich in den Tod. Wer<br />

ist diese Frau?<br />

Sie ist die «Frau nebenan»! Wie in dem gleichnamigen Film<br />

von François Truffaut ist sie eine Frau, die man jeden<br />

Tag sieht, eine im Alltag nette, höfliche Frau, die sich unter<br />

gewissen Umständen in eine Lady Macbeth verwan ­<br />

deln kann – allerdings eine Lady Macbeth ohne Macbeth.<br />

Sie tötet, um zu lieben. Nicht um Macht zu erlangen,<br />

nicht für irgendeinen Ehemann. Sondern um zu lieben. Das<br />

ist schrecklich. Wenn sie für Macht töten würde, wäre es<br />

einfacher – für die Moral.<br />

Katerina tut schreckliche Dinge – und trotzdem fühlen<br />

wir <strong>mit</strong> ihr, haben Mitleid, wenn ihre Schuld<br />

entdeckt wird und sie ins Straflager nach Sibirien muss.<br />

Ich habe kein Mitleid <strong>mit</strong> Katerina. Im zweiten Akt,<br />

<strong>Teodor</strong> <strong>Currentzis</strong><br />

<strong>Teodor</strong> <strong>Currentzis</strong>, geboren 1972 in Athen, gehört zu den eigenwilligsten<br />

und aufregendsten <strong>Dirigent</strong>en seiner Generation. Er<br />

studierte in St. Petersburg bei Ilja Musin, der auch <strong>Dirigent</strong>en wie<br />

Valery Gergiev, Semyon Bychkov und Yuri Temirkanov unterrichtete.<br />

Nach seinem Studium ging <strong>Currentzis</strong> nach Moskau und<br />

arbeitete <strong>mit</strong> den Moskauer Virtuosen, dem russischen Nationalorchester<br />

und dem Russischen Philharmonischen Orchester.<br />

Es folgte eine Einladung nach Novosibirsk, wo er am dortigen<br />

Staatlichen Opern- und Balletttheater «Le baiser de la fée» von<br />

Strawinsky einstudierte und anschliessend das Angebot erhielt,<br />

dort Chefdirigent zu werden. Während seiner Wirkungszeit<br />

wurde die Oper Novosibirsk 15 Mal <strong>mit</strong> der «Goldenen Maske»<br />

ausgezeichnet, der wichtigsten Auszeichnung in der russischen<br />

Theaterlandschaft. Seit 2011 ist <strong>Currentzis</strong> Künstlerischer Direktor<br />

der Oper Perm. In den letzten Jahren ist er unter anderem<br />

<strong>mit</strong> den Wiener und den Münchner Philharmonikern sowie dem<br />

Mahler Chamber Orchestra aufgetreten und hat an den Opernhäusern<br />

von Madrid, Paris und Moskau sowie bei den Festspielen<br />

in Bregenz und Baden-Baden für Furore gesorgt.

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