Leseprobe - Verlag für Kindertheater
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"Sie ist doch keine Dunkelziffer!"<br />
Katja Hensel:<br />
[önf] – Womit keine Zahl rechnet<br />
3 D - 3 H; ab 6 Jahren;<br />
UA: Theater an der Parkaue, 2011<br />
Wenn die Zahlen sich morgens auf den Weg zur Arbeit in unsere Köpfe machen, dann bringen sie<br />
Ordnung in unser Leben. Wir setzen uns zum Frühstück an einen Tisch mit vier Beinen, um acht<br />
beginnt die Schule, nachmittags wählen wir die Telefonnummern der Freunde, im Supermarkt<br />
vergleichen wir die Preise und die freundliche Stimme am Bahnhof sagt uns, wann und wo der Zug<br />
in die Ferien abfährt. Ohne Zahlen wäre unsere Welt ein Chaos. Aber wie wäre es, wenn plötzlich<br />
eine Unbekannte in unser Leben träte? Die Zahlen 0 bis 9 wohnen in schöner Eintracht in ihrer<br />
Haus-WG. Sie haben ihre Eigenheiten, aber sie ergänzen einander gut. Zusammen schaffen sie alles,<br />
wofür die Menschen sie brauchen. Sogar riesige Millionenzahlen können sie spielend auf die Reihe<br />
bringen. Aber eines Tages taucht önf auf und behauptet, auch eine Zahl zu sein. Damit hatten sie<br />
nicht gerechnet! Damit kann man überhaupt nicht rechnen. Aber was, wenn doch? Was, wenn sich<br />
auch önf plötzlich morgens in die Köpfe der Menschen schleicht? Vielleicht ist sie dort genau die<br />
richtige Zahl für all das, was eine gefühlte Anzahl hat, eben irgendwie önfig ist? Die Zahlen geraten<br />
ganz aus dem Häuschen und bekommen den schönsten Streit. Aber allmählich beginnen sie, sich<br />
der Unbekannten zu öffnen, sie sogar ins Herz zu schließen.<br />
Katja Hensel portraitiert in ihrem Stück nicht nur auf humorvolle Weise die Bedeutung, die den<br />
Zahlen und Berechnungen in unserem modernen Leben zukommt, sondern sie stellt ihren Figuren<br />
die einfache Frage, womit sie im Leben zu rechnen bereit wären. Gehen nicht vielleicht die<br />
Variationsmöglichkeiten, die ein gemeinsames Leben bietet, schlicht und ergreifend gegen<br />
unendlich?<br />
"[önf] – Womit keine Zahl rechnet" ist im Rahmen von „Nah dran! Neue Stücke für das<br />
<strong>Kindertheater</strong>“, einem Kooperationsprojekt des Kinder- und Jugendtheaterzentrums in der<br />
Bundesrepublik Deutschland und des Deutschen Literaturfonds e.V., mit Mitteln der Kulturstiftung<br />
des Bundes gefördert worden.<br />
Katja Hensel, geb. 1967 in Hamburg, studierte zunächst Schauspiel an der Schule für Schauspiel in<br />
Hamburg. Sie begründete das Ensemble Labaolavache mit und produzierte dort auch eigene Stücke,<br />
die zu zahlreichen<br />
(inter-)nationalen Festivals eingeladen wurden. In Québèc erarbeitete sie mit Jaques Lessard und<br />
Lou Simard ein Stück von Gertrude Stein und spielte es viele Jahre lang. Es folgten Engagements u.a.<br />
am Theater Freiburg, Schauspielhaus Hamburg, Schauspielhaus Zürich, in den sophiensaele Berlin,<br />
dem Theater Bremen. Inzwischen lebt Katja Hensel in Berlin und arbeitet als Autorin, Schauspielerin<br />
und Dozentin. Sie schreibt Stücke für Kinder, Jugendliche und Erwachsene.<br />
Alle Rechte beim<br />
<strong>Verlag</strong> für <strong>Kindertheater</strong> Weitendorf GmbH, Max-Brauer-Allee 34, 22765 Hamburg,<br />
www.kindertheater.de<br />
Tel: 0049 (0)40 607909-916 / E-Mail: kindertheater@vgo-kindertheater.de
Im Einlass<br />
Toneinspielung von Menschen, die ganz selbstverständlich Zahlen benutzen: An der Kasse,<br />
Telefonnummern diktierend, Zeitansage, Bahnhof Gleisansage, Schule Notenvergabe, Musik: Rhythmus<br />
zählen, Lottozahlen, etc.<br />
Prolog: Das Lied der Zahlen<br />
Eins? Hier!<br />
Zwei? Ja?<br />
Drei? Bei dir.<br />
Vier? Bin da.<br />
Täglich einmal durchgezählt,<br />
dass im Haus auch keiner fehlt.<br />
Fünf und Sechs?<br />
Beim Strauchgewächs.<br />
Sieben und Acht?<br />
Gerad’ aufgewacht.<br />
Auch Neun und Null sind deutlich zu sehn.<br />
Die Erde kann sich beruhigt weiter drehn!<br />
Ja, wir Zahlen sind so wichtig, wir können’s selber kaum fassen,<br />
Eine Welt ohne Zahlen wäre leer und verlassen.<br />
Kein Kind wär acht Jahre, kein Hund hätt vier Pfoten,<br />
Kein Schuh eine Größe, gäb keinen Takt für die Noten.<br />
Ohne uns Zahlen läuft nichts in keinem Land.<br />
Denn selbst wo das Nichts ist, kommt die Null angerannt.<br />
Eins –<br />
mag gern in die Schule gehen.<br />
Drei –<br />
liebt Märchen und Sagen.<br />
Fünf und Neun –<br />
sind oft bei Preisen zu sehn.<br />
Sieben –<br />
macht die Woche zu Tagen.<br />
Die ungeraden Zahlen sind komisch und schräge.<br />
Sind niemals zu teilen, nicht mal mit Säge.<br />
2
Zwei –<br />
findet alles Doppelte schön.<br />
Vier –<br />
macht den Stühlen Beine.<br />
Sechs –<br />
kann die Uhr und die Zeit gut verstehn,<br />
Acht –<br />
zählt Planeten, auch kleine.<br />
Die Geraden sind gerade für gerades perfekt.<br />
Und die Null? –<br />
PAUSE<br />
Die hat mal die Pause entdeckt.<br />
Wir Zahlen sind so wichtig, wir können’s selber kaum fassen,<br />
Ohne uns wäre jeder Kopf leer und verlassen.<br />
Acht Jahre wär’n nicht zählbar, vier Pfoten nicht zu sehen,<br />
Kein Schuh wär wählbar, kein Takt wäre schön,<br />
Drum helfen wir den Menschen, tagein und tagaus,<br />
Fliegen tags durch ihre Köpfe und abends nach Haus.<br />
Abend.<br />
1 kommt durchs Fenster in das Haus herein. Schaut sich um. Keiner da.<br />
1 (triumphierend) Erster! (ab)<br />
2 und 4 kommen durch das Fenster herein.<br />
2 Endlich zu Hause.<br />
4 In den eigenen vier Wänden.<br />
2 Erst einmal zwei Mal durchatmen.<br />
4 Und alle Viere von sich strecken.<br />
2 Wunderbar.<br />
4 Ganz, ganz wunderbar.<br />
Sechs herein.<br />
6 Hallo Zwei.<br />
2 Guten Abend, Sechs.<br />
6 N’Abend, Vier, wie war euer Tag?<br />
2 Wie immer. Anstrengend.<br />
4 Hochgradig anstrengend.<br />
2/4 Und bei dir?<br />
3
6 Auch. Den halben Tag im Kopfstand, ich musste der Neun bei den Sonderangeboten<br />
aushelfen.<br />
2 Oh je.<br />
4 Komm, Zwei. Zeit für den Abendsport.<br />
2 (seufzend) Können wir nicht einmal aussetzen?<br />
4 Nein, nein, nein. Wir müssen in Form bleiben. Immer schön in Form bleiben. (beide<br />
ab)<br />
8 herein. Holt sich schnurstracks etwas zu essen.<br />
6 Hallo, Acht.<br />
8 Oh. Ich hab dich gar nicht beachtet.<br />
6 Wie immer. Kannst du nicht warten, bis wir alle essen?<br />
8 Mein Magen hängt schon auf halb acht.<br />
6 Wie immer. Wo soll er auch sonst hängen. (ruft) Neun? Bist du schon da? (ab)<br />
Null durchs Fenster herein. 8 will ihr helfen. Sie kugeln ungeschickt in den Raum.<br />
8 Das haben wir zwei wieder ganz elegant gemeistert.<br />
Null kichert verlegen und geht. 8 seufzt verliebt.<br />
Auftritt 3, 5, 9. durchs Fenster.<br />
9 Du bist die Drei, nicht die Sieben, kapier es endlich, du Dreikäsehoch.<br />
3 Es war doch nur ein Spaß!<br />
5 Für dich, Drei, aber versteh doch –<br />
3 Und ich war gut als Sieben! Der Lehrer dachte, er hätte eine Sieben im Kopf.<br />
9 Eben.<br />
5 Versteh doch, Drei, es ist nicht schön, wenn er dann dem Schüler statt einer Drei plus<br />
eine Sieben plus im Lesen gibt.<br />
3 Das war doch lustig!<br />
5 Der Schüler weint jetzt noch. Und die Mutter schimpft.<br />
9 Noch einmal solche Späße und du bleibst zu Hause, du Rotznummer.<br />
3 weinend ab.<br />
5 Aber Neun, –<br />
9 Und du bist ‘ne Pfeife.<br />
5 Darüber sprechen wir noch. (beleidigt ab)<br />
9 Ach, Acht. Diese albernen Preise bringen mich noch um. Neunundneunzig, neun<br />
neunundneunzig, Neunzehnneunundneunzig,<br />
Neunhundertneunundneunzigneunundneunzig –<br />
Wer denkt sich so einen Unsinn aus. Als Neun ist man wirklich geschlagen. Sei froh,<br />
dass du eine Acht bist. Da hast du beachtliches Glück gehabt. Gute Acht, Nacht.<br />
Nacht, Acht. Bin ich k. o…! (ab)<br />
4
7 herein, küsst und begrüßt alles, die Wände, die Stühle, das Fenster, wünscht dem Raum eine gute<br />
Nacht. 8 nimmt sich ein letztes Betthupferl und geht auch.<br />
Nacht.<br />
Die Zahlen schlafen. Auf dem Dach sitzt die Null und spielt auf einem Musikinstrument.<br />
1 wälzt sich in ihrem Schlafsack. 5 schläft in der Hängematte. 1 robbt sich zur 5.<br />
1 Fünf?<br />
Sie piekst die 5 in die Seite.<br />
5 Ha! Hilfe! Lasst mich am Leben!<br />
1 Ich bin’s, nur, Fünf …<br />
5 (noch halb im Schlaf) Nicht zerschneiden!<br />
1 Fünf …!<br />
5 Radiert mich nicht weg!<br />
1 Ich bin es, die Eins.<br />
5 Eins! Heilige Schnittmenge, was ist passiert! Wer ist hinter dir her?<br />
1 Nichts. Niemand. Die Null –<br />
5 Die Null ist hinter dir her?!<br />
1 Nein! Die Null, warum schläft sie nicht?<br />
5 Wer?<br />
1 Die Null.<br />
5 Die Null? Sie schläft doch.<br />
1 Nein. Nie. Sie hat ja nicht einmal ein Zimmer. Nicht einmal ein Bett.<br />
5 Kein Bett? Warum hat sie kein Bett?<br />
1 Weil sie sowieso nicht schläft. Wusstest du das nicht?<br />
5 Wie sollte ich das wissen, ich schlafe nachts. Die Null schläft nie?<br />
1 Nein.<br />
5 Das ist nicht gut. Darüber muss ich mit ihr reden.<br />
1 Wie willst du mit ihr darüber reden? Sie spricht doch gar nicht.<br />
5 Ach ja. Sie spricht nicht. Warum eigentlich nicht?<br />
1 Ich weiß es nicht. Sie schläft nicht. Sie spricht nicht. Sie isst nicht –<br />
5 Sie isst auch nichts?<br />
1 Nein. Nichts. Gar nichts. Null.<br />
5 Noch nie?<br />
1 Ich weiß nicht. Sie ist ja erst später zu uns ins Haus gekommen.<br />
5 Stimmt. Vor wie viel hundert Jahren noch mal?<br />
1 Vor vielen hundert Jahren. Vielleicht hat sie davor etwas gegessen.<br />
5 Das wird es sein. Sie muss sich erst einmal bei uns einleben. Gute Nacht.<br />
1 Du meinst, das ist der Grund, dass sie nicht schläft? Sie muss sich einleben?<br />
5
5 Schon möglich.<br />
1 Fünf, glaubst du, dass irgendwann wieder eine Zahl zu uns kommt, die sich dann<br />
einlebt? Wäre doch möglich. Wäre doch spannend. Wäre doch mal wieder an der<br />
Zeit für eine neue Zahl, oder? Was denkst du, Fünf?<br />
5 ist wieder eingeschlafen.<br />
5 (schreckt hoch) Was? Wer? Hilfe!<br />
1 Fünf …!<br />
5 Lasst Fünf gerade sein!<br />
1 Was könnte das für eine fremde Zahl sein? Wie könnte sie aussehen?<br />
5 Weiß ich nicht, Eins, ich weiß nur, dass ich morgen sehr, sehr alt aussehe, wenn du<br />
mich nicht endlich schlafen lässt.<br />
5 dreht sich um und schläft ein. 1 seufzt und legt sich wieder schlafen. Alle schlafen. 7 träumt.<br />
7 Danke, danke, danke! Ihr seid ein tolles Publikum! Ich liebe euch alle, und besonders<br />
mich selbst!<br />
6 und die9, die Kopf an Fuß in einem Bett schlafen.<br />
9 Sechs?<br />
6 Hm?<br />
9 Danke. Dass du mir geholfen hast heute, bei den Preisen.<br />
6 Schon okay.<br />
9 Wenn du mal Hilfe brauchst. Als Sechs.<br />
6 Okay.<br />
9 Ich bin da.<br />
6 Okay.<br />
9 Und sag nicht immer Okay.<br />
6 Okay.<br />
1 schreckt hoch. Und läuft zu 6 und 9 hinüber.<br />
1 Neun! Sechs! Da draußen ist jemand und schleicht um unser Haus.<br />
9 Karierter Käse. Wer soll da sein.<br />
1 Ich hab Angst…<br />
Sie quetscht sich zwischen 6 und 9 ins Bett.<br />
1 Da muss ein Fremder sein.<br />
9 Ohne Frage. Eine fremdes Zeichen. Eine Zahl wahrscheinlich.<br />
1 Eine fremde Zahl?<br />
6 Ganz sicher.<br />
9 Eine ganz wilde Nummer.<br />
1 Nein!<br />
6 Wild und riesig.<br />
6
9 Und gefräßig.<br />
6 Sie isst am liebsten andere Zahlen.<br />
9 Ihre Lieblingszahl ist die Eins.<br />
6 Schön klein geschnitten und angebraten.<br />
9 Und dann noch warm Eins auf die Nuss.<br />
6 Oder auf die Rübe. Lecker.<br />
1 Ich? Auf einer Rübe?<br />
9 Oder auf Nuss. Oder auch kalt auf kariertem Brot.<br />
6 Oder im schlauen Kopf-Salat. Lecker.<br />
6 Hammn! macht die Monsterzahl –<br />
9 Und dann ist sie satt –<br />
6 Und die Eins ist weg.<br />
1 Hilfe!<br />
1 springt aus dem Bett. 9 und 6 prusten los.<br />
9 Das war doch nur –<br />
6 ein Spaß, Eins!<br />
9 Eine fremde Zahl, die<br />
6 – Einsen frisst!<br />
9 Das gibt es doch<br />
6 nirgends.<br />
9 Nicht mal –<br />
6 im Traum!<br />
1 Woher wollt ihr das wissen!<br />
9 Geh schlafen, Eins.<br />
1 Vielleicht gibt es da draußen doch eine wilde Zahl, die gefährlich ist. Mit der keiner<br />
rechnet.<br />
9 Gleich geht die Sonne auf –<br />
6 und wir müssen zur Schule –<br />
9 Und in die Supermärkte und die nicht so super Märkte –<br />
6 und in die gar nicht super Märkte –<br />
9 und überall hin und du hängst dann müde durch wie ein Fragezeichen.<br />
1 Aber –<br />
9/6 (streng) Gute Nacht!<br />
1 legt sich schlafen. 9 und 6 tuscheln und kichern.<br />
9 Eine fremde Zahl! Stell dir mal vor, Sechs, wir wollen uns in die Köpfe der Menschen<br />
schleichen –<br />
6 Ganz normal, wie immer –<br />
7
9 damit sie rechnen und zählen können –<br />
6 Ganz normal wie immer –<br />
9 und dann sind da schon andere Zahlen in den Köpfen!<br />
6 Ganz unnormal! Ganz schräge Nummern!<br />
9 Zahlen, die aussehen, wie Lampenschirme –<br />
6 Ja! Oder wie –<br />
9 – ein angebissenes Wurstbrot!<br />
6 Ja! Oder wie –<br />
9 Wie Taubenkacke auf dem Fahrradsattel.<br />
6 Ja! Die sausen durch die Köpfe und mit den Zahlen rechnen die Kinder!<br />
9 Alle. Auch die Erwachsenen.<br />
6 Genau, sogar die Tiere!<br />
9 Tiere? Die können doch gar nicht rechnen.<br />
6 Mit den neuen Zahlen schon.<br />
9 So ein karierter Unsinn.<br />
6 Aber –<br />
9 Lass uns schlafen.<br />
6 Okay. Entschuldigung.<br />
9 Schon okay.<br />
Sie schlafen wieder ein. 7 feiert Erfolge im Schlaf, wirft Handküsse und verbeugt sich.<br />
7 Danke, danke, ihr seid ein bezauberndes Publikum! Ich bin ganz bezaubert, besonders<br />
von mir selbst!<br />
Alle schlafen.<br />
8