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DIE BIBLISCHE URGESCHICHTE - Orah.ch

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Thomas Noack<br />

<strong>DIE</strong> <strong>BIBLISCHE</strong> <strong>URGESCHICHTE</strong><br />

DER GEISTIGE SINN NACH EMANUEL SWEDENBORG


Thomas Noack<br />

<strong>DIE</strong> <strong>BIBLISCHE</strong> <strong>URGESCHICHTE</strong><br />

DER GEISTIGE SINN NACH EMANUEL SWEDENBORG


© 2008 Thomas Noack, Apollostrasse 2, 8032 Züri<strong>ch</strong>, www.thomasnoack.<strong>ch</strong>


Inhaltsverzei<strong>ch</strong>nis<br />

Vorwort ................................................................................................................. 5<br />

Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1-11) ......................................................... 7<br />

Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) ............................................................... 15<br />

Die S<strong>ch</strong>öpfung: Eine Struktur der Zahl 2 ............................................................ 58<br />

Genesis 2 .............................................................................................................. 60<br />

Beoba<strong>ch</strong>tungen zu Genesis 3 .............................................................................. 96<br />

Kain und Abel:<br />

Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs ........... 113<br />

Die Sintflut: Zusammens<strong>ch</strong>au ihres inneren Sinnes ......................................... 152<br />

Neuanfang mit Noah ............................................................................................ 167<br />

Der Turm zu Babel ............................................................................................... 177<br />

Bauvorhaben endet im Dur<strong>ch</strong>einander:<br />

Eine Auslegung von Genesis 11,1 bis 9 aus der S<strong>ch</strong>ule Swedenborgs ............ 179<br />

Adam und Adamah: Zum inneren Sinn der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te ................................ 195<br />

Das sind die Geburten:<br />

Zum inneren Sinn der Toledot-Struktur der Genesis ........................................ 199<br />

Literaturverzei<strong>ch</strong>nis und Bilder .......................................................................... 212


Vorwort<br />

Das Bu<strong>ch</strong> besteht aus meinen Aufsätzen zum inneren Sinn der biblis<strong>ch</strong>en Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te.<br />

Die Aufsätze sind zwis<strong>ch</strong>en 1992 und 2008 in der folgenden Reihenfolge<br />

entstanden: 1. Der Turm zu Babel (1992). 2. Die Sintflut: Zusammens<strong>ch</strong>au ihres<br />

inneren Sinnes (1992). 3. Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te im Li<strong>ch</strong>te der Neuoffenbarung<br />

dur<strong>ch</strong> Swedenborg und Lorber (1996). 4. Adam und Adamah: Zum inneren<br />

Sinn der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1997). 5. Bauvorhaben endet im Dur<strong>ch</strong>einander: Eine Auslegung<br />

von Genesis 11,1 bis 9 aus der S<strong>ch</strong>ule Swedenborgs (2003). 6. Kain und<br />

Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs<br />

(2005). 7. Neuanfang mit Noah (März 2007). 8. Die S<strong>ch</strong>öpfung: Eine Struktur der<br />

Zahl 2 (Juni 2007). 9. Genesis 2: Ein Kommentar von Thomas Noack (November<br />

2007). 10. Beoba<strong>ch</strong>tungen zu Genesis 3 (Mai 2008). 11. Das sind die Geburten:<br />

Zum inneren Sinn der Toledot-Struktur der Genesis (Juli 2008).<br />

In den se<strong>ch</strong>szehn Jahren von 1992 bis 2008 hat si<strong>ch</strong> die den Aufsätzen zugrundeliegende<br />

Idee dreimal gewandelt. Erstens: 1992 ging es mir einfa<strong>ch</strong> nur um eine<br />

Art Übersetzung des biblis<strong>ch</strong>en Textes in den inneren Sinn. Zweitens: Der Beitrag<br />

aus dem Jahr 1996 entstammt einer S<strong>ch</strong>affensphase von 1990 bis 2002, in der es<br />

mir um das Verhältnis der Offenbarungen dur<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg und Jakob<br />

Lorber ging. Drittens: In den neueren Aufsätzen von 2003 bis 2008 ging es mir<br />

um eine Auslegung und dann um einen Kommentar zur Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te. In dieser<br />

dritten Phase vollzog si<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> einmal ein Wandel, der si<strong>ch</strong> am We<strong>ch</strong>sel von<br />

»S<strong>ch</strong>ule« (2003) zu »Tradition« (2005) und an den einleitenden Bemerkungen der<br />

Aufsätze 6, 9 und 10 ablesen lässt. Ents<strong>ch</strong>eidend war die Frage: Was kann mein<br />

Kommentar mehr sein als eine bloße Na<strong>ch</strong>erzählung des Kommentars Swedenborgs?<br />

Die Antworten stehen in den genannten einleitenden Bemerkungen. Als<br />

Ergebnis steht für mi<strong>ch</strong> heute fest: Die neukir<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Exegese muss einesteils in<br />

der Tradition Swedenborgs stehen bzw. in seinem Geiste arbeiten und andernteils<br />

dieses Erbe weiterentwickeln. I<strong>ch</strong> verglei<strong>ch</strong>e die neukir<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Exegese mit einem<br />

lebendigen Organismus, der sein Woher ni<strong>ch</strong>t verleugnen kann und au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

soll, der aber andererseits wie alles, was lebt, dem Wandel unterworfen ist und<br />

das ni<strong>ch</strong>t als ein notwendiges Übel, sondern aufgrund eines exegetis<strong>ch</strong>en Programms.<br />

Treue gegenüber der Tradition und Offenheit für neue Einsi<strong>ch</strong>ten, das<br />

sind für mi<strong>ch</strong> die Sti<strong>ch</strong>worte für eine lebenskräftige neukir<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Exegese. In<br />

diesem Sinne sind die Aufsätze dieses Sammelbandes Zeugnisse eines Aufbru<strong>ch</strong>s.<br />

Der einleitende Aufsatz »die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te« ist eine Ausgliederung aus<br />

der Arbeit über die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te von 1996. Die Beiträge wurden zum<br />

Zwecke der Veröffentli<strong>ch</strong>ung in diesem Sammelband in formaler Hinsi<strong>ch</strong>t vereinheitli<strong>ch</strong>t.<br />

Inhaltli<strong>ch</strong> sind die Unters<strong>ch</strong>iede aus den vers<strong>ch</strong>iedenen S<strong>ch</strong>affensphasen<br />

aber na<strong>ch</strong> wie vor deutli<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong>tbar.<br />

Züri<strong>ch</strong>, am 6. Juli 2008 | Thomas Noack


Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1-11) 7<br />

Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1-11)<br />

1. Zur Quellenfrage der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

Lange Zeit galt die Bibel als das älteste Bu<strong>ch</strong> der Mens<strong>ch</strong>heit. Do<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die ar<strong>ch</strong>äologis<strong>ch</strong>en<br />

Funde des 19. Jahrhunderts ist sie zu einer verhältnismäßig jungen<br />

Ers<strong>ch</strong>einung geworden. Ein großer Teil ihres Inhalts ist von den Anfängen der<br />

altorientalis<strong>ch</strong>en Ho<strong>ch</strong>kulturen ebenso weit entfernt wie von uns. Es gibt keinen<br />

Text der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, zu dem uns heute ni<strong>ch</strong>t eine Fülle verglei<strong>ch</strong>baren Materials<br />

vorläge. Zu Genesis 1 beispielsweise gibt es vers<strong>ch</strong>iedene Versionen akkadis<strong>ch</strong>er<br />

1 S<strong>ch</strong>öpfungsepen. Das bekannteste dürfte das babylonis<strong>ch</strong>e sein, das na<strong>ch</strong><br />

seinen Anfangsworten »Enuma Elis<strong>ch</strong>« (= Wenn ho<strong>ch</strong> oben) heißt. Diese Erzählungen<br />

haben teilweise erstaunli<strong>ch</strong>e Gemeinsamkeiten mit Genesis 1, aber au<strong>ch</strong><br />

große Unters<strong>ch</strong>iede. Daher vermuten einige Gelehrte, dass die altorientalis<strong>ch</strong>en<br />

S<strong>ch</strong>öpfungsmythen und der mosais<strong>ch</strong>e zwar ni<strong>ch</strong>t direkt voneinander abhängig<br />

sind, wohl aber aus einer gemeinsamen Tradition hervorgegangen sind: »Zwar ist<br />

im israelitis<strong>ch</strong>en Raum si<strong>ch</strong>er mit einer Bekannts<strong>ch</strong>aft babylonis<strong>ch</strong>er Mythen zu<br />

re<strong>ch</strong>nen, trotzdem bleibt eine unmittelbare Abhängigkeit der priesterli<strong>ch</strong>en<br />

S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te von dem babylonis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>öpfungsepos ausges<strong>ch</strong>lossen;<br />

dazu rei<strong>ch</strong>en die gegenseitigen Beziehungen bei so gewi<strong>ch</strong>tigen Unters<strong>ch</strong>ieden<br />

ni<strong>ch</strong>t aus. Vielmehr müssen beide Texte eine gemeinsame Tradition haben, deren<br />

ganz unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Ausprägung sie darstellen.« 2<br />

Diese Erklärung finden wir au<strong>ch</strong> in der Neuoffenbarung. Denn es hat »eine Uroffenbarung<br />

(primaeva Revelatio) gegeben, die über den ganzen Erdkreis verbreitet<br />

war« (WCR 11). Das bezeugen au<strong>ch</strong> die Lorberwerke, namentli<strong>ch</strong> die »Haushaltung<br />

Gottes«, die sogar als die Uroffenbarung in moderner Gestalt angesehen werden<br />

kann, denn sie beinhaltet die Lehrgesprä<strong>ch</strong>e des Herrn mit den Urvätern. 3<br />

1<br />

Mit »akkadis<strong>ch</strong>« bezei<strong>ch</strong>net man die zusammengehörigen semitis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>en Babylons<br />

und Assyriens.<br />

2<br />

Werner H. S<strong>ch</strong>midt, »Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Priesters<strong>ch</strong>rift«, Neukir<strong>ch</strong>en-Vluyn 1967,<br />

Seite 31. Die Hervorhebung in Kursivs<strong>ch</strong>rift stammt von mir.<br />

3<br />

Diese These kann si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> auf den folgenden Hinweis im Lorberwerk stützen, der vom Alten<br />

Wort handelt und dabei die Haushaltung erwähnt: »Ganz in der Mitte von Asien, im hohen<br />

Thibet, lebt no<strong>ch</strong> ein Volk, wel<strong>ch</strong>es die uralte patria<strong>ch</strong>alis<strong>ch</strong>e Verfassung hat. Unter allen alten<br />

Religionen der sogenannten Parsen und Gebern ist die Religion dieses Volkes no<strong>ch</strong> die am<br />

meisten ungetrübte. Sie haben no<strong>ch</strong> die eigentli<strong>ch</strong>e Sanskrit, in wel<strong>ch</strong>er von der Zenda vesta<br />

gehandelt wird; denn die Sanskrit ist die heilige S<strong>ch</strong>rift der Urzeit, und die in dieser S<strong>ch</strong>rift<br />

enthaltenen Geheimnisse Namens Zenda vesta, in eurer Spra<strong>ch</strong>e: die heiligen Gesi<strong>ch</strong>te, sind<br />

historis<strong>ch</strong>e Ueberlieferungen von den mannigfaltigen göttli<strong>ch</strong>en wunderbaren Führungen des<br />

Mens<strong>ch</strong>enges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tes in der Urzeit. Es ist darum fals<strong>ch</strong>, so hie und da man<strong>ch</strong>e die Sanskrit<br />

und die Zenda vesta als gewisserart zwei Bü<strong>ch</strong>er annahmen; das Ganze ist nur ein Bu<strong>ch</strong>, und<br />

dieses ist abgetheilt in das Bu<strong>ch</strong> der Kriege Jehova's und in das Bu<strong>ch</strong> der Propheten. Da aber<br />

eben die Propheten dur<strong>ch</strong> ihre heiligen Gesi<strong>ch</strong>te die Thaten Gottes bes<strong>ch</strong>rieben, so sind diese<br />

s<strong>ch</strong>einbaren zwei Bü<strong>ch</strong>er eigentli<strong>ch</strong> nur ein Bu<strong>ch</strong>, wel<strong>ch</strong>es si<strong>ch</strong> bei den obbenannten Bewohnern<br />

des hohen Thibet no<strong>ch</strong> ziemli<strong>ch</strong> unverfäls<strong>ch</strong>t vorfindet, und ungefähr dasselbe enthält,


8 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Aus der mündli<strong>ch</strong>en Uroffenbarung entstand allmähli<strong>ch</strong> das Alte Wort, das in die<br />

Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten unserer Bibel eingeflossen ist. Swedenborg zufolge hatte Moses die<br />

Überlieferungen »von der S<strong>ch</strong>öpfung, vom Garten Eden bis zur Zeit Abrahams«<br />

»von den Na<strong>ch</strong>kommen der ältesten Kir<strong>ch</strong>e« (HG 66). Später konkretisiert er diese<br />

Vorstellung, indem er das Alte Wort als Quelle nennt: »Darüber hinaus hörte i<strong>ch</strong><br />

von den Engeln, dass die ersten Kapitel des ersten Bu<strong>ch</strong>es Mose, die von der<br />

S<strong>ch</strong>öpfung, von Adam und Eva im Garten Eden und von ihren Söhnen und Na<strong>ch</strong>kommen<br />

bis zur Sintflut und s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> von Noah und dessen Söhnen handeln,<br />

si<strong>ch</strong> ebenfalls bereits in jenem Alten Wort fanden, also von Moses daraus abges<strong>ch</strong>rieben<br />

worden waren.« (WCR 279d) 4 . Das Alte Wort ist also die Quelle der<br />

Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te.<br />

Da es weit verbreitet war 5 , konnte Moses au<strong>ch</strong> in Ägypten mit ihm in Berührung<br />

kommen, denn au<strong>ch</strong> dort gab es die alte Kir<strong>ch</strong>e (HG 1462). Aus den Lorbers<strong>ch</strong>riften<br />

geht hervor, dass Moses »in alle Wissens<strong>ch</strong>aften der Ägypter eingeweiht war«<br />

(GEJ I,157,8; Apg 7,22). Er hatte ihre S<strong>ch</strong>ulen dur<strong>ch</strong>gema<strong>ch</strong>t (GEJ IV,204,4), und<br />

war »in die ägyptis<strong>ch</strong>en Mysterien eingeweiht« (GEJ IX,92,10), bis er s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong><br />

»in einem Alter von 57 Jahren« »vom Geiste Gottes zu einer hö<strong>ch</strong>sten Weihe« geführt<br />

wurde (GEJ IV,204,4; Anspielung auf Exodus 3). Die Wissens<strong>ch</strong>aften und<br />

Mysterien der Ägypter waren für Moses eine »Vors<strong>ch</strong>ule« (GEJ IV,204,4), die ihn<br />

für die hö<strong>ch</strong>ste Offenbarung empfängli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>te. In Ägypten muss er au<strong>ch</strong> das<br />

Alte Wort kennengelernt haben, denn sonst hätte er später daraus ni<strong>ch</strong>t einiges in<br />

seine S<strong>ch</strong>riften aufnehmen können (Num 21,14f.; 27-30; siehe WCR 265 und<br />

279d). Na<strong>ch</strong> seiner Berufung konnte er aus dem Alten Wort die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten der<br />

Bibel formen. Sie sind eine Verdi<strong>ch</strong>tung des ursprüngli<strong>ch</strong> breiteren Überlieferungsstromes;<br />

aber eine Verdi<strong>ch</strong>tung, die vom Geiste Gottes autorisiert ist. Gerade<br />

was I<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong> im von eu<strong>ch</strong> sogenannten Hauptwerke aus der Urzeit mitgetheilt habe; - nur ist dort<br />

Alles no<strong>ch</strong> in der Urspra<strong>ch</strong>e in lauter geheimnißvolle Bilder eingehüllt, die für die neue Zeit<br />

s<strong>ch</strong>wer oder gar ni<strong>ch</strong>t zu enträthseln sind.« (1856Erde, Seite 229). Der Text bezieht si<strong>ch</strong> auf<br />

das Alte Wort und sagt, dass die Haushaltung »ungefähr dasselbe enthält«.<br />

Außerdem ist mögli<strong>ch</strong>erweise eine Notiz in der Lorbers<strong>ch</strong>rift »Die drei Tage im Tempel« relevant.<br />

Der Jesusknabe sagte: »Als Levite und angehender Varisar (Pharisäer) musst du das …<br />

aus dem Bu<strong>ch</strong>e Heno<strong>ch</strong>, das Noah über die Sündflut herübergebra<strong>ch</strong>t hat unter dem Titel<br />

›Kriege Jehovas‹ (siehe ›Haushaltung Gottes‹!) wissen« (DT 16,7). Es ist allerdings ni<strong>ch</strong>t klar,<br />

ob der Klammereins<strong>ch</strong>ub von Lorber stammt und wie er zu interpretieren ist. Er kann bedeuten,<br />

dass die »Kriege Jehovas« mit der »Haushaltung« identis<strong>ch</strong> sind oder dass man in der<br />

»Haushaltung« na<strong>ch</strong>sehen soll.<br />

4<br />

Vgl. au<strong>ch</strong> LS 103: Ȇberdies ist mir gesagt worden, dass die sieben ersten Kapitel des ersten<br />

Bu<strong>ch</strong>es Mose au<strong>ch</strong> in jenem Alten Worte stehen, so dass kein Wört<strong>ch</strong>en fehle.« Hier ist nur<br />

von den sieben ersten Kapitel die Rede. Das widerspri<strong>ch</strong>t den Angaben in WCR 279d, wona<strong>ch</strong><br />

die Kapitel bis zur Sintflut und den Söhnen Noahs zum Alten Wort gehörten. Dana<strong>ch</strong> käme<br />

man wenigstens bis zur Völkertafel in Kapitel 10, die ja mit den Worten beginnt: »Das ist die<br />

Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terfolge na<strong>ch</strong> den Söhnen Noahs, Sem, Ham und Jafet.« Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> käme man<br />

sogar bis zur Turmbauerzählung, denn sie greift das Völkermotiv auf. Na<strong>ch</strong> WCR 279d wäre<br />

also die gesamte Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te dem Alten Wort entnommen.<br />

5<br />

Siehe EO 11, WCR 266, 275.


Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1-11) 9<br />

die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te ist ein Beispiel für die konzentrierte Spra<strong>ch</strong>gewalt der<br />

Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten.<br />

In dieses Entstehungsmodell fügt si<strong>ch</strong> die folgende Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t ein, die nun allerdings<br />

das gesamte mosais<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>rifttum betrifft: »Moses s<strong>ch</strong>rieb no<strong>ch</strong> in der ihm<br />

wohlbekannten ägyptis<strong>ch</strong>en Hieroglyphens<strong>ch</strong>rift.« (Suppl. 257). Dieser auf den ersten<br />

Blick erstaunli<strong>ch</strong>e Hinweis ist andererseits naheliegend, wenn man in Moses,<br />

dem Mann mit dem ägyptis<strong>ch</strong>en Namen 6 , den Verfasser des Pentateu<strong>ch</strong> sieht;<br />

zumal die Hieroglyphen ein für das Geistige sehr geeignetes Ausdrucksmittel<br />

waren, denn sie waren »Bilder natürli<strong>ch</strong>er Dinge, die Geistiges vorbildeten« (HG<br />

7926) 7 . »Erst in der Zeit der Ri<strong>ch</strong>ter, die in dieser [Hieroglyphen]S<strong>ch</strong>rift no<strong>ch</strong> wohl<br />

bewandert waren, sowie in deren Entspre<strong>ch</strong>ungen, wurden die Bü<strong>ch</strong>er Mosis mit<br />

den althebräis<strong>ch</strong>en Lettern aufs Pergament gebra<strong>ch</strong>t« (Suppl. 257). Es ist bekannt,<br />

dass die Hands<strong>ch</strong>riften des Alten Testaments ursprüngli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in der no<strong>ch</strong> heute<br />

gebräu<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Quadrats<strong>ch</strong>rift, sondern mit den von Lorber erwähnten althebräis<strong>ch</strong>en<br />

Lettern ges<strong>ch</strong>rieben wurden. Man weiß, dass si<strong>ch</strong> der »Übergang von der<br />

althebräis<strong>ch</strong>en zur Quadrats<strong>ch</strong>rift« »vom 4. - 2. Jahrhundert v. Chr.« vollzog. 8 Da<br />

die Ri<strong>ch</strong>terzeit von circa 1200 bis 1012 vor Christus zu datieren ist 9 , kommt man<br />

auf ungefähr 600 bis 1100 Jahre althebräis<strong>ch</strong>e Überlieferung der Mosess<strong>ch</strong>riften.<br />

Zur Zeit Jesu war jedo<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on die Quadrats<strong>ch</strong>rift übli<strong>ch</strong>, wennglei<strong>ch</strong> die althebräis<strong>ch</strong>e<br />

S<strong>ch</strong>rift (wie Funde zum Beispiel in Qumran zeigen) no<strong>ch</strong> immer ni<strong>ch</strong>t<br />

ausgestorben war. Do<strong>ch</strong> in dieser Quadrats<strong>ch</strong>rift wurden nur die Konsonanten<br />

ges<strong>ch</strong>rieben. Der Text, den Jesus in der Synagoge von Nazareth las (Lk 4,16ff.),<br />

war ein sol<strong>ch</strong>er Konsonantentext, den man bald ni<strong>ch</strong>t mehr ausspre<strong>ch</strong>en konnte,<br />

so dass man ihn vokalisieren musste. Auf diesen Vorgang bezieht si<strong>ch</strong> der letzte<br />

Teil der überlieferungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t Lorbers: »Aber selbst diese<br />

S<strong>ch</strong>rift war den meisten zu Meiner Zeit lebenden Juden unverständli<strong>ch</strong>, weil die<br />

Vokale zwis<strong>ch</strong>en den Konsonanten ni<strong>ch</strong>t vorkamen. Man fand si<strong>ch</strong> genötigt, eine<br />

neue Abs<strong>ch</strong>rift zu ma<strong>ch</strong>en, an der si<strong>ch</strong> die sogenannten alten S<strong>ch</strong>riftgelehrten über<br />

zweihundert Jahre lang beteiligten« (Suppl. 257). Damit ist die Punktation (Vokalisierung)<br />

des Konsonantentextes gemeint. Wer jedo<strong>ch</strong> genau die alten S<strong>ch</strong>riftgelehrten<br />

oder Masoreten waren, lässt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t sagen, da die Anfänge der Punktation<br />

ni<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>er zu datieren sind. 10 Immerhin sollte deutli<strong>ch</strong> geworden sein, dass<br />

die Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t Lorbers teilweise mit dem gegenwärtigen Fors<strong>ch</strong>ungsstand überein-<br />

6<br />

Zur ägyptis<strong>ch</strong>en Herkunft des Namens siehe Herbert Donner, »Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des Volkes Israel<br />

und seiner Na<strong>ch</strong>barn in Grundzügen«, Teil 1, Göttingen 1984, Seite 109. Demna<strong>ch</strong> ist das<br />

Element »Mose« au<strong>ch</strong> in Pharaonennamen wie »Thut-mose« oder »Ra-mses« zu finden.<br />

7<br />

Vgl. hierzu den Aufsatz von Horand K. Gutfeldt, »Swedenborg and the Egyptian Hieroglyphs,<br />

in: Emanual Swedenborg, A Continuing Vision: A Pictorial Biography & Anthology of Essays &<br />

Poetry«, edited by Robin Larsen etc., New York 1988, Seite 392-401.<br />

8<br />

Ernst Würthwein, »Der Text des Alten Testaments«, Stuttgart 1988, Seite 5.<br />

9<br />

Na<strong>ch</strong> der sogenannten Frühdatierung begann die Ri<strong>ch</strong>terzeit jedo<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on um circa 1400 vor<br />

Christus.<br />

10<br />

Vgl. Ernst Würthwein, a.a.O., Seite 25.


10 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

stimmt; aber als eigentli<strong>ch</strong>e Überras<strong>ch</strong>ung bleibt der Hinweis, dass der hebräis<strong>ch</strong>e<br />

Grundtext bereits eine Übersetzung der ursprüngli<strong>ch</strong> ägyptis<strong>ch</strong>en Urs<strong>ch</strong>rift ist.<br />

Daraus würden si<strong>ch</strong> weitrei<strong>ch</strong>ende Konsequenzen ergeben; viellei<strong>ch</strong>t wäre es<br />

sogar mögli<strong>ch</strong>, den Pentateu<strong>ch</strong> in die Hieroglyphens<strong>ch</strong>rift zurückzuübersetzen.<br />

Bei den Evangelien hat man verglei<strong>ch</strong>bare Versu<strong>ch</strong>e gema<strong>ch</strong>t, denn Jesus spra<strong>ch</strong><br />

hö<strong>ch</strong>stwahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> aramäis<strong>ch</strong> 11 .<br />

Wenn die überlieferungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Angaben der Neuoffenbarung stimmen,<br />

woran i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zweifle, dann werden Unmengen von wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Literatur<br />

zum Pentateu<strong>ch</strong> zu Makulatur. Da i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> hier ni<strong>ch</strong>t mit den herrs<strong>ch</strong>enden Thesen<br />

auseinandersetzen will, sei nur angemerkt, dass die gegenwärtige Fors<strong>ch</strong>ung<br />

ganz andere Wege geht und au<strong>ch</strong> die Verfassers<strong>ch</strong>aft des Moses vehement bestreitet.<br />

Do<strong>ch</strong> die wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Thesen sind nur Vermutungen, die si<strong>ch</strong> auf<br />

gewisse Textbeoba<strong>ch</strong>tungen stützen, die si<strong>ch</strong> angebli<strong>ch</strong> anders ni<strong>ch</strong>t erklären<br />

lassen. Die Hinweise der Neuoffenbarung sind meines Era<strong>ch</strong>tens ni<strong>ch</strong>t unwahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>er<br />

als das, was gegenwärtig behauptet wird.<br />

2. Zur Interpretation der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

2.1. Swedenborgs Thesen<br />

Bei Swedenborg finden wir zwei Thesen zum Verständnis der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, die<br />

erwähnt werden müssen, weil sie der dur<strong>ch</strong> Jakob Lorber offenbarten »Haushaltung<br />

Gottes« zu widerspre<strong>ch</strong>en s<strong>ch</strong>einen.<br />

Swedenborg sah einen Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te und den Erzväterüberlieferungen.<br />

Die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten sind - im Unters<strong>ch</strong>ied zu den ab Genesis 12<br />

beginnenden »wahren Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten (historica vera)« (HG 1403, 1540) - »gema<strong>ch</strong>te<br />

Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten (facta historica)«; folgli<strong>ch</strong> hat alles, was in ihnen »ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> zusammengewebt«<br />

ist, »eine andere als die bu<strong>ch</strong>stäbli<strong>ch</strong>e Bedeutung« (HG 1020).<br />

Denn die Urmens<strong>ch</strong>en da<strong>ch</strong>ten immer nur an Geistiges und Himmlis<strong>ch</strong>es, wenn<br />

sie Irdis<strong>ch</strong>es und Weltli<strong>ch</strong>es nannten. »Daher drückten sie es [= das Geistige und<br />

Himmlis<strong>ch</strong>e] dur<strong>ch</strong> Vorbildungen ni<strong>ch</strong>t nur aus, sondern bra<strong>ch</strong>ten es au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> in<br />

einen ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Zusammenhang, um es lebendiger zu ma<strong>ch</strong>en.« (HG 66). Die<br />

Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten sind also ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tsartige Einkleidungen, deren eigentli<strong>ch</strong>er Aussagegehalt<br />

Geistiges und Himmlis<strong>ch</strong>es ist. Diese Entdeckung Swedenborgs<br />

s<strong>ch</strong>eint si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> in der Genesisfors<strong>ch</strong>ung anzubahnen, denn Claus Westermann<br />

s<strong>ch</strong>reibt, dass »diese Ereignisse von der S<strong>ch</strong>öpfung bis zum Turmbau von Babel<br />

im AT selbst ni<strong>ch</strong>t als Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te in unserem Sinn gemeint sind und daher au<strong>ch</strong><br />

niemals in die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tstraditionen einbezogen werden (Credo)« 12 . Das alles bedeutet<br />

nun aber ni<strong>ch</strong>t, dass die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> eine historis<strong>ch</strong>e Dimen-<br />

11<br />

Vgl. zum Beispiel George M. Lamsa, »Die Evangelien in aramäis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t«, 1963. Na<strong>ch</strong> Lorber<br />

hat es ein hebräis<strong>ch</strong>es Matthäusevangelium gegeben (GEJ II,218,15); eine Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t, die<br />

wir au<strong>ch</strong> in der Kir<strong>ch</strong>enges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des Eusebius von Caesarea finden (KG V,10).<br />

12<br />

Claus Westermann, »Genesis 1–11«, Darmstadt 1989, Seite 3.


Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1-11) 11<br />

sion haben, denn Adam bezei<strong>ch</strong>net die älteste (HG 478) und Noah die alte Kir<strong>ch</strong>e<br />

(HG 530). Daher ist es mögli<strong>ch</strong>, eine »Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Mens<strong>ch</strong>heit« 13 zu s<strong>ch</strong>reiben,<br />

wie es Lorber in der »Haushaltung« getan hat.<br />

Die zweite These betrifft die »Personen« der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te. Swedenborg s<strong>ch</strong>reibt,<br />

»dass unter den Namen in den ersten Kapiteln der Genesis nur Kir<strong>ch</strong>en verstanden<br />

wurden« (HG 1114). Die »Personen« der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te sind also Kollektivpersonen<br />

(Gruppen). Speziell zu Adam führt Swedenborg aus, dass das hebräis<strong>ch</strong>e<br />

Wort Adam s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>t und einfa<strong>ch</strong> Mens<strong>ch</strong> bedeutet und daher ni<strong>ch</strong>t als Eigenname<br />

verwendet wird (HG 478). Das belegen Stellen wie Genesis 1,26: »Lasst uns Mens<strong>ch</strong>en<br />

(= Adam) ma<strong>ch</strong>en als unser Bild, na<strong>ch</strong> unserer Ähnli<strong>ch</strong>keit«, oder Genesis<br />

5,2: »Männli<strong>ch</strong> und weibli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>uf er sie, und er segnete sie und nannte ihren<br />

Namen Mens<strong>ch</strong> (= Adam), am Tage da sie ges<strong>ch</strong>affen wurden.« »Daraus ist ersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>,<br />

dass ni<strong>ch</strong>t von einem zuerst vor allen ges<strong>ch</strong>affenen Mens<strong>ch</strong>en, sondern von<br />

der ältesten Kir<strong>ch</strong>e die Rede ist.« (HG 478). Für die anderen »Personen« der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

gilt ähnli<strong>ch</strong>es (vgl. HG 483). Über Noah lesen wir sogar: »einen Noah …<br />

hat es nie gegeben« (HG 1238). Wenn man das weiß, dann verwundert es sehr,<br />

dass in der »Haushaltung« alle »Personen« der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te als individuelle Personen<br />

auftreten. Aber au<strong>ch</strong> hier ist der Widerspru<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t so krass, wie es zunä<strong>ch</strong>st<br />

ers<strong>ch</strong>eint.<br />

2.2. Das Verhältnis der swedenborgs<strong>ch</strong>en Thesen zu den Lorbers<strong>ch</strong>riften<br />

Was lässt si<strong>ch</strong> zur Lösung des Problems sagen? Zunä<strong>ch</strong>st, dass si<strong>ch</strong> Swedenborgs<br />

Aussagen einzig und allein auf die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Bibel beziehen, während<br />

Lorbers »Haushaltung« die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Mens<strong>ch</strong>heit darstellt. Das sind vers<strong>ch</strong>iedene<br />

Gegenstände, die si<strong>ch</strong> allerdings darin berühren, dass au<strong>ch</strong> die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

der Bibel eine historis<strong>ch</strong>e Dimension hat. Aber grundsätzli<strong>ch</strong> äußern si<strong>ch</strong><br />

Swedenborg und Lorber über unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Objekte. Deswegen muss man zuerst<br />

untersu<strong>ch</strong>en, wie Lorber die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Bibel versteht, denn das ist der<br />

unmittelbare Verglei<strong>ch</strong> mit Swedenborg.<br />

Und da lässt si<strong>ch</strong> lei<strong>ch</strong>t zeigen, dass au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Lorber die bu<strong>ch</strong>stäbli<strong>ch</strong>e Bedeutung<br />

ni<strong>ch</strong>t selten unsinnig ist, weil die biblis<strong>ch</strong>en Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten die äußeren<br />

Verhältnisse eben nur mittelbar widerspiegeln. So ist »die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

Mosis, wörtli<strong>ch</strong> auf die S<strong>ch</strong>öpfung der Naturwelt angewendet, ein alleroffenbarster<br />

Unsinn« (GEJ II,215,1). Ferner wurde Eva keineswegs aus einer Rippe gebaut,<br />

denn die Rippe ist nur ein Bild für das »hartnäckigere Geistige, das mehr Sinnli<strong>ch</strong>e,<br />

Stolze und Ho<strong>ch</strong>mütige des Mannes« (GEJ I,166,5) 14 . Au<strong>ch</strong> den Garten Eden<br />

gab es ni<strong>ch</strong>t: »Auf der Erde … gab es nirgends ein materielles Paradies« (GEJ<br />

IV,142,4). Glei<strong>ch</strong>wohl aber entstand das erste Mens<strong>ch</strong>enpaar »in einer der fru<strong>ch</strong>t-<br />

13<br />

So der Untertitel der »Haushaltung Gottes«.<br />

14<br />

Vgl. au<strong>ch</strong> GEJ IV,162,10f, HGt I,7,11 und HGt I,40,29.


12 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

barsten Gegenden der Welt« (GEJ IV,142,11) 15 . Wir sehen, dass aus der geistigen<br />

Bedeutung eine abgeleitete, natürli<strong>ch</strong>e folgt; jedo<strong>ch</strong> ist diese in der Regel ni<strong>ch</strong>t<br />

lei<strong>ch</strong>t zu finden. Der sogenannte Sündenfall beispielsweise wird dur<strong>ch</strong> Sinnbilder<br />

ausgedrückt, die zunä<strong>ch</strong>st ni<strong>ch</strong>t die äußere Wirkli<strong>ch</strong>keit bes<strong>ch</strong>reiben, denn der<br />

Mens<strong>ch</strong> wurde natürli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t von einer S<strong>ch</strong>lange, s<strong>ch</strong>on gar ni<strong>ch</strong>t von einer spre<strong>ch</strong>enden,<br />

verführt, sondern es siegte »die sinnli<strong>ch</strong>e Begierde unter dem von Moses<br />

aufgestellten Sinnbilde einer S<strong>ch</strong>lange über die Erkenntnis des Guten und Wahren<br />

aus der göttli<strong>ch</strong>en Offenbarung« (GEJ VII,121,9). Folgli<strong>ch</strong> war au<strong>ch</strong> der Baum<br />

der Erkenntnis kein natürli<strong>ch</strong>er Baum: »Der Mens<strong>ch</strong> aber, da er einen freiesten<br />

Willen hatte, ließ si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die S<strong>ch</strong>lange seiner Begierde verlocken und aß eher<br />

no<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> von dem Baume der Erkenntnis, als er dur<strong>ch</strong> Glaubensreife im Herzen<br />

des Mens<strong>ch</strong>en wäre gesegnet worden, d.h. er fing an, dur<strong>ch</strong> den Gehirnverstand<br />

den Geist Gottes und so den Geist des Lebens zu su<strong>ch</strong>en und zu ergründen, und<br />

die Folge davon war, dass er si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> von Gott nur stets mehr entfernte, anstatt<br />

si<strong>ch</strong> Ihm mehr und mehr zu nahen.« (GEJ IX,83,5). Im materiellen Verständnis<br />

irreführend ist au<strong>ch</strong> der Engel mit dem flammenden S<strong>ch</strong>wert: »Meinst du denn<br />

im Ernste, dass Gott den Adam aus dem Paradiese dur<strong>ch</strong> einen Engel, der ein<br />

flammendes S<strong>ch</strong>wert als Vertreibungswaffe in seiner Re<strong>ch</strong>ten führte, vertreiben<br />

ließ? I<strong>ch</strong> sage es dir: mag das au<strong>ch</strong> dem Adam als Ers<strong>ch</strong>einung vorgestellt worden<br />

sein, so war es aber nur eine Entspre<strong>ch</strong>ung von dem, was eigentli<strong>ch</strong> in Adam<br />

selbst vorgegangen ist, und gehörte eben also zum Akte seiner Erziehung und zur<br />

Gründung der ersten Religion und Urkir<strong>ch</strong>e 16 unter den Mens<strong>ch</strong>en auf Erden.«<br />

(GEJ IV,142,3). Und s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> hat es au<strong>ch</strong> die Sintflut in der von Mose bes<strong>ch</strong>riebenen<br />

Weise ni<strong>ch</strong>t gegeben, weswegen der Herr mahnt: »Du darfst … die natürli<strong>ch</strong>e<br />

hohe Wasserflut … ni<strong>ch</strong>t mit der geistigen allgemeinen Überflutung der Sünde<br />

verwe<strong>ch</strong>seln, ansonst du darin niemals ganz ins reine kommen wirst.« (GEJ<br />

VII,91,20). Diese Aussage zeigt deutli<strong>ch</strong>, dass die mosais<strong>ch</strong>e Sintflut mit der historis<strong>ch</strong>en<br />

großen Flut ni<strong>ch</strong>t identis<strong>ch</strong> ist; do<strong>ch</strong> die geistige Bedeutung des mosais<strong>ch</strong>en<br />

Beri<strong>ch</strong>ts s<strong>ch</strong>ließt entspre<strong>ch</strong>end natürli<strong>ch</strong>e Folgewirkungen ni<strong>ch</strong>t aus:<br />

»Dur<strong>ch</strong> die im westli<strong>ch</strong>en Teile Asiens stattgehabte große Wasserflut zu den Zeiten<br />

Noahs sind wohl hö<strong>ch</strong>st viele Mens<strong>ch</strong>en und Tiere zugrunde gegangen, weil<br />

das Wasser im Ernste sogar den hohen Ararat überspülte, aber deshalb rei<strong>ch</strong>te<br />

das natürli<strong>ch</strong>e Wasser denno<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t über die ganze Erde [wie Moses behauptet],<br />

die damals no<strong>ch</strong> lange ni<strong>ch</strong>t in allen ihren bewohnbaren Teilen bevölkert war. Es<br />

ergoss si<strong>ch</strong> aber die Flut der Sünde, die da heißt Gottvergessenheit, Hurerei,<br />

Ho<strong>ch</strong>mut, Geiz, Neid, Herrs<strong>ch</strong>su<strong>ch</strong>t und Lieblosigkeit, über das ganze Mens<strong>ch</strong>enges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t,<br />

unter dem die geistige Erde zu verstehen ist, und das ist es, was Moses<br />

15<br />

Vgl. au<strong>ch</strong> GEJ III,10,1: »Dieses Eden war ein großer Garten und bestens bestellt mit den besten<br />

Frü<strong>ch</strong>ten der ganzen Erde«.<br />

16<br />

Mit »Urkir<strong>ch</strong>e« greift Lorber den swedenborgs<strong>ch</strong>en Terminus »Antiquissima Ecclesia« auf, der<br />

in den alten Übersetzungen der »himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnisse« sowohl mit »älteste Kir<strong>ch</strong>e« (zum<br />

Beispiel HG 1139) als au<strong>ch</strong> mit »Urkir<strong>ch</strong>e« (HG 986, 1013, 1241, 1259, 1263, 1384, 1540,<br />

1587, 1588, 1607, 1622, 7476) übersetzt wurde.


Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1-11) 13<br />

unter der allgemeinen Sündflut verstanden haben will. Die hö<strong>ch</strong>sten Berge, über die<br />

die Flut si<strong>ch</strong> ergoss, sind der große Ho<strong>ch</strong>mut der damaligen Mens<strong>ch</strong>en, die über<br />

die Völker herrs<strong>ch</strong>ten, und die Überflutung ist die Demütigung, die damals über<br />

alle Beherrs<strong>ch</strong>er kam, und zwar in jedem Rei<strong>ch</strong>e auf eine eigene, entspre<strong>ch</strong>ende<br />

Art.« (GEJ VII,91,21f.). Die mosais<strong>ch</strong>e, weltweite Sintflut hat es also nie gegeben;<br />

glei<strong>ch</strong>wohl gab es eine Wasserflut, die jedo<strong>ch</strong> auf Teile Asiens bes<strong>ch</strong>ränkt war<br />

und außerdem andere Ursa<strong>ch</strong>en hatte, als es der mosais<strong>ch</strong>e Beri<strong>ch</strong>t sagt. Natürli<strong>ch</strong><br />

hängen die historis<strong>ch</strong>e Flut und die mosais<strong>ch</strong>e irgendwie zusammen, aber der<br />

mosais<strong>ch</strong>e Beri<strong>ch</strong>t ist stilisiert und will im wesentli<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t die historis<strong>ch</strong>e<br />

Wirkli<strong>ch</strong>keit, sondern ein geistiges Ges<strong>ch</strong>ehen bes<strong>ch</strong>reiben. Wir sehen, wie genau<br />

man unters<strong>ch</strong>eiden muss, um ni<strong>ch</strong>t kurzs<strong>ch</strong>lüssig auf Widersprü<strong>ch</strong>e zu kommen.<br />

Damit ist klar, dass au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Lorber die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten der Bibel primär eine<br />

geistige Bedeutung haben und deswegen »gema<strong>ch</strong>te Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten« sind, weil sie<br />

eben so, wie bei Moses ges<strong>ch</strong>ildert, ni<strong>ch</strong>t ges<strong>ch</strong>ehen sind. Eva ist eben ni<strong>ch</strong>t aus<br />

einer Rippe entstanden usw. Glei<strong>ch</strong>wohl ist historis<strong>ch</strong> etwas ges<strong>ch</strong>ehen, denn es<br />

gab ja die Zeit der ältesten Kir<strong>ch</strong>e, jenes sagenhafte Goldene Zeitalter. Do<strong>ch</strong> diese<br />

historis<strong>ch</strong>e Wirkli<strong>ch</strong>keit lässt si<strong>ch</strong> nur indirekt aus der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te ers<strong>ch</strong>ließen.<br />

Dass es jedo<strong>ch</strong> eine Offenbarung über dieses Zeitalter geben wird, kündigte ausgere<strong>ch</strong>net<br />

Swedenborg an, der in den Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten »gema<strong>ch</strong>te Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten« sah:<br />

»In der ältesten Kir<strong>ch</strong>e, mit der der Herr von Angesi<strong>ch</strong>t zu Angesi<strong>ch</strong>t spra<strong>ch</strong>, ers<strong>ch</strong>ien<br />

er wie ein Mens<strong>ch</strong>, wovon vieles beri<strong>ch</strong>tet werden kann, aber es ist no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

an der Zeit.« (HG 49). Die »Haushaltung Gottes« ist der historis<strong>ch</strong>e Beri<strong>ch</strong>t über<br />

jene sagenhafte Zeit der ältesten Kir<strong>ch</strong>e. Aber au<strong>ch</strong> hier muss man si<strong>ch</strong> vor Kurzs<strong>ch</strong>lüssen<br />

in A<strong>ch</strong>t nehmen, denn die ältesten Mens<strong>ch</strong>en da<strong>ch</strong>ten ni<strong>ch</strong>t so irdis<strong>ch</strong>,<br />

wie wir heute, deswegen kann au<strong>ch</strong> der Beri<strong>ch</strong>t über jene ferne Zeit ni<strong>ch</strong>t so irdis<strong>ch</strong><br />

ausfallen, wie wir meinen. Daher warnt uns der Herr, die »Haushaltung«<br />

ni<strong>ch</strong>t nur als ein Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tsbu<strong>ch</strong> zu betra<strong>ch</strong>ten: »Wohl jedem, der das darinnen [=<br />

in der Haushaltung] dur<strong>ch</strong>leu<strong>ch</strong>tende Gesetz der Liebe wird zum Grunde seines<br />

Lebens ma<strong>ch</strong>en; denn er wird dann darinnen au<strong>ch</strong> das wahre, ewige Leben finden!<br />

Wer es aber nur lesen wird wie ein anderes mär<strong>ch</strong>enhaftes Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tsbu<strong>ch</strong>, der<br />

wird eine sehr magere Ernte bekommen für den Geist!« (HGt III,365,20f.). Und<br />

ergänzend heißt es im »großen Evangelium«: Die »Haushaltung Gottes« ist »naturmäßig<br />

und geistig gemengt« gegeben (GEJ IV,163,4). Das heißt: Die »Haushaltung«<br />

ist nun zwar ein sehr viel mehr naturmäßiger Beri<strong>ch</strong>t als die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te,<br />

aber denno<strong>ch</strong> muss man immer au<strong>ch</strong> mit der geistigen Bedeutung<br />

re<strong>ch</strong>nen, ja viellei<strong>ch</strong>t sind einige Beri<strong>ch</strong>te sogar nur geistig gemeint.<br />

Ein weiteres Problem sind, wie s<strong>ch</strong>on gesagt, die Kollektiv- oder Individualpersonen.<br />

Aber au<strong>ch</strong> hier muss man grundsätzli<strong>ch</strong> sagen, dass Swedenborg die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

der Bibel interpretiert - und da ist nun einmal Adam das hebräis<strong>ch</strong>e Wort<br />

für Mens<strong>ch</strong> -, während Lorber die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Mens<strong>ch</strong>heit s<strong>ch</strong>reibt und in<br />

Adam, um dabei zu bleiben, den ersten geistbegabten Mens<strong>ch</strong>en sieht. Aber man<br />

kann das no<strong>ch</strong> deutli<strong>ch</strong>er herausarbeiten. Denn Lorber unters<strong>ch</strong>eidet mit aller<br />

Deutli<strong>ch</strong>keit die sozusagen swedenborgs<strong>ch</strong>e Interpretationsstufe und die denno<strong>ch</strong>


14 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

mögli<strong>ch</strong>e Si<strong>ch</strong>t der »Haushaltung«: »Sehet, alles, was Moses mit seiner S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

sagt und so ganz eigentli<strong>ch</strong> sagen will, bezieht si<strong>ch</strong> zu allernä<strong>ch</strong>st<br />

nur auf die Erziehung und geistige Bildung der ersten Mens<strong>ch</strong>en [Plural!]<br />

überhaupt, und nur dur<strong>ch</strong> Entspre<strong>ch</strong>ung au<strong>ch</strong> auf die des allerersten Mens<strong>ch</strong>enpaares.«<br />

(GEJ IV,162,3). Demna<strong>ch</strong> haben sowohl Swedenborg als au<strong>ch</strong> Lorber<br />

re<strong>ch</strong>t. Moses meinte tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>, wie Swedenborg erkannte, mit »Adam« die ältesten<br />

Mens<strong>ch</strong>en (Plural!); dessenungea<strong>ch</strong>tet gab es aber au<strong>ch</strong> ein erstes Mens<strong>ch</strong>enpaar.<br />

17 Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass der Urmens<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> kein so<br />

ausgebildetes I<strong>ch</strong>bewusstsein hatte wie wir, so dass das Kollektive und das Individuelle<br />

no<strong>ch</strong> enger beieinander liegen. No<strong>ch</strong> im Alten Testament kann man beoba<strong>ch</strong>ten,<br />

dass individuelle Persönli<strong>ch</strong>keiten zuglei<strong>ch</strong> kollektive Persönli<strong>ch</strong>keiten<br />

sind. So ist Israel zuglei<strong>ch</strong> der Name einer Einzelpersönli<strong>ch</strong>keit und eines Volkes.<br />

Glei<strong>ch</strong>es gilt für Edom und die Edomiter, Ismael und die Ismaeliter, Moab und die<br />

Moabiter usw. Au<strong>ch</strong> in der »Haushaltung« werden beide Si<strong>ch</strong>tweisen verbunden:<br />

»Und wie vorher Adam und Eva nur als das erste Mens<strong>ch</strong>enpaar haben angesehen<br />

werden können, so kann es [das erste Mens<strong>ch</strong>enpaar] nun au<strong>ch</strong> als die erste<br />

Gründung der Kir<strong>ch</strong>e Jehovas angesehen werden« (HGt I,169,6). Demna<strong>ch</strong> können<br />

Adam und Eva individuell (= erstes Mens<strong>ch</strong>enpaar) und kollektiv (= erste Kir<strong>ch</strong>e)<br />

interpretiert werden. Glei<strong>ch</strong>es gilt für die übrigen »Personen« der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te.<br />

17<br />

In diesem Zusammenhang sei au<strong>ch</strong> darauf hingewiesen, dass in der »Haushaltung« der allgemeine<br />

und der besondere Adam unters<strong>ch</strong>ieden werden (HGt I,40; 47,1; II,114,3ff.). Da das<br />

aber in no<strong>ch</strong> andere Interpretationsräume führt, mö<strong>ch</strong>te i<strong>ch</strong> darauf ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> eingehen.<br />

Im übrigen betrifft es ja nur Adam und ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> die übrigen Personen der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te.


Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 15<br />

Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1)<br />

1. Zum Verhältnis der zwei S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>te<br />

Es gibt zwei S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten. Jeder Bibelleser kann sehen, dass die Ers<strong>ch</strong>affung<br />

des Mens<strong>ch</strong>en - und ni<strong>ch</strong>t nur die - zweimal beri<strong>ch</strong>tet wird, nämli<strong>ch</strong> in<br />

Genesis 1,26f und in Genesis 2,7. Diese und andere Beoba<strong>ch</strong>tungen 18 führten in<br />

der Bibelwissens<strong>ch</strong>aft zur Annahme zweier Quellen, der sogenannten Priesters<strong>ch</strong>rift<br />

und dem Jahwisten. Do<strong>ch</strong> die Neuoffenbarung hat einen anderen Erklärungsansatz:<br />

Ȇbrigens aber ist dem Wortlaute na<strong>ch</strong> die Vortextierung [Genesis 1]<br />

von der Na<strong>ch</strong>textierung [Genesis 2] ni<strong>ch</strong>t gar so vers<strong>ch</strong>ieden, als du es meinst;<br />

denn die Na<strong>ch</strong>textierung kommentiert vielmehr die Vortextierung und bes<strong>ch</strong>reibt<br />

die Art und Weise - wenns<strong>ch</strong>on eigentli<strong>ch</strong> in geistig entspre<strong>ch</strong>ender Weise - näher,<br />

wie des Mens<strong>ch</strong>en Werdung vor si<strong>ch</strong> gegangen ist.« (GEJ IV,162,1). Genesis<br />

2, die »Na<strong>ch</strong>textierung«, ist also als Kommentar zu Genesis 1, der »Vortextierung«,<br />

zu lesen. Wel<strong>ch</strong>e Auslegung si<strong>ch</strong> aus diesem Ansatz ergibt, ist bei Swedenborg<br />

na<strong>ch</strong>zulesen: »In diesem Kapitel [Genesis 2] wird vom himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en<br />

gehandelt; im vorhergehenden [Genesis 1] war vom geistigen die Rede« (HG 81).<br />

Himmlis<strong>ch</strong> bezei<strong>ch</strong>net bei Swedenborg alles zur Liebe und zum Willen Gehörige;<br />

geistig alles zur Weisheit, zum Li<strong>ch</strong>t und zum Verstand Gehörige. Genesis 1<br />

s<strong>ch</strong>ildert also die Wiedergeburt aus dem Li<strong>ch</strong>t. Das ist ein Vorgang, der no<strong>ch</strong><br />

Kampf bedeutet (Gen 1,28); dieser Vorgang vollzieht si<strong>ch</strong> von außen na<strong>ch</strong> innen 19 ,<br />

das heißt vom Verstand (oder der bewussten Intention) zum Willen. Genesis 2<br />

hingegen s<strong>ch</strong>ildert die eigentli<strong>ch</strong>e Wiedergeburt; »eigentli<strong>ch</strong>« deswegen, weil sie<br />

si<strong>ch</strong> von innen na<strong>ch</strong> außen vollzieht und die Ruhe des siebenten Tages bewirkt,<br />

die darin besteht, dass der äußere Mens<strong>ch</strong> dem inneren wirkli<strong>ch</strong> gehor<strong>ch</strong>t. Diese<br />

Differenz aufgreifend unters<strong>ch</strong>eidet Swedenborg die Umbildung (reformatio) von<br />

der Wiedergeburt (regeneratio) 20 . Die Umbildung ist sozusagen die uneigentli<strong>ch</strong>e<br />

Wiedergeburt und das Thema des Se<strong>ch</strong>stagewerkes. Man kann jedo<strong>ch</strong> in der<br />

»Wiedergeburt« au<strong>ch</strong> den Oberbegriff für Umbildung und Wiedergeburt sehen;<br />

und dann führt au<strong>ch</strong> das Se<strong>ch</strong>stagewerk zur Wiedergeburt oder zur geistigen<br />

S<strong>ch</strong>öpfung des Mens<strong>ch</strong>en. Was das im einzelnen bedeutet, werden wir no<strong>ch</strong> sehen.<br />

2. Das Thema der S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1)<br />

2.1. Die geistige Aussageebene<br />

Genesis 1 handelt »im allgemeinen von der neuen S<strong>ch</strong>öpfung oder Wiedergeburt<br />

des Mens<strong>ch</strong>en und im besonderen von der ältesten Kir<strong>ch</strong>e« (HG 4). Swedenborg<br />

18<br />

S<strong>ch</strong>on Cyrenius hatte sol<strong>ch</strong>e Merkwürdigkeiten in den Texten gesehen, siehe GEJ IV,161,2-<br />

4+9.<br />

19<br />

Siehe HG 64.<br />

20<br />

Vgl. hierzu HG 10729, 8539 und WCR 571.


16 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

sieht also zwei Bedeutungsebenen: eine, die an keine bestimmte Zeit gebunden<br />

ist, denn Mens<strong>ch</strong>en können zu allen Zeiten wiedergeboren werden; und eine, die<br />

eine ganz bestimmte Zeit meint, nämli<strong>ch</strong> die der ältesten Kir<strong>ch</strong>e. Swedenborgs<br />

Auslegung bes<strong>ch</strong>ränkt si<strong>ch</strong> dann jedo<strong>ch</strong> auf die allgemeine Bedeutungsebene,<br />

denn er will ledigli<strong>ch</strong> zeigen, dass »die se<strong>ch</strong>s Tage oder Zeiten … ebenso viele<br />

aufeinanderfolgende Zustände der Wiedergeburt des Mens<strong>ch</strong>en« sind (HG 6) 21 .<br />

Immerhin deutet Swedenborg aber bei seiner Auslegung des ersten Wortes, nämli<strong>ch</strong><br />

»im Anfang (beres<strong>ch</strong>it)«, an, dass es sowohl »die älteste Zeit« (also die Urzeit<br />

der adamis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>heit), als au<strong>ch</strong> »die erste Zeit der Wiedergeburt des Mens<strong>ch</strong>en«<br />

(HG 16) bedeutet. Do<strong>ch</strong> die Enthüllung der Urzeit war ni<strong>ch</strong>t Swedenborgs<br />

Auftrag, obglei<strong>ch</strong> wir denno<strong>ch</strong> einige Informationen über den Urmens<strong>ch</strong>en erhalten.<br />

Es ist nun interessant, dass au<strong>ch</strong> die Lorbers<strong>ch</strong>riften die beiden Bedeutungsebenen<br />

kennen, denn was »Moses von der S<strong>ch</strong>öpfung sagt, hat mit der Ers<strong>ch</strong>affung<br />

der Welt gar ni<strong>ch</strong>ts zu tun, sondern allein nur mit der Bildung des Mens<strong>ch</strong>en<br />

von der Wiege angefangen bis zu seiner Vollendung hin« (GEJ III,235,1) 22 . Das ist<br />

die Ebene der Wiedergeburt. Dass die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te aber au<strong>ch</strong> von der<br />

ältesten Kir<strong>ch</strong>e handelt, wird in den folgenden Texten deutli<strong>ch</strong> gesagt: So heißt es<br />

von der »Haushaltung«, dass sie »die vollste Erklärung der in der Bibel von Moses<br />

bezei<strong>ch</strong>neten se<strong>ch</strong>s S<strong>ch</strong>öpfungstage« gibt, »dur<strong>ch</strong> die ni<strong>ch</strong>ts anderes verstanden<br />

werden soll als eben die Gründung der ersten Kir<strong>ch</strong>e auf dem Erdkörper« (HGt<br />

II,172,1). Ferner lesen wir: »Sehet, alles, was Moses mit seiner S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

sagt und so ganz eigentli<strong>ch</strong> sagen will, bezieht si<strong>ch</strong> zu allernä<strong>ch</strong>st nur<br />

auf die Erziehung und geistige Bildung der ersten Mens<strong>ch</strong>en überhaupt [also der<br />

ältesten Kir<strong>ch</strong>e], und nur dur<strong>ch</strong> Entspre<strong>ch</strong>ung au<strong>ch</strong> auf die des allerersten Mens<strong>ch</strong>enpaares.«<br />

(GEJ IV,162,3). Moses bes<strong>ch</strong>äftigt si<strong>ch</strong> in seiner Bilderspra<strong>ch</strong>e bloß<br />

nur mit dem, »was da die Urbildung der ersten Mens<strong>ch</strong>en der Erde betrifft« (GEJ<br />

II,215,2) und gibt si<strong>ch</strong> ledigli<strong>ch</strong> und nahezu allein nur »mit der ersten Herzensund<br />

Verstandesbildung der Mens<strong>ch</strong>en« ab (GEJ II,215,2). »Moses stellt in seiner<br />

S<strong>ch</strong>öpfungsdarstellung nur Bilder auf, die die Gründung der ersten Erkenntnis<br />

Gottes bei den Mens<strong>ch</strong>en der Erde kundgeben, ni<strong>ch</strong>t aber die materielle S<strong>ch</strong>öpfung<br />

der Erde und aller anderen Welten.« (GEJ I,156,9). Die Gründung der Urkir<strong>ch</strong>e<br />

ist jedo<strong>ch</strong> nur die zeitli<strong>ch</strong> erste Realisierung der an si<strong>ch</strong> zeitlosen Wahrheit.<br />

Daher beinhaltet Genesis 1 au<strong>ch</strong> »die Gründung der Kir<strong>ch</strong>e Gottes auf Erden bis<br />

auf diese Zeiten und fortan bis ans Weltende« (GEJ III,235,1). Und da »die Erziehung<br />

und geistige Bildung der ersten Mens<strong>ch</strong>en« (GEJ IV,162,3) dem allgemeinen<br />

Muster der Wiedergeburt folgte, wird die »Haushaltung«, die diese Bildung s<strong>ch</strong>il-<br />

21<br />

Siehe au<strong>ch</strong> Swedenborgs Bemerkung na<strong>ch</strong> der Auslegung von Genesis 1 in HG 64.<br />

22<br />

Siehe au<strong>ch</strong> GEJ III,222,4: Man kann sehen, »dass die Genesis Mosis ni<strong>ch</strong>t so sehr die eigentli<strong>ch</strong>e<br />

Ers<strong>ch</strong>affung der Welten, als vielmehr und eigentli<strong>ch</strong> vor allem nur die geistige Erziehung<br />

und Bildung des ganzen Mens<strong>ch</strong>en und seines freien Willens, in die Gottesordnung einund<br />

übergehend, darstellt.«


Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 17<br />

dert, ein »neues Bu<strong>ch</strong> des Lebens« (siehe HGt III,88,2) genannt. Außerdem weise<br />

i<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on jetzt darauf hin, dass in den oben zitierten Lorbertexten oft von »Bildung«<br />

(einmal au<strong>ch</strong> von »Erkenntnis«) die Rede ist. Bei der Auslegung von Genesis<br />

1 werden wir sehen, dass dort das Li<strong>ch</strong>t des Wahren, also die »Herzens- und<br />

Verstandesbildung« (GEJ II,215,2) die ents<strong>ch</strong>eidende Rolle spielt.<br />

2.2. Die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te als Folgewirkung<br />

Ein weiterer Aspekt darf ni<strong>ch</strong>t unerwähnt bleiben. Er betrifft das Verhältnis von<br />

»Bildung« und »Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te«: »wer den weiteren Verlauf der Mosais<strong>ch</strong>en Bü<strong>ch</strong>er<br />

nur einigermaßen s<strong>ch</strong>ärfer ins Auge fasst als irgendeine Fabel des grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en<br />

Di<strong>ch</strong>ters Aesop, der muss es ja do<strong>ch</strong> bald merken, dass si<strong>ch</strong> Moses in seiner Bilderspra<strong>ch</strong>e<br />

bloß nur mit dem bes<strong>ch</strong>äftigt, was da die Urbildung der ersten Mens<strong>ch</strong>en<br />

der Erde betrifft, und somit keineswegs etwa nur die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

der Erde und des Himmels und all der Ges<strong>ch</strong>öpfe auf der Erde und in der Erde<br />

behandelt, sondern si<strong>ch</strong> vor allem ledigli<strong>ch</strong> und nahezu allein nur mit der ersten<br />

Herzens- und Verstandesbildung der Mens<strong>ch</strong>en abgibt; darum er au<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong> das<br />

Mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>-Historis<strong>ch</strong>e daran bindet. Die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te aber konnte ja nur ein Produkt<br />

der intelligenten Bildung der Mens<strong>ch</strong>en und nie der stummen ges<strong>ch</strong>affenen Natur<br />

sein, die si<strong>ch</strong> völlig glei<strong>ch</strong>geblieben ist bis auf diese Zeit und au<strong>ch</strong> also verbleiben<br />

wird bis ans Ende aller Zeiten.« (GEJ II,215,2f.). Dieser hermeneutis<strong>ch</strong> hö<strong>ch</strong>st interessante<br />

Hinweis bezieht si<strong>ch</strong> zunä<strong>ch</strong>st nur auf die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, ließe<br />

si<strong>ch</strong> aber viellei<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> auf die ganze Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te ausweiten. Denn i<strong>ch</strong> habe ja<br />

gezeigt, dass die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te glei<strong>ch</strong>sam das Präludium der ab Genesis 12 beginnenden<br />

»wahren Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te« ist. Dieses Vorspiel führt uns in die Vorhalle der<br />

Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te ein; Vorhalle deswegen, weil die »Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te … ja nur ein Produkt der<br />

intelligenten Bildung der Mens<strong>ch</strong>en« sein konnte. Das heißt: Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

oder (wenn man den Rahmen weiter fassen darf) die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te s<strong>ch</strong>ildert<br />

uns die Voraussetzungen der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te. Der Mens<strong>ch</strong> musste erst zu dem<br />

werden, was er nun ist, nämli<strong>ch</strong> ein Bild Gottes, das si<strong>ch</strong> selbst verleugnet, bevor<br />

er das bewirken konnte, was er tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> bewirkt hat. In diesem Sinne ist die<br />

S<strong>ch</strong>öpfungs- oder die ganze Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te die Grundsteinlegung des ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en<br />

Prozesses. Die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te hat also, au<strong>ch</strong> von dieser Warte aus<br />

gesehen, eine eminent historis<strong>ch</strong>e Dimension, au<strong>ch</strong> wenn sie nur »gema<strong>ch</strong>te Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te«<br />

ist.<br />

2.3. Die natürli<strong>ch</strong>-kosmologis<strong>ch</strong>e Dimension des S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>tes<br />

S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> lässt der so sehr in Misskredit geratene S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> Rücks<strong>ch</strong>lüsse<br />

auf die natürli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>öpfung zu. Allerdings ist dazu »die Weisheit der<br />

Engel« erforderli<strong>ch</strong>: »So dir die Weisheit der Engel eigen ist, dann wirst du aus<br />

dem rein Geistigen in rückgängiger Entspre<strong>ch</strong>ung ins Naturmäßige hinaus au<strong>ch</strong><br />

die ganze natürli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>öpfung auf ein Haar genau aus dem finden, was Moses in


18 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

seiner Genesis sagt« (GEJ I,162,5) 23 . Das Ergebnis präsentiert uns der Herr, indem<br />

er von den Erdbildungsperioden spri<strong>ch</strong>t. Dass sie mit den Tagen der mosais<strong>ch</strong>en<br />

S<strong>ch</strong>öpfung in Beziehung stehen, wird ausdrückli<strong>ch</strong> gesagt: »Na<strong>ch</strong> und aus den<br />

eu<strong>ch</strong> nun so einfa<strong>ch</strong> und klar als mögli<strong>ch</strong> dargestellten Bildungsperioden könnet<br />

ihr aber no<strong>ch</strong> etwas entnehmen, und zwar den eigentli<strong>ch</strong>en Urgrund, aus dem der<br />

Prophet Moses die S<strong>ch</strong>öpfung in se<strong>ch</strong>s Tage eingeteilt hat. Diese se<strong>ch</strong>s Tage sind<br />

demna<strong>ch</strong> die eu<strong>ch</strong> gezeigten se<strong>ch</strong>s Perioden« (GEJ VIII,73,10f.). Allerdings ist<br />

tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> »die Weisheit der Engel« notwendig, um die Entwicklungsprozesse der<br />

Erdbildungsperioden mit dem mosais<strong>ch</strong>en Beri<strong>ch</strong>t in Übereinstimmung zu bringen,<br />

denn beispielsweise passen die Vorgänge der fünften Periode (GEJ VIII,72,10<br />

und 73,4) eigentli<strong>ch</strong> besser zum vierten Tag. Do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> das zeigt nur, dass jede<br />

bu<strong>ch</strong>stäbli<strong>ch</strong>e Auslegung des mosais<strong>ch</strong>en Beri<strong>ch</strong>tes s<strong>ch</strong>eitern muss, obwohl er<br />

au<strong>ch</strong> eine natürli<strong>ch</strong>e Aussagedimension hat, die uns das Lorberwerk enthüllt.<br />

3. Die Auslegung der S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1)<br />

3.1. Vorbemerkung zur Auslegung<br />

Die folgende Auslegung orientiert si<strong>ch</strong> an Swedenborg und Lorber. Swedenborg<br />

hat den inneren Sinn des Se<strong>ch</strong>stagewerkes in den »himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnissen«<br />

Nr. 6 bis 66 enthüllt; einzelne Verse werden aber au<strong>ch</strong> an zahlrei<strong>ch</strong>en anderen<br />

Stellen behandelt 24 . Hinzuweisen ist ferner auf die Auslegungen in der »Historia<br />

Creationis a Mose tradita« 25 und der »Explicatio in Verbum Historicum Veteris<br />

Testamenti« 26 Nr. 2 bis 15. Beide Werke wurden zwar na<strong>ch</strong> der Berufungsvision<br />

(1745) ges<strong>ch</strong>rieben, aber von Swedenborg selbst nie veröffentli<strong>ch</strong>t, denn sie sind<br />

no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t göttli<strong>ch</strong>e Offenbarungen. Bei Lorber wird das Se<strong>ch</strong>stagewerk vollständig<br />

nur in GEJ I,157-162 ausgelegt; drei weitere Deutungen des ersten Tages sind<br />

in GEJ II,219-221, GEJ III,28 und GEJ III,235 zu finden.<br />

3.2. Die Strukturen des S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>tes<br />

3.2.1. Die doppelte Triadenstruktur<br />

Der S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t besteht aus a<strong>ch</strong>t Werken, die auf se<strong>ch</strong>s Tage verteilt sind.<br />

Die a<strong>ch</strong>t Werke sind: 1. das Li<strong>ch</strong>t, 2. die Feste (Firmament), 3. das Meer und das<br />

Land, 4. die Pflanzen, 5. die Gestirne, 6. die Wasser- und Lufttiere, 7. die Landtiere<br />

und 8. der Mens<strong>ch</strong>. Wenn man si<strong>ch</strong> die Verteilung der Werke auf die Tage an-<br />

23<br />

Vgl. au<strong>ch</strong> GEJ I,158,15; II,215,6.<br />

24<br />

Siehe Arthur Hodson Searle, General Index to Swedenborgs Scripture Quotations, London<br />

1954.<br />

25<br />

Übersetzung des Titels: »Die von Moses überlieferte Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der S<strong>ch</strong>öpfung«. Na<strong>ch</strong> William<br />

Ross Woofenden, Swedenborg Resear<strong>ch</strong>er's Manual, Bryn Athyn 1988, Seite 65f wurde diese<br />

S<strong>ch</strong>rift 1745 ges<strong>ch</strong>rieben.<br />

26<br />

Übersetzung des Titels: »Erklärung des historis<strong>ch</strong>en Wortes des Alten Testaments«. Na<strong>ch</strong><br />

William R. Woofenden, a.a.O., Seite 66f wurde dieses umfangrei<strong>ch</strong>e Werk 1746 ges<strong>ch</strong>rieben.


Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 19<br />

s<strong>ch</strong>aut, dann erkennt man eine Struktur: Der erste und der zweite S<strong>ch</strong>öpfungstag<br />

haben je ein Werk; der dritte zwei; der vierte und der fünfte wieder je ein Werk;<br />

und der se<strong>ch</strong>ste wieder zwei Werke. Die Werke sind also na<strong>ch</strong> dem S<strong>ch</strong>ema einseins-zwei<br />

und eins-eins-zwei verteilt. Folgli<strong>ch</strong> bilden der erste bis dritte Tag eine<br />

Einheit; und ebenso der vierte bis se<strong>ch</strong>ste Tag. Untersu<strong>ch</strong>t man die auf diesem<br />

Wege erkannten Triaden (Dreiheiten) weiter, dann ma<strong>ch</strong>t man weitere Beoba<strong>ch</strong>tungen,<br />

die für diese Strukturanalyse spre<strong>ch</strong>en. Denn das erste Werk der beiden<br />

Triaden hat mit dem Li<strong>ch</strong>t zu tun, mit dem Li<strong>ch</strong>t des ersten und den Li<strong>ch</strong>tkörpern<br />

des vierten Tages. Das zweite Werk der beiden Triaden betrifft den unteren und<br />

den oberen Berei<strong>ch</strong>; das heißt am zweiten Tag die Wasser unterhalb und oberhalb<br />

der Feste und am fünften Tag die Tiere unterhalb und oberhalb der Erde (die Wasser-<br />

und Lufttiere). Und s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> das dritte und vierte Werk der beiden Triaden<br />

betrifft die Erde: am dritten Tag das Hervortreten der Erde und die Entstehung der<br />

Pflanzenwelt, am se<strong>ch</strong>sten Tag die Landtiere und der Mens<strong>ch</strong>.<br />

Diese Strukturanalyse zeigt deutli<strong>ch</strong> die beherrs<strong>ch</strong>ende Stellung des Li<strong>ch</strong>tes; es ist<br />

der Anfang der Wiedergeburt; die Initiative geht vom Li<strong>ch</strong>t aus. Deswegen ist es<br />

wi<strong>ch</strong>tig, den Bedeutungsrei<strong>ch</strong>tum der Li<strong>ch</strong>tmetapher zu kennen. Das Li<strong>ch</strong>t bezei<strong>ch</strong>net<br />

in der Heiligen S<strong>ch</strong>rift Gott oder sein Ers<strong>ch</strong>einen: »Und dies ist die Bots<strong>ch</strong>aft,<br />

die wir von ihm (Jesus Christus) gehört haben und eu<strong>ch</strong> verkündigen: dass<br />

Gott Li<strong>ch</strong>t ist …« (1. Joh 1,5). »Er (der Herr) umhüllt si<strong>ch</strong> mit Li<strong>ch</strong>t wie mit einem<br />

Gewand« (Ps 104,2) 27 . Dieses Li<strong>ch</strong>tgewand heißt in der Heiligen S<strong>ch</strong>rift au<strong>ch</strong> »die<br />

Herrli<strong>ch</strong>keit des Herrn«, denn sie bezei<strong>ch</strong>net die Li<strong>ch</strong>ters<strong>ch</strong>einung Gottes, die<br />

ihrem Wesen na<strong>ch</strong> das göttli<strong>ch</strong>e Wahre ist (HG 8427, 9429). Daher ers<strong>ch</strong>eint Gott<br />

den Engeln als das Li<strong>ch</strong>tzentrum (Sonne); das innere Wesen dieses Gottesli<strong>ch</strong>tes<br />

freili<strong>ch</strong> ist die Liebe, und das Li<strong>ch</strong>t ist nur die Offenbarung der Liebe in der Herrli<strong>ch</strong>keit<br />

des Li<strong>ch</strong>tes. Aus dem bisher Gesagten geht ferner hervor, dass das Li<strong>ch</strong>t<br />

in der Heiligen S<strong>ch</strong>rift au<strong>ch</strong> die Weisheit bezei<strong>ch</strong>net: »Sende dein Li<strong>ch</strong>t und deine<br />

Wahrheit, dass sie mi<strong>ch</strong> führen …« (Ps 43,3). »Dein Wort ist meines Fußes Leu<strong>ch</strong>te<br />

und ein Li<strong>ch</strong>t auf meinen Weg.« (Ps 119,105). Und da, wie gesagt, die Liebe das<br />

innere Wesen des Li<strong>ch</strong>tes ist, ist die Wirkung des Li<strong>ch</strong>tes das Leben; denn das<br />

Li<strong>ch</strong>t könnte kein Leben erwecken, wenn es das Leben ni<strong>ch</strong>t in si<strong>ch</strong> tragen würde.<br />

Daher lesen wir in den Weisheitsbü<strong>ch</strong>ern des Alten Bundes: »Wer mi<strong>ch</strong> (die<br />

Weisheit) findet, findet Leben« (Spr 8,35). »Wer sie (die Weisheit) liebt, liebt das<br />

Leben« (Sir 4,12). Und bei Johannes heißt es: »I<strong>ch</strong> bin das Li<strong>ch</strong>t der Welt. Wer mir<br />

na<strong>ch</strong>folgt, der wird ni<strong>ch</strong>t in der Finsternis wandeln, sondern das Li<strong>ch</strong>t des Lebens<br />

haben.« (Joh 8,12). Denn das »vom Herrn ausgehende Li<strong>ch</strong>t ist das eigentli<strong>ch</strong>e<br />

Leben« (OE 349). Oder mit Lorber gespro<strong>ch</strong>en: »Li<strong>ch</strong>t und Leben« ist »eines und<br />

dasselbe, und das Li<strong>ch</strong>t ist … nur eine Ers<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit des Lebens.« (Fl. 11). Damit<br />

ist nun klar, wie es zu verstehen ist, dass das Li<strong>ch</strong>t als die Ers<strong>ch</strong>einungsform<br />

des Lebens den Prozess der Wiedergeburt einleitet und bewirkt.<br />

27<br />

Weitere Stellen zum Zusammenhang Gott und Li<strong>ch</strong>t: Jes 60,19f; Ps 4,7; Joh 12,46; Offb 22,5;<br />

Offb 21,23; 1.Tim 6,16; die Verwendung des Li<strong>ch</strong>tes im Johannesprolog.


20 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Die Werke des zweiten und fünften Tages betreffen den Verstandesberei<strong>ch</strong>. Damit<br />

meine i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t nur den Gehirnverstand, sondern überhaupt den ganzen Berei<strong>ch</strong><br />

des Verstehens. Na<strong>ch</strong>dem zuerst vom Li<strong>ch</strong>t die Rede war, ist nun von den im<br />

Mens<strong>ch</strong>en wahrnehmbaren Formen des Li<strong>ch</strong>tes die Rede, das heißt: den Informationen,<br />

den Erkenntnissen usw. Die Zuordnung des mittleren Abs<strong>ch</strong>nittes der<br />

beiden Triaden zum Verstandesberei<strong>ch</strong> ist aus Swedenborgs Auslegung ersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>.<br />

Demna<strong>ch</strong> sind »die Wasser unterhalb der Feste« (7) »die Wissensdinge (Informationen)<br />

des äußeren Mens<strong>ch</strong>en« (HG 24) und »die Wasser oberhalb der Feste«<br />

(7) »die Erkenntnisse des inneren Mens<strong>ch</strong>en« (HG 24); denn »Wasser« bezei<strong>ch</strong>net<br />

im inneren Sinn das Wahre (HG 2702). Ähnli<strong>ch</strong>es gilt für die Wasserund<br />

Lufttiere des fünften Tages, denn das Gewimmel des Wassers oder die Fis<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>wärme<br />

(20) bezei<strong>ch</strong>nen »die (zahlrei<strong>ch</strong>en) Wissensdinge des äußeren Mens<strong>ch</strong>en«<br />

(HG 40), und »Vögel« bezei<strong>ch</strong>nen »im allgemeinen das Vernünftige, und<br />

ferner das Verständige, das (im Unters<strong>ch</strong>ied zum Vernünftigen) dem inneren<br />

Mens<strong>ch</strong>en angehört« (HG 40). Dass die Tiere des fünften Tages die Formungen<br />

des Lebens im Verstand sind, hebt Swedenborg ausdrückli<strong>ch</strong> hervor: »Die Dinge<br />

des Verstandes wurden dur<strong>ch</strong> ›das Gewimmel, wel<strong>ch</strong>es die Wasser hervorwimmeln<br />

lassen‹ und dur<strong>ch</strong> ›den Vogel über der Erde und über den Angesi<strong>ch</strong>ten der<br />

Feste‹ bezei<strong>ch</strong>net« (HG 44).<br />

Die Werke des dritten und se<strong>ch</strong>sten Tages s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> betreffen, wie gesagt, die<br />

Erde, die für den äußeren Mens<strong>ch</strong>en (HG 27), seine Hervorbringungen oder Produktionen<br />

(HG 29) und den Willen (HG 44) steht. Zur Tierwelt des se<strong>ch</strong>sten Tages<br />

s<strong>ch</strong>reibt Swedenborg: »Die Dinge des Willens werden hier dur<strong>ch</strong> ›die lebende Seele,<br />

wel<strong>ch</strong>e die Erde hervorbringen soll‹, und dur<strong>ch</strong> ›Vieh und Krie<strong>ch</strong>tiere‹ und<br />

ferner dur<strong>ch</strong> ›das Wild der Erde‹ bezei<strong>ch</strong>net.« (HG 44).<br />

Wir sehen also, dass in jeder Triade der Impuls vom Li<strong>ch</strong>t ausgeht, vom Li<strong>ch</strong>t, das<br />

Gott selbst in seiner Ers<strong>ch</strong>einung oder Offenbarung ist. Dieser Li<strong>ch</strong>timpuls wird<br />

vom Verstand aufgenommen, um si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> den Willen zu verwirkli<strong>ch</strong>en.<br />

Dieser Dreis<strong>ch</strong>ritt ist typis<strong>ch</strong> für den geistigen Mens<strong>ch</strong>en, der im Unters<strong>ch</strong>ied<br />

zum himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en das Gute und Wahre nur aus dem Glauben an<br />

das Wahre verwirkli<strong>ch</strong>en kann (HG 81); daher vollzieht si<strong>ch</strong> der Wiedergeburtstyp<br />

des Se<strong>ch</strong>stagewerkes von außen na<strong>ch</strong> innen (HG 64), dass heißt: vom Verstand<br />

zum Willen. Der geistige Mens<strong>ch</strong> versu<strong>ch</strong>t, aus dem im Verstand wahrgenommenen<br />

Li<strong>ch</strong>timpuls tätig zu werden; das Bewusstsein des Wahren geht also voran.<br />

S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> ein Wort zum Unters<strong>ch</strong>ied der beiden Triaden. Wi<strong>ch</strong>tig ist die<br />

Beoba<strong>ch</strong>tung, dass nur in der zweiten vom Leben gespro<strong>ch</strong>en wird. Viermal begegnet<br />

die »lebende Seele« (näfäs<strong>ch</strong> <strong>ch</strong>ajja, in den Versen 20, 21, 24 und 30);<br />

dreimal das »Wild der Erde« (<strong>ch</strong>ajja, in den Versen 24, 25 und 30), wobei man<br />

folgendes wissen muss: »Das Wort ›Wild‹ bedeutet in der Originalspra<strong>ch</strong>e eigentli<strong>ch</strong><br />

›Leben‹ oder ›Lebendiges‹; aber im Wort ni<strong>ch</strong>t nur das Lebendige, sondern<br />

au<strong>ch</strong> das glei<strong>ch</strong>sam Ni<strong>ch</strong>tlebendige oder das Wild.« (HG 908). Das »Wild der Erde«<br />

ist also das »Leben« des äußeren Mens<strong>ch</strong>en. Einmal ist vom »Lebendigen« die Re-


Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 21<br />

de (<strong>ch</strong>ajja 28 , im Vers 28). Demgegenüber sind die Pflanzen der ersten Triade no<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t »lebende Seelen«. Das heißt, dass der Mens<strong>ch</strong> erst na<strong>ch</strong> dem vierten Tag<br />

wirkli<strong>ch</strong> lebendig wird. Somit ist das spirituelle Leben das besondere Thema der<br />

zweiten Triade.<br />

3.2.2. Der Wort- und der Tatberi<strong>ch</strong>t<br />

Eine zweite Struktur wird si<strong>ch</strong>tbar, wenn man si<strong>ch</strong> die einzelnen Werke ans<strong>ch</strong>aut.<br />

Dann sieht man, dass es zu jedem Werk einen Wort- und einen Tatberi<strong>ch</strong>t gibt.<br />

Der Wortberi<strong>ch</strong>t wird mit der Formel »Und Gott spra<strong>ch</strong>« eingeleitet; er zeigt uns<br />

das Wort als die s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong>e Kraft oder als die eigentli<strong>ch</strong>e geistige S<strong>ch</strong>öpfung.<br />

Die Ausführung des im Wort Geformten s<strong>ch</strong>ildert der Tatberi<strong>ch</strong>t, der meist mit der<br />

Formel »Und so ges<strong>ch</strong>ah es« eingeleitet wird, im übrigen aber lei<strong>ch</strong>t an der Wiederholung<br />

des im Wortberi<strong>ch</strong>t bereits Gesagten erkennbar ist.<br />

Die Doppelstruktur von Wort- und Tatberi<strong>ch</strong>t drückt den Zusammenhang von<br />

Wort und Verwirkli<strong>ch</strong>ung aus. Das Wort ist eine geistige Form der Liebe und<br />

Weisheit. Na<strong>ch</strong> Swedenborg ist das Wort »in seinem Wesen … das göttli<strong>ch</strong>e Gute<br />

der göttli<strong>ch</strong>en Liebe und das göttli<strong>ch</strong>e Wahre der göttli<strong>ch</strong>en Weisheit des Herrn«<br />

(EO 200). Ganz ähnli<strong>ch</strong> drückt si<strong>ch</strong> Heno<strong>ch</strong> in einer großartigen Rede über das<br />

Wesen des Wortes aus:<br />

LORBER: »Wie aber die Form aller Dinge in ihrer größten Vers<strong>ch</strong>iedenheit ist ein<br />

Ausdruck der natürli<strong>ch</strong>en Wärme in der Verbindung des Li<strong>ch</strong>tes … so ist au<strong>ch</strong> die<br />

Spra<strong>ch</strong>e des Mens<strong>ch</strong>en eine gebildete Form der geistigen Wärme, wel<strong>ch</strong>e die göttli<strong>ch</strong>e<br />

Liebe im Herzen ist, und des geistigen Li<strong>ch</strong>tes, wel<strong>ch</strong>es die göttli<strong>ch</strong>e Gnade im<br />

Mens<strong>ch</strong>en ist. Wie mö<strong>ch</strong>ten wir verständige Worte spre<strong>ch</strong>en, wenn sie ni<strong>ch</strong>t als<br />

ewige Formen des Geistes uns gegeben wären?! Da wir aber alle Dinge benennen<br />

können, sagt, wer lehrte uns das? Gott allein konnte das, da Er allein nur der ewige<br />

Inbegriff aller Formen ist, weil Er das Leben und Li<strong>ch</strong>t oder die Liebe und Weisheit<br />

Selbst und als die ewige, unzertrennli<strong>ch</strong>e Verbindung der beiden die Urform aller<br />

Formen oder das Urwesen aller Wesen oder demna<strong>ch</strong> das ewige Wort Selbst ist!<br />

Wenn demna<strong>ch</strong> jemand das Wort gefunden hat äußerli<strong>ch</strong> und hat es verstanden<br />

und angenommen, so hat er ja kein Ding, sondern ein geistiges Leben im Vollbestande<br />

gefunden, da jegli<strong>ch</strong>es Wort eine Form ist, entstehend aus geistiger Wärme<br />

und geistigem Li<strong>ch</strong>te.« (HGt I,64,12-15) 29 .<br />

Das Wort als geistige Form des Lebens wird von der Seele aufgenommen, denn sie<br />

ist na<strong>ch</strong> Swedenborg »ein Aufnahmeorgan des Lebens von Gott« (WCR 461) 30 .<br />

Oder, wie es in den Lorbers<strong>ch</strong>riften heißt: »Die Seele ist das Aufnahmeorgan für<br />

28<br />

Swedenborg übersetzt <strong>ch</strong>ajja hier ni<strong>ch</strong>t mit »fera« (Wild), sondern mit »vivum« (das Lebendige).<br />

29<br />

Der Geist »ist das Li<strong>ch</strong>t, wel<strong>ch</strong>es aus seiner eigenen Wärme si<strong>ch</strong> von Ewigkeiten zu Ewigkeiten<br />

erzeugt, und ist glei<strong>ch</strong> der Wärme die Liebe und glei<strong>ch</strong> dem Li<strong>ch</strong>te die Weisheit.« (EM 52).<br />

30<br />

»Die Seele ist ni<strong>ch</strong>t das Leben in si<strong>ch</strong>, sondern ein Aufnahmegefäß (recipiens) des Lebens von<br />

Gott.« (SK 8).


22 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

alle endlos vielen Ideen des Urgrundes, aus dem sie wie ein Hau<strong>ch</strong> hervorgegangen<br />

ist.« (EM 52,4). Fassen wir das bisher Gesagte zusammen: Das Wort ist Gott<br />

selbst und zuglei<strong>ch</strong> der von ihm ausgehende geistige Impuls, der von der Seele<br />

aufgenommen werden kann und si<strong>ch</strong> dort verwirkli<strong>ch</strong>en will. Allerdings, das zeigen<br />

die Abwei<strong>ch</strong>ungen zwis<strong>ch</strong>en dem Wort- und dem Tatberi<strong>ch</strong>t, kann si<strong>ch</strong> das<br />

Wort in der Seele ni<strong>ch</strong>t ganz rein auswirken, denn sie ist zwar das Aufnahmeorgan<br />

des göttli<strong>ch</strong>en Geistes, sie steuert aber bei der Ausformung des Geistimpulses<br />

ihr Spezifis<strong>ch</strong>es (oder Eigenes) bei. Auf einige Abwei<strong>ch</strong>ungen zwis<strong>ch</strong>en dem Wortund<br />

dem Tatberi<strong>ch</strong>t werde i<strong>ch</strong> bei der Auslegung der einzelnen S<strong>ch</strong>öpfungstage<br />

hinweisen.<br />

Die s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong>e Kraft des Wortes ist au<strong>ch</strong> in anderen Stellen der Heiligen<br />

S<strong>ch</strong>rift bezeugt. Im Psalter lesen wir: »Dur<strong>ch</strong> das Wort Jehovahs sind die Himmel<br />

gema<strong>ch</strong>t und all ihr Heer dur<strong>ch</strong> den Hau<strong>ch</strong> seines Mundes.« (Ps 33,6). »Hau<strong>ch</strong>« ist<br />

hier die Übersetzung für »rua<strong>ch</strong>«, das au<strong>ch</strong> in Genesis 1,2 vorkommt und dort<br />

meist mit »Geist« übersetzt wird. Im Psalm 148 heißt es: »Loben sollen sie [= die<br />

zuvor genannten S<strong>ch</strong>öpfungswerke] den Namen Jehovahs! Denn er gebot und da<br />

wurden sie ges<strong>ch</strong>affen.« (Ps 148,5). In der Weisheitsliteratur sagt die Weisheit von<br />

si<strong>ch</strong>: »Der Herr hat mi<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>affen im Anfang seiner Wege, vor seinen Werken<br />

in der Urzeit« (Spr 8,22). Und im Neuen Testament ist vor allem auf den Prolog<br />

des Johannesevangeliums hinzuweisen: »Im Anfang war das Wort … alles wurde<br />

dur<strong>ch</strong> das Wort, und ohne das Wort wurde au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t eines.« (Joh 1,1ff.). Dieses<br />

»Wort« ist na<strong>ch</strong> Swedenborg das göttli<strong>ch</strong>e Wahre (LH 1) und na<strong>ch</strong> Lorber »das<br />

Li<strong>ch</strong>t (der große heilige S<strong>ch</strong>öpfungsgedanke, die wesenhafte Idee)« (GEJ I,1,6).<br />

Nimmt man no<strong>ch</strong> den Hebräerbrief hinzu, dann erkennt man ferner, dass das<br />

Wort der unsi<strong>ch</strong>tbare Ursprung aller si<strong>ch</strong>tbaren Ers<strong>ch</strong>einungen ist, denn dort<br />

heißt es: »Aufgrund des Glaubens verstehen wir, dass die Welt dur<strong>ch</strong> Gottes Wort<br />

ers<strong>ch</strong>affen worden ist, so dass das Si<strong>ch</strong>tbare aus Unsi<strong>ch</strong>tbarem entstanden ist.«<br />

(Hebr 11,3). Tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ist der Geist das Li<strong>ch</strong>t, das zwar alle Dinge in der Seele<br />

erleu<strong>ch</strong>tet, selbst aber unsi<strong>ch</strong>tbar ist: »Der Geist ist … glei<strong>ch</strong> dem Li<strong>ch</strong>te, wel<strong>ch</strong>es<br />

in si<strong>ch</strong> selbst zwar ewig Li<strong>ch</strong>t bleibt, aber als Li<strong>ch</strong>t so lange ni<strong>ch</strong>t bemerkbar auftreten<br />

kann, solange es keine Gegenstände gibt, die es erleu<strong>ch</strong>tete« (EM 52).<br />

3.2.3. Zusammenfassung<br />

Der S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t weist zwei Strukturen auf, die man erkennen sollte, bevor<br />

man den Text im einzelnen auslegt. Da ist zunä<strong>ch</strong>st die doppelte Triadenstruktur,<br />

die si<strong>ch</strong>tbar wird, wenn man si<strong>ch</strong> die Verteilung der a<strong>ch</strong>t S<strong>ch</strong>öpfungswerke auf<br />

die se<strong>ch</strong>s S<strong>ch</strong>öpfungstage ans<strong>ch</strong>aut und zuglei<strong>ch</strong> den parallelen Aufbau der beiden<br />

Triaden sieht. In jeder Triade geht der Impuls vom Li<strong>ch</strong>t aus und entfaltet<br />

seine Wirkung zunä<strong>ch</strong>st im Verstand und dann im Willen. Die zweite Struktur ist<br />

die des Wort- und Tatberi<strong>ch</strong>tes. Sie drückt aus, wie der Geist- oder Wortimpuls<br />

von der Seele aufgenommen wird.


Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 23<br />

3.3. Die S<strong>ch</strong>öpfungstage<br />

3.3.1. Der erste Tag<br />

Vers 1 31 : Im Anfang s<strong>ch</strong>uf Gott 32 (Elohim) Himmel und Erde.<br />

Wenn man den S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t, wie es im folgenden ges<strong>ch</strong>ehen soll, auf die<br />

Wiedergeburt hin auslegt, dann ist der »Anfang« »die erste Zeit der Wiedergeburt«<br />

(HG 16). Jedo<strong>ch</strong> ist neben dem zeitli<strong>ch</strong>en au<strong>ch</strong> der prinzipielle Anfang gemeint,<br />

denn »Himmel und Erde« bilden die Grundlage der Wiedergeburt. Der »Himmel«<br />

bezei<strong>ch</strong>net den inneren und die »Erde« den äußeren Mens<strong>ch</strong>en (HG 16). Oder mit<br />

Lorber gespro<strong>ch</strong>en: »Der ›Himmel‹ ist das Geistige, und die ›Erde‹ das Naturmäßige<br />

im Mens<strong>ch</strong>en« (GEJ I,157,4). Au<strong>ch</strong> Swedenborg kann den Himmel das Geistige<br />

und die Erde das Natürli<strong>ch</strong>e nennen, denn das Geistige ist wie der Himmel oben<br />

und das Natürli<strong>ch</strong>e wie die Erde unten: »Das Geistige ist das Frühere, Innere, Obere<br />

und dem Göttli<strong>ch</strong>en Nähere; das Natürli<strong>ch</strong>e aber ist das Spätere, Äußere, Untere<br />

und vom Göttli<strong>ch</strong>en Entferntere. Darum wird das Geistige beim Mens<strong>ch</strong>en und<br />

in der Kir<strong>ch</strong>e mit dem Himmel vergli<strong>ch</strong>en und Himmel genannt; während das<br />

Natürli<strong>ch</strong>e mit der Erde vergli<strong>ch</strong>en und Erde genannt wird.« (HG 5013). Das Geistige<br />

ist das Wahre oder alles, was zum Berei<strong>ch</strong> des Verstehens gehört; im Unters<strong>ch</strong>ied<br />

zum Himmlis<strong>ch</strong>en als der Welt des Guten oder des Wollens (HG 61, 4570,<br />

GLW 280). Au<strong>ch</strong> in den Lorbers<strong>ch</strong>riften kann »das Geistige« in diesem Sinne verstanden<br />

werden, denn der »Himmel« von Genesis 1 kann als »die Intelligenzfähigkeit«<br />

(GEJ II,219,6) gedeutet werden und als »die si<strong>ch</strong> selbst erkennende Weisheit«<br />

Gottes (GEJ III,28,6). Zu »Himmel und Erde« als Begriffspaar ist zu sagen,<br />

dass es den Mens<strong>ch</strong>en als Ganzheit bezei<strong>ch</strong>net, denn na<strong>ch</strong> antiker Ans<strong>ch</strong>auung<br />

drückt erst die Doppelheit die Ganzheit aus. Die Wiedergeburt ges<strong>ch</strong>ieht also auf<br />

der Grundlage des Mens<strong>ch</strong>en der »Himmel und Erde« und somit in der S<strong>ch</strong>öpfung<br />

das »medium conjunctionis« (HH 112) ist, wo das Geistige mit dem Natürli<strong>ch</strong>en<br />

verbunden ist.<br />

31<br />

Lorber: »Im Anfang s<strong>ch</strong>uf Gott Himmel und Erde, und die Erde war wüste und leer und Finsternis<br />

auf der Tiefe; Gottes Geist aber s<strong>ch</strong>webte über den Wassern. Und Gott spra<strong>ch</strong>: ›Es<br />

werde Li<strong>ch</strong>t!‹, und es ward Li<strong>ch</strong>t. Gott sah, dass das Li<strong>ch</strong>t gut war; da s<strong>ch</strong>ied Er das Li<strong>ch</strong>t von<br />

der Finsternis. Er nannte das Li<strong>ch</strong>t Tag und die Finsternis Na<strong>ch</strong>t. Da ward aus Abend und<br />

Morgen der erste Tag.« (GEJ I,157,1f.). »Am Anfang s<strong>ch</strong>uf Gott Himmel und Erde, und die Erde<br />

war wüste und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes s<strong>ch</strong>webte auf dem<br />

Wasser. Da spra<strong>ch</strong> Gott: ›Es werde Li<strong>ch</strong>t!‹ Und es ward Li<strong>ch</strong>t. Und Gott sah, dass das Li<strong>ch</strong>t gut<br />

war. Da s<strong>ch</strong>ied Gott das Li<strong>ch</strong>t von der Finsternis und nannte das Li<strong>ch</strong>t Tag und die Finsternis<br />

Na<strong>ch</strong>t. Da ward denn aus Abend und Morgen der erste Tag.« (GEJ II,214,2). »Im Anfange s<strong>ch</strong>uf<br />

Gott Himmel und Erde« (GEJ II,219,5). Die Erde war »wüst und leer« (GEJ II,220,1). »Es war<br />

no<strong>ch</strong> finster auf der Tiefe« (GEJ II,219,10). Der »Geist Gottes« »s<strong>ch</strong>webte« »auf dem Wasser«<br />

(GEJ II,220,6). »Es werde Li<strong>ch</strong>t! und Es ward Li<strong>ch</strong>t!« (GEJ II,220,7). »Da s<strong>ch</strong>ied Gott das Li<strong>ch</strong>t<br />

von der Finsternis und hieß das Li<strong>ch</strong>t Tag und die Finsternis Na<strong>ch</strong>t.« (GEJ II,221,1). »Da ward<br />

aus Abend und Morgen der erste Tag.« (GEJ II,221,3). »Im Anfange s<strong>ch</strong>uf Gott den Himmel<br />

und die Erde, und die Erde war wüst und leer und finster in ihrer Tiefe.« (GEJ III,28,5). Siehe<br />

au<strong>ch</strong> GEJ III,235,2f.<br />

32<br />

Elohim (’älohim) ist im gesamten S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t die Bezei<strong>ch</strong>nung für »Gott«.


24 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

»Elohim« (Gott) ist das Wahre des göttli<strong>ch</strong>en Wesens; das Gute dieses Wesens<br />

heißt »Jehovah« (HG 2586), do<strong>ch</strong> dieser Name kommt in Genesis 1 no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t vor,<br />

weil das Se<strong>ch</strong>stagewerk die Wiedergeburt aus dem Li<strong>ch</strong>t des Wahren bes<strong>ch</strong>reibt.<br />

Swedenborgs Deutung des Elohimbegriffs ist au<strong>ch</strong> aus den hebräis<strong>ch</strong>en Bu<strong>ch</strong>staben<br />

ableitbar 33 , denn Aleph bezei<strong>ch</strong>net den Ursprung, Lamed das Li<strong>ch</strong>t und He<br />

den Lebenshau<strong>ch</strong> der Seele, »Elohim« bezei<strong>ch</strong>net daher das Li<strong>ch</strong>t des Ursprungs<br />

(= das göttli<strong>ch</strong>e Li<strong>ch</strong>t) in der Seele. Ferner ist »Elohim« eine Pluralform; sie bezei<strong>ch</strong>net<br />

also genau genommen »alle vom Herrn ausgehenden Wahrheiten« (HG<br />

4402). Diese Wahrheiten existieren als Engel (Botenwesen Gottes), denn Engel<br />

sind göttli<strong>ch</strong>e Wahrheiten in mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Gestalt. Das Se<strong>ch</strong>stagewerk wird also<br />

von Gott dur<strong>ch</strong> seine Engel bewirkt. Sie sind bei uns und passen die göttli<strong>ch</strong>e<br />

Li<strong>ch</strong>tfülle, die als sol<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>t zu ertragen wäre, unserem Verständnis an; gemäß<br />

diesem Verständnis des Wahren werden wir wiedergeboren. Weitere Aufs<strong>ch</strong>lüsse<br />

über »Elohim« findet man in HG 300, 4402 und 6003.<br />

Vers 2: Und die Erde war wüst und leer (tohu wabohu), und Finsternis (lag) auf den<br />

Angesi<strong>ch</strong>ten der Tiefe 34 (Tehom); Gottes Geist aber bewegte-si<strong>ch</strong> über den Angesi<strong>ch</strong>ten<br />

der Wasser.<br />

»Wüst und leer« bedeutet, dass »der Mens<strong>ch</strong> vor der Wiedergeburt … ni<strong>ch</strong>ts Gutes<br />

und Wahres« hat (HG 17). Im Hintergrund steht die Vorstellung, dass der natürli<strong>ch</strong>e<br />

Mens<strong>ch</strong> (= die Erde) »ein Aufnahmegefäß (receptaculum) des Wahren und<br />

Guten vom inneren« Mens<strong>ch</strong>en sein soll (HG 8351). Da au<strong>ch</strong> in den Lorberwerken<br />

der natürli<strong>ch</strong>e Mens<strong>ch</strong> als »Gefäß« (GEJ I,161,1) gesehen wird, ist die Auslegung<br />

der wüsten und leeren Erde derjenigen Swedenborgs ähnli<strong>ch</strong>: »Solange … im Gefäße<br />

ni<strong>ch</strong>ts ist, solange au<strong>ch</strong> ist das Gefäß wüst und leer.« (GEJ II,220,1). »Wüst«<br />

(tohu) bezieht si<strong>ch</strong> auf die Abwesenheit des Guten, »leer« (bohu) auf die des Wahren<br />

(HG 17). Beiden Worten gemeinsam ist die Vorstellung des Ni<strong>ch</strong>tvorhandenseins.<br />

Das ist au<strong>ch</strong> in der einzigen Stelle im Alten Testament so, die no<strong>ch</strong> einmal<br />

das Wortpaar »tohuwabohu« enthält, nämli<strong>ch</strong> Jeremia 4,22f.: »Denn dumm ist<br />

mein Volk, mi<strong>ch</strong> kennen sie ni<strong>ch</strong>t; töri<strong>ch</strong>te Söhne sind sie, ohne Verstand sind sie;<br />

ges<strong>ch</strong>ickt sind sie, Böses zu tun, aber Gutes zu tun, verstehen sie ni<strong>ch</strong>t. I<strong>ch</strong> sah<br />

die Erde, und siehe, wüst und leer (tohuwabohu) war sie; und zum Himmel, aber<br />

kein Li<strong>ch</strong>t war dort.« Die aus der Abwesenheit des Guten und Wahren resultierende<br />

Ni<strong>ch</strong>tigkeit des äußeren Mens<strong>ch</strong>en ers<strong>ch</strong>eint ihm selbst freili<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t so, denn<br />

33<br />

In der hebräis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>e, die der Urspra<strong>ch</strong>e no<strong>ch</strong> verhältnismäßig nahe steht (GT 5581),<br />

haben bereits die Bu<strong>ch</strong>staben eine Bedeutung: »Es wurde ein Blatt Papier herabgelassen, das<br />

mit den hebräis<strong>ch</strong>en Bu<strong>ch</strong>staben der ältesten Zeit bes<strong>ch</strong>rieben war, die von den heutigen<br />

Bu<strong>ch</strong>staben wenig, aber do<strong>ch</strong> etwas abwei<strong>ch</strong>en. Der Engel, der bei mir war, sagte, dass er alles<br />

dort Ges<strong>ch</strong>riebene allein s<strong>ch</strong>on aus den Bu<strong>ch</strong>staben verstehe und dass jeder Bu<strong>ch</strong>stabe eine<br />

Idee, ja eine Sinnfolge von Ideen enthalte. Er unterri<strong>ch</strong>tete mi<strong>ch</strong> sogar über die Bedeutung<br />

des Jod (j), des Aleph (’) und des He (h); über die Bedeutung der übrigen Bu<strong>ch</strong>staben durfte er<br />

jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts sagen.« (GT 4671). Vgl. au<strong>ch</strong> LS 90, HH 260. Die Bedeutung der Bu<strong>ch</strong>staben<br />

entnehme i<strong>ch</strong> M. Kahir (Pseudonym für Viktor Mohr), »Das verlorene Wort«, Bietigheim 1960.<br />

34<br />

»Tehom«, Swedenborg hat abyssus (Tiefe, Abgrund).


Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 25<br />

er ist angefüllt mit eigenen Interessen und Phantasien. Dieses »Tohuwabohu« des<br />

eigenen Interessen<strong>ch</strong>aos kann nur dur<strong>ch</strong> die ordnende und strukturierende Kraft<br />

des göttli<strong>ch</strong>en Li<strong>ch</strong>tes überwunden werden.<br />

Die »Finsternis« ist »der Stumpfsinn und die Unwissenheit in allen Dingen des<br />

Glaubens an den Herrn und somit des geistigen und himmlis<strong>ch</strong>en Lebens« (HG<br />

17). »Die Angesi<strong>ch</strong>te (Ers<strong>ch</strong>einungsformen) der Tiefe« sind die »Begierden und die<br />

daherstammenden Fals<strong>ch</strong>heiten« (HG 18). Das hebräis<strong>ch</strong>e Wort, das hier mit »Tiefe«<br />

übersetzt ist, lautet »tehom« und kann au<strong>ch</strong> »Abgrund«, »Urmeer« und »Chaos«<br />

bedeuten. Es kann au<strong>ch</strong> im positiven Sinn verwendet werden (Gen 49,25; Dtn 8,7;<br />

Ps 78,15; Ez 31,4), weswegen mir »Tiefe« als geeignete Übersetzung ers<strong>ch</strong>ien,<br />

weil dieses Wort sowohl die Ausdehnung na<strong>ch</strong> unten (tiefes Lo<strong>ch</strong>) als au<strong>ch</strong> die<br />

Ausdehnung na<strong>ch</strong> innen (tiefe Gefühle) bedeuten kann. In Genesis 1,2 bezei<strong>ch</strong>net<br />

es den äußeren Weltmens<strong>ch</strong>en, »der, weil er kein Li<strong>ch</strong>t hat, wie eine Tiefe (abyssus)<br />

oder etwas verworren Dunkles ist« (HG 18). Swedenborg deutet also die »Tehom«<br />

des S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>tes als die dunkle, undur<strong>ch</strong>dringli<strong>ch</strong>e Tiefe der Leidens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>keit<br />

oder Emotionalität des unwiedergeborenen Mens<strong>ch</strong>en, die ebenso<br />

wildbewegt ist wie das »Urmeer«. Au<strong>ch</strong> die Lorbers<strong>ch</strong>riften erblicken in der<br />

»Tehom« unsere materielle »Welttiefe« (GEJ I,157,5). Auf ihren Ers<strong>ch</strong>einungsformen<br />

lastet die Finsternis des Stumpfsinns und der geistigen Ignoranz.<br />

Der »Geist Gottes« ist »die Barmherzigkeit des Herrn« (HG 19), das heißt seine<br />

si<strong>ch</strong> dem Elenden zuwendende Liebe: »Die göttli<strong>ch</strong>e Liebe heißt Barmherzigkeit<br />

im Hinblick auf das mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t, das si<strong>ch</strong> in so großem Elend befindet.«<br />

(HG 5816) 35 . Dazu muss man wissen, dass das lateinis<strong>ch</strong>e Wort für Barmherzigkeit,<br />

misericordia, aus miser (= elend) und cor (= Herz) besteht. Diese Liebe ist<br />

Gottes Geist, der die tote, im Elend gefangene S<strong>ch</strong>öpfung beleben kann und will.<br />

Daher kann das hebräis<strong>ch</strong>e Wort für »Geist« (»Rua<strong>ch</strong>«) au<strong>ch</strong> den Lebensodem in<br />

allem Fleis<strong>ch</strong> bedeuten (Num 16,22; 27,16). Dieser Lebensgeist Gottes bewegt<br />

si<strong>ch</strong> über den Wassern. »Die Angesi<strong>ch</strong>te der Wasser« sind »die Überreste«, das<br />

heißt die »Erkenntnisse des Guten und Wahren, die erst dann ans Li<strong>ch</strong>t oder an<br />

den Tag kommen, wenn das Äußere entleert (abgeödet) ist« (HG 19). Interessant<br />

ist, dass au<strong>ch</strong> die Lorbers<strong>ch</strong>riften unter den Wassern »Erkenntnisse« verstehen,<br />

aber s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>te: »Die ›Wasser‹ sind eure s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ten Erkenntnisse in allen Dingen,<br />

über denen wohl au<strong>ch</strong> der Gottesgeist s<strong>ch</strong>webt, aber no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in ihnen ist.« (GEJ<br />

I,157,4). Auf einer anderen Deutungsebene, auf die i<strong>ch</strong> weiter unten zu spre<strong>ch</strong>en<br />

komme, versinnbildli<strong>ch</strong>en die Wasser »die no<strong>ch</strong> form- und wesenlose unendli<strong>ch</strong>e<br />

Masse der Gedanken und Ideen Gottes« (GEJ II,220,6), also keine »s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ten Erkenntnisse«.<br />

Sol<strong>ch</strong>e Beoba<strong>ch</strong>tungen lassen uns die Viels<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tigkeit des inneren<br />

Sinnes erahnen, der ni<strong>ch</strong>t so eindimensional ist, wie es der äußere Weltverstand<br />

gerne hätte. Do<strong>ch</strong> dazu später. Vorläufig können wir festhalten, dass der Gottesgeist<br />

über den Wassern die Anwesenheit der belebenden Liebe andeutet, die frei-<br />

35<br />

Vgl. au<strong>ch</strong> HG 3063.


26 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

li<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in unsere entweder unbewussten oder trüben Wasser eingedrungen<br />

ist.<br />

Die Verse 3 bis 5: 3. Und Gott spra<strong>ch</strong>: »Es werde Li<strong>ch</strong>t!«. Und es ward Li<strong>ch</strong>t. 4. Und<br />

Gott sah, dass das Li<strong>ch</strong>t gut war; da s<strong>ch</strong>ied Gott das Li<strong>ch</strong>t von der Finsternis 5. und<br />

36 nannte das Li<strong>ch</strong>t »Tag«, während er die Finsternis »Na<strong>ch</strong>t« nannte.<br />

Das »Li<strong>ch</strong>t« ist das erste Bewusstsein des Guten und Wahren; es dämmert dem<br />

natürli<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en, dass es etwas Höheres gibt: »Der erste S<strong>ch</strong>ritt der Wiedergeburt<br />

besteht darin, dass der Mens<strong>ch</strong> das Gute und Wahre als etwas Höheres zu<br />

erkennen beginnt.« (HG 20). Die Deutungen bei Swedenborg und Lorber sind so<br />

einleu<strong>ch</strong>tend und ähnli<strong>ch</strong>, dass i<strong>ch</strong> sie ohne weitere Erläuterungen anfügen kann:<br />

SWEDENBORG: »Das ›Li<strong>ch</strong>t‹ heißt gut, weil es vom Herrn kommt, der das Gute selbst<br />

ist. ›Finsternis‹ ist all das, was dem Mens<strong>ch</strong>en, ehe er von neuem empfangen und<br />

geboren wird, wie Li<strong>ch</strong>t ers<strong>ch</strong>ien, weil ihm sein Böses wie Gutes, und sein Fals<strong>ch</strong>es<br />

wie Wahres vorkam; denno<strong>ch</strong> ist es Finsternis und das beim Mens<strong>ch</strong>en verbleibende<br />

Eigene. Alles, was des Herrn ist, wird dem ›Tag‹ vergli<strong>ch</strong>en, weil es dem<br />

Li<strong>ch</strong>t angehört; aber alles Eigene des Mens<strong>ch</strong>en der ›Na<strong>ch</strong>t‹, weil es der Finsternis<br />

angehört.« (HG 21).<br />

LORBER: »Da aber der Geist Gottes allzeit sieht, dass es in eurer materiellen Welttiefe<br />

ganz entsetzli<strong>ch</strong> finster ist, so spri<strong>ch</strong>t Er zu eu<strong>ch</strong> …: ›Es werde Li<strong>ch</strong>t!‹ Da fängt es<br />

in eurer Natur zu dämmern an, und Gott sieht es wohl, wie gut für eure Finsternis<br />

das Li<strong>ch</strong>t ist; aber nur ihr selbst könnt und wollt es ni<strong>ch</strong>t einsehen. Deshalb aber<br />

ges<strong>ch</strong>ieht denn au<strong>ch</strong> eine Teilung in eu<strong>ch</strong>, nämli<strong>ch</strong> Tag und Na<strong>ch</strong>t werden ges<strong>ch</strong>ieden,<br />

und ihr erkennt dann aus dem Tage in eu<strong>ch</strong> die frühere Na<strong>ch</strong>t eures<br />

Herzens.« (GEJ I,157,5f.).<br />

Jeder Tag endet mit der Formel: »Und es war Abend, und es war Morgen, der erste,<br />

zweite usw. Tag.« Wenn die natürli<strong>ch</strong>en Tage der Erde gemeint wären, dann<br />

wäre es ri<strong>ch</strong>tiger zu sagen: Und es war Morgen, und es war Abend, der erste Tag.<br />

Die Tage des S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>tes entstehen jedo<strong>ch</strong> umgekehrt aus Abend und<br />

Morgen (vgl. GEJ I,157,8ff.). Für den ersten Tag ist das lei<strong>ch</strong>t einsehbar, denn zuerst<br />

war ja die Finsternis, die auf der Tiefe lag, und dana<strong>ch</strong> erst ließ Gott das Li<strong>ch</strong>t<br />

werden. Die Reihenfolge entspri<strong>ch</strong>t also den Angaben des S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>tes. 37<br />

Daher lesen wir bei Lorber: »Bei dem Mens<strong>ch</strong>en ist sein erstes Natursein tiefer<br />

Abend, also Na<strong>ch</strong>t. Da aber Gott ihm gibt ein Li<strong>ch</strong>t, so ist sol<strong>ch</strong> ein Li<strong>ch</strong>t dem<br />

Mens<strong>ch</strong>en ein re<strong>ch</strong>tes Morgenrot, und es wird also aus des Mens<strong>ch</strong>en Abend und<br />

Morgenrot wahrli<strong>ch</strong> sein erster Lebenstag.« (GEJ I,157,7). Au<strong>ch</strong> beim vierten Tag<br />

kann man si<strong>ch</strong> die dem natürli<strong>ch</strong>en Ablauf widerspre<strong>ch</strong>ende Reihenfolge no<strong>ch</strong><br />

lei<strong>ch</strong>t erklären, wenn man sie als Zusammenfassung dessen betra<strong>ch</strong>tet, was am<br />

36<br />

Hier habe i<strong>ch</strong> aus stilistis<strong>ch</strong>en Gründen »Gott« ausgelassen.<br />

37<br />

Darauf weist Swedenborg hin: »Diese ganze Zeit der S<strong>ch</strong>öpfung von der di<strong>ch</strong>ten Finsternis des<br />

Universums bis zum Anbru<strong>ch</strong> des Li<strong>ch</strong>tes heißt ›Tag‹, weswegen aus Abend und Morgen der<br />

erste Tag gema<strong>ch</strong>t wurde.« (»Explicatio in Verbum Historicum Veteris Testamenti«, 3). Ebenso<br />

in Explicatio 6.


Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 27<br />

vierten Tag ges<strong>ch</strong>ieht: Die Li<strong>ch</strong>ter an der Himmelsfeste sollen den Tag von der<br />

Na<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>eiden und der Erde Li<strong>ch</strong>t geben; also war es vorher offenbar finster. Bei<br />

den übrigen Tagen ist der vorangehende dunkle Zustand ni<strong>ch</strong>t so offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>;<br />

jedo<strong>ch</strong> ist die Formel »Und Gott spra<strong>ch</strong>« als ein Wort- oder Li<strong>ch</strong>timpuls zu verstehen,<br />

der die jeweils vorhergehenden Zustände als eine relative Finsternis entlarvt.<br />

Im Lorberwerk gibt es, abgesehen von der ausführli<strong>ch</strong>en Deutung in GEJ I,157ff.,<br />

no<strong>ch</strong> drei weitere, die si<strong>ch</strong> allerdings auf den ersten Tag bes<strong>ch</strong>ränken und si<strong>ch</strong><br />

außerdem ni<strong>ch</strong>t auf die Wiedergeburt des Mens<strong>ch</strong>en beziehen. Deswegen mö<strong>ch</strong>te<br />

i<strong>ch</strong> diese Interpretationen im folgenden separat vorstellen. Dass es mehrere Gegenstandsberei<strong>ch</strong>e<br />

der Auslegung gibt, ist s<strong>ch</strong>on gesagt worden, denn Genesis 1<br />

handelt au<strong>ch</strong> »von der Gründung (de instauratione) der ältesten Kir<strong>ch</strong>e« (OE 513)<br />

und ferner, wie jeder Text der Heiligen S<strong>ch</strong>rift, im innersten Sinn vom Herrn allein.<br />

Deswegen darf man die Auslegung Swedenborgs in den »himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnissen«<br />

ni<strong>ch</strong>t als die einzig mögli<strong>ch</strong>e ansehen; Swedenborg wollte in seinem<br />

exegetis<strong>ch</strong>en Hauptwerk, obwohl es sehr umfangrei<strong>ch</strong> ist, nur »vom Allgemeinsten<br />

eine allgemeine Vorstellung geben« (HG 771). Daher sind die folgenden Auslegungss<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten<br />

au<strong>ch</strong> aus swedenborgs<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t ausges<strong>ch</strong>lossen, wennglei<strong>ch</strong><br />

sie natürli<strong>ch</strong> im Rahmen der Offenbarung dur<strong>ch</strong> Lorber besser zu verstehen<br />

sind. Der innere Sinn ist eben viels<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tig.<br />

Im dritten Band »des großen Evangeliums« deutet Mathael eine entwicklungspsy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e<br />

Interpretation an: »Unter ›Himmel und Erde‹ ist zu verstehen der<br />

neue Erdmens<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong> von Geburt an. Der ›Himmel‹ bezei<strong>ch</strong>net seine innersten,<br />

verborgenen, geistigen Fähigkeiten, und die leere und wüste ›Erde‹ bezei<strong>ch</strong>net<br />

den neu erstandenen Naturmens<strong>ch</strong>en, der seines Seins kaum bewusst ist; - erstes<br />

Stadium des Mens<strong>ch</strong>en. Mit der Zeit gelangt das Kind zum Selbstbewusstsein und<br />

fängt an zu träumen und zu denken. Das ist das ›Es werde Li<strong>ch</strong>t!‹ im Mens<strong>ch</strong>en,<br />

dass er wisse, dass er ist; - zweites Stadium. Und so geht das dur<strong>ch</strong> alle anderen<br />

S<strong>ch</strong>öpfungstage bis zum Ruhestadium der Vollendung des Mens<strong>ch</strong>en!« (GEJ<br />

III,235,2ff.).<br />

Ebenfalls im dritten Band »des großen Evangeliums« bezieht Mathael die Aussagen<br />

des ersten Tages auf Gott selbst. Grundlegend dabei ist sein Verständnis von<br />

»Gott« und »Geist Gottes«. »Gott« ist, so Mathael im Ans<strong>ch</strong>luss an ein zuvor gebrau<strong>ch</strong>tes<br />

Bild, »das lebendige Wasser« (GEJ III,28,1), denn s<strong>ch</strong>on im kalten und<br />

ruhigen Wasser ist der Lebensgeist vorhanden, aber frei wird er erst als Wasserdampf<br />

dur<strong>ch</strong> das Erhitzen. So au<strong>ch</strong> ist Gott zwar »das lebendige Wasser; aber das<br />

Wasser in si<strong>ch</strong> erkennt sein eigenes Leben ni<strong>ch</strong>t. Wenn es aber aus si<strong>ch</strong> heraus<br />

dur<strong>ch</strong> die mä<strong>ch</strong>tige Liebeglut … zum Sieden gebra<strong>ch</strong>t wird, da erhebt si<strong>ch</strong> der<br />

Lebensgeist in seiner Freiheit über das ihn eher gefangenhaltende Wasser, und du<br />

siehst hier den Geist Gottes s<strong>ch</strong>weben über den Wassern« (GEJ III,28,1). Der<br />

»Geist Gottes« verhält si<strong>ch</strong> also zu »Gott« wie der Wasserdampf zum Wasser: Sie<br />

sind desselben Wesens; nur ist der »Geist« die freie und wirkende Ers<strong>ch</strong>einungsform<br />

Gottes. Zu dieser Deutung kann Mathael kommen, weil das hebräis<strong>ch</strong>e Wort


28 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

für »Geist« (»Rua<strong>ch</strong>«) eigentli<strong>ch</strong> die bewegte Luft oder den Wind meint; wieso also<br />

ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> den Dampf!? Das Wasser ist die no<strong>ch</strong> in si<strong>ch</strong> ruhende, unausgespro<strong>ch</strong>ene<br />

Gottheit (das Meer der unbewegten Gottheit); der »Geist« hingegen ist<br />

der freiwirkende, si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> und dur<strong>ch</strong> erkennende Lebensgeist, der vorher im<br />

Wasser verborgen war. Diese Unters<strong>ch</strong>eidung von »Gott« und »Geist Gottes« fasst<br />

Mathael abs<strong>ch</strong>ließend dahingehend zusammen, dass »die hö<strong>ch</strong>ste Lebenspotenz in<br />

Gott ein doppeltes Sein« hat, »erstens ein stummes bloß nur seines Seins bewusstes«,<br />

dem kalten, ruhigen Wasser verglei<strong>ch</strong>bar, und zweitens »ein als von einem<br />

innern Tätigkeitsbeginn entflammtes, frei si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> und dur<strong>ch</strong> erkennendes und<br />

kleinst dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>auendes Dasein« (GEJ III,28,4), das dem Wasserdampf verglei<strong>ch</strong>bar<br />

ist. Was hier »Sein« und »Dasein« heißt, nennt Swedenborg in »der wahren<br />

<strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>en Religion« »Esse« (Sein) und »Essentia« (Wesen).<br />

Na<strong>ch</strong> dieser Unters<strong>ch</strong>eidung trägt Mathael dem erstaunten Cyrenius die folgende<br />

Interpretation der ersten Worte des S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>tes vor: Mit den Worten »Im<br />

Anfang s<strong>ch</strong>uf Gott den Himmel und die Erde, und die Erde war wüst und leer und<br />

finster in ihrer Tiefe« (GEJ III,28,5) »ist nur dunkel angedeutet, wie die ewige Lebenskraft<br />

Gottes in ihrem Sein unters<strong>ch</strong>eidli<strong>ch</strong> hat zu erfors<strong>ch</strong>en und zu erkennen<br />

angefangen! Und da stellt der ›Himmel‹ die si<strong>ch</strong> selbst erkennende Weisheit seines<br />

I<strong>ch</strong>s dar; in dem liebeglühenden S<strong>ch</strong>werpunkt seines Zentrums aber, im liebeheißen<br />

Zentrum, das unter dem Ausdrucke ›Erde‹ gemeint ist, war es no<strong>ch</strong> finster<br />

und wüste und leer, also ohne eine tiefere Erkenntnis des eigenen Selbst.<br />

Aber das Zentrum ward heißer und heißer, je mehr des äußern Selbstbewusstseins<br />

Massen auf dasselbe zu drücken begannen. Das Zentrum geriet in die hö<strong>ch</strong>ste<br />

Glut, und aus dem siedenden Lebenswasser entstieg der Dampf (Geist),<br />

s<strong>ch</strong>webte nun frei auf und über den Wassern des stummen und ruhigen ewigen<br />

Vorseins und erkannte si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> und dur<strong>ch</strong>; und dieses Erkennen eben ist dann<br />

das Li<strong>ch</strong>t, das Moses Gott zur Vertilgung der Finsternis glei<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> der Ers<strong>ch</strong>affung<br />

des Himmels und der Erde werden lässt. Von da an erst wird Gott als ein nie<br />

ausgespro<strong>ch</strong>enes Wort Selbst zum ›Worte‹, und dieses Wort ›Es werde!‹ ist ein in<br />

si<strong>ch</strong> selbst dur<strong>ch</strong> und dur<strong>ch</strong> erkennender freier Wille, ein Sein im Sein, ein Wort<br />

im Worte, ein Alles nun in Allem! Von da an erst beginnt aus dem freisten Willen<br />

die si<strong>ch</strong> nun dur<strong>ch</strong> und dur<strong>ch</strong> erkannte Urlebensquelle alles andern Lebens hervorzugehen.«<br />

(GEJ III,28,6-9). Diese Interpretation hat in der »Haushaltung« eine<br />

Parallele, die i<strong>ch</strong> zunä<strong>ch</strong>st kommentarlos anfügen mö<strong>ch</strong>te, bevor i<strong>ch</strong> beide Texte<br />

verglei<strong>ch</strong>en werde: »Die Gottheit war von Ewigkeit her die alle Unendli<strong>ch</strong>keit der<br />

Unendli<strong>ch</strong>keit dur<strong>ch</strong>dringende Kraft und war und ist und wird sein ewig die Unendli<strong>ch</strong>keit<br />

Selbst. In der Mitte Ihrer Tiefe war I<strong>ch</strong> von Ewigkeit die Liebe und das<br />

Leben Selbst in Ihr; aber siehe, I<strong>ch</strong> war blind wie ein Embryo im Mutterleibe! Die<br />

Gottheit aber gefiel Si<strong>ch</strong> in der Liebe und drängte Si<strong>ch</strong> ganz zu Ihrer Liebe. Und<br />

der Liebe ward es immer heißer und heißer in Ihrer Mitte, und es drängten si<strong>ch</strong><br />

Massen und Massen der Gottheit dahin, und alle Mä<strong>ch</strong>te und Kräfte stürmten auf<br />

Dieselbe los. Und siehe, da entstand ein großes Raus<strong>ch</strong>en, Brausen und Toben,<br />

und siehe, die Liebe ward geängstigt und gedrückt von allen Seiten, so dass die


Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 29<br />

Liebe bis ins Innerste erbebte! Und die Liebe gewahrte es, und das Raus<strong>ch</strong>en ward<br />

zum Tone, der Ton aber ward in der Liebe zum Worte, und das Wort spra<strong>ch</strong>: »Es<br />

werde Li<strong>ch</strong>t!« Und da loderte im Herzen die Flamme der entzündeten Liebe auf,<br />

und es ward Li<strong>ch</strong>t in allen Räumen der Unendli<strong>ch</strong>keit!« (HGt I,5,2f.). Soweit diese<br />

beiden Texte, die uns Einblicke in innergöttli<strong>ch</strong>e Prozesse der Selbstfindung erlauben.<br />

Das erste Wort des S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>tes, »im Anfang«, lenkt unseren Blick in den<br />

wahren Anfang, der Gott selbst ist. Der »Himmel« ist »die si<strong>ch</strong> selbst erkennende<br />

Weisheit« (GEJ III,28,6) oder die »Gottheit« als »die alle Unendli<strong>ch</strong>keit der Unendli<strong>ch</strong>keit<br />

dur<strong>ch</strong>dringende Kraft« (HGt I,5,2). Dass Weisheit und Kraft zusammengehören<br />

und beinahe dasselbe meinen, kann man bei Swedenborg lernen, denn<br />

darauf weist er immer wieder hin: »Dem göttli<strong>ch</strong>en Wahren ist alle Ma<strong>ch</strong>t eigen.«<br />

(NJ 25). »Im Himmel ist alle Ma<strong>ch</strong>t dem göttli<strong>ch</strong>en Wahren eigen« (HH 137). »Das<br />

göttli<strong>ch</strong>e Wahre hat alle Ma<strong>ch</strong>t so sehr in si<strong>ch</strong>, dass es die Ma<strong>ch</strong>t selbst ist.« (HG<br />

8200). Daher also kann der »Himmel« »die si<strong>ch</strong> selbst erkennende Weisheit« und<br />

zuglei<strong>ch</strong> die mit diesem »Selbstbewusstsein« (GEJ III,28,7) untrennbar verbundene<br />

»Kraft« der Gottheit bezei<strong>ch</strong>nen (siehe au<strong>ch</strong> GEJ III,28,3). Die »Erde« ist, wie<br />

Mathael sagt, das liebeglühende oder liebeheiße Zentrum (GEJ III,28,6). Parallel<br />

dazu heißt es in der »Haushaltung«: »In der Mitte Ihrer [= der Gottheit] Tiefe [»Tehom«]<br />

war I<strong>ch</strong> von Ewigkeit die Liebe« (HGt I,5,2). Dass die »Mitte« hier glei<strong>ch</strong>bedeutend<br />

mit dem »Zentrum« ist, von dem Mathael spri<strong>ch</strong>t, ist offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>;<br />

glei<strong>ch</strong>zeitig wird aber au<strong>ch</strong> der Bezug zur S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te hergestellt, denn<br />

die »Tiefe« ist die mosais<strong>ch</strong>e »Tehom«. Von der »Erde« heißt es, dass sie »wüst und<br />

leer und finster in ihrer Tiefe« war (GEJ III,28,5); das bedeutet na<strong>ch</strong> Mathael, dass<br />

die Liebe als das Zentrum der Gottheit, »ohne eine tiefere Erkenntnis des eigenen<br />

Selbst« war (GEJ III,28,6). Parallel dazu sagt die Liebe in der »Haushaltung« von<br />

si<strong>ch</strong>: »I<strong>ch</strong> war blind wie ein Embryo im Mutterleibe« (HGt I,5,2). »Himmel und<br />

Erde« bezei<strong>ch</strong>nen also die Dualität in Gott, die, was im folgenden gezeigt werden<br />

soll, zur Geburt des Geistes drängt.<br />

Im S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t ist na<strong>ch</strong> »Himmel« (Gottheit) und »Erde« (Liebe) und der<br />

Bes<strong>ch</strong>reibung der »Erde« als »wüst und leer und finster in ihrer Tiefe« (GEJ<br />

III,28,5) vom Gottesgeist die Rede. Sowohl aus Mathaels Deutung als au<strong>ch</strong> aus<br />

dem Beri<strong>ch</strong>t der »Haushaltung« ist ersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>, dass der Geist aus einem Vorgang<br />

zwis<strong>ch</strong>en der Gottheit und ihrer Liebe entstand. Mathael sagt: »… das Zentrum<br />

ward heißer und heißer, je mehr des äußern Selbstbewusstseins Massen auf dasselbe<br />

zu drücken begannen. Das Zentrum geriet in die hö<strong>ch</strong>ste Glut, und aus dem<br />

siedenden Lebenswasser entstieg der Dampf (Geist)« (GEJ III,28,7). Aufgrund des<br />

Druckes also, den das äußere Selbstbewusstsein (Gottheit) auf das Zentrum ausübte,<br />

erglühte es in der Liebe und befreite den Geist zur Wirksamkeit. Ähnli<strong>ch</strong><br />

wird der Vorgang in der »Haushaltung« bes<strong>ch</strong>rieben: »Die Gottheit aber gefiel Si<strong>ch</strong><br />

in der Liebe und drängte Si<strong>ch</strong> ganz zu Ihrer Liebe. Und der Liebe ward es immer<br />

heißer und heißer in Ihrer Mitte, und es drängten si<strong>ch</strong> Massen und Massen der


30 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Gottheit dahin, und alle Mä<strong>ch</strong>te und Kräfte stürmten auf Dieselbe los. Und siehe,<br />

da entstand ein großes Raus<strong>ch</strong>en, Brausen und Toben [›Rua<strong>ch</strong>‹], und siehe, die<br />

Liebe ward geängstigt und gedrückt von allen Seiten, so dass die Liebe bis ins<br />

Innerste erbebte!« (HGt I,5,2f.). In beiden Texten ist vom Drücken bzw. Drängen<br />

die Rede; in beiden vom »heißer und heißer« Werden des Zentrums bzw. der Liebe<br />

und in beiden au<strong>ch</strong> von den »Massen« des äußeren Selbstbewusstseins der Gottheit.<br />

Außerdem ist der Bezug zum biblis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t erkennbar, denn<br />

das »Raus<strong>ch</strong>en, Brausen und Toben« ist die »Rua<strong>ch</strong>«, die somit au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> den Beri<strong>ch</strong>t<br />

der »Haushaltung« aus dem Drängen der Gottheit zur Liebe entsteht.<br />

Die ewige Geburt des göttli<strong>ch</strong>en Geistes - ewig deswegen, weil sie ni<strong>ch</strong>t in der Zeit<br />

ges<strong>ch</strong>ieht - bringt das Li<strong>ch</strong>t hervor, weswegen die ersten Worte Gottes »Es werde<br />

Li<strong>ch</strong>t!« sind. In dem kleinen, aber inhaltsrei<strong>ch</strong>en Lorberwerk »die Fliege« wird das<br />

Wesen des Li<strong>ch</strong>tes erklärt (Kapitel 9). Obwohl dort nur vom Li<strong>ch</strong>t, »wie es in der<br />

Zeit und im Raume zur Ers<strong>ch</strong>einung kommt«, die Rede ist, sind do<strong>ch</strong> gewisse Gemeinsamkeiten<br />

mit den Urvorgängen in Gott unverkennbar. Denn erstens ist au<strong>ch</strong><br />

das natürli<strong>ch</strong>e Li<strong>ch</strong>t die Folge eines Druckes: »Erleidet aber diese [materielle Hülle]<br />

von außen her was immer für einen Druck, so wird der Geist alsbald aus seiner<br />

angewohnten Beengungssphäre geweckt und gibt sein Dasein dur<strong>ch</strong> seine ausdehnende<br />

Bewegung zu erkennen, wel<strong>ch</strong>es Erkennen si<strong>ch</strong> dann allzeit dur<strong>ch</strong> das<br />

eu<strong>ch</strong> bekannte Phänomen des Leu<strong>ch</strong>tens kundgibt.« Wir erinnern uns an die entspre<strong>ch</strong>enden<br />

Aussagen Mathaels und in der »Haushaltung«: »… das Zentrum ward<br />

heißer und heißer, je mehr des äußern Selbstbewusstseins Massen auf dasselbe<br />

zu drücken begannen.« (GEJ III,28,7). »… und siehe, die Liebe ward geängstigt 38<br />

und gedrückt von allen Seiten, so dass die Liebe bis ins Innerste erbebte!« (HGt<br />

I,5,3). Zweitens entstammt au<strong>ch</strong> das natürli<strong>ch</strong>e Li<strong>ch</strong>t »dem Beben« entweder der<br />

Liebe oder des Zornes, weswegen der Druck, den die Kraftfülle der Gottheit auf<br />

die Liebe ausübte, bewirkte, »dass die Liebe bis ins Innerste erbebte« (HGt I,5,3).<br />

Das Li<strong>ch</strong>t des ersten Tages <strong>ch</strong>arakterisiert Mathael mit den Worten: Der Geist<br />

»erkannte si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> und dur<strong>ch</strong>« (GEJ III,28,7). Das erste Li<strong>ch</strong>t ist also ein Li<strong>ch</strong>t<br />

der Selbsterkenntnis. Das ist au<strong>ch</strong> den folgenden Worten Mathaels zu entnehmen:<br />

»Und der Geist erkennt si<strong>ch</strong> und das Wasser und erkennt, dass er mit dem Wasser<br />

von Ewigkeit her ein und derselbe ist« (GEJ III,28,1). Demna<strong>ch</strong> ist das erste Li<strong>ch</strong>t<br />

dreifa<strong>ch</strong>: Erstens ist es das Li<strong>ch</strong>t der Selbsterkenntnis, denn der Geist »erkennt<br />

si<strong>ch</strong>«; zweitens ist es das Li<strong>ch</strong>t der Erkenntnis des urgöttli<strong>ch</strong>en Grundes, denn der<br />

Geist, der ja na<strong>ch</strong> Mathael dem Wasserdampf verglei<strong>ch</strong>bar ist, erkennt »das Wasser«;<br />

und drittens ist es das Li<strong>ch</strong>t der Erkenntnis der Einheit, denn der Geist erkennt,<br />

»dass er mit dem Wasser von Ewigkeit her ein und derselbe ist«. So also ist<br />

es zu verstehen, dass der Geist si<strong>ch</strong> »dur<strong>ch</strong> und dur<strong>ch</strong>« erkennt. Diese all- und<br />

we<strong>ch</strong>selseitige Erkenntnis enthüllt uns der Herr au<strong>ch</strong> in der »Haushaltung«, wenn<br />

38<br />

Angst und Enge hängen spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> zusammen; daher ist im Text aus der Fliege von der »Beengungssphäre«<br />

die Rede.


Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 31<br />

er sagt: »Und siehe, da entstand ein großes Raus<strong>ch</strong>en, Brausen und Toben [Geist],<br />

und siehe, die Liebe ward geängstigt und gedrückt von allen Seiten, so dass die<br />

Liebe bis ins Innerste erbebte! Und die Liebe gewahrte es, und das Raus<strong>ch</strong>en ward<br />

zum Tone, der Ton aber ward in der Liebe zum Worte, und das Wort spra<strong>ch</strong>: ›Es<br />

werde Li<strong>ch</strong>t!‹ Und da loderte im Herzen die Flamme der entzündeten Liebe auf,<br />

und es ward Li<strong>ch</strong>t in allen Räumen der Unendli<strong>ch</strong>keit! Und Gott sah in Si<strong>ch</strong> die<br />

große Herrli<strong>ch</strong>keit Seiner Liebe, und die Liebe ward gestärkt mit der Kraft der<br />

Gottheit, und so verband Si<strong>ch</strong> die Gottheit mit der Liebe ewigli<strong>ch</strong>, und das Li<strong>ch</strong>t<br />

ging aus der Wärme hervor. Und siehe, da sah die Liebe alle Herrli<strong>ch</strong>keiten, deren<br />

Zahl kein Ende ist, in der Gottheit, und die Gottheit sah, wie dieses alles aus der<br />

Liebe in Sie überging, und die Liebe sah in der Gottheit Ihre Gedanken und fand<br />

großes Wohlgefallen an denselben.« (HGt I,5,3ff.). Das Li<strong>ch</strong>t »in allen Räumen der<br />

Unendli<strong>ch</strong>keit« bedeutet die Erkenntnis in der Gottheit, denn die Gottheit ist ja<br />

»die Unendli<strong>ch</strong>keit« (HGt I,5,2); folgli<strong>ch</strong> ist au<strong>ch</strong> hier von der Selbsterkenntnis<br />

Gottes die Rede. Sie wird ans<strong>ch</strong>ließend als we<strong>ch</strong>selseitige Erkenntnis präzisiert,<br />

denn es heißt: »Und Gott sah in Si<strong>ch</strong> die große Herrli<strong>ch</strong>keit Seiner Liebe« (HGt<br />

I,5,4), und die Liebe sah »alle Herrli<strong>ch</strong>keiten … in der Gottheit, und die Gottheit<br />

sah, wie dieses alles aus der Liebe in Sie überging, und die Liebe sah in der Gottheit<br />

Ihre Gedanken« (HGt I,5,5). Hier ist viel vom Sehen die Rede, und dass es si<strong>ch</strong><br />

zwis<strong>ch</strong>en der Gottheit und der Liebe ereignet und daher we<strong>ch</strong>selseitig und alldur<strong>ch</strong>dringend<br />

ist. Die »Herrli<strong>ch</strong>keit« (hebr. »Kabod«), ein Begriff, der im Alten<br />

Testament zentral ist, ist der Glanz der Liebe, der si<strong>ch</strong> in der Gottheit als die Fülle<br />

der Gedanken spiegelt, weswegen sie »die Gedanken der Herrli<strong>ch</strong>keit« (HGt I,5,6)<br />

heißen.<br />

Zusammenfassend ist zu sagen: Die Deutung Mathaels, die Parallelen in der<br />

»Haushaltung« hat, sieht im S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t bisher unbekannte Vorgänge der<br />

Selbstfindung Gottes, wobei si<strong>ch</strong> das Gottheitszentrum (Erde) der Liebe als der<br />

s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong>e Geist in Gott erkennt. Swedenborg wird später in der Liebe die Ursa<strong>ch</strong>e<br />

der S<strong>ch</strong>öpfung sehen (WCR 46).<br />

S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> wird der erste Tag au<strong>ch</strong> im zweiten Band »des großen Evangeliums«<br />

ausgelegt; dort im Hinblick auf die Bildung intelligenter, freier Geistwesen, wie<br />

sie zuerst in der Urs<strong>ch</strong>öpfung ges<strong>ch</strong>ah. Wählt man diesen Interpretationshorizont,<br />

dann ist unter »Himmel« zu verstehen, »dass Gott die Intelligenzfähigkeit … außer<br />

Si<strong>ch</strong> hinausgestellt hat.« (GEJ II,219,6), das heißt »ein Heer der Geister« (HGt<br />

I,5,7), denn keine Fähigkeit kann ohne eine Form als Träger (Subjekt) der Fähigkeit<br />

bestehen. »Hinausstellen« bedeutet, dass die Geister, die eigentli<strong>ch</strong> Gedanken<br />

waren, nun »außer der Liebe [= Zentrum (GEJ II,219,6f.)] in der Gottheit fixierte<br />

Formen« wurden (HGt I,5,8). Die Geistwesen besaßen die Fähigkeit, Intelligenz zu<br />

entwickeln, - deswegen »Intelligenzfähigkeit«. Allerdings deutet die bloße Fähigkeit<br />

au<strong>ch</strong> einen Mangel an, denn sie allein »ist glei<strong>ch</strong> einem Spiegel, der in der<br />

finstersten Na<strong>ch</strong>t wohl au<strong>ch</strong> die Fähigkeit besitzt, äußere Gegenstände … aufzunehmen<br />

und wiederzugeben. Aber in der vollsten Na<strong>ch</strong>t, und daselbst in der


32 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

ebenso vollen Objektlosigkeit, ist der Spiegel eine Sa<strong>ch</strong>e für ni<strong>ch</strong>ts und wieder<br />

ni<strong>ch</strong>ts!« (GEJ II,219,6). Dieser Mangel der bloßen Intelligenzfähigkeit bedurfte<br />

einer Ergänzung; und das ist die »Erde«, denn »unter der ›Erde‹ verstand Moses<br />

bloß die Assimilations- und Attraktionsfähigkeit [Anglei<strong>ch</strong>ungs- und Anziehungsfähigkeit]<br />

der untereinander verwandten, hinausgestellten Intelligenzen« (GEJ<br />

II,219,8). Es liegt im Wesen der Gedanken, dass sie si<strong>ch</strong> je na<strong>ch</strong> den Graden der<br />

Verwandts<strong>ch</strong>aft anziehen und Vorstellungskomplexe bilden; so ges<strong>ch</strong>ah es au<strong>ch</strong><br />

bei den Urintelligenzformen: sie bildeten geistige Vereine. Für diesen »damals<br />

no<strong>ch</strong> tief geistigen Akt« (GEJ II,219,9) stellte Moses »das Bild der materiellen Erde«<br />

auf, »die an und für si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts als eben ein Konglomerat von lauter attraktionsfähigen<br />

und unter, wie in si<strong>ch</strong> verwandten Substantialpartikeln ist« (GEJ<br />

II,219,9). Der »Himmel« ist also die Fähigkeit, Intelligenz zu entwickeln oder<br />

Ideen zu produzieren; und die »Erde« ist die ergänzende Fähigkeit, Gedankenkomplexe<br />

oder -ballungen zu erzeugen.<br />

Nun heißt es aber: »Die Erde war wüst und leer«. Um das zu verstehen, muss man<br />

wissen, dass jeder Gedanke oder Begriff, obwohl er dem äußeren Mens<strong>ch</strong>en als<br />

das Li<strong>ch</strong>t des Bewusstseins ers<strong>ch</strong>eint, für si<strong>ch</strong> genommen »no<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong> einem<br />

leeren Gefäße« ist (GEJ II,220,3). Das hat au<strong>ch</strong> Swedenborg erkannt, denn »alles,<br />

was im mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Gedä<strong>ch</strong>tnis ist, ist ni<strong>ch</strong>ts weniger als wahr, obglei<strong>ch</strong> es so<br />

heißt, aber in diesen Gedä<strong>ch</strong>tnisinhalten als in den Gefäßen ist das Wahre.« (HG<br />

1469). Daher bezei<strong>ch</strong>net Swedenborg die Dinge des Wissens (scientifica) und die<br />

Begriffe (cognitiones) als bloße Gefäße (HG 1435, 1460), die freili<strong>ch</strong> der Erleu<strong>ch</strong>tung<br />

dur<strong>ch</strong> das innere Li<strong>ch</strong>t fähig sind, aber »mit der Fähigkeit allein, etwas in<br />

si<strong>ch</strong> aufnehmen zu können, wie au<strong>ch</strong> mit dem s<strong>ch</strong>on gefühlten Bedürfnisse dazu,<br />

ist no<strong>ch</strong> kein Gefäß vollgema<strong>ch</strong>t worden. Solange aber im Gefäße ni<strong>ch</strong>ts ist, solange<br />

au<strong>ch</strong> ist das Gefäß wüst und leer.« (GEJ II,220,1). So also ist es zu verstehen,<br />

dass die großen Gedankenansammlungen no<strong>ch</strong> wüst und leer waren. Die »Finsternis«<br />

bedeutet, »dass die Intelligenzfähigkeit und die attraktionsfähige Verwandts<strong>ch</strong>aft<br />

der Intelligenzen no<strong>ch</strong> kein wie immer geartetes Erkennen, Verständnis<br />

und Selbstbewusstsein - was alles identis<strong>ch</strong> ist mit dem einen Begriffe<br />

›Li<strong>ch</strong>t‹ - sondern das Gegenteil so lange bedingen muss, bis sie si<strong>ch</strong> ergreifen, si<strong>ch</strong><br />

dana<strong>ch</strong> zu drücken, zu reiben und also gewisserart miteinander zu kämpfen anfangen.«<br />

(GEJ II,219,10). Li<strong>ch</strong>t ist die Folgeers<strong>ch</strong>einung der Tätigkeit, weswegen<br />

si<strong>ch</strong> hier Verben der Bewegung, nämli<strong>ch</strong> »ergreifen«, »drücken«, »reiben« und<br />

»kämpfen«, häufen.<br />

Do<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> sind die Gedankenformen tat- und regungslos und werden daher mit<br />

dem trägen Wasser vergli<strong>ch</strong>en. Die »Erde« stellte die Gedanken dar, insofern sie<br />

ein Konglomerat waren; das Gewässer stellt wiederum die Gedanken dar, do<strong>ch</strong><br />

nun, insofern sie »zu einem einfa<strong>ch</strong>en [Element] zusammengemengt sind« (GEJ<br />

II,220,4). So wie das Wasser ein Urstoff ist - Thales von Milet (624 - 545 v. Chr.)<br />

sah im Wasser den Urgrund aller Dinge -, so au<strong>ch</strong> sind es die Gedanken. Do<strong>ch</strong> im<br />

Wasser ist no<strong>ch</strong> keine Form erkennbar, obglei<strong>ch</strong> es fähig ist, alle Formen hervor-


Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 33<br />

zubringen; ebenso ist es mit den Gedanken, solange sie ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> ein spezifis<strong>ch</strong>es<br />

Interesse und die dadur<strong>ch</strong> angeregte Tätigkeit ergriffen, strukturiert und<br />

ausgebildet werden. Deswegen au<strong>ch</strong> wurde die »Erde« ein »Konglomerat« genannt,<br />

denn das ist zwar eine Zusammenballung, die aber no<strong>ch</strong> gänzli<strong>ch</strong> ungegliedert ist;<br />

und da sie ungegliedert ist, ist sie eben au<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong>sam formlos oder nur lose zusammengemengt,<br />

so dass, wenn dieser Gesi<strong>ch</strong>tspunkt dargestellt werden soll, das<br />

Gewässer das beste Bild ist. Daher sagt der Herr bei Lorber: »Alle diese no<strong>ch</strong> tatund<br />

regungslosen Gedanken und Ideen der göttli<strong>ch</strong>en Weisheit werden au<strong>ch</strong><br />

hö<strong>ch</strong>st treffend vergli<strong>ch</strong>en mit dem ›Wasser‹, in dem au<strong>ch</strong> zahllose Spezifikalelemente<br />

wie zu einem einfa<strong>ch</strong>en zusammengemengt sind, aus dem aber endli<strong>ch</strong><br />

denno<strong>ch</strong> alle Körperwelt ihr hö<strong>ch</strong>st vers<strong>ch</strong>iedenartiges Dasein nimmt.« (GEJ<br />

II,220,4).<br />

Über diesem Gewässer s<strong>ch</strong>webte der Geist Gottes. Zunä<strong>ch</strong>st ein Wort zum hebräis<strong>ch</strong>en<br />

Verb »r<strong>ch</strong>p«, das meist mit »s<strong>ch</strong>weben« übersetzt wird. Im Syris<strong>ch</strong>en ist<br />

jedo<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> die Bedeutung »brüten« belegt, weswegen die Tätigkeit des Gottesgeistes<br />

bei Swedenborg und Lorber mit einer Henne vergli<strong>ch</strong>en wird: »Unter ›Geist<br />

Gottes‹ ist die Barmherzigkeit des Herrn zu verstehen, von der es heißt: sie bewege<br />

si<strong>ch</strong> (motitare)« über die Überreste »wie eine Henne über die Eier« (HG 19).<br />

»Wenn irgendein Mens<strong>ch</strong> … Gedanken zu Ideen verband und sie bewerkstelligt<br />

haben mö<strong>ch</strong>te, so muss er … zu seinen Gedanken und Ideen eine re<strong>ch</strong>t übermäßig<br />

große Liebe fassen. Von sol<strong>ch</strong>er Liebe werden dann seine Gedanken und Ideen<br />

also gehegt, wie da hegt eine Henne ihre Kü<strong>ch</strong>lein.« (GEJ II,220,6). Die Henne<br />

symbolisiert also die brütende und hegende Kraft der Liebe, wel<strong>ch</strong>e die no<strong>ch</strong> unentwickelten<br />

Gedankenformen ausbrütet und lebensfähig ma<strong>ch</strong>t. Denn zunä<strong>ch</strong>st<br />

gilt no<strong>ch</strong>, was in der »Haushaltung« von ihnen gesagt wird: »… alle diese Wesen [=<br />

Gedankenformen] waren no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t lebendig und empfanden no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t und sahen<br />

no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t« (HGt I,5,8). Der innere Tätigkeitsbeginn oder die Lebensenergie,<br />

die alle Formen dur<strong>ch</strong>dringt, ist die Liebe. Au<strong>ch</strong> wir spüren, dass unsere geistigen<br />

Prozesse vom Leben dur<strong>ch</strong>pulst und strukturiert werden, wenn von innen her<br />

Interesse, Neigung und Motivation hinzukommen, alles Ers<strong>ch</strong>einungsformen der<br />

Lebensliebe. Die Liebe ist der Gottesgeist im Herzen, brütend über den Gewässern<br />

der no<strong>ch</strong> toten Gedanken: »Und sehet, sol<strong>ch</strong> eine Liebe ist eben der Geist Gottes in<br />

Gott Selbst, der da, na<strong>ch</strong> Moses, auf dem Wasser s<strong>ch</strong>webte, das an und für si<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>ts anderes besagt, als die no<strong>ch</strong> form- und wesenlose unendli<strong>ch</strong>e Masse 39 der<br />

Gedanken und Ideen Gottes! Dur<strong>ch</strong> diesen Geist belebt, fingen die Gedanken Gottes<br />

an, si<strong>ch</strong> zu großen Ideen zu verbinden, und es drängte ein Gedanke den andern<br />

und eine Idee die andere. Und seht, da ges<strong>ch</strong>ieht dann in der göttli<strong>ch</strong>en Ordnung<br />

ja wie von selbst das ›Es werde Li<strong>ch</strong>t!‹ und ›Es ward Li<strong>ch</strong>t!‹« (GEJ II,220,6f.).<br />

Die Formel, »Und Gott sah, dass das Li<strong>ch</strong>t gut war«, ist »ein Zeugnis der ewigen<br />

und endlosen Weisheit Gottes, laut der dies Li<strong>ch</strong>t ein wahrhaft freies, si<strong>ch</strong> von<br />

39<br />

Wiederum ist, wie au<strong>ch</strong> in GEJ III,28,7 und HGt I,5,2, von Masse die Rede.


34 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

selbst aus der Tätigkeit der Gedanken und Ideen Gottes na<strong>ch</strong> der Ordnung der<br />

Weisheit entwickeltes Geistlebensli<strong>ch</strong>t ist, dur<strong>ch</strong> das die auf diese Weise von Gott<br />

hinausgestellten Gedanken und Ideen Gottes si<strong>ch</strong> als selbständige Wesen na<strong>ch</strong><br />

eigener Intelligenz weiterhin, natürli<strong>ch</strong> unter dem unvermeidbar beständigen<br />

Einflusse Gottes, wie von si<strong>ch</strong> selbst heraus ausbilden können.« (GEJ II,220,8). Die<br />

ans<strong>ch</strong>ließende S<strong>ch</strong>eidung des Li<strong>ch</strong>tes von der Finsternis bedeutet, dass si<strong>ch</strong> das<br />

freie Geistesleben über das geri<strong>ch</strong>tete, nur von außen bewegte Leben erhebt: »Diese<br />

Sa<strong>ch</strong>e wird … lei<strong>ch</strong>ter verständli<strong>ch</strong>, so ihr statt der beiden von Moses aufgestellten<br />

allgemeinsten Begriffe die entspre<strong>ch</strong>enden mehr sonderheitli<strong>ch</strong>en nehmet,<br />

als für den Tag das s<strong>ch</strong>on selbständige Leben und für die Na<strong>ch</strong>t den Tod,<br />

oder für den Tag die Freiheit und für die Na<strong>ch</strong>t das Geri<strong>ch</strong>t, oder für den Tag die<br />

Selbständigkeit und für die Na<strong>ch</strong>t die Gebundenheit, oder für den Tag das si<strong>ch</strong><br />

selbst s<strong>ch</strong>on erkennende Liebeleben des göttli<strong>ch</strong>en Geistes in der neuen Kreatur<br />

und für die Na<strong>ch</strong>t die no<strong>ch</strong> unbelebten Gedanken und Ideen aus Gott.« (GEJ<br />

II,221,1). Und s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> der We<strong>ch</strong>sel von Abend und Morgen: »Der Abend ist<br />

hier derjenige Zustand, in dem si<strong>ch</strong> die Vorbedingungen zur endli<strong>ch</strong>en Aufnahme<br />

des Liebelebens aus Gott dur<strong>ch</strong> den Einfluss des allmä<strong>ch</strong>tigen Gotteswillens zu<br />

konstatieren und zu ergreifen anfangen, glei<strong>ch</strong> den einzelnen Gedanken und Begriffen<br />

zu einer Idee.« (GEJ II,221,3). Da dies no<strong>ch</strong> ein geri<strong>ch</strong>teter (= zwangsläufiger)<br />

Prozess ist, wird die Allma<strong>ch</strong>t des Gotteswillens eigens erwähnt. Der<br />

Morgen bezei<strong>ch</strong>net dann den Ȇbergang des vorhergehenden geri<strong>ch</strong>teten, unfreien<br />

Zustandes der Kreatur in den freien, selbständigen« (GEJ II,221,3).<br />

Na<strong>ch</strong>dem i<strong>ch</strong>, weil i<strong>ch</strong> das vorhandene Material ni<strong>ch</strong>t unters<strong>ch</strong>lagen wollte, die<br />

drei besonderen Perspektiven der Interpretation vorgestellt habe, will i<strong>ch</strong> nun<br />

wieder zum Hauptstrang zurückkehren, der bei Swedenborg und bei Lorber im<br />

ersten Band »des großen Evangeliums« zu finden ist; er sieht im S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t<br />

die Wiedergeburt thematisiert. Der »Himmel« ist der innere Mens<strong>ch</strong>; die<br />

»Erde« der äußere, der als sol<strong>ch</strong>er wüst und leer und finster in seiner Welttiefe ist.<br />

Der »Geist Gottes« bezei<strong>ch</strong>net die erbarmende Liebe, die mittels der im Unbewussten<br />

verborgenen Überreste des Guten und Wahren die s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ten Erkenntnisse<br />

des äußeren Mens<strong>ch</strong>en belebend dur<strong>ch</strong>dringen will, um auf diese Weise das erste<br />

Li<strong>ch</strong>t eines höheren Bewusstseins zu erzeugen, das den Mens<strong>ch</strong>en befähigt, seine<br />

bisherige Lebensfinsternis als sol<strong>ch</strong>e zu erkennen.<br />

3.3.2. Der zweite Tag<br />

Die Verse 6 bis 8: 6. 40 Und Gott spra<strong>ch</strong>: »Es sei eine Feste 41 inmitten der Wasser,<br />

die sei den Wassern eine S<strong>ch</strong>eide zwis<strong>ch</strong>en den Wassern.« [Und so ges<strong>ch</strong>ah es:] 42<br />

40<br />

Lorber: »Da ma<strong>ch</strong>te Gott eine Feste zwis<strong>ch</strong>en den beiden Wassern … und teilte also die beiden<br />

Wasser.« (GEJ I,158,2).<br />

41<br />

»Raqia‘«, Swedenborg hat »expansum« (Ausbreitung). Das Substantiv »raqia‘« bezei<strong>ch</strong>net das<br />

»Firmament« (= die Feste) und die »Ausbreitung«.


Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 35<br />

7. 43 Gott ma<strong>ch</strong>te die Feste und s<strong>ch</strong>ied die Wasser, die unterhalb der Feste waren,<br />

von den Wassern, die oberhalb der Feste waren. 8. Und Gott nannte die Feste<br />

»Himmel«. Und es war Abend, und es war Morgen, der zweite Tag.<br />

Das Wort »raqia‘« wird von Swedenborg mit »expansum« (Ausbreitung) und bei<br />

Lorber mit »Feste« (GEJ I,158,2) wiedergegeben. Swedenborg kommt zu seiner<br />

Übersetzung, weil »raqia« von einem Verb »rq‘« abgeleitet ist, das u. a. »ausbreiten«<br />

bedeutet. Außerdem gibt es in der Heiligen S<strong>ch</strong>rift die Redewendung »die<br />

Erde ausbreiten und den Himmel ausdehnen«, womit die Wiedergeburt des Mens<strong>ch</strong>en<br />

gemeint ist. Swedenborg nennt die beiden Stellen bei Jesaja (HG 25, 9596):<br />

»So spri<strong>ch</strong>t der Gott Jehovah, der die Himmel ers<strong>ch</strong>uf und sie ausspannte, der die<br />

Erde ausbreitete und ihre Sprösslinge, der dem Volk auf ihr Odem gab, und Geist<br />

denen, die auf ihr wandeln.« (Jes 42,5). »I<strong>ch</strong>, Jehovah, ma<strong>ch</strong>e alles, spanne die<br />

Himmel aus allein, breite die Erde aus von mir selbst.« (Jes 44,24). Interessanterweise<br />

wird hier, wie au<strong>ch</strong> in Ps 136,6, »raqa« auf die Erde bezogen; die Erde (= der<br />

äußere Mens<strong>ch</strong>) wird ausgebreitet, aber der Himmel (= der innere Mens<strong>ch</strong>) ist die<br />

Ausbreitung. »Feste«, die Übersetzung bei Lorber, ist ebenso bere<strong>ch</strong>tigt, denn<br />

»Raqia« ist das Firmament (von firmare = fest ma<strong>ch</strong>en, bekräftigen) oder die feste<br />

Himmelswölbung.<br />

Die »Ausbreitung« ist »der innere Mens<strong>ch</strong>« (HG 24) bzw. das si<strong>ch</strong> von daher ausbreitende<br />

»neue Wollen und Denken« (HG 9596). Die »Feste« hingegen ist der<br />

Glaube, der dieses neue Wollen und Denken wie ein fester und uners<strong>ch</strong>ütterli<strong>ch</strong>er<br />

Grund trägt; bei Lorber lesen wir: »Die Feste aber ist der eigentli<strong>ch</strong>e Himmel im<br />

Mens<strong>ch</strong>enherzen und spri<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> aus im wahren lebendigen Glauben« (GEJ<br />

I,158,3). Dass si<strong>ch</strong> diese beiden Interpretationen ergänzen, ist offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>, denn<br />

der Glaube wohnt im inneren Mens<strong>ch</strong>en; der äußere Mens<strong>ch</strong> kennt nur das Glaubenswissen,<br />

aber ni<strong>ch</strong>t die innere Gewissheit und das Vertrauen.<br />

»Die Wasser unterhalb der Ausbreitung« bezei<strong>ch</strong>nen »die Kenntnisse (scientifica)<br />

des äußeren Mens<strong>ch</strong>en« (HG 24), zu denen au<strong>ch</strong> sein Glaubenswissen gehört, das<br />

Swedenborg in HG 10238 »das Glaubenswahre des äußeren Mens<strong>ch</strong>en« nennt.<br />

»Die Wasser oberhalb der Ausbreitung« bezei<strong>ch</strong>nen »die Erkenntnisse (cognitiones)<br />

beim inneren Mens<strong>ch</strong>en« (HG 24) bzw. das dortige »Glaubenswahre« (HG<br />

10238). Au<strong>ch</strong> bei Lorber symbolisieren die Wasser »die beiderlei Erkenntnisse«<br />

(GEJ I,158,2), nämli<strong>ch</strong> die rein irdis<strong>ch</strong>e »Verstandesbildung« (GEJ I,157,13) einerseits,<br />

zu der au<strong>ch</strong> das bloß angelernte Glaubenswissen gehört, und »das Gottesli<strong>ch</strong>t<br />

im Mens<strong>ch</strong>enherzen« (GEJ I,158,1) andererseits.<br />

42<br />

»Wajehi ken«, Swedenborg hat »et factum ita« (= und so ges<strong>ch</strong>ah es). I<strong>ch</strong> beziehe diese Formel<br />

als Einleitungsformel auf das jeweils Folgende, also den Ausführungsberi<strong>ch</strong>t. Zur Positionierung<br />

der Formel am Ende von Vers 6, ist zu sagen, dass i<strong>ch</strong> hier der Septuaginta folge (vgl.<br />

au<strong>ch</strong> die Verse 9, 11, 15, 20, 24 und 30).<br />

43<br />

Na<strong>ch</strong> der Einleitungsformel des Ausführungsberi<strong>ch</strong>tes lasse i<strong>ch</strong> das »und« weg.


36 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Die Interpretation des zweiten Tages bei Lorber, die mit den Ausführungen Swedenborgs<br />

in HG 24-26 zu verglei<strong>ch</strong>en ist, lautet im Zusammenhang:<br />

LORBER: »Es könnte aber sehr lei<strong>ch</strong>t ges<strong>ch</strong>ehen, dass das Gottesli<strong>ch</strong>t im Mens<strong>ch</strong>enherzen<br />

si<strong>ch</strong> ergösse ins Abendli<strong>ch</strong>t und alsdann verzehrt oder zum wenigsten also<br />

vermengt würde, dass man am Ende ni<strong>ch</strong>t mehr wüsste, was da Naturli<strong>ch</strong>t und was<br />

da Gottesli<strong>ch</strong>t sei im Mens<strong>ch</strong>en. Da ma<strong>ch</strong>te Gott eine Feste zwis<strong>ch</strong>en den beiden<br />

Wassern, die da besagen die beiderlei Erkenntnisse … und teilte also die beiden<br />

Wasser. Die Feste aber ist der eigentli<strong>ch</strong>e Himmel im Mens<strong>ch</strong>enherzen und spri<strong>ch</strong>t<br />

si<strong>ch</strong> aus im wahren lebendigen Glauben, aber ewig nie in einer leeren und ni<strong>ch</strong>tigen<br />

Verstandesgrübelei.« (GEJ I,158,1-3).<br />

No<strong>ch</strong> ein Wort zum Zusammenhang von »Himmel« und »Wasser», denn beide<br />

Begriffe spielen am zweiten Tag eine zentrale Rolle und sind, wie es die folgende<br />

Analyse zeigen soll, inhaltli<strong>ch</strong> eng aufeinander bezogen. Das hebräis<strong>ch</strong>e Wort für<br />

»Himmel« lautet »s<strong>ch</strong>amajim«, während si<strong>ch</strong> das hebräis<strong>ch</strong>e Wort für »Wasser«<br />

davon nur dur<strong>ch</strong> das fehlende »s<strong>ch</strong>in« (s<strong>ch</strong>) unters<strong>ch</strong>eidet, also »majim« lautet. 44<br />

»Mem« (m) ist der Laut der Formbildung. »Urspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> stellt daher das M den<br />

typis<strong>ch</strong>en Mutterlaut dar und wird au<strong>ch</strong> fast in allen Spra<strong>ch</strong>en in diesem Sinn<br />

gebrau<strong>ch</strong>t.« 45 Die Form ist das Wahre, denn »das Wahre ist die Form des Guten«<br />

(HG 3039). Deswegen heißen die platonis<strong>ch</strong>en Ideen bei Aristoteles Formen. Es<br />

zeigt si<strong>ch</strong> also wiederum, dass »Himmel« und »Wasser« ganz allgemein die Sphäre<br />

des Formhaften meinen, weswegen der »Himmel« als »das Geistige« im Mens<strong>ch</strong>en<br />

(GEJ I,157,4) und das »Gewässer« als die »Erkenntnisse« gedeutet wurden. Tritt<br />

nun zum Wasser (Majim) das S<strong>ch</strong>in hinzu, dann entsteht der Himmel (S<strong>ch</strong>amajim).<br />

S<strong>ch</strong>in ist der Laut für das Geistfeuer im Mens<strong>ch</strong>en 46 . Das heißt nun: Wenn<br />

uns bewusst wird, dass die Welt der Formen aus dem Geistfeuer der Liebe gezeugt<br />

wird, dann verklärt si<strong>ch</strong> das Wasser zum Himmel. Der erste S<strong>ch</strong>ritt dahin<br />

besteht darin, dass si<strong>ch</strong> der Himmel im Mens<strong>ch</strong>enherzen zunä<strong>ch</strong>st im wahren<br />

lebendigen Glauben ausspri<strong>ch</strong>t (vgl. GEJ I,158,3). Dieser aus dem inneren Mens<strong>ch</strong>en<br />

erwa<strong>ch</strong>ende Glaube befähigt uns, das äußere Bewusstsein als ein äußeres<br />

zu erkennen und vom inneren Bewusstsein zu unters<strong>ch</strong>ieden. Das ist das Thema<br />

des zweiten Tages.<br />

44<br />

THAT zu »s<strong>ch</strong>amajim«: »Die Ableitung von glei<strong>ch</strong> auslautendem majim ›Wasser‹ wird von BL<br />

621 ernsthaft in Betra<strong>ch</strong>t gezogen (*s<strong>ch</strong>a = Relativpronomen + *maju ›Wasser‹, also ›Ort des<br />

Wassers‹) und von KBL 986b erwogen; es dürfte si<strong>ch</strong> aber wohl hö<strong>ch</strong>stens um eine unter<br />

Ausnützung der Assonanz gebildete Volksetymologie handeln …, bei der der ›Himmel‹ mit der<br />

die kosmis<strong>ch</strong>en Wasser zurückhaltenden ›Feste‹ (raqia‘) glei<strong>ch</strong>gesetzt wird.« (THAT II,966).<br />

45<br />

M. Kahir, Das verlorene Wort, Seite 233.<br />

46<br />

M. Kahir, Das verlorene Wort, Seite 256.


Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 37<br />

3.3.3. Der dritte Tag<br />

Die Verse 9 bis 10: 9. 47 Und Gott spra<strong>ch</strong>: »Die Wasser unterhalb des Himmels sollen<br />

si<strong>ch</strong> an einem (einzigen) Ort sammeln, so dass das Trockene 48 si<strong>ch</strong>tbar werde.«<br />

Und so ges<strong>ch</strong>ah es: [Die Wasser unterhalb des Himmels sammelten si<strong>ch</strong> an ihren<br />

Sammelplätzen, so dass das Trockene si<strong>ch</strong>tbar wurde.] 10. Und Gott nannte das<br />

Trockene »Erde«, während er den Sammelplatz der Wasser »Meere« nannte. Und<br />

Gott sah, dass es gut war.<br />

Na<strong>ch</strong>dem man si<strong>ch</strong> am zweiten Tag den Glauben erworben hat, wel<strong>ch</strong>er der anfängli<strong>ch</strong>e<br />

Himmel eines höheren Bewusstseins ist, wendet si<strong>ch</strong> das Ges<strong>ch</strong>ehen<br />

nun der Erde zu. Dort sammelt si<strong>ch</strong> das Wasser an einem bestimmten Ort, so dass<br />

das Festland si<strong>ch</strong>tbar wird. Die Ansammlung des Wassers ist das im Gedä<strong>ch</strong>tnis<br />

angesammelte Wissen, das jetzt als ein sol<strong>ch</strong>es erkennbar wird, denn vorher, als<br />

alles no<strong>ch</strong> Wasser war, konnte die Wasserwelt in ihrer Besonderheit ni<strong>ch</strong>t erkannt<br />

werden, weil jede Wahrnehmung eine sol<strong>ch</strong>e von Unters<strong>ch</strong>ieden ist (vgl. HH 541).<br />

Indem nun aber das Wissen als bloßes Wissen erkannt wird, zeigt si<strong>ch</strong> dessen<br />

relativ geringer Wert, denn nun entdeckt man, dass das gesamte höhere Bewusstsein<br />

im Gedä<strong>ch</strong>tnis den Verlust einer Dimension erleidet, nämli<strong>ch</strong> der Tiefe; im<br />

Gedä<strong>ch</strong>tnis ist alles nur no<strong>ch</strong> Wissen: »Alles, was dem Gedä<strong>ch</strong>tnis des äußeren<br />

Mens<strong>ch</strong>en eingepflanzt wird - es sei natürli<strong>ch</strong> oder geistig oder himmlis<strong>ch</strong> - bleibt<br />

dort als (bloßes) Wissen.« (HG 27).<br />

Wie alle Mens<strong>ch</strong>en, die ein Innewerden des Wahren hatten, erkannte au<strong>ch</strong> Swedenborg,<br />

dass das Wissen die unterste Stufe des Wahrheitserfassens ist, und entwickelte<br />

einen Stufenweg der Erkenntnis, dessen Stufen Wissen, Vernunft, Einsi<strong>ch</strong>t<br />

und Weisheit sind (vgl. HG 124). Das Wissen ist zwar das Fundament, auf<br />

dem jede höhere Erkenntnis aufbaut, aber wie jedes Fundament liegt es unten, im<br />

Natürli<strong>ch</strong>en: »Die Wahrheiten des natürli<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en sind die Wissensdinge.«<br />

(NJ 23). Aus dem gereiften Erfahrungswissen entwickelt si<strong>ch</strong> die Vernunft (vgl.<br />

GLW 237); aber au<strong>ch</strong> sie ist no<strong>ch</strong> ein relativ äußerli<strong>ch</strong>er Grad der Erkenntnis. Die<br />

erste innere Stufe ist die Einsi<strong>ch</strong>t oder das Verständnis (intelligentia), »denn Einsi<strong>ch</strong>t<br />

ist inwendig in si<strong>ch</strong> sehen [daher Ein-si<strong>ch</strong>t], ob etwas wahr oder ni<strong>ch</strong>t wahr<br />

ist; wer dagegen nur aus dem Weltli<strong>ch</strong>en weise ist, der sieht das Wahre ni<strong>ch</strong>t inwendig<br />

in si<strong>ch</strong>, sondern aus anderen Dingen, und das ist bloßes Wissen« (OE<br />

198). Die hö<strong>ch</strong>ste Stufe ist die Weisheit (sapientia). »Der Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en<br />

Einsi<strong>ch</strong>t und Weisheit besteht darin, dass die Einsi<strong>ch</strong>t dem Wahrheitsverständnis<br />

des geistigen Mens<strong>ch</strong>en angehört, die Weisheit hingegen dem Wahrheitsverständ-<br />

47<br />

Lorber: »Und sehet, das ist es, was im Moses ges<strong>ch</strong>rieben steht, dass Gott befohlen hat den<br />

Wassern, dass sie si<strong>ch</strong> sammeln sollen in gewisse, abgesonderte Örter und man dadur<strong>ch</strong> das<br />

trockene und feste Erdrei<strong>ch</strong> ersehe, aus dem allein die Samen zur lebendigen und belebenden<br />

Fru<strong>ch</strong>t erwa<strong>ch</strong>sen können! Und es heißt: ›Und Gott nannte das Trockene Erde und das nun an<br />

bestimmte Örter versammelte Wasser Meer.‹« (GEJ I,158,11f.).<br />

48<br />

»Jabas<strong>ch</strong>a«, Swedenborg hat »arida« (das Trockene). Das hebräis<strong>ch</strong>e Wort meint au<strong>ch</strong> das<br />

Festland. Trocken werden ist also im Sinne von fest werden zu verstehen.


38 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

nis des himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en, der es aus dem Willen des Guten hat.« (OE 280).<br />

Einsi<strong>ch</strong>t ist also die spezifis<strong>ch</strong>e Erkenntnis des geistigen, Weisheit hingegen die<br />

des himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en. Zum Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en Einsi<strong>ch</strong>t und Weisheit<br />

heißt es ferner: »Die himmlis<strong>ch</strong>e Liebe ist mit der Weisheit und die geistige mit<br />

der Einsi<strong>ch</strong>t eheli<strong>ch</strong> verbunden. Sa<strong>ch</strong>e der Weisheit ist es nämli<strong>ch</strong>, Gutes zu tun<br />

aus dem Guten heraus, Sa<strong>ch</strong>e der Einsi<strong>ch</strong>t aber, Gutes zu tun aus dem Wahren<br />

heraus.« (GLW 427). »Das Denken von den Endzwecken her ist Sa<strong>ch</strong>e der Weisheit,<br />

das Denken von den Ursa<strong>ch</strong>en her ist eine Angelegenheit der Einsi<strong>ch</strong>t, und<br />

das Denken von den Wirkungen her ist Sa<strong>ch</strong>e des Wissens.« (GLW 202). Wissen<br />

(scientia), Einsi<strong>ch</strong>t (intelligentia) und Weisheit (sapientia) sind also der natürli<strong>ch</strong>e,<br />

der geistige und der himmlis<strong>ch</strong>e Grad des Li<strong>ch</strong>tes, wobei das Wissen als ein von<br />

außen angeeignetes eigentli<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> geistige Finsternis ist, die si<strong>ch</strong> erst am vierten<br />

Tag verflü<strong>ch</strong>tigt, wenn der Mond (Einsi<strong>ch</strong>t) und die Sonne (Weisheit) zu leu<strong>ch</strong>ten<br />

beginnen.<br />

Do<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on am dritten Tag ma<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> die Sehnsu<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> den wahren Lebensli<strong>ch</strong>tern<br />

bemerkbar, denn »das Trockene« wird si<strong>ch</strong>tbar, womit die Willenssphäre<br />

gemeint ist. Indem nun der Impuls aus dem göttli<strong>ch</strong>en Geist den Willen errei<strong>ch</strong>t,<br />

beeinflusst er das Leben, so dass si<strong>ch</strong> in der Folge das Li<strong>ch</strong>t aus dem Leben entwickeln<br />

kann. Do<strong>ch</strong> der Reihe na<strong>ch</strong>: Die Erde ist »der äußere Mens<strong>ch</strong>« (HG 27),<br />

insofern er das Gute und Wahre (die Saat des Lebens) aufnehmen kann und soll.<br />

Swedenborg s<strong>ch</strong>reibt: »Dass die Erde das Aufnehmende (receptaculum) bezei<strong>ch</strong>net,<br />

geht aus der folgenden Stelle bei Sa<strong>ch</strong>arja hervor: ›Jehovah dehnt die Himmel<br />

aus und gründet die Erde und bildet den Geist des Mens<strong>ch</strong>en in seiner Mitte‹<br />

(Sa<strong>ch</strong> 12,1).« (HG 28). Das hier mit »Mitte« übersetzte hebräis<strong>ch</strong>e Wort (qäräb)<br />

kann au<strong>ch</strong> das Innere bezei<strong>ch</strong>nen. Wenn also der Herr den Geist im Inneren des<br />

Mens<strong>ch</strong>en bildet, dann muss der Mens<strong>ch</strong> selbst (die Erde) ein Gefäß sein. Das<br />

Gefäßhafte wird also dur<strong>ch</strong> die Erde, die dem Himmel gegenüber das Weibli<strong>ch</strong>e<br />

ist, versinnbildli<strong>ch</strong>t. Das hebräis<strong>ch</strong>e Wort für Erde (’äräz') besteht aus den Lautideen<br />

Aleph (’) = das Göttli<strong>ch</strong>e, Res<strong>ch</strong> (r) = die Herrs<strong>ch</strong>aft und Sade (z') = das<br />

Stoffli<strong>ch</strong>e; daher ist »’äräz'« das Stoffli<strong>ch</strong>e, in dem das Göttli<strong>ch</strong>e zur Herrs<strong>ch</strong>aft<br />

kommen soll. 49<br />

Nun nimmt aber der Mens<strong>ch</strong> nur das wirkli<strong>ch</strong> auf, was er verwirkli<strong>ch</strong>en will.<br />

Deswegen wird die Erde »das Trockene« genannt, denn damit ist der zur Tat fest<br />

ents<strong>ch</strong>lossene Wille gemeint, was viellei<strong>ch</strong>t deutli<strong>ch</strong>er wird, wenn man das hebräis<strong>ch</strong>e<br />

Wort (jabas<strong>ch</strong>a) mit »Festland« übersetzt. Swedenborg s<strong>ch</strong>reibt: »Die<br />

Erde heißt im Verhältnis zum Meer au<strong>ch</strong> ›das Trockene‹; dann wird ›das Trockene‹<br />

vom Guten und ›das Meer‹ vom Wahren ausgesagt.« (HG 8185). Das wahre »Festland«<br />

ist also der zum Guten fest ents<strong>ch</strong>lossene Wille, weswegen Swedenborg den<br />

dritten Zustand als »Buße« (= Wille zur Besserung) <strong>ch</strong>arakterisiert (HG 9). Der<br />

49<br />

Viktor Mohr s<strong>ch</strong>reibt: »›Erde‹ (arez) bezei<strong>ch</strong>net die größte Verdi<strong>ch</strong>tung des Geistes im Stoff«<br />

(M. Kahir, Das verlorene Wort, Seite 52).


Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 39<br />

feste Glaube des zweiten Tages (die Himmelsfeste) wird nun also dur<strong>ch</strong> den festen<br />

Willen (das Festland) ergänzt.<br />

Diese Interpretation ist au<strong>ch</strong> den Lorbers<strong>ch</strong>riften zu entnehmen, denn dort lesen<br />

wir: »Der Mens<strong>ch</strong> wird … gesondert sogar in seinem naturmäßigen Teile. Die Erkenntnise<br />

haben ihren Ort, das ist das Meer des Mens<strong>ch</strong>en, und die aus den Erkenntnissen<br />

hervorgegangene Liebe als ein Frü<strong>ch</strong>te zu tragen fähiges Erdrei<strong>ch</strong> 50<br />

wird stets von dem Meere als der Gesamtheit der Erkenntnisse re<strong>ch</strong>ten Li<strong>ch</strong>tes<br />

umspült und zur stets rei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>eren Hervorbringung allerlei edelster Frü<strong>ch</strong>te neu<br />

gekräftigt.« (GEJ I,158,16). Das »Meer« ist also »die Gesamtheit der Erkenntnisse«<br />

(vgl. Swedenborgs Gedä<strong>ch</strong>tniswissen), und »das trockene und feste Erderei<strong>ch</strong>«<br />

(GEJ I,158,11) ist die »Liebe« (vgl. das Gute bei Swedenborg in HG 8185).<br />

Die Liebe befähigt den Mens<strong>ch</strong>en das Wissen als Wissen zu erkennen und von<br />

den Stufen der inneren Wahrnehmung zu unters<strong>ch</strong>eiden. Dieser Gedanke tau<strong>ch</strong>t<br />

in den Lorbers<strong>ch</strong>riften ganz ähnli<strong>ch</strong> wie bei Swedenborg auf: Am zweiten Tag<br />

glei<strong>ch</strong>t der Mens<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> »einer puren Wasserwelt, die wohl von allen Seiten mit<br />

li<strong>ch</strong>tdur<strong>ch</strong>flossener Luft umgeben ist, wobei er aber am Ende do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t darüber<br />

ins klare kommen kann, ob seine Wasserwelt aus der sie umgebenden Li<strong>ch</strong>tluft,<br />

oder ob diese aus der Wasserwelt hervorgegangen ist, - d.h.: er weiß es in si<strong>ch</strong><br />

no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t klar genug, ob si<strong>ch</strong> seine geistige Erkenntnis aus seinem Naturverstande,<br />

oder ob dieser aus der geheim im Mens<strong>ch</strong>en s<strong>ch</strong>on etwa daseienden und<br />

also au<strong>ch</strong> im Anfange ganz geheim wirkenden geistigen Erkenntnis si<strong>ch</strong> entwickelt<br />

hat, oder, um no<strong>ch</strong> handgreifli<strong>ch</strong>er zu reden, er weiß es ni<strong>ch</strong>t, geht der<br />

Glaube aus dem Wissen oder das Wissen aus dem Glauben hervor, und wel<strong>ch</strong> ein<br />

Unters<strong>ch</strong>ied da ist zwis<strong>ch</strong>en beiden.« (GEJ I,158,7). Was hier »geistige Erkenntnis«<br />

und »Naturverstand« heißt, wird, wie wir gesehen haben, bei Swedenborg »intelligentia«<br />

(= die Einsi<strong>ch</strong>t des geistigen Mens<strong>ch</strong>en) und »scientia« bzw. »scientifica«<br />

(= das Wissen des natürli<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en) genannt.<br />

Die Verse 11 bis 13: 11. 51 Und Gott spra<strong>ch</strong>: »Die Erde lasse zartes-Grün 52 hervorsprießen<br />

53 ; Pflanzen 54 , die Samen bilden, [und] Fru<strong>ch</strong>tbäume 55 , die Frü<strong>ch</strong>te brin-<br />

50<br />

Lorber: »Sol<strong>ch</strong>e Wärme aber heißt die Liebe und ist geistig zuglei<strong>ch</strong> das Erdrei<strong>ch</strong>, in wel<strong>ch</strong>em<br />

die Samen ihre Keime und Wurzeln zu treiben beginnen.« (GEJ I,158,10).<br />

51<br />

Lorber: »›Es lasse die Erde nun aufgehen allerlei Gras und Kraut, das si<strong>ch</strong> besame, und<br />

fru<strong>ch</strong>tbare Bäume und Gesträu<strong>ch</strong>e aller Art, davon ein jegli<strong>ch</strong>es Fru<strong>ch</strong>t trage na<strong>ch</strong> seiner Art<br />

und seinen eigenen Samen habe bei si<strong>ch</strong> auf Erden!‹« (GEJ I,159,2).<br />

52<br />

»Däs<strong>ch</strong>ä’«, Swedenborg hat »herba tenera« (zartes Gras) im Unters<strong>ch</strong>ied zu Sebastian S<strong>ch</strong>midt,<br />

der »gramen« (Gras) hat. Swedenborg betont also das Zarte (siehe HG 29). Swedenborg benutzte<br />

unter anderem die lateinis<strong>ch</strong>e Übersetzung der Bibel von Sebastian S<strong>ch</strong>midt (1617-<br />

1696), ers<strong>ch</strong>ienen 1696 unter dem Titel »Biblia Sacra, sive Testamentum Vetus et Novum«.<br />

Swedenborgs Exemplar mit seinen Randbemerkungen wird in den Codices 89 und 90 in der<br />

Bibliothek der »Royal Swedish Academy of Sciences« aufbewahrt. Swedenborgs Übersetzung<br />

ist wörtli<strong>ch</strong>er als S<strong>ch</strong>midts. Der Ausleger des geistigen Sinnes wollte also fest auf dem Boden<br />

des bu<strong>ch</strong>stäbli<strong>ch</strong>en Sinnes stehen.<br />

53<br />

»Tads<strong>ch</strong>e«, Swedenborg hat »progerminare facere« (hervorsprossen lassen).


40 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

gen 56 na<strong>ch</strong> ihrer Art 57 und ihren Samen bei si<strong>ch</strong> haben auf der Erde.« Und so ges<strong>ch</strong>ah<br />

es: 12. Die Erde bra<strong>ch</strong>te hervor zartes-Grün, Pflanzen, die Samen bilden,<br />

na<strong>ch</strong> ihren Arten, und Bäume, die Frü<strong>ch</strong>te bringen, in denen ihr Same ist, na<strong>ch</strong> ihren<br />

Arten. Und Gott sah, dass es gut war. 13. Und es war Abend, und es war Morgen,<br />

der dritte Tag.<br />

Swedenborg s<strong>ch</strong>reibt: »Wenn die Erde bzw. der Mens<strong>ch</strong> so vorbereitet ist, dass er<br />

vom Herrn den himmlis<strong>ch</strong>en Samen aufnehmen und etwas Gutes und Wahres<br />

hervorbringen kann, dann lässt der Herr zuerst etwas Zartes hervorsprießen, das<br />

sogenannte ›zarte Grün‹; dann etwas Nützli<strong>ch</strong>eres, das si<strong>ch</strong> wiederum aussät, und<br />

›samenbildende Pflanze‹ genannt wird; und s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> etwas Gutes, das si<strong>ch</strong> befru<strong>ch</strong>tet,<br />

und ›Baum, der eine Fru<strong>ch</strong>t bringt, in der sein Same ist‹ genannt wird«<br />

(HG 29). Die Gewä<strong>ch</strong>se des dritten Tages bezei<strong>ch</strong>nen also das, was der äußere<br />

Mens<strong>ch</strong> hervorbringt; und das sind, um glei<strong>ch</strong> die Parallele bei Lorber zu nennen,<br />

»allerlei Werke« (GEJ I,159,6). Die drei Gewä<strong>ch</strong>sgattungen, das zarte Grün, die<br />

samenbildenden Pflanzen und die Fru<strong>ch</strong>tbäume werden nur bei Swedenborg ausgelegt.<br />

Aus den Lorbers<strong>ch</strong>riften lässt si<strong>ch</strong> ledigli<strong>ch</strong> entnehmen, dass das »zarte<br />

Grün« das »Gras« ist (GEJ I,159,2). Das hebräis<strong>ch</strong>e Nomen »däs<strong>ch</strong>ä’« meint das<br />

junge, fris<strong>ch</strong>e Gras des Frühlings, denn das dazugehörige Verb bedeutet »sprossen«<br />

und im Akkadis<strong>ch</strong>en »s<strong>ch</strong>wellen« (Knospen treiben). Damit ist klar, was gemeint<br />

ist: die ersten, zaghaften Versu<strong>ch</strong>e, gut und wahr zu handeln. Zur zweiten<br />

Gattung finden wir bei Lorber keine weiterführenden Hinweise, hingegen begegnet<br />

uns dort die dritte Gattung als »fru<strong>ch</strong>tbare Bäume und Gesträu<strong>ch</strong>e aller Art«<br />

(GEJ I,159,2). Das ist insofern interessant, weil »‘ez'« ni<strong>ch</strong>t nur die Bäume, sondern<br />

au<strong>ch</strong> das Holz oder Gehölz meint, so dass die »Gesträu<strong>ch</strong>e« dazugehören. Das<br />

Holz bezei<strong>ch</strong>net »das Gute« (HG 9486), weil es entflammbar ist; im engeren Sinne,<br />

der hier wohl anwendbar ist, versinnbildli<strong>ch</strong>t es »das natürli<strong>ch</strong>e Gute« (EL 77),<br />

während die höheren Grade des Guten dur<strong>ch</strong> das Erz und das Gold repräsentiert<br />

werden (HG 643).<br />

Die Gewä<strong>ch</strong>se der Erde sind no<strong>ch</strong> unbeseelt (vgl. HG 29), aber glei<strong>ch</strong>wohl wird<br />

bereits die Fähigkeit zur Reproduktion betont und Verben der Tätigkeit sind vorherrs<strong>ch</strong>end.<br />

Die Reproduktionsfähigkeit ist aus jeder Übersetzung ersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>,<br />

denn die Pflanzen bilden Samen und die Bäume bringen samenhaltige Frü<strong>ch</strong>te<br />

hervor; aber die Verben der Tätigkeit sind mitunter ni<strong>ch</strong>t so offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> (vgl. die<br />

54<br />

»‘es'äb« (Pflanzen) ist na<strong>ch</strong> Swedenborg ni<strong>ch</strong>t mit davorstehenden »däs<strong>ch</strong>ä’« (zartes Grün) zu<br />

verbinden (HG 29).<br />

55<br />

»‘ez'« bedeutet »Baum« und »Holz« (Lorber: »Bäume und Gesträu<strong>ch</strong>e«; GEJ I,159,2). Swedenborg<br />

ents<strong>ch</strong>ied si<strong>ch</strong> gegen S<strong>ch</strong>midt, der »lignum« (Holz) hatte, für »arbor« (Baum).<br />

56<br />

»‘s'h« (ma<strong>ch</strong>en). Der produktive Aspekt wird betont. Daher ist die Übersetzung »Frü<strong>ch</strong>te tragen«<br />

abzulehnen.<br />

57<br />

Na<strong>ch</strong> Lorber bezieht si<strong>ch</strong> diese Formel sowohl auf das Gehölz (»Bäume und Gesträu<strong>ch</strong>e aller<br />

Art«), als au<strong>ch</strong> auf die Fru<strong>ch</strong>t (»Fru<strong>ch</strong>t trage na<strong>ch</strong> seiner Art«).


Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 41<br />

Zür<strong>ch</strong>er Bibel 58 ), weswegen darauf hinzuweisen ist, dass die Erde Sprosse hervorsprossen<br />

lässt, die Pflanzen Samen bilden und die Fru<strong>ch</strong>tbäume Frü<strong>ch</strong>te ma<strong>ch</strong>en<br />

(im Hebräis<strong>ch</strong>en steht tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> »ma<strong>ch</strong>en«). Diesem Tätigkeits<strong>ch</strong>arakter entspre<strong>ch</strong>end<br />

dominieren in Swedenborgs lateinis<strong>ch</strong>er Übersetzung Formen, in denen<br />

facere (ma<strong>ch</strong>en) vorkommt. 59 Das heißt also: Die Werke sind zwar no<strong>ch</strong> unbeseelt,<br />

aber glei<strong>ch</strong>wohl ist in ihnen der Tatendrang spürbar, denn am dritten Tag verwendet<br />

der Mens<strong>ch</strong> allen Eifer darauf, sein Leben zu bessern.<br />

Allerdings meint er anfangs, »das Gute, das er tut, sei aus ihm selbst, und ebenso<br />

das Wahre, das er spri<strong>ch</strong>t« (HG 29). Deswegen sind seine Werke no<strong>ch</strong> unbeseelt<br />

oder unbelebt, denn der Herr, der das Leben selbst ist, wird dur<strong>ch</strong> diese Irrmeinung<br />

no<strong>ch</strong> zurückgehalten. Dem entspri<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> die folgende Beoba<strong>ch</strong>tung: In der<br />

Regel hat der Tatberi<strong>ch</strong>t, der si<strong>ch</strong>, wie wir gesehen haben, dem Wortberi<strong>ch</strong>t ans<strong>ch</strong>ließt,<br />

Gott als Subjekt; wir lesen also: »Und Gott ma<strong>ch</strong>te oder s<strong>ch</strong>uf«. Nur am<br />

dritten Tag ist Gott ni<strong>ch</strong>t das Subjekt des Handelns. Die Erde (der äußere Mens<strong>ch</strong>)<br />

führt das aus, was Gott zuvor gespro<strong>ch</strong>en hat: »Die Erde bra<strong>ch</strong>te hervor usw.«. Der<br />

äußere Mens<strong>ch</strong> verdeckt also no<strong>ch</strong> das göttli<strong>ch</strong>e Wirken. Wenn man ferner die<br />

Lesart der Septuaginta für die ursprüngli<strong>ch</strong>ere hält, dann tau<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> beim ersten<br />

Werk des dritten Tages, der Sammlung der Wasser, Gott als Subjekt ni<strong>ch</strong>t auf, was<br />

das bisher Gesagte nur no<strong>ch</strong> einmal unterstrei<strong>ch</strong>t: Das Eigene ist no<strong>ch</strong> vorherrs<strong>ch</strong>end;<br />

der Mens<strong>ch</strong> unterliegt no<strong>ch</strong> dem Wahn, das Gute und Wahre aus<br />

eigener Kraft verwirkli<strong>ch</strong>en zu können.<br />

Au<strong>ch</strong> die Interpretation bei Lorber sieht im Pflanzenwu<strong>ch</strong>s des dritten Tages den<br />

Mens<strong>ch</strong>en, der »Hand ans Werk« legt: »Wenn sona<strong>ch</strong> die Erkenntnisse des Mens<strong>ch</strong>en<br />

[Meer] die Liebe [Erdrei<strong>ch</strong>] von allen Seiten umgeben und von der Liebesfeuerflamme,<br />

der sie stets mehr und mehr Nahrung geben, heller und heller erleu<strong>ch</strong>tet<br />

und erwärmt werden, so wird der Mens<strong>ch</strong> in allem au<strong>ch</strong> in glei<strong>ch</strong>em Maße<br />

tatkräftiger und tatfähiger.« (GEJ I,159,1). Der Tatendrang entsteht also als<br />

Folge der we<strong>ch</strong>selseitigen Beeinflussung der Liebe dur<strong>ch</strong> die Erkenntnisse und<br />

der Erkenntnisse dur<strong>ch</strong> die Liebe. Daher kann der göttli<strong>ch</strong>e Geist nun das S<strong>ch</strong>öpfungswort<br />

des vierten Werkes spre<strong>ch</strong>en. »Na<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>em Gebote von Gott im Herzen<br />

bekommt dann der Mens<strong>ch</strong> einen festen Willen, Kraft und Mut und legt nun<br />

Hand ans Werk. Und sehet! Seine re<strong>ch</strong>ten Erkenntnisse erheben si<strong>ch</strong> als regens<strong>ch</strong>wangere<br />

Wolken über das geordnete Meer, und ziehen über die trockene Erde,<br />

befeu<strong>ch</strong>ten und befru<strong>ch</strong>ten sie. Und die Erde fängt dann an zu grünen, bringt allerlei<br />

Gras und Kraut mit Samen und allerlei Fru<strong>ch</strong>tbäume und Gesträu<strong>ch</strong>e mit<br />

Samen zum Vors<strong>ch</strong>eine, d.h.: was nun der re<strong>ch</strong>te, mit himmlis<strong>ch</strong>er Weisheit<br />

dur<strong>ch</strong>leu<strong>ch</strong>tete Verstand als vollends gut und wahr erkennt, das will und begehrt<br />

dann soglei<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> die Liebe im Herzen des Mens<strong>ch</strong>en.« (GEJ I,159,3f.). Ganz im<br />

58<br />

Zür<strong>ch</strong>er Bibel: »Und Gott spra<strong>ch</strong>: Die Erde lasse sprossen junges Grün: Kraut, das Samen<br />

trägt, und Fru<strong>ch</strong>tbäume, die na<strong>ch</strong> ihrer Art Frü<strong>ch</strong>te tragen …«. Hier herrs<strong>ch</strong>t »tragen« vor.<br />

59<br />

Swedenborgs Übersetzung: »Et dixit Deus, Progerminare faciat terra herbam teneram, herbam<br />

seminificantem semen, arborem fructus facientem fructum …«


42 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Sinne der Interpretation Swedenborgs geht au<strong>ch</strong> hier der Impuls vom Verstand<br />

zum Willen; das entspri<strong>ch</strong>t der Ordnung des geistigen Mens<strong>ch</strong>en. Besondere Erwähnung<br />

verdient die Deutung des »Trockenen« (»die trockene Erde«; GEJ<br />

I,159,4); demna<strong>ch</strong> ist damit au<strong>ch</strong> gemeint, dass die Erde vom Wasser (Regen) der<br />

»re<strong>ch</strong>ten Erkenntnisse« no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t befeu<strong>ch</strong>tet und befru<strong>ch</strong>tet worden ist.<br />

3.3.4. Der vierte Tag<br />

Die Verse 14 bis 19: 14. 60 Und Gott spra<strong>ch</strong>: »Es seien 61 Li<strong>ch</strong>ter an der Himmelsfeste,<br />

um den Tag von der Na<strong>ch</strong>t zu s<strong>ch</strong>eiden; die sollen zu Zei<strong>ch</strong>en und zu festgesetzten-Zeiten<br />

62 und zu Tagen und Jahren sein; 15. und sollen zu Li<strong>ch</strong>tern an der<br />

Himmelsfeste sein, um der Erde Li<strong>ch</strong>t zu geben 63 .« Und so ges<strong>ch</strong>ah es: 16. Gott<br />

ma<strong>ch</strong>te die beiden großen Li<strong>ch</strong>ter, das größere Li<strong>ch</strong>t zur Herrs<strong>ch</strong>aft des Tags und<br />

das kleinere Li<strong>ch</strong>t zur Herrs<strong>ch</strong>aft des Na<strong>ch</strong>ts, und die Sterne. 17. Und Gott gab sie<br />

an die Himmelsfeste, um der Erde Li<strong>ch</strong>t zu geben, 18. und um über den Tag und<br />

über die Na<strong>ch</strong>t zu herrs<strong>ch</strong>en, und um das Li<strong>ch</strong>t von der Finsternis zu s<strong>ch</strong>eiden.<br />

Und Gott sah, dass es gut war. 19. Und es war Abend, und es war Morgen, der vierte<br />

Tag.<br />

Na<strong>ch</strong> Swedenborg entspre<strong>ch</strong>en die beiden Li<strong>ch</strong>ter der Liebe und dem Glauben,<br />

wobei man wissen muss, dass der Glaube »seinem Wesen na<strong>ch</strong> die Wahrheit ist,<br />

die ihrerseits der Gegenstand der Weisheit ist« 64 (WCR 385); also entspre<strong>ch</strong>en die<br />

beiden Li<strong>ch</strong>ter der Liebe und Weisheit. Na<strong>ch</strong> Lorber stellen sie jedo<strong>ch</strong> entweder<br />

nur den göttli<strong>ch</strong>en Geist im Herzen oder diesen Geist und seine Seele dar. Bei<br />

Swedenborg lesen wir: »Die Liebe ist ›das große Li<strong>ch</strong>t, das am Tag herrs<strong>ch</strong>t‹; der<br />

Glaube aus der Liebe ist ›das kleine Li<strong>ch</strong>t, das bei Na<strong>ch</strong>t herrs<strong>ch</strong>t‹« (HG 30). Dagegen<br />

heißt es bei Lorber: Der unges<strong>ch</strong>affene ewige Geist Gottes im Mens<strong>ch</strong>enherzen<br />

»ist na<strong>ch</strong> dem Maße seiner Auswirkung das, was Moses unter den zwei großen<br />

Li<strong>ch</strong>tern … versteht« (GEJ I,161,2). Hier wird der eine Geist »na<strong>ch</strong> dem Maße<br />

seiner Auswirkung« unter den zwei Li<strong>ch</strong>tern verstanden. Dazu werde i<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong><br />

etwas sagen; do<strong>ch</strong> zunä<strong>ch</strong>st no<strong>ch</strong> eine weitere Interpretation, die nun die beiden<br />

Li<strong>ch</strong>ter auf den Geist und auf die Seele bezieht: »Das rein Göttli<strong>ch</strong>e, oder der unges<strong>ch</strong>affene<br />

Geist Gottes … ist das große Li<strong>ch</strong>t; die Seele des Mens<strong>ch</strong>en aber, die<br />

dur<strong>ch</strong> das große Li<strong>ch</strong>t denn au<strong>ch</strong> zu einem nahezu glei<strong>ch</strong> großen Li<strong>ch</strong>te umgestal-<br />

60<br />

Lorber: »›Und Gott spra<strong>ch</strong>: Es werden Li<strong>ch</strong>ter an der Feste des Himmels, die da s<strong>ch</strong>eiden Tag<br />

und Na<strong>ch</strong>t und geben Zei<strong>ch</strong>en, Zeiten, Tage und Jahre, und seien zwei Li<strong>ch</strong>ter an der Feste<br />

des Himmels, dass sie s<strong>ch</strong>einen auf Erden! Und es ges<strong>ch</strong>ah also. Und Gott ma<strong>ch</strong>te zwei große<br />

Li<strong>ch</strong>ter, ein großes Li<strong>ch</strong>t, das den Tag regiere, und ein kleines Li<strong>ch</strong>t, das die Na<strong>ch</strong>t regiere,<br />

und dazu au<strong>ch</strong> Sterne. Und Gott setzte sie an die Feste des Himmels, dass sie s<strong>ch</strong>ienen auf die<br />

Erde und den Tag und die Na<strong>ch</strong>t regierten und s<strong>ch</strong>ieden Li<strong>ch</strong>t und Finsternis. Und Gott sah,<br />

dass es gut war. Da ward aus Abend und Morgen der vierte Tag.‹« (GEJ I,160,2).<br />

61<br />

Eigentli<strong>ch</strong> steht hier der Singular »jehi« (es sei); zur Begründung siehe HG 30 und 34.<br />

62<br />

»Mo‘ed« bedeutet Versammlung, Versammlungsplatz und von daher au<strong>ch</strong> Termin (= festgesetze<br />

Zeit).<br />

63<br />

»Leha’ir«, Swedenborg hat »ad lucem dandum« (um Li<strong>ch</strong>t zu geben).<br />

64<br />

Wörtli<strong>ch</strong>: »Fides in sua essentia est Veritas quae sapientiae« (WCR 385).


Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 43<br />

tet wird, ist das zweite, kleinere Li<strong>ch</strong>t« (GEJ I,161,6). Das sind insgesamt drei vers<strong>ch</strong>iedene<br />

Interpretationen, eine bei Swedenborg, zwei bei Lorber; folgli<strong>ch</strong> stellt<br />

si<strong>ch</strong> die Frage: Wie hängen sie zusammen? Die Antwort ergibt si<strong>ch</strong> aus dem Verständnis<br />

von Geist und Seele bei Lorber: Der Geist, so erfahren wir, »ist das Li<strong>ch</strong>t,<br />

wel<strong>ch</strong>es aus seiner eigenen Wärme si<strong>ch</strong> von Ewigkeiten zu Ewigkeiten erzeugt,<br />

und ist glei<strong>ch</strong> der Wärme die Liebe und glei<strong>ch</strong> dem Li<strong>ch</strong>te die Weisheit.« (EM 52).<br />

Oder eine andere, inhaltli<strong>ch</strong> aber identis<strong>ch</strong>e Formulierung: »Der reine Geist ist ein<br />

Gedanke Gottes, hervorgehend aus Seiner Liebe und Weisheit, und wird zum<br />

wahren Sein dur<strong>ch</strong> den Willen Gottes.« (GEJ VII,66,6). Der Geist ist die Selbsterfassung<br />

der Liebe und Weisheit. Diese Erkenntnis bildet die Brücke zu Swedenborg,<br />

denn demna<strong>ch</strong> ist offenbar der Geist dasselbe, was uns von Swedenborg her<br />

als das göttli<strong>ch</strong>e Ges<strong>ch</strong>wisterpaar der Liebe und Weisheit vertraut ist. Wir sehen<br />

also, wie man vom Begriffssystem der einen Offenbarung in das der anderen<br />

kommt. Ferner sehen wir, warum der eine Geist »na<strong>ch</strong> dem Maße seiner Auswirkung«<br />

dur<strong>ch</strong> zwei Li<strong>ch</strong>ter dargestellt wird: er ma<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> nämli<strong>ch</strong> in der Seele als<br />

Liebe und Weisheit oder Wärme und Li<strong>ch</strong>t (Erleu<strong>ch</strong>tung) bemerkbar. Nun heißt es<br />

aber au<strong>ch</strong>, dass die zwei Li<strong>ch</strong>ter ni<strong>ch</strong>t nur der eine Geist, sondern der Geist und<br />

die Seele sind. Au<strong>ch</strong> das ist lei<strong>ch</strong>t erklärbar, wenn man weiß, was die Seele und<br />

der Geist, nun aber im Verhältnis zur Seele, sind: »Die Seele des Mens<strong>ch</strong>en ist<br />

eine rein ätheris<strong>ch</strong>e Substanz, also … aus sehr vielen Li<strong>ch</strong>tatomen<br />

… zusammengesetzt, und der reine Geist ist … der von Gott ausgehende Wille, der<br />

da das Feuer der reinsten Liebe in Gott ist.« (GEJ VII,66,5). Die Seele ist als Li<strong>ch</strong>tstruktur<br />

eine Form der Weisheit; und der Geist ist ihr gegenüber die Lebenswärme<br />

der Liebe. Dass die Seele Li<strong>ch</strong>tstruktur ist, ergibt si<strong>ch</strong> aus dem Blickwinkel der<br />

Lorberoffenbarung au<strong>ch</strong> daraus, dass sie »ein aus der Materie si<strong>ch</strong> entwickelnder<br />

Geist« ist (GEJ V,51,3), die Materie ihrerseits aber die geri<strong>ch</strong>tete Ers<strong>ch</strong>einungsform<br />

jenes großen Li<strong>ch</strong>tgeistes ist, der Luzifer (= Li<strong>ch</strong>tträger) heißt. Wenn also<br />

Swedenborg von Weisheit spri<strong>ch</strong>t, dann kann damit bei Lorber die Seele oder au<strong>ch</strong><br />

der Geist gemeint sein; die Liebe hingegen als das Feuer des Lebens ist der Seele<br />

vorerst no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t eigen und daher allein auf den göttli<strong>ch</strong>en Geistfunken zu beziehen.<br />

Folgli<strong>ch</strong> ist der Geist das große Li<strong>ch</strong>t, das den wahren Lebenstag der Seele<br />

beherrs<strong>ch</strong>t, während die Seele selbst das kleine Li<strong>ch</strong>t ist. Do<strong>ch</strong> Liebe und Weisheit,<br />

Geist und Seele vers<strong>ch</strong>melzen bei der Wiedergeburt zu einer Einheit; deswegen<br />

- darauf hat Swedenborg hingewiesen - heißt es im Hebräis<strong>ch</strong>en: »Es sei Li<strong>ch</strong>ter<br />

usw.», das heißt der Plural »Li<strong>ch</strong>ter« ist mit einem Singular von »sein« verbunden,<br />

weil eben die beiden Li<strong>ch</strong>ter zu einem vers<strong>ch</strong>melzen sollen (vgl. HG 30 und<br />

34). Erst die Einheit der beiden Li<strong>ch</strong>ter ist die Erfahrung des Göttli<strong>ch</strong>en. Die »Sterne«<br />

sind na<strong>ch</strong> Swedenborg »die Erkenntnisse des Glaubens« (HG 32) oder na<strong>ch</strong><br />

Lorber »die zahllosen nützli<strong>ch</strong>en Erkenntnisse in allen einzelnen Dingen« (GEJ<br />

I,161,8).<br />

Die »Ausbreitung der Himmel« interpretiert Swedenborg als den inneren Mens<strong>ch</strong>en<br />

(HG 30). Bei Lorber ist das hebräis<strong>ch</strong>e Wort, wie wir s<strong>ch</strong>on gesehen haben,<br />

mit »Feste« wiedergegeben und bezei<strong>ch</strong>net den festen Willen Gottes und dann


44 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

au<strong>ch</strong> der Seele: »… es gibt nur eine Feste im endlosen und freiesten Raume, und<br />

diese ist der Wille Gottes« (GEJ I,160,9). »Die Feste … ist der aus dem re<strong>ch</strong>ten Verständnisse<br />

und aus der Liebe, wel<strong>ch</strong>e ist das gesegnete Erdrei<strong>ch</strong> des Lebens, hervorgehende<br />

feste Wille na<strong>ch</strong> der göttli<strong>ch</strong>en Ordnung.« (GEJ I,160,12). Da nun der<br />

feste Wille die Gottesgeburt ermögli<strong>ch</strong>t, heißt es, dass die Li<strong>ch</strong>ter an die Himmelsfeste<br />

gesetzt wurden.<br />

Swedenborg s<strong>ch</strong>reibt: Die beiden Li<strong>ch</strong>ter »ers<strong>ch</strong>einen im Willen und im Verstand<br />

nur, wie das Sonnenli<strong>ch</strong>t an den Gegenständen« (HG 30). Au<strong>ch</strong> das stimmt mit<br />

Aussagen bei Lorber überein, denn der göttli<strong>ch</strong>e Geist gibt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t unmittelbar<br />

zu erkennen, sondern nur »na<strong>ch</strong> dem Maße seiner Auswirkung«, weswegen wir<br />

über den Geist folgendes erfahren: »Der Geist ist demna<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong> dem Li<strong>ch</strong>te, wel<strong>ch</strong>es<br />

in si<strong>ch</strong> selbst zwar ewig Li<strong>ch</strong>t bleibt, aber als Li<strong>ch</strong>t so lange ni<strong>ch</strong>t bemerkbar<br />

auftreten kann, solange es keine Gegenstände gibt, die es erleu<strong>ch</strong>tete. Das Li<strong>ch</strong>t<br />

geht, wie ihr z.B. au<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on bei der Sonne seht, fortwährend glei<strong>ch</strong>mäßig von ihr<br />

aus; aber ohne Gegenstand kann kein Auge sein Dasein merken. Eine mondlose<br />

Na<strong>ch</strong>t hat ebensoviel von der Sonne ausgehendes Li<strong>ch</strong>t als eine mondhelle; aber<br />

im ersten Falle hat das Li<strong>ch</strong>t keinen Gegenstand droben im hohen Aether, und<br />

darum merkt es niemand, dass es vorhanden ist. Steht aber der Mond als ein tü<strong>ch</strong>tiger<br />

Körper zur Na<strong>ch</strong>tzeit im hohen Aether, da wird das ausgehende Sonnenli<strong>ch</strong>t<br />

glei<strong>ch</strong> sehr gewaltig wahrgenommen, und jedermann, der nur einigermaßen mit<br />

der Sternkunde vertraut ist, wird es lei<strong>ch</strong>t merken, wie und woher der Mond von<br />

der Sonne bes<strong>ch</strong>ienen wird.« (EM 52). Der Geist wird also nur dur<strong>ch</strong> die Gegenstände<br />

offenbar, die si<strong>ch</strong> die Seele angeeignet hat, weswegen diese Gegenstände<br />

au<strong>ch</strong> »Gefäße« (HG 880) heißen.<br />

Die Li<strong>ch</strong>ter sollen »zu Zei<strong>ch</strong>en und zu festgesetzten Zeiten und zu Tagen und Jahren<br />

sein« (Gen 1,14). Swedenborg sieht darin »die We<strong>ch</strong>sel des Geistigen [Mond]<br />

und des Himmlis<strong>ch</strong>en [Sonne]« (HG 37). Was gemeint ist, verdeutli<strong>ch</strong>t er, indem<br />

er ausführt: »Der Mens<strong>ch</strong> empfängt dur<strong>ch</strong> die Wiedergeburt vom Herrn das wahre<br />

Leben; und weil er vorher kein Leben hatte, we<strong>ch</strong>seln si<strong>ch</strong> nun dieses Ni<strong>ch</strong>tleben<br />

und jenes wahre Leben ab« (HG 933). »Die Verfassung des Mens<strong>ch</strong>en (conditio<br />

hominis) ist so, dass bei ihm Himmlis<strong>ch</strong>es und Geistiges ni<strong>ch</strong>t mit seinem Körperli<strong>ch</strong>en<br />

und Weltli<strong>ch</strong>en zusammensein kann, sondern We<strong>ch</strong>sel stattfinden.« (HG<br />

933). Die Conditio humana, die mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Daseinsbedingung, die hier angespro<strong>ch</strong>en<br />

wird, ist dadur<strong>ch</strong> gekennzei<strong>ch</strong>net, dass si<strong>ch</strong> im Mens<strong>ch</strong>en Himmel und<br />

Hölle begegnen und folgli<strong>ch</strong>, da sie ni<strong>ch</strong>t glei<strong>ch</strong>zeitig herrs<strong>ch</strong>en können, die<br />

We<strong>ch</strong>selfälle des seelis<strong>ch</strong>en Erlebens verursa<strong>ch</strong>en. Das sind die »Zei<strong>ch</strong>en« (Ers<strong>ch</strong>einungsformen),<br />

die »festgesetzten Zeiten« (unverrückbaren Zustände) und die<br />

»Tage« und »Jahre« (die si<strong>ch</strong> regelmäßig wiederholenden Zustände).<br />

Swedenborg sagt ferner: »Ein Leben ohne We<strong>ch</strong>sel und Mannigfaltigkeiten wäre<br />

eintönig und somit kein Leben, au<strong>ch</strong> würde man das Gute und Wahre weder erkennen,<br />

no<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>eiden, ges<strong>ch</strong>weige denn innewerden.« (HG 37). Hier wird<br />

der ständige, die Vielfalt der Ers<strong>ch</strong>einungsformen produzierende We<strong>ch</strong>sel zur


Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 45<br />

Voraussetzung jegli<strong>ch</strong>er Erkenntnis; We<strong>ch</strong>sel und Erkenntnis hängen also irgendwie<br />

zusammen. Die absolute Weisheit, die unerkennbar ist, wird unserem<br />

Auge nur insoweit si<strong>ch</strong>tbar, als sie si<strong>ch</strong> in ein buntes Formenmeer auflöst. Do<strong>ch</strong><br />

diese »S<strong>ch</strong>einbarkeiten des Wahren« (HG 3207), so der swedenborgs<strong>ch</strong>e Terminus,<br />

sind nie etwas Endgültiges, sondern immer nur etwas Vorläufiges, eine Annäherung<br />

an das absolute Wahre; und deswegen sind diese S<strong>ch</strong>einbarkeiten eben<br />

au<strong>ch</strong> der ständige We<strong>ch</strong>sel, der die Wahrheit für uns erkennbar ma<strong>ch</strong>t. Daher<br />

bedeutet die Bestimmung der Zei<strong>ch</strong>en: »in aller Weisheit den Grund aller Ers<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit<br />

und aller ges<strong>ch</strong>affenen Dinge« (GEJ I,161,7) bestimmen, denn die<br />

beiden Li<strong>ch</strong>ter befähigen uns, die Ers<strong>ch</strong>einungen verstehend zu dur<strong>ch</strong>dringen.<br />

Und die Bestimmung der Zeiten, Tage und Jahre bedeutet »in allen Ers<strong>ch</strong>einungen<br />

erkennen die göttli<strong>ch</strong>e Weisheit, Liebe und Gnade« (GEJ I,161,7). Was hier, bei<br />

Lorber, »Ers<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit« und »Ers<strong>ch</strong>einungen« heißt, das sind bei Swedenborg<br />

»die S<strong>ch</strong>einbarkeiten des Wahren«. Sie we<strong>ch</strong>seln ständig; jede endgültige Begründung<br />

in ihnen wäre ein Verharren des Geistes im Vorläufigen; und denno<strong>ch</strong> müssen<br />

wir die momentane Gestalt dieser Ers<strong>ch</strong>einungsformen des Wahren festhalten,<br />

weil wir sonst in das finstere Ni<strong>ch</strong>ts, das keinen Namen hat, abstürzen würden.<br />

Zusammenfassend ist zu sagen, dass der vierte Tag oder Zustand die Erfahrung<br />

des Göttli<strong>ch</strong>en in der Seele ist, weswegen die beiden folgenden Tage die Seelenwelt<br />

mit Lebensformen aller Art erfüllen werden.<br />

3.3.5. Der fünfte Tag<br />

Die Verse 20 bis 23: 20. Und Gott spra<strong>ch</strong>: »Die Wasser sollen Gewimmel 65 hervorkrie<strong>ch</strong>en<br />

lassen 66 , lebendige Seele(n); und Vögel sollen über der Erde, über den<br />

Angesi<strong>ch</strong>ten der Himmelsfeste fliegen.« [Und so ges<strong>ch</strong>ah es:] 21. Gott s<strong>ch</strong>uf die<br />

großen Seeungeheuer und jede lebende, si<strong>ch</strong> regende 67 Seele, die die Wasser hervorkrie<strong>ch</strong>en<br />

lassen, na<strong>ch</strong> ihrer Art, und jeden geflügelten Vogel na<strong>ch</strong> seiner Art.<br />

Und Gott sah, dass es gut war. 22. Und Gott segnete sie, indem er spra<strong>ch</strong>: »Seid<br />

fru<strong>ch</strong>tbar und mehret eu<strong>ch</strong> und füllet die Wasser in den Meeren, und der Vogel<br />

mehre si<strong>ch</strong> auf der Erde.« 23. Und es war Abend, und es war Morgen, der fünfte<br />

Tag.<br />

Am fünften Tag werden die Wasser- und Lufttiere ges<strong>ch</strong>affen, am se<strong>ch</strong>sten Tag die<br />

Landtiere und der Mens<strong>ch</strong>. Erst jetzt, na<strong>ch</strong>dem die Li<strong>ch</strong>ter an die Himmelsfeste<br />

65<br />

»S<strong>ch</strong>äräz'«, Swedenborg hat »reptile« (Krie<strong>ch</strong>tier); HG 40 zufolge denkt Swedenborg hierbei an<br />

Fis<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>wärme. Das hebräis<strong>ch</strong>e Wort »s<strong>ch</strong>äräz'« vereinigt in si<strong>ch</strong> die Vorstellungen des Zahlrei<strong>ch</strong>en<br />

und des Krie<strong>ch</strong>ens; in etwa verglei<strong>ch</strong>bar unserem Gewürm. In der Entspre<strong>ch</strong>ung sind<br />

die vielen kleinen Wissensdinge, Fakten oder Informationen gemeint, die si<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong> kaum<br />

über die erdgebundene Sinneswahrnehmung erheben können. I<strong>ch</strong> habe versu<strong>ch</strong>t, diesen<br />

Doppelaspekt mit der Übersetzung »Gewimmel hervorkrie<strong>ch</strong>en lassen« wiederzugeben.<br />

66<br />

»Jis<strong>ch</strong>rez'u«, Swedenborg hat »prorepere faciant« (sie sollen hervorkrie<strong>ch</strong>en lassen).<br />

67<br />

»Rms<strong>ch</strong>«, Swedenborg hat »reptare« (krie<strong>ch</strong>en). Dieser Vers verbindet »die lebende Seele« mit<br />

»rms<strong>ch</strong>« (Swedenborg: reptare) und »s<strong>ch</strong>rz'« (Swedenborg: prorepere facere).


46 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

gesetzt worden sind, ist in vers<strong>ch</strong>iedenen Formen vom Leben die Rede; erstens in<br />

Form der »lebendigen Seele« (in den Versen 20, 21, 24 und 30), zweitens in Form<br />

des »Wildlebenden der Erde« (in den Versen 24, 25 und 30) und drittens in Form<br />

des »Lebendigen, das auf der Erde krie<strong>ch</strong>t« (Vers 28). Der vierte Tag bra<strong>ch</strong>te die<br />

Erfahrung des Göttli<strong>ch</strong>en; folgli<strong>ch</strong> kann nun, am fünften und se<strong>ch</strong>sten Tag, die<br />

Seele, die diese Erfahrung gema<strong>ch</strong>t hat, lebendig werden. Daher lesen wir bei<br />

Swedenborg: »Na<strong>ch</strong>dem die großen Li<strong>ch</strong>ter angezündet und in den inneren Mens<strong>ch</strong>en<br />

[Ausbreitung] gesetzt sind, und der äußere von daher Li<strong>ch</strong>t empfängt, beginnt<br />

er nun erstmals zu leben. Vorher konnte vom Leben kaum die Rede sein,<br />

denn er meinte, das Gute, das er getan hat, habe er aus si<strong>ch</strong> getan, und das Wahre,<br />

das er gespro<strong>ch</strong>en hat, habe er aus si<strong>ch</strong> gespro<strong>ch</strong>en. Do<strong>ch</strong> da der Mens<strong>ch</strong> von<br />

si<strong>ch</strong> aus tot ist und in ihm ni<strong>ch</strong>ts als Böses und Fals<strong>ch</strong>es ist, daher ist alles, was er<br />

von si<strong>ch</strong> aus hervorbringt, ni<strong>ch</strong>t lebendig, so dass er no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t einmal Gutes, das<br />

in si<strong>ch</strong> gut ist, aus si<strong>ch</strong> heraus tun kann.« (HG 39). Und bei Lorber heißt es, »dass<br />

die na<strong>ch</strong>trägli<strong>ch</strong>e Ers<strong>ch</strong>affung der gesamten Tierwelt und endli<strong>ch</strong> des Mens<strong>ch</strong>en<br />

selbst ni<strong>ch</strong>ts anderes bezei<strong>ch</strong>net als die volle Lebendigwerdung und si<strong>ch</strong>ere Realisierung<br />

alles dessen, was der Mens<strong>ch</strong> in seinem naturmäßigen Teile in si<strong>ch</strong> fasst.«<br />

(GEJ I,162,1).<br />

Oben habe i<strong>ch</strong> die drei Formulierungen erwähnt, in denen vom Leben gespro<strong>ch</strong>en<br />

wird; dazu sind die folgenden Erläuterungen notwendig. Die »lebende Seele« bezei<strong>ch</strong>net<br />

»das Leben im allgemeinen« (OE 750), das heißt in seiner, au<strong>ch</strong> die Körperli<strong>ch</strong>keit<br />

umfassenden Gesamtheit. Aus der Beoba<strong>ch</strong>tung, dass die Tiere »lebendige<br />

Seele«, ni<strong>ch</strong>t »lebendiger Körper«, genannt werden, s<strong>ch</strong>ließt Swedenborg,<br />

dass »Seele« (näfäs<strong>ch</strong>) im Hebräis<strong>ch</strong>en das Leben in seinem Gesamtumfang meint,<br />

also das Leben des Geistes und des Körpers, oder anders formuliert: »Seele« im<br />

Hebräis<strong>ch</strong>en bezei<strong>ch</strong>net »das Leben des Mens<strong>ch</strong>en, das dur<strong>ch</strong>aus ni<strong>ch</strong>t getrennt<br />

vom Körper, sondern nur im Körper bestehen kann, denn der Körper ist die äußere<br />

Form des Lebens, das Seele genannt wird« (OE 750). Bei »Seele« ist also im Hebräis<strong>ch</strong>en,<br />

im Unters<strong>ch</strong>ied zu unserer Spra<strong>ch</strong>gewohnheit, immer au<strong>ch</strong> die Körperli<strong>ch</strong>keit<br />

des Lebens mitzuhören; eine Körperli<strong>ch</strong>keit, die si<strong>ch</strong> freili<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> auf<br />

geistigen Seinsebenen realisieren kann. Alles, was vom Herrn ausgeht und dur<strong>ch</strong><br />

Engelsgeister gedankli<strong>ch</strong> realisiert wird, heißt »lebendige Seele« und hat eine<br />

»körperli<strong>ch</strong>e Gestalt« (speciem corporis); sie wird im S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t »dur<strong>ch</strong><br />

›das si<strong>ch</strong> Regende‹ (Vers 24) bzw. ›Krie<strong>ch</strong>ende‹ (Verse 21, 25, 26, 28 und 30) bezei<strong>ch</strong>net«<br />

(HG 41) 68 . »Das si<strong>ch</strong> Regende« und »das Krie<strong>ch</strong>ende«, diese beiden Wörter<br />

werden im Hebräis<strong>ch</strong>en dur<strong>ch</strong> dasselbe Wort, nämli<strong>ch</strong> »ramas'« ausgedrückt.<br />

Es hat die in Swedenborgs Übersetzung anklingende doppelte Bedeutung von<br />

»si<strong>ch</strong> regen« (oder: si<strong>ch</strong> bewegen, wimmeln) und »krie<strong>ch</strong>en», womit die Erdgebundenheit<br />

oder Körperli<strong>ch</strong>keit (»krie<strong>ch</strong>en«) der si<strong>ch</strong> regenden und bewegenden<br />

Wesen gemeint ist. Das s<strong>ch</strong>eint der tiefere Grund zu sein, warum im S<strong>ch</strong>öpfungs-<br />

68<br />

Au<strong>ch</strong> in HG 994 bringt Swedenborg das si<strong>ch</strong> regende Krie<strong>ch</strong>getier mit der Leibli<strong>ch</strong>keit in<br />

Verbindung.


Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 47<br />

beri<strong>ch</strong>t so viel von Krie<strong>ch</strong>tieren die Rede ist; sie sollen die Leibgebundenheit alles<br />

Lebens unterstrei<strong>ch</strong>en.<br />

Die körperli<strong>ch</strong>en Gefühle werden »das Wildlebende der Erde« genannt. »Chajja«<br />

bedeutet sowohl »Wild« als au<strong>ch</strong> »Leben«. Von beiden Bedeutungen ma<strong>ch</strong>t Swedenborg<br />

in seiner Übersetzung Gebrau<strong>ch</strong> (»Wild« in den Versen 24, 25 und 30;<br />

»Lebendiges« in Vers 28); außerdem erläutert er, wie sie zusammenhängen: »Das<br />

Wort ›Wild‹ (<strong>ch</strong>ajja) bedeutet in der Originalspra<strong>ch</strong>e eigentli<strong>ch</strong> Leben oder das<br />

Lebendige; aber im Worte (Gottes) ni<strong>ch</strong>t nur das Lebendige, sondern au<strong>ch</strong> das<br />

glei<strong>ch</strong>sam ni<strong>ch</strong>t Lebendige oder das Wild. Deswegen kann derjenige, der den inneren<br />

Sinn ni<strong>ch</strong>t kennt, man<strong>ch</strong>mal ni<strong>ch</strong>t wissen, was gemeint ist. Der Grund der<br />

zweifa<strong>ch</strong>en Bedeutung liegt darin, dass der Mens<strong>ch</strong> der ältesten Kir<strong>ch</strong>e in der<br />

Selbsterniedrigung vor dem Herrn anerkannte, dass er ni<strong>ch</strong>t lebendig, ja ni<strong>ch</strong>t<br />

einmal ein Tier, sondern ein Wild sei, denn man wusste, dass der Mens<strong>ch</strong> an si<strong>ch</strong><br />

oder in seinem Eigenen betra<strong>ch</strong>tet so bes<strong>ch</strong>affen ist. Daher bedeutet dasselbe<br />

Wort das Lebendige und das Wild.« (HG 908) 69 . Das »Wildlebende der Erde« bezei<strong>ch</strong>net<br />

daher das instinktive, triebhafte Leben des äußeren Mens<strong>ch</strong>en, weswegen<br />

das »Wild« im S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t immer mit »Erde« verbunden ist. In Vers 28<br />

hingegen ist ni<strong>ch</strong>t »das Wild, das auf der Erde krie<strong>ch</strong>t«, sondern »das Lebendige,<br />

das auf der Erde krie<strong>ch</strong>t« gemeint; do<strong>ch</strong> da beide Bedeutungen dur<strong>ch</strong> dasselbe<br />

Wort abgedeckt werden, ist nur vom inneren Sinn her ents<strong>ch</strong>eidbar, wel<strong>ch</strong>e gemeint<br />

ist.<br />

Nun zu den Wassertieren und den Vögeln. Swedenborg s<strong>ch</strong>reibt: »Dur<strong>ch</strong> ›das<br />

Krie<strong>ch</strong>gewimmel (reptilia), das die Wasser hervorbringen‹ [= die Fis<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>wärme]<br />

werden die Wissensdinge des äußeren Mens<strong>ch</strong>en bezei<strong>ch</strong>net; dur<strong>ch</strong> ›die Vögel‹ im<br />

allgemeinen das Vernünftige, ferner das dem inneren Mens<strong>ch</strong>en eigene Verständige.«<br />

(HG 40). Das hebräis<strong>ch</strong>e »s<strong>ch</strong>äräz'«, hier »reptilia« (Krie<strong>ch</strong>gewimmel), vereinigt<br />

in si<strong>ch</strong> die Vorstellungen des Zahlrei<strong>ch</strong>en (des Gewimmels) und des Krie<strong>ch</strong>ens;<br />

daher ist es bestens geeignet, die zahlrei<strong>ch</strong>en Wissensdinge (Fakten) zu<br />

bezei<strong>ch</strong>nen, die si<strong>ch</strong> kaum über den Boden der Sinneswahrnehmung erheben können,<br />

also krie<strong>ch</strong>en. Denno<strong>ch</strong> ist nun, na<strong>ch</strong> den Ereignissen des vierten Tages,<br />

sogar das äußere Wissen belebt, weswegen das Gewimmel oder Gewürm nun ausdrückli<strong>ch</strong><br />

als »lebendige Seele« qualifiziert wird: »Die Wasser sollen Krie<strong>ch</strong>gewimmel<br />

hervorwimmeln lassen, lebendige Seele«.<br />

Von den Vögeln heißt es, dass sie »über der Erde, über den Gesi<strong>ch</strong>ten der Himmelsfeste«<br />

fliegen sollen. Daher sieht Swedenborg in ihnen das Sinnbild des Vernünftigen,<br />

das in Beziehung zur Erde (zum äußeren Mens<strong>ch</strong>en) steht, und des<br />

Verständigen, das in Beziehung zum Himmel (zum inneren Mens<strong>ch</strong>en) steht. Der<br />

Erdbezug des Vernünftigen geht aus vers<strong>ch</strong>iedenen Äußerungen Swedenborgs<br />

eindeutig hervor: »Dreierlei bildet den äußeren Mens<strong>ch</strong>en: das Vernünftige, das<br />

Wissen und das äußere Sinnli<strong>ch</strong>e. Das Vernünftige ist innerli<strong>ch</strong>er, das Wissen<br />

69<br />

Sehr ausführli<strong>ch</strong>e Aufs<strong>ch</strong>lüsse gibt Swedenborg in OE 388.


48 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

äußerli<strong>ch</strong>er, und das Sinnli<strong>ch</strong>e ist am äußerli<strong>ch</strong>sten.« (HG 1589). Da jedo<strong>ch</strong> das<br />

Vernünftige die innerste und hö<strong>ch</strong>ste Erkenntnisstufe des äußeren Mens<strong>ch</strong>en ist,<br />

ist es au<strong>ch</strong> das Bindeglied zwis<strong>ch</strong>en dem inneren und äußeren Mens<strong>ch</strong>en: »Das<br />

Vernünftige ist es, dur<strong>ch</strong> das der innere Mens<strong>ch</strong> mit dem äußeren verbunden<br />

wird.« (HG 1589). Dass dagegen das Verständige dem inneren Mens<strong>ch</strong>en und<br />

somit dem Himmel angehört, wird s<strong>ch</strong>on in der oben zitierten Auslegung in HG<br />

40 ausdrückli<strong>ch</strong> gesagt. Bei Lorber, wo nur die Meerestiere zu Spra<strong>ch</strong>e kommen,<br />

bezei<strong>ch</strong>nen diese »die zahllose und endlos mannigfa<strong>ch</strong>e Fülle der s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong>en<br />

Ideen und Formen«: »Sein Meer und all sein Gewässer wird voll Lebens, und der<br />

Mens<strong>ch</strong> erkennt und ers<strong>ch</strong>aut in seinem nun rein göttli<strong>ch</strong>en, unges<strong>ch</strong>affenen<br />

Li<strong>ch</strong>te die zahllose und endlos mannigfa<strong>ch</strong>e Fülle der s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong>en Ideen und<br />

Formen und wird auf diese Art seiner rein göttli<strong>ch</strong>en Abkunft inne.« (GEJ I,162,2).<br />

Zusammenfassend ist also zu sagen, dass die Fis<strong>ch</strong>e (Wasser) und die Vögel (Erde<br />

und Himmel) das gesamte Erkenntnisspektrum abdecken. Am se<strong>ch</strong>sten Tag wird<br />

der Wille mit dem Leben von Gott erfüllt; am fünften Tag hingegen ist es der<br />

Verstand in all seinen S<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten.<br />

Der Tatberi<strong>ch</strong>t, der - wie gesagt - die Verwirkli<strong>ch</strong>ung des Geist- oder Wortimpulses<br />

in der Seelenwelt darstellt, zeigt, dass die Erkenntnisse, die im inneren Mens<strong>ch</strong>en<br />

in allen Einzelheiten vorhanden sind, im Bewusstsein zunä<strong>ch</strong>st nur in allgemeinen<br />

Formen ers<strong>ch</strong>einen können. Denn die »großen Seeungeheuer« bezei<strong>ch</strong>nen das<br />

Allgemeine des Wissens (HG 42). Die Vögel tau<strong>ch</strong>en im Tatberi<strong>ch</strong>t als »geflügelte<br />

Vögel« auf. Das s<strong>ch</strong>eint die Wendung des Wortberi<strong>ch</strong>tes zusammenzufassen, die<br />

ja von den Vögeln sagte, dass sie »über der Erde, über den Angesi<strong>ch</strong>ten der Himmelsfeste<br />

fliegen«; hier nun, im Tatberi<strong>ch</strong>t, s<strong>ch</strong>eint die differenziertere Aussage<br />

des Wortberi<strong>ch</strong>tes in den »geflügelten Vögeln« zusammengefasst zu sein. Damit<br />

könnte Mehreres angedeutet sein: Erstens, dass der Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en dem<br />

Vernünftigen und dem Verständigen zumindest vorerst ni<strong>ch</strong>t wahrnehmbar ist.<br />

Zweitens, dass uns glei<strong>ch</strong>wohl das innerli<strong>ch</strong>ere Erfassen der Wahrheit beflügelt<br />

und emporhebt. Drittens, dass das Wahre mä<strong>ch</strong>tig ist, denn die Flügel bezei<strong>ch</strong>nen,<br />

weil sie die Arme der Vögel sind, die Ma<strong>ch</strong>t (HG 8764). Alle Ma<strong>ch</strong>t wohnt im Letzten<br />

(OE 918), das heißt in der Verwirkli<strong>ch</strong>ung, so dass au<strong>ch</strong> das ein Grund dafür<br />

sein könnte, warum im Tatberi<strong>ch</strong>t die Flügel erwähnt werden. S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong><br />

ein Wort zur Segensformel; dazu s<strong>ch</strong>reibt Swedenborg: »Alles, was vom Herrn her<br />

Leben in si<strong>ch</strong> hat, befru<strong>ch</strong>tet und vermehrt si<strong>ch</strong> unermessli<strong>ch</strong> … ›Fru<strong>ch</strong>tbar sein‹<br />

wird im Worte von den Dingen der Liebe und ›vermehren‹ von denen des Glaubens<br />

ausgesagt; die Fru<strong>ch</strong>t, die zur Liebe gehört, hat den Samen, dur<strong>ch</strong> den sie<br />

si<strong>ch</strong> so sehr vermehrt. Daher au<strong>ch</strong> bedeutet der Segen des Herrn im Worte das<br />

Hervorbringen von Frü<strong>ch</strong>ten und die Vermehrung, weil diese aus jenem folgt.«<br />

(HG 43).


Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 49<br />

3.3.6. Der se<strong>ch</strong>ste Tag<br />

Die Verse 24 bis 25: 24. Und Gott spra<strong>ch</strong>: »Die Erde bringe lebendige Seele(n) hervor<br />

na<strong>ch</strong> ihren Arten: Vieh 70 und Krie<strong>ch</strong>getier 71 und das 72 Wild der Erde, (jegli<strong>ch</strong>es)<br />

na<strong>ch</strong> seiner Art.« Und so ges<strong>ch</strong>ah es: 25. Gott ma<strong>ch</strong>te das Wild der Erde na<strong>ch</strong><br />

seiner Art, und das Vieh na<strong>ch</strong> seiner Art, und alles Krie<strong>ch</strong>getier 73 des Erdbodens<br />

na<strong>ch</strong> seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war.<br />

Am se<strong>ch</strong>sten Tag steht nun wieder die Erde im Mittelpunkt des Ges<strong>ch</strong>ehens; sie<br />

soll, was uns nun ni<strong>ch</strong>t mehr verwundert, die »lebende Seele« hervorbringen, und<br />

zwar in vers<strong>ch</strong>iedenen Arten: »Vieh und Krie<strong>ch</strong>getier und das Wild der Erde«, so<br />

die Formulierung des Wortberi<strong>ch</strong>tes; im Tatberi<strong>ch</strong>t steht es etwas anders, do<strong>ch</strong><br />

dazu später. Wie s<strong>ch</strong>on gesagt, bezei<strong>ch</strong>nen die Landtiere des se<strong>ch</strong>sten Tages das,<br />

»was dem Willen angehört« (HG 44). Do<strong>ch</strong> lässt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> die Dreierfolge, Vieh,<br />

Krie<strong>ch</strong>getier und Wild der Erde, aufs<strong>ch</strong>lüsseln? »Vieh«, hebräis<strong>ch</strong> »behema«, ist<br />

von einem Wort abgeleitet, das »stumm« bedeutet; ebenso bezei<strong>ch</strong>net »bestia«,<br />

Swedenborgs Übersetzung, das vernunftlose Tier im Gegensatz zum (vernunftbegabten)<br />

Mens<strong>ch</strong>en. Das »Vieh« s<strong>ch</strong>eint daher ein umfassender Begriff für die Willensantriebe<br />

zu sein, die jedo<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t das Gute und Wahre (= das Bild Gottes)<br />

in aller Deutli<strong>ch</strong>keit widerspiegeln, immerhin aber sind sie »gut und sanft«:<br />

»Die Tiere (bestiae) sind hier, weil von denen, die wiedergeboren werden sollen,<br />

gehandelt wird, gut und sanft und bezei<strong>ch</strong>nen Neigungen; die niederen, die mehr<br />

vom Körper an si<strong>ch</strong> haben, heißen ›Wild der Erde 74 ‹ und sind die Begierden und<br />

Lustgefühle.« (HG 45). Das »Wild der Erde« ist das wilde und ungebändigte Leben<br />

des äußeren Mens<strong>ch</strong>en. Zum »Krie<strong>ch</strong>getier« erfahren wir ni<strong>ch</strong>ts Neues. Do<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong><br />

dem, was wir s<strong>ch</strong>on wissen, lassen si<strong>ch</strong> die drei Tiergattungen nun folgendermaßen<br />

verstehen: Im Willen entwickeln si<strong>ch</strong> Neigungen und Motivationen, die<br />

zwar das Gute und Wahre no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ganz klar erfassen können, aber immerhin<br />

70<br />

»Behema« von »bhm« (stumm). Daher hat Swedenborg »bestia« (das stumme, vernunftlose<br />

Ges<strong>ch</strong>öpf).<br />

71<br />

Hier ist die einzige Stelle im S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t, wo Swedenborg »rms<strong>ch</strong>« mit »se movere«<br />

(si<strong>ch</strong> bewegen), statt mit »reptare« übersetzt (S<strong>ch</strong>midt hat hier »reptile«). Eine interessante Interpretation<br />

von »rms<strong>ch</strong>« gibt Swedenborg in HG 41: »Was vom Herrn kommt, hat Leben in<br />

si<strong>ch</strong> … und wird hier dur<strong>ch</strong> ›lebende Seele‹ bezei<strong>ch</strong>net; ferner hat es eine körperli<strong>ch</strong>e Gestalt<br />

(speciem corporis), die hier dur<strong>ch</strong> ›si<strong>ch</strong> bewegend (se movens)‹ oder ›krie<strong>ch</strong>end (reptans)‹ bezei<strong>ch</strong>net<br />

wird.« Demna<strong>ch</strong> bezieht si<strong>ch</strong> »rms<strong>ch</strong>« auf die körperli<strong>ch</strong>e Gestalt des Lebens; das ist<br />

also mit »krie<strong>ch</strong>en« (Bodennähe) gemeint.<br />

72<br />

»We<strong>ch</strong>ajeto ’äräz'«, Swedenborg hat »et feram istius terrae« (S<strong>ch</strong>midt: »et ferram terrae«);<br />

wörtli<strong>ch</strong>: »und sein Wild der Erde« oder (um den etwas abfälligen Ton von »iste« aufzunehmen)<br />

»und von dem da das Wild der Erde«. Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> ist »istius« (sein) auf das »Krie<strong>ch</strong>getier«<br />

zu beziehen. Dann würde zur Leibgebundenheit des Lebens au<strong>ch</strong> »das Wild der Erde«<br />

gehören, das Swedenborg folgendermaßen deutet: Die Affekte, »die niedriger sind und mehr<br />

vom Körper an si<strong>ch</strong> haben, heißen ›sein Wild der Erde‹ und sind die Begierden und Gelüste.«<br />

(HG 45).<br />

73<br />

»Rms<strong>ch</strong>«, Swedenborg hat »reptans«.<br />

74<br />

Wörtli<strong>ch</strong>: »ferae ejus terrae« (sein Wild der Erde). Swedenborg gibt hier das Hebräis<strong>ch</strong>e ganz<br />

wörtli<strong>ch</strong> wieder: »<strong>ch</strong>ajeto ’äräz'«


50 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

s<strong>ch</strong>on davon beseelt sind, denn es sind gute und sanfte Neigungen (das Vieh). Sie<br />

nehmen eine konkrete Gestalt an, was nur mögli<strong>ch</strong> ist, wenn sie si<strong>ch</strong> der Erde<br />

oder den irdis<strong>ch</strong>en Verhältnissen zuwenden (die krie<strong>ch</strong>enden Regungen oder das<br />

Krie<strong>ch</strong>getier). Daher vermis<strong>ch</strong>en sie si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> mit der Triebhaftigkeit des äußeren<br />

Mens<strong>ch</strong>en, mit seinem Verlangen und seinem Genussstreben (das Wild der Erde).<br />

Do<strong>ch</strong> all das heißt »lebendige Seele«, weil der göttli<strong>ch</strong>e Einfluss s<strong>ch</strong>on so weit vorgedrungen<br />

ist.<br />

Interessant sind nun die Abwei<strong>ch</strong>ungen im Tatberi<strong>ch</strong>t. Offenbar gelingt es dem<br />

Mens<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t, seine eigenen Interessen in den Hintergrund zu stellen, denn im<br />

Tatberi<strong>ch</strong>t geht das »Wild der Erde« wieder voran: »Gott ma<strong>ch</strong>te das Wild der Erde<br />

… das Vieh … und alles Krie<strong>ch</strong>getier des Erdbodens«. Die Reihenfolge ist also gegenüber<br />

den Wortberi<strong>ch</strong>t, wo das »Wild der Erde« no<strong>ch</strong> die letzte Stelle einnahm,<br />

vertaus<strong>ch</strong>t. Swedenborgs Erklärung: »Zuerst bringt der Mens<strong>ch</strong> (das Gute und<br />

Wahre) wie von si<strong>ch</strong> aus hervor, au<strong>ch</strong> später no<strong>ch</strong>, ehe er himmlis<strong>ch</strong> wird; und so<br />

beginnt die Wiedergeburt beim äußeren Mens<strong>ch</strong>en und s<strong>ch</strong>reitet zum inneren<br />

fort. Daher liegt hier nun eine andere Ordnung vor und das Äußere geht (wieder)<br />

voran.« (HG 47). Das »Wild der Erde« ist für die Wahnidee verantwortli<strong>ch</strong>, die dem<br />

Bewusstsein des äußeren Mens<strong>ch</strong>en nur s<strong>ch</strong>wer zu nehmen ist, dass er alles aus<br />

eigener Kraft bewerkstelligen kann. Erwähnenswert ist ferner, dass das »Krie<strong>ch</strong>getier«,<br />

das nun die letzte Stelle einnimmt, ni<strong>ch</strong>t »Krie<strong>ch</strong>getier der Erde«, sondern<br />

»Krie<strong>ch</strong>getier des Bodens (hebr. Adama)« genannt wird, was au<strong>ch</strong> deswegen auffällig<br />

ist, weil die »Adama« in Genesis 1 nur hier vorkommt und dann erst wieder<br />

in Genesis 2, wo sie die Grundlage ist, aus der »Adam« (der Mens<strong>ch</strong>) geformt wird.<br />

Der »Boden« oder »Ackerboden« bezei<strong>ch</strong>net im Unters<strong>ch</strong>ied zur »Erde«, die Erdkrume,<br />

die den Samen des Wahren aufnimmt (HG 10570), was den (natürli<strong>ch</strong>en)<br />

Mens<strong>ch</strong>en zum (geistigen) Mens<strong>ch</strong>en ma<strong>ch</strong>t. Daraus folgt, dass in Vers 25 die<br />

»Adama« erwähnt wird, um die Verbindung oder Überleitung zu Vers 26 herzustellen,<br />

wo die Ers<strong>ch</strong>affung des »Adam« (des Mens<strong>ch</strong>en) erzählt wird. Die Neigungen<br />

(Tierwelt) sind also inzwis<strong>ch</strong>en soweit mit Leben erfüllt, dass nun der Mens<strong>ch</strong><br />

als das Bild Gottes in ihnen ers<strong>ch</strong>einen kann. Deswegen fasst Swedenborg die<br />

S<strong>ch</strong>öpfung der Tierwelt wie folgt zusammen: »Der fünfte Zustand besteht darin,<br />

dass der Mens<strong>ch</strong> aus dem Glauben des Verstandes spri<strong>ch</strong>t und si<strong>ch</strong> daher im<br />

Wahren und Guten bestärkt; was er dann hervorbringt ist beseelt und heißt ›Fis<strong>ch</strong>e<br />

des Meeres‹ und ›Vögel der Himmel‹. Und der se<strong>ch</strong>ste Zustand ist gegeben,<br />

wenn er aus dem Glauben des Verstandes und von da aus au<strong>ch</strong> aus der Liebe des<br />

Willens Wahres spri<strong>ch</strong>t und Gutes tut; was er dann hervorbringt heißt ›lebende<br />

Seele‹ und ›Tier (bestia)‹; und weil er jetzt anfängt aus dem Glauben und zuglei<strong>ch</strong><br />

aus der Liebe zu handeln, wird er nun ein geistiger Mens<strong>ch</strong>, der ›Bild‹ heißt, wovon<br />

glei<strong>ch</strong> ans<strong>ch</strong>ließend die Rede sein wird.« (HG 48).<br />

Die Verse 26 bis 28: 26. Und Gott spra<strong>ch</strong>: »Lasst uns Mens<strong>ch</strong>en ma<strong>ch</strong>en als unser<br />

Bild, wie unsere Ähnli<strong>ch</strong>keit, so dass sie herrs<strong>ch</strong>en über die Fis<strong>ch</strong>e des Meeres und<br />

über die Vögel des Himmels und über das Vieh und über die ganze Erde und über


Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 51<br />

das ganze Krie<strong>ch</strong>getier, das auf der Erde krie<strong>ch</strong>t.« 27. Und Gott s<strong>ch</strong>uf den Mens<strong>ch</strong>en<br />

als sein Bild, als Bild Gottes s<strong>ch</strong>uf er ihn, männli<strong>ch</strong> 75 und weibli<strong>ch</strong> 76 s<strong>ch</strong>uf er<br />

sie. 28. Und Gott segnete sie und Gott spra<strong>ch</strong> zu ihnen: »Seid fru<strong>ch</strong>tbar und mehret<br />

eu<strong>ch</strong> und füllet die Erde und unterwerft 77 sie und herrs<strong>ch</strong>t über die Fis<strong>ch</strong>e des<br />

Meeres und über die Vögel des Himmels und über alles Lebendige 78 , das auf der<br />

Erde krie<strong>ch</strong>t.«<br />

Die S<strong>ch</strong>öpfung des Mens<strong>ch</strong>en ist der Höhepunkt des Se<strong>ch</strong>stagewerkes. Na<strong>ch</strong> allem,<br />

was bisher gesagt wurde, dürfte klar sein, dass der »Adam« von Genesis 1<br />

ni<strong>ch</strong>t der erste Mens<strong>ch</strong> ist (vgl. dagegen Paulus in Röm 5,15; 1.Kor 15,21f.), sondern<br />

das Mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e im Mens<strong>ch</strong>en. Seine Ers<strong>ch</strong>affung stellt »die vollendete<br />

Mens<strong>ch</strong>werdung oder die Überkommung der vollkommenen Kinds<strong>ch</strong>aft Gottes«<br />

dar (GEJ I,162,2). Gemeint ist also ni<strong>ch</strong>t ein einmaliger Vorgang am Anfang der<br />

Mens<strong>ch</strong>heitsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, sondern ein Vorgang, der si<strong>ch</strong> im Vollzug der Wiedergeburt<br />

bei jedem Mens<strong>ch</strong>en wiederholen kann, wenn er in seiner Entwicklung bis<br />

zum se<strong>ch</strong>sten Tag kommt. Dann wird er, der äußerli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on seit seiner Geburt<br />

Mens<strong>ch</strong> ist, au<strong>ch</strong> innerli<strong>ch</strong> Mens<strong>ch</strong>, indem er das Göttli<strong>ch</strong>e abbildet, indem er<br />

»imago Dei« wird. Das ist ein inneres Ges<strong>ch</strong>ehen, so dass man sagen muss: Unser<br />

Mens<strong>ch</strong>sein beginnt tief im Inneren der Seele; dort ers<strong>ch</strong>afft Gott den Mens<strong>ch</strong>en.<br />

Do<strong>ch</strong> viele meinen, »die irdis<strong>ch</strong>en und materiellen Bestandteile, aus denen das<br />

Äußerste des Mens<strong>ch</strong>en geformt ist, bilden diesen, und ohne sie sei der Mens<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t Mens<strong>ch</strong>. Man sollte jedo<strong>ch</strong> wissen, dass der Mens<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> sie Mens<strong>ch</strong><br />

ist, sondern dadur<strong>ch</strong>, dass er das Wahre einsehen und das Gute wollen kann; das<br />

ist das Geistige und Himmlis<strong>ch</strong>e, das den Mens<strong>ch</strong>en ausma<strong>ch</strong>t.« (HH 60). Die Ers<strong>ch</strong>affung<br />

Adams ist also die na<strong>ch</strong> allen Vormühen nun endli<strong>ch</strong> stattfindende<br />

Mens<strong>ch</strong>werdung des Mens<strong>ch</strong>en.<br />

Da das Mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e im Mens<strong>ch</strong>en »Bild Gottes« heißt, muss Gott der eigentli<strong>ch</strong>e<br />

Mens<strong>ch</strong> sein (GLW 11; GEJ IV,56,1). Wenn wir sagen, dass Gott vor zweitausend<br />

Jahren Mens<strong>ch</strong> geworden ist, dann meinen wir damit ni<strong>ch</strong>t, dass er es vorher<br />

ni<strong>ch</strong>t war; im Gegenteil, Gott ist »von Ewigkeit her … der erste Mens<strong>ch</strong>« (GEJ<br />

75<br />

»Zakar« (ni<strong>ch</strong>t »’is<strong>ch</strong>« oder »gäbär«), Swedenborg hat »masculum«. Es gibt au<strong>ch</strong> ein Verb »zkr«,<br />

das »denken an« bedeutet; na<strong>ch</strong> HG 54 ist im geistigen Mens<strong>ch</strong>en der Verstand das Männli<strong>ch</strong>e.<br />

Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> hebt »zakar« die ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Verbindung hervor.<br />

76<br />

»Neqeba« bezei<strong>ch</strong>net das Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t, während si<strong>ch</strong> »’is<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>a« auf das Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tsleben<br />

bezieht (Ludwig Koehler und Walter Baumgartner, »Hebräis<strong>ch</strong>es und aramäis<strong>ch</strong>es Lexikon<br />

zum Alten Testament«, 632).<br />

77<br />

»Kbs<strong>ch</strong>«, Swedenborg hat »subjugare« (unterjo<strong>ch</strong>en, unterwerfen). Bea<strong>ch</strong>te, dass Swedenborg<br />

au<strong>ch</strong> von der »subjugatio infernorum« (Unterjo<strong>ch</strong>ung der Höllen, WCR 115) spri<strong>ch</strong>t.<br />

78<br />

Swedenborg übersetzt »<strong>ch</strong>ajja« hier mit »vivum« (S<strong>ch</strong>midt: »animal«); wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>, weil<br />

vom »Wild« (der anderen Bedeutung dieses Wortes) ni<strong>ch</strong>t »haromäs'ät ‘al ha’aräz'« (Swedenborg:<br />

»reptans super terra«) ausgesagt werden kann. An den anderen Stellen steht immer die<br />

Verbindung »<strong>ch</strong>ajeto ’äräz'« bzw. »<strong>ch</strong>ajjat ha’aräz'« (Vers 24 ohne Artikel aber mit Suffix, Verse<br />

25 und 30 mit Artikel), »Wild der Erde«; »Wild« also immer in Vebindung mit »Erde«.<br />

S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> ist no<strong>ch</strong> auf die Verbindung »näfäs<strong>ch</strong> (ha)<strong>ch</strong>ajja« (Verse 20, 24 und 30 ohne Artikel,<br />

Vers 21 mit Artikel), »lebendige Seele«, hinzuweisen.


52 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

II,39,3). Alle übrigen Mens<strong>ch</strong>en sind nur von ihm her Mens<strong>ch</strong>. Das war die Weisheit<br />

der Urkir<strong>ch</strong>e, die in Genesis 1 ihren Nieders<strong>ch</strong>lag fand: »In der ältesten Kir<strong>ch</strong>e<br />

… ers<strong>ch</strong>ien der Herr wie ein Mens<strong>ch</strong> … Darum nannten sie niemand einen<br />

Mens<strong>ch</strong>en als ihn und was ihm angehört, ni<strong>ch</strong>t aber si<strong>ch</strong> selbst, außer das, was sie<br />

- wie sie innewurden - vom Herrn hatten, das heißt alles Gute der Liebe und Wahre<br />

des Glaubens; das nannten sie das zum Mens<strong>ch</strong>en, weil zum Herrn Gehörige.«<br />

(HG 49). Von daher sind nun die beiden Begriffe »Bild« und »Ähnli<strong>ch</strong>keit« zu interpretieren.<br />

Bei Swedenborg finden wir zwei, einander ergänzende Auslegungen:<br />

»Der Mens<strong>ch</strong> ist … Bild Gottes, weil er die göttli<strong>ch</strong>e Weisheit aufnimmt; und Ähnli<strong>ch</strong>keit<br />

Gottes, weil er die göttli<strong>ch</strong>e Liebe aufnimmt. Daher ist das Aufnahmeorgan,<br />

das Verstand heißt, das Bild Gottes; und das Aufnahmeorgan, das Wille heißt,<br />

die Ähnli<strong>ch</strong>keit Gottes.« (GV 328). Derselbe Gedanke ist in den »himmlis<strong>ch</strong>en<br />

Geheimnissen« folgendermaßen formuliert: »Der geistige Mens<strong>ch</strong> ist Bild, der<br />

himmlis<strong>ch</strong>e Mens<strong>ch</strong> aber ist Ähnli<strong>ch</strong>keit oder Ebenbild.« (HG 51). Demna<strong>ch</strong> ist<br />

das »Bild« die Abbildung der göttli<strong>ch</strong>en Weisheit im geistigen Mens<strong>ch</strong>en, während<br />

die »Ähnli<strong>ch</strong>keit« beim himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en dur<strong>ch</strong> die Liebe bewirkt wird. Eine<br />

etwas andere Betra<strong>ch</strong>tungsweise liegt den folgenden Worten zugrunde: »Zum<br />

Bilde Gottes wird er [der Mens<strong>ch</strong>] … dur<strong>ch</strong> die Anerkennung und den Glauben,<br />

dass alles Gute der Liebe und Nä<strong>ch</strong>stenliebe, alles Wahre der Weisheit und des<br />

Glaubens ihm von Gott gegeben wurde und ständig gegeben wird, ni<strong>ch</strong>t aber seinem<br />

Eigenen entstammt. Ähnli<strong>ch</strong>keit Gottes aber ist er dadur<strong>ch</strong>, dass er all dies<br />

fühlt, als ob es in ihm selber wäre.« (WCR 48). Demna<strong>ch</strong> ist mit »Bild Gottes« das<br />

Gefühl der Abhängigkeit ausgesagt, während »Ähnli<strong>ch</strong>keit« im Gefühl der Selbständigkeit<br />

liegt. Diese Interpretation erinnert an Lorber, bei dem es heißt, »dass<br />

si<strong>ch</strong> in den ges<strong>ch</strong>affenen Wesen notwendig zwei Gefühle begegnen müssen, und<br />

zwar erstens und zunä<strong>ch</strong>st das Gefühl der göttli<strong>ch</strong>en Ebenmäßigkeit [Ähnli<strong>ch</strong>keit]<br />

… und zweitens … das Gefühl des zeitgemäßen Werdens dur<strong>ch</strong> den Urwillen des<br />

S<strong>ch</strong>öpfers [Bild]. Das erste Gefühl stellt das Ges<strong>ch</strong>öpf unbedingt dem S<strong>ch</strong>öpfer<br />

glei<strong>ch</strong> und wie aus si<strong>ch</strong> hervorgehend völlig unabhängig von dem ewigen Urgrunde,<br />

als glei<strong>ch</strong>sam sol<strong>ch</strong>en in si<strong>ch</strong> selbst fassend und bergend; das zweite aus<br />

diesem ersten notwendig hervorgehende Lebensgefühl aber muss si<strong>ch</strong> denno<strong>ch</strong><br />

als ein vom eigentli<strong>ch</strong>en Urgrunde aus si<strong>ch</strong> hervorgerufenes und erst in der Zeitenfolge<br />

als in si<strong>ch</strong> selbst als frei manifestiertes und somit vom Haupturgrunde<br />

sehr abhängiges ansehen und betra<strong>ch</strong>ten.« (GEJ I,1,16f.). Fassen wir zusammen:<br />

Das »Bild Gottes« ist die Weisheit; die »Ähnli<strong>ch</strong>keit« ist die Liebe, die uns Gott so<br />

ähnli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t, dass wir das Gefühl haben, das Leben selbst zu sein. Es liegt im<br />

Wesen der Liebe, all das Ihrige dem anderen zu geben; deswegen ist die ewige<br />

Liebe bestrebt, si<strong>ch</strong> uns so restlos zu geben, dass wir diese Gabe ni<strong>ch</strong>t einmal als<br />

Gabe erkennen können.<br />

Das, was bisher zum Verständnis von »Bild« und »Ähnli<strong>ch</strong>keit« gesagt wurde, soll<br />

no<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> einige spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Beoba<strong>ch</strong>tungen ergänzt werden. Das hebräis<strong>ch</strong>e<br />

Wort für »Bild« (z'äläm) kann au<strong>ch</strong> »Statue« und »Bildsäule« bedeuten, was zeigt,<br />

dass wir als wandelnde Bilder no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t sehr lebendig sind. Ferner ist zu sagen,


Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 53<br />

dass »z'el« »S<strong>ch</strong>atten« bedeutet und das dazugehörige Verb »z'll« »s<strong>ch</strong>attig oder<br />

dunkel werden«. Das ist auf den ersten Blick sonderbar, denn ein Bild soll ja die<br />

Realität mögli<strong>ch</strong>st farbenfroh darstellen, aber ni<strong>ch</strong>t verdunkeln; in Wahrheit ist es<br />

aber keineswegs sonderbar, denn sowohl die »Bildsäule«, als au<strong>ch</strong> der »S<strong>ch</strong>atten«<br />

sind nur die Abbilder einer höheren Wirkli<strong>ch</strong>keit auf dem Boden der Stoffli<strong>ch</strong>keit;<br />

daher ist au<strong>ch</strong> das Bild eine gewisse Verdunklung der eigentli<strong>ch</strong>en Wahrheit. Das<br />

Bild Gottes leu<strong>ch</strong>tet in dem auf, was wir aus der stoffli<strong>ch</strong>en Welt an Bildern aufgenommen<br />

haben. Mit anderen Worten: Gott ers<strong>ch</strong>eint in unseren Erfahrungen.<br />

Wir erinnern uns, bevor die »imago Dei« ers<strong>ch</strong>einen kann, musste uns das Li<strong>ch</strong>t<br />

des ersten Tages gegeben werden, mussten die Wasser ges<strong>ch</strong>ieden werden und<br />

musste das Festland hervortreten. Dann endli<strong>ch</strong>, am vierten Tag, wurde uns das<br />

göttli<strong>ch</strong>e Li<strong>ch</strong>t gegeben. Do<strong>ch</strong> es gab nur der Tierwelt das Leben; der Mens<strong>ch</strong>,<br />

ausgere<strong>ch</strong>net er, wird im gesamten S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t »lebende Seele« genannt.<br />

Er ist, so muss man jetzt formulieren, nur Bild Gottes; das unterstrei<strong>ch</strong>t<br />

no<strong>ch</strong> einmal die relative Leblosigkeit der »Bildsäule». Erst in Genesis 2, wo<br />

»Adam« das zweite Mal ersteht, heißt er »lebendige Seele«. Deswegen also ist das<br />

»Bild« no<strong>ch</strong> immer eine gewisse Vers<strong>ch</strong>attung der Lebenswirkli<strong>ch</strong>keit Gottes. Das<br />

hebräis<strong>ch</strong>e Wort für »Ähnli<strong>ch</strong>keit« (demut) ist von »dmh« abgeleitet, das »glei<strong>ch</strong>en«<br />

bedeutet. Die Lautverbindung Daleth (d) und Mem (m) begegnet au<strong>ch</strong> in<br />

»’adam«, dort mit Aleph (’), so dass »Adam« au<strong>ch</strong> von daher das »Ebenbild Gottes«<br />

ist. Außerdem bedeutet »dam« »Blut«; und da das Blut die Verwandts<strong>ch</strong>aft begründet,<br />

ist »Adam« das Wesen göttli<strong>ch</strong>en Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tes.<br />

Diese Beoba<strong>ch</strong>tungen lassen vermuten, dass die ältesten Mens<strong>ch</strong>en eine sehr<br />

komplexe und ausgeprägte Vorstellung vom »Bild Gottes« hatten; jedenfalls<br />

s<strong>ch</strong>reibt Swedenborg: »Die älteste Kir<strong>ch</strong>e verstand unter dem ›Bilde Gottes‹ mehr,<br />

als gesagt werden kann.« (HG 50). Dass die Gottesebenbildli<strong>ch</strong>keit eine spezifis<strong>ch</strong>e<br />

Idee der Urkir<strong>ch</strong>e war, mag daraus hervorgehen, dass sie na<strong>ch</strong> den Sintfluterzählungen,<br />

die den Untergang dieser Kir<strong>ch</strong>e bes<strong>ch</strong>reiben, ni<strong>ch</strong>t mehr erwähnt<br />

wird; die einzigen Belege finden wir in Gen 1,26f.; 5,1 (dort: Ähnli<strong>ch</strong>keit Gottes)<br />

und 9,3. Dass ferner die Rede von der Gottesebenbildli<strong>ch</strong>keit damals ohne weiteres<br />

verständli<strong>ch</strong> war, geht daraus hervor, dass sie nirgends erläutert wird, also<br />

offenbar bekannt war.<br />

Im Unters<strong>ch</strong>ied zum Wortberi<strong>ch</strong>t ist im Tatberi<strong>ch</strong>t nur vom »Bild« die Rede, was<br />

ein Hinweis darauf ist, dass die »Ähnli<strong>ch</strong>keit« des himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en zwar in<br />

Genesis 1 als S<strong>ch</strong>öpfungsabsi<strong>ch</strong>t ausgespro<strong>ch</strong>en, aber no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ausgeführt wird;<br />

erst der siebente Tag stellt den himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en dar (HG 74). Im Tatberi<strong>ch</strong>t<br />

des se<strong>ch</strong>sten Tages ist statt von »Bild« und »Ähnli<strong>ch</strong>keit« zweimal vom »Bild« die<br />

Rede: »Und Gott s<strong>ch</strong>uf den Mens<strong>ch</strong>en als sein Bild, als Bild Gottes s<strong>ch</strong>uf er ihn«.<br />

Damit ist der Verstand und der Wille des geistigen Mens<strong>ch</strong>en gemeint (HG 53).<br />

Etwas ähnli<strong>ch</strong>es bedeutet au<strong>ch</strong> die ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Differenzierung: »Männli<strong>ch</strong><br />

und weibli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>uf er sie«. Die Mens<strong>ch</strong>en der Urkir<strong>ch</strong>e nannten »im geistigen<br />

Mens<strong>ch</strong>en den Verstand das Männli<strong>ch</strong>e und den Willen das Weibli<strong>ch</strong>e« (HG 54).


54 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Im himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en hingegen wäre der Wille das Männli<strong>ch</strong>e und der<br />

Verstand das Weibli<strong>ch</strong>e. »Männli<strong>ch</strong> und weibli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>uf er sie« bedeutet, dass si<strong>ch</strong><br />

Verstand und Wille zu einer Einheit ergänzen sollen. Erst wenn das ges<strong>ch</strong>ehen ist,<br />

erst dann ist der Mens<strong>ch</strong> wirkli<strong>ch</strong> »imago dei«, ein Bildnis des Gottes, der Liebe<br />

und Weisheit ist.<br />

Das Mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e im Mens<strong>ch</strong>en soll herrs<strong>ch</strong>en. Zum Herrs<strong>ch</strong>aftsauftrag s<strong>ch</strong>reibt<br />

Swedenborg: »Solange der Mens<strong>ch</strong> (nur) geistig ist, geht seine Herrs<strong>ch</strong>aft vom<br />

äußeren Mens<strong>ch</strong>en zum inneren, wie es hier heißt: ›sie sollen herrs<strong>ch</strong>en über die<br />

Fis<strong>ch</strong>e des Meeres, und über den Vogel der Himmel, und über das Tier (bestiam),<br />

und über die ganze Erde, und über alles Krie<strong>ch</strong>ende, das auf der Erde krie<strong>ch</strong>t‹.<br />

Wenn er aber himmlis<strong>ch</strong> wird und aus Liebe Gutes tut, dann geht die Herrs<strong>ch</strong>aft<br />

vom inneren Mens<strong>ch</strong>en zum äußeren« (HG 52). Da beim geistigen Mens<strong>ch</strong>en der<br />

Impuls vom Verstand ausgeht und dur<strong>ch</strong> den Willen zur Wirkung kommt, gehen<br />

die Fis<strong>ch</strong>e und Vögel, die zum Verstand gehören, voran, während die Tiere der<br />

Erde, die zum Willen gehören, na<strong>ch</strong>folgen (vgl. HG 52). Interessant ist au<strong>ch</strong>, dass<br />

das »Wild der Erde« ni<strong>ch</strong>t erwähnt wird; stattdessen ist nur von der »Erde« die<br />

Rede. Gott verlangt von uns also ni<strong>ch</strong>t, das »Wild der Erde« zu beherrs<strong>ch</strong>en; offenbar<br />

wären wir damit überfordert. Au<strong>ch</strong> im Herrs<strong>ch</strong>aftsauftrag des Segens (Vers<br />

28) ist ni<strong>ch</strong>t vom »Wild«, sondern vom »Lebendigen, das auf der Erde krie<strong>ch</strong>t« die<br />

Rede. Wie s<strong>ch</strong>on gesagt, hat das hebräis<strong>ch</strong>e Wort beide Bedeutungen, do<strong>ch</strong> aus<br />

mehreren Gründen kann hier nur das »Lebendige« gemeint sein: Erstens, ist das<br />

»Lebendige, das auf der Erde krie<strong>ch</strong>t« die Zusammenfassung des gesamten, in<br />

Vers 26 dreifa<strong>ch</strong> gegliederten Erdberei<strong>ch</strong>s; zweitens, ist es Teil der Segensformel,<br />

wird also vom Lebensstrom erfasst und ist daher »Lebendiges«; und drittens kann<br />

si<strong>ch</strong> die Herrs<strong>ch</strong>aft im Tatberi<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t auf das »Wild« erstrecken, wenn diese<br />

Herrs<strong>ch</strong>aft im Wortberi<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t beabsi<strong>ch</strong>tigt war.<br />

Die Verben des Herrs<strong>ch</strong>aftsauftrages zeigen uns den Mens<strong>ch</strong>en im Kampf mit<br />

seiner niederen Natur. »Rdh« (Verse 26 und 28) wird von Swedenborg mit »dominari«<br />

(Herr sein über etw.) übersetzt; meint also, dass die Geistigkeit des Mens<strong>ch</strong>en<br />

das Triebhafte dominieren soll. »Kbs<strong>ch</strong>«, die Herrs<strong>ch</strong>aft über die Erde, wird<br />

von Swedenborg mit »subjugare« (unterjo<strong>ch</strong>en) übersetzt; das ist dasselbe Wort,<br />

das er au<strong>ch</strong> in »subjugatio infernorum« (Unterjo<strong>ch</strong>ung der Höllen) verwendet.<br />

Somit ist die »Erde« das, was zur Hölle werden kann, wenn es ni<strong>ch</strong>t vom Himmel<br />

beherrs<strong>ch</strong>t wird; der Himmelssegen bewirkt jedo<strong>ch</strong>, dass die Erde mit Leben erfüllt<br />

wird: »Seid fru<strong>ch</strong>tbar und mehret eu<strong>ch</strong> und füllet die Erde«. Swedenborg<br />

s<strong>ch</strong>reibt: »Wenn der Mens<strong>ch</strong> geistig ist und natürli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> wenn er es wird, dann<br />

ist er im Kampf, weswegen es heißt: ›unterjo<strong>ch</strong>t die Erde‹ und ›beherrs<strong>ch</strong>t‹.« (HG<br />

55). Unter dem Kampf sind die Versu<strong>ch</strong>ungen zu verstehen. Die verwendeten<br />

Verben sind besonders starke Ausdrücke; »kbs<strong>ch</strong>« heißt »niedertreten«, »gewaltsam<br />

unterwerfen« (Jer 34,11.16: »mit Gewalt zu Sklaven ma<strong>ch</strong>en«); »rbh« meint<br />

die unums<strong>ch</strong>ränkte Herrs<strong>ch</strong>aft, der gegenüber es keinen Widerstand gibt (Ps<br />

72,8f.; 110,2), ein hartes, s<strong>ch</strong>onungsloses Unterjo<strong>ch</strong>en (Jes 14,2.6; Ez 34,4; Lev


Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 55<br />

25,53). Dass das Hebräis<strong>ch</strong>e au<strong>ch</strong> andere Worte für herrs<strong>ch</strong>en hat, zeigt im S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t<br />

der vierte Tag, wo von den Li<strong>ch</strong>tern zur Herrs<strong>ch</strong>aft die Rede ist.<br />

Wenn vom geistigen Mens<strong>ch</strong>en gefordert wird, dass er den natürli<strong>ch</strong>en Berei<strong>ch</strong><br />

dominieren, ja unterjo<strong>ch</strong>en soll, dann zeigt das deutli<strong>ch</strong>, dass das Böse ni<strong>ch</strong>t erst<br />

mit dem Sündenfall (Genesis 3) in die Welt kam, sondern - zumindest potentiell -<br />

immer s<strong>ch</strong>on da war. Deswegen wurde ja au<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong> zu Beginn gesagt, dass die<br />

Erde wüst und leer und finster in ihrer Tiefe war. Das Böse ist also die Voraussetzung<br />

der Wiedergeburt; do<strong>ch</strong> diese negative Veranlagung des Mens<strong>ch</strong>en bleibt in<br />

Genesis 1 im Hintergrund, weil sie vom Wirken Gottes überstrahlt wird. Immer<br />

wenn in Genesis 1 etwas für »gut«, oder gar »sehr gut« (Vers 31) befunden wird,<br />

und das ges<strong>ch</strong>ieht oft (in den Versen 4, 10, 12, 18, 21, 25, 31), dann bezieht si<strong>ch</strong><br />

dieses Urteil auf Gottes Werke. Der Mens<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong>, der in die Freiheit des eigenen<br />

Wirkens entlassen wird, soll si<strong>ch</strong> selbst beherrs<strong>ch</strong>en, - weil er si<strong>ch</strong> andernfalls<br />

zum Tyrannen entwickeln wird.<br />

Die Verse 29 bis 31: 29. Und Gott spra<strong>ch</strong>: »Siehe, i<strong>ch</strong> gebe eu<strong>ch</strong> jede Samen säende<br />

79 Pflanze, die auf den Angesi<strong>ch</strong>ten der ganzen Erde (ist), und jeden Baum, an<br />

dem Fru<strong>ch</strong>t (ist); der Samen säende Baum 80 , eu<strong>ch</strong> sei er zur Speise. 30. Und allem<br />

Wild der Erde und jedem Vogel des Himmels und allem Krie<strong>ch</strong>getier auf der Erde,<br />

in dem (eine) lebendige Seele (ist), (gebe i<strong>ch</strong>) alles Grünkraut 81 zur Speise.« Und so<br />

ges<strong>ch</strong>ah es. 31. Und Gott sah alles, was er gema<strong>ch</strong>t hatte, und siehe, (es war) sehr<br />

gut. Und es war Abend, und es war Morgen, der se<strong>ch</strong>ste Tag.<br />

Das ist die Speiseordnung für Mens<strong>ch</strong> (Vers 29) und Tier (Vers 30). In Vers 29<br />

werden die geistigen, in Vers 30 hingegen die natürli<strong>ch</strong>en Speisen bes<strong>ch</strong>rieben.<br />

»Die geistigen (Speisen werden) dur<strong>ch</strong> ›Samen säende Pflanze‹ und dur<strong>ch</strong> ›Baum,<br />

an dem Fru<strong>ch</strong>t ist‹ (bes<strong>ch</strong>rieben); sie heißen im allgemeinen ›Baum, der Samen<br />

hervorbringt‹.« (HG 56). Da vom geistigen Mens<strong>ch</strong>en, der si<strong>ch</strong> vom Wahren ernährt,<br />

die Rede ist, wird seine Speise dur<strong>ch</strong> den Baum, der Samen produziert,<br />

zusammengefasst, denn der Same bezei<strong>ch</strong>net das Wahre. »Die ›Samen säende<br />

Pflanze‹ ist alles Wahre, das Nutzen beabsi<strong>ch</strong>tigt; der ›Baum, an den Fru<strong>ch</strong>t‹ ist<br />

das Gute des Glaubens. Die ›Fru<strong>ch</strong>t‹ ist das, was der Herr dem himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en<br />

gibt, aber der ›Same‹, aus dem die Fru<strong>ch</strong>t kommt, ist das, was er dem geistigen<br />

Mens<strong>ch</strong>en gibt. Daher wird gesagt: ›Der Baum, der den Samen hervorbringt,<br />

sei eu<strong>ch</strong> zur Speise‹.« (HG 57). In Vers 30 wird die natürli<strong>ch</strong>e Speise des Mens<strong>ch</strong>en<br />

bes<strong>ch</strong>rieben: »Sein Natürli<strong>ch</strong>es ist hier dur<strong>ch</strong> ›das Wild der Erde‹, dur<strong>ch</strong><br />

79<br />

Swedenborg übersetzt diese Qal-Form (zorea‘) genauso wie in Vers 11 die Hifil-Form (mazria‘):<br />

»herbam seminificantem semen«.<br />

80<br />

Aus Swedenborgs Übersetzung und der Auslegung in HG 56 geht hervor, dass die masoretis<strong>ch</strong>e<br />

Lesart, die zwis<strong>ch</strong>en »Fru<strong>ch</strong>t« und »Baum« ein Maqqef (Bindestri<strong>ch</strong>) setzt, irreführend<br />

ist. Folgt man der masoretis<strong>ch</strong>en Lesart, dann müsste man übersetzen: »und jeden Baum, an<br />

dem Samen säende Baumfru<strong>ch</strong>t (ist)«.<br />

81<br />

»Järäq ‘es'äb«, Swedenborg hat »viride herbae« (Das Grüne der Pflanze); S<strong>ch</strong>midt hat »olus<br />

herbae«. Die Übersetzung von S<strong>ch</strong>midt tau<strong>ch</strong>t in HG 58 und 59 auf.


56 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

›den Vogel der Himmel‹ bezei<strong>ch</strong>net, denen der Kohl und das Grünkraut zur Speise<br />

gegeben ist.« (HG 58). Der Kohl bezei<strong>ch</strong>net »geringe angenehme Gefühle (vilia<br />

jucunditatum)« (HG 996). »Jrq« bedeutet »sowohl Kohl (olus) als au<strong>ch</strong> Grünes (viride);<br />

›Kohl‹ im Hinblick auf die Freuden des Willens oder der himmlis<strong>ch</strong>en Gefühle;<br />

›Grünes‹ im Hinblick auf die Freuden der Verstandes oder der geistigen Gefühle.«<br />

(HG 996). Gemeint ist eine Nahrung mit geringem Nährwert; das zugrundeliegende<br />

Verb »jrq« bedeutet »blass, blei<strong>ch</strong> oder gelb werden«. Ferner gibt es ein<br />

Adjektiv »raq«, das »dünn« und »s<strong>ch</strong>mä<strong>ch</strong>tig« bedeutet, und ein Adverb »raq«, das<br />

»auf geringe Weise« bedeutet. Die Nahrung des natürli<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en sind also<br />

die ni<strong>ch</strong>t sehr nahrhaften »Dinge des Wissens« (HG 56). Warum dem natürli<strong>ch</strong>en<br />

Mens<strong>ch</strong>en nur diese nährwertarme Nahrung zugängli<strong>ch</strong> ist, erklärt Swedenborg<br />

damit, dass der natürli<strong>ch</strong>e Mens<strong>ch</strong> aus Begierden aller Art besteht, die tiefere<br />

Innewerdungen ni<strong>ch</strong>t zulassen: »Dass dem natürli<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en hier nur Kohl<br />

und grünes Kraut zum Essen dient, damit verhält es si<strong>ch</strong> so: Während der Mens<strong>ch</strong><br />

wiedergeboren und geistig wird, befindet er si<strong>ch</strong> ständig im Kampf, weswegen die<br />

Kir<strong>ch</strong>e des Herrn eine kämpfende heißt. Denn vorher haben Begierden geherrs<strong>ch</strong>t,<br />

weil der ganze Mens<strong>ch</strong> nur aus Begierden und den daherstammenden Fals<strong>ch</strong>heiten<br />

zusammengesetzt ist. Wenn er nun wiedergeboren wird, können seine Begierden<br />

und Fals<strong>ch</strong>heiten ni<strong>ch</strong>t sofort ausgelös<strong>ch</strong>t werden, denn dann müsste man<br />

den ganzen Mens<strong>ch</strong>en zerstören, der si<strong>ch</strong> ja kein anderes Leben angeeignet hat.<br />

Daher werden bei ihm lange böse Geister gelassen, damit sie seine Begierden<br />

erregen und auf zahllose Weisen öffnen (auflösen), so dass der Herr sie zum Guten<br />

lenken und der Mens<strong>ch</strong> umgestaltet werden kann. In der Zeit des Kampfes<br />

lassen ihm die bösen Geister ni<strong>ch</strong>ts anderes zum Essen übrig als den ›Kohl‹ und<br />

das ›grüne Kraut‹; diese Geister haben nämli<strong>ch</strong> den größten Hass auf alles Gute<br />

und Wahre, das heißt auf alles, was zur Liebe und zum Glauben an den Herrn<br />

gehört, das ja einzig deswegen gut und wahr ist, weil es ewiges Leben [und somit<br />

das Nährende] in si<strong>ch</strong> hat. Der Herr aber gibt dem Mens<strong>ch</strong>en au<strong>ch</strong> die Speise, die<br />

mit dem Kraut, das Samen hervorbringt, und dem Baum, an dem Fru<strong>ch</strong>t ist, vergli<strong>ch</strong>en<br />

wird; das sind die zwis<strong>ch</strong>en den Kämpfen liegenden Zustände der Ruhe<br />

und des Friedens mit ihren angenehmen Glücksgefühlen.« (HG 59).<br />

Die mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Nahrung ist in Genesis 1 auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> das Pflanzli<strong>ch</strong>e; in Genesis<br />

9 hingegen, also na<strong>ch</strong> der Sintflut (Überflutung des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Willens mit<br />

Leidens<strong>ch</strong>aften), au<strong>ch</strong> das Tieris<strong>ch</strong>e, das mehr Begierli<strong>ch</strong>es in si<strong>ch</strong> hat. Swedenborg<br />

erklärt diese vers<strong>ch</strong>iedenen Speiseordnungen, indem er s<strong>ch</strong>reibt: »Fleis<strong>ch</strong><br />

von Tieren (animalium) essen ist an si<strong>ch</strong> etwas Unheiliges, denn in der ältesten<br />

Zeit aß man nie das Fleis<strong>ch</strong> von Tieren (bestiae) oder Vögeln, sondern nur Samen,<br />

hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> Weizenbrote, Baumfrü<strong>ch</strong>te, Gemüse, Mil<strong>ch</strong> und Mil<strong>ch</strong>produkte,<br />

zum Beispiel Butter. Tiere s<strong>ch</strong>la<strong>ch</strong>ten und ihr Fleis<strong>ch</strong> essen, galt den ältesten<br />

Mens<strong>ch</strong>en als sündhaft und den wilden Tieren ähnli<strong>ch</strong>; sie ma<strong>ch</strong>ten si<strong>ch</strong> diese nur<br />

dienst- und nutzbar, wie aus Genesis 1,29f. ersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ist. Als jedo<strong>ch</strong> die Mens<strong>ch</strong>en<br />

im Verlauf der Zeit ebenso wild wie die wilden Tiere, ja sogar no<strong>ch</strong> wilder


Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 57<br />

wurden, da erst begann man Tiere zu s<strong>ch</strong>la<strong>ch</strong>ten und ihr Fleis<strong>ch</strong> zu essen« (HG<br />

1002).<br />

Das also ist der innere Sinn des S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>tes. Do<strong>ch</strong> die Spra<strong>ch</strong>e der Bibel<br />

besteht aus Bildern; und ein Bild öffnet den Blick in die unendli<strong>ch</strong>e Weite des<br />

Raumes. Diese unendli<strong>ch</strong>e Sinnweite kann dur<strong>ch</strong> Worte immer nur teilweise erfasst<br />

werden; daher ist die hier gebotene Auslegung kein letztes Wort. Die Bildspra<strong>ch</strong>e<br />

der Bibel öffnet uns die innere S<strong>ch</strong>au, während die Wortspra<strong>ch</strong>e des<br />

Verstandes sie notwendigerweise begrenzt, und leider au<strong>ch</strong> verdunkelt.


58 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Die S<strong>ch</strong>öpfung: Eine Struktur der Zahl 2<br />

1. Ein S<strong>ch</strong>aubild<br />

2. Tag<br />

Geistiger Grad (Kraftfeld)<br />

Wasser (= Seele)<br />

2. »Und Gott spra<strong>ch</strong>« v6-8<br />

Wasser oben<br />

Wasser unten<br />

Das In-Ers<strong>ch</strong>einung-Treten der<br />

Erde aus der Wasserwelt<br />

5. Tag<br />

Geistiger Grad (Kraftfeld)<br />

Wasser (= Seele)<br />

6. »Und Gott spra<strong>ch</strong>« v20-23<br />

Leben im Wasser oben<br />

Leben im Wasser unten<br />

Leben au<strong>ch</strong> auf der Erde<br />

3. Tag<br />

Natürli<strong>ch</strong>er Grad (Wirkung)<br />

Erde (= Leib)<br />

3. »Und Gott spra<strong>ch</strong>« v9-10<br />

Wasser<br />

Erde<br />

4. »Und Gott spra<strong>ch</strong>« v11-13<br />

Samengebende Pflanzen<br />

Fru<strong>ch</strong>ttragende Pflanzen<br />

6. Tag<br />

Natürli<strong>ch</strong>er Grad (Wirkung)<br />

Erde (= Leib)<br />

7. »Und Gott spra<strong>ch</strong>« v24-25<br />

HausVieh<br />

Wild (mit Krie<strong>ch</strong>getier)<br />

8. »Und Gott spra<strong>ch</strong>« v26-27<br />

9. »Und Gott spra<strong>ch</strong> zu ihnen«<br />

v28<br />

10. »Und Gott spra<strong>ch</strong>« v29-31<br />

Mann<br />

Frau<br />

1. Tag<br />

Himmlis<strong>ch</strong>er Grad (Impuls)<br />

Li<strong>ch</strong>t (= Geist)<br />

1. »Und Gott spra<strong>ch</strong>« v3-5<br />

Li<strong>ch</strong>t<br />

Finsternis<br />

Pflanzen als Aufnahmegefäße<br />

des Li<strong>ch</strong>tes (Chlorophyll)<br />

4. Tag<br />

Himmlis<strong>ch</strong>er Grad (Impuls)<br />

Li<strong>ch</strong>t (= Geist)<br />

5. »Und Gott spra<strong>ch</strong>« v14-19<br />

Sonne<br />

Mond und Sterne<br />

Der Mens<strong>ch</strong> als Aufnahmegefäß<br />

des Göttli<strong>ch</strong>en<br />

Diese Strukturanalyse von Genesis 1 basiert auf Friedri<strong>ch</strong> Weinreb (S<strong>ch</strong>öpfung im<br />

Wort: Die Struktur der Bibel in jüdis<strong>ch</strong>er Überlieferung, 2002, Seite 35). Sie wurde<br />

dann jedo<strong>ch</strong> mit Einsi<strong>ch</strong>ten Emanuel Swedenborgs weiterentwickelt. Aus der 2<br />

(Grundidee S<strong>ch</strong>öpfung) gehen 3 Grade oder Ebenen und darin 4 (= 2 mal 2) Werke<br />

hervor.


Die S<strong>ch</strong>öpfung: Eine Struktur der Zahl 2 59<br />

2. Erläuterungen zum S<strong>ch</strong>aubild<br />

Der S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t beginnt mit dem Bu<strong>ch</strong>staben Beth und somit mit der Zahl<br />

2. Die 2 ist das Gegenüber und daher die Grundidee der S<strong>ch</strong>öpfung. Demna<strong>ch</strong> ist<br />

es folgeri<strong>ch</strong>tig, dass die 2 die Grundzahl des S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>ts ist. Jeder Tag<br />

weist in si<strong>ch</strong> eine Dualität auf. Ferner ist zu bea<strong>ch</strong>ten, dass si<strong>ch</strong> der 1. und der 2.<br />

sowie der 4. und der 5. Tag gegenüberstehen und zuglei<strong>ch</strong> im 3. bzw. 6. Tag ihr<br />

gemeinsames »Kind« erzeugen. Daher beoba<strong>ch</strong>ten wir am 3. und am 6. Tag jeweils<br />

zwei Werke, denn beide Elternteile sind im 3. und 6. Tag gegenwärtig. Aus der 2<br />

ergeben si<strong>ch</strong> sona<strong>ch</strong> 3 Grade oder Ebenen, in denen die Zahl 4 als 2 mal 2 verwirkli<strong>ch</strong>t<br />

ist.<br />

Die drei Spalten repräsentieren das Li<strong>ch</strong>t (bzw. das Feuer) 82 , das Wasser und die<br />

Erde. I<strong>ch</strong> bin mir ni<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>er, ob in dieser Struktur au<strong>ch</strong> die Luft, für die der Hebräer<br />

bekanntli<strong>ch</strong> kein Wort hat, enthalten ist. Mögli<strong>ch</strong>erweise kann man im<br />

mehrmaligen Vorkommen von Wasser die spätere Unters<strong>ch</strong>eidung von Luft und<br />

Wasser erblicken. Dann wären im S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t die vier Elemente des Empedokles<br />

vorgebildet.<br />

Dass ein Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en den Werken des 1. und 4. Tags sowie des 2.<br />

und 5. Tags besteht, ist offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>. Besteht aber au<strong>ch</strong> ein Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en<br />

den Werken des 3. und des 6. Tags? Die samengebenden Pflanzen könnten<br />

mit dem Mann und die fru<strong>ch</strong>ttragenden Pflanzen mit der Frau in Beziehung gebra<strong>ch</strong>t<br />

werden. S<strong>ch</strong>wieriger ist es, einen Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en dem Wasser<br />

und dem Vieh und der Erde und dem Wild zu sehen. Bemerkenswert ist aber,<br />

dass nur das Wild mit Erde und nur die krie<strong>ch</strong>enden Tiere mit Erdboden (adamah)<br />

in Verbindung gebra<strong>ch</strong>t werden. Das Vieh hingegen, dass in v24 no<strong>ch</strong> die erste<br />

Stelle einnahm, tritt in v25 zurück, so dass das Wild hervortritt.<br />

Auf einige S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>stellen soll hingewiesen werden: Erstens: Die Zweierstruktur<br />

innerhalb der Werke s<strong>ch</strong>eint mir am problematis<strong>ch</strong>sten beim ersten Werk des<br />

se<strong>ch</strong>sten Tags (Vieh - Wild). Man muss hier das Krie<strong>ch</strong>getier zum Wild re<strong>ch</strong>nen,<br />

was mir aber mit Gen 3,1 mögli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>eint. Dort wird die S<strong>ch</strong>lange zum Wild des<br />

Feldes gere<strong>ch</strong>net. Zweitens: Die zehn Worte (wajomer elohim) lassen si<strong>ch</strong> klar<br />

abgrenzen. Allerdings sollte ni<strong>ch</strong>t übersehen werden, dass in v22 einmal »lemor«<br />

vorkommt.<br />

82<br />

Vgl. Lorber: »Nun wisset ihr au<strong>ch</strong>, was so ganz eigentli<strong>ch</strong> der Geist ist: er ist das Li<strong>ch</strong>t, wel<strong>ch</strong>es<br />

aus seiner eigenen Wärme si<strong>ch</strong> von Ewigkeiten zu Ewigkeiten erzeugt, und ist glei<strong>ch</strong> der<br />

Wärme die Liebe und glei<strong>ch</strong> dem Li<strong>ch</strong>te die Weisheit.« (Erde 52,14).


60 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Genesis 2<br />

Vorbemerkungen<br />

Swedenborg hat Genesis 2 in »Himmlis<strong>ch</strong>e Geheimnisse« 73 bis 167 ausgelegt.<br />

Dort kann man beim Meister selbst in die S<strong>ch</strong>ule gehen. Wel<strong>ch</strong>er besonderen<br />

Aufgabe will si<strong>ch</strong> demgegenüber mein Kommentar stellen? Selbstverständli<strong>ch</strong><br />

geht es au<strong>ch</strong> mir am Ende um den geistigen Sinn. Allerdings will i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in erster<br />

Linie Swedenborgs Auslegung na<strong>ch</strong>erzählen oder zusammenfassen. Die Lektüre<br />

von HG 73 bis 167 setze i<strong>ch</strong> mehr oder weniger voraus. Mein besonderes<br />

Interesse gilt vielmehr zwei Punkten. Zum einen mö<strong>ch</strong>te i<strong>ch</strong> mein Augenmerk<br />

mehr als Swedenborg auf die Anatomie des Textes ri<strong>ch</strong>ten. Denn wenn es stimmt,<br />

dass der innere Sinn im äußeren ebenso erkannt werden kann, wie die Seele im<br />

Leib (siehe Swedenborgs anatomis<strong>ch</strong>e Studien), dann ist das Studium der Anatomie<br />

des Textes die Grundlage der Entspre<strong>ch</strong>ungswissens<strong>ch</strong>aft. Zum anderen hat<br />

si<strong>ch</strong> das Wissen rund um die Bibel seit dem 18. Jahrhundert sehr vermehrt, woraus<br />

si<strong>ch</strong> die Notwendigkeit ergibt, Swedenborgs Auslegung auf die Höhe des<br />

heutigen Kenntnisstandes zu bringen. Diesen Erfordernissen muss si<strong>ch</strong> die neukir<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e<br />

Exegese stellen.<br />

Die Grundlage meiner Exegese ist der Text der hebräis<strong>ch</strong>en Bibel. Für die meisten<br />

Leser wird er aber nur in einer deuts<strong>ch</strong>en Übersetzung zugängli<strong>ch</strong> sein. Deswegen<br />

s<strong>ch</strong>lage i<strong>ch</strong> das folgende Vorgehen vor: Da es die vollkommene Übersetzung<br />

ni<strong>ch</strong>t gibt, sollte man mehrere verglei<strong>ch</strong>en. Ans<strong>ch</strong>ließend gilt als Faustregel: In<br />

den Fällen, in denen sie inhaltli<strong>ch</strong> übereinstimmen, kann man davon ausgehen,<br />

beim Sinn des Grundtextes zu sein. Wenn sie jedo<strong>ch</strong> auseinandergehen, ist anzunehmen,<br />

dass der Sinn des Grundtextes aus wel<strong>ch</strong>en Gründen au<strong>ch</strong> immer ni<strong>ch</strong>t<br />

eindeutig ermittelbar ist. In diesen Fällen kann ein Kommentar weiterhelfen. Um<br />

auf diese Weise arbeiten zu können, muss man si<strong>ch</strong> einen Bibelkorb zusammenstellen.<br />

Meiner besteht aus eher wörtli<strong>ch</strong>en Übersetzungen. Was heißt das? Der<br />

englis<strong>ch</strong>e Satz »It's raining cats and dogs« kann im Prinzip auf dreierlei Weise<br />

übersetzt werden. Erstens: »Es ist regnend Katzen und Hunde.« Das ist die Wortfür-Wort-Übersetzung.<br />

Zweitens: »Es regnet Katzen und Hunde.« Das ist die wörtli<strong>ch</strong>e<br />

Übersetzung. 83 Und drittens: »Es gießt in Strömen.« Das ist die freie oder<br />

sinngemäße oder kommunikative Übersetzung. Gegen eine gelungene freie Übersetzung,<br />

die den Sinn vollständig in die Zielspra<strong>ch</strong>e überträgt, ist an und für si<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>ts einzuwenden. In der Praxis zeigt si<strong>ch</strong> aber, dass die meisten freien Übersetzungen<br />

den Sinn vieler Bibelstellen ni<strong>ch</strong>t ausrei<strong>ch</strong>end erfassen, so dass der<br />

Leser in hohem Maße den Meinungen der Übersetzer ausgeliefert ist. Wenn i<strong>ch</strong><br />

denno<strong>ch</strong> eine kommunikative Übersetzung empfehlen sollte, dann die Neue Gen-<br />

83<br />

Man<strong>ch</strong>mal wird die wörtli<strong>ch</strong>e Übersetzung au<strong>ch</strong> die philologis<strong>ch</strong>e genannt. Aber man<strong>ch</strong>mal<br />

werden die wörtli<strong>ch</strong>e und die philologis<strong>ch</strong>e au<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>ieden. Dann gilt: Die philologis<strong>ch</strong>e<br />

Übersetzung verfährt gegenüber der ausgangsspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Wortfolge etwas freier als die<br />

wörtli<strong>ch</strong>e.


Genesis 2 61<br />

fer Übersetzung, die aber no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t vollständig vorliegt. Zu den Wort-für-Wort-<br />

Übersetzungen kurz dies: Obwohl Swedenborg in seinem bibelexegetis<strong>ch</strong>en<br />

Hauptwerk »Arcana Caelestia« eine Übersetzung hat, die dem Wort-für-Wort-Typ<br />

sehr nahe kommt, mö<strong>ch</strong>te i<strong>ch</strong> diesen Typ dem, der keine Kenntnisse der biblis<strong>ch</strong>en<br />

Spra<strong>ch</strong>en hat, ebenfalls ni<strong>ch</strong>t empfehlen, denn er enthält einen s<strong>ch</strong>wer<br />

verständli<strong>ch</strong>en, gelegentli<strong>ch</strong> sogar unverständli<strong>ch</strong>en Text. 84 So empfehle i<strong>ch</strong> für<br />

den Bibelkorb den mittleren Weg wörtli<strong>ch</strong>er oder philologis<strong>ch</strong>er Übersetzungen<br />

und konkret die folgenden Bibeln: 1. Die Elberfelder Bibel von 2006. Das ist die<br />

wörtli<strong>ch</strong>ste Bibel. 2. Die Zür<strong>ch</strong>er Bibel von 2007. Das ist die wohl zuverlässigste<br />

philologis<strong>ch</strong>e Bibel. 3. Die Menge-Bibel (1939). Das ist die Übersetzung des Altphilologen<br />

Hermann Menge (1841-1939). 4. Die Lutherbibel (1984). 5. Die katholis<strong>ch</strong>e<br />

Einheitsübersetzung (1980). 6. Die neukir<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Tafelbibel. Sie existiert in<br />

der ursprüngli<strong>ch</strong>en Fassung von Leonhard Tafel (1875 und 1880) und in der revidierten<br />

von Ludwig Tafel (1911). 85 Diese Bibel nimmt die exegetis<strong>ch</strong>en Einsi<strong>ch</strong>ten<br />

Swedenborgs auf, sie ist aber im 19. bzw. frühen 20. Jahrhundert stehen geblieben.<br />

Übersetzung mit Erläuterungen<br />

Die Übersetzung von Genesis 2 fertigte i<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> der Auslegung des hebräis<strong>ch</strong>en<br />

Textes an. Sie steht hier aber vor der Auslegung. Damit soll zum Ausdruck gebra<strong>ch</strong>t<br />

werden, dass der Text die Grundlage unserer Gedankenbildung aus dem<br />

göttli<strong>ch</strong>en Wort ist. In den Fußnoten gebe i<strong>ch</strong> Erläuterungen zur Übersetzung und<br />

gehe auf die wi<strong>ch</strong>tigsten Varianten ein, wobei i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> auf die oben genannten<br />

Bibeln beziehe.<br />

1. So waren (nun) die Himmel 86 und die Erde und ihr ganzes Heer vollendet. 2.<br />

Und Gott vollendete am siebten Tag sein Werk, das er gema<strong>ch</strong>t hatte; und er ruhte<br />

am siebten Tag von all seinem Werk, das er gema<strong>ch</strong>t hatte. 3. Und Gott segnete<br />

den siebten Tag und heiligte ihn, denn an ihm ruhte Gott von all seinem Werk,<br />

das er ers<strong>ch</strong>affen hatte, um es zu ma<strong>ch</strong>en 87 . 4. Dies sind die Geburten 88 des Him-<br />

84<br />

Sol<strong>ch</strong>e Übersetzungen sind als Interlinearbibeln erhältli<strong>ch</strong>. Die deuts<strong>ch</strong>en Wörter stehen<br />

direkt unter dem hebräis<strong>ch</strong>en oder grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Grundtext, und zwar ohne Rücksi<strong>ch</strong>t auf die<br />

deuts<strong>ch</strong>e Grammatik. Dieser Kategorie ordne i<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> die no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t vollständig vorliegende<br />

konkordante Bibelübersetzung (siehe Konkordanter Verlag Pforzheim), die Verdeuts<strong>ch</strong>ung<br />

der S<strong>ch</strong>rift von Martin Buber und Franz Rosenzweig und das Mün<strong>ch</strong>ener Neue Testament zu.<br />

85<br />

Diese Bibel ist als Druckausgabe ni<strong>ch</strong>t mehr erhältli<strong>ch</strong>. Im Internet ist aber eine PDF-Datei<br />

der revidierten Fassung vorhanden.<br />

86<br />

Vers 1: I<strong>ch</strong> habe »die Himmel« (Plural) als Übersetzung gewählt, um so für den deuts<strong>ch</strong>spra<strong>ch</strong>igen<br />

Leser die Mögli<strong>ch</strong>keit si<strong>ch</strong>tbar zu ma<strong>ch</strong>en, dass si<strong>ch</strong> »ihr Heer« auf »die Himmel« beziehen<br />

könnte.<br />

87<br />

Vers 3: Wel<strong>ch</strong>en Sinn hat die Aufeinanderfolge von »s<strong>ch</strong>affen« (hebr. bara) und »ma<strong>ch</strong>en«<br />

(hebr. asah)? Die Übersetzer ents<strong>ch</strong>eiden si<strong>ch</strong> zuweilen für mehr spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Eleganz. Daher<br />

hat die Zür<strong>ch</strong>er Bibel: »…, das er dur<strong>ch</strong> sein Tun ges<strong>ch</strong>affen hatte.« Am freiesten innerhalb<br />

der oben genannten Auswahl geht die Einheitsübersetzung mit dem Grundtext um: »…, na<strong>ch</strong>dem<br />

er das ganze Werk der S<strong>ch</strong>öpfung vollendet hatte.«


62 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

mels und der Erde, als sie ers<strong>ch</strong>affen wurden. An dem Tag, als Jahwe 89 Gott Erde<br />

und Himmel ma<strong>ch</strong>te 5. und es no<strong>ch</strong> kein Gesträu<strong>ch</strong> des Feldes gab auf der Erde<br />

und no<strong>ch</strong> kein Feldkraut wu<strong>ch</strong>s, weil Jahwe Gott no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t hatte regnen lassen<br />

auf die Erde und no<strong>ch</strong> kein Mens<strong>ch</strong> da war, um den Erdboden zu bebauen, 6. aber<br />

(bereits) ein Dunst 90 von der Erde aufstieg und die ganze Oberflä<strong>ch</strong>e des Erdbodens<br />

tränkte, 7. da bildete Jahwe Gott den Mens<strong>ch</strong>en aus Staub vom Erdboden 91<br />

und blies den Odem des Lebens 92 in seine Nase. So wurde der Mens<strong>ch</strong> ein lebendiges<br />

Wesen. 8. Dann pflanzte Jahwe Gott einen Garten in Eden 93 im Osten, und<br />

da hinein setzte er den Mens<strong>ch</strong>en, den er gebildet hatte. 9. Und Jahwe Gott ließ<br />

aus dem Erdboden allerlei Bäume wa<strong>ch</strong>sen, begehrenswert anzusehen und gut zu<br />

essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis<br />

von Gut und Böse. 10. Und der Fluss, der von Eden ausging 94 , um den Garten zu<br />

bewässern, teilte si<strong>ch</strong> von dort aus in vier Hauptarme: 11. Der Name des ersten<br />

ist Pis<strong>ch</strong>on; der umfließt das ganze Land Chawila, wo es Gold gibt. 12. Und das<br />

Gold dieses Landes ist kostbar. Dort gibt es Bdellionharz 95 und Karneolstein 96 . 13.<br />

88<br />

Vers 4: Keine der ni<strong>ch</strong>t neukir<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Verglei<strong>ch</strong>sbibeln wagt es, Toledot mit Geburten oder<br />

Zeugungen zu übersetzen. In der Regel steht »die Entstehungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des Himmels und<br />

der Erde« (ELB). Viele Übersetzungsvarianten betreffen ni<strong>ch</strong>t den Sinn. Hier aber liegen<br />

sinnvers<strong>ch</strong>iedene Alternativen vor. Sind »die Geburten des Himmels und der Erde« oder »die<br />

Entstehungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des Himmels und der Erde« gemeint? Im ersten Fall sind Himmel und<br />

Erde als Vater und Mutter oder Urelternpaar zu verstehen. Im zweiten Fall wird angenommen,<br />

dass hier von Kosmogonie (Entstehung der S<strong>ch</strong>öpfung) die Rede ist. Im ersten Fall verstehen<br />

wir den Text als Übers<strong>ch</strong>rift zur Paradieserzählung von Genesis 2,4-3,24. Im zweiten<br />

Fall wird er als Unters<strong>ch</strong>rift zum S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t von Genesis 1,1-2,4a verstanden.<br />

89<br />

Vers 4: Swedenborg gab den Eigennamen Gottes mit »Jehovah« wieder. Diese Ausspra<strong>ch</strong>e<br />

des Tetragramms ergab si<strong>ch</strong> aus der Verbindung der vier Bu<strong>ch</strong>staben Jhwh des Konsonantentextes<br />

mit den Vokalen von Adonaj (mein Herr). Heute wird in der Regel gesagt, dass Jahwe<br />

die ursprüngli<strong>ch</strong>e Ausspra<strong>ch</strong>e gewesen sei.<br />

90<br />

Vers 6: Das hebr. Ed kommt nur hier und Hiob 36,27 vor. Es ist daher ni<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>er zu deuten.<br />

Dementspre<strong>ch</strong>end findet man in den deuts<strong>ch</strong>en Übersetzungen »Dunst« (ELB), »Wassers<strong>ch</strong>wall«<br />

(ZUR), »Wasserdunst« (MEN), »Nebel« (LUT) und »Feu<strong>ch</strong>tigkeit« (EIN). Swedenborg<br />

hat »vapor« (Dunst), womit die Vorstellung des Dur<strong>ch</strong>strömens (perfundere in HG 91) verbunden<br />

ist. I<strong>ch</strong> verstehe das Aufsteigen des Dunstes als Vorbereitung der Formung des Mens<strong>ch</strong>en<br />

aus dem Staub des Erdbodens. Dementspre<strong>ch</strong>end ist die Übersetzung gehalten.<br />

91<br />

Vers 7: Mens<strong>ch</strong> und Erdboden sind in der Spra<strong>ch</strong>e der hebräis<strong>ch</strong>en Bibel dur<strong>ch</strong> das Wortspiel<br />

Adam und Adama verbunden. Daher könnte man au<strong>ch</strong> übersetzen: »Und Jahwe Gott formte<br />

den Erdling aus Staub der Erds<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>t«.<br />

92<br />

Vers 7: Im Hebräis<strong>ch</strong>en steht der Plural von Leben. Die wörtli<strong>ch</strong>e Übersetzung lautet daher:<br />

Odem der Leben (Swedenborg: spiraculum vitarum).<br />

93<br />

Verse 8, 10, 15: Eden hat au<strong>ch</strong> die Bedeutung Wonne (vgl. grie<strong>ch</strong>. Hedone). Daher heißt der<br />

Garten Eden in der Vulgata »paradisus voluptatis« (Garten der Lust).<br />

94<br />

Vers 10: Wörtli<strong>ch</strong>: »Und ein Fluss ausgehend von Eden«. I<strong>ch</strong> habe aus der Partizipialkonstruktion<br />

einen Relativsatz gema<strong>ch</strong>t.<br />

95<br />

Vers 12: Bedol<strong>ch</strong>harz oder Bdelliumharz. Laut Anhang der Lutherbibel: »Das wohlrie<strong>ch</strong>ende<br />

Harz der in Südarabien heimis<strong>ch</strong>en Balsamstaude, das als Duftstoff, zum Räu<strong>ch</strong>ern und als<br />

Wundmittel verwendet wurde.«


Genesis 2 63<br />

Und der Name des zweiten Flusses ist Gi<strong>ch</strong>on; der umfließt das ganze Land<br />

Kus<strong>ch</strong> 97 . 14. Und der Name des dritten Flusses ist Chiddekel 98 ; der verläuft östli<strong>ch</strong><br />

von Assur. Und der vierte Fluss, das ist der Eufrat 99 . 15. Und Jahwe Gott nahm<br />

den Mens<strong>ch</strong>en und setzte ihn in den Garten Eden, damit er ihn 100 bebaue und<br />

bewahre. 16. Und Jahwe Gott gebot dem Mens<strong>ch</strong>en und spra<strong>ch</strong>: Von allen Bäumen<br />

des Gartens darfst du essen, 17. vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse<br />

aber, von dem darfst du ni<strong>ch</strong>t essen, denn an dem Tag, da du davon isst, musst<br />

du sterben. 18. Und Jahwe Gott spra<strong>ch</strong>: Es ist ni<strong>ch</strong>t gut, dass der Mens<strong>ch</strong> allein<br />

ist. I<strong>ch</strong> will ihm eine Hilfe ma<strong>ch</strong>en, die wie bei ihm ist 101 . 19. Daraufhin bildete<br />

Jahwe Gott aus dem Erdboden alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Himmels<br />

und bra<strong>ch</strong>te sie zum Mens<strong>ch</strong>en, um zu sehen wie er sie nennen würde; und ganz<br />

wie der Mens<strong>ch</strong> sie, die lebenden Wesen 102 , nennen würde, so sollten sie heißen.<br />

20. Und obglei<strong>ch</strong> der Mens<strong>ch</strong> allem Vieh und den Vögeln des Himmels und allen<br />

Tieren 103 des Feldes Namen gab, fand er für den Mens<strong>ch</strong>en keine Hilfe, die wie<br />

bei ihm war. 21. Da ließ Jahwe Gott einen tiefen S<strong>ch</strong>laf auf den Mens<strong>ch</strong>en fallen,<br />

und er s<strong>ch</strong>lief ein. Und er nahm eine von seinen Rippen 104 und s<strong>ch</strong>loss die Stelle<br />

96<br />

Vers 12: Hebr. S<strong>ch</strong>oham bleibt in einigen Bibeln unübersetzt (bei Swedenborg, ELB und LUT)<br />

oder wird mit Onyx (LEO und LUD), Chrysopras (bei MEN in Klammern) oder Karneolstein<br />

(ZUR und EIN) übersetzt.<br />

97<br />

Vers 13: Swedenborg identifiziert Kus<strong>ch</strong> mit Äthiopien (HG 117).<br />

98<br />

Vers 14: Der Chiddeqel ist der Tigris.<br />

99<br />

Vers 14: Der Pherat ist au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Swedenborg der Eufrat (HG 118).<br />

100<br />

Vers 15: Die Verben »bebauen« und »bewahren« sind mit femininen Suffixen verbunden,<br />

obwohl Garten maskulin ist. Die femininen Suffixe orientieren si<strong>ch</strong> wohl an Eden (Horst Seebass,<br />

Genesis I: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 111f.).<br />

101<br />

Verse 18 und 20: Swedenborg bietet für hebr. kenegdo eine sehr ungewöhnli<strong>ch</strong>e Übersetzung<br />

an, nämli<strong>ch</strong> »wie bei ihm« (tanquam apud illum). Meist wird jedo<strong>ch</strong> im Hinblick auf die Ähnli<strong>ch</strong>keit<br />

zwis<strong>ch</strong>en Mann und Frau übersetzt: »die ihm entspri<strong>ch</strong>t« (ELB und EIN) oder »ihm<br />

gemäss« (ZUR).<br />

102<br />

Vers 19: Ist »lebendes Wesen« auf den Mens<strong>ch</strong>en oder die Tiere zu beziehen? Die meisten<br />

Übersetzungen beziehen diese Formulierung auf die Tiere, so dass wir lesen: »und genau so<br />

wie der Mens<strong>ch</strong> sie, die lebenden Wesen, nennen würde, (so) sollte ihr Name sein« (ELB).<br />

Die Zür<strong>ch</strong>er Bibel bildet hier die Ausnahme. Dort heißt es: »und ganz wie der Mens<strong>ch</strong> als lebendiges<br />

Wesen sie nennen würde, so sollten sie heissen«. Au<strong>ch</strong> Swedenborg bezieht »lebendes<br />

Wesen« auf die Tiere. Seine Übersetzung zwis<strong>ch</strong>en HG 130 und 131 lautet: »et quicquid<br />

vocabat id homo, animam viventem, id nomen ejus.« Anima vivens im Akkusativ belegt den<br />

Zusammenhang mit den Tieren. Das geht no<strong>ch</strong> eindeutiger aus OE 750 hervor: »Dass ›lebendige<br />

Seele‹ das Leben im allgemeinen bezei<strong>ch</strong>net, geht aus den Stellen hervor, wo Tiere, Vögel,<br />

Reptilien und Fis<strong>ch</strong>e ›lebendige Seelen‹ heißen«. In der ans<strong>ch</strong>ließenden Aufzählung der<br />

Stellen ist au<strong>ch</strong> Genesis 2,19 enthalten.<br />

103<br />

Vers 20: »Chajja« (Tier) in Vers 19 übersetzt Swedenborg mit bestia. Dasselbe Wort in Vers<br />

20 hingegen übersetzt er mit fera.<br />

104<br />

Vers 21: Das in allen Verglei<strong>ch</strong>sübersetzungen als Rippe auftau<strong>ch</strong>ende Wort kann au<strong>ch</strong> Seite<br />

bedeuten. Swedenborg hat costa, das Rippe, aber au<strong>ch</strong> die rippenartigen Seitenwände eines<br />

S<strong>ch</strong>iffes bedeutet. Die Septuaginta hat pleura, das die Seite des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Leibes (= die<br />

Rippen) bezei<strong>ch</strong>net.


64 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

mit Fleis<strong>ch</strong>. 22. Und Jahwe Gott baute 105 aus der Rippe, die er vom Mens<strong>ch</strong>en<br />

genommen hatte, ein Weib 106 und bra<strong>ch</strong>te es zum Mens<strong>ch</strong>en. 23. Da spra<strong>ch</strong> der<br />

Mens<strong>ch</strong>: Diese nun ist Gebein von meinem Gebein und Fleis<strong>ch</strong> von meinem<br />

Fleis<strong>ch</strong>. Diese soll Is<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>a (Weib) heißen, denn vom Is<strong>ch</strong> (Mann) 107 ist sie genommen.<br />

24. Deswegen verlässt ein Mann seinen Vater und seine Mutter und<br />

hängt seinem Weib an und so werden sie ein Fleis<strong>ch</strong>. 25. Und die beiden waren<br />

nackt, der Mens<strong>ch</strong> und sein Weib, aber sie s<strong>ch</strong>ämten si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t 108 .<br />

Abgrenzung und Gliederung<br />

Swedenborg fasste Genesis 2,1- 3,24 zu einer Einheit zusammen. Denn während<br />

in Genesis 1 vom geistigen Mens<strong>ch</strong>en (spiritualis homo) die Rede war, beginnt<br />

mit Genesis 2 die Rede vom himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en (caelestis homo) (siehe HG<br />

81). Swedenborg sah also mit Genesis 2,1 eine neue Einheit beginnen. Und aus<br />

seinen Ausführungen in HG 286 geht hervor, dass Genesis 3,24 »der Abs<strong>ch</strong>luss<br />

alles Vorhergehenden (conclusio omnium praecedentium)« ist. 109 Der Erzählzusammenhang<br />

Genesis 2 bis 3 wird szenis<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> den Garten Eden oder das Paradies<br />

zu einer Einheit. 110 Darunter ist der Vollendungszustand der alten S<strong>ch</strong>öpfung<br />

oder der himmlis<strong>ch</strong>e Mens<strong>ch</strong> oder die Urkir<strong>ch</strong>e der Mens<strong>ch</strong>heit zu verstehen.<br />

Genesis 2 bis 3 sind somit der mythis<strong>ch</strong>e Beri<strong>ch</strong>t 111 von der ältesten oder<br />

Urkir<strong>ch</strong>e im engeren Sinne.<br />

Ein Blick in Bibelübersetzungen und Kommentare zeigt nun aber, dass dort Genesis<br />

2,4b -3,24 als Einheit gesehen werden. Während das Ende also unstrittig ist,<br />

verlangt die Abwei<strong>ch</strong>ung am Anfang na<strong>ch</strong> einer genaueren Beurteilung der Textsituation.<br />

Betra<strong>ch</strong>ten wir zunä<strong>ch</strong>st Genesis 2,1-3: Dieser Abs<strong>ch</strong>nitt zeigt Gemeinsamkeiten<br />

mit dem von Genesis 1 her gewohnten Bild. So wird die Tageszählung<br />

fortgesetzt und es ist nur von »Gott«, no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t von »Jahwe Gott«, die Rede. Andererseits<br />

ist der siebte Tag von den se<strong>ch</strong>s vorangegangenen aber au<strong>ch</strong> deutli<strong>ch</strong><br />

unters<strong>ch</strong>ieden, denn die ständig wiederkehrenden Formeln, die Genesis 1 prägen,<br />

105<br />

Vers 22: Das Verb bauen bezei<strong>ch</strong>net zwar in akkadis<strong>ch</strong>er und ugaritis<strong>ch</strong>er Entspre<strong>ch</strong>ung den<br />

S<strong>ch</strong>öpfungsvorgang, aber alttestamentli<strong>ch</strong> hat das keinen re<strong>ch</strong>ten Widerhall (Horst Seebass,<br />

Genesis I: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 118). Daher fällt »bauen« in einigen Übersetzungen<br />

dem Streben na<strong>ch</strong> spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Eleganz zum Opfer. ZUR hat ma<strong>ch</strong>en und MEN gestalten.<br />

106<br />

Vers 22: Is<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>a kommt in Genesis 2 viermal vor. In Vers 22 wählte Swedenborg mulier<br />

(Weib) und in den Versen 23, 24 und 25 uxor (Gattin).<br />

107<br />

Vers 23: Luther gab das Wortspiel Is<strong>ch</strong> und Is<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>a mit Mann und Männin wieder.<br />

108<br />

Vers 25: Einige Übersetzungen fügen hier »voreinander« ein (siehe ZUR, MEN und EIN).<br />

109<br />

In HG 286 bezieht si<strong>ch</strong> »alles Vorhergehende« auf Genesis 1 bis 3, also au<strong>ch</strong> auf Genesis 1.<br />

Das hebt aber ni<strong>ch</strong>t die Beoba<strong>ch</strong>tung eines Eins<strong>ch</strong>nitts zwis<strong>ch</strong>en Genesis 1 und 2 auf.<br />

110<br />

Der Garten wird allerdings erst in Genesis 2,8 gepflanzt. Die Formung des Mens<strong>ch</strong>en ges<strong>ch</strong>ieht<br />

no<strong>ch</strong> vor der Pflanzung des Gartens und somit außerhalb desselben.<br />

111<br />

Swedenborg verwendet den Begriff Mythos no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, hat aber stattdessen die Wendung<br />

»gema<strong>ch</strong>te Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten« (historica facta). So bezei<strong>ch</strong>net er die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (HG 1403, 1540).


Genesis 2 65<br />

fehlen. Außerdem ist der siebte Tag ni<strong>ch</strong>t einfa<strong>ch</strong> nur ein weiterer Tag in der Kette<br />

der Tage, sondern von dort aus ers<strong>ch</strong>einen die vorangegangenen Tage als ein<br />

Ganzes, das »Werk« (Gen 2,2.3) oder Se<strong>ch</strong>stagewerk genannt wird. Die S<strong>ch</strong>öpfung<br />

wird als abges<strong>ch</strong>lossen betra<strong>ch</strong>tet: »So wurden der Himmel und die Erde und<br />

ihr ganzes Heer vollendet.« (Gen 2,1). Mit demselben Verb »vollenden« wird aber<br />

glei<strong>ch</strong> darauf in Vers 2 gesagt, dass Gott erst am siebten Tag sein Werk »vollendete«<br />

oder zum Abs<strong>ch</strong>luss bra<strong>ch</strong>te. Diese abs<strong>ch</strong>ließende Vollendung des an si<strong>ch</strong><br />

s<strong>ch</strong>on fertigen Produkts besteht in der Ruhe des siebten Tages bzw. mit Swedenborg<br />

gespro<strong>ch</strong>en im Übergang zum himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en. Die Ruhe ist der<br />

Grundton des neuen Zustandes, der von Genesis 2 bis 3 alles trägt in Gestalt des<br />

Paradieses. Denn das Paradies ist der Vollendungszustand der Ruhe in Gott oder<br />

des himmlis<strong>ch</strong>en Friedens. So komme i<strong>ch</strong> zu dem folgenden Ergebnis: Genesis<br />

2,1-3 sollte weder zum Se<strong>ch</strong>stagewerk (Genesis 1) no<strong>ch</strong> zur Paradieserzählung<br />

(Genesis 2,4-3,24) zuges<strong>ch</strong>lagen, sondern als Brücke zwis<strong>ch</strong>en diesen beiden<br />

Landmassen angesehen werden. Au<strong>ch</strong> in der Grundtextausgabe der hebräis<strong>ch</strong>en<br />

Bibel ist Genesis 2,1-3 als eigenständiger Abs<strong>ch</strong>nitt (sog. offener Abs<strong>ch</strong>nitt = Petu<strong>ch</strong>a)<br />

gekennzei<strong>ch</strong>net. Die klassis<strong>ch</strong>e Urkundenhypothese (Wellhausen-Modell)<br />

erzwang jedo<strong>ch</strong> die Zuordnung zu einer der beiden »Landmassen«, und zwar zu<br />

Genesis 1, dem S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t der Priesters<strong>ch</strong>rift. Es fehlt no<strong>ch</strong> eine Bemerkung<br />

zu Genesis 2,4a: Diese erste Toledotformel (»Dies sind die Geburten …«) wird<br />

im allgemeinen als Unters<strong>ch</strong>rift zu Genesis 1,1-2,3 angesehen. Do<strong>ch</strong> Swedenborg<br />

(HG 89) und einige andere Fors<strong>ch</strong>er sehen darin die Übers<strong>ch</strong>rift für Genesis<br />

2,4bff.<br />

Die Bespre<strong>ch</strong>ung der Abgrenzungsproblematik lässt si<strong>ch</strong> so zusammenfassen:<br />

Genesis 2,4 -3,24 bildet die Einheit der Paradieserzählung. Genesis 2,1-3 hingegen<br />

ist ein Abs<strong>ch</strong>nitt sui generis. Darin ist der Übergang (Brückenfunktion!) vom<br />

geistigen zum paradiesis<strong>ch</strong>en oder himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en, in dem Gott zur Ruhe<br />

kommt, thematisiert, weswegen i<strong>ch</strong> diesen Abs<strong>ch</strong>nitt hier im Zusammenhang<br />

meiner Interpretation von Genesis 2,4ff. behandle.<br />

Zur Gliederung von Genesis 2: Genesis 2,1-3 ist, wie soeben dargestellt, die Brükke<br />

zwis<strong>ch</strong>en der S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te und der Paradieserzählung. Genesis 2,4a<br />

ist die erste Toledotformel der Genesis. Zur Bedeutung dieser auf den ersten Blick<br />

eher uns<strong>ch</strong>einbaren Formeln s<strong>ch</strong>reibt Thomas Hieke: »Die konsequente Bea<strong>ch</strong>tung<br />

der Toledot-Formel als Struktursignal und Leseanweisung erweist si<strong>ch</strong> als<br />

wesentli<strong>ch</strong>es Gliederungsmerkmal des Bu<strong>ch</strong>es Genesis.« 112 Genesis 2,4b-7 thematisiert<br />

die Bildung oder Formung des Mens<strong>ch</strong>en. Sie ges<strong>ch</strong>ieht no<strong>ch</strong> vor der Pflanzung<br />

des Gartens, der das »Bühnenbild« von Genesis 2,8 bis 3,24 bestimmt. Genesis<br />

2,4b-7 kann daher als die der eigentli<strong>ch</strong>en »Bühnenhandlung« vorangestellte<br />

Exposition angesehen werden. Zur Syntax bemerkte Odil Hannes Steck: »Die<br />

temporale Bestimmung V 4b gehört mit den Zustandsaussagen V 5-6 zusammen<br />

112<br />

Thomas Hieke, Die Genealogien der Genesis, 2003, Seite 241.


66 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

als Vordersatz zu dem Na<strong>ch</strong>satz V 7« 113 . Genesis 2,8-17 lässt uns den Garten ers<strong>ch</strong>auen,<br />

und wir erfahren, wie der Mens<strong>ch</strong> diese, seine Urumgebung gebrau<strong>ch</strong>en<br />

sollte. »Der Abs<strong>ch</strong>nitt ist in der Form A-B-A gehalten.« 114 Das heißt: Die A-Verse<br />

8-9 und 15-17 ums<strong>ch</strong>ließen die B-Verse 10-14 (die vier Flüsse), wobei die beiden<br />

A-Gruppen einen ähnli<strong>ch</strong>en Inhalt haben, denn in den Versen 8 und 15 ist<br />

von der Hineinsetzung des Mens<strong>ch</strong>en in den Garten die Rede, und in den Versen<br />

9 und 16f. geht es um die Bäume des Gartens. Genesis 2,18-25 s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> steht<br />

im Zei<strong>ch</strong>en der Frau. Vers 18 bildet mit den Sti<strong>ch</strong>worten Alleinsein und Hilfe den<br />

Auftakt. Es folgen in den Versen 19f. die Tierszene und in den Versen 21-23 die<br />

Auferbauung der Frau aus einer Verhärtung (Rippe) des Mens<strong>ch</strong>en. Der Vers 24<br />

ist der erzähleris<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>lusspunkt. Und der Vers 25 bildet die Brücke zu Genesis<br />

3.<br />

Zwei S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>te<br />

Die Bibel beginnt mit zwei S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>ten, einen in Genesis 1 (das Se<strong>ch</strong>stagewerk)<br />

und den anderen in Genesis 2. Diese Dublette wird meist vor dem Hintergrund<br />

einer Quellentheorie erklärt. Klassis<strong>ch</strong> ist die Auskunft, dass Genesis<br />

1,1-2,4a zur Priesters<strong>ch</strong>rift gehöre, während Genesis 2,4b-3,24 dem sog. Jahwisten<br />

angehöre. Swedenborg hat die wi<strong>ch</strong>tigsten Beoba<strong>ch</strong>tungen 115 , die zur Quellens<strong>ch</strong>eidung<br />

führten, au<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t, aber anders gedeutet, nämli<strong>ch</strong> mit dem<br />

Hinweis auf die damalige »S<strong>ch</strong>reibart« (stilus) 116 . Demna<strong>ch</strong> ist die zweimalige<br />

S<strong>ch</strong>öpfung des Mens<strong>ch</strong>en auf zwei Stufen der Wiedergeburt zu beziehen: »Dieses<br />

(zweite) Kapitel (der Genesis) handelt vom himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en. Das vorhergehende<br />

(erste) handelte vom geistigen, der aus einem toten gema<strong>ch</strong>t wurde.«<br />

(HG 81). Später nennt Swedenborg die erste Stufe »Umbildung« (reformatio) und<br />

die zweite »Wiedergeburt« (regeneratio). Dass »Umbildung« sein Begriff für das<br />

Se<strong>ch</strong>stagewerk und »Wiedergeburt« sein Begriff für die Ruhe des siebten Tags ist,<br />

113<br />

Odil Hannes Steck, Die Paradieserzählung: Eine Auslegung von Genesis 2,4b-3,24, 1970,<br />

Seite 28.<br />

114<br />

Horst Seebass, Genesis I: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 107.<br />

115<br />

So fällt ihm beispielsweise in HG 89 das erstmalige Vorkommen von »Jahwe Elohim« in Genesis<br />

2,4b auf, na<strong>ch</strong>dem vorher von »Elohim« (Gott) die Rede war. Der We<strong>ch</strong>sel von Jahwe und<br />

Elohim diente seit dem 18. Jahrhundert als Ansatzpunkt für die Urkundenhypothesen. Erstmals<br />

wurde dieses Kriterium 1711 von dem evangelis<strong>ch</strong>en Hildesheimer Pfarrer Henning<br />

Bernhard Witter (1683-1715) angewendet. Witters Entdeckung hatte allerdings zunä<strong>ch</strong>st keine<br />

Wirkungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te. Daher wurde Jean Astruc (1684-1766) mit seinem 1753 veröffentli<strong>ch</strong>ten<br />

Werk »Vermutungen über die authentis<strong>ch</strong>en Überlieferungen, deren si<strong>ch</strong> Mose bei der<br />

Abfassung der Genesis bediente« zum Begründer der sog. »älteren Urkundenhypothese«.<br />

Swedenborg gab bereits 1749 den ersten Band seiner »Arcana Caelestia« heraus. Darin ging<br />

er auf dem We<strong>ch</strong>sel von Jahwe und Elohim, auf Widersprü<strong>ch</strong>e und Dubletten ein und erklärte<br />

sie aus der altorientalis<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>reibart. Obwohl Swedenborg als Begründer der Entspre<strong>ch</strong>ungswissens<strong>ch</strong>aft<br />

gilt, sind seine Erläuterungen bestimmter Textphänomene ni<strong>ch</strong>t selten<br />

au<strong>ch</strong> für die historis<strong>ch</strong>e Bibelwissens<strong>ch</strong>aft in hohem Maße verwertbar.<br />

116<br />

Zum Sti<strong>ch</strong>wort »S<strong>ch</strong>reibart« (stilus) siehe man beispielsweise HG 66, 605, 742, 1140.


Genesis 2 67<br />

geht am deutli<strong>ch</strong>sten aus WCR 302 hervor (siehe aber au<strong>ch</strong> HG 10667f. in Verbindung<br />

mit WCR 571).<br />

Der Brückentext: Genesis 2,1-3<br />

Zu Vers 1: Man übersieht lei<strong>ch</strong>t, dass Vers 1 den siebten Tag no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t erwähnt.<br />

Dieser Vers s<strong>ch</strong>aut no<strong>ch</strong> ganz und gar auf das Se<strong>ch</strong>stagewerk zurück und stellt<br />

fest, dass es nun abges<strong>ch</strong>lossen oder vollendet ist. Swedenborg formuliert diese<br />

exegetis<strong>ch</strong>e Einsi<strong>ch</strong>t mit den Worten: »Dieser Vers ist so zu verstehen: Der<br />

Mens<strong>ch</strong> ist nun, insoweit er ›der se<strong>ch</strong>ste Tag‹ ist, ein geistiger geworden.« (HG<br />

82). »›Vollendet‹ heißen ›Himmel und Erde und all ihr Heer‹, wenn der Mens<strong>ch</strong><br />

›der se<strong>ch</strong>ste Tag‹ geworden ist.« (HG 83). Das Verb »vollenden« meint hier also,<br />

dass das Ende oder der Abs<strong>ch</strong>luss voll und ganz errei<strong>ch</strong>t ist. Vers 1 ist sozusagen<br />

der S<strong>ch</strong>lusspunkt hinter dem Se<strong>ch</strong>stagewerk. Dieser Rückbezug wird in den meisten<br />

Übersetzungen dur<strong>ch</strong> die Verwendung von »so« angezeigt: »So waren der<br />

Himmel und die Erde mit ihrem ganzen Heer vollendet.« (MEN). Feinsinnig verwendet<br />

Hermann Menge außerdem »waren« statt wie die meisten Übersetzungen<br />

»wurden«.<br />

Zum inneren Sinn von Vers 1 heißt es bei Swedenborg: »Dieser Vers bedeutet,<br />

dass der Mens<strong>ch</strong> nun, insoweit er ›der se<strong>ch</strong>ste Tag‹ ist, ein geistiger geworden<br />

ist. ›Der Himmel‹ ist sein innerer Mens<strong>ch</strong> und ›die Erde‹ sein äußerer. ›Ihr Heer‹<br />

sind die Liebe, der Glaube und all deren Erkenntnisse, die vorher dur<strong>ch</strong> ›die großen<br />

Li<strong>ch</strong>ter und die Sterne‹ (Gen 1,16) bezei<strong>ch</strong>net wurden.« (HG 82). Bea<strong>ch</strong>tenswert<br />

ist »ihr Heer« am Ende von Vers 1. Das Possessivpronomen »ihr« im Plural<br />

und die Stellung von »ihr Heer« na<strong>ch</strong> »der Himmel und die Erde« lassen beim<br />

Lesen der deuts<strong>ch</strong>en Übersetzungen nur den S<strong>ch</strong>luss zu, dass »Heer« au<strong>ch</strong> auf die<br />

Erde zu beziehen ist. Im hebräis<strong>ch</strong>en Grundtext sieht das etwas anders aus.<br />

»Himmel« (s<strong>ch</strong>amajim) ist dort nämli<strong>ch</strong> eine maskuline Pluralform 117 , weswegen<br />

wir in der lateinis<strong>ch</strong>en Übersetzung Swedenborgs lesen: »Und vollendet sind die<br />

Himmel (caeli) …« Dort passt also »ihr Heer« zu »die Himmel«. Auffallend bleibt<br />

glei<strong>ch</strong>wohl die Stellung von »ihr Heer«. Denn es heißt ni<strong>ch</strong>t: »Und vollendet sind<br />

die Himmel und all ihr Heer und die Erde«, sondern: »Und vollendet sind die<br />

Himmel und die Erde und all ihr Heer«. Das erweckt dann do<strong>ch</strong> den Eindruck,<br />

dass »ihr Heer« au<strong>ch</strong> auf die Erde zu beziehen ist. Wie beurteile i<strong>ch</strong> diesen Sa<strong>ch</strong>verhalt?<br />

Während »das Heer des Himmels« in der hebräis<strong>ch</strong>en Bibel häufig belegt<br />

ist und die Gestirne oder die Engel meint, wäre die Ausweitung dieses Begriffs auf<br />

die Erde in Genesis 2,1 sehr ungewöhnli<strong>ch</strong>. Dementspre<strong>ch</strong>end versi<strong>ch</strong>ert uns<br />

Swedenborg mehrmals, dass »ihr Heer« au<strong>ch</strong> in Genesis 2,1 auf »die großen Li<strong>ch</strong>ter<br />

und die Sterne« von Genesis 1,16 zu beziehen ist (HG 82, siehe au<strong>ch</strong> HG<br />

7988, OE 573, EO 447). Aber wie lässt si<strong>ch</strong> dann die Stellung von »ihr Heer« am<br />

Ende des Verses erklären? Mein Vors<strong>ch</strong>lag: Der Aufbau von Vers 1 ist als genaue<br />

117<br />

Keine Dualform: siehe THAT II,966.


68 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Wiederaufnahme von Genesis 1 konzipiert. Denn au<strong>ch</strong> dort wurden zuerst der<br />

Himmel, dann die Erde und dann erst die Gestirne ges<strong>ch</strong>affen. Die Reihenfolgen<br />

entspre<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> also. Hinzu kommt, dass diese drei, der Himmel, die Erde und<br />

ihr Heer, als Kurzformel für das ganze Se<strong>ch</strong>stagewerk stehen. Dass Himmel und<br />

Erde das Ganze der S<strong>ch</strong>öpfung bezei<strong>ch</strong>nen, mag unmittelbar einleu<strong>ch</strong>tend sein;<br />

aber inwiefern trifft das au<strong>ch</strong> für die Gestirne zu? Die Gestirne eröffnen die zweite<br />

Dreitagesgruppe des S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>ts von Genesis 1. Als die erstges<strong>ch</strong>affenen<br />

Dinge dieser zweiten Triade stehen sie für die Prinzipien, die die Erfüllung des<br />

S<strong>ch</strong>öpfungsraums mit Leben bewirken. Erst in der zweiten Triade ist nämli<strong>ch</strong> von<br />

»lebendigen Wesen« die Rede. Daher meint das Heer in Genesis 2,1 tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />

Sonne, Mond und Sterne, das heißt die Himmelsmä<strong>ch</strong>te der Liebe, der Weisheit<br />

und der zahllosen Erkenntnisse. Da diese Himmelsmä<strong>ch</strong>te aber die Prinzipien<br />

oder Anfangsgründe des spirituellen Lebens sind, umfasst das Heer in Genesis<br />

2,1 au<strong>ch</strong> die Formenfülle der lebendigen Seelen im irdis<strong>ch</strong>en Raum unter dem<br />

Himmel.<br />

Zu den Versen 2 und 3: Diese beiden Verse bilden eine Einheit. Denn das mehrmalige<br />

Vorkommen bestimmter Elemente lässt den Abs<strong>ch</strong>nitt als ein Ganzes ers<strong>ch</strong>einen.<br />

Fünfmal wird der siebte Tag erwähnt bzw. auf ihn Bezug genommen,<br />

dreimal begegnet uns »sein Werk« und zweimal das Verb »ruhen«. Na<strong>ch</strong> dem<br />

S<strong>ch</strong>lusspunkt hinter dem Se<strong>ch</strong>stagewerk in Vers 1 thematisieren die Verse 2 und<br />

3 nun den siebten Tag (den himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en). An ihm vollzieht si<strong>ch</strong> die<br />

Vollendung des Se<strong>ch</strong>stagewerkes (Vers 2a) und der Übergang in den Zustand der<br />

Ruhe oder des inneren Friedens. Au<strong>ch</strong> das Segnen und das Heiligen (Vers 3a) ist<br />

ganz und gar dem Ruhen Gottes untergeordnet und eingegliedert (siehe den mit<br />

»denn« beginnenden Satz in Vers 3b). Das Se<strong>ch</strong>stagewerk ist freili<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die<br />

Formulierungen »sein Werk, das er gema<strong>ch</strong>t hatte« (zweimal in Vers 2) oder<br />

»sein Werk, das Gott ges<strong>ch</strong>affen hatte, um es zu ma<strong>ch</strong>en« (Vers 3) no<strong>ch</strong> gegenwärtig.<br />

Daher thematisieren die Verse 2 und 3 den Übergang vom geistigen zum<br />

himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en.<br />

Das Neue, das hinter dem S<strong>ch</strong>lusspunkt von Vers 1 zu erwarten ist, ist die Ruhe.<br />

Beim Übergang in den Zustand der Ruhe ers<strong>ch</strong>einen die vergangenen se<strong>ch</strong>s Tage<br />

als Arbeit oder »S<strong>ch</strong>ufterei«. Das hebräis<strong>ch</strong>e Mela<strong>ch</strong>a hat ins Deuts<strong>ch</strong>e als Malo<strong>ch</strong>e<br />

(s<strong>ch</strong>were Arbeit) Eingang gefunden. Au<strong>ch</strong> Swedenborg hört aus dem hebräis<strong>ch</strong>en<br />

Grundtext den Ton des S<strong>ch</strong>weren heraus, indem er feststellt, dass die se<strong>ch</strong>s<br />

Tage sol<strong>ch</strong>e »des Kampfes oder der Mühsal (pugnae seu laboris)« waren (HG 85).<br />

Demgegenüber ist das Neue des siebten Tags die Ruhe oder der Friede, der die<br />

Seele erfüllt wie ein himmlis<strong>ch</strong>er Duft.<br />

Für Verwirrung sorgte die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass Gott am siebten, also am Ruhetag (am<br />

S<strong>ch</strong>abbat), sein Werk vollendete. Müsste es ni<strong>ch</strong>t heißen: »Und Gott vollendete<br />

am se<strong>ch</strong>sten Tag sein Werk … und ruhte am siebten Tag«? Und tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> finden<br />

wir diese Lesart im samaritanis<strong>ch</strong>en Pentateu<strong>ch</strong>, in der Septuaginta und in der<br />

syris<strong>ch</strong>en Übersetzung (der sog. Pes<strong>ch</strong>itta). Do<strong>ch</strong> ruhen und vollenden widerspre-


Genesis 2 69<br />

<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t. Denn die Vollendung der S<strong>ch</strong>öpfung besteht gerade darin, dass<br />

Gott in ihr zur Ruhe kommt und sie von innen bis ganz na<strong>ch</strong> außen dur<strong>ch</strong>dringt<br />

und so dur<strong>ch</strong> und dur<strong>ch</strong> mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t. Ruhen ist ni<strong>ch</strong>t mit ni<strong>ch</strong>ts tun glei<strong>ch</strong>bedeutend.<br />

Gemeint ist vielmehr, dass das Eigene oder die Eigenbewegung des<br />

Mens<strong>ch</strong>en zur Ruhe kommt, so dass si<strong>ch</strong> der göttli<strong>ch</strong>e Geist ans<strong>ch</strong>ließend um so<br />

freier und tätiger im Mens<strong>ch</strong>en entfalten kann. Die gemeinte Ruhe ist die einer<br />

ruhigen Hand, die man brau<strong>ch</strong>t, um sauber s<strong>ch</strong>reiben oder zei<strong>ch</strong>nen zu können.<br />

Eine zittrige oder unruhige Hand verdirbt das Werk. Am siebten Tag hört ni<strong>ch</strong>t<br />

die Tätigkeit auf, sondern nur die s<strong>ch</strong>were, mühevolle Arbeit, weil mit der Herstellung<br />

des Bildes Gottes im Mens<strong>ch</strong>en das Gröbste getan ist.<br />

Zur Bedeutung von vollenden gibt uns Swedenborg den folgenden Hinweis:<br />

»›Vollenden‹ s<strong>ch</strong>ließt das Ende der Handlung in si<strong>ch</strong>, die vorhergeht, und den<br />

Anfang der Handlung, die folgt, somit das Element der Aufeinanderfolge.« (HG<br />

3093). Deswegen beginnen sowohl Vers 1 (Ende des Se<strong>ch</strong>stagewerks) als au<strong>ch</strong><br />

Vers 2 (Anfang des siebten Tags) mit dem Verb vollenden. In Vers 1 bedeutet<br />

»und sie wurden vollendet«, dass ein Ende oder Abs<strong>ch</strong>luss errei<strong>ch</strong>t ist. In Vers 2<br />

hingegen bedeutet »Und Gott vollendete«, dass das nunmehr vorhandene Werk<br />

seine abs<strong>ch</strong>ließende Vollendung erhält. Sie besteht darin, dass das Bild Gottes in<br />

der Ruhe des siebten Tags s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> den irdis<strong>ch</strong>en Tiermens<strong>ch</strong>en erfasst<br />

und zu einem gottähnli<strong>ch</strong>en und somit wahrhaft mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Staubgebilde<br />

formt. Swedenborg zufolge handelt der erste S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t (Genesis 1) vom<br />

geistigen Mens<strong>ch</strong>en, der zweite (Genesis 2) demgegenüber vom himmlis<strong>ch</strong>en<br />

Mens<strong>ch</strong>en (HG 81). Philon von Alexandrien, der jüdis<strong>ch</strong>e Religionsphilosoph und<br />

Zeitgenosse Jesu, meinte jedo<strong>ch</strong>: Der erste Beri<strong>ch</strong>t gebe die Ers<strong>ch</strong>affung des geistigen<br />

und der zweite die Bildung des sinnli<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en wieder. 118 Diese Si<strong>ch</strong>t<br />

ist interessant, denn tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> wird der Mens<strong>ch</strong> im zweiten S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t<br />

aus Staub vom Erdboden gebildet, so dass der Gedanke, es handle si<strong>ch</strong> hier um<br />

die Bildung des irdis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en, naheliegend ist. Wie verhält si<strong>ch</strong> diese Interpretation<br />

zu derjenigen Swedenborgs? Wenn der Mens<strong>ch</strong> ein himmlis<strong>ch</strong>er<br />

wird, wenn der Kampf aufhört und der Friede das ehemalige S<strong>ch</strong>la<strong>ch</strong>tfeld in ein<br />

Paradies verwandelt, dann errei<strong>ch</strong>t das Mens<strong>ch</strong>sein die fernsten Winkel der Welt,<br />

so dass sogar der Staub davon erfasst wird.<br />

Die Verben s<strong>ch</strong>affen (hebr. bara), ma<strong>ch</strong>en (hebr. asah) und bilden (hebr. jazar)<br />

begegnen uns in Genesis 1 und 2 in Verbindung mit Gott. Von s<strong>ch</strong>affen ist in<br />

Genesis 1,1.21.27 und 2,3.4 die Rede, von ma<strong>ch</strong>en in Genesis 1,7.16.25.26.31 und<br />

2,2.3.4.18 und von bilden in Genesis 2,7.8.19. S<strong>ch</strong>affen ist demna<strong>ch</strong> die Bezei<strong>ch</strong>nung<br />

für das Se<strong>ch</strong>stagewerk. In Genesis 2,3.4 wird s<strong>ch</strong>affen rückbezügli<strong>ch</strong> auf<br />

Genesis 1 verwendet. Bilden hingegen ist eindeutig die Bezei<strong>ch</strong>nung für das Tun<br />

von Jahwe Gott in Genesis 2. Ma<strong>ch</strong>en s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> ist ni<strong>ch</strong>t <strong>ch</strong>arakteristis<strong>ch</strong> für nur<br />

118<br />

Legum Allegoria I, §31; Werke, ed. L. Cohn, Band III, Seite 26. Na<strong>ch</strong>: Daniel Kro<strong>ch</strong>malnik,<br />

S<strong>ch</strong>riftauslegung: Das Bu<strong>ch</strong> Genesis im Judentum, 2001, Seite 50.


70 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

einen der beiden Beri<strong>ch</strong>te. Denn auf das Ganze von Genesis 1 zurückblickend<br />

heißt es in Vers 31: »Und Gott sah alles, was er gema<strong>ch</strong>t hatte«. Hier wird das<br />

Se<strong>ch</strong>stagewerk mit dem Verb ma<strong>ch</strong>en erfasst. In Genesis 2,3.4b ist ma<strong>ch</strong>en jedo<strong>ch</strong><br />

auf das Folgende zu beziehen. Wel<strong>ch</strong>e spezifis<strong>ch</strong>en Bedeutungen sind mit<br />

diesen drei Verben verbunden? Dazu Swedenborg: »Deutli<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>ieden werden<br />

die Worte ›s<strong>ch</strong>affen‹, ›bilden‹ und ›ma<strong>ch</strong>en‹ gebrau<strong>ch</strong>t.« (HG 88). »(In der<br />

heiligen S<strong>ch</strong>rift) heißt es ›s<strong>ch</strong>affen‹, ›bilden (oder formen)‹ und ›ma<strong>ch</strong>en‹, außerdem<br />

›S<strong>ch</strong>öpfer‹, ›Bildner‹ und ›Ma<strong>ch</strong>er‹. ›S<strong>ch</strong>affen‹ bezei<strong>ch</strong>net Neues (hervorbringen),<br />

das vorher ni<strong>ch</strong>t da war. ›Bilden (formen oder gestalten)‹ bedeutet eine (bestimmte)<br />

Bes<strong>ch</strong>affenheit (geben). Und ›ma<strong>ch</strong>en‹ (bezieht si<strong>ch</strong> auf) die Verwirkli<strong>ch</strong>ung.«<br />

119 (HG 10373). Form und Bes<strong>ch</strong>affenheit gehören für Swedenborg zusammen:<br />

»Wenn es ni<strong>ch</strong>t da ist (existat), dann ist das Sein kein Sein, weil es vor<br />

seinem Dasein keine Form hat. Ohne Form aber hat es au<strong>ch</strong> keine Bes<strong>ch</strong>affenheit,<br />

und was keine Bes<strong>ch</strong>affenheit hat, das ist kein Etwas.« (GLW 15). »S<strong>ch</strong>öpfung ist<br />

die Vorstellung von allem im göttli<strong>ch</strong>en Geist von Ewigkeit her. Dieser Vorstellung<br />

folgt notwendigerweise die Realisierung (des Vorgestellten) dur<strong>ch</strong> Mittel,<br />

zuerst dur<strong>ch</strong> göttli<strong>ch</strong>e und geistige, dann dur<strong>ch</strong> natürli<strong>ch</strong>e.« 120 (WE 17). S<strong>ch</strong>affen<br />

ist der rein geistige S<strong>ch</strong>öpfungsakt Gottes. Denn zum einen ist stets Gott das Subjekt<br />

der Aussage und zum anderen wird nie ein Stoff erwähnt, aus dem Gott etwas<br />

s<strong>ch</strong>afft (siehe THAT I,337f.). Ma<strong>ch</strong>en und bilden sind auf die Ausführung des<br />

geistig Ges<strong>ch</strong>affenen dur<strong>ch</strong> Mittel zu beziehen. »Das Wort ›s<strong>ch</strong>affen‹ bezieht si<strong>ch</strong><br />

eigentli<strong>ch</strong> auf den Mens<strong>ch</strong>en, wenn er von neuem ges<strong>ch</strong>affen oder wiedergeboren<br />

wird; und ›ma<strong>ch</strong>en‹, wenn er vollendet wird (perficitur). Deshalb wird im Wort<br />

genau zwis<strong>ch</strong>en ›s<strong>ch</strong>affen‹, ›bilden‹ und ›ma<strong>ch</strong>en‹ unters<strong>ch</strong>ieden, wie in Genesis<br />

2, wo vom geistigen Mens<strong>ch</strong>en, der himmlis<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t wurde, die Rede war:<br />

›Gott ruhte von seinem ganzen Werk, das er ges<strong>ch</strong>affen hat, indem er es ma<strong>ch</strong>te‹.<br />

Glei<strong>ch</strong>es gilt anderswo im Wort, wo si<strong>ch</strong> ›s<strong>ch</strong>affen‹ auf den geistigen Mens<strong>ch</strong>en<br />

und ›ma<strong>ch</strong>en‹, das heißt vollenden, auf den himmlis<strong>ch</strong>en bezieht.« (HG 472). Ma<strong>ch</strong>en<br />

kam jedo<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on in Genesis 1 mehrmals vor, so dass dieses Verb ni<strong>ch</strong>t<br />

auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> auf den himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en bezogen werden kann. Immerhin<br />

kann i<strong>ch</strong> aber aus dieser Äußerung Swedenborgs entnehmen, dass ma<strong>ch</strong>en in<br />

Genesis 2,3.4b die Rede vom Vollenden aufgreift. Ma<strong>ch</strong>en und vollenden haben<br />

die Bedeutung von vollständig verwirkli<strong>ch</strong>en. Alle diese Hinweise Swedenborgs<br />

fasse i<strong>ch</strong> so zusammen: S<strong>ch</strong>affen meint den rein geistigen Akt der S<strong>ch</strong>öpfertätigkeit<br />

Gottes. Bilden oder Formen meint die Umsetzung der Idee in einem Medium.<br />

In Genesis 2 ist es das Material der oberen Erds<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>t (Adama). Ma<strong>ch</strong>en bedeutet<br />

allgemein verwirkli<strong>ch</strong>en.<br />

119<br />

Der lateinis<strong>ch</strong>e Text: »dicitur ›creare‹, ›formare‹ et ›facere‹, ac alibi ›creator‹, ›formator‹ ac<br />

›factor‹, et per ›creare‹ significatur novum quod non prius, per ›formare‹ significatur quale, et<br />

per ›facere‹ effectus.« (HG 10373).<br />

120<br />

Der lateinis<strong>ch</strong>e Text: »Creatio est in divina mente ab aeterno omnium repraesentatio, quam<br />

necessario sequitur actus, per media primum Divina et Spiritualia, tum per naturalia.«


Genesis 2 71<br />

Die Toledotformel: Genesis 2,4a<br />

»Dies sind die Geburten (= Toledot) …« ist die erste Toledotformel der Genesis. Die<br />

weiteren stehen in Genesis 5,1 121 ; 6,9; 10,1; 11,10; 11,27; 25,12; 25,19; 36,1.9 122<br />

und 37,2. Die Toledotformeln bilden das Gliederungssystem der Genesis. 123 Thomas<br />

Hieke nennt die zehn Abs<strong>ch</strong>nitte »Kapitel«. 124 Friedri<strong>ch</strong> Weinreb führt uns<br />

no<strong>ch</strong> einen S<strong>ch</strong>ritt weiter, indem er darauf hinweist, dass von den zehn Toledotformeln<br />

vier ohne »und« (2,4; 6,9; 11,10; 37,2) und se<strong>ch</strong>s mit »und« gebildet werden.<br />

125 Die Formeln ohne das Verbindungswort »und« markieren einen größeren<br />

Eins<strong>ch</strong>nitt als die mit »und«. Demna<strong>ch</strong> besteht die Genesis aus einem Vorwort<br />

(Gen 1,1-2,3) und vier Kapiteln (Gen 2,4-6,8; 6,9-11,9; 11,10-37,1; 37,2-50,26).<br />

Das erste Kapitel behandelt (mit Swedenborg gespro<strong>ch</strong>en) die älteste Kir<strong>ch</strong>e, das<br />

zweite die alte Kir<strong>ch</strong>e, das dritte die Stammeltern der Kinder Israels, das vierte<br />

die Josefsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te.<br />

Die erste Toledotformel (Gen 2,4a) wird vielfa<strong>ch</strong> als S<strong>ch</strong>lussbemerkung zu Genesis<br />

1,1-2,3 angesehen. Do<strong>ch</strong> Swedenborg sah in ihr genauso eine Übers<strong>ch</strong>rift (siehe<br />

HG 89) wie in den anderen Toledotformeln. 126 Zur Unters<strong>ch</strong>rift wurde Genesis<br />

2,4a dur<strong>ch</strong> die historis<strong>ch</strong>-kritis<strong>ch</strong>en Arbeiten seit dem 18. Jahrhundert. Als Charakteristikum<br />

der Priesters<strong>ch</strong>rift musste Genesis 2,4a dem priesters<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>en<br />

S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t zuges<strong>ch</strong>lagen werden. 127 Thomas Hieke bestätigt die Ans<strong>ch</strong>auung<br />

Swedenborgs. Zu Genesis 2,4a s<strong>ch</strong>reibt er: »Die Toledot-Formel muss ni<strong>ch</strong>t<br />

als Abs<strong>ch</strong>luss von Gen 1,1-2,3 aufgefasst werden, wie das zumeist angenommen<br />

wird, sondern ist wie an allen anderen Stellen problemlos als Übers<strong>ch</strong>rift zum<br />

folgenden Abs<strong>ch</strong>nitt zu lesen«. 128<br />

121<br />

Statt »(und) dies sind die Geburten« steht dort: »Dies ist das Bu<strong>ch</strong> der Geburten«.<br />

122<br />

Die Formel »und dies sind die Geburten Esaus« steht sowohl in Genesis 36,1 als au<strong>ch</strong> in 36,9.<br />

Diese Wiederholung derselben Toledotformel führt dazu, dass man<strong>ch</strong>mal von zehn, man<strong>ch</strong>mal<br />

von elf Toledotformeln die Rede ist.<br />

123<br />

»Die Toledot-Formel … dient als Gliederungsmerkmal im Bu<strong>ch</strong> Genesis« (Thomas Hieke, Die<br />

Genealogien der Genesis, 2003, Seite 21).<br />

124<br />

Thomas Hieke, Die Genealogien der Genesis, 2003, Seite 243.<br />

125<br />

Friedri<strong>ch</strong> Weinreb, S<strong>ch</strong>öpfung im Wort: Die Struktur der Bibel in jüdis<strong>ch</strong>er Überlieferung,<br />

2002, Seite 138ff.<br />

126<br />

Dass Swedenborg alle Toledotformeln als Übers<strong>ch</strong>riften verstandt, zeigen seine Ausführungen<br />

in den Himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnissen. Zu bea<strong>ch</strong>ten sind Formulierungen wie die folgenden: »Die<br />

Bes<strong>ch</strong>reibung der ersten Kir<strong>ch</strong>e wird in glei<strong>ch</strong>er Weise eingeführt (incohatur), nämli<strong>ch</strong> mit<br />

den Worten: ›Dies sind die Geburten der Söhne Noahs‹ (Gen 10,1).« (HG 1330). »›Dies sind die<br />

Geburten Jakobs‹ (Gen 37,2), das bezieht si<strong>ch</strong> auf die folgende Erzählung (illa quae sequuntur).«<br />

(HG 4668). Toledot (Geburten) bezei<strong>ch</strong>net die Ursprünge (origines, HG 1330, 1360) und<br />

ihre Ableitungen (derivationes, HG 1145, 1330, 1360, 3263, 3279, 4641, 4646, 4668).<br />

127<br />

Thomas Hieke, Die Genealogien der Genesis, 2003, Seite 47f.<br />

128<br />

Thomas Hieke, Die Genealogien der Genesis, 2003, Seite 47. Interessant ist Hiekes Hinweis<br />

auf »mehrere ältere Rezeptionen des hebräis<strong>ch</strong>en Textes«. Sowohl die Septuaginta als au<strong>ch</strong><br />

»die masoretis<strong>ch</strong>e Aufbereitung des hebräis<strong>ch</strong>en Textes« verstanden Genesis 2,4a als Abs<strong>ch</strong>nittsbeginn.<br />

(a.a.O., Seite 49f.).


72 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Toledot ist von dem Verb jalad abgeleitet, das gebären (mit Bezug auf die Mutter)<br />

oder erzeugen (mit Bezug auf den Vater) bedeutet. Daher übersetzte Swedenborg<br />

es mit nativitates (Geburten oder Generationen). Do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t auf alle Toledotformeln<br />

folgen Geburtslisten (oder Genealogien). Man<strong>ch</strong>mal folgen einfa<strong>ch</strong> nur Erzählungen.<br />

So folgt auf »dies sind die Geburten Jakobs« (Gen 37,2) die Josefsnovelle.<br />

Swedenborg weist hier darauf hin, dass na<strong>ch</strong> dieser Toledotformel keine »Geburten<br />

genealogis<strong>ch</strong>er Art (nativitates genealogicae)« erwähnt werden (HG 4668).<br />

Daher bevorzugt er zur Erklärung dessen, was Toledot meint, den Begriff Ableitungen<br />

(derivationes). Es geht ganz allgemein um die Entfaltungen aus einem<br />

Ursprungsprinzip. Entspre<strong>ch</strong>end vielfältig sind die Übersetzungen von Toledot in<br />

den deuts<strong>ch</strong>en Bibeln. Wir finden dort Entstehungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terfolge,<br />

Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, Na<strong>ch</strong>kommen, Generationenfolge, Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t, Stammbaum, Zeugungen<br />

und Geburten.<br />

Die erste Toledotformel in Genesis 2,4a leitet »die Bildungen (formationes) des<br />

himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en« ein (HG 89). Die älteste oder adamitis<strong>ch</strong>e Kir<strong>ch</strong>e war<br />

mehr als alle späteren eine himmlis<strong>ch</strong>e Kir<strong>ch</strong>e (GV 313). Sie befand si<strong>ch</strong> in innerer<br />

Gemeins<strong>ch</strong>aft mit dem Himmel (communicatio interna cum caelo, HG 784).<br />

Zuglei<strong>ch</strong> aber deutet ihr Name Adam au<strong>ch</strong> auf die Sphäre des Irdis<strong>ch</strong>en, denn<br />

Adam (Mens<strong>ch</strong>) hängt mit Adama (Erdboden) zusammen. Daher s<strong>ch</strong>ildert das<br />

erste Toledotkapitel die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des Mens<strong>ch</strong>en im Spannungsfeld von Himmel<br />

(Gottesgemeins<strong>ch</strong>aft) und Erde (sinnli<strong>ch</strong>er Weltwahrnehmung).<br />

Ägyptis<strong>ch</strong>e Darstellungen zeigen Himmel<br />

(Nut) und Erde (Geb) als Frau und Mann<br />

(Abbildung 1). Bei den meisten Völkern ist<br />

zwar die Erde Mutter und der regenspendende,<br />

die Erde befru<strong>ch</strong>tende Himmel<br />

männli<strong>ch</strong>. Bei den Ägyptern hingegen ist<br />

der Himmel weibli<strong>ch</strong>. Man hat ihn als<br />

Abbildung 1<br />

mütterli<strong>ch</strong> bergenden Raum erfahren. Die<br />

Männli<strong>ch</strong>keit der Erde hängt vermutli<strong>ch</strong> damit zusammen, dass Ägypten ni<strong>ch</strong>t<br />

vom Himmel her, sondern dur<strong>ch</strong> den Nil befru<strong>ch</strong>tet wird. Gemeinsam mit allen<br />

anderen Völkern hat Ägypten aber, dass es die Welt als Komposition der polaren<br />

ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Kräfte sieht. Na<strong>ch</strong> einem der ägyptis<strong>ch</strong>en Hauptmythen sind die<br />

großen Königsgötter Osiris, Isis und Horus aus der Vereinigung des Gottes Geb<br />

(Erde) mit der Himmelsgöttin Nut hervorgegangen. 129 Im Alten Orient konnte man<br />

also von Geburten des Himmels und der Erde spre<strong>ch</strong>en.<br />

129<br />

Siehe: Othmar Keel, Die Welt der altorientalis<strong>ch</strong>en Bildsymbolik und das Alte Testament: Am<br />

Beispiel der Psalmen, 1996, Seite 25. Diesem Bu<strong>ch</strong> ist au<strong>ch</strong> die Abbildung entnommen.


Genesis 2 73<br />

Die Formung des Mens<strong>ch</strong>en: Genesis 2,4b-7<br />

Dieser Abs<strong>ch</strong>nitt ist eine hängende Konstruktion (Pendenskonstruktion). Das<br />

heißt: Genesis 2,4b erhält seine Fortsetzung erst in Genesis 2,7a. Die Verse 5 und<br />

6 sind als Eins<strong>ch</strong>ub (Parenthese) zu betra<strong>ch</strong>ten. Der Satz lautet ohne den Eins<strong>ch</strong>ub:<br />

»An dem Tag, als Jahwe Gott Erde und Himmel ma<strong>ch</strong>te …, bildete Jahwe<br />

Gott den Mens<strong>ch</strong>en aus Staub vom Erdboden und blies des Lebens Odem in seine<br />

Nase.« 130 Na<strong>ch</strong> der Übers<strong>ch</strong>rift von Genesis 2,4a ist die erste Tat Gottes die Bildung<br />

oder Formung des Mens<strong>ch</strong>en. Während er in Genesis 1 das letzte Werk war,<br />

ist er in Genesis 2 das erste.<br />

Zu Vers 4b: Zum ersten Mal tau<strong>ch</strong>t in der Genesis hier die Kombination »Jahwe<br />

Gott« auf. Na<strong>ch</strong> Horst Seebass ist sie »philologis<strong>ch</strong> merkwürdig - Gott als Apposition<br />

sollte den Artikel haben.« Bislang fehlt »eine dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>lagende Erklärung«. 131<br />

Swedenborg bietet jedo<strong>ch</strong> die folgende an: »Im allgemeinen wird, wenn vom<br />

Himmlis<strong>ch</strong>en der Liebe oder vom Guten die Rede ist, Jehovah gesagt; wenn aber<br />

vom Geistigen des Glaubens oder vom Wahren die Rede ist, dann heißt es Gott;<br />

und wenn von beiden zuglei<strong>ch</strong> die Rede ist, dann lesen wir Jehovah Gott.« (HG<br />

2921, siehe au<strong>ch</strong> HG 2001). »Jehovah wird er genannt, weil er allein ist oder lebt,<br />

somit aufgrund des Wesens (essentia); Gott heißt er, weil er alles vermag, somit<br />

aufgrund der Ma<strong>ch</strong>t (potentia).« (HG 300).<br />

Das Paar »Himmel und Erde« begegnete dem Leser der Genesis bisher nur in dieser<br />

Reihenfolge (siehe Gen 1,1; 2,1.4a). In Vers 4b geht nun aber die Erde (der<br />

äußere Mens<strong>ch</strong>) dem Himmel (dem inneren Mens<strong>ch</strong>en) voran. Dem entspri<strong>ch</strong>t,<br />

dass in Vers 7 Adam erst aus dem Staub der Erds<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>t geformt wird und ihm<br />

dann erst der Atem Gottes als der Himmel in ihm eingehau<strong>ch</strong>t wird. 132 In seinem<br />

130<br />

Swedenborg sah hier keine Pendenskonstruktion. Er übersetzte: »Hae nativitates caelorum et<br />

terrae, cum creavit illos, in die quo fecit Jehovah Deus terram et caelos (Das sind die Geburten<br />

der Himmel und der Erde, als er sie s<strong>ch</strong>uf, am Tage als Jehovah Gott Erde und Himmel ma<strong>ch</strong>te).«<br />

Himmel und Erde in der ersten Vershälfte bezieht Swedenborg auf den himmlis<strong>ch</strong>en<br />

Mens<strong>ch</strong>en (»›Nativitates caelorum et terrae‹ sunt formationes hominis caelestis.« HG 89). Erde<br />

und Himmel in der zweiten Vershälfte bezieht er hingegen auf den geistigen Mens<strong>ch</strong>en. Das<br />

geht aus seinen Ausführungen am Ende von HG 89 deutli<strong>ch</strong> hervor. Swedenborg hat Vers 4<br />

also so verstanden: Das sind die Geburten des himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en, als Gott ihn s<strong>ch</strong>uf,<br />

(und zwar) an dem Tag, als Jehovah Gott den geistigen Mens<strong>ch</strong>en ma<strong>ch</strong>te. Do<strong>ch</strong> diese Interpretation<br />

hinterlässt bei mir zwei unbeantwortete Fragen. Erstens: Wenn die Reihenfolge Erde<br />

und Himmel in der zweiten Vershälfte ein Hinweis auf den geistigen Mens<strong>ch</strong>en ist (siehe HG<br />

89), warum beginnt dann Genesis 1 mit Himmel und Erde (»Im Anfang s<strong>ch</strong>uf Gott den Himmel<br />

und die Erde«)? Zweitens: Jehovah Gott soll eine spezifis<strong>ch</strong>e Formel in Kontext der Rede<br />

von himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en sein (siehe HG 89). Warum begegnet sie dann aber in der zweiten<br />

Vershälfte in Verbindung mit Erde und Himmel, das heißt in Verbindung mit dem geistigen<br />

Mens<strong>ch</strong>en? Aus diesen und anderen Gründen finde i<strong>ch</strong> die Annahme, dass hier eine Pendenskonstruktion<br />

vorliegt, überzeugender.<br />

131<br />

Horst Seebass, Genesis I: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 104.<br />

132<br />

Siehe Friedri<strong>ch</strong> Weinreb: »Und wenn dann der Mens<strong>ch</strong> kommt … kommt erst sein Körper,<br />

und dana<strong>ch</strong> wird ihm von Gott die ›nes<strong>ch</strong>amah‹, die göttli<strong>ch</strong>e Seele, eingehau<strong>ch</strong>t.« (S<strong>ch</strong>öpfung<br />

im Wort, 2002, Seite 403).


74 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

exegetis<strong>ch</strong>en Frühwerk »Explicatio in Verbum Historicum Veteris Testamenti« 133<br />

setzt Swedenborg den Himmel von Vers 4b mit »Luft (aër)« (WE 21) glei<strong>ch</strong>. Und<br />

au<strong>ch</strong> unter dem Lebensodem von Vers 7 ist »die Luft« zu verstehen, »die in die<br />

geöffneten Lungenflügel Adams eingelassen wird, damit dur<strong>ch</strong> die auf diese Weise<br />

ermögli<strong>ch</strong>te Atmung sein körperli<strong>ch</strong>es Leben angefa<strong>ch</strong>t wird« (WE 22). Na<strong>ch</strong>dem<br />

in Genesis 1 das Bild Gottes im Mikrokosmos Mens<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>affen wurde, soll<br />

nun ein freies (atmendes) Erdenwesen geformt werden, das den Himmel als Seele<br />

(Innenleben) in si<strong>ch</strong> empfindet.<br />

Zu Vers 5: Vier 134 Gegebenheiten, die es no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t gibt, werden in einer bestimmten<br />

Ordnung genannt. Der erste Halbvers (5a) spri<strong>ch</strong>t vom No<strong>ch</strong>-ni<strong>ch</strong>t-<br />

Vorhandensein der Gewä<strong>ch</strong>se und der Pflanzen, wobei der Aufbau der ersten<br />

Hälfte des ersten Halbverses (5aa) und der zweiten Hälfte des ersten Halbverses<br />

(5ab) parallel ist. Der zweite Halbvers (5b) begründet das No<strong>ch</strong>-ni<strong>ch</strong>t-<br />

Vorhandensein der Gewä<strong>ch</strong>se und der Pflanzen mit dem Ni<strong>ch</strong>t-Dasein des Regens<br />

(5ba) und des Mens<strong>ch</strong>en (5bb).<br />

Während in Genesis 1 »Erde« (’äräz') die mit einer Ausnahme 135 auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong><br />

gebrau<strong>ch</strong>te Bezei<strong>ch</strong>nung für die materielle Lebensunterlage war, ist nun au<strong>ch</strong> von<br />

»Feld« (Sade) und »Acker« (Adama) die Rede. Swedenborg sah in diesem terminologis<strong>ch</strong>en<br />

We<strong>ch</strong>sel den Übergang vom geistigen zum himmlis<strong>ch</strong>en Zustand des<br />

äußeren Mens<strong>ch</strong>en: »›Erde‹ heißt der äußere Mens<strong>ch</strong>, solange er geistig war; ›Akker‹<br />

und ›Feld‹ hingegen heißt er, wenn er himmlis<strong>ch</strong> wird.« (HG 90). Denn Acker<br />

und Feld deuten die Fähigkeit an, Saat aufzunehmen: »Sobald der Mens<strong>ch</strong> wiedergeboren<br />

ist, heißt er ni<strong>ch</strong>t mehr Erde, sondern Acker, weil ihm himmlis<strong>ch</strong>e<br />

Samen eingepflanzt sind.« (HG 268). Der Acker bezei<strong>ch</strong>net den Mens<strong>ch</strong>en der<br />

Kir<strong>ch</strong>e, »der genau dann ›Acker‹ heißt, wenn ihm das Gute und Wahre des Glaubens<br />

eingepflanzt werden kann. Vorher wird er (ledigli<strong>ch</strong>) ›Erde‹ genannt wie in<br />

Genesis 1, wo ›Erde‹ von dem Mens<strong>ch</strong>en ausgesagt wird, der no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t himmlis<strong>ch</strong><br />

geworden ist. Sobald er aber himmlis<strong>ch</strong> geworden ist, was in Genesis 2 der<br />

Fall ist, wird er ›Acker‹ und ›Feld‹ genannt.« (HG 872). »›Acker‹ und ›Feld‹ sind<br />

Begriffe mit Bezug auf die Saat.« (HG 566). 136 Diese Deutungen von Erde (’äräz'),<br />

133<br />

Die Übersetzung des Titels lautet: Erklärung des historis<strong>ch</strong>en Wortes des Alten Testaments.<br />

134<br />

Die Zahl Vier ist für Genesis 2 von zentraler Bedeutung. Daher wird es kein Zufall sein, dass<br />

es genau vier Gegebenheiten der mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Erfahrungswelt sind, die hier aufgezählt werden.<br />

135<br />

In HG 89 behauptet Swedenborg, dass in Genesis 1 »nur ›Erde‹« vorkommt. Do<strong>ch</strong> ausnahmsweise<br />

tau<strong>ch</strong>t in Genesis 1,25 s<strong>ch</strong>on einmal »Erdboden« (Adama) auf.<br />

136<br />

Franz Delitzs<strong>ch</strong> (1813 - 1890) legte größten Wert auf die Erfassung des hebräis<strong>ch</strong>en Idioms.<br />

Daher ist mir sein Genesiskommentar immer eine wertvolle Hilfe. Zu Adama lesen wir bei<br />

ihm: Die Wurzel dm (dalet-mem) hat »den Grundbegriff des platt Deckenden (wov. arab. adim<br />

Decke, si<strong>ch</strong>tbare Außenseite), und wie arab. … [die Ums<strong>ch</strong>rift des Arabis<strong>ch</strong>en ist mir leider<br />

ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong>. TN] die si<strong>ch</strong> dem animalis<strong>ch</strong>en Körper ans<strong>ch</strong>ließende und platt über ihn ausgespannte<br />

Haut bed., so adamah die si<strong>ch</strong> dem Erdkörper wie seine Haut ans<strong>ch</strong>ließende und<br />

ihn fla<strong>ch</strong> überziehende Erddecke« (Commentar über die Genesis, Leipzig 1872, Seite 117).


Genesis 2 75<br />

Acker (Adama) und Feld (Sade) tragen ihrerseits zur Klärung des swedenborgs<strong>ch</strong>en<br />

Begriffs »homo caelestis« (Himmelsmens<strong>ch</strong>) bei. Offenbar ist damit au<strong>ch</strong><br />

die Vorstellung des Fru<strong>ch</strong>tbarwerdens im Äußeren verbunden. Während der »homo<br />

spiritualis« (Geistmens<strong>ch</strong>) von Genesis 1 no<strong>ch</strong> ein Glaubenstheoretiker ist,<br />

vollzieht si<strong>ch</strong> im »homo caelestis« von Genesis 2 der Dur<strong>ch</strong>bru<strong>ch</strong>, der nun au<strong>ch</strong><br />

die äußere Lebenssphäre ganz der Transformationskraft des Himmels unterstellt.<br />

Was bedeuten die vegetativen Lebensformen »Sia<strong>ch</strong>« (Gewä<strong>ch</strong>s, Swedenborg:<br />

virgultum) und »Eseb« (Kraut, Swedenborg: herba)? Eine Antwort gibt uns HG 75:<br />

Adams »Wissensaneignungen (scientificum) und seine geistigen Strukturbildungen<br />

(rationale) heißen hier Gewä<strong>ch</strong>s und Kraut aus der oberen, dur<strong>ch</strong> den Dunst<br />

feu<strong>ch</strong>t gewordenen Erds<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>t«. »Unter dem Grünbewu<strong>ch</strong>s des Feldes (herbam<br />

agri) ist ganz allgemein alles zu verstehen, was aus dem Feld hervorkommt« (HG<br />

7571). Gewä<strong>ch</strong>s (Sia<strong>ch</strong>) und Grünbewu<strong>ch</strong>s (Eseb) meinen demna<strong>ch</strong> Kognitives als<br />

Ausdruck von inneren, nunmehr an die Oberflä<strong>ch</strong>e dringenden Lebensprozessen.<br />

Das hebräis<strong>ch</strong>e Wörterbu<strong>ch</strong> von Gesenius 137 gibt uns zusätzli<strong>ch</strong> die folgenden<br />

Informationen: Das Nomen Sia<strong>ch</strong> könnte von einem Verb sia<strong>ch</strong> abgeleitet sein,<br />

das »na<strong>ch</strong>sinnen«, »zum Gegenstand der Rede ma<strong>ch</strong>en« usw. bedeutet. Der geistige<br />

Sinn s<strong>ch</strong>eint somit in diesem Fall au<strong>ch</strong> lexikalis<strong>ch</strong> erfassbar zu sein. Das ist<br />

ni<strong>ch</strong>t weiter verwunderli<strong>ch</strong>, denn die frühen Mens<strong>ch</strong>en verbanden ja mit den Sinneseindrücken<br />

geistige Vorstellungen, so dass für den heutigen Spra<strong>ch</strong>beoba<strong>ch</strong>ter<br />

beide Bedeutungsebenen mit ein und demselben Wort verbunden sein können.<br />

Man<strong>ch</strong>mal werden diese beiden Bedeutungen dann unter demselben Lexikoneintrag<br />

zusammengefasst (Beispiel Rua<strong>ch</strong> = Wind und Geist), man<strong>ch</strong>mal wählt der<br />

Lexikograph aber au<strong>ch</strong> zwei Einträge. Sia<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>eint hierfür ein Beispiel zu sein.<br />

Gesenius wählte zwei Einträge, vermutli<strong>ch</strong> weil er ni<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong>vollziehen konnte,<br />

dass Gewä<strong>ch</strong>s (Gesträu<strong>ch</strong>) und Gedankengefle<strong>ch</strong>t die berühmten zwei Seiten derselben<br />

Medaille sind. Geistig verstanden besagt Vers 5 also, dass es die Gesamtheit<br />

der Bedeutungsgebung (oder Bedeutungsüberwu<strong>ch</strong>erung) der weiten Weltwahrnehmung<br />

no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t gab, weil es den Mens<strong>ch</strong>en no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t gab, der als einziger<br />

allen Dingen einen Namen geben kann.<br />

Und zu Sade lesen wir: »Sadäh (v. sadah … in die Breite und Weite gehen) ist das weite und<br />

breite Gefilde, der weithin si<strong>ch</strong> erstreckende Plan der Erde, im Gegens. zur eingefriedigten<br />

Wohnung des Mens<strong>ch</strong>en.« (a.a.O., Seite 115). Swedenborgs Sinnenthüllungen von Adama und<br />

Sade sind demna<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> den Kontext von Genesis 2 bedingte, angepasste Konkretisierungen<br />

der an si<strong>ch</strong> viel weiteren Grundbedeutungen. In Genesis 2,5 heißt es: »und no<strong>ch</strong> war kein<br />

Mens<strong>ch</strong> da, um der Adama seinen Dienst zu erweisen«. Das heißt: Die Grundbedeutung von<br />

Adama (Erddecke, obere oder äußere Erds<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>t) muss der hier thematisierten landwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

bzw. kultivierenden Tätigkeit des Mens<strong>ch</strong>en angepasst werden. Daher bieten<br />

si<strong>ch</strong> Acker, Ackerland oder Ackerflä<strong>ch</strong>e als Übersetzungen von Adama im vorliegenden Kontext<br />

an.<br />

137<br />

Wilhelm Gesenius, Hebräis<strong>ch</strong>es und aramäis<strong>ch</strong>es Handwörterbu<strong>ch</strong> über das Alte Testament,<br />

bearbeitet von Dr. Frants Buhl, unveränderter Neudruck der 1915 ers<strong>ch</strong>ienenen 17. Auflage,<br />

1962.


76 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Der Regen hat hier die Bedeutung von »Friedensruhe (tranquilitas pacis)« (HG<br />

90). Das ist die dem Kontext angepasste Bedeutung. Von diesem erlösenden Regen<br />

ist nämli<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> der s<strong>ch</strong>weren Arbeit von Genesis 1 und der unmittelbar zuvor<br />

thematisierten Ruhe des siebten Tags die Rede. Die allgemeine Bedeutung von<br />

Regen ist Segen von oben (benedictio), Erlösung (salvatio) aus der Dürre des Todes,<br />

Einfluss (influxus) und Aufnahme (receptio) des Wahren und Guten (siehe<br />

HG 2445, 7553). Dieser Regen als die Lebensfeu<strong>ch</strong>te begegnet uns in Vers 6 als<br />

»Dunst«. Dass der Regen von oben herabfällt, der Dunst aber von der Erde aufsteigt,<br />

muss uns ni<strong>ch</strong>t irritieren, denn beide Bilder wollen die Dur<strong>ch</strong>tränkung des<br />

Trockenen (Gen 1,9.10) ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en, die von oben oder innen 138 erfolgt,<br />

was im inneren Sinn dasselbe ist. Der Symbolfors<strong>ch</strong>er Manfred Lurker (1928 -<br />

1990) kam zu ähnli<strong>ch</strong>en Ergebnissen. Der Regen war gerade in der Umwelt des<br />

israelitis<strong>ch</strong>en Volkes »Voraussetzung für Fru<strong>ch</strong>tbarkeit und Leben«. »Das Wasser<br />

des Himmels war ein Bild des göttli<strong>ch</strong>en Segens, so wenn Gott zum Volke Davids<br />

spri<strong>ch</strong>t: ›I<strong>ch</strong> spende ihnen rings um meinen Hügel Segen und lasse den Regen zur<br />

geeigneten Zeit herunterströmen; ein Regenguß mit Segen wird es sein‹ (Ez<br />

34,26).« 139<br />

Vor der Formung des Mens<strong>ch</strong>en aus dem Staub der oberen Erds<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>t (Gen 2,7)<br />

steht sein Daseinssinn fest: Er soll der Muttererde, der causa materialis seines<br />

Daseins, seinen Dienst erweisen. Swedenborg übersetzte das Verb in 5bb mit<br />

colere (bebauen, verehren). Von diesem Verb ist au<strong>ch</strong> cultus (Kult, Gottesdienst)<br />

abgeleitet. Interessanterweise wurde weder der Mens<strong>ch</strong> von Genesis 1 no<strong>ch</strong> der<br />

von Genesis 2 zum Gottesdienst berufen. Der Dienst des Erdlings gilt der Erde<br />

(dem äußeren Mens<strong>ch</strong>en). Der im Voraus feststehende Auftrag an den Mens<strong>ch</strong>en<br />

ist aber dur<strong>ch</strong>aus ambivalent. Gemeint ist die Kultivierung der äußeren Existenz<br />

dur<strong>ch</strong> die Aussaat des göttli<strong>ch</strong>en Geistes. Au<strong>ch</strong> Kain wird später ein »colens humum<br />

(Kne<strong>ch</strong>t des Ackers)« (Gen 4,2) genannt werden, do<strong>ch</strong> darin wird si<strong>ch</strong> in<br />

seinem Fall die Versklavung des Mens<strong>ch</strong>en dur<strong>ch</strong> die Sorge um das Irdis<strong>ch</strong>e ausdrücken.<br />

Der Adam (Erdling) soll zwar seiner äußeren Daseinsweise dienen, jedo<strong>ch</strong><br />

in einem hohen Sinne, im Sinne der Wiedergeburt. Er soll dem Irdis<strong>ch</strong>en<br />

dienen, ohne selbst irdis<strong>ch</strong> zu werden. Kain wird später die Verfallsform oder<br />

Degeneration dieses Dienstes darstellen.<br />

Zu Vers 6: Zu dem »Dunst« ist Wi<strong>ch</strong>tiges s<strong>ch</strong>on gesagt worden. Darüber hinaus<br />

besteht ein Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en Dunst und Mens<strong>ch</strong>, auf den Friedri<strong>ch</strong><br />

Weinreb hingewiesen hat. Die hebräis<strong>ch</strong>en Bu<strong>ch</strong>staben sind ihm zufolge »primär<br />

Zahlen« 140 . Das hebräis<strong>ch</strong>e Wort für Dunst (Aleph-Dalet) ist so gesehen 1-4; und<br />

das für Mens<strong>ch</strong> (Aleph-Dalet-Mem) ist 1-4-40. Aus dieser Ähnli<strong>ch</strong>keit s<strong>ch</strong>ließt<br />

138<br />

Dur<strong>ch</strong> den Dunst »wird der äußere Mens<strong>ch</strong> vom inneren her bewässert und dur<strong>ch</strong>strömt<br />

(perfunditur)« (HG 91).<br />

139<br />

Manfred Lurker, Wörterbu<strong>ch</strong> biblis<strong>ch</strong>er Bilder und Symbole, 1990, Seite 289f.<br />

140<br />

Friedri<strong>ch</strong> Weinreb, S<strong>ch</strong>öpfung im Wort: Die Struktur der Bibel in jüdis<strong>ch</strong>er Überlieferung,<br />

2002, Seite 69.


Genesis 2 77<br />

Weinreb, dass der Mens<strong>ch</strong> »die Konkretisierung« oder »Materialisierung« des<br />

Dunstes ist. 141<br />

Zu Vers 7: Das Verb jazar (formen,<br />

bilden, gestalten), von Swedenborg<br />

mit formare übersetzt, bezei<strong>ch</strong>net im<br />

Alten Testament au<strong>ch</strong> die Tätigkeit<br />

des Töpfers (Jes 29,16; 45,9; 64,7; Jer<br />

18,1-6). Daher würden wir in dem<br />

Gebilde von Vers 7 gern ein Gefäß<br />

sehen, denn dass der Mens<strong>ch</strong> ein<br />

»Gefäß des Lebens« (receptaculum<br />

vitae, WCR 470) ist, das ist ein<br />

Grundgedanke der swedenborgs<strong>ch</strong>en<br />

Abbildung 2<br />

Anthropologie. Allerdings ist zu bea<strong>ch</strong>ten,<br />

dass in Vers 7 die Formung des Mens<strong>ch</strong>en aus Staub erfolgt; bei einem<br />

Töpfer würde man demgegenüber (feu<strong>ch</strong>ten) Ton auf der Töpfers<strong>ch</strong>eibe erwarten.<br />

142 Nun ist freili<strong>ch</strong> unmittelbar zuvor die Feu<strong>ch</strong>tung der gesamten Erdoberflä<strong>ch</strong>e<br />

ges<strong>ch</strong>ildert worden (siehe Vers 6), so dass der Staub von daher ni<strong>ch</strong>t als<br />

staubtrocken geda<strong>ch</strong>t werden kann. Dur<strong>ch</strong> den Dunst bekommt der Staub den<br />

Zusammenhalt, der ihn formbar ma<strong>ch</strong>t. Den Charakter eines Gefäßes erhält das<br />

Erdgebilde Mens<strong>ch</strong> spätestens dadur<strong>ch</strong>, dass ihm der Odem des Lebens eingehau<strong>ch</strong>t<br />

wird. 143 Im alten Orient war das Motiv der Formung des Mens<strong>ch</strong>en aus<br />

Erde weit verbreitet. Abbildung 2 144 zeigt den Widdergott Chnum, der auf der<br />

Töpfers<strong>ch</strong>eibe den König und seinen Ka formt; Hathor rei<strong>ch</strong>t das Zei<strong>ch</strong>en des Lebens.<br />

Der Adam (Mens<strong>ch</strong>) von Genesis 1 ist mit dem hebräis<strong>ch</strong>en Wort Demut (Bild)<br />

verwandt, das von damah (ähnli<strong>ch</strong> sein) abgeleitet ist. Der Adam von Genesis 2<br />

hingegen ist mit Adama (Erdrei<strong>ch</strong>) verwandt. So ma<strong>ch</strong>t uns die doppelte Mens<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>öpfung<br />

auf die ganze Zwiespältigkeit Adams aufmerksam. Einerseits ist<br />

er das Bild Gottes, andererseits aber do<strong>ch</strong> nur ein Erdenwesen. Er steht zwis<strong>ch</strong>en<br />

dem Himmelsgott und den Erdmä<strong>ch</strong>ten, ist mit beiden verwandt und muss si<strong>ch</strong><br />

ents<strong>ch</strong>eiden.<br />

141<br />

Friedri<strong>ch</strong> Weinreb, S<strong>ch</strong>öpfung im Wort: Die Struktur der Bibel in jüdis<strong>ch</strong>er Überlieferung,<br />

2002, Seite 374.<br />

142<br />

»Daß Jahwe Gott den Mens<strong>ch</strong>en formte, deutet ni<strong>ch</strong>t notwenig auf den Töpfer, da Ton und<br />

ni<strong>ch</strong>t Staub auf die Töpfers<strong>ch</strong>eibe gehört.« (Horst Seebass, Genesis I: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26),<br />

1996, Seite 106).<br />

143<br />

Aus Genesis 2,7 entnimmt Swedenborg, »dass das Göttli<strong>ch</strong>e dem Mens<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t eigen,<br />

sondern ihm nur beigegeben ist (adjunctum).« (GLW 60).<br />

144<br />

Abbildung aus: Viktor Notter, Biblis<strong>ch</strong>er S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t und ägyptis<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>öpfungsmythen,<br />

1974, Seite 150.


78 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Das Wort »Staub« unterbri<strong>ch</strong>t den unmittelbaren Zusammenhang von Adam und<br />

Adama. Indem es so die Aufmerksamkeit auf si<strong>ch</strong> lenkt, hebt es einen bestimmten<br />

Gesi<strong>ch</strong>tspunkt besonders hervor, nämli<strong>ch</strong> den des Gehalt- und Wertlosen oder mit<br />

Swedenborg gespro<strong>ch</strong>en des Verdammten und Höllis<strong>ch</strong>en (HG 278; vgl. au<strong>ch</strong> HG<br />

2327). Der Mens<strong>ch</strong> ist na<strong>ch</strong> ihm »aus lauter Begierden und infolgedessen Fals<strong>ch</strong>heiten<br />

zusammengesetzt« (HG 59). Er »ist ni<strong>ch</strong>ts als böse, ein Haufen Bosheit,<br />

sein gesamtes Wollen ist nur böse« (HG 987). Diese Aussagen betreffen den Mens<strong>ch</strong>en<br />

an si<strong>ch</strong>, das heißt das Humanum ohne das Divinum. Die Formung aus dem<br />

Staub besagt also, dass die Formkraft des göttli<strong>ch</strong>en Geistes sogar das Alleräußerste<br />

der materiellen Ni<strong>ch</strong>tigkeit erfasst.<br />

Abbildung 3<br />

Na<strong>ch</strong> der Formung des Adam aus dem<br />

Staub der Adama wird ihm der Atem 145<br />

(Nes<strong>ch</strong>ama) des Lebens 146 eingehau<strong>ch</strong>t.<br />

Swedenborg übersetzte Nes<strong>ch</strong>ama<br />

in HG 94 mit spiraculum (abgeleitet<br />

von spirare = atmen), anderenorts<br />

wählte er anima (Seele: GLW<br />

383, OE 419). Da die Nes<strong>ch</strong>ama in die<br />

Nasenlö<strong>ch</strong>er geblasen wird, ist die<br />

bu<strong>ch</strong>stäbli<strong>ch</strong>e Bedeutung dieses Wortes<br />

»Wind des Atemholens (ventus<br />

respirationis)« (OE 419). Dur<strong>ch</strong> das<br />

Atmen (respiratio), das heißt dur<strong>ch</strong><br />

das Einatmen (inspiratio) und das<br />

Ausatmen (exspiratio), lebt der<br />

Mens<strong>ch</strong>. Auf einer höheren Ebene des<br />

Verstehens ist selbstverständli<strong>ch</strong> weniger<br />

das körperli<strong>ch</strong>e als vielmehr<br />

»das geistige Leben (vita spiritualis)«<br />

gemeint, das heißt »das Leben der<br />

Einsi<strong>ch</strong>t und der Weisheit dur<strong>ch</strong> das<br />

göttli<strong>ch</strong>e Wahre« (OE 419). Mit anderen<br />

Worten: Vers 7 handelt »vom neuen Leben Adams« (HG 8286). Interessanterweise<br />

ist bisher ni<strong>ch</strong>t vom Herzen als der Lebensquelle die Rede. 147 Seit Genesis 1<br />

steht der Lufthau<strong>ch</strong> oder Wind im Mittelpunkt (Rua<strong>ch</strong> bzw. Nes<strong>ch</strong>ama). Die Belebung<br />

des Mens<strong>ch</strong>en dur<strong>ch</strong> die Nase hat eine Parallele in der ägyptis<strong>ch</strong>en Mytho-<br />

145<br />

Dur<strong>ch</strong> Luthers Bibelübersetzung fand die Nebenform Odem Verbreitung. Atem ist mit altindis<strong>ch</strong><br />

Atman verwandt.<br />

146<br />

Im Hebräis<strong>ch</strong>en steht Leben im Plural. Für Swedenborg war das ein Hinweis auf die Urdualität<br />

von Liebe und Weisheit. Vgl. zu Genesis 2,7 HG 94.<br />

147<br />

Diese Beoba<strong>ch</strong>tung ist im Hinblick auf die Offenbarung dur<strong>ch</strong> Jakob Lorber bea<strong>ch</strong>tenswert.<br />

Dort ist nämli<strong>ch</strong> das Herz der Ursprungsort des Lebens (GEJ 8,56,5-7).


Genesis 2 79<br />

logie. Auf vers<strong>ch</strong>iedenen Darstellungen ist das Lebenszei<strong>ch</strong>en vor der Nase des<br />

Mens<strong>ch</strong>en zu sehen (Abbildung 3). 148<br />

Das biblis<strong>ch</strong>e Mens<strong>ch</strong>enbild ist tri<strong>ch</strong>otomis<strong>ch</strong> (dreigegliedert). Fritz Heidler kam<br />

na<strong>ch</strong> einer gründli<strong>ch</strong>en Untersu<strong>ch</strong>ung zu dem Ergebnis: »Es ist unbestreitbar: die<br />

Bibel kennt den Mens<strong>ch</strong>en als Geist, Seele und Leib.« 149 Na<strong>ch</strong> Heidler gibt es »in<br />

der Bibel zwei Stellen, die jeweils als locus classicus für eine biblis<strong>ch</strong>e Anthropologie<br />

na<strong>ch</strong> ihrer naturhaft-konstitutionellen Seite hin angesehen werden können.<br />

Das ist für das Alte Testament … Gen 2,7 (in Verbindung mit 1,26.27) und für das<br />

Neue Testament … 1 Thess 5,23.« 150 In unserem Zusammenhang wi<strong>ch</strong>tig ist die<br />

Erkenntnis, die Heidler ausführli<strong>ch</strong> begründet, »dass Lebensodem (nes<strong>ch</strong>amah)<br />

und Geist (rua<strong>ch</strong>, pneuma) synonyme Bedeutung haben« 151 . Der Geist Gottes (Rua<strong>ch</strong><br />

Elohim), der si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Genesis 1,2 no<strong>ch</strong> über den Wassern der Empfindungsseele<br />

bewegte, wird nun in Genesis 2,7 als Lebensodem (Nes<strong>ch</strong>ama) zu einem<br />

Element im Mens<strong>ch</strong>en, so dass von einer lebendigen Seele (oder Geistseele) gespro<strong>ch</strong>en<br />

werden kann. Während Rua<strong>ch</strong> und Nes<strong>ch</strong>ama synonym (sinnverwandt)<br />

sind, müssen andererseits Geist und Seele (Nephes<strong>ch</strong>) unters<strong>ch</strong>ieden werden.<br />

Dazu no<strong>ch</strong> einmal Heidler: »So eng au<strong>ch</strong> immer Geist und Seele miteinander verbunden<br />

sind und jeder dieser Begriffe allein für die Bezei<strong>ch</strong>nung des inneren<br />

Mens<strong>ch</strong>en stehen kann …: Geist und Seele werden in der S<strong>ch</strong>rift klar unters<strong>ch</strong>ieden.«<br />

152 Au<strong>ch</strong> Friedri<strong>ch</strong> Weinreb unters<strong>ch</strong>eidet Nes<strong>ch</strong>ama und Nephes<strong>ch</strong>. Für<br />

Nes<strong>ch</strong>ama bietet er die Übersetzung »göttli<strong>ch</strong>e Seele« und für Nephes<strong>ch</strong> »körperli<strong>ch</strong>e<br />

Seele« an. 153 In Vers 7 werden die drei Konstitutionselemente des Mens<strong>ch</strong>en<br />

genannt: »Und Jahwe Gott formte den Adam aus Staub von der Adama (die leibli<strong>ch</strong>e<br />

Ers<strong>ch</strong>einungsform), dann blies er in seine Nasenlö<strong>ch</strong>er das Atma des Lebens<br />

148<br />

Abbildung aus: Hans Bonnet, Reallexikon der ägyptis<strong>ch</strong>en Religionsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, 2000, Seite<br />

387.<br />

149<br />

Fritz Heidler, Die biblis<strong>ch</strong>e Lehre von der Unsterbli<strong>ch</strong>keit der Seele: Sterben, Tod, ewiges<br />

Leben im Aspekt lutheris<strong>ch</strong>er Anthropologie, 1983.<br />

150<br />

Fritz Heidler, a.a.O., Seite 30.<br />

151<br />

Fritz Heidler, a.a.O., Seite 42.<br />

152<br />

Fritz Heidler, a.a.O., Seite 69. So kommt Heidler s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> zu dem Ergebnis, dass das biblis<strong>ch</strong>e<br />

Mens<strong>ch</strong>enbild tri<strong>ch</strong>otomis<strong>ch</strong> ist. Au<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg und Jakob Lorber s<strong>ch</strong>lagen<br />

eine Dreigliederung vor. Bei Swedenborg finden wir die Modelle Corpus (Leib), Mens<br />

(mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Geist), Anima (Seele) bzw. Animus (Triebsphäre), Mens (mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Geist),<br />

Anima (Seele). Und bei Lorber dominiert das Modell Leib, Seele, göttli<strong>ch</strong>er Geist. Die S<strong>ch</strong>nitte<br />

dur<strong>ch</strong> das Ganze des Mens<strong>ch</strong>en sind bei Swedenborg und Lorber unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t.<br />

Man kann sie aber zu einem umfassenderen Ganzen vereinen. Dann kommt man zu dem Modell:<br />

Körper, Animus (körpernahe Triebsphäre), mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Geist (im Gehirn), Seele, göttli<strong>ch</strong>er<br />

Geist (im Herzen).<br />

153<br />

Friedri<strong>ch</strong> Weinreb, S<strong>ch</strong>öpfung im Wort: Die Struktur der Bibel in jüdis<strong>ch</strong>er Überlieferung,<br />

2002, Seite 79. Weinreb entdeckte auf der Zahlenebene einen Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en<br />

S<strong>ch</strong>lange (= 50-8-300), Fall (= 50-80-30) und animalis<strong>ch</strong>er Seele (= 50-80-300). Siehe a.a.O.,<br />

Seite 79. Die Nephes<strong>ch</strong> ist no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t voll aus der Sphäre des Sinnli<strong>ch</strong>en und des Geri<strong>ch</strong>ts erlöst.<br />

Zwis<strong>ch</strong>en Erde und Himmel stehend ist sie der Gefahr des Rückfalls in die tote Stoffli<strong>ch</strong>keit<br />

ausgesetzt.


80 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

(den göttli<strong>ch</strong>en Geist), und so wurde das Erdgebilde Adam zu einem lebendigen<br />

Seelenwesen (die geistinspirierte Seele).«<br />

Swedenborg übersetzte napha<strong>ch</strong> (blasen) in Vers 7 mit inspirare. In dem lateinis<strong>ch</strong>en<br />

Äquivalent ist au<strong>ch</strong> für unsere Wahrnehmung sowohl der natürli<strong>ch</strong>e als<br />

au<strong>ch</strong> der geistige Sinn deutli<strong>ch</strong> erkennbar. Denn inspirare bedeutet sowohl einhau<strong>ch</strong>en<br />

als au<strong>ch</strong> einflößen oder eingeben (inspirieren). Unter Inspiration versteht<br />

der Mediziner die Einatmung; zuglei<strong>ch</strong> bedeutet dieses Wort aber au<strong>ch</strong> Eingebung,<br />

Einfall, ja sogar Erleu<strong>ch</strong>tung. Wie s<strong>ch</strong>on für Wind und Geist in den theologis<strong>ch</strong>en<br />

Spra<strong>ch</strong>en ein gemeinsames Wort existierte, nämli<strong>ch</strong> im Hebräis<strong>ch</strong>en<br />

Rua<strong>ch</strong>, im Grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Pneuma und im Lateinis<strong>ch</strong>en Spiritus, so verwendeten<br />

die alten Spre<strong>ch</strong>er dieser Spra<strong>ch</strong>en au<strong>ch</strong> gemeinsame Wörter für den Akt der<br />

Wind- bzw. Geistaufnahme. Hinter dieser Beoba<strong>ch</strong>tung verbirgt si<strong>ch</strong> ein uraltes,<br />

auf die vorges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Zeit zurückgehendes Wissen um den Zusammenhang<br />

zwis<strong>ch</strong>en der Atmung und der Geistestätigkeit. Swedenborg, der selbst Atemübungen<br />

praktizierte, spri<strong>ch</strong>t von diesem Wissen andeutungsrei<strong>ch</strong> an mehreren<br />

Stellen in seinem Werk. Im Kontext seiner Auslegung von Vers 7 heißt es beispielsweise:<br />

»Dass das Leben (des Mens<strong>ch</strong>en) dur<strong>ch</strong> Einhau<strong>ch</strong>ung (per inspirationem)<br />

und Odem spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> dargestellt wurde, hatte au<strong>ch</strong> den Grund, dass die<br />

Mens<strong>ch</strong>en der ältesten Kir<strong>ch</strong>e die Zustände der Liebe und des Glaubens dur<strong>ch</strong> die<br />

(entspre<strong>ch</strong>enden) Zustände der Atmung (per status respirationis) innerli<strong>ch</strong><br />

wahrnahmen.« (HG 97). Die Inspiration oder Einhau<strong>ch</strong>ung des Geistes bewirkt<br />

eine innere Wahrnehmung des an si<strong>ch</strong> ungebundenen, frei wehenden Geistigen<br />

(Joh 3,8). Diese innere Wahrnehmung des allwaltenden Geistigen nannte Swedenborg<br />

perceptio (Tafels Innewerdung). Er s<strong>ch</strong>rieb: »Die Seele ist ni<strong>ch</strong>t selbst<br />

das Leben, sondern sie ist ein aufnehmendes Organ des Lebens von Gott, der das<br />

Leben selbst ist; und der gesamte Einfluss ist ein Einfluss des Lebens und somit<br />

von Gott kommend. Deswegen heißt es: ›Jehovah Gott hau<strong>ch</strong>te in die Nase des<br />

Mens<strong>ch</strong>en die Seele (oder das Wesen) des Lebens, und so wurde der Mens<strong>ch</strong> zu<br />

einer lebendigen Seele (oder einem lebendigen Wesen)‹ (Gen 2,7). Das Einhau<strong>ch</strong>en<br />

der lebendigen Seele in die Nase bedeutet das Einflößen einer inneren<br />

Wahrnehmung (perceptionem) des Guten und Wahren« (SK 8). Die Einhau<strong>ch</strong>ung<br />

des Odems in den aus Erde gebildeten Mens<strong>ch</strong>en ist daher auf seine Inspiration<br />

zu beziehen, auf die Empfängli<strong>ch</strong>keit seiner Physis für das Metaphysis<strong>ch</strong>e, das<br />

Swedenborg das Geistige nannte. Dadur<strong>ch</strong> wird das Erdgebilde in einen himmlis<strong>ch</strong>en<br />

Zustand versetzt, weswegen Swedenborg s<strong>ch</strong>rieb, in Genesis 2 sei vom<br />

himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en die Rede.<br />

Die neutestamentli<strong>ch</strong>e Parallele zu dieser Anhau<strong>ch</strong>ung ist der Beri<strong>ch</strong>t im Johannesevangelium:<br />

»Und na<strong>ch</strong>dem er (Jesus) dies gesagt hatte, hau<strong>ch</strong>te er sie an und<br />

spra<strong>ch</strong> zu ihnen: Empfangt den heiligen Geist!« (Joh 20,22). Wiederum ist von der<br />

Anhau<strong>ch</strong>ung und der Gabe des Geistes die Rede. Das Johannesevangelium s<strong>ch</strong>ildert<br />

in bewusster Aufnahme von Genesis 2,7 die neue S<strong>ch</strong>öpfung. S<strong>ch</strong>on der Prolog<br />

(Joh 1,1-18) war eine Wiederaufnahme von Genesis 1. Und die Apokalypse


Genesis 2 81<br />

wird dann den S<strong>ch</strong>öpfungsbogen der johanneis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>riften vollenden, indem<br />

sie vom neuen Himmel und der neuen Erde spre<strong>ch</strong>en wird (Offb 21,1). Das himmlis<strong>ch</strong>e<br />

Jerusalem ist das Paradies der neuen S<strong>ch</strong>öpfung.<br />

Dur<strong>ch</strong> die Inspiration wird nun au<strong>ch</strong> Adam (der irdis<strong>ch</strong>e Mens<strong>ch</strong>) zu einer<br />

»Nephes<strong>ch</strong> <strong>ch</strong>ajja«, zu einer lebenden Seele. Bisher wurden nur die Tiere so genannt<br />

(Gen 1,20.21.24.30). Viellei<strong>ch</strong>t darf man sagen: Der Mens<strong>ch</strong> war bislang<br />

nur ein Bild. Das hebräis<strong>ch</strong>e Wort für Bild (Zelem) ist sowohl mit S<strong>ch</strong>atten (Zel)<br />

als au<strong>ch</strong> mir Rippe (Zela) verwandt. 154 Mögli<strong>ch</strong>erweise liegt daher im Begriff des<br />

Bildes no<strong>ch</strong> etwas verglei<strong>ch</strong>sweise Lebloses. Dur<strong>ch</strong> die Inspiration rückt nun au<strong>ch</strong><br />

der Mens<strong>ch</strong> in den Berei<strong>ch</strong> der lebendigen Wesen auf. Im Unters<strong>ch</strong>ied zu den<br />

Tieren ges<strong>ch</strong>ieht seine S<strong>ch</strong>öpfung in zwei Stufen. Erst wird in ihm das Bild Gottes<br />

angelegt, dann wird von dort aus au<strong>ch</strong> der Erdenstaub in eine mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Form<br />

gebra<strong>ch</strong>t.<br />

Der Garten: Genesis 2,8-17<br />

Für Genesis 2,8-17 wurde oben die Gliederung in die Verse 8-9, 10-14 und 15-<br />

17 vorges<strong>ch</strong>lagen. Sie beruht auf der Parallelität zwis<strong>ch</strong>en den Versen 8-9 und<br />

15-17. Die Hineinversetzung des Mens<strong>ch</strong>en in den Garten wird in den Versen 8<br />

und 15 erzählt, und in den Versen 9 und 16f. ist von den Bäumen die Rede. Man<br />

kann allerdings au<strong>ch</strong> anders gliedern und die Verse 8-14 und 15-17 als Einheiten<br />

betra<strong>ch</strong>ten. Dieser Vors<strong>ch</strong>lag hebt hervor, dass es zunä<strong>ch</strong>st um die Ausstattung<br />

des Gartens und dann um das Verhältnis des Mens<strong>ch</strong>en zu seiner Umgebung<br />

geht.<br />

Der Garten mit Adam und den Bäumen (8-9)<br />

Zu Vers 8: Zum Garten in Eden s<strong>ch</strong>reibt Swedenborg: »Der von Jehovah Gott gepflanzte<br />

Garten (hortus) in Eden von Osten ist im hö<strong>ch</strong>sten (supremo) Sinn der<br />

Herr selbst. Im innersten (intimo) Sinn, der au<strong>ch</strong> allgemeiner (universalis) Sinn<br />

heißt, ist er das Rei<strong>ch</strong> des Herrn und der Himmel, in den der Mens<strong>ch</strong> kommt,<br />

wenn er himmlis<strong>ch</strong> wird.« (HG 99). Im Neuen Testament bezei<strong>ch</strong>net »Paradies«<br />

den Aufenthaltsort der Seligen (Lk 23,43; 2. Kor 12,4; Offb 2,7). Was Swedenborg<br />

also als inneren Sinn des alttestamentli<strong>ch</strong>en Bildes enthüllt, das tritt im Neuen<br />

Testament offen zu Tage.<br />

Während Swedenborg das hebräis<strong>ch</strong>e Wort »gan« in HG 99 mit Garten (hortus)<br />

übersetzte, wählt er anderenorts, beispielsweise in HG 63, Paradies (paradisus).<br />

Obwohl Paradies nur eine andere, nämli<strong>ch</strong> die in der Septuaginta und Vulgata<br />

vorkommende Übersetzung von »gan« ist, s<strong>ch</strong>lägt Swedenborg die folgende Sinndifferenzierung<br />

vor: »Die Kir<strong>ch</strong>e heißt … Garten wegen der Einsi<strong>ch</strong>t (intelligentia)<br />

und Paradies wegen der Weisheit (sapientia).« (HG 9011). Dasselbe Urtextwort<br />

154<br />

Siehe Friedri<strong>ch</strong> Weinreb, S<strong>ch</strong>öpfung im Wort: Die Struktur der Bibel in jüdis<strong>ch</strong>er Überlieferung,<br />

2002, Seite 163.


82 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

hätte demna<strong>ch</strong> je na<strong>ch</strong> Übersetzung vers<strong>ch</strong>iedene Entspre<strong>ch</strong>ungen. An dieser<br />

Stelle ist eine kritis<strong>ch</strong>e Anfrage erlaubt. Ist der innere Sinn ni<strong>ch</strong>t primär im Urtext<br />

zu su<strong>ch</strong>en? Enthalten vers<strong>ch</strong>iedene Übersetzungen einen unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en<br />

inneren Sinn?<br />

Eden ers<strong>ch</strong>eint dem Leser sowohl als Name der Gegend (»Garten in Eden«, Gen<br />

2,8) als au<strong>ch</strong> als Name des Gartens (»Garten Eden«, Gen 2,15; 3,23; 3,24). Das<br />

hebräis<strong>ch</strong>e Wort »Eden« bedeutet Wonne (vgl. au<strong>ch</strong> grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong> »hedone«). Daher<br />

lesen wir in der Vulgata »paradisus voluptatis« (Lustgarten). Na<strong>ch</strong> Swedenborg<br />

bezei<strong>ch</strong>net Eden die Liebe (HG 98).<br />

Jahwe Gott pflanzte den Garten in Eden »miqedem«, das heißt »von Osten« (Swedenborg:<br />

»ab oriente«). In den deuts<strong>ch</strong>en Übersetzungen wird die Ortsbestimmung<br />

in der Regel dem abendländis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>gefühl angepasst, so dass dort<br />

»im Osten« zu lesen ist. Na<strong>ch</strong> Swedenborg meint der Osten den Herrn (HG 101).<br />

Genauer dürfte wohl die Formulierung sein, dass die Sonne den Herrn meint. Sie<br />

aber geht im Osten auf, so dass diese Himmelsgegend für den Ursprung der Gotteserfahrung<br />

in der mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Erfahrungswelt steht. Von daher wird die Gebetsausri<strong>ch</strong>tung<br />

na<strong>ch</strong> Osten verständli<strong>ch</strong> (HG 101), von der s<strong>ch</strong>on der erste lateinis<strong>ch</strong>e<br />

Kir<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>riftsteller, Tertullian, in seinem Apologeticum (c 16) aus dem<br />

Jahre 197 ganz selbstverständli<strong>ch</strong> spri<strong>ch</strong>t 155 . Im Christentum ist die im Osten<br />

aufgehende Sonne mit dem Ostern auferstandenen Herrn identis<strong>ch</strong>. Ostern ist mit<br />

Osten spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> verwandt. Die Auferstehung ges<strong>ch</strong>ah am Tag der Sonne, am<br />

Sonntag. So ist der Osten der Ursprungsort der Gotteserfahrung, und es ist<br />

selbstverständli<strong>ch</strong>, dass der Betende na<strong>ch</strong> Oste(r)n s<strong>ch</strong>aut, dem Quellort des<br />

Heils. 156<br />

Zu Vers 9: Zwei Bäume beherrs<strong>ch</strong>en die Szene: der Baum des Lebens und der<br />

Baum der Erkenntnis. Mögli<strong>ch</strong>erweise deuten s<strong>ch</strong>on »begehrenswert anzusehen«<br />

und »gut zu essen« auf den Unters<strong>ch</strong>ied dieser beiden Bäume. Wolfgang Krets<strong>ch</strong>mer<br />

jedenfalls bra<strong>ch</strong>te »gut zu essen« mit dem Lebensbaum und »begeherenswert<br />

anzusehen« mit dem Baum der Erkenntnis in Verbindung. 157 Na<strong>ch</strong> Swedenborg<br />

155<br />

Tertullian: »Andere haben wenigstens eine mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>ere und wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>ere Ansi<strong>ch</strong>t von<br />

uns, sie glauben, die Sonne sei unser Gott. So werden wir am Ende wohl gar no<strong>ch</strong> zu den Persern<br />

gere<strong>ch</strong>net werden, obwohl wir keine auf Leinwand abgebildete Sonne anbeten, da wir sie<br />

selbst ja überall gegenwärtig haben an ihrem Himmelsrund. Um es kurz zu sagen, der Verda<strong>ch</strong>t<br />

rührt daher, weil es bekannt geworden, dass wir na<strong>ch</strong> Osten gewendet beten. Allein<br />

au<strong>ch</strong> sehr viele von eu<strong>ch</strong> bewegen na<strong>ch</strong> Sonnenaufgang hingewendet die Lippen, indem sie<br />

man<strong>ch</strong>mal das Verlangen haben, au<strong>ch</strong> himmlis<strong>ch</strong>e Dinge anzubeten.« (Apologeticum, Kapitel<br />

16).<br />

156<br />

Zur Gebetsausri<strong>ch</strong>tung na<strong>ch</strong> Osten und zur Ostung des Kir<strong>ch</strong>engebäudes vgl. Franz Joseph<br />

Dölger, Sol salutis. Gebet und Gesang im <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>en Altertum, 1920 (umgearb. u. verm.<br />

1925).<br />

157<br />

»Hier werden zwei Aspekte herausgehoben: das Ernähren (gut zu essen) wel<strong>ch</strong>es der Lebensbaum<br />

versinnbildli<strong>ch</strong>t. Der Fru<strong>ch</strong>tbaum erhält tieris<strong>ch</strong>es und mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es Leben. Und<br />

zum zweiten: das ästhetis<strong>ch</strong>e Erfreuen (lustig, angenehm, s<strong>ch</strong>ön anzusehen), wel<strong>ch</strong>es uns


Genesis 2 83<br />

bedeutet »›der Baum liebli<strong>ch</strong> anzusehen‹ das Innewerden des Wahren; ›der Baum<br />

gut zur Speise‹ das Innewerden des Guten«. (HG 102).<br />

In den deuts<strong>ch</strong>en Übersetzungen der Bibel steht »Baum des Lebens«. Im hebräis<strong>ch</strong>en<br />

Grundtext steht Leben jedo<strong>ch</strong> in der Mehrzahl, so dass »Baum der Leben«<br />

die wörtli<strong>ch</strong>ere Übersetzung wäre. Dazu Swedenborg: »Leben … wird in der Mehrzahl<br />

genannt, weil es zwei Lebensvermögen im Mens<strong>ch</strong>en gibt, nämli<strong>ch</strong> den<br />

Verstand, dem es um das Wahre geht, und den Willen, dem es um das Gute<br />

geht.« (HG 3623). Wie ist der Genitiv »des Lebens« bzw. »der Leben« zu verstehen?<br />

Er deutet auf das, was der Baum ist und gibt; er ist ein altorientalis<strong>ch</strong>es<br />

Lebenssymbol und verleiht Unsterbli<strong>ch</strong>keit bzw. ewiges Leben (Gen 3,22). Daher<br />

gibt es beispielsweise im Zweistromland viele Mythen und Sagen, die von der<br />

Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> dem Lebensbaum oder Lebenskraut zu beri<strong>ch</strong>ten wissen. Viellei<strong>ch</strong>t<br />

sind au<strong>ch</strong> der im alten Israel bezeugte Baumkult und der siebenarmige Leu<strong>ch</strong>ter<br />

(die Menora) auf den Lebensbaum zurückzuführen (THAT II,357f.). Die <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>e<br />

Exegese erblickte im Baum oder Holz des Lebens eine Präfiguration des Kreuzes<br />

Christi. 158 Swedenborg übernimmt diesen typologis<strong>ch</strong>en Bezug zwar ni<strong>ch</strong>t,<br />

aber au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> ihm weist der urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Lebensbaum auf Jesus Christus<br />

und das von ihm stammende Leben (WCR 466, WE 23). Na<strong>ch</strong> HG 103 bezei<strong>ch</strong>nen<br />

die Bäume in Genesis 2,9 »perceptiones«, das heißt Wahrnehmungen oder Innewerdungen.<br />

Speziell der Lebensbaum steht für »die Liebe und ihren Glauben« (HG<br />

105), die das Leben des göttli<strong>ch</strong>en Geistes in der Seele sind.<br />

Der Baum der Erkenntnis heißt in Swedenborgs lateinis<strong>ch</strong>er Übersetzung »arbor<br />

scientiae«, das heißt Baum des Wissens. Wissen hängt na<strong>ch</strong> Swedenborg mit den<br />

Sinnesorganen des Körpers zusammen. Daher tau<strong>ch</strong>t in der Auslegung dieses<br />

Baumes immer wieder der Begriff des Sinnli<strong>ch</strong>en auf (HG 102, 6952, OE 543b).<br />

Der Zusammenhang dieser Interpretation Swedenborgs mit dem Empirismus seiner<br />

Zeit ist auffallend und ein Hinweis darauf, dass au<strong>ch</strong> der innere Sinn ni<strong>ch</strong>t<br />

unabhängig von den Vorstellungen der Zeit ausformuliert werden kann.<br />

Der Baum des Wissens von Gut und Böse steht lose am Ende von Vers 9, so dass<br />

unklar bleibt, ob au<strong>ch</strong> er si<strong>ch</strong> in der Mitte des Gartens befindet. Na<strong>ch</strong> Ansi<strong>ch</strong>t der<br />

Frau befindet er si<strong>ch</strong> dort (siehe Gen 3,3). Bei Swedenborg beoba<strong>ch</strong>ten wir an<br />

dieser Stelle einen Widerspru<strong>ch</strong>. Na<strong>ch</strong> HG 200 steht der Baum des Wissens ni<strong>ch</strong>t<br />

in der Mitte des Gartens, na<strong>ch</strong> OE 739b aber steht er zusammen mit dem Lebensbaum<br />

dort.<br />

den Baum der Erkenntnis ahnen läßt.« (Wolfgang Krets<strong>ch</strong>mer, Psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e Weisheit der<br />

Bibel, 1955, Seite 137).<br />

158<br />

Hans Martin von Erffa, Ikonologie der Genesis, Band 1, 1989, Seite 109.


84 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Die Flüsse des Paradieses (10-14)<br />

Die Verse 10 bis 14: Die vier Flüsse des Paradieses werden im Folgenden ni<strong>ch</strong>t<br />

Vers für Vers, sondern zusammenhängend behandelt. Sie heißen Pis<strong>ch</strong>on, Gi<strong>ch</strong>on,<br />

Chiddekel (Tigris) und Eufrat.<br />

In seinem exegetis<strong>ch</strong>en Frühwerk »Explicatio in Verbum Historicum Veteris Testamenti«<br />

verglei<strong>ch</strong>t Swedenborg das Bewässerungssystem der Erde mit dem<br />

Gefäßsystem lebendiger Organismen: »Der ganze Erdkörper war mit seinen Flüssen<br />

und Strömen umgeben, unterteilt und bewässert wie der Leib von Lebewesen<br />

mit seinen größeren und kleineren Gefäßen.« (WE 25). Diesen s<strong>ch</strong>önen Verglei<strong>ch</strong><br />

finden wir in Swedenborgs Erklärungen zu den Flüssen des Paradieses. Später, in<br />

den »Himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnissen«, tritt uns eine abstraktere Auslegung entgegen.<br />

Die vier Flüsse des Gartens sind dort die Lebensadern des Wahren, denn<br />

»die ältesten Mens<strong>ch</strong>en … vergli<strong>ch</strong>en die Weisheit und was zu ihr gehört mit Flüssen«<br />

(HG 108). Swedenborg geht in seinem theosophis<strong>ch</strong>en System von einer<br />

Urdualität des Guten und Wahren aus. Darin symbolisieren die Flüsse (oder Einflüsse)<br />

die Versorgung des Geistes mit dem Wahren.<br />

Der von Eden ausgehende Fluss bezei<strong>ch</strong>net »die Weisheit aus der Liebe« (HG<br />

107). Von diesem Weisheitsstrom heißt es, dass er si<strong>ch</strong> in vier Flussarme auffä<strong>ch</strong>ert.<br />

So wird die göttli<strong>ch</strong>e Weisheit in der mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Welt in vierfa<strong>ch</strong>er Bre<strong>ch</strong>ung<br />

erfahrbar. Der Pis<strong>ch</strong>on bezei<strong>ch</strong>net »die Einsi<strong>ch</strong>t (intelligentiam) des Glaubens<br />

aus der Liebe« (HG 110), der Gi<strong>ch</strong>on »die Erkenntnis (cognitio) aller Dinge<br />

des Guten und Wahren oder der Liebe und des Glaubens« (HG 116), der Chiddekel<br />

oder Tigris »die Vernunft (ratio) bzw. den S<strong>ch</strong>arfsinn (perspicacia) der Vernunft«<br />

(HG 118) 159 und der Eufrat »das Wissen (scientia)« (HG 118) 160 . Na<strong>ch</strong> OE<br />

569 steht jedo<strong>ch</strong> der Eufrat für »das Vernünftige (rationale)«. Swedenborg erläutert<br />

das so: »Unter dem Vernünftigen wird das Denken und die Argumentation<br />

aus Wissensdingen und Wahrheiten (cogitatio et argumentatio ex scientiis et ex<br />

veris) verstanden.« (OE 569). Das Wissen tau<strong>ch</strong>t also au<strong>ch</strong> hier in Verbindung mit<br />

159<br />

Na<strong>ch</strong> Franz Delitzs<strong>ch</strong> klingt Chiddekel an <strong>ch</strong>edeq (aculeus = Sta<strong>ch</strong>el oder S<strong>ch</strong>ärfe) von <strong>ch</strong>adaq<br />

(dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>neiden) und zuglei<strong>ch</strong> an <strong>ch</strong>ad (acutus = s<strong>ch</strong>arf) und qal (celer = s<strong>ch</strong>nell) an. (Commentar<br />

über die Genesis, Leipzig 1872, Seite 122). Das passt gut zu Swedenborgs Deutung,<br />

wona<strong>ch</strong> der Chiddekel oder Tigris den »S<strong>ch</strong>arfsinn der Vernunft« bezei<strong>ch</strong>net.<br />

160<br />

Der Name des vierten Flusses hat die Bedeutung »der Fru<strong>ch</strong>tbringende« (Franz Delitzs<strong>ch</strong>,<br />

Commentar über die Genesis, Leipzig 1872, Seite 123). Perat, so der hebräis<strong>ch</strong>e Name des<br />

Eufrat, erinnert an peri, was Fru<strong>ch</strong>t bedeutet. Die Fru<strong>ch</strong>t ist das Hervorkommende, die letzte<br />

Äußerung eines Lebensprozesses. Swedenborg ers<strong>ch</strong>ließt si<strong>ch</strong> das Gemeinte von der Grenzfunktion<br />

des Eufrat: »Kanaan hatte mehrere Grenzen, im allgemeinen die zwei Flüsse Eufrat<br />

und Jordan sowie das Meer. Daher bildeten der Eufrat und der Jordan das Äußere vor.« (HG<br />

1585). »Weil der Eufrat eine Grenze war, bildete er das mit den Sinnen Wahrnehmbare und<br />

das Wissen (sensualia et scientifica) vor.« (HG 1585). Fru<strong>ch</strong>t und Grenze lassen si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong>aus<br />

zu einer Vorstellung verbinden, denn die Fru<strong>ch</strong>t ist die äußerste Grenze eines Lebensprozesses.


Genesis 2 85<br />

dem Eufrat auf, wennglei<strong>ch</strong> Tigris und Eufrat dur<strong>ch</strong> den Vernunftbegriff miteinander<br />

verbunden bleiben.<br />

Aus HG 121 geht hervor, dass die Flüsse im Sinne einer Stufung zu verstehen<br />

sind: »Wie die himmlis<strong>ch</strong>e Ordnung bes<strong>ch</strong>affen ist oder wie si<strong>ch</strong> das, was zum<br />

Leben gehört, der Reihe na<strong>ch</strong> entwickelt, kann man den Flüssen des Gartens<br />

Eden entnehmen. Denn vom Herrn, der der Osten ist, geht die Weisheit aus, von<br />

dieser die Einsi<strong>ch</strong>t (intelligentia), von dieser die Vernunft (ratio), und dur<strong>ch</strong> diese<br />

werden s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> die Wissensdinge (scientifica) des Gedä<strong>ch</strong>tnisses belebt.« In<br />

dieser gestuften Ordnung fehlt allerdings die Erkenntnis (cognitio), der Gi<strong>ch</strong>on.<br />

Dazu die folgende Überlegung: Erworbenes Wissen (scientifica) und Erkenntnisse<br />

(cognitiones) sind für Swedenborg »aufnehmende Gefäße« (HG 1469), man kann<br />

au<strong>ch</strong> sagen Objekte, die das Li<strong>ch</strong>t überhaupt erst si<strong>ch</strong>tbar und erfassbar ma<strong>ch</strong>en.<br />

In OE 420 heißt es: »Alle Einsi<strong>ch</strong>t (intelligentia) ri<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> den Erkenntnissen<br />

(cognitiones) und ihrer Wahrnehmung.« Und na<strong>ch</strong> HG 9945 sind »die Erkenntnisse<br />

(cognitiones) des Guten und Wahren« »inwendige Wissensdinge<br />

(scientifica interiora)«. Aus all dem ist die These ableitbar, dass si<strong>ch</strong> der Gi<strong>ch</strong>on<br />

(die Erkenntnis) zum Pis<strong>ch</strong>on (zur Einsi<strong>ch</strong>t) wie der Eufrat (das Wissen) zum Tigris<br />

(zur Vernunft) verhält. Die Quaternität der Flüsse besteht demna<strong>ch</strong> aus zwei<br />

Zweiergruppen. Zu diesem S<strong>ch</strong>luss führt uns au<strong>ch</strong> die folgende Beoba<strong>ch</strong>tung.<br />

Tigris und Eufrat bilden geographis<strong>ch</strong> ein Paar; sie ums<strong>ch</strong>ließen Mesopotamien,<br />

das alte Kulturland zwis<strong>ch</strong>en den beiden Strömen. Zuglei<strong>ch</strong> ragen mit ihnen<br />

»zwei urzeitli<strong>ch</strong>e Ströme in die Weltwirkli<strong>ch</strong>keit« hinein. 161 Und Pis<strong>ch</strong>on und Gi<strong>ch</strong>on<br />

sind »der spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Bildung na<strong>ch</strong> ebenfalls als Paar« geda<strong>ch</strong>t. 162 Die<br />

Vermutung legt si<strong>ch</strong> nahe, dass der Weg vom Pis<strong>ch</strong>on bis zum Eufrat der Weg<br />

von innen na<strong>ch</strong> außen ist. Daher s<strong>ch</strong>eint mir die vielfa<strong>ch</strong> geäußerte Annahme,<br />

dass die Flüsse von Osten na<strong>ch</strong> Westen gezählt werden, ni<strong>ch</strong>t abwegig zu sein.<br />

Zumindest für Tigris und Eufrat ist diese Reihenfolge offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>.<br />

Exkurs zur Eins-Vier-Struktur<br />

In Genesis 2 begegnet uns mehrmals das Zahlenverhältnis 1 zu 4. Am offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>sten<br />

ist es in Gestalt des einen Flusses und seiner vier Hauptarme. 163 Wenn<br />

man darüber hinaus die hebräis<strong>ch</strong>en Bu<strong>ch</strong>staben dur<strong>ch</strong> die entspre<strong>ch</strong>enden Zahlen<br />

ersetzt, dann entdeckt man es an weiteren Stellen. S<strong>ch</strong>on Adam, das hebräis<strong>ch</strong>e<br />

Wort für Mens<strong>ch</strong>, besteht aus den Zahlen 1-4-40. Und der geheimnisvolle<br />

161<br />

Horst Seebass, Genesis I: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 111.<br />

162<br />

Horst Seebass, Genesis I: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 109. Die Zahlenwerte von<br />

Pis<strong>ch</strong>on und Gi<strong>ch</strong>on zeigen die Zusammengehörigkeit besser als die Bu<strong>ch</strong>staben. Die Zahlen<br />

von Pis<strong>ch</strong>on sind 80-10-300-6-50 und die von Gi<strong>ch</strong>on sind 3-10-8-6-50. Neben den gemeinsamen<br />

Zahlen (= Bu<strong>ch</strong>staben) wird si<strong>ch</strong>tbar, dass au<strong>ch</strong> den vers<strong>ch</strong>iedenen Bu<strong>ch</strong>staben Zahlen<br />

mit 8 und 3 zugrunde liegen.<br />

163<br />

Die Zahlen der Namen der vier Flüsse ergeben die Summe 1345, wel<strong>ch</strong>e die Quersumme 4<br />

hat.


86 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Dunst (Vers 6), der der Formung des Mens<strong>ch</strong>en aus dem Staub der Adama (1-4-<br />

40-5) vorausgeht, besteht nur aus den Zahlen 1-4, so dass man ihn geradezu für<br />

die Urgestalt des 1-4-Prinzips halten muss. Friedri<strong>ch</strong> Weinreb, auf dessen Einsi<strong>ch</strong>ten<br />

i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> hier beziehe 164 , hat ferner darauf hingewiesen, dass si<strong>ch</strong> die<br />

Zahlensumme des Baumes des Lebens (233) zur Zahlensumme des Baumes der<br />

Erkenntnis des Guten und Bösen (932) wie 1 zu 4 verhält. Zwis<strong>ch</strong>en dem Mens<strong>ch</strong>en<br />

und den wesentli<strong>ch</strong>en Elementen seiner Umgebung besteht sona<strong>ch</strong> eine<br />

eigentümli<strong>ch</strong>e Entspre<strong>ch</strong>ung.<br />

Die Eins bezei<strong>ch</strong>net das Göttli<strong>ch</strong>e. Die Vier hingegen steht für das Weltli<strong>ch</strong>e bzw.<br />

die totale Verwirkli<strong>ch</strong>ung eines Prinzips in der Welt. Somit ist die Vier eine<br />

Ganzheitszahl, was si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> darin zeigt, dass die Summe der Zahlen von Eins<br />

bis Vier Zehn oder das Ganze ergibt. Viele Beispiele belegen, dass wir die Ganzheit<br />

in vier Aspekten erfahren. So ers<strong>ch</strong>ließt si<strong>ch</strong> uns die Ganzheit des Raumes<br />

dur<strong>ch</strong> die vier Himmelsri<strong>ch</strong>tungen und die Ganzheit der Zeit in den vier Tagesund<br />

Jahreszeiten. Die Ganzheit der Welt bildete si<strong>ch</strong> für die alten Weisen aus den<br />

vier Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde. Die Ganzheit des leibli<strong>ch</strong>en Mikrokosmos<br />

lässt si<strong>ch</strong> auf einen genetis<strong>ch</strong>en Code (DNA) zurückführen, in dem es<br />

vier Basen gibt: Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin. Und die Ganzheit des seelis<strong>ch</strong>en<br />

Mikrokosmos wird oft in einer vierfaltigen Typenlehre erfasst. Bekannt sie<br />

die vier Temperamente Sanguiniker, Choleriker, Phlegmatiker und Melan<strong>ch</strong>oliker<br />

oder Carl Gustav Jungs Typologie ebenfalls basierend auf der Vier. Na<strong>ch</strong> Swedenborg<br />

hat Vier die Bedeutung von »conjunctio« (Verbindung, HG 5313, 9493). Vier<br />

ist die Verdopplung der Urdualität des Guten und Wahren, die »die Universalien<br />

der S<strong>ch</strong>öpfung« (EL 85) sind. Die Verdopplung resultiert aus dem Mis<strong>ch</strong><strong>ch</strong>arakter<br />

der Welt, in der Göttli<strong>ch</strong>es und Widergöttli<strong>ch</strong>es im Streit liegen. Dementspre<strong>ch</strong>end<br />

müssen ni<strong>ch</strong>t nur das Gute und Wahre, sondern au<strong>ch</strong> die Pole Wärme und<br />

Kälte auf der einen und Li<strong>ch</strong>t und Finsternis auf der anderen Seite unters<strong>ch</strong>ieden<br />

werden. Das 1-4-Prinzip deutet auf die Einsenkung der göttli<strong>ch</strong>en oder transzendenten<br />

Eins in die materielle Weltwirkli<strong>ch</strong>keit hin. 165<br />

Die Versetzung des Mens<strong>ch</strong>en in den Garten und Gottes Gebot (15-17)<br />

Zu Vers 15: Gemeinsam ist den Versen 8 und 15 das Motiv der Hineinversetzung<br />

des Mens<strong>ch</strong>en in den Garten. Die S<strong>ch</strong>werpunkte sind jedo<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>. Ab<br />

Vers 8 steht der Garten im Mittelpunkt, und in diesem Zusammenhang wird zuerst<br />

seine Ausstattung mit dem Mens<strong>ch</strong>en erwähnt. Ab Vers 15 hingegen steht<br />

der Mens<strong>ch</strong> im Mittelpunkt, und in diesem Zusammenhang wird gesagt, dass er<br />

in den Garten gestellt wird. Die Verlagerung des S<strong>ch</strong>werpunktes der Aussage auf<br />

164<br />

Friedri<strong>ch</strong> Weinreb, S<strong>ch</strong>öpfung im Wort: Die Struktur der Bibel in jüdis<strong>ch</strong>er Überlieferung,<br />

2002.<br />

165<br />

Im Neuen Testament begegnet uns das 1-4-Prinzip beispielsweise in dem einen Logos und<br />

den vier Evangelien und in dem einen Untergewand und den vier Teilen der Kleider Jesu (Joh<br />

19,23f).


Genesis 2 87<br />

den Mens<strong>ch</strong>en zeigt si<strong>ch</strong> in Vers 15 au<strong>ch</strong> darin, dass seine Hineinversetzung in<br />

den Garten hier im Unters<strong>ch</strong>ied zu Vers 8 mit einer bestimmten Absi<strong>ch</strong>t verbunden<br />

ist. Den Garten von Vers 8 könnte man no<strong>ch</strong> für ein S<strong>ch</strong>laraffenland halten.<br />

In Vers 15 wird jedo<strong>ch</strong> klar, dass der Mens<strong>ch</strong> im Garten einen Auftrag zu erfüllen<br />

hat; er soll ihn bebauen und bewahren (oder bewa<strong>ch</strong>en).<br />

Zu colere bzw. bebauen ist das Wi<strong>ch</strong>tigste s<strong>ch</strong>on im Kommentar zu Vers 5 gesagt<br />

worden. Daher genügen an dieser Stelle einige Ausführungen zu »s<strong>ch</strong>amar«. Es<br />

bedeutet (be)hüten, bewa<strong>ch</strong>en und bewahren; Swedenborg übersetzte es mit<br />

custodire. Das Verb vermittelt die Vorstellung einer Bedrohung der paradiesis<strong>ch</strong>en<br />

Umwelt dur<strong>ch</strong> eine böse Ma<strong>ch</strong>t, die zwar no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t aufgetau<strong>ch</strong>t ist, aber<br />

im Auftrag des Bewa<strong>ch</strong>ens bereits vorausgesetzt ist. 166 Genesis 3 wird zeigen,<br />

wel<strong>ch</strong>er Gestalt diese Bedrohung ist und dass die älteste Kir<strong>ch</strong>e ihr ni<strong>ch</strong>t gewa<strong>ch</strong>sen<br />

war. Adam und Eva konnten den paradiesis<strong>ch</strong>en Zustand ihrer ursprüngli<strong>ch</strong>en<br />

Vollkommenheit ni<strong>ch</strong>t bewahren.<br />

Zu den Versen 16 und 17: Das erste Wort dieser Einheit, das Verb »ziwwa« (befehlen,<br />

gebieten), zeigt an, dass diese beiden Verse das Gebot von Jahwe Elohim<br />

an den Mens<strong>ch</strong>en beinhalten: »Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen,<br />

vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse aber, von dem darfst du ni<strong>ch</strong>t essen,<br />

denn an dem Tag, da du davon isst, musst du sterben.« Jahwe Elohim beginnt mit<br />

einer generellen Erlaubnis, was eine wi<strong>ch</strong>tige Beoba<strong>ch</strong>tung ist, besonders im<br />

Verglei<strong>ch</strong> mit der listigen, doppelzüngigen Frage der S<strong>ch</strong>lange an die Frau in<br />

Genesis 3,1. Die große Freigabe erfährt nur eine Eins<strong>ch</strong>ränkung. Vom Baum der<br />

Erkenntnis von Gut und Böse darf der Mens<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t essen, um ni<strong>ch</strong>t zu sterben.<br />

Was ma<strong>ch</strong>t diesen Baum so gefährli<strong>ch</strong>? Der Baum des Wissens steht für den<br />

Glauben an die unbegrenzte Leistungsfähigkeit des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Verstandes und<br />

somit im religiösen Kontext für den Versu<strong>ch</strong>, »dur<strong>ch</strong> Sinnli<strong>ch</strong>es und erworbenes<br />

Wissen die Geheimnisse des Glaubens zu erfors<strong>ch</strong>en« (HG 126). Das führt, weil<br />

man meint, auf Offenbarung ni<strong>ch</strong>t mehr angewiesen zu sein, zur Wahnidee, wie<br />

Gott zu sein (Gen 3,5), das heißt si<strong>ch</strong> selbst führen zu können (HG 204). So stirbt<br />

der himmlis<strong>ch</strong>e oder kindli<strong>ch</strong>e Zustand, Gott zieht si<strong>ch</strong> zurück und der Mens<strong>ch</strong><br />

wird si<strong>ch</strong> selbst übergeben. Außerhalb des Paradieses wird er erwa<strong>ch</strong>sen. Der<br />

jüdis<strong>ch</strong>e Religionspädagoge Daniel Kro<strong>ch</strong>malnik s<strong>ch</strong>reibt: »Ein Vers im fünften<br />

Bu<strong>ch</strong> Mose (Deuteronomium) führt zu einer ganz einfa<strong>ch</strong>en Erklärung für den<br />

Namen und die Bedeutung des Baumes. Dort heißt es von den kleinen Kindern<br />

und den jungen Söhnen des Volkes, dass sie no<strong>ch</strong> ›ni<strong>ch</strong>t wissen, was gut und<br />

böse‹ … ist (Dtn 1,39). Demna<strong>ch</strong> ist der Zustand vor dem Fall ein Zustand kindli-<br />

166<br />

Franz Delitzs<strong>ch</strong> bestätigt unser Verständnis von »s<strong>ch</strong>amar«: »Das ›Bewaren‹ erweckt den<br />

Gedanken der Gefahr und diese den Gedanken einer in die S<strong>ch</strong>öpfung eingedrungenen Gewalt<br />

des Argen, wel<strong>ch</strong>e ihren s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong> geordneten Bestand zu bes<strong>ch</strong>ädigen und zu verkehren,<br />

ihre Bestimmung zu vereiteln su<strong>ch</strong>t.« (Commentar über die Genesis, Leipzig 1872,<br />

Seite 126).


88 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

<strong>ch</strong>er Uns<strong>ch</strong>uld.« 167 Au<strong>ch</strong> Swedenborg bes<strong>ch</strong>reibt diesen Zustand als den der uranfängli<strong>ch</strong>en<br />

Uns<strong>ch</strong>uld (HG 165). Der Mens<strong>ch</strong> verlor ihn und su<strong>ch</strong>t ihn nun und<br />

damit das verlorene Paradies auf einem sehr langen Erfahrungsweg. Do<strong>ch</strong> das<br />

Ziel bleibt die Wiedererlangung der Kinds<strong>ch</strong>aft na<strong>ch</strong> den Worten Jesu: »Amen, i<strong>ch</strong><br />

sage eu<strong>ch</strong>, wenn ihr ni<strong>ch</strong>t umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr ni<strong>ch</strong>t<br />

ins Himmelrei<strong>ch</strong> hineinkommen.« (Mt 18,3).<br />

Die Frau: Genesis 2,18-25<br />

Der Auftakt: Es ist ni<strong>ch</strong>t gut … (18)<br />

Zu Vers 18: Na<strong>ch</strong>dem in Genesis 1 alles »gut«, ja sogar »sehr gut« war, ist nun auf<br />

einmal etwas »ni<strong>ch</strong>t gut«, nämli<strong>ch</strong> das Alleinsein des Mens<strong>ch</strong>en. Swedenborg<br />

entdeckte zuweilen Sinnpotentiale, die bislang übersehen wurden und der gesamten<br />

Deutung eines Textes eine neue Ri<strong>ch</strong>tung geben. Damit meine i<strong>ch</strong> hier ni<strong>ch</strong>t<br />

seine Enthüllungen des inneren Sinnes, sondern die Entdeckung von Deutungsmögli<strong>ch</strong>keiten<br />

aufgrund seiner Konkordanzarbeit. Die vorliegende Stelle ist ein<br />

Beispiel dafür. Die Exegese versteht das Alleinsein gewöhnli<strong>ch</strong> im Sinne von Einsamkeit,<br />

die unerträgli<strong>ch</strong> ist und aus der das mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Wesen dur<strong>ch</strong> Geselligkeit<br />

zu befreien ist. 168<br />

Swedenborg kommt jedo<strong>ch</strong>, gestützt auf die Verwendung von »allein« (hebr. badad)<br />

in Jeremia 49,31, Deuteronomium 33,28 und Numeri 23,9 (HG 139), zu einer<br />

anderen Interpretation. Die Bibelstellen lauten: »Ma<strong>ch</strong>t eu<strong>ch</strong> auf, zieht hinauf<br />

gegen eine sorglose Nation, die in Si<strong>ch</strong>erheit wohnt!, spri<strong>ch</strong>t der Herr. Sie hat<br />

weder Tore no<strong>ch</strong> Riegel, sie wohnen allein.« (Jer 49,31). »Und Israel wohnt si<strong>ch</strong>er,<br />

allein der Quell Jakobs, in einem Land von Korn und Most; au<strong>ch</strong> sein Himmel<br />

träufelt Tau.« (Dtn 33,28). »Denn vom Gipfel der Felsen sehe i<strong>ch</strong> es, und von den<br />

Höhen herab s<strong>ch</strong>aue i<strong>ch</strong> es; siehe, ein Volk, das allein wohnt und si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zu<br />

den Nationen re<strong>ch</strong>net.« (Num 23,9). Allein sein oder wohnen bezieht si<strong>ch</strong> in diesen<br />

Versen auf das Abgesondertsein vom Bösen in Gestalt götzendieneris<strong>ch</strong>er<br />

Nationen oder weltli<strong>ch</strong>er Mä<strong>ch</strong>te. Wer in diesem Sinne allein wohnt ist der Anfe<strong>ch</strong>tung<br />

ni<strong>ch</strong>t ausgesetzt. Swedenborg wendet diese Beoba<strong>ch</strong>tung ins Positive,<br />

indem er s<strong>ch</strong>reibt: »Seit alter Zeit hießen diejenigen allein wohnend, die vom<br />

Herrn geleitet wurden wie die himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en (der Urkir<strong>ch</strong>e), weil das<br />

Böse bzw. die bösen Geister sie ni<strong>ch</strong>t mehr anfo<strong>ch</strong>ten.« (HG 139). Diese exegetis<strong>ch</strong>e<br />

Einsi<strong>ch</strong>t überträgt Swedenborg auf Genesis 2,18. Gemeint ist dort demna<strong>ch</strong>,<br />

dass es ni<strong>ch</strong>t mehr gut ist, dass der Mens<strong>ch</strong> von der Anfe<strong>ch</strong>tung abgesondert bzw.<br />

167<br />

Daniel Kro<strong>ch</strong>malnik, S<strong>ch</strong>riftauslegung: Das Bu<strong>ch</strong> Genesis im Judentum, 2001, Seite 59.<br />

168<br />

Vgl. Gerhard von Rad: »Die Einsamkeit ›ist ni<strong>ch</strong>t gut‹; der Mens<strong>ch</strong> ist auf Geselligkeit hin<br />

angelegt; Gottes Freundli<strong>ch</strong>keit sieht, daß es dem Mens<strong>ch</strong>en wohltun würde, wenn ihm ein<br />

mithelfendes Wesen beigegeben wäre … ›Wieviel Ans<strong>ch</strong>auung und Erfahrung gelebten Lebens<br />

ist in diesem Satz verdi<strong>ch</strong>tet!‹« (Das erste Bu<strong>ch</strong> Mose: Genesis, 1987, Seite 57). Oder Horst<br />

Seebass: »Jahwe Gott beurteilt das Alleinsein des Mens<strong>ch</strong>en als ni<strong>ch</strong>t gut. Der Mens<strong>ch</strong> soll ein<br />

geselliges Wesen sein.« (Genesis I: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 115).


Genesis 2 89<br />

mit Jahwe Elohim allein ist. Denn im Mens<strong>ch</strong>en erwa<strong>ch</strong>te das Verlangen, si<strong>ch</strong><br />

selbst zu führen oder selbständig zu werden. Deswegen wurde ihm ein vom Gottesbewusstsein<br />

relativ unabhängiges und somit eigenständiges I<strong>ch</strong>bewusstsein<br />

gegeben.<br />

Im Urtext folgt in der zweiten Hälfte von Vers 18 »ezer kenegdo«. Swedenborg<br />

übersetzte das mit »auxilium tanquam apud illum« (eine Hilfe wie bei ihm). In<br />

seiner lateinis<strong>ch</strong>en Bibel von Sebastian S<strong>ch</strong>mid las er »auxilium pro ipso« (eine<br />

Hilfe für ihn). Swedenborg wi<strong>ch</strong> also von seiner Vorlage ab und gab den Urtext<br />

wörtli<strong>ch</strong> wieder. Denn er erspähte darin einen Sinn, den die Übersetzer gewöhnli<strong>ch</strong><br />

übersehen, weil sie mit der Vorstellung von Adam und Eva als Urehepaar an<br />

den Text herangehen. In der Elberfelder Bibel und der katholis<strong>ch</strong>en Einheitsübersetzung<br />

lesen wir: »I<strong>ch</strong> will ihm eine Hilfe ma<strong>ch</strong>en, die ihm entspri<strong>ch</strong>t.« In der<br />

Zür<strong>ch</strong>er Bibel 2007 heißt es: »I<strong>ch</strong> will ihm eine Hilfe ma<strong>ch</strong>en, ihm gemäss.« Und<br />

na<strong>ch</strong> der Lutherbibel von 1984 sagte Jahwe Elohim: »I<strong>ch</strong> will ihm eine Gehilfin<br />

ma<strong>ch</strong>en, die um ihn sei.« Obwohl »ezer« ein maskulines Nomen ist und in den<br />

unmittelbar ans<strong>ch</strong>ließenden Versen 19 und 20 erst einmal die Tiere als Hilfe in<br />

Betra<strong>ch</strong>t gezogen werden, s<strong>ch</strong>iebt uns Luther s<strong>ch</strong>on hier in Vers 18 die Eva unter,<br />

indem er »ezer« mit Gehilfin übersetzt. Au<strong>ch</strong> die anderen Übersetzer haben die<br />

Frau im Sinn, die dem Mann entspri<strong>ch</strong>t.<br />

Die wörtli<strong>ch</strong>e Übersetzung, in der das »wie« für Swedenborg wi<strong>ch</strong>tig ist, führt ihn<br />

zu der Einsi<strong>ch</strong>t, dass die Hilfe ni<strong>ch</strong>t in Wahrheit, sondern nur s<strong>ch</strong>einbar beim<br />

Mens<strong>ch</strong>en ist. Daher s<strong>ch</strong>lägt er vor, unter dieser Hilfe das Eigene (proprium) des<br />

Mens<strong>ch</strong>en zu verstehen, das heißt das I<strong>ch</strong>, mit dem er si<strong>ch</strong> identifiziert. Der<br />

S<strong>ch</strong>ein<strong>ch</strong>arakter des I<strong>ch</strong>komplexes besteht darin, dass eigentli<strong>ch</strong> nur Jahwe der<br />

»I<strong>ch</strong> bin« ist. Das I<strong>ch</strong>bewusstsein ist ledigli<strong>ch</strong> ein Reflex des Urli<strong>ch</strong>ts im Gehirn,<br />

der jedo<strong>ch</strong> so beeindruckend ist, dass der Mens<strong>ch</strong> nur allzu bereitwillig dieser<br />

süßen Spiegelung erliegt und mit ihr eins werden will. Warum heißt sie dann aber<br />

Hilfe? Sie ist do<strong>ch</strong> viel eher eine Versu<strong>ch</strong>ung, die uns das Uri<strong>ch</strong> Gottes vergessen<br />

lässt und in den süßen Traum hüllt, ein autonomes I<strong>ch</strong> zu sein. Der Mens<strong>ch</strong> kann<br />

mit diesem I<strong>ch</strong>gefühl seinen Traum verwirkli<strong>ch</strong>en, si<strong>ch</strong> selbst zu führen, weswegen<br />

es ihm eine Hilfe ist. Außerdem wird ihm, wie Genesis 2,21f. zeigen wird,<br />

das in si<strong>ch</strong> selbst Verliebtsein genommen und als Frau zur Seite gestellt. So wird<br />

die Liebe, obwohl sie no<strong>ch</strong> immer Selbstliebe ist, auf eine andere Person gelenkt<br />

und kann zu e<strong>ch</strong>ter, eheli<strong>ch</strong>er Liebe werden. Swedenborg stellt das ausführli<strong>ch</strong> in<br />

seinem Bu<strong>ch</strong> über die eheli<strong>ch</strong>e Liebe dar.<br />

Die Bildung und Benennung der Tiere (19-20)<br />

Zu den Versen 19 und 20: Die Tierszene wirkt wie ein Eins<strong>ch</strong>ub. Die in Vers 18<br />

angekündigte Hilfe wird erst in den Versen 21ff. dur<strong>ch</strong> die Auferbauung des Weibes<br />

aus der Rippe des Mens<strong>ch</strong>en realisiert. Zwar wird das Weib ni<strong>ch</strong>t ausdrückli<strong>ch</strong><br />

»Hilfe« genannt, aber das Motiv von Vers 18 ist in den Versen 21ff. in Form<br />

der Wesensverwandts<strong>ch</strong>aft des Weibes mit dem Mens<strong>ch</strong>en enthalten. Die auf


90 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Vers 18 unmittelbar folgende Tierszene nimmt der Auferbauung des Weibes allerdings<br />

den Charakter der Ursprüngli<strong>ch</strong>keit. Denn erst na<strong>ch</strong>dem der Mens<strong>ch</strong> in<br />

der primären Konfrontation mit den Tieren (»bringen« in Vers 19) die Hilfe ni<strong>ch</strong>t<br />

finden konnte, kommt es zur sekundären Konfrontation mit dem Weib (»bringen«<br />

in Vers 22), das der Mens<strong>ch</strong> freudig als das ihm gemäße Gegenüber begrüßt.<br />

Die »Tiere« sind im inneren Sinn auf »die himmlis<strong>ch</strong>en Regungen« (caelestes<br />

affectiones) und die »Vögel« auf »die geistigen« (spirituales) zu beziehen (HG<br />

142). Die der Auferbauung des Weibes vorges<strong>ch</strong>altete Konfrontation mit den Tieren<br />

ist daher ein Akt der Selbsterkenntnis, zumal Adam in der Lage ist, den Regungen<br />

seines Lebens einen ihnen entspre<strong>ch</strong>enden Namen zu geben, das heißt<br />

sie zu erkennen. Der Symbolfors<strong>ch</strong>er Manfred Lurker wies darauf hin, dass das<br />

Alter Ego (das andere I<strong>ch</strong>) bestimmter Naturvölker Tiere sind. 169 Do<strong>ch</strong> den Adam<br />

befriedigte diese Ans<strong>ch</strong>auung seiner Lebenssphäre in der Gestalt von Tieren<br />

ni<strong>ch</strong>t, er strebte na<strong>ch</strong> mehr, na<strong>ch</strong> einem Alter Ego, das ni<strong>ch</strong>t nur wie er aus der<br />

oberen Erds<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>t (adama) 170 , sondern aus ihm selbst genommen wird. Der Ents<strong>ch</strong>eidung<br />

für das I<strong>ch</strong>bewusstsein - Swedenborg nennt es das Eigene - geht demna<strong>ch</strong><br />

eine bewusste und willentli<strong>ch</strong>e Abkehr vom Naturzustand voraus, wobei<br />

dieser ni<strong>ch</strong>t der eines Primitiven war, sondern der einer unmittelbaren Formung<br />

aus der Hand Gottes.<br />

Während in Vers 19 Jahwe Elohim zuerst die Tiere des Feldes und dann erst die<br />

Vögel des Himmels bildet, ist in Vers 20, wo der Mens<strong>ch</strong> das Subjekt ist, die Reihenfolge<br />

eine andere. Zuerst erhält das Vieh, von dem in Vers 19 ni<strong>ch</strong>t die Rede<br />

war, Namen, dann die Vögel des Himmels und s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> die Tiere des Feldes.<br />

Die Reihenfolge ist also umgekehrt. Dass sol<strong>ch</strong>e Umstellungen bedeutsam sind,<br />

bestätigt uns Swedenborg bei ähnli<strong>ch</strong>en Ers<strong>ch</strong>einungen in Genesis 1 (siehe HG<br />

47).<br />

Die ursprüngli<strong>ch</strong>e Intelligenz, die dem Mens<strong>ch</strong>en im Zustand seiner Vollkommenheit<br />

im Garten Eden eigen war, zeigt si<strong>ch</strong> in seiner Fähigkeit allen Tieren<br />

einen ihnen entspre<strong>ch</strong>enden Namen zu geben: »Wie die Einsi<strong>ch</strong>t (intelligentia)<br />

und das daher stammende Wissen Adams im Zustand seines jugendli<strong>ch</strong>en Lebens<br />

bes<strong>ch</strong>affen war, zeigt si<strong>ch</strong> deutli<strong>ch</strong> daran, wie er es verstand, den Lebewesen, die<br />

169<br />

Manfred Lurker, Wörterbu<strong>ch</strong> der Symbolik, 1985, Seite 26f. Au<strong>ch</strong> im alten Israel gab es »Namen<br />

wie Ra<strong>ch</strong>el ›Mutters<strong>ch</strong>af‹, Lea ›Kuh‹, Chamor ›Esel‹, Kaleb ›Hund‹, A<strong>ch</strong>bor ›Maus‹, Jona<br />

›Taube‹ u. a. für angesehene Personen.« (Horst Seebass, Genesis I: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26),<br />

1996, Seite 116).<br />

170<br />

Bea<strong>ch</strong>tenswert ist die Ähnli<strong>ch</strong>keit zwis<strong>ch</strong>en den Versen 7 und 19: »Und Jahwe Gott bildete<br />

den Mens<strong>ch</strong>en aus Staub vom Erdboden« (Gen 2,7). »Und Jahwe Gott bildete vom Erdboden<br />

alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Himmels« (Gen 2,19). In beiden Versen wird das<br />

Verb »bilden« verwendet und in beiden Versen ist der Erdboden (adama) der Stoff, aus dem<br />

die Wesen geformt werden. Zu »Staub« siehe oden die Ausführungen zu Vers 7. »Und er bildete«<br />

wird in Vers 7 mit zwei Jod ges<strong>ch</strong>rieben, in Vers 19 aber nur mit einem Jod. Zur Diskussion<br />

darüber innerhalb des Judentums siehe: Daniel Kro<strong>ch</strong>malnik, S<strong>ch</strong>riftauslegung: Das<br />

Bu<strong>ch</strong> Genesis im Judentum, 2001, Seite 43ff.


Genesis 2 91<br />

er nur zu Gesi<strong>ch</strong>t bekam, Namen zu geben, die mit ihrer Natur übereinstimmen.«<br />

(WE 29). Au<strong>ch</strong> dem aus einer seiner Rippen erbauten Lebewesen wird er den passenden<br />

Namen »is<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>a« (Männin) geben, obwohl er do<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>lief, als das ges<strong>ch</strong>ah.<br />

Das ist ni<strong>ch</strong>t »das Wissen eines Zeugen, sondern eines Erkennenden« 171 .<br />

Man spürt das Interesse, mit dem Swedenborg dieser adamis<strong>ch</strong>en Geistesvollkommenheit<br />

in seinen vorvisionären S<strong>ch</strong>riften na<strong>ch</strong>geht; au<strong>ch</strong> dem Buddha des<br />

Nordens wird si<strong>ch</strong> später in geistiger S<strong>ch</strong>au das Wesen aller Wesen zeigen. Swedenborgs<br />

Spätwerk ist die Fru<strong>ch</strong>t einer Wesenss<strong>ch</strong>au, wie sie einst Adam zu Gebote<br />

stand. Im Zusammenhang seiner frühen Auslegung der Verse 19 und 20 in<br />

seiner »Explicatio« unters<strong>ch</strong>eidet Swedenborg zwei Wege des Erkennens: den<br />

unteren (inferior) und den oberen (superior) Weg (WE 29). Der untere Weg »führt<br />

von den Gegenständen der Welt dur<strong>ch</strong> die Pforten der Sinne na<strong>ch</strong> oben oder innen<br />

in den Verstand des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Geistes« (WE 29). Das ist der lange Weg des<br />

Empirikers. Auf dem oberen Weg dagegen fließt das innere Li<strong>ch</strong>t »dur<strong>ch</strong> die Seele<br />

vom Himmel her« ein (WE 29). Dieser Weg ers<strong>ch</strong>eint der gegenwärtigen Geistesverfassung<br />

als Phantasterei. So arm ist der Mens<strong>ch</strong> geworden, dass er keine Ahnung<br />

mehr davon hat, dass das Wesen aller Dinge in ihm als einem Mikrokosmos<br />

zu finden ist.<br />

Die Auferbauung des Weibes aus der Rippe (21-23)<br />

Zu Vers 21: »Tardema« ist ni<strong>ch</strong>t das übli<strong>ch</strong>e hebräis<strong>ch</strong>e Wort für S<strong>ch</strong>laf, das ist<br />

»s<strong>ch</strong>ena«. »Tardema« bedeutet tiefer S<strong>ch</strong>laf. 172 So versteht es au<strong>ch</strong> Swedenborg,<br />

denn er übersetzt es ni<strong>ch</strong>t mit somnus (S<strong>ch</strong>laf), sondern mit sopor (tiefer S<strong>ch</strong>laf,<br />

Betäubung, Todess<strong>ch</strong>laf). In HG 1072 und WCR 334 verbindet er sopor zur Hervorhebung<br />

der spezifis<strong>ch</strong>en Bedeutung mit altus (tief). Zudem hat »tardema« »etwas<br />

Gottgewirktes an si<strong>ch</strong>« 173 , weswegen es in Vers 21 heißt, dass Jahwe Elohim<br />

ihn (von oben herab) fallen ließ. So befiel also der tiefe S<strong>ch</strong>laf den Mens<strong>ch</strong>en als<br />

eine Gabe von oben. 174<br />

Gemeint ist das Versinken in eine tiefe Bewusstlosigkeit. Der Mens<strong>ch</strong> wollte ni<strong>ch</strong>t<br />

mehr mit Gott allein sein, sondern mit einem vom Uri<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong>sam getrennten I<strong>ch</strong><br />

umgeben werden. Um ihm diesen Wuns<strong>ch</strong> zu erfüllen, musste ihm sein Uri<strong>ch</strong> wie<br />

eine ferne Welt ents<strong>ch</strong>winden, von der am Ende ni<strong>ch</strong>t einmal mehr ein Li<strong>ch</strong>tpunkt<br />

übrig bleiben durfte. Adam musste ganz im Gefühl versinken »aus si<strong>ch</strong> selbst<br />

heraus« (HG 147) zu leben. Das ist der tiefe S<strong>ch</strong>laf, die totale Betäubung aller<br />

171<br />

Horst Seebass, Genesis I: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 118.<br />

172<br />

»Tardema« ist von einem Verb abgeleitet, dessen Grundbedeutung »verstopfen« sein könnte<br />

(Wilhelm Gesenius, Hebräis<strong>ch</strong>es und aramäis<strong>ch</strong>es Handwörterbu<strong>ch</strong> über das Alte Testament,<br />

bearbeitet von Dr. Frants Buhl, unveränderter Neudruck der 1915 ers<strong>ch</strong>ienenen 17. Auflage,<br />

1962, Seite 746).<br />

173<br />

Horst Seebass, Genesis I: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 117.<br />

174<br />

In der Septuaginta steht an Stelle von »tardema« in Genesis 2,21 und 15,12 »ekstasis«, das<br />

heißt »Ekstase« oder wörtli<strong>ch</strong> »Außer-si<strong>ch</strong>-sein«.


92 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

höheren Geistessinne. Swedenborg s<strong>ch</strong>reibt: »Der Zustand des Mens<strong>ch</strong>en, der<br />

si<strong>ch</strong> im Eigeni<strong>ch</strong> (in proprio) befindet oder meint, aus si<strong>ch</strong> heraus zu leben, wurde<br />

mit einem tiefen S<strong>ch</strong>laf vergli<strong>ch</strong>en, ja von den alten Weisen sogar so genannt.«<br />

(HG 150). Für uns, die wir in der Außenwelt leben, ist mit dem Eins<strong>ch</strong>lafen das<br />

Verlassen der sinnli<strong>ch</strong> erfahrbaren Welt verbunden. Do<strong>ch</strong> der Urmens<strong>ch</strong>, der si<strong>ch</strong><br />

in seinem Wa<strong>ch</strong>sein in einem himmlis<strong>ch</strong>en Zustand befand, fiel dur<strong>ch</strong> den S<strong>ch</strong>laf<br />

aus diesem Zustand und fand si<strong>ch</strong> im süßen Traum, ein eigenständiges I<strong>ch</strong> zu<br />

sein, wieder. Na<strong>ch</strong> Friedri<strong>ch</strong> Weinreb enthält »tardema« »spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> das<br />

Hinabsteigen«. 175 Und na<strong>ch</strong> Jakob Böhme s<strong>ch</strong>lief Adam in der englis<strong>ch</strong>en Welt ein<br />

und wa<strong>ch</strong>te in der äußeren Welt auf (MM 19,4). Im Christentum wurde Adams<br />

Tiefs<strong>ch</strong>laf mit dem Todess<strong>ch</strong>laf Christi in Verbindung gebra<strong>ch</strong>t. Der zweite Adam<br />

verblieb jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in diesem S<strong>ch</strong>laf, sondern wurde auferweckt. Dur<strong>ch</strong> seine<br />

Verherrli<strong>ch</strong>ung ma<strong>ch</strong>te er das verlorene Gottesbewusstsein der Mens<strong>ch</strong>heit wieder<br />

zugängli<strong>ch</strong>.<br />

Zur Rippe in den Versen 21 und 22: »Adams kesse Rippe« (Filmkomödie von<br />

1988) darf selbst bei mangelhafter Bibelkenntnis no<strong>ch</strong> immer als bekannt vorausgesetzt<br />

werden. Man ma<strong>ch</strong>t Witze über die naive Vorstellung und bezeugt<br />

damit nur seine eigene Unkenntnis über das viels<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tige und beziehungsrei<strong>ch</strong>e<br />

Bild. Die Rippe bezei<strong>ch</strong>net, weil sie als ein Kno<strong>ch</strong>en »kaum Leben« (HG 148) in<br />

si<strong>ch</strong> hat, das geistig leblose Eigenleben des Mens<strong>ch</strong>en, der ohne Gott ein Gerippe<br />

ist. Friedri<strong>ch</strong> Weinreb bringt »zela« (Rippe) mit »zel« (S<strong>ch</strong>atten) in Verbindung. 176<br />

Der S<strong>ch</strong>atten zei<strong>ch</strong>net si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> eine Abwesenheit aus, nämli<strong>ch</strong> die des Li<strong>ch</strong>tes.<br />

Im Falle der Rippe ist es die des Lebens. Die Offenbarungen dur<strong>ch</strong> Jakob Lorber<br />

heben die S<strong>ch</strong>utzfunktion der Rippen bzw. des Brustkorbs hervor: »Die Rippen<br />

sind ein äußerer, fester S<strong>ch</strong>utzs<strong>ch</strong>ild der zarten, inneren Lebensorgane.« (GEJ<br />

4,162,8). Adams Rippe ist demna<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t nur »kess«, sondern vor allem der<br />

S<strong>ch</strong>utz für Herz (Liebe) und Lunge (Weisheit). Die Bildausdrücke der Bibel sind<br />

äußerst komplex, so dass ihr Rei<strong>ch</strong>tum mit dem Verstand ebensowenig auss<strong>ch</strong>öpfbar<br />

ist wie der Ozean mit einem Teelöffel. Sagten wir soeben, dass die Rippe<br />

kaum Leben in si<strong>ch</strong> habe, so sei nun darauf hingewiesen, dass das Gegenteil<br />

au<strong>ch</strong> ri<strong>ch</strong>tig sein könnte. Mögli<strong>ch</strong>erweise steckt in der Rippe ein Wortspiel, »das<br />

im Hebräis<strong>ch</strong>en (und in den modernen Spra<strong>ch</strong>en) verlorengegangen ist, aber in<br />

der Urform der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te enthalten war. In der sumeris<strong>ch</strong>en Keils<strong>ch</strong>rift ist nämli<strong>ch</strong><br />

das Zei<strong>ch</strong>en für ›Rippe‹ identis<strong>ch</strong> mit dem für ›Leben‹.« 177 Demna<strong>ch</strong> wird Eva<br />

aus dem Leben Adams genommen. In seinem Werk über die eheli<strong>ch</strong>e Liebe zeigt<br />

175<br />

Friedri<strong>ch</strong> Weinreb, S<strong>ch</strong>öpfung im Wort: Die Struktur der Bibel in jüdis<strong>ch</strong>er Überlieferung,<br />

2002, Seite 163. Weinreb bringt »tardema« offenbar mit »jarad« (hinabsteigen) in Verbindung.<br />

176<br />

Friedri<strong>ch</strong> Weinreb, S<strong>ch</strong>öpfung im Wort: Die Struktur der Bibel in jüdis<strong>ch</strong>er Überlieferung,<br />

2002, Seite 163.<br />

177<br />

Heinri<strong>ch</strong> Krauss, Max Kü<strong>ch</strong>ler, Erzählungen der Bibel: Das Bu<strong>ch</strong> Genesis in literaris<strong>ch</strong>er<br />

Perspektive: Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Gen 1-11), 2003, Seite 76.


Genesis 2 93<br />

Swedenborg, wie die Frau aus der Lebenssphäre ihres Mannes zur Ehefrau wird.<br />

Der Brustraum, dessen S<strong>ch</strong>utz die Rippen sind, steht für die lebenswi<strong>ch</strong>tigen<br />

Organe Herz und Lunge und somit für das Zusammenspiel von Liebe und Weisheit.<br />

Na<strong>ch</strong> Jakob Lorber bildete si<strong>ch</strong> die Seele Evas, die si<strong>ch</strong> in der Außenlebenssphäre<br />

Adams befand, »aus diesen ihr sehr liebli<strong>ch</strong>en Adamis<strong>ch</strong>en Außenlebensteilen<br />

oder aus dem rei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>sten Lebensdunste, wie es no<strong>ch</strong> heutzutage Seelen<br />

Verstorbener zu tun pflegen, wenn sie den Mens<strong>ch</strong>en auf einige Momente ers<strong>ch</strong>einen<br />

wollen, einen ihr entspre<strong>ch</strong>enden Leib« (GEJ 4,162,5). Eva bildete si<strong>ch</strong><br />

also aus dem Leben Adams.<br />

»Zela«, das wir bisher mit »Rippe« übersetzt haben, kann au<strong>ch</strong> »Seite« bedeuten.<br />

Swedenborg kennt diese Bedeutung, denn bei seiner Auslegung von Exodus 30,4<br />

geht er von ihr aus (HG 10189). Damit wird eine typologis<strong>ch</strong>e oder, wie Swedenborg<br />

sagen würde, vorbildende Verbindung von Genesis 2,21f. mit Johannes<br />

19,34 si<strong>ch</strong>tbar. Denn der Evangelist beri<strong>ch</strong>tet, dass die Seite Jesu von einem Soldaten<br />

mit einem Speer dur<strong>ch</strong>bohrt wurde und soglei<strong>ch</strong> Blut und Wasser herauskamen.<br />

Seit Tertullian ist die Öffnung von Adams Seite als alttestamentli<strong>ch</strong>er Typus<br />

für diesen Lanzensti<strong>ch</strong> angesehen worden: »Denn wenn Adam ein Vorbild<br />

Christi war, so war der S<strong>ch</strong>laf Adams der Tod Christi, der im Tode nur s<strong>ch</strong>lafen<br />

sollte, damit auf die glei<strong>ch</strong>e Weise aus der Verletzung seiner Seite die wahre Mutter<br />

der Lebenden, die Kir<strong>ch</strong>e, gebildet würde«. 178 S<strong>ch</strong>on der Epheserbrief bezog die<br />

Frau in Genesis 2,24 auf die Kir<strong>ch</strong>e: »Denn niemand hat jemals sein eigenes<br />

Fleis<strong>ch</strong> gehasst, sondern er nährt und pflegt es, wie au<strong>ch</strong> der Christus die Gemeinde.<br />

Denn wir sind Glieder seines Leibes. ›Deswegen wird ein Mens<strong>ch</strong> Vater<br />

und Mutter verlassen und seiner Frau anhängen, und die zwei werden ein Fleis<strong>ch</strong><br />

sein.‹ (Gen 2,24). Dieses Geheimnis ist groß, i<strong>ch</strong> aber deute es auf Christus und<br />

die Kir<strong>ch</strong>e.« (Eph 5,29-32). Na<strong>ch</strong> Swedenborg bezei<strong>ch</strong>net die Frau sowohl »das<br />

Eigene« (HG 152) als au<strong>ch</strong> »die Kir<strong>ch</strong>e« (HG 287), denn die Kir<strong>ch</strong>e ist das vom<br />

Herrn belebte Eigene. Johannes 19,34 interpretiert Swedenborg auf zwei völlig<br />

vers<strong>ch</strong>iedene Weisen. Einesteils bedeutet der Lanzensti<strong>ch</strong> die Zerstörung des<br />

Wahren dur<strong>ch</strong> das Fals<strong>ch</strong>e (EO 26). Andernteils ist er aber au<strong>ch</strong> auf die Verbindung<br />

des Herrn mit dem mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> das göttli<strong>ch</strong>e Wahre<br />

(Blut und Wasser) zu beziehen (OE 329). Die Mens<strong>ch</strong>en hatten Böses im Sinn,<br />

Gott aber wendete es zum Guten (vgl. Gen 50,20). Er öffnete die Seite des zweiten<br />

Adam und ließ so am Kreuz die Kir<strong>ch</strong>e als »die Mutter aller Lebenden« (Gen 3,20)<br />

erstehen.<br />

Ungewöhnli<strong>ch</strong> ist, dass Jahwe Elohim das Weib weder s<strong>ch</strong>uf, no<strong>ch</strong> bildete, no<strong>ch</strong><br />

ma<strong>ch</strong>te, sondern baute. Na<strong>ch</strong> Swedenborg bedeutet bauen »aufbauen, was gefallen<br />

ist« (HG 153). S<strong>ch</strong>on vor dem sogenannten Sündenfall von Genesis 3 ist demna<strong>ch</strong><br />

die Thematik des Falles zumindest unters<strong>ch</strong>wellig gegenwärtig. Das Gefalle-<br />

178<br />

Zitiert na<strong>ch</strong>: Hans Martin von Erffa, Ikonologie der Genesis, Band 1, 1989, Seite 151. Dort im<br />

Abs<strong>ch</strong>nitt »Ers<strong>ch</strong>affung Evas« (Seiten 150 - 157) weiteres Material.


94 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

ne ist das selbstbezogene Eigene (»homo incurvatus in se ipsum«), das - darin die<br />

Erlösung von Ferne andeutend - zu einem Weib auferbaut wird. Vom Bauen Jahwes<br />

ist im Alten Testament an Stellen die Rede, bei denen es si<strong>ch</strong> um »Heilsaussagen<br />

im Hinblick auf die Zukunft« oder um den »Wiederaufbau na<strong>ch</strong> der Unheilszeit<br />

des Exils« handelt (THAT 1,326).<br />

Zu Vers 23: »Gebein von meinem Gebein und Fleis<strong>ch</strong> von meinem Fleis<strong>ch</strong>«, das<br />

ist die »Verwandts<strong>ch</strong>aftsformel« 179 . Swedenborg verweist auf Genesis 29,14; Ri<strong>ch</strong>ter<br />

9,1-3 und 2. Samuel 5,1. Die Benennung der Frau als »is<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>a« ist Ausdruck<br />

der adamis<strong>ch</strong>en Wesenserkenntnis, denn der Mens<strong>ch</strong> war ni<strong>ch</strong>t Zeuge ihrer Erbauung<br />

aus seiner Rippe, er s<strong>ch</strong>lief. Zuglei<strong>ch</strong> gibt si<strong>ch</strong> aber au<strong>ch</strong> der Mens<strong>ch</strong><br />

einen neuen Namen. Erstmals tau<strong>ch</strong>t in Vers 23 »is<strong>ch</strong>« (Mann) auf. Mann und<br />

Frau bilden also die beiden Pole der Ganzheit Mens<strong>ch</strong>. Sie sind verwandt und<br />

sollen in der eheli<strong>ch</strong>en Liebe wieder eins werden, ein Engel bestehend aus zwei<br />

Personen.<br />

Seinem Weibe anhangen (24)<br />

Unklar ist, ob Vers 24 no<strong>ch</strong> als »Fortsetzung des Ausrufs Adams« 180 oder als »ein<br />

abs<strong>ch</strong>ließendes, zusammenfassendes Wort des Erzählers« 181 aufzufassen ist. An<br />

der Ents<strong>ch</strong>eidung in dieser Frage hängt jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t viel. Interessanter ist s<strong>ch</strong>on<br />

die Beoba<strong>ch</strong>tung von Gerhard von Rad: »Merkwürdigerweise deckt si<strong>ch</strong> das Wort<br />

von dem Verlassen von Vater und Mutter ni<strong>ch</strong>t ganz mit den patriar<strong>ch</strong>alis<strong>ch</strong>en<br />

altisraelitis<strong>ch</strong>en Familienverhältnissen, denn viel mehr als der Mann löst si<strong>ch</strong> die<br />

Frau na<strong>ch</strong> der Vereheli<strong>ch</strong>ung von ihrer Familie.« 182 Sol<strong>ch</strong>e Abwei<strong>ch</strong>ungen von den<br />

historis<strong>ch</strong>en Gegebenheiten sind ein Hinweis darauf, dass von Anfang an etwas<br />

anderes gemeint war, nämli<strong>ch</strong> ein geistiger Sa<strong>ch</strong>verhalt. In HG 160 bringt Swedenborg<br />

Vater und Mutter mit dem inneren und die Ehefrau (uxor) mit dem äußeren<br />

Mens<strong>ch</strong>en in Verbindung. Er bezieht den Text also auf die innere Ehe, das<br />

heißt auf die zwis<strong>ch</strong>en dem Männli<strong>ch</strong>en und dem Weibli<strong>ch</strong>en im Mens<strong>ch</strong>en. Aber<br />

er hat au<strong>ch</strong> die äußere Ehe zwis<strong>ch</strong>en Mann und Frau im Blick. Na<strong>ch</strong> HG 3875<br />

drückt anhangen in Genesis 2,24 »die eheli<strong>ch</strong>e Liebe« aus. Und au<strong>ch</strong> in EL 112<br />

und 194 interpretiert Swedenborg Genesis 2,24 im Sinne der eheli<strong>ch</strong>en Liebe<br />

zwis<strong>ch</strong>en Mann und Frau. Wieder zeigt si<strong>ch</strong>, dass der innere Sinn mehrs<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tig<br />

ist.<br />

Die Nacktheit der Uns<strong>ch</strong>uld (25)<br />

Vers 25 stellt die Verbindung zu Genesis 3 her. Die Nacktheit bezei<strong>ch</strong>net den<br />

Zustand der Kindheit und der Uns<strong>ch</strong>uld. Das Eigene ist zwar s<strong>ch</strong>on dar, aber no<strong>ch</strong><br />

179<br />

Horst Seebass, Genesis I: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 118.<br />

180<br />

Franz Delitzs<strong>ch</strong>, Commentar über die Genesis, Leipzig 1872, Seite 133.<br />

181<br />

Gerhard von Rad, Das erste Bu<strong>ch</strong> Mose: Genesis, 1987, Seite 59.<br />

182<br />

Gerhard von Rad, Das erste Bu<strong>ch</strong> Mose: Genesis, 1987, Seite 60.


Genesis 2 95<br />

inaktiv, no<strong>ch</strong> herrs<strong>ch</strong>t die Uns<strong>ch</strong>uld vor. Ein Wortspiel verbindet den letzten Vers<br />

von Genesis 2 mit dem ersten Vers von Genesis 3. Denn das Wort für nackt lautet<br />

»arom«; das für klug und listig »arum«, ausgesagt wird es von der S<strong>ch</strong>lange.<br />

Abbildung 4: Die Wandmalerei aus Mari zeigt einen re<strong>ch</strong>teckigen, von einer Mauer (auf der Abb.<br />

ni<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>tbar) und einem Spiralband (auf der Abb. ni<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>tbar) umgebenen Raum, in dem si<strong>ch</strong><br />

eine Dattelpalme mit einer großen Taube in der Krone befindet. Der Hof rahmt zwei weitere, übereinanderliegende<br />

Re<strong>ch</strong>tecke ein, die von zwei Bäumen (oder baumähnli<strong>ch</strong>en Emblemen), vier<br />

Keruben und zwei Stieren flankiert sind. Die Stiere stemmen den einen Vorderfuß auf einen Berg.<br />

Die beiden Berge sollen wohl andeuten, dass si<strong>ch</strong> das Zentrum des Hofes auf einem Berg befindet.<br />

Zum doppelt dargestellten Berg passen die beiden Quellgottheiten im unteren der beiden kleineren<br />

Re<strong>ch</strong>tecke. Aus dem Gefäß, das sie halten, entspringt ein vierarmiger Strom. Eine stilisierte Pflanze<br />

wä<strong>ch</strong>st daraus hervor. Wir befinden uns an einem Ort, von dem alles Leben ausströmt. Im Zentrum<br />

dieses Berei<strong>ch</strong>s, im oberen Re<strong>ch</strong>teck, steht die Fru<strong>ch</strong>tbarkeits-, Liebes- und Kriegsgöttin Is<strong>ch</strong>tar.<br />

Die Palme ist ihr Baum und die Taube ihr Vogel. Ihr re<strong>ch</strong>ter Fuß ist einem Löwen aufgestemmt. Sie<br />

s<strong>ch</strong>eint dem König, der grüßend vor sie (resp. ihr Bild) tritt, Ring und Stab zu überrei<strong>ch</strong>en.<br />

Wir haben es bei diesem Bild mit der Darstellung einer vollständigen Tempelanlage mit allen ihren<br />

Teilen zu tun. Die Bildelemente <strong>ch</strong>arakterisieren den Tempel als Berei<strong>ch</strong> des Lebens. Wir finden<br />

sie fast ausnahmslos im salomonis<strong>ch</strong>en Tempel und bei der Bes<strong>ch</strong>reibung des Paradieses wieder:<br />

den Berg (Ez 28,13-16), die Ströme, die Bäume, die Keruben. Au<strong>ch</strong> die Stiere, die im Jerusalemer<br />

Tempel das Eherne Meer trugen (1. Kön 7,25) sind vorhanden.


96 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Beoba<strong>ch</strong>tungen zu Genesis 3<br />

Vorbemerkung<br />

Swedenborgs Auslegung von Genesis 3 ist in HG 190 bis 313 na<strong>ch</strong>zulesen. Die<br />

folgenden »Beoba<strong>ch</strong>tungen« können die Lektüre dieses Textes ni<strong>ch</strong>t ersetzen. Mir<br />

geht es hier nur um Folgendes: Swedenborgs Enthüllungen des inneren Sinnes<br />

sind sehr abstrakt. Er sagt das selbst mehrfa<strong>ch</strong>. 183 Sie tendieren dazu, alles in der<br />

Bibel auf das Gute und Wahre zu beziehen, weil das »die Universalien der S<strong>ch</strong>öpfung<br />

(universalia creationis)« (EL 84) sind. Das führt dazu, dass der Zusammenhang<br />

dieser hohen Abstraktionen mit dem Bu<strong>ch</strong>stabensinn ni<strong>ch</strong>t immer erkennbar<br />

ist. Daher mö<strong>ch</strong>te i<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en dem natürli<strong>ch</strong>en und dem geistigen Sinn Stufen<br />

einbauen, die näher am Text sind, aber glei<strong>ch</strong>wohl das geistige Verständnis<br />

im Auge haben. Die folgenden »Beoba<strong>ch</strong>tungen« sind jedo<strong>ch</strong> nur erste S<strong>ch</strong>ritte auf<br />

dem Weg zu diesem Ziel. I<strong>ch</strong> veröffentli<strong>ch</strong>e sie denno<strong>ch</strong> in der Hoffnung, dass sie<br />

für den einen oder anderen Leser Swedenborgs nützli<strong>ch</strong> sind und au<strong>ch</strong> um für das<br />

programmatis<strong>ch</strong>e Anliegen zu werben.<br />

Gliederung und Übersetzung von Genesis 3<br />

Swedenborg teilt den Text von Genesis 3 in drei Gruppen ein, nämli<strong>ch</strong> in die Verse<br />

1-13, 14-19 und 20-24 (siehe HG 190-313). I<strong>ch</strong> habe die erste Gruppe no<strong>ch</strong><br />

einmal, und zwar in die Verse 1-7 und 8-13 unterteilt. Die Verse 1-7 s<strong>ch</strong>ildern<br />

das Gesprä<strong>ch</strong> der S<strong>ch</strong>lange mit der Frau, das - obwohl die S<strong>ch</strong>lange ni<strong>ch</strong>t ausdrückli<strong>ch</strong><br />

dazu auffordert - dazu führt, dass die Frau und dann au<strong>ch</strong> der Mann<br />

vom Baum essen. Die Verse 8-13 s<strong>ch</strong>ildern das Verhör dur<strong>ch</strong> die Stimme Gottes.<br />

Der Mens<strong>ch</strong> und die Frau demonstrieren den auswei<strong>ch</strong>enden Umgang mit dem für<br />

sie peinli<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>uldbewusstsein. Die Verse 14-19 handeln von den Konsequenzen<br />

der Tat für die S<strong>ch</strong>lange, die Frau und den Mens<strong>ch</strong>en. Die Verse 20-24 fassen<br />

das fernere S<strong>ch</strong>icksal des Mens<strong>ch</strong>en und seiner Frau zusammen. Swedenborg<br />

s<strong>ch</strong>reibt zu diesem Block: »Diese Verse handeln summaris<strong>ch</strong> (in summa) von der<br />

ältesten Kir<strong>ch</strong>e und von denen, die si<strong>ch</strong> (s<strong>ch</strong>rittweise von ihr) entfernten; somit<br />

handeln diese Verse au<strong>ch</strong> von ihrer Na<strong>ch</strong>kommens<strong>ch</strong>aft bis zur Sintflut, wo sie<br />

ihren Geist aushau<strong>ch</strong>te.« (HG 280).<br />

Meine Übersetzung von Genesis 3: 1. Und die S<strong>ch</strong>lange 184 war klüger (od. listiger)<br />

185 als alles Wild 186 des Feldes, das Jahwe Gott gema<strong>ch</strong>t hatte, und sie spra<strong>ch</strong><br />

183<br />

Swedenborg selbst verwendet die Formulierung »abstrakter Sinn«. Was er darunter versteht<br />

ist aus HG 9125 ersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>: »I<strong>ch</strong> spre<strong>ch</strong>e vom abstrakten Sinn, weil die Engel … in ihrem<br />

Denken von den Personen abstrahieren (in sensu abstracto dicitur, quia angeli … cogitant abstracte<br />

a personis)«.<br />

184<br />

Vers 1: Die S<strong>ch</strong>lange ist im Hebräis<strong>ch</strong>en männli<strong>ch</strong>. Na<strong>ch</strong> Horst Seebass ist das für das Verständnis<br />

von Genesis 3 »grundlegend« (Genesis 1: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 100).<br />

Auf dem bekannten Bild Mi<strong>ch</strong>elangelos vom Sündenfall in der Sixtinis<strong>ch</strong>en Kapelle ist die<br />

S<strong>ch</strong>lange dagegen als weibli<strong>ch</strong>e Gestalt zu erkennen. Außerdem ist die S<strong>ch</strong>lange, obwohl sie<br />

hier das erste Mal in der Bibel auftau<strong>ch</strong>t, mit dem bestimmten Artikel verbunden.


Beoba<strong>ch</strong>tungen zu Genesis 3 97<br />

zum Weib: »Hat Gott wirkli<strong>ch</strong> gesagt 187 : Von allen Bäumen des Gartens dürft ihr ni<strong>ch</strong>t<br />

essen (oder: Ni<strong>ch</strong>t von allen Bäumen des Gartens dürft ihr essen) 188 ?« 2. Und das<br />

Weib spra<strong>ch</strong> zur S<strong>ch</strong>lange: »Von den Frü<strong>ch</strong>ten der Bäume im Garten dürfen wir essen.<br />

3. Aber von den Frü<strong>ch</strong>ten des Baumes in der Mitte des Gartens hat Gott gesagt:<br />

Ihr dürft ni<strong>ch</strong>t von ihnen essen und sie 189 ni<strong>ch</strong>t anrühren, damit ihr ni<strong>ch</strong>t sterbt.« 4.<br />

Und die S<strong>ch</strong>lange spra<strong>ch</strong> zum Weib: »Ihr werdet keineswegs sterben. 5. Sondern Gott<br />

weiß, dass eu<strong>ch</strong> die Augen aufgehen werden und ihr wie Gott sein und Gut und Böse<br />

erkennen werdet, sobald ihr davon esst (wörtli<strong>ch</strong>: an dem Tag, da ihr von ihnen<br />

esst).« 6. Und das Weib sah, dass der Baum gut zur Speise und dass er eine Lust<br />

für die Augen und dass der Baum begehrenswert war, Einsi<strong>ch</strong>t zu geben. Und sie<br />

nahm von seiner Fru<strong>ch</strong>t und aß. Und sie gab au<strong>ch</strong> ihrem Mann bei ihr, und er aß.<br />

7. Da gingen den beiden die Augen auf, und sie erkannten, dass sie nackt waren.<br />

Und sie flo<strong>ch</strong>ten Feigenblätter 190 und ma<strong>ch</strong>ten si<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>urze.<br />

8. Und sie hörten die Stimme 191 von Jahwe Gott, die 192 im Garten für si<strong>ch</strong> wandelte<br />

193 im Hau<strong>ch</strong> des Tages 194 . Da versteckten si<strong>ch</strong> der Mens<strong>ch</strong> 195 und seine Frau 196<br />

185<br />

Vers 1: Von den von mir berücksi<strong>ch</strong>tigten Verglei<strong>ch</strong>sübersetzungen der Bibel haben alle<br />

»listiger«, nur die Einheitsübersetzung hat »s<strong>ch</strong>lauer«. Au<strong>ch</strong> Paulus spri<strong>ch</strong>t in 2. Kor 11,3 von<br />

List (panourgia. Aquila und Symma<strong>ch</strong>us haben in Genesis 3,1 das Adjektiv panourgos). Das<br />

hebräis<strong>ch</strong>e »‘arum« (klug oder listig) klingt an »‘erom« (nackt) von Genesis 2,25 an.<br />

186<br />

Vers 1: Vom »Wild des Feldes« war in Genesis 2,19 im Zusammenhang mit einer »Hilfe« für<br />

den Mens<strong>ch</strong>en die Rede. Das hier mit »Wild« übersetzte Wort ist eigentli<strong>ch</strong> das Femininum<br />

des Adjektivs »<strong>ch</strong>aj« (lebendig), es meint also das Lebendige. Deswegen s<strong>ch</strong>reibt Swedenborg:<br />

»Dieses Wort bedeutet in der hebräis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>e au<strong>ch</strong> ein Lebewesen (animal), in dem eine<br />

lebende Seele (anima vivens) ist … denn es ist dasselbe Wort.« (HG 774). Die wildlebenden<br />

Tiere in Feld und Flur werden im Unters<strong>ch</strong>ied zum zahmen Vieh verwendet. Die Frau des<br />

Mens<strong>ch</strong>en wird in Vers 20 Eva genannt, wel<strong>ch</strong>es Wort ebenfalls mit »<strong>ch</strong>aj« in Verbindung gebra<strong>ch</strong>t<br />

wird (»Mutter allen Lebens«).<br />

187<br />

Vers 2: Na<strong>ch</strong> torahstudium.de formuliert die S<strong>ch</strong>lange hier keine Frage, denn es fehlt das<br />

Fragepronomen bzw. die Fragepartikel »ha« vor dem Aussagesatz. Die Zür<strong>ch</strong>er Bibel 1931<br />

übersetzte: »Gott hat wohl gar gesagt: …« Luther sagte: »I<strong>ch</strong> kann das Ebreis<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>t wohl<br />

geben, widder deuts<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> lateinis<strong>ch</strong>; es laut eben das Wort aphki als wenn einer die Nase<br />

rümpft und einen verla<strong>ch</strong>et und verspottet.« (zitiert na<strong>ch</strong>: Gerhard von Rad, Das erste Bu<strong>ch</strong><br />

Mose: Genesis, 1987, Seite 60). »Af« bedeutet au<strong>ch</strong> Nase und Zorn.<br />

188<br />

Vers 2: Der Sinn der Aussage variiert je na<strong>ch</strong> der Stellung des Wortes »ni<strong>ch</strong>t«.<br />

189<br />

Vers 3: Das Suffix in »mimmännu« kann auf den Baum oder die Fru<strong>ch</strong>t bezogen werden. In<br />

HG 202 verbindet Swedenborg »berühren« sowohl mit »Baum« als au<strong>ch</strong> mit »Fru<strong>ch</strong>t«. Die meisten<br />

Übersetzungen beziehen das Suffix auf die Fru<strong>ch</strong>t, nur LEO hat »ihn« (= den Baum).<br />

190<br />

Vers 7: Der Masoretis<strong>ch</strong>e Text formuliert im Singular, der hebräis<strong>ch</strong>e Pentateu<strong>ch</strong> der Samaritaner<br />

und die Septuaginta im Plural.<br />

191<br />

Vers 8: Andere Übersetzungen haben »die S<strong>ch</strong>ritte« (ZUR, ebenso Vers 10) bzw. »das Geräus<strong>ch</strong><br />

der S<strong>ch</strong>ritte« (MEN).<br />

192<br />

Vers 8: Swedenborg bezieht das hebräis<strong>ch</strong>e Partizip »mithalle<strong>ch</strong>« auf die Stimme (siehe HG<br />

220), ni<strong>ch</strong>t auf Jahwe Gott. Die Neukir<strong>ch</strong>enbibeln (LEO und LUD) lassen das Partizip stehen<br />

und fällen auf diese Weise keine Ents<strong>ch</strong>eidung. Die übrigen Übersetzungen beziehen es auf<br />

Jahwe Gott.<br />

193<br />

Vers 8: Swedenborg übersetzt das Hitpael von »gehen« reflexiv (= für si<strong>ch</strong> wandeln) und<br />

stützt darauf seine Auslegung (siehe HG 220).


98 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

vor dem Angesi<strong>ch</strong>t von Jahwe Gott unter den Bäumen des Gartens. 9. Und Jahwe<br />

Gott rief na<strong>ch</strong> dem Mens<strong>ch</strong>en und spra<strong>ch</strong> zu ihm: »Wo bist du?« 10. Und er spra<strong>ch</strong>:<br />

»Deine Stimme hörte i<strong>ch</strong> im Garten. Da für<strong>ch</strong>tete i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong>, weil i<strong>ch</strong> nackt bin, und<br />

versteckte mi<strong>ch</strong>.« 11. Und er spra<strong>ch</strong>: »Wer hat dir gesagt (higgid: si<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> sein lassen),<br />

dass du nackt bist? Du hast do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t etwa von dem Baum gegessen, von dem<br />

zu essen i<strong>ch</strong> dir verboten habe?« 12. Und der Mens<strong>ch</strong> spra<strong>ch</strong>: »Das Weib, das du mir<br />

beigesellt hast, das hat mir von dem Baum gegeben. Da habe i<strong>ch</strong> gegessen.« 13. Und<br />

Jahwe Gott spra<strong>ch</strong> zum Weib: »Warum hast du das getan?« 197 Und das Weib spra<strong>ch</strong>:<br />

»Die S<strong>ch</strong>lange hat mi<strong>ch</strong> verführt (oder getäus<strong>ch</strong>t). Da habe i<strong>ch</strong> gegessen.«<br />

14. Und Jahwe Gott spra<strong>ch</strong> zur S<strong>ch</strong>lange: »Weil du das getan hast, verflu<strong>ch</strong>t bist du<br />

vor allen Tieren und vor 198 allem Wild des Feldes. Auf deinem Bau<strong>ch</strong> sollst du krie<strong>ch</strong>en<br />

(wörtli<strong>ch</strong>: gehen), und Staub sollst du fressen alle Tage deines Lebens. 15. Und Feinds<strong>ch</strong>aft<br />

setze i<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en dir und dem Weib und zwis<strong>ch</strong>en deinem Samen (oder:<br />

Na<strong>ch</strong>wu<strong>ch</strong>s) und ihrem Samen. Er soll dir das Haupt zertreten und du wirst ihm die<br />

Ferse verletzen.« 16. Zum Weib spra<strong>ch</strong> er: »Vermehren, ja vermehren will i<strong>ch</strong> deine<br />

S<strong>ch</strong>merzen und dein Stöhnen (oder: und deine S<strong>ch</strong>wangers<strong>ch</strong>aft) 199 . Mit S<strong>ch</strong>merzen<br />

wirst du Söhne 200 gebären, und (do<strong>ch</strong>) wird dein Verlangen (Swedenborg: oboedientia<br />

= Gehorsam) 201 auf deinem Mann geri<strong>ch</strong>tet sein, und 202 er soll über di<strong>ch</strong> herrs<strong>ch</strong>en.«<br />

194<br />

Vers 8: Hebräis<strong>ch</strong> »lerua<strong>ch</strong> hajjom«. Swedenborg hat »ad auram diei« (= beim Hau<strong>ch</strong> des<br />

Tages). Die Bandbreite der Übersetzungen deutet auf Verständniss<strong>ch</strong>wierigkeiten: »in der<br />

Kühlung des Tages« (LEO, LUD), »bei der Kühle des Tages« (ELB), »in der Abendkühle« (MEN),<br />

»beim Abendwind« (ZUR), »gegen den Tagwind« (EIN).<br />

195<br />

Vers 8: Weil die Verbindung Mens<strong>ch</strong> und Frau ungewöhnli<strong>ch</strong> ist, tau<strong>ch</strong>en au<strong>ch</strong> die Übersetzungen<br />

»Mann« und »Adam« auf.<br />

196<br />

Vers 8: Swedenborg übersetzt »is<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ah« mit mulier (Weib) und uxor (Frau). I<strong>ch</strong> habe das in<br />

meiner Übersetzung kenntli<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t, indem i<strong>ch</strong> mulier mit Weib und uxor mit Frau wiedergegeben<br />

habe.<br />

197<br />

Vers 13: Oder: »Was hast du da getan?« Swedenborg hat: »Quare hoc fecisti? (Warum hast du<br />

das getan?)«.<br />

198<br />

Vers 14: Die hebräis<strong>ch</strong>e Präposition »min« kann au<strong>ch</strong> komparativis<strong>ch</strong> verstanden werden: »…<br />

verflu<strong>ch</strong>ter bist du als alle Tiere und alles Wild des Feldes«. Eine weitere Mögli<strong>ch</strong>keit s<strong>ch</strong>lägt<br />

Gesenius vor: »… verstoßen bist du von allem Getier und von allem Wild des Feldes« (Hebräis<strong>ch</strong>es<br />

und Aramäis<strong>ch</strong>es Handwörterbu<strong>ch</strong> über das Alte Testament, 1962, Seite 68).<br />

199<br />

Vers 16: Swedenborg hat »et conceptum tuum (und deine Empfängnis)«. Seebass meint jedo<strong>ch</strong>:<br />

»Die übli<strong>ch</strong> werdende Herleitung des ›heron‹ im MT von der Wurzel ›hrh‹ ›s<strong>ch</strong>wanger<br />

sein /werden‹ s<strong>ch</strong>eint mir verfehlt, vor allem weil neben ›S<strong>ch</strong>merzen‹ ein paralleles Wort nötig<br />

ist … Unter den alten Übersetzungen hat nur LXX [die Septuaginta] mit ›hägjonek‹ [dein<br />

Stöhnen] einen sinnvollen Text« (Genesis 1: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 100).<br />

200<br />

Vers 16: Die meisten Übersetzungen geben »banim« (Grundbedeutung: Söhne) mit »Kinder«<br />

wieder, um weibli<strong>ch</strong>e Na<strong>ch</strong>kommen ni<strong>ch</strong>t auszus<strong>ch</strong>ließen.<br />

201<br />

Vers 16: Swedenborg übersetzt »tes<strong>ch</strong>uqa« mit oboedientia (Gehorsam). Bei Sebastian<br />

S<strong>ch</strong>midt fand er desiderium (Verlangen). Gesenius gibt als Bedeutung dieses nur dreimal in<br />

der hebräis<strong>ch</strong>en Bibel vorkommenden Wortes an: »Trieb, bes. Zug des Weibes n. d. Manne«<br />

(Hebräis<strong>ch</strong>es und Aramäis<strong>ch</strong>es Handwörterbu<strong>ch</strong> über das Alte Testament, 1962, Seite 891).<br />

202<br />

Vers 16: Die Partikel »we« (und) kann hier eine folgernde Funktion haben (Wolfgang S<strong>ch</strong>neider,<br />

Grammatik des biblis<strong>ch</strong>en Hebräis<strong>ch</strong>, 1989, 53.1.3.2), so dass zu übersetzen wäre: »…<br />

und dein Verlangen wird auf deinem Mann geri<strong>ch</strong>tet sein, so dass er über di<strong>ch</strong> herrs<strong>ch</strong>en<br />

wird.«


Beoba<strong>ch</strong>tungen zu Genesis 3 99<br />

17. Und zum Mens<strong>ch</strong>en spra<strong>ch</strong> er: »Weil du auf die Stimme deiner Frau gehört und<br />

von dem Baum gegessen hast, von dem i<strong>ch</strong> dir geboten hatte: Du sollst ni<strong>ch</strong>t davon<br />

essen!: Verflu<strong>ch</strong>t ist das Erdrei<strong>ch</strong> um deinetwillen, mit S<strong>ch</strong>merzen 203 sollst du von ihm<br />

essen alle Tage deines Lebens. 18. Dornen und Disteln lässt er dir sprossen, und das<br />

Kraut des Feldes 204 wirst du essen. 19. Im S<strong>ch</strong>weiße deines Angesi<strong>ch</strong>ts wirst du (dein)<br />

Brot essen, bis zu deiner Rückkehr zum Erdrei<strong>ch</strong>, von dem du ja genommen wurdest,<br />

denn Staub bist du, und zum Staub wirst du zurückkehren.«<br />

20. Und der Mens<strong>ch</strong> nannte den Namen seiner Frau Eva 205 , denn sie wurde die<br />

Mutter allen Lebens. 21. Und Jahwe Gott ma<strong>ch</strong>te dem Mens<strong>ch</strong>en und seiner Frau<br />

Röcke aus Fell 206 und bekleidete sie. 22. Und Jahwe Gott spra<strong>ch</strong>: »Siehe, der Mens<strong>ch</strong><br />

ist geworden 207 wie einer von uns, indem er Gut und Böse erkennt. Dass er nun aber<br />

ni<strong>ch</strong>t seine Hand ausstrecke und au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> vom Baum des Lebens nehme und esse<br />

und ewig lebe! 208 « 23. Und Jahwe Gott s<strong>ch</strong>ickte ihn aus dem Garten Eden fort, um<br />

das Erdrei<strong>ch</strong> zu bebauen (oder: um dem Erdrei<strong>ch</strong> zu dienen), von dem er genommen<br />

war 209 . 24. Und er vertrieb den Mens<strong>ch</strong>en und ließ östli<strong>ch</strong> vom Garten Eden<br />

die Kerubim si<strong>ch</strong> lagern und die Flamme des si<strong>ch</strong> wendenden 210 S<strong>ch</strong>wertes, um<br />

den Weg zum Baum des Lebens zu bewa<strong>ch</strong>en.<br />

Die Auslegung der einzelnen Verse<br />

Vers 1: Und die S<strong>ch</strong>lange war klüger (od. listiger) als alles Wild des Feldes, das<br />

Jahwe Gott gema<strong>ch</strong>t hatte, und sie spra<strong>ch</strong> zum Weib: »Hat Gott wirkli<strong>ch</strong> gesagt: Von<br />

allen Bäumen des Gartens dürft ihr ni<strong>ch</strong>t essen (oder: Ni<strong>ch</strong>t von allen Bäumen des<br />

Gartens dürft ihr essen)?«<br />

203<br />

Vers 17: Swedenborg, der im allgemeinen zu einer Wort-für-Wort-Übersetzung neigt, gibt<br />

hier ein hebräis<strong>ch</strong>es Wort (‘iz'z'abon) mit zwei lateinis<strong>ch</strong>en wieder: »in magno dolore (in<br />

großen S<strong>ch</strong>merzen)«. Sonst ist »Mühsal« als Übersetzung übli<strong>ch</strong>.<br />

204<br />

Vers 18: In seiner Übersetzung hat Swedenborg »herba agri«. Gemäß HG 274 versteht er<br />

darunter »pabulum agreste« (Feldfutter).<br />

205<br />

Vers 20: Die Septuaginta (= LXX), das ist die altgrie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Übersetzung der hebräis<strong>ch</strong>en<br />

Bibel, hat »Zoe« (Leben).<br />

206<br />

Vers 21: Das hebräis<strong>ch</strong>e Wort für Fell (‘or) klingt wie das hebräis<strong>ch</strong>e Wort für Li<strong>ch</strong>t (’or), es<br />

wird aber anders ges<strong>ch</strong>rieben.<br />

207<br />

Vers 22: Die neukir<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Bibeln (LEO und LUD) haben »war«, wohl weil Swedenborg »fuit«<br />

hat. In der Auslegung HG 298 s<strong>ch</strong>reibt er jedo<strong>ch</strong>: »quod homo ›sciverit bonum et malum‹ significat<br />

quod caelestis factus (dass der Mens<strong>ch</strong> ›das Gute und das Böse‹ erkannt hat, bedeutet,<br />

dass er himmlis<strong>ch</strong> geworden ist)«.<br />

208<br />

Vers 22: Dass ist offenbar kein vollständiger Satz. Seebass hat: »Und nun: Damit er ni<strong>ch</strong>t<br />

seine Hand ausstreckt und au<strong>ch</strong> vom Baum des Lebens nimmt, ißt und für immer lebt …!«<br />

(Genesis 1: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 100).<br />

209<br />

Vers 23: »… um das Erdrei<strong>ch</strong> zu bebauen, von dem er genommen war«: Na<strong>ch</strong> Genesis 2,7<br />

wurde der Mens<strong>ch</strong> genau genommen »aus Staub vom Erdrei<strong>ch</strong>« gebildet.<br />

210<br />

Vers 24: Swedenborg hat »et flammam gladii vertentis se (und die Flamme des si<strong>ch</strong> wendenden<br />

S<strong>ch</strong>wertes)«. »Si<strong>ch</strong> wenden« wird bei Gesenius als Bedeutung des hebräis<strong>ch</strong>en Verbs angegeben<br />

(Hebräis<strong>ch</strong>es und Aramäis<strong>ch</strong>es Handwörterbu<strong>ch</strong> über das Alte Testament, 1962).<br />

Übli<strong>ch</strong> sind jedo<strong>ch</strong> die Übersetzungen »zuckend« (ELB, ZUR), »kreisend« (MEN), »blitzend«<br />

(LUT) oder »lodernd« (EIN).


100 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Genesis 3 muss vor dem Hintergrund des Herrs<strong>ch</strong>aftsauftrag von Genesis 1 gelesen<br />

werden. Dort heißt es: »Sie sollen herrs<strong>ch</strong>en über die Fis<strong>ch</strong>e des Meeres und<br />

über die Vögel des Himmels und über das Vieh und über die ganze Erde und über<br />

alle krie<strong>ch</strong>enden Tiere, die auf der Erde krie<strong>ch</strong>en!« (Genesis 1,26). »… und herrs<strong>ch</strong>t<br />

über die Fis<strong>ch</strong>e des Meeres und über die Vögel des Himmels und über alle Tiere,<br />

die auf der Erde krie<strong>ch</strong>en!« (Genesis 1,28). In diesen beiden Versen werden die<br />

krie<strong>ch</strong>enden Tiere in besonderer Weise hervorgehoben. Ist das ein Vorblick auf<br />

Genesis 3? Die S<strong>ch</strong>lange ist jedenfalls das erste Tier, das der Herrs<strong>ch</strong>aft dur<strong>ch</strong><br />

den Mens<strong>ch</strong>en entgleitet.<br />

Na<strong>ch</strong> Swedenborg ist die S<strong>ch</strong>lange ein Sinnbild für »das Sinnli<strong>ch</strong>e des Mens<strong>ch</strong>en<br />

(sensuale hominis)« (HG 194) 211 . »Denn wie die S<strong>ch</strong>langen der Erde am nä<strong>ch</strong>sten<br />

sind, so ist das Sinnli<strong>ch</strong>e dem Körper am nä<strong>ch</strong>sten« (HG 195). Den sinnli<strong>ch</strong>en<br />

Mens<strong>ch</strong>en <strong>ch</strong>arakterisiert Swedenborg so: »Ein sinnli<strong>ch</strong>er Mens<strong>ch</strong> heißt der, der<br />

nur aus dem denkt, was er im Gedä<strong>ch</strong>tnis aus der Welt hat, und der gegen das<br />

Inwendige hin ni<strong>ch</strong>t erhoben werden kann.« (HG 10236). Swedenborgs Deutung<br />

der S<strong>ch</strong>lange muss im Hinblick auf den Sensualismus bzw. Empirismus seiner<br />

Zeit gesehen werden. Die Nähe der S<strong>ch</strong>lange zur Erde ist im mythologis<strong>ch</strong>en<br />

Denken verbreitet. Bei den Ägyptern ist die Erde das Rei<strong>ch</strong> der S<strong>ch</strong>lange. »›Erdsohn‹<br />

ist darum eine weit verbreitete Bezei<strong>ch</strong>nung wirkli<strong>ch</strong>er wie göttli<strong>ch</strong>er<br />

S<strong>ch</strong>langen.« 212<br />

Bereits im Bu<strong>ch</strong> der Weisheit wird die S<strong>ch</strong>lange mit dem Teufel identifiziert:<br />

»Do<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt, und ihn erfahren alle,<br />

die ihm angehören.« (Weis 2,24). Demgegenüber verdient die Beoba<strong>ch</strong>tung Bea<strong>ch</strong>tung,<br />

dass die S<strong>ch</strong>lange wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> zu den von Gott ges<strong>ch</strong>affenen Tieren gehört,<br />

so sah es jedenfalls Gerhard von Rad: »Die S<strong>ch</strong>lange … ist als eines der von<br />

Gott ers<strong>ch</strong>affenen Tiere (2,19) bezei<strong>ch</strong>net; sie ist also im Sinne des Erzählers ni<strong>ch</strong>t<br />

die Symbolisierung einer ›dämonis<strong>ch</strong>en‹ Ma<strong>ch</strong>t und gewiß ni<strong>ch</strong>t des Satans.« 213<br />

I<strong>ch</strong> bin geneigt, mi<strong>ch</strong> dieser Meinung anzus<strong>ch</strong>ließen, au<strong>ch</strong> wenn der S<strong>ch</strong>luss, den<br />

von Rad aus Vers 1 zieht, ni<strong>ch</strong>t zwingend ist. 214 Festzuhalten ist aber, dass au<strong>ch</strong><br />

Swedenborg in der S<strong>ch</strong>lange von Genesis 3 ni<strong>ch</strong>t den Teufel, sondern das Sinnli<strong>ch</strong>e<br />

sah. Es ist an si<strong>ch</strong> ebensowenig böse wie das Feuer, obglei<strong>ch</strong> es dur<strong>ch</strong> fals<strong>ch</strong>e<br />

Handhabung eine verheerende Wirkung entfalten kann. Von bösen Mens<strong>ch</strong>en<br />

211<br />

Die Begriffe Sinn, Sinne und Sinnli<strong>ch</strong>keit bestehen aus den Konsonanten SNN, die eine<br />

S<strong>ch</strong>langen- bzw. Wellenform haben. Es gibt ein Verb »na<strong>ch</strong>as<strong>ch</strong>«, das »bes<strong>ch</strong>wören«, »Wahrsagerei<br />

treiben«, »als Omen nehmen« bedeutet. Hängt »S<strong>ch</strong>lange« (= na<strong>ch</strong>as<strong>ch</strong>) damit zusammen?<br />

212<br />

Hans Bonnet, Reallexikon der ägyptis<strong>ch</strong>en Religionsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, 2000, Seite 682. Vgl. au<strong>ch</strong><br />

Manfred Lurker: »Der Erde und den Erdgottheiten zugehörig, ist sie [die S<strong>ch</strong>lange] Gegenspieler<br />

des himmlis<strong>ch</strong>en Vogels« (Wörterbu<strong>ch</strong> der Symbolik, 1985, 601).<br />

213<br />

Gerhard von Rad, Das erste Bu<strong>ch</strong> Mose: Genesis, 1987, Seite 61.<br />

214<br />

Kann man aus Vers 1 wirkli<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong>er s<strong>ch</strong>ließen, dass die S<strong>ch</strong>lange zu den von Gott ges<strong>ch</strong>affenen<br />

Tieren gehört? Vers 1 könnte au<strong>ch</strong> besagen, dass die S<strong>ch</strong>lange klüger war als alle Tiere<br />

aus der Gruppe der von Gott ges<strong>ch</strong>affenen Tiere.


Beoba<strong>ch</strong>tungen zu Genesis 3 101<br />

und Lügnern heißt es in der Bibel: »Sie haben ihre Zunge (oder Spra<strong>ch</strong>e) ges<strong>ch</strong>ärft<br />

wie eine S<strong>ch</strong>lange. Viperngift ist unter ihren Lippen.« (Ps 140,4). »Gift haben sie<br />

glei<strong>ch</strong> dem Gift der S<strong>ch</strong>lange, wie eine taube Viper, die ihr Ohr vers<strong>ch</strong>ließt.« (Ps<br />

58,5).<br />

Die S<strong>ch</strong>lange hat in der Mythologie au<strong>ch</strong> eine gute Bedeutung. Das si<strong>ch</strong> häutende<br />

und regenerierende Tier verweist auf wieder gesundendes Leben (siehe das Arztsymbol)<br />

und auf Unsterbli<strong>ch</strong>keit 215 . Die Häutung oder die Fähigkeit, in eine neue<br />

Haut zu s<strong>ch</strong>lüpfen, ist ein Ausdruck von Wandlungsfähigkeit und Regeneration<br />

und hängt eng mit dem Sinnli<strong>ch</strong>en zusammen. Für den Übersetzer von Genesis 3<br />

stellt si<strong>ch</strong> die Frage: Soll ‘arum mit klug oder listig übersetzt werde? Jesus sah in<br />

der S<strong>ch</strong>lange offenbar ein Sinnbild für die Klugheit: »Siehe, i<strong>ch</strong> sende eu<strong>ch</strong> wie<br />

S<strong>ch</strong>afe mitten unter Wölfe; so seid nun klug wie die S<strong>ch</strong>langen und einfältig wie<br />

die Tauben.« (Mt 10,16). Als Personifikation der Klugheit steht sie in Beziehung<br />

zum Baum der Erkenntnis; Swedenborg nennt ihn »arbor scientiae«, das heißt<br />

Baum des Wissens. Im Bu<strong>ch</strong> der Spri<strong>ch</strong>wörter empfiehlt der Weise seinen S<strong>ch</strong>ülern<br />

Klugheit (Prov 12,16.23; 13,16; 14,8.15.18; 22,3 = 27,12). Aus dem Berei<strong>ch</strong><br />

der Mythologie ist die Uräuss<strong>ch</strong>lange bekannt. »Die alles Böse abwehrende glutspeiende<br />

S<strong>ch</strong>lange wird als feuriges Auge des Sonnengottes Re bezei<strong>ch</strong>net.« 216<br />

Viellei<strong>ch</strong>t sollte man daher in der S<strong>ch</strong>lange ni<strong>ch</strong>t sofort den Teufel und seine List<br />

sehen, sondern die mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Klugheit, die auf der sinnli<strong>ch</strong>en Welterfahrung<br />

beruht. Diese Klugheit ist allerdings ein Truggebilde; Swedenborg meint: »Eigene<br />

Klugheit gibt es gar ni<strong>ch</strong>t; es s<strong>ch</strong>eint nur so, als gebe es sie« (GV 191). Die eigene<br />

Klugheit ist ein s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter Berater, das zeigt Genesis 3. Das hebräis<strong>ch</strong>e Wort für<br />

klug (‘arum) klingt an das hebräis<strong>ch</strong>e Wort für nackt (‘erom) an. Denn die Klugheit<br />

ist die eigenmens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Erkenntnis aus der sinnli<strong>ch</strong>en Weltwahrnehmung.<br />

In seiner auf Empirie gegründeten Klugheit ist der Mens<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mit höherer<br />

Weisheit bekleidet. Er ist nackt, das heißt auf seine eigene Intelligenz reduziert.<br />

Die Stellung des Wört<strong>ch</strong>ens »ni<strong>ch</strong>t« ents<strong>ch</strong>eidet über den Sinn der Frage. Mögli<strong>ch</strong><br />

sind die Übersetzungen »von allen ni<strong>ch</strong>t«, dann ist ein totales Verbot gemeint,<br />

oder »ni<strong>ch</strong>t von allen«, dann ist nur ein teilweises Verbot gemeint 217 . Die Doppeldeutigkeit<br />

kann mit der Doppelzüngigkeit der S<strong>ch</strong>lange in Verbindung gebra<strong>ch</strong>t<br />

werden. Zum Wesen der S<strong>ch</strong>lange gehört die s<strong>ch</strong>einbar harmlose Infragestellung,<br />

das Erregen von Zweifel; in dem Wort »Zweifel« ist die Zahl Zwei enthalten. Swedenborg<br />

äußert si<strong>ch</strong> kritis<strong>ch</strong> zur Ob-Frage: »Solange man bei der Streitfrage, ob es<br />

sei und ob es so sei, stehen bleibt, kann man in der Weisheit keinerlei Forts<strong>ch</strong>ritte<br />

ma<strong>ch</strong>en. … Die heutige Bildung geht über diese Grenzen, nämli<strong>ch</strong> ob es sei und ob<br />

es so sei, kaum hinaus. Deswegen sind ihre Vertreter au<strong>ch</strong> von der Einsi<strong>ch</strong>t in das<br />

Wahre ausges<strong>ch</strong>lossen.« (HG 3428; vgl. au<strong>ch</strong> HH 183). Unabhängig von der Dop-<br />

215<br />

Manfred Lurker, Wörterbu<strong>ch</strong> der Symbolik, 1985, Seite 601.<br />

216<br />

Manfred Lurker, Lexikon der Götter und Symbole der alten Ägypter, 1998, Seite 219.<br />

217<br />

Horst Seebass, Genesis 1: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 120.


102 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

peldeutigkeit gibt die S<strong>ch</strong>lange den Worten Gottes die Bedeutung eines Verbots.<br />

In Genesis 2,16f liegt der Akzent jedo<strong>ch</strong> zunä<strong>ch</strong>st einmal auf der Erlaubnis. Die<br />

S<strong>ch</strong>lange beginnt mit der Infragestellung eines Sa<strong>ch</strong>verhalts, den das Weib ni<strong>ch</strong>t<br />

aus eigener, unmittelbarer Erfahrung kennt. Was vorher klar s<strong>ch</strong>ien, wird nun<br />

hinterfragt und somit zweifelhaft.<br />

Die Verse 2 und 3: 2. Und das Weib spra<strong>ch</strong> zur S<strong>ch</strong>lange: »Von den Frü<strong>ch</strong>ten der<br />

Bäume im Garten dürfen wir essen. 3. Aber von den Frü<strong>ch</strong>ten des Baumes in der Mitte<br />

des Gartens hat Gott gesagt: Ihr dürft ni<strong>ch</strong>t von ihnen essen und sie ni<strong>ch</strong>t anrühren,<br />

damit ihr ni<strong>ch</strong>t sterbt.«<br />

Unter dem Weib ist »das Eigene« (HG 194) zu verstehen, das heißt der Mens<strong>ch</strong><br />

im Bewusstsein seiner I<strong>ch</strong>haftigkeit, in der er besonders anfällig für das Vertrauen<br />

auf die eigene Klugheit ist. Somit stehen si<strong>ch</strong> mit S<strong>ch</strong>lange und Weib die ri<strong>ch</strong>tigen<br />

Gesprä<strong>ch</strong>spartner gegenüber. Friedri<strong>ch</strong> Weinreb hat darauf hingewiesen,<br />

dass die Zahlenwerte für S<strong>ch</strong>lange (300-8-50), Fall (50-80-30) und Seele (300-80-<br />

50) Gemeinsamkeiten aufweisen. 218 Daher könnte man unter dem Weib au<strong>ch</strong> das<br />

rein Seelis<strong>ch</strong>e des Mens<strong>ch</strong>en verstehen, das geneigt ist, den fünf Sinnen zu vertrauen,<br />

obwohl es do<strong>ch</strong> vom göttli<strong>ch</strong>en Geist dur<strong>ch</strong>drungen werden soll.<br />

Das Weib kennt das Gebot Gottes nur vom Hörensagen. Sie ist daher wie der sinnli<strong>ch</strong>e<br />

Mens<strong>ch</strong>, der aus dem Gedä<strong>ch</strong>tnis antworten muss, weil er ni<strong>ch</strong>t auf dem<br />

festen Boden der unmittelbaren Gotteserfahrung steht (vgl. HG 10236). Daher<br />

sind die Unters<strong>ch</strong>iede zum ursprüngli<strong>ch</strong>en Wortlaut der Worte Gottes eine Untersu<strong>ch</strong>ung<br />

wert. In Genesis 2,16f. sagte Jahwe Gott: »Von jedem Baum des Gartens<br />

darfst du essen; aber vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, davon<br />

darfst du ni<strong>ch</strong>t essen; denn an dem Tag, da du davon isst, musst du sterben!« Das<br />

Weib gibt das Gebot Gottes im Großen und Ganzen ri<strong>ch</strong>tig wieder, aber mit einigen<br />

<strong>ch</strong>arakteristis<strong>ch</strong>en Unters<strong>ch</strong>ieden. Es hebt die generelle Erlaubnis hervor und<br />

übernimmt somit ni<strong>ch</strong>t die Unterstellung des Verbots. Die wi<strong>ch</strong>tigsten Unters<strong>ch</strong>iede<br />

s<strong>ch</strong>einen mir die folgenden zu sein: 1.) Der Begriff »Frü<strong>ch</strong>te« tau<strong>ch</strong>t auf<br />

(das muss mit Vers 6 in Verbindung gebra<strong>ch</strong>t werden). 2.) Der Baum der Erkenntnis<br />

des Guten und Bösen ist in den Augen des Weibes der Baum in der Mitte<br />

des Gartens. Der Wortlaut von Genesis 2,9 ist ni<strong>ch</strong>t eindeutig. Es heißt: »und den<br />

Baum des Lebens in der Mitte des Gartens, und den Baum der Erkenntnis des<br />

Guten und Bösen.« Seebass 219 und von Rad 220 gehen davon aus, dass beide Bäume<br />

in der Mitte des Gartens stehen. Na<strong>ch</strong> Swedenborg HG 200 steht jedo<strong>ch</strong> in Gen<br />

2,9 nur der Baum des Lebens in der Mitte des Gartens, während in Gen 3,2 der<br />

Baum der Erkenntnis in den Mittelpunkt rückt. 3.) Das Weib verstärkt übereifrig<br />

das Verbot Gottes, indem es au<strong>ch</strong> das Anrühren auss<strong>ch</strong>ließt. Man hat den Ein-<br />

218<br />

Friedri<strong>ch</strong> Weinreb, S<strong>ch</strong>öpfung im Wort: Die Struktur der Bibel in jüdis<strong>ch</strong>er Überlieferung,<br />

2002, Seite 79.<br />

219<br />

Horst Seebass, Genesis 1: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 108.<br />

220<br />

Gerhard von Rad, Das erste Bu<strong>ch</strong> Mose: Genesis, 1987, Seite 54.


Beoba<strong>ch</strong>tungen zu Genesis 3 103<br />

druck, als wehre si<strong>ch</strong> das Weib gegen das Andrängen der S<strong>ch</strong>lange im ängstli<strong>ch</strong>en<br />

Wissen um seine Anfälligkeit und S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>e, die in der Folge tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> offenbar<br />

wird.<br />

Die Verse 4 und 5: 4. Und die S<strong>ch</strong>lange spra<strong>ch</strong> zum Weib: »Ihr werdet keineswegs<br />

sterben. 5. Sondern Gott weiß, dass eu<strong>ch</strong> die Augen aufgehen werden und ihr wie Gott<br />

sein und Gut und Böse erkennen werdet, sobald ihr davon esst (wörtli<strong>ch</strong>: an dem Tag,<br />

da ihr von ihnen esst).«<br />

Mit »Ihr werdet keineswegs sterben« widerspri<strong>ch</strong>t die S<strong>ch</strong>lange dem Weib, das die<br />

Worte Gottes von Genesis 2,17 weitergegeben hat. Nun steht Aussage gegen Aussage.<br />

Do<strong>ch</strong> die S<strong>ch</strong>lange belässt es ni<strong>ch</strong>t beim Widerspru<strong>ch</strong>, sondern stellt eine<br />

Gegenthese auf. Der angebli<strong>ch</strong> wahre Sa<strong>ch</strong>verhalt ist folgender: Dem Mens<strong>ch</strong>enpaar<br />

werden die Augen aufgehen und sie werden sein wie Gott. Gott will also das<br />

Mens<strong>ch</strong>enpaar daran hindern zu werden wie er. Die Unterstellung von Neid untergräbt<br />

das Vertrauen in die Güte und Fürsorge Gottes.<br />

Ein Problem ergibt si<strong>ch</strong> in Verbindung mit Vers 22. Dort sagt Jahwe Gott: »Siehe,<br />

der Mens<strong>ch</strong> ist geworden wie einer von uns«. Jahwe Gott gibt der S<strong>ch</strong>lange demna<strong>ch</strong><br />

im Na<strong>ch</strong>hinein Re<strong>ch</strong>t. Na<strong>ch</strong> Genesis 1,26 soll der Mens<strong>ch</strong> Bild und Ähnli<strong>ch</strong>keit<br />

Gottes sein, und gemäß Vers 22 ist er wie Gott. Gönnt Gott dem Mens<strong>ch</strong>en<br />

nun also ni<strong>ch</strong>t mehr die Gottebenbildli<strong>ch</strong>keit? Na<strong>ch</strong> Genesis 1,26 zeigt si<strong>ch</strong> die<br />

Gottebenbildli<strong>ch</strong>keit in der Herrs<strong>ch</strong>aft über die Tiere (Lebenstriebe). Das Sein wie<br />

Gott in Genesis 2 verwirkli<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong>, indem eines der Tiere der Herrs<strong>ch</strong>aft<br />

des Mens<strong>ch</strong>en entgleitet.<br />

Das Gesprä<strong>ch</strong> der S<strong>ch</strong>lange mit dem Weib endet ni<strong>ch</strong>t mit der direkten Aufforderung,<br />

vom Baum der Erkenntnis zu essen. Do<strong>ch</strong> alles ist so arrangiert, dass das<br />

Weib zugreifen wird. Darin zeigt si<strong>ch</strong> die Suggestivkraft der sinnli<strong>ch</strong>en Selbstberedung.<br />

Sie erzeugt einen Sog, von der das I<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>lungen wird, obwohl der<br />

letzte S<strong>ch</strong>ritt dem I<strong>ch</strong> selbst überlassen bleibt.<br />

Vers 6: Und das Weib sah, dass der Baum gut zur Speise und dass er eine Lust für<br />

die Augen und dass der Baum begehrenswert war, Einsi<strong>ch</strong>t zu geben. Und sie<br />

nahm von seiner Fru<strong>ch</strong>t und aß. Und sie gab au<strong>ch</strong> ihrem Mann bei ihr, und er aß.<br />

Die Rede der S<strong>ch</strong>lange entfaltet nun wie ein Gift seine Wirkung in der Psy<strong>ch</strong>e des<br />

Weibes. Auf »Und das Weib sah« folgen zwei Dass-Sätze. Der erste Dass-Satz (»gut<br />

zur Speise«) ist eingliedrig und greift das Speisethema auf. Der zweite Dass-Satz<br />

ist zweigliedrig (»Lust für die Augen« und »begehrenswert«) und bes<strong>ch</strong>reibt die<br />

Steigerung bis zur Aktion. Der erste Dass-Satz spiegelt die Rede der S<strong>ch</strong>lange aus<br />

Vers 5. Der erste Teil des zweiten Dass-Satzes sagt aus, dass der Baum daher mit<br />

lüsternen Augen angesehen wird (es heißt ni<strong>ch</strong>t: Lust für die Zunge). Der zweite<br />

Teil des zweiten Dass-Satzes besagt: Das Verlangen na<strong>ch</strong> Einsi<strong>ch</strong>t lässt den Baum<br />

begehrenswert ers<strong>ch</strong>einen. Na<strong>ch</strong> Swedenborg HG 209 beziehen si<strong>ch</strong> die drei Aussagen<br />

(bona, appetibilis, desiderabilis) in den zwei Dass-Sätzen auf den Willen.


104 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Das Wallen der Gedanken reift zur Tat. Das Weib wird aktiv, s<strong>ch</strong>afft Tatsa<strong>ch</strong>en.<br />

Der Mann folgt ihr merkwürdig inaktiv na<strong>ch</strong>, wie eine Spielfigur in der Hand seiner<br />

Gebieterin. So verwirkli<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>, was in Genesis 2,24 angelegt war: »Darum<br />

wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhängen,<br />

und sie werden zu einem Fleis<strong>ch</strong> werden.« Die Anhängli<strong>ch</strong>keit oder das Kleben<br />

am Weib lässt dem Mann nur die Wahl, die Ents<strong>ch</strong>eidungen des Weibes<br />

glei<strong>ch</strong>sam willenlos na<strong>ch</strong>zuvollziehen. Unter dem Mann, der si<strong>ch</strong> so sehr unter<br />

die Obhut seines Eigenen begeben hat, ist na<strong>ch</strong> Swedenborg »das Vernünftige« zu<br />

verstehen (HG 207).<br />

In der <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>en Tradition denkt man beim Baum der Erkenntnis zumeist an<br />

einen Apfelbaum und bei der verbotenen Fru<strong>ch</strong>t an einen Apfel. Do<strong>ch</strong> älter sind<br />

die Ansi<strong>ch</strong>ten, dass es si<strong>ch</strong> um einen Feigenbaum (siehe Vers 7) oder um einen<br />

Weinstock (mit Blick auf Noahs Trunkenheit) gehandelt habe. Der Apfel ers<strong>ch</strong>eint<br />

als verbotene Fru<strong>ch</strong>t zuerst im 5. Jahrhundert in Gallien. Die Kenntnis der antiken<br />

Mythologie - konkret des Hesperidenmythos und des Erisapfels (des Zankapfels) -<br />

kann zu dieser Zeit zur Festigung der Vorstellung eines Apfels als der verbotenen<br />

Fru<strong>ch</strong>t beigetragen haben. Das Wortspiel mit der Affinität zwis<strong>ch</strong>en malum (Apfel)<br />

und malum (das Böse) ist jünger als das 5. Jahrhundert. 221<br />

Vers 7: Da gingen den beiden die Augen auf, und sie erkannten, dass sie nackt waren.<br />

Und sie flo<strong>ch</strong>ten Feigenblätter und ma<strong>ch</strong>ten si<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>urze.<br />

Es ist ni<strong>ch</strong>t anzunehmen, dass das Urpaar vorher ges<strong>ch</strong>lossene Augen hatte, denn<br />

in Vers 6 wird ja vom Weib gesagt, dass es sieht. Das Aufgehen oder die Öffnung<br />

der Augen ist im übertragenen Sinne zu verstehen als ein Akt der Bewusstwerdung<br />

einer vorher unbea<strong>ch</strong>teten Gegebenheit. Im Erzählzusammenhang geht es<br />

um die Bewusstwerdung der Nacktheit oder Blöße. Swedenborg weist darauf hin,<br />

dass die Augen im Wort für »den Verstand« und »eine innere Einspra<strong>ch</strong>e« stehen<br />

(HG 212).<br />

Wie verhält si<strong>ch</strong> das Ergebnis des Essens zur Verheißung der S<strong>ch</strong>lange? Die Augen<br />

gehen tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> auf. Aber wie ist die Erkenntnis der Nacktheit zu beurteilen?<br />

Steht sie in einem erkennbaren Zusammenhang mit dem Sein wie Gott? Vers<br />

22 rät dazu, einen sol<strong>ch</strong>en zu su<strong>ch</strong>en, denn Jahwe Gott sagt dort: »Siehe, der<br />

Mens<strong>ch</strong> ist geworden wie einer von uns, indem er Gut und Böse erkennt.« Als<br />

Wissender (oder Erwa<strong>ch</strong>sener) ist der Mens<strong>ch</strong> wie Gott, nur führt diese Entlassung<br />

in die Selbständigkeit im Falle des Mens<strong>ch</strong>en zur Erkenntnis der ges<strong>ch</strong>öpfli<strong>ch</strong>en<br />

Blöße, das heißt zur Erkenntnis der eigenen Unzulängli<strong>ch</strong>keit des Mens<strong>ch</strong>en<br />

ohne Gott und ohne Wiedergeburt. In seiner Nacktheit ist der Mens<strong>ch</strong> wie Gott,<br />

indem er nun wie Gott auf sein eigenes Sein gestellt ist.<br />

Zur Bedeutung von nackt und Nacktheit verweist Swedenborg in HG 213 auf aufs<strong>ch</strong>lussrei<strong>ch</strong>e<br />

Bibelstellen. In Eze<strong>ch</strong>iel 23,29 heißt es gegen Oholiba (Jerusalem):<br />

221<br />

Hans Martin von Erffa, Ikonologie der Genesis, Band 1, 1989, Seiten 119-123.


Beoba<strong>ch</strong>tungen zu Genesis 3 105<br />

»Und sie werden voller Hass mit dir verfahren und all dein Erworbenes wegnehmen<br />

und di<strong>ch</strong> nackt (‘erom) und bloß (‘ärja) zurücklassen. Da sollen deine hureris<strong>ch</strong>e<br />

Blöße (‘ärwa) und deine S<strong>ch</strong>andtat und deine Hurereien aufgedeckt werden.«<br />

Deuteronomium 24,1: »Wenn ein Mann eine Frau nimmt und sie heiratet und es<br />

ges<strong>ch</strong>ieht, dass sie keine Gunst in seinen Augen findet, weil er etwas Anstößiges<br />

(wörtli<strong>ch</strong>: die Blöße = ‘ärwa einer Sa<strong>ch</strong>e) an ihr gefunden hat und er ihr einen<br />

S<strong>ch</strong>eidebrief ges<strong>ch</strong>rieben, ihn in ihre Hand gegeben und sie aus seinem Haus<br />

entlassen hat, …« Das Wort »‘ärwa« bedeutet sowohl Blöße als au<strong>ch</strong> Hässli<strong>ch</strong>keit<br />

222 . In der Johannesoffenbarung findet man die Verbindung von Nacktheit und<br />

S<strong>ch</strong>ande: »… rate i<strong>ch</strong> dir, von mir im Feuer geläutertes Gold zu kaufen, damit du<br />

rei<strong>ch</strong> wirst; und weiße Kleider, damit du bekleidet wirst und die S<strong>ch</strong>ande deiner<br />

Blöße ni<strong>ch</strong>t offenbar werde« (Offb 3,18). »Siehe, i<strong>ch</strong> komme wie ein Dieb. Glückselig,<br />

der wa<strong>ch</strong>t und seine Kleider bewahrt, damit er ni<strong>ch</strong>t nackt umhergehe und<br />

man ni<strong>ch</strong>t seine S<strong>ch</strong>ande sehe!« (Offb 16,15). Die Nacktheit legt die S<strong>ch</strong>am bzw.<br />

das Bes<strong>ch</strong>ämende bloß. Der Wuns<strong>ch</strong>, si<strong>ch</strong> zu bekleiden, zeigt, dass die Nacktheit<br />

für den Mens<strong>ch</strong>en nunmehr bes<strong>ch</strong>ämend ist. Er mö<strong>ch</strong>te seine Blöße vor si<strong>ch</strong> und<br />

anderen verbergen (vgl. dagegen Gen 2,25).<br />

Vers 8: Und sie hörten die Stimme von Jahwe Gott, die im Garten für si<strong>ch</strong> wandelte<br />

im Hau<strong>ch</strong> des Tages. Da versteckten si<strong>ch</strong> der Mens<strong>ch</strong> und seine Frau vor dem Angesi<strong>ch</strong>t<br />

von Jahwe Gott unter den Bäumen des Gartens.<br />

Na<strong>ch</strong> Swedenborg hören sie »die Stimme«, unter der »die Einspra<strong>ch</strong>e (dictamen)«<br />

zu verstehen ist, die »ein Rest des (ursprüngli<strong>ch</strong>en) Innewerdens« ist (HG 218).<br />

Na<strong>ch</strong> anderen Übersetzungen hören sie »die S<strong>ch</strong>ritte« (ZUR) oder »das Geräus<strong>ch</strong><br />

der S<strong>ch</strong>ritte« (MEN). Außerdem bezieht Swedenborg das Wandeln auf die Stimme<br />

(siehe HG 220: »vocem sibi euntem«) und deutet das Ganze so: »Unter ›der für<br />

si<strong>ch</strong> gehenden Stimme‹ ist zu verstehen, dass wenig Innewerden übrig war, dass<br />

sie glei<strong>ch</strong>sam für si<strong>ch</strong> allein war und ni<strong>ch</strong>t gehört wurde« (HG 220). Den Rest<strong>ch</strong>arakter<br />

stützt Swedenborg hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> auf den hebräis<strong>ch</strong>en Hitpael (= Reflexivum<br />

zum Piel) von gehen. Na<strong>ch</strong> Gesenius kann man unter der Stimme Gottes<br />

au<strong>ch</strong> den Donner verstehen (Ps 29,3ff., von Swedenborg in HG 219 angeführt).<br />

Das Verstecken in Vers 8 ist Ausdruck von Fur<strong>ch</strong>t (siehe Vers 10).<br />

Swedenborg übersetzt »rua<strong>ch</strong>« hier mit »aura« (Hau<strong>ch</strong>, leises Wehen) und gibt<br />

damit zu erkennen, dass er aus dem hebräis<strong>ch</strong>en Wort das kaum Vorhandene<br />

heraushört. Interessant ist, dass au<strong>ch</strong> die Vorstellung des Abends hineinspielen<br />

könnte: »Die Wendung ›Tageswind‹ enthält keine genaue Festlegung der Tageszeit,<br />

sondern die bloße Annehmli<strong>ch</strong>keit in der Hitze des Orients … Es liegt aber<br />

sehr nahe, wegen Hld 2,17; 4,6 (wenn der Tag verweht) an die Abendzeit zu denken<br />

(so LXX, Tg), da man dann im hl. Land eine fris<strong>ch</strong>e Brise vom Meer her erwar-<br />

222<br />

Wilhelm Gesenius, Hebräis<strong>ch</strong>es und Aramäis<strong>ch</strong>es Handwörterbu<strong>ch</strong> über das Alte Testament,<br />

1962, Seite 618.


106 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

tet …« 223 Daher tau<strong>ch</strong>t in einige Übersetzungen der Abend auf: »in der Abendkühle«<br />

(MEN), »beim Abendwind« (ZUR), bzw. die Kühle des Tages (gegen Abend hin):<br />

»in der Kühlung des Tages« (LEO, LUD), »bei der Kühle des Tages« (ELB). Swedenborg<br />

hat »ad auram diei (beim Hau<strong>ch</strong> des Tages)«. Der Abend unterstützt die Interpretation<br />

Swedenborgs, dass hier etwas vergeht.<br />

Die Verse 9 und 10: 9. Und Jahwe Gott rief na<strong>ch</strong> dem Mens<strong>ch</strong>en und spra<strong>ch</strong> zu<br />

ihm: »Wo bist du?« 10. Und er spra<strong>ch</strong>: »Deine Stimme hörte i<strong>ch</strong> im Garten. Da für<strong>ch</strong>tete<br />

i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong>, weil i<strong>ch</strong> nackt bin, und versteckte mi<strong>ch</strong>.«<br />

Die innere Stimme spri<strong>ch</strong>t. Indem sie das Gesprä<strong>ch</strong> mit »Wo bist du?« beginnt,<br />

ma<strong>ch</strong>t sie klar, dass si<strong>ch</strong> der Mens<strong>ch</strong> vor Gott ni<strong>ch</strong>t verstecken kann. Er wird aus<br />

seinem Versteck gerufen und muss si<strong>ch</strong> vor Gott erklären. Man bea<strong>ch</strong>te jedo<strong>ch</strong>:<br />

Ni<strong>ch</strong>t die verbotene Tat als sol<strong>ch</strong>e (das Essen von Baum der Erkenntnis) löst die<br />

Fur<strong>ch</strong>t aus, sondern die Nacktheit. Sie steht für die Erkenntnis der ges<strong>ch</strong>öpfli<strong>ch</strong>en<br />

Blöße. Nacktheit ist hier ni<strong>ch</strong>t Ausdruck von Natürli<strong>ch</strong>keit, sondern eines Naturzustandes,<br />

der erst no<strong>ch</strong> vervollkommnet werden muss. Na<strong>ch</strong> Swedenborg ist der<br />

Mens<strong>ch</strong> an si<strong>ch</strong>, das heißt in seiner ges<strong>ch</strong>öpfli<strong>ch</strong>en Nacktheit, ni<strong>ch</strong>ts als böse. Die<br />

Beurteilung des Naturzustandes ist in der Philosophie umstritten. Herbert Marcuse<br />

propagierte das Lustprinzip und die freie Triebbefriedigung. Arno Plack wollte<br />

die ursprüngli<strong>ch</strong>e Natur des Mens<strong>ch</strong>en ungehindert zur Entfaltung bringen 224 .<br />

Während Thomas Hobbes in seinem »Leviathan« den Naturzustand als einen<br />

Krieg aller gegen alle darstellt, vertritt Jean-Jacques Rousseau in seinem »Emile«<br />

die These, dass die mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Natur ursprüngli<strong>ch</strong> gut sei. 225 Der »materialistis<strong>ch</strong>e<br />

Imperativ« lautet: »Handle deiner Natur gemäß (dann handelst du automatis<strong>ch</strong><br />

gut)! Das Prinzip dieser Natur ist das Selbstinteresse, der amour propre, der<br />

in der Moral sein re<strong>ch</strong>t fordert.« 226<br />

Vers 11: Und er spra<strong>ch</strong>: »Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Du hast do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

etwa von dem Baum gegessen, von dem zu essen i<strong>ch</strong> dir verboten habe?«<br />

Die beiden Fragen setzten die Kenntnis des Sa<strong>ch</strong>verhalts bereits voraus. Der Fragende<br />

geht davon aus, dass ein »wer« die Erkenntnis der Nacktheit angestoßen<br />

hat. Der Fragende geht au<strong>ch</strong> davon aus, dass der Mens<strong>ch</strong> vom Baum gegessen hat.<br />

Die Fragen dienen also ni<strong>ch</strong>t der Rekonstruktion eines unbekannten Sa<strong>ch</strong>verhalts.<br />

Es geht um die peinli<strong>ch</strong>e Erinnerung an eine verbotene Tat.<br />

Vers 12: Und der Mens<strong>ch</strong> spra<strong>ch</strong>: »Das Weib, das du mir beigesellt hast, das hat mir<br />

von dem Baum gegeben. Da habe i<strong>ch</strong> gegessen.«<br />

Der Mens<strong>ch</strong> leugnet den Sa<strong>ch</strong>verhalt ni<strong>ch</strong>t. Er ist ohnehin bekannt. Er bekennt<br />

si<strong>ch</strong> aber au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zu seiner Verantwortung. Stattdessen greift er die Frage na<strong>ch</strong><br />

223<br />

Horst Seebass, Genesis 1: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 123.<br />

224<br />

Annemarie Pieper, Einführung in die Ethik, 2000, Seite 269f.<br />

225<br />

Annemarie Pieper, a.a.O., Seite 139.<br />

226<br />

Annemarie Pieper, a.a.O., Seite 279.


Beoba<strong>ch</strong>tungen zu Genesis 3 107<br />

dem Wer (Vers 11) auf und beantwortet sie mit dem Hinweis auf das Weib. Auf<br />

sie wälzt er seine S<strong>ch</strong>uld ab, und indirekt s<strong>ch</strong>iebt er sogar Gott die S<strong>ch</strong>uld in die<br />

S<strong>ch</strong>uhe, indem er darauf hinweist, dass Gott ihm das Weib beigesellt habe (vgl.<br />

Gen 2,18.20: eine Hilfe wie bei ihm). Der Mens<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t Gott für das hereingebro<strong>ch</strong>ene<br />

Unheil verantwortli<strong>ch</strong>. Das ist ein typis<strong>ch</strong> mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es Verhalten. S<strong>ch</strong>uld<br />

sind immer die anderen. Jesus thematisiert es in der Bergpredigt mit den Worten:<br />

»Was aber siehst du den Splitter, der in deines Bruders Auge ist, den Balken aber<br />

in deinem Auge nimmst du ni<strong>ch</strong>t wahr?« (Mt 7,3).<br />

Vers 13: Und Jahwe Gott spra<strong>ch</strong> zum Weib: »Warum hast du das getan?« Und das<br />

Weib spra<strong>ch</strong>: »Die S<strong>ch</strong>lange hat mi<strong>ch</strong> verführt (oder getäus<strong>ch</strong>t). Da habe i<strong>ch</strong> gegessen.«<br />

Interessanterweise folgt Gott der S<strong>ch</strong>uldabwälzung. Letztli<strong>ch</strong> wird er selbst am<br />

Kreuz die Verantwortung für seine S<strong>ch</strong>öpfung übernehmen. Die Abwälzung der<br />

Verantwortung geht weiter. Das Weib rei<strong>ch</strong>t sie an die S<strong>ch</strong>lange weiter. Aus der<br />

Si<strong>ch</strong>t des Weibes hat die S<strong>ch</strong>lange getäus<strong>ch</strong>t oder betrogen (so au<strong>ch</strong> Paulus 2. Kor<br />

11,3). Do<strong>ch</strong> mit dieser Bemerkung stellt si<strong>ch</strong> das Weib dem eigentli<strong>ch</strong>en Sa<strong>ch</strong>verhalt<br />

ni<strong>ch</strong>t. Denn es hätte gar ni<strong>ch</strong>t essen sollen. Im Vordergrund steht für das<br />

Weib gar ni<strong>ch</strong>t die Übertretung des Verbots, sondern wohl eher die Enttäus<strong>ch</strong>ung<br />

über das Ergebnis der Tat. Das Weib deutet das Tun der S<strong>ch</strong>lange nun als Betrug<br />

oder Verführung. Do<strong>ch</strong> das kann kritis<strong>ch</strong> hinterfragt werden. Denn die Verheißung<br />

der Öffnung der Augen (Vers 5) geht tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> in Erfüllung (Vers 7). Aus<br />

dem Sein wie Gott wird allerdings nur die Reduktion auf das Nacktsein. Darauf<br />

beruht die Enttäus<strong>ch</strong>ung des Weibes. Diese Nacktheit deutet jedo<strong>ch</strong> Vers 22 als<br />

Sein wie Gott. Demna<strong>ch</strong> wäre also das verspro<strong>ch</strong>ene Ergebnis eingetroffen, nur<br />

eben anders als erwartet. Gott ist nackt, indem er reines Sein und aller Dinge bloß<br />

ist. Der Mens<strong>ch</strong> ist nun au<strong>ch</strong> nackt. Do<strong>ch</strong> ihm gerei<strong>ch</strong>t seine Nacktheit zur S<strong>ch</strong>am.<br />

Man könnte also die These wagen: Die S<strong>ch</strong>lange hat ni<strong>ch</strong>t getäus<strong>ch</strong>t. Ledigli<strong>ch</strong> die<br />

Erwartungen des Weibes gingen in die fals<strong>ch</strong>e Ri<strong>ch</strong>tung.<br />

Die Verse 14 und 15: 14. Und Jahwe Gott spra<strong>ch</strong> zur S<strong>ch</strong>lange: »Weil du das getan<br />

hast, verflu<strong>ch</strong>t bist du vor allen Tieren und vor allem Wild des Feldes. Auf deinem<br />

Bau<strong>ch</strong> sollst du krie<strong>ch</strong>en (wörtli<strong>ch</strong>: gehen), und Staub sollst du fressen alle Tage deines<br />

Lebens. 15. Und Feinds<strong>ch</strong>aft setze i<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en dir und dem Weib und zwis<strong>ch</strong>en<br />

deinem Samen (oder: Na<strong>ch</strong>wu<strong>ch</strong>s) und ihrem Samen. Er soll dir das Haupt zertreten<br />

und du wirst ihm die Ferse verletzen.«<br />

Gott wendet si<strong>ch</strong> an die S<strong>ch</strong>lange, die allerdings ni<strong>ch</strong>t mehr verhört wird. Auf der<br />

Ebene des Bu<strong>ch</strong>stabens wird gesagt, dass Gott verflu<strong>ch</strong>t. Sol<strong>ch</strong>e Aussagen dürfen<br />

jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zu einem Bestandteil der theologis<strong>ch</strong>en Lehre gema<strong>ch</strong>t werden, sie<br />

sollen uns vielmehr Anlass zum kritis<strong>ch</strong>en Umgang mit der Bibel sein. Denn der<br />

Bu<strong>ch</strong>stabensinn enthält zuweilen »S<strong>ch</strong>einbarkeiten des Wahren« (HG 1043), das<br />

heißt er spiegelt zeitgenössis<strong>ch</strong>e Vorstellungen. Swedenborg erklärt den Sa<strong>ch</strong>verhalt<br />

in HG 245. Worin die Verflu<strong>ch</strong>ung besteht, geht aus dem Kontext hervor: Die<br />

S<strong>ch</strong>lange soll auf dem Bau<strong>ch</strong> krie<strong>ch</strong>en und Staub fressen. Im inneren Sinn ist da-


108 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

mit die Abkehr des Sinnli<strong>ch</strong>en vom Himmlis<strong>ch</strong>en und die Hinwendung zum Körperli<strong>ch</strong>en<br />

gemeint (HG 245). Staub sind »die feinen, losen Bestandteile der Oberflä<strong>ch</strong>e<br />

der Erde« 227 . Daher steht Staub für das Zusammenhangslose, das vom Geist<br />

ni<strong>ch</strong>t Ergriffene. Staub fressen wird in Genesis 3,14 und Jesaja 65,25 von der<br />

S<strong>ch</strong>lange und Mi<strong>ch</strong>a 7,17 und Psalm 72,9 von den besiegten Feinden ausgesagt 228 .<br />

Für »zertreten« und »verletzen« steht im Urtext dasselbe Verb. Swedenborg<br />

s<strong>ch</strong>ließt si<strong>ch</strong> dem Verständnis von Genesis 3,15 als Protevangelium an: »Niemandem<br />

ist heutzutage unbekannt, dass dies die erste Weissagung von der Ankunft<br />

des Herrn in die Welt ist« (HG 250). »Der Vers Gn 3,15 ist s<strong>ch</strong>on von Justinus (†<br />

165), besonders aber von Irenäus († um 202) heilsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> interpretiert worden.<br />

Seit den Kir<strong>ch</strong>envätern des 4. Jh. wird er auf Christus und auf Maria bezogen.«<br />

229 S<strong>ch</strong>on Römer 16,20 ist wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> auf Genesis 3,15 zu beziehen.<br />

Neben der textgemäßen <strong>ch</strong>ristologis<strong>ch</strong>en Deutung existiert die mariologis<strong>ch</strong>e Deutung<br />

(die Vulgata hat in Gen 3,15 ipsa) 230 . Die Feinds<strong>ch</strong>aft besteht in einem Verni<strong>ch</strong>tungskampf<br />

zwis<strong>ch</strong>en der Kir<strong>ch</strong>e bzw. dem Wort als dem Samen der Kir<strong>ch</strong>e<br />

und der sinnli<strong>ch</strong>en Weltma<strong>ch</strong>t oder zwis<strong>ch</strong>en Geist und Materie. Zu bea<strong>ch</strong>ten ist<br />

der Gegensatz zwis<strong>ch</strong>en Haupt (oben) und Ferse (unten). Hört Israel aus der Ferse<br />

den Namen Jakob heraus? Martin Buber gibt »Jaakob« in Genesis 25,26 mit »Fersehalt«<br />

und in Genesis 27,36 mit »Fersens<strong>ch</strong>lei<strong>ch</strong>er« wieder. Die Ferse steht na<strong>ch</strong><br />

HG 259 für »das unterste Natürli<strong>ch</strong>e und das Leibli<strong>ch</strong>e«.<br />

Vers 16: Zum Weib spra<strong>ch</strong> er: »Vermehren, ja vermehren will i<strong>ch</strong> deine S<strong>ch</strong>merzen<br />

und dein Stöhnen. Mit S<strong>ch</strong>merzen wirst du Söhne gebären, und (do<strong>ch</strong>) wird dein Verlangen<br />

auf deinem Mann geri<strong>ch</strong>tet sein, und er soll über di<strong>ch</strong> herrs<strong>ch</strong>en.«<br />

Die spezifis<strong>ch</strong>en Tätigkeiten von Frau (Vers 16) und Mann (Vers 17) werden<br />

peinvoller. Wieso bringt das Essen vom Baum der Erkenntnis S<strong>ch</strong>merzen bei der<br />

S<strong>ch</strong>wangers<strong>ch</strong>aft hervor? Swedenborg bezieht die Geburten auf das Hervorbringen<br />

von Wahrheiten (HG 263). Neue Wahrheiten können si<strong>ch</strong> oft nur na<strong>ch</strong> heftigen<br />

Kämpfen dur<strong>ch</strong>setzen. Und do<strong>ch</strong> - trotz dieses s<strong>ch</strong>merzhaften Prozesses - ist<br />

das Verlangen des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Geistes auf die Befru<strong>ch</strong>tung dur<strong>ch</strong> das Wahre<br />

geri<strong>ch</strong>tet. Das Verhältnis von Mann (das Vernünftige) und Frau (der mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e<br />

Geist in seiner Empfängli<strong>ch</strong>keit) soll dur<strong>ch</strong> Unterordnung und Gehorsam gekennzei<strong>ch</strong>net<br />

sein.<br />

Die Verse 17 bis 19: 17. Und zum Mens<strong>ch</strong>en spra<strong>ch</strong> er: »Weil du auf die Stimme<br />

deiner Frau gehört und von dem Baum gegessen hast, von dem i<strong>ch</strong> dir geboten hatte:<br />

227<br />

Wilhelm Gesenius, Hebräis<strong>ch</strong>es und Aramäis<strong>ch</strong>es Handwörterbu<strong>ch</strong> über das Alte Testament,<br />

1962, Seite 608.<br />

228<br />

Wilhelm Gesenius, a.a.O., Seite 608. Siehe au<strong>ch</strong> HG 249.<br />

229<br />

Hans Martin von Erffa, Ikonologie der Genesis, Band 1, 1989, Seite 226.<br />

230<br />

In der Vulgata lautet Genesis 3,15 so: »inimicitias ponam inter te et mulierem et semen tuum<br />

et semen illius ipsa conteret caput tuum et tu insidiaberis calcaneo eius« (Feinds<strong>ch</strong>aft will i<strong>ch</strong><br />

setzen zwis<strong>ch</strong>en dir und dem Weib und deinem Samen und ihrem Samen. Sie soll dein Haupt<br />

zertreten, und du sollst ihrer Ferse na<strong>ch</strong>stellen).


Beoba<strong>ch</strong>tungen zu Genesis 3 109<br />

Du sollst ni<strong>ch</strong>t davon essen!: Verflu<strong>ch</strong>t ist das Erdrei<strong>ch</strong> um deinetwillen, mit S<strong>ch</strong>merzen<br />

sollst du von ihm essen alle Tage deines Lebens. 18. Dornen und Disteln lässt er<br />

dir sprossen, und das Kraut des Feldes wirst du essen. 19. Im S<strong>ch</strong>weiße deines Angesi<strong>ch</strong>ts<br />

wirst du (dein) Brot essen, bis zu deiner Rückkehr zum Erdrei<strong>ch</strong>, von dem du ja<br />

genommen wurdest, denn Staub bist du, und zum Staub wirst du zurückkehren.«<br />

Gott erinnert den Mens<strong>ch</strong>en zunä<strong>ch</strong>st an den Tatbestand: Er hat auf die Stimme<br />

seiner Frau gehört und ni<strong>ch</strong>t auf das Gebot Gottes von Genesis 2,16f. Er hat von<br />

dem Baum gegessen, von dem er eigentli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t essen sollte. Do<strong>ch</strong> wieso trifft<br />

der Flu<strong>ch</strong> den Erdboden und ni<strong>ch</strong>t den Mens<strong>ch</strong>en? Vorher waren die Angespro<strong>ch</strong>enen<br />

- die S<strong>ch</strong>lange und das Weib - unmittelbar betroffen. Mit Swedenborg wird<br />

das verständli<strong>ch</strong>, denn das Erdrei<strong>ch</strong> steht für den äußeren Mens<strong>ch</strong>en (HG 268).<br />

»Mit S<strong>ch</strong>merzen vom Erdrei<strong>ch</strong> essen« und zwar »alle Tage des Lebens«, das ist die<br />

Bes<strong>ch</strong>reibung eines elenden Lebenszustandes (HG 270). Die Bebauung des Erdbodens<br />

ist na<strong>ch</strong> Genesis 2,5 die Bestimmung des Mens<strong>ch</strong>en. Do<strong>ch</strong> nun wird diese<br />

Bestimmung, die Kultivierung des äußeren Lebens dur<strong>ch</strong> den Geist, eine äußerst<br />

mühselige Angelegenheit. Im Alten Testament besteht au<strong>ch</strong> sonst eine S<strong>ch</strong>icksalsgemeins<strong>ch</strong>aft<br />

zwis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong> und Erde. Man denke nur an das Volk und<br />

das Land Israel.<br />

Die Dornen und Disteln in Vers 18 können mit den S<strong>ch</strong>merzen von Vers 17 in<br />

Beziehung gebra<strong>ch</strong>t werden. Das Kraut tau<strong>ch</strong>te s<strong>ch</strong>on in Genesis 1,29 als Nahrung<br />

für den Mens<strong>ch</strong>en auf. Hier hat es jedo<strong>ch</strong> die Bedeutung von »Feldfutter«<br />

(pabulum agreste). Feldfutter essen bedeutet »leben wie ein wildes Tier« (HG 274).<br />

Seebass weist auf einen Zusammenhang des Spru<strong>ch</strong>es für den Mens<strong>ch</strong>en mit den<br />

Versen 5f. hin: »Man muß fragen, warum der Spru<strong>ch</strong> für den Mens<strong>ch</strong>en so auf das<br />

Wort ›essen‹ fixiert ers<strong>ch</strong>eint … Es s<strong>ch</strong>eint …, dass sol<strong>ch</strong>e Fixierung gemäß talio<br />

[glei<strong>ch</strong>e Wiedervergeltung] eine Anspielung an V5f beabsi<strong>ch</strong>tigt« 231 .<br />

»Im S<strong>ch</strong>weiße deines Angesi<strong>ch</strong>ts« (wörtli<strong>ch</strong>: im S<strong>ch</strong>weiße deiner Nasenlö<strong>ch</strong>er)<br />

wird in der Regel auf die Mühsal der Feldarbeit gedeutet. Swedenborg geht jedo<strong>ch</strong><br />

zunä<strong>ch</strong>st einmal von der »Abneigung (aversatio)« gegenüber dem Himmlis<strong>ch</strong>en<br />

(HG 276) aus. Die Mühsal ist die Folge dieser Abneigung. Der Mens<strong>ch</strong> wandte<br />

si<strong>ch</strong> dem <strong>ch</strong>ontis<strong>ch</strong>en Berei<strong>ch</strong> der S<strong>ch</strong>lange zu. Do<strong>ch</strong> die Befru<strong>ch</strong>tung der Erdmutter<br />

erfolgt dur<strong>ch</strong> den göttli<strong>ch</strong>en Geist. Das Erdrei<strong>ch</strong> ist ni<strong>ch</strong>t aus si<strong>ch</strong> heraus lebenss<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong>.<br />

Au<strong>ch</strong> der äußere Mens<strong>ch</strong> brau<strong>ch</strong>t Inspiration; ohne sie bleibt<br />

der Ertrag seiner Lebensleistung mager. Der Erdling (’adam) kann dem Erdrei<strong>ch</strong><br />

(’adama) aus eigener Kraft nur »Feldfutter« entlocken, und au<strong>ch</strong> das nur mit Mühe.<br />

Die Rückkehr zum Erdboden ist die Rückkehr zum Ursprung (Gen 2,7). Für Staub<br />

wird bei Gesenius 232 au<strong>ch</strong> die Bedeutung »Grab« angegeben (mit der Belegstelle<br />

231<br />

Horst Seebass, Genesis 1: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 128f.<br />

232<br />

Wilhelm Gesenius, Hebräis<strong>ch</strong>es und Aramäis<strong>ch</strong>es Handwörterbu<strong>ch</strong> über das Alte Testament,<br />

1962, Seite 608.


110 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Ps 22,30, die au<strong>ch</strong> Swedenborg in HG 278 anführt). Die Rückkehr zum Staub<br />

meint das Sterben bzw. den Tod. Sie meint ferner die Rückkehr zu dem, was der<br />

Mens<strong>ch</strong> vor seiner Geistbegabung (= Wiedergeburt) war. Daher kann Swedenborg<br />

Staub auf den Verdammten und den Höllis<strong>ch</strong>en beziehen (HG 278). Staub meint<br />

au<strong>ch</strong> den Stoff, aus dem die Mens<strong>ch</strong>en ges<strong>ch</strong>affen sind (Gesenius 233 mit der Belegstelle<br />

Ps 104,29, die Swedenborg ebenfalls in HG 278 nennt; außerdem natürli<strong>ch</strong><br />

Gen 2,7). Der Staub meint den Mens<strong>ch</strong>en in seiner puren Mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>keit (= Irdis<strong>ch</strong>keit)<br />

ohne alles Höhere, ohne den Atem Gottes.<br />

Vers 20: Und der Mens<strong>ch</strong> nannte den Namen seiner Frau Eva, denn sie wurde die<br />

Mutter allen Lebens.<br />

Die Fähigkeit des Mens<strong>ch</strong>en, den Wesen einen wesensgemäßen Namen zu geben,<br />

die uns s<strong>ch</strong>on von Genesis 2,20 her bekannt ist, setzt si<strong>ch</strong> fort. Überras<strong>ch</strong>end ist<br />

aber die Wende zum Positiven. Müsste das Weib ni<strong>ch</strong>t Verführerin heißen? Stattdessen<br />

bekommt sie einen Namen, der sie als Mutter allen Lebens ausweist. Der<br />

Mens<strong>ch</strong> greift aus Vers 16 offenbar ni<strong>ch</strong>t die S<strong>ch</strong>merzen der S<strong>ch</strong>wangers<strong>ch</strong>aft<br />

heraus, sondern die Fähigkeit des Weibes Leben zu gebären. Mutter wird na<strong>ch</strong><br />

Gesenius au<strong>ch</strong> »als Personifikation des Volkes im Gegensatz zu den Individuen« 234<br />

verwendet. Gesenius verweist auf Jesaja 50,1 und Jeremia 50,12. Swedenborg<br />

wertet diese Stellen in HG 289 als Belege dafür, dass Mutter die Bedeutung von<br />

Kir<strong>ch</strong>e hat. Das Volk bzw. die Glaubens- oder Kulturgemeins<strong>ch</strong>aft ist die Mutter<br />

des geistigen Lebens.<br />

Vers 21: Und Jahwe Gott ma<strong>ch</strong>te dem Mens<strong>ch</strong>en und seiner Frau Röcke aus Fell<br />

und bekleidete sie.<br />

Der Vers drückt Fürsorge aus. Jahwe Gott bedeckt die Blöße, vor der der Mens<strong>ch</strong><br />

si<strong>ch</strong> nun s<strong>ch</strong>ämt. Er hat etwas zu verbergen, und Gott sorgt dafür, dass das<br />

S<strong>ch</strong>ändli<strong>ch</strong>e seines unwiedergeborenen Naturzustands ni<strong>ch</strong>t offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> wird.<br />

Nun muss si<strong>ch</strong> der Mens<strong>ch</strong> vor Gott (und seinen Mitmens<strong>ch</strong>en) ni<strong>ch</strong>t mehr verstecken.<br />

Die Rückkehr in den Urzustand einer Nacktheit ohne S<strong>ch</strong>am, das heißt<br />

die Rückkehr in die kindli<strong>ch</strong>e Uns<strong>ch</strong>uld, ist zwar ni<strong>ch</strong>t mehr mögli<strong>ch</strong>, aber dem<br />

Mens<strong>ch</strong>en wird gewissermaßen eine neue Haut gegeben. Bis heute ma<strong>ch</strong>en Kleider<br />

Leute. Da die Felle dem Tierrei<strong>ch</strong> entnommen sind, könnte aber au<strong>ch</strong> die Tierähnli<strong>ch</strong>keit<br />

des Mens<strong>ch</strong>en gemeint sein. Na<strong>ch</strong> HG 297 deuten die Fellröcke auf<br />

die Leibli<strong>ch</strong>keit des Mens<strong>ch</strong>en.<br />

Vers 22: Und Jahwe Gott spra<strong>ch</strong>: »Siehe, der Mens<strong>ch</strong> ist geworden wie einer von uns,<br />

indem er Gut und Böse erkennt. Dass er nun aber ni<strong>ch</strong>t seine Hand ausstrecke und<br />

au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> vom Baum des Lebens nehme und esse und ewig lebe!«<br />

Zu wem spri<strong>ch</strong>t Jahwe Gott? Offenbar zu seiner Umgebung, denn er sagt: »wie<br />

einer von uns«. Na<strong>ch</strong> HG 299 meint »Jahwe Elohim« den Herrn, aber au<strong>ch</strong> den<br />

233<br />

Wilhelm Gesenius, a.a.O., Seite 608.<br />

234<br />

Wilhelm Gesenius, a.a.O., Seite 45.


Beoba<strong>ch</strong>tungen zu Genesis 3 111<br />

Himmel, das heißt die Gesamtheit der Engel (siehe au<strong>ch</strong> HG 298). Jahwe Gott<br />

bestätigt indirekt die Worte der S<strong>ch</strong>lange von Vers 5, indem er feststellt: »Der<br />

Mens<strong>ch</strong> ist geworden wie einer von uns«. Swedenborg sagt dazu Folgendes: »Dass<br />

der Mens<strong>ch</strong> nun ›das Gute und Böse weiß‹ bedeutet, dass er himmlis<strong>ch</strong> geworden<br />

ist, somit weise und verständig« (HG 298, siehe au<strong>ch</strong> HG 300). Das heißt: Er ist<br />

erwa<strong>ch</strong>sen geworden. Er hat den Zustand der kindli<strong>ch</strong>en Uns<strong>ch</strong>uld verlassen, und<br />

nimmt sein Leben nun selbst in die Hand. Den Anstoß dazu gab die Auseinandersetzung<br />

mit der sinnli<strong>ch</strong>en Welterfahrung. Die Erde ist die S<strong>ch</strong>ule der Kinder<br />

Gottes. Hier werden sie dur<strong>ch</strong> die Verwirkli<strong>ch</strong>ung ihrer Gedanken zu kleinen Göttern.<br />

Kann man Genesis 3 mit der Tradition die Erzählung vom Sündenfall nennen?<br />

Man kann es eigentli<strong>ch</strong> nur dann, wenn man jedes I<strong>ch</strong>erwa<strong>ch</strong>en in der Welt<br />

als einen Sündenfall versteht. Problematis<strong>ch</strong> ist dieses Werden wie ein kleiner<br />

Gott gewiss. Do<strong>ch</strong> in all den Verwicklungen, die si<strong>ch</strong> der Mens<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> einhandelt,<br />

dass er den Weg der eigenen Erfahrung gehen will, bleibt er ein von Gott<br />

ges<strong>ch</strong>ütztes Wesen. Denn er sorgt dafür, dass der Mens<strong>ch</strong> an den Baum des Lebens<br />

ni<strong>ch</strong>t Hand anlegen kann. Damit bleibt das Leben etwas Heiliges, etwas Unberührbares;<br />

und die mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Kämpfe und S<strong>ch</strong>icksalsverwicklungen nehmen<br />

auf diese Weise dann do<strong>ch</strong> wieder den Charakter der Spiele von Kindern an,<br />

die sie freili<strong>ch</strong> mit großem Ernst und leidens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Verbissenheit betreiben.<br />

So kann der Mens<strong>ch</strong> zwar in entsetzli<strong>ch</strong>e Zustände geraten, aber offenbar das<br />

Allerheiligste des ihm von Gott ges<strong>ch</strong>enkten Lebens im Innersten seines Herzens<br />

ni<strong>ch</strong>t entweihen. Zur Problematik der Entweihung äußert si<strong>ch</strong> Swedenborg ausführli<strong>ch</strong><br />

in seinem Werk über die göttli<strong>ch</strong>e Vorsehung.<br />

Vers 23: Und Jahwe Gott s<strong>ch</strong>ickte ihn aus dem Garten Eden fort, um das Erdrei<strong>ch</strong><br />

zu bebauen (oder: um dem Erdrei<strong>ch</strong> zu dienen), von dem er genommen war.<br />

Vers 23 greift etwas modifiziert Vers 19 auf. Hieß es in Vers 19 »Im S<strong>ch</strong>weiße<br />

deines Angesi<strong>ch</strong>ts wirst du (dein) Brot essen« so ist in Vers 23 die dem zugrunde<br />

liegende Tätigkeit des s<strong>ch</strong>weißtreibenden Ackerbaus thematisiert. In beiden Versen<br />

wird gesagt, dass der Bezug zum Erdboden (’adama) der Bezug zu dem Ort ist,<br />

von dem der Mens<strong>ch</strong> (’adam) genommen wurde. Die Abkehr von Jahwe Elohim<br />

senkt den Blick des Mens<strong>ch</strong>en na<strong>ch</strong> unten zum Erdboden und bindet ihn daran.<br />

Im Bebauen des Erdbodens liegt eine Ambivalenz. An und für si<strong>ch</strong> gehört das<br />

Bebauen des Erdbodens na<strong>ch</strong> Genesis 2,5 zum S<strong>ch</strong>öpfungsauftrag des Mens<strong>ch</strong>en.<br />

Man kann darunter die Kulturtätigkeit des Mens<strong>ch</strong>en verstehen, die Kultivierung<br />

des Irdis<strong>ch</strong>en, und im hö<strong>ch</strong>sten Sinne die Wiedergeburt. Diese ist jedo<strong>ch</strong> nur kraft<br />

des Göttli<strong>ch</strong>en mögli<strong>ch</strong>. Im Vers 23 ers<strong>ch</strong>eint uns das Bebauen des Erdbodens als<br />

die Tätigkeit jenseits von Eden, die Tätigkeit na<strong>ch</strong> der Verstoßung aus dem Garten<br />

Eden. Und in Genesis 4,2 wird Kain »Kne<strong>ch</strong>t des Erdbodens« genannt, womit der<br />

Dienst am Irdis<strong>ch</strong>en und die Versklavung dur<strong>ch</strong> das Irdis<strong>ch</strong>e gemeint ist. Die Bearbeitung<br />

der irdis<strong>ch</strong>en Verhältnisse ist so gesehen zwar die Aufgabe des Mens<strong>ch</strong>en<br />

(Gen 2,5), aber in dieser Aufgabe liegt eben au<strong>ch</strong> die Gefahr dur<strong>ch</strong> das Irdis<strong>ch</strong>e<br />

bearbeitet bzw. versklavt zu werden, das heißt die Souveränität zu verlieren.


112 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Na<strong>ch</strong> Swedenborg meint der Ackerbau jenseits von Eden »fleis<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> werden (fieri<br />

corporeus)« (HG 305). Der Mens<strong>ch</strong> ist nun also dem Erdboden ausgeliefert.<br />

Vers 24: Und er vertrieb den Mens<strong>ch</strong>en und ließ östli<strong>ch</strong> vom Garten Eden die Kerubim<br />

si<strong>ch</strong> lagern und die Flamme des si<strong>ch</strong> wendenden S<strong>ch</strong>wertes, um den Weg<br />

zum Baum des Lebens zu bewa<strong>ch</strong>en.<br />

»Die Auffassung, dass der Zugang zu Geheiligtem dur<strong>ch</strong> mythis<strong>ch</strong>e Wesen bes<strong>ch</strong>ützt<br />

wurde, findet si<strong>ch</strong> überall auf der Welt« 235 . Na<strong>ch</strong> Gesenius kommen die<br />

Kerubim im Alten Testament als »Träger der Ers<strong>ch</strong>einung Gottes« 236 vor (mit dem<br />

Beleg Eze<strong>ch</strong>iel 9,3, der von Swedenborg als Beleg für die Bedeutung »Vorsehung«<br />

HG 308 genommen wird). Nimmt man das alles zusammen, so ergibt si<strong>ch</strong>: Gott als<br />

Inbegriff der Liebe und Weisheit in ma<strong>ch</strong>tvoller Wirkung kommt in seiner Vorsehung<br />

zur Ers<strong>ch</strong>einung und sorgt dafür, dass der Mens<strong>ch</strong> in seinem unheiligen<br />

Zustand ni<strong>ch</strong>t den Weg zum Baum des Lebens findet und si<strong>ch</strong> so der Entweihung<br />

s<strong>ch</strong>uldig ma<strong>ch</strong>e.<br />

Abbildung 5: Eine Goldlamelle (aus Enkomia-Alasia, Zypern; 1450-1350 v. Chr.) mit einem stilisierten<br />

Lebensbaum mit Palmblättern, der von zwei Keruben bewa<strong>ch</strong>t wird. Sie sind mit einem Raubtierleib,<br />

Adlerflügeln und einem Mens<strong>ch</strong>enkopf ausgestattet und dadur<strong>ch</strong> als Wesen von hö<strong>ch</strong>ster<br />

Kraft, S<strong>ch</strong>nelligkeit und Klugheit gekennzei<strong>ch</strong>net.<br />

235<br />

Horst Seebass, Genesis 1: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 133.<br />

236<br />

Wilhelm Gesenius, Hebräis<strong>ch</strong>es und Aramäis<strong>ch</strong>es Handwörterbu<strong>ch</strong> über das Alte Testament,<br />

1962, Seite 362.


Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 113<br />

Kain und Abel:<br />

Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16<br />

in der Tradition Swedenborgs<br />

Das exegetis<strong>ch</strong>e Programm<br />

Bei meiner Lektüre der »himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnisse« fiel mir vor Jahren die folgende<br />

Bemerkung Swedenborgs auf: »Es genügt, vom Allgemeinsten eine nur<br />

allgemeine Vorstellung zu geben.« (HG 771). Da i<strong>ch</strong> damals no<strong>ch</strong> der Meinung<br />

war, Swedenborg hätte den inneren Sinn ers<strong>ch</strong>öpfend ausgelegt, verhalf mir diese<br />

verglei<strong>ch</strong>sweise nebensä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Bemerkung zu der Einsi<strong>ch</strong>t, dass uns Swedenborg<br />

in den »Arcana caelestia« wohl einen Weg weist, aber ni<strong>ch</strong>t bis zum Ziel<br />

führt. An einem Wegweiser soll si<strong>ch</strong> der Wanderer ni<strong>ch</strong>t festklammern, vielmehr<br />

soll er si<strong>ch</strong> von ihm weg weisen lassen. Mit anderen Worten, der S<strong>ch</strong>üler Swedenborgs<br />

ehrt seinen Meister ni<strong>ch</strong>t, wenn er dessen Auslegung immer nur wiederkäut.<br />

Vielmehr soll er im Geiste seines Lehrers weiterdenken. Daraus entwickelte<br />

si<strong>ch</strong> im Laufe der Jahre das exegetis<strong>ch</strong>e Programm einer Auslegung in der Tradition<br />

Swedenborgs.<br />

Dieses Programm kann an dieser Stelle zwar ni<strong>ch</strong>t mit einem S<strong>ch</strong>lag verwirkli<strong>ch</strong>t<br />

werden. Aber erste S<strong>ch</strong>ritte sind immerhin mögli<strong>ch</strong>. Bei meiner Lektüre des hebräis<strong>ch</strong>en<br />

Urtextes von Genesis 4,1 bis 16 und der Auslegung in HG 338 bis 398<br />

ma<strong>ch</strong>te i<strong>ch</strong> zwei grundlegende Beoba<strong>ch</strong>tungen, die für die Entwicklung einer eigenständigen<br />

Auslegung im Geiste Swedenborgs von Bedeutung sind. Erstens:<br />

Swedenborg gilt als Offenbarer des inneren Sinnes. Do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t alles, was er zu<br />

Genesis 4,1 bis 16 zu sagen hat, dringt bis in die geistige Dimension vor. Viele<br />

Äußerungen können als Beiträge zu einer historis<strong>ch</strong>en Exegese angesehen werden,<br />

au<strong>ch</strong> wenn diese Form der Exegese und ihre Methoden damals erst im Entstehen<br />

waren. Der innere Sinn ist nur dann ein innerer, wenn er si<strong>ch</strong> innerhalb<br />

der Grenzen des äußeren Sinnes bewegt. Daher brau<strong>ch</strong>t die geistige Auslegung<br />

die natürli<strong>ch</strong>e oder historis<strong>ch</strong>e wie ein Haus den Boden. Swedenborg ist dementspre<strong>ch</strong>end<br />

au<strong>ch</strong> als »historis<strong>ch</strong>-kritis<strong>ch</strong>er« Exeget zu würdigen, und das seit dem<br />

18. Jahrhundert gewonnene historis<strong>ch</strong>e Wissen muss bei der Auslegung des geistigen<br />

Sinnes berücksi<strong>ch</strong>tigt werden. Swedenborg selbst spri<strong>ch</strong>t diese Einsi<strong>ch</strong>t mit<br />

den Worten aus: »Der bu<strong>ch</strong>stäbli<strong>ch</strong>e Sinn des Wortes ist die Grundlage (basis), die<br />

Hülle (continens) und die Stütze (firmamentum) seines geistigen und himmlis<strong>ch</strong>en<br />

Sinnes.« (LS 27-36). »Der bu<strong>ch</strong>stäbli<strong>ch</strong>e Sinn ist glei<strong>ch</strong>sam der Leib, und der<br />

innere Sinn ist glei<strong>ch</strong>sam die Seele dieses Leibes.« (NJ 260). Zweitens: Swedenborgs<br />

Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 liest si<strong>ch</strong> wie sein Kommentar zur altprotestantis<strong>ch</strong>en<br />

Orthodoxie, das heißt zur Problematik des Verhältnisses von Glaube<br />

(Kain) und Nä<strong>ch</strong>stenliebe (Abel). Swedenborgs Auslegung des inneren Sinnes<br />

bleibt also im Bezugssystem einer bestimmten Dogmatik bzw. dogmatis<strong>ch</strong>en Diskussion<br />

angesiedelt. I<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ließe daraus das Folgende: Wenn die im Grunde<br />

unauss<strong>ch</strong>öpfli<strong>ch</strong>en, göttli<strong>ch</strong>en Tiefen des inneren Sinnes in eine äußere Spra<strong>ch</strong>e


114 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

übertragen werden, dann ist damit unauswei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> eine Begrenzung verbunden.<br />

Das heißt, jeder Ausleger des inneren Sinnes muss si<strong>ch</strong> für eine Terminologie<br />

ents<strong>ch</strong>eiden 237 ; in diesem Wort ist das lateinis<strong>ch</strong>e Wort für Grenze (terminus)<br />

enthalten. Das terminologis<strong>ch</strong>e System ermögli<strong>ch</strong>t es dem Exegeten des inneren<br />

Sinnes die unendli<strong>ch</strong>e Fülle desselben in eine fassli<strong>ch</strong>e Gestalt zu bringen. Das<br />

bedeutet nun aber, dass au<strong>ch</strong> andere Terminologien mögli<strong>ch</strong> sind und entwickelt<br />

werden können. I<strong>ch</strong> werde dementspre<strong>ch</strong>end im Folgenden vereinzelt die gewohnte<br />

Spra<strong>ch</strong>e verlassen und den inneren Sinn in neue Begriffe gießen. Da i<strong>ch</strong><br />

aber no<strong>ch</strong> kein neues System entwickelt habe, kann das nur vereinzelt ges<strong>ch</strong>ehen.<br />

Die Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> den verborgenen S<strong>ch</strong>ätzen der himmlis<strong>ch</strong>en Weisheit beginnt mit<br />

einer Übersetzung von Genesis 4,1 bis 16. Sie ist eigentli<strong>ch</strong> ein Ergebnis der exegetis<strong>ch</strong>en<br />

Arbeit und müsste daher am Ende stehen. Denno<strong>ch</strong> ist es gere<strong>ch</strong>tfertigt,<br />

sie an den Anfang zu stellen. So kommt zum Ausdruck, dass der Text der<br />

Ausgangspunkt unserer Wahrnehmungen ist.<br />

Übersetzung von Genesis 4,1 bis 16<br />

1. Und der Mens<strong>ch</strong> erkannte Eva seine Frau, und sie empfing und gebar Kain und<br />

spra<strong>ch</strong>: »I<strong>ch</strong> habe einen Mann erworben, den Jahwe«. 2. Und sie fuhr fort, seinen<br />

Bruder Abel zu gebären. Und Abel wurde ein Hirt der Herde, Kain aber wurde ein<br />

Kne<strong>ch</strong>t des Bodens. 3. Und es ges<strong>ch</strong>ah am Ende der Tage, da bra<strong>ch</strong>te Kain von der<br />

Fru<strong>ch</strong>t des Bodens Jahwe eine Gabe dar. 4. Und au<strong>ch</strong> Abel bra<strong>ch</strong>te dar, - von den<br />

Erstgeburten seiner Herde und zwar von ihrem Fett. Und Jahwe s<strong>ch</strong>aute auf Abel<br />

und auf seine Gabe hin. 5. Aber auf Kain und seine Gabe s<strong>ch</strong>aute er ni<strong>ch</strong>t hin. Da<br />

entbrannte Kain sehr (im Zorn) und sein Angesi<strong>ch</strong>t senkte si<strong>ch</strong>. 6. Und Jahwe<br />

spra<strong>ch</strong> zu Kain: »Warum entbrennst du (im Zorn), und warum senkt si<strong>ch</strong> dein<br />

Angesi<strong>ch</strong>t? 7. Ist es ni<strong>ch</strong>t so?: Wenn du Gutes tust, so ges<strong>ch</strong>ieht Erhebung. Wenn<br />

du aber ni<strong>ch</strong>t Gutes tust, dann ist die Sünde ein lagernder (S<strong>ch</strong>langendämon) vor<br />

der Tür. Und na<strong>ch</strong> dir ist sein Verlangen, du aber sollst|willst über ihn (= den<br />

Dämon oder Abel?) herrs<strong>ch</strong>en.« 238 8. Und Kain spra<strong>ch</strong> zu seinem Bruder Abel:<br />

237<br />

Au<strong>ch</strong> die tiefenpsy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e Auslegung biblis<strong>ch</strong>er Texte vollzieht si<strong>ch</strong> im Rahmen einer<br />

Terminologie, oftmals ist es die von C. G. Jung. Aufgrund sol<strong>ch</strong>er Beoba<strong>ch</strong>tungen meine i<strong>ch</strong>,<br />

dass man ein bestimmtes terminologis<strong>ch</strong>es System ni<strong>ch</strong>t für das einzig ri<strong>ch</strong>tige halten darf.<br />

Das gilt au<strong>ch</strong> für die Spra<strong>ch</strong>e Swedenborgs. Sie kann dur<strong>ch</strong> ein anderes Begriffssystem abgelöst<br />

werden.<br />

238<br />

Dem Vers 4,7 geht der Ruf voraus, der dunkelste der Genesis zu sein (vgl. Seebass 152). In<br />

meiner Übersetzung spiegelt si<strong>ch</strong> daher in besonderer Weise mein Verständnis dieser Stelle.<br />

Aber selbst die (dem eigenen Verständnis angepasste) Übersetzung lässt no<strong>ch</strong> ein wenig die<br />

S<strong>ch</strong>wierigkeiten des hebräis<strong>ch</strong>en Textes erkennen. Daher zwei Erläuterungen: Erstens: »Die<br />

Sünde« ist im Hebräis<strong>ch</strong>en (wie im Deuts<strong>ch</strong>en) ein Femininum. »Der Lagernde« hingegen ist<br />

ein Maskulinum. Daher kann man ni<strong>ch</strong>t übersetzen: »Die Sünde lagert«. Andererseits ist »die<br />

S<strong>ch</strong>lange« von Genesis 3 im Hebräis<strong>ch</strong>en ein Maskulinum. Deswegen habe i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> für die<br />

Übersetzung »die Sünde ist ein lagernder S<strong>ch</strong>langendämon« ents<strong>ch</strong>ieden. Zweitens: Die maskulinen<br />

Suffixe in der zweiten Vershälfte können si<strong>ch</strong> nur auf den Lagernden oder auf Abel<br />

beziehen. I<strong>ch</strong> konnte mi<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en den beiden Mögli<strong>ch</strong>keiten ni<strong>ch</strong>t ents<strong>ch</strong>eiden, eventuell<br />

ist die Doppeldeutigkeit gewollt. Im ersten Fall ist zu lesen: »Und na<strong>ch</strong> dir (Kain) ist sein Ver-


Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 115<br />

»…« 239 Und es ges<strong>ch</strong>ah, als sie auf dem Feld waren, da erhob si<strong>ch</strong> Kain gegen seinen<br />

Bruder Abel und ers<strong>ch</strong>lug ihn. 9. Und Jahwe spra<strong>ch</strong> zu Kain: »Wo ist dein<br />

Bruder Abel?« Und er spra<strong>ch</strong>: »I<strong>ch</strong> weiß es ni<strong>ch</strong>t. Bin i<strong>ch</strong> der Hüter meines Bruders?«<br />

10. Und er spra<strong>ch</strong>: »Was hast du getan? Hor<strong>ch</strong>! Das (vergossene) Blut deines<br />

Bruders s<strong>ch</strong>reit zu mir vom Boden. 11. Und nun, verflu<strong>ch</strong>t bist du vom Boden,<br />

der sein Maul aufgerissen hat, um das Blut deines Bruders von deiner Hand zu<br />

nehmen. 12. Wenn du (nun) den Boden beackerst, wird er dir seine Kraft ni<strong>ch</strong>t<br />

mehr geben. Unstet und flü<strong>ch</strong>tig wirst du sein auf Erden.« 13. Und Kain spra<strong>ch</strong> zu<br />

Jahwe: »Zu groß ist meine Verkehrtheit, als dass sie aufgehoben werden könnte.<br />

14. Siehe, du vertreibst mi<strong>ch</strong> heute vom Angesi<strong>ch</strong>t des Bodens, und dein Angesi<strong>ch</strong>t<br />

wird mir verborgen sein. Unstet und flü<strong>ch</strong>tig werde i<strong>ch</strong> auf Erden sein, und<br />

es wird so kommen, dass jeder, der mi<strong>ch</strong> findet, mi<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>lagen will.« 15. Aber<br />

Jahwe spra<strong>ch</strong> zu ihm: »Ebendarum soll jeder, der Kain ers<strong>ch</strong>lägt, siebenfa<strong>ch</strong> Ra<strong>ch</strong>e<br />

erleiden.« Und Jahwe versah Kain mit einem Zei<strong>ch</strong>en, damit jeder, der ihn findet,<br />

ihn uners<strong>ch</strong>lagen lasse. 16. Dann zog Kain vom Angesi<strong>ch</strong>t Jahwes fort und wohnte<br />

im Lande Nod, östli<strong>ch</strong> von Eden.<br />

Die Einheit und ihr Thema<br />

Genesis 4,1 bis 16 wird hier als eine Einheit angesehen. Diese Si<strong>ch</strong>t ist jedo<strong>ch</strong><br />

umstritten, denn die Verse 1, 2 und 16 wurden ganz oder teilweise abgesondert<br />

und zur Kainitengenealogie der Verse 17 und 18 gezogen. 240 Für eine Exegese in<br />

der Tradition Swedenborgs s<strong>ch</strong>ließt si<strong>ch</strong> daran (und überhaupt an die Genealogien<br />

in der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te) eine grundsätzli<strong>ch</strong>e Frage an. Ist die Erzählung von Kain und<br />

Abel eine Einfügung in ein genealogis<strong>ch</strong>es Gerüst, das ursprüngli<strong>ch</strong>er als die (sekundäre)<br />

Erzählung ist? Oder sind die genealogis<strong>ch</strong>en Listen der heutigen Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

nur das Überbleibsel einer ursprüngli<strong>ch</strong> viel umfangrei<strong>ch</strong>eren Erzählung?<br />

Swedenborg ging bekanntli<strong>ch</strong> von der Existenz eines Alten Wortes aus (siehe<br />

au<strong>ch</strong> Jakob Lorbers »Haushaltung Gottes«), aus denen die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten der<br />

Genesis entnommen wurden (WCR 279d). Wenn die swedenborgs<strong>ch</strong>e Exegese<br />

langen (= das Verlangen des lagernden S<strong>ch</strong>langendämons), du aber sollst herrs<strong>ch</strong>en über ihn<br />

(= über den lagernden S<strong>ch</strong>langendämon).« Im zweiten Fall ist zu lesen: »Und na<strong>ch</strong> dir (Kain)<br />

ist sein Verlagen (= Abels Verlangen), du aber willst herrs<strong>ch</strong>en über ihn (= über Abel).«<br />

239<br />

Was Kain zu Abel spra<strong>ch</strong>, ist im masoretis<strong>ch</strong>en Text (der in den Urtextausgaben abgedruckt<br />

wird) ni<strong>ch</strong>t überliefert. Der samaritanis<strong>ch</strong>e Pentateu<strong>ch</strong>, die (grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e) Septuaginta, die (syris<strong>ch</strong>e)<br />

Pes<strong>ch</strong>itta und die (lateinis<strong>ch</strong>e) Vulgata lesen hier jedo<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong>: Lass uns auf das Feld<br />

gehen!<br />

240<br />

Siehe Horst Seebass, Genesis I: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1 - 11,26), Neukir<strong>ch</strong>en-Vluyn 1996, Seite 144.<br />

Die Kainitengenealogie sähe dann so aus: »1. Und der Mens<strong>ch</strong> erkannte Eva seine Frau, und<br />

sie empfing und gebar Kain und spra<strong>ch</strong>: I<strong>ch</strong> habe einen Mann erworben, den Jahwe. 2. Und<br />

sie fuhr fort, seinen Bruder Abel zu gebären. Und Abel wurde ein Hirt der Herde, Kain aber<br />

wurde ein Kne<strong>ch</strong>t des Bodens. 16. Und Kain zog vom Angesi<strong>ch</strong>t Jahwes fort und wohnte im<br />

Lande Nod, östli<strong>ch</strong> von Eden. 17. Und Kain erkannte seine Frau, und sie empfing und gebar<br />

Heno<strong>ch</strong>. Und er wurde der Erbauer einer Stadt und nannte den Namen der Stadt na<strong>ch</strong> dem<br />

Namen seines Sohnes Heno<strong>ch</strong>. 18. Und dem Heno<strong>ch</strong> wurde Irad geboren, und Irad zeugte<br />

Mehujael, und Mehujael zeugte Metus<strong>ch</strong>ael, und Metus<strong>ch</strong>ael zeugte Lame<strong>ch</strong>.«


116 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

gewillt ist, diese Denkmögli<strong>ch</strong>keit aufzugreifen, dann dürfte die in der zweiten<br />

Frage enthaltene These die wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>ere sein. 241<br />

Na<strong>ch</strong> der äußeren Abgrenzung der Einheit wende i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> der inneren bzw. der<br />

Gliederung zu. Die Verse 1 und 2 bilden den Eingang (die Exposition). Die Verse 3<br />

bis 5 bes<strong>ch</strong>reiben den Kult oder das Gottesverhältnis von Kain und Abel. Die Verse<br />

6 und 7 enthalten eine zure<strong>ch</strong>tweisende Jahwerede (die Stimme des Gewissens).<br />

Der Vers 8 s<strong>ch</strong>ildert den Brudermord. Die Verse 9 bis 12 entfalten die<br />

s<strong>ch</strong>limmen Folgen der Tat. Die Verse 13 bis 15 handeln demgegenüber von der<br />

Bewahrung des Brudermörders. Der Vers 16 bildet den Ausgang (den S<strong>ch</strong>luss).<br />

Die Verse 6 bis 7 und 9 bis 15a sind Rede. Daher fallen die Handlungen in Vers 8<br />

(der Brudermord) und 15b (die Bezei<strong>ch</strong>nung Kains dur<strong>ch</strong> Jahwe) besonders auf.<br />

Das Zentrum der Erzählung ist der Brudermord (Vers 8). Das Ziel der Erzählung<br />

ist jedo<strong>ch</strong> die Bewahrung und Unantastbarkeit des Brudermörders (Vers 15b).<br />

Dem Thema von Genesis 4,1 bis 16 nähern wir uns an, indem wir die Stellung<br />

dieser Einheit im engeren Umfeld betra<strong>ch</strong>ten. Au<strong>ch</strong> Swedenborg wendet die Kontextanalyse<br />

an, was Bemerkungen wie »aus dem Vorhergehenden und dem Na<strong>ch</strong>folgenden<br />

wird ersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>« (HG 270) oder »aus der Sa<strong>ch</strong>folge (ex rerum serie)<br />

geht hervor« (HG 2816) belegen. Zuerst weise i<strong>ch</strong> auf gedankli<strong>ch</strong>e Verbindungen<br />

der Erzählung von Kain und Abel mit Genesis 2 und 3 hin, und dann auf Verbindungen<br />

mit Genesis 5.<br />

Adam und Eva ma<strong>ch</strong>en die Erfahrung des Guten und Bösen, für die sie si<strong>ch</strong> ents<strong>ch</strong>ieden<br />

hatten (Genesis 2,9 und 3,6), in den Gestalten von Kain (das Böse) und<br />

Abel (das Gute). Die Erzählung von Kain und Abel stellt sona<strong>ch</strong> die Entwicklung<br />

im Ans<strong>ch</strong>luss an die Ents<strong>ch</strong>eidung des Urelternpaares, vom Baum der Erkenntnis<br />

des Guten und Bösen zu essen, ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong> dar. Kam es bereits im Gottesgarten<br />

zum Bru<strong>ch</strong> im (vertikalen) Verhältnis zu Jahwe, so kommt es nun, jenseits von<br />

Eden zum Bru<strong>ch</strong> im (horizontalen) Verhältnis der Mens<strong>ch</strong>en untereinander. Erst<br />

zerbri<strong>ch</strong>t die Liebe zum himmlis<strong>ch</strong>en Vater, dann die ges<strong>ch</strong>wisterli<strong>ch</strong>e Liebe. Kain<br />

bringt den Tod in die mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Erfahrungswelt. Damit erfüllt si<strong>ch</strong> die Warnung<br />

von Genesis 2,17: »Do<strong>ch</strong> vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse sollst du<br />

ni<strong>ch</strong>t essen, denn an dem Tag, an dem du davon isst, wirst du (ab)sterben.« Adam<br />

241<br />

Damit begeben wir uns auf das Feld der Pentateu<strong>ch</strong>kritik (sie will das Werden der fünf Bü<strong>ch</strong>er<br />

Mose aufhellen). Bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts besaß das klassis<strong>ch</strong>e Wellhausen-Modell<br />

(na<strong>ch</strong> dem Theologen und Orientalisten Julius Wellhausen benannt) eine so<br />

allgemeine Gültigkeit, dass es wie selbstverständli<strong>ch</strong> sogar in die kir<strong>ch</strong>enamtli<strong>ch</strong>en Bibelausgaben<br />

aufgenommen wurde (siehe die Einheitsübersetzung oder die Stuttgarter Erklärungsbibel).<br />

Do<strong>ch</strong> heute befindet si<strong>ch</strong> die Pentateu<strong>ch</strong>fors<strong>ch</strong>ung in einer Totalrevision aller ihrer Hypothesen.<br />

Das eröffnet zumindest theoretis<strong>ch</strong> die Mögli<strong>ch</strong>keit, die spärli<strong>ch</strong>en Hinweise Swedenborgs<br />

zu einem umfassenden Erklärungsmodell weiterzuentwickeln, ohne soglei<strong>ch</strong> als hoffnungslos<br />

veraltet angesehen zu werden. Das Alte Wort Swedenborgs führt dann zu der Annahme,<br />

dass für die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten eine Quelle sui generis vorauszusetzen ist. Eine sol<strong>ch</strong>e<br />

Quelle kann man au<strong>ch</strong> aufgrund der altorientalis<strong>ch</strong>en Verglei<strong>ch</strong>stexte zu den biblis<strong>ch</strong>en Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten<br />

vermuten.


Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 117<br />

stellt die ursprüngli<strong>ch</strong>e, gottgewollte und somit unverdorbene seelis<strong>ch</strong>-geistige<br />

Bes<strong>ch</strong>affenheit des homo sapiens (des weisen Mens<strong>ch</strong>en) dar. Als aber dieses<br />

Geistesli<strong>ch</strong>t im Erdenkleid den Weg der Erfahrung dur<strong>ch</strong> die fünf Körpersinne<br />

betrat, da begann es abzusterben. Kain lös<strong>ch</strong>t Abel aus. Am Ende bleibt nur no<strong>ch</strong><br />

die Finsternis des nackten Weltbewusstseins übrig. Zu bea<strong>ch</strong>ten ist ferner, dass<br />

die Verflu<strong>ch</strong>ung der S<strong>ch</strong>olle vorans<strong>ch</strong>reitet. Dem Adam wurde gesagt: »… verflu<strong>ch</strong>t<br />

sei der Mutterboden deinetwegen. Mit S<strong>ch</strong>merzen sollst du von ihm essen 242 alle<br />

Tage deines Lebens, (denn) Dornen und Disteln lässt er dir wa<strong>ch</strong>sen und (do<strong>ch</strong>)<br />

musst du das Grünzeug des Feldes essen. Im S<strong>ch</strong>weiße deines Angesi<strong>ch</strong>tes sollst<br />

du dein Brot essen …« (Genesis 3,17-19). Do<strong>ch</strong> immerhin, dem Adam bra<strong>ch</strong>te die<br />

»adamah« no<strong>ch</strong> Fru<strong>ch</strong>t hervor. Dem Kain aber wurde gesagt: »… verflu<strong>ch</strong>t bist du<br />

vom Mutterboden, der sein Maul aufgerissen hat, um das Blut deines Bruders von<br />

deiner Hand zu nehmen. Wenn du (nun) den Mutterboden beackerst, wird er dir<br />

seine Kraft (seinen Ertrag) ni<strong>ch</strong>t mehr geben.« (Genesis 4,11-12). Die »adamah«<br />

wird unfru<strong>ch</strong>tbar, weil der befru<strong>ch</strong>tende Geist sie ni<strong>ch</strong>t mehr dur<strong>ch</strong>dringt, obwohl<br />

er (in der Gestalt des Blutes Abels) in ihr versickert. 243<br />

Die Erzählung von Kain und Abel mündet in dem Stammbaum Kains, das heißt in<br />

die ungesegnete Linie der »Kinder der Tiefe« (J. Lorber, HGt 1,57,43). Dem wird in<br />

Genesis 5 der Stammbaum Seths als ergänzender Gegensatz gegenüber gestellt.<br />

Von einer ergänzenden bzw. zusammengehörigen Gegenüberstellung spre<strong>ch</strong>e i<strong>ch</strong>,<br />

weil die sieben Namen von Genesis 4 in Genesis 5 ähnli<strong>ch</strong>- oder glei<strong>ch</strong>lautend<br />

enthalten sind. 244 Der Stammbaum in Genesis 5 stellt die gesegnete Linie der<br />

242<br />

Wörtli<strong>ch</strong>: »Mit S<strong>ch</strong>merzen soll du ihn (den Mutterboden) essen«. Do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> Swedenborg<br />

übersetzt: »in magno dolore edes de ea« (in großem S<strong>ch</strong>merz wirst du von ihm essen).<br />

243<br />

Auf weitere im wesentli<strong>ch</strong>en spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Zusammenhänge zwis<strong>ch</strong>en Genesis 2,4b bis 3,24<br />

und Genesis 4,1 bis 16 mö<strong>ch</strong>te i<strong>ch</strong> wenigstens in Form einer Fußnote hinweisen. In Genesis<br />

3,9 spri<strong>ch</strong>t Jahwe Elohim zum Mens<strong>ch</strong>en: »Wo bist du?«, in Genesis 4,9 spri<strong>ch</strong>t Jahwe zu Kain:<br />

»Wo ist dein Bruder Abel?«. In Genesis 3,13 spri<strong>ch</strong>t Jahwe Elohim zur Frau: »Was hast du da<br />

getan?«, in Genesis 4,10 spri<strong>ch</strong>t Jahwe zu Kain: »Was hast du getan?«. In Genesis 3,16 spri<strong>ch</strong>t<br />

Jahwe Elohim zur Frau: »Na<strong>ch</strong> deinem Mann wird dein Verlangen sein, er aber wird (will)<br />

über di<strong>ch</strong> herrs<strong>ch</strong>en«, in Genesis 4,7 spri<strong>ch</strong>t Jahwe zu Kain: »Na<strong>ch</strong> dir wird sein (gemeint ist<br />

der Dämon oder Abel) Verlangen sein, du aber sollst (oder willst) über ihn (gemeint ist der<br />

Dämon oder Abel) herrs<strong>ch</strong>en«. In Genesis 3,17 spri<strong>ch</strong>t Jahwe Elohim zu Adam: »der Boden sei<br />

verflu<strong>ch</strong>t um deinetwillen«, in Genesis 4,11 spri<strong>ch</strong>t Jahwe zu Kain: »verflu<strong>ch</strong>t bist du vom Boden«.<br />

Na<strong>ch</strong> Genesis 3,23 soll der Mens<strong>ch</strong> den Boden bebauen; genau diese Tätigkeit übt Kain<br />

aus, er ist »ein Bebauer des Bodens« (Genesis 4,2). In Genesis 3,24 heißt es: »Er trieb den<br />

Mens<strong>ch</strong>en aus«, in Genesis 4,14 spri<strong>ch</strong>t Kain zu Jahwe: »Du hast mi<strong>ch</strong> heute vom Angesi<strong>ch</strong>t<br />

des Bodens vertrieben«. In Genesis 3,24 sollen die Cherubim »östli<strong>ch</strong> (miqqädäm) vom Garten<br />

Eden« lagern, in Genesis 4,16 liegt das Land Nod »östli<strong>ch</strong> (qidmat) von Eden«.<br />

244<br />

Zum Stammbau von Genesis 4 gehören die sieben Glieder Adam, Kain, Heno<strong>ch</strong>, Irad, Mehujael,<br />

Metus<strong>ch</strong>ael, Lame<strong>ch</strong> (dana<strong>ch</strong> Aufspaltung in die Dreiheit Jabal, Jubal, Tubal-Kain). Zum<br />

Stammbaum von Genesis 5 gehören die zehn Glieder Adam, Set, Enos<strong>ch</strong>, Kenan, Mahalalel,<br />

Jered, Heno<strong>ch</strong>, Metus<strong>ch</strong>ela<strong>ch</strong>, Lame<strong>ch</strong>, Noah (dana<strong>ch</strong> Aufspaltung in die Dreiheit Sem, Ham,<br />

Jafet). Genesis 5 unters<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> von Genesis 4, dass am Anfang Set und Enos<strong>ch</strong><br />

hinzugekommen sind, in der Mitte Mahalalel und Heno<strong>ch</strong> vertaus<strong>ch</strong>t sind (Heno<strong>ch</strong> wird dadur<strong>ch</strong><br />

zum 7. Glied) und am Ende zusätzli<strong>ch</strong> Noah ers<strong>ch</strong>eint (der Begründer der na<strong>ch</strong>sintflutli<strong>ch</strong>en<br />

Mens<strong>ch</strong>heit).


118 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

»Kinder der Höhe« (J. Lorber, HGt 1,147,2) dar. Der in Kain und Abel aufgebro<strong>ch</strong>ene<br />

Gegensatz des Bösen und des Guten zieht also in der Konsequenz zwei<br />

Na<strong>ch</strong>kommens<strong>ch</strong>aften und dementspre<strong>ch</strong>end zwei Welten na<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong>. Seitdem gibt<br />

es unten und oben oder den äußeren, weltzugewandten und den inneren, gottzugewandten<br />

Mens<strong>ch</strong>en.<br />

Das Motiv von Genesis 4,1 bis 16 ist der Brudermord. Es ist in der Literatur weit<br />

verbreitet. 245 Am bekanntesten ist die Sage von Romulus und Remus. Sie ähnelt<br />

au<strong>ch</strong> darin der Erzählung von Kain und Abel, dass Romulus na<strong>ch</strong> der Tötung seines<br />

Bruders zum Gründer einer Stadt (Rom) wurde. Au<strong>ch</strong> Kain erbaute na<strong>ch</strong> der<br />

Ermordung Abels eine Stadt (Hano<strong>ch</strong>). Na<strong>ch</strong> Swedenborg stellen Städte Lehren<br />

dar (HG 402). Sieht man in Kain eine (mythis<strong>ch</strong>e) Personifikation der objektbezogenen<br />

Verstandeskräfte und in Abel ein Personifikation der auf weniger Konkretes<br />

bezogenen Gefühlskräfte, dann sagt uns der Brudermord, dass die (äußeren)<br />

Verstandeskräfte nur dann Lehren, Philosophien, Ideologien, Weltans<strong>ch</strong>auungen<br />

oder allgemein gesagt Systeme konstruieren oder erbauen können, wenn sie es<br />

s<strong>ch</strong>affen, si<strong>ch</strong> aus der Dominanz der Gefühle zu lösen, so dass diese in der Sphäre<br />

des neuen Herrn zu einem Ni<strong>ch</strong>ts werden.<br />

Swedenborg formuliert in HG 337 so etwas wie einen Titel zu Genesis 4,1 bis 16:<br />

»Die Entartung (de degeneratione) der ältesten Kir<strong>ch</strong>e bzw. die Verfäls<strong>ch</strong>ung ihrer<br />

Lehre«. Der Urmens<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>lug aus der ursprüngli<strong>ch</strong>en Art, als er sein (primitives)<br />

Gegründetsein in der Gefühlwahrnehmung (Abel) verließ, um die Objektwahrnehmung<br />

(Kain) zu kultivieren. So verließ er die himmlis<strong>ch</strong>en und geistigen<br />

Sphären und wurde mehr und mehr ein Bürger der Raumzeitwelt. Da aber nur die<br />

Gefühlskräfte das Bewusstsein aus dem Ursprung unversehrt erhalten können,<br />

kam es, als Abels Blut im Boden dieser Welt versickerte, zur allmähli<strong>ch</strong>en Auflösung<br />

des Wissens um die hohe Herkunft des homo sapiens. Das nennt Swedenborg<br />

die Verfäls<strong>ch</strong>ung der Lehren oder Überlieferungen der Urkir<strong>ch</strong>e.<br />

Die Auslegung der einzelnen Verse<br />

Zu Genesis 4,1: In den deuts<strong>ch</strong>en Übersetzungen 246 der heiligen S<strong>ch</strong>rift ist »haadam«<br />

entweder mit »Adam« (als Eigenname) oder mit »der Mens<strong>ch</strong>« (gemeint ist<br />

245<br />

Belege findet man beispielsweise bei Eugen Drewermann, Strukturen des Bösen, 1988, Band<br />

1, Seiten 111ff., Band 2, Seiten 247ff.<br />

246<br />

Die folgenden deuts<strong>ch</strong>en Übersetzungen der heiligen S<strong>ch</strong>rift wurden herangezogen: 1. Übersetzungen<br />

in der Tradition Swedenborgs: 1.1. Die deuts<strong>ch</strong>e Übersetzung von ESL (siehe unten)<br />

in »himmlis<strong>ch</strong>e Geheimnisse«, Tübingen 1845ff. (ESD). 1.2. »Die Bibel oder die Heilige<br />

S<strong>ch</strong>rift des Alten und Neuen Testaments übersetzt … von Dr. Leonhard Tafel«, Frankfurt am<br />

Main 1880 (LEO). 1.3. »Die Bibel oder die Heilige S<strong>ch</strong>rift des Alten und Neuen Testaments<br />

übersetzt … von Dr. Leonhard Tafel, revidiert von Professor Ludwig H. Tafel«, Philadelphia<br />

1911 (LUD). 2. »Wörtli<strong>ch</strong>e« Übersetzungen (der S<strong>ch</strong>werpunkt bei diesem Übersetzungstyp<br />

ruht ganz bei der Urspra<strong>ch</strong>e): 2.1. »Elberfelder Bibel«, revidierte Fassung von 1991 (ELB). 3.<br />

»Mittlere« Übersetzungen (dieser Übersetzungstyp su<strong>ch</strong>t einen mittleren Weg zwis<strong>ch</strong>en Urspra<strong>ch</strong>e<br />

und Zielspra<strong>ch</strong>e bzw. einer wörtli<strong>ch</strong>en und einer verständli<strong>ch</strong>en Übersetzung): 3.1.


Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 119<br />

der erstges<strong>ch</strong>affene Mens<strong>ch</strong>) wiedergegeben. Von der Mögli<strong>ch</strong>keit, »ha-adam« mit<br />

»der Mann« zu übersetzen, ma<strong>ch</strong>t keine der herangezogenen deuts<strong>ch</strong>en Bibeln<br />

Gebrau<strong>ch</strong>, obwohl der Mann und seine Frau zum erwarteten Verständnis eines<br />

ersten Mens<strong>ch</strong>enpaares besser passt als der Mens<strong>ch</strong> und seine Frau. Swedenborg<br />

hat »homo« (der Mens<strong>ch</strong>) im Unters<strong>ch</strong>ied zu Sebastian S<strong>ch</strong>midt, dessen lateinis<strong>ch</strong>e<br />

Bibelübersetzung er immer vor si<strong>ch</strong> hatte und wo er »Adam« las.<br />

Der Mens<strong>ch</strong> und seine Frau versinnbildli<strong>ch</strong>en »die älteste Kir<strong>ch</strong>e« (HG 338). Dazu<br />

zwei Bemerkungen. Erstens: »Ha-adam« kann kollektiv (die Urmens<strong>ch</strong>heit) oder<br />

individuell (der Urmens<strong>ch</strong>) verstanden werden. Swedenborg hat si<strong>ch</strong> in seiner<br />

Auslegung der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te für das kollektive Verständnis der »Personennamen«<br />

ents<strong>ch</strong>ieden (siehe seine Bemerkung zu Noah in HG 1025). Zweitens: Das kollektive<br />

Verständnis Adams (»ha-adam« glei<strong>ch</strong> die älteste Kir<strong>ch</strong>e) hat aber no<strong>ch</strong> etwas<br />

von Raum und Zeit an si<strong>ch</strong> und steht somit in einer gewissen Spannung zu dem,<br />

was Swedenborg sonst zum inneren Sinn sagt: »Vor den Engeln, die im inneren<br />

Sinn sind, vers<strong>ch</strong>windet alles, was zur Materie, zu Raum und Zeit gehört.« (HG<br />

488, vgl. au<strong>ch</strong> 813, 3254). Das bedeutet, Swedenborgs Verständnis von »ha-adam«<br />

als Sinnbild für die Urkir<strong>ch</strong>e ist erst der Anfang der Enthüllung des inneren Sinnes.<br />

Oder, um es no<strong>ch</strong> einmal mit den Eingangsworten zu sagen: Swedenborg ist<br />

nur ein Wegweiser, der uns zwar den Weg weist, aber in seinen S<strong>ch</strong>riften das<br />

himmlis<strong>ch</strong>e Ziel no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t vollständig offenbart. So lädt er uns ein, eigene Forts<strong>ch</strong>ritte<br />

in der Erfors<strong>ch</strong>ung der geistigen Sinnwelten zu ma<strong>ch</strong>en. Dabei sollte uns<br />

allerdings bewusst sein, dass wir die Grenze des Sagbaren ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>nell und au<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t beliebig weit vorans<strong>ch</strong>ieben können. Je weiter wir na<strong>ch</strong> innen vorstoßen,<br />

desto subtiler werden die S<strong>ch</strong>wingungen des inneren und innersten Sinnes. Bis in<br />

wel<strong>ch</strong>e Höhe kann unser Herz diese S<strong>ch</strong>wingungen no<strong>ch</strong> wahrnehmen? Und ab<br />

wann versagt uns die Spra<strong>ch</strong>e ihren Dienst am Heiligtum? Wir werden also nur<br />

behutsam vorgehen können.<br />

Auf dem Weg na<strong>ch</strong> innen streifen wir das Zeitli<strong>ch</strong>e ab und begeben uns mehr und<br />

mehr in die Beoba<strong>ch</strong>tung der Zustände. Swedenborg s<strong>ch</strong>reibt: »Wenn man die Vorstellung<br />

von Zeit entfernt, dann bleibt diejenige des Zustandes der Dinge, die zu<br />

jener Zeit waren.« (HG 488). In diesem Sinne meint die älteste Kir<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>t nur<br />

eine religionsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Epo<strong>ch</strong>e, sondern au<strong>ch</strong> den Zustand der Kindheit.<br />

Swedenborg <strong>ch</strong>arakterisiert die älteste Kir<strong>ch</strong>e oft als eine himmlis<strong>ch</strong>e (HG 281),<br />

»Die Bibel na<strong>ch</strong> der Übersetzung Martin Luthers«, revidierte Fassung von 1984 (LUT). 3.2. Die<br />

»Zür<strong>ch</strong>er Bibel« in der revidierten Fassung von 1931 (ZUR). 3.3. Die »Einheitsübersetzung«,<br />

Stuttgart 1980 (EIN). 3.4. »Die Heilige S<strong>ch</strong>rift des Alten und Neuen Testaments übersetzt von<br />

Hermann Menge«, Stuttgart 1949 (MEN). 4. »Freie« Übersetzungen (bei diesem Übersetzungstyp<br />

hat si<strong>ch</strong> das Interesse ganz auf die Zielspra<strong>ch</strong>e verlagert): 4.1. »Gute Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t Bibel«, revidierte<br />

Fassung 1997 der »Bibel in heutigem Deuts<strong>ch</strong>«, Stuttgart 2000 (GNB). 4.2. »Hoffnung<br />

für alle - die Bibel«, Basel 2002 (HFA). Außerdem wurden die folgenden lateinis<strong>ch</strong>en Übersetzungen<br />

berücksi<strong>ch</strong>tigt: 1. »Biblia Sacra sive Testamentum Vetus et Novum … a Sebastiano<br />

S<strong>ch</strong>midt«, Argentoratum (Straßburg) 1696 (SS<strong>ch</strong>m). 2. Emanuel Swedenborgs lateinis<strong>ch</strong>e<br />

Übersetzung der Bü<strong>ch</strong>er »Genesis« und »Exodus« in »Arcana Caelestia« (ESL).


120 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

wobei himmlis<strong>ch</strong> in seiner Terminologie auf die Liebe zum himmlis<strong>ch</strong>en Vater<br />

hindeutet (HG 1001). »Ha-adam« hat etwas mit dem naiven (das heißt kindli<strong>ch</strong>en)<br />

Urzustand des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Wesens zu tun. Soeben aus der göttli<strong>ch</strong>en Ma<strong>ch</strong>t in<br />

die Freiheit des eigenen Lebens entlassen, ist es no<strong>ch</strong> ganz im Urvertrauen geborgen<br />

und s<strong>ch</strong>aut do<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on mit großen Augen in die verlockende Weite der<br />

Welt hinaus. Sie wird ihn magis<strong>ch</strong> anziehen und nötigen, sein Wesen auf allen<br />

Ebenen zu gebären, ni<strong>ch</strong>t selten unter großen S<strong>ch</strong>merzen. »Ha-adam« kann uns<br />

sona<strong>ch</strong> die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des Individualgeistes auf dem Weg der Personwerdung<br />

erzählen. Die Geburten sind die stufenweisen Verwirkli<strong>ch</strong>ungen der aus der<br />

Ma<strong>ch</strong>t des Allmä<strong>ch</strong>tigen freigestellten Potenz. Während »ha-adam« und seine<br />

»<strong>ch</strong>awwah« (Eva) no<strong>ch</strong> aus der Hand Gottes hervorgingen, sie sind also ni<strong>ch</strong>t Geborene,<br />

sondern Ges<strong>ch</strong>affene, Kreationen des göttli<strong>ch</strong>en Geistes, beginnt nun mit<br />

Kain und Abel die Kette der Geburten. Was hat es zu bedeuten, dass glei<strong>ch</strong> mit<br />

dem Auftakt des eigenen Gebärens ein Gegensatz, eine Dualität erzeugt wird?<br />

Der Mens<strong>ch</strong> »erkannte« seine Frau. Wie sinnentstellend »freie« Bibelübersetzungen<br />

sein können, zeigt am Beispiel dieser Stelle die »Gute Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t Bibel«; dort<br />

heißt es: »Adam s<strong>ch</strong>lief mit seiner Frau« (Gen 4,1). »S<strong>ch</strong>lafen« (ni<strong>ch</strong>t wa<strong>ch</strong> sein) ist<br />

beinahe das Gegenteil von »erkennen« (hellwa<strong>ch</strong> sein). 247 Die ni<strong>ch</strong>t-wörtli<strong>ch</strong>en<br />

Bibelübersetzungen geloben zwar »die selbstverständli<strong>ch</strong>e Treue zum Original«<br />

(GNB 345), aber mit der Preisgabe der spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Form können diese Übersetzer<br />

immer nur den Sinn in die Zielspra<strong>ch</strong>e übertragen, den sie selbst im Kopf<br />

haben. Die Übersetzer der GNB denken an den Beis<strong>ch</strong>laf, aber indem sie mit dieser<br />

Vorstellung im Kopf das hebräis<strong>ch</strong>e »jada‘« mit »s<strong>ch</strong>lafen« verständli<strong>ch</strong>er wiedergeben<br />

wollen, ers<strong>ch</strong>weren sie dem Bibelleser den Weg in das innere Heiligtum<br />

des Wortes. Denn nun kann er beispielsweise ni<strong>ch</strong>t mehr so lei<strong>ch</strong>t den Zusammenhang<br />

zwis<strong>ch</strong>en dem Essen vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen<br />

und der Geburt vom Kain (das Böse) und Abel (das Gute) in Folge der Erkenntnis,<br />

die der Mens<strong>ch</strong> nun in seine Frau einbildet (oder einführt), entdecken. Das Aneignen<br />

(Essen) der einen Erkenntnis wirkt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> auf die andere, erzeugende Erkenntnis<br />

aus.<br />

Franz Delitzs<strong>ch</strong> (1813 - 1890) ma<strong>ch</strong>t darauf aufmerksam, dass »erkennen« im<br />

Sinne von Genesis 4,1 nie »von den Thieren« vorkommt, »denn was beim Thiere<br />

naturnothwendiger Instinct ist, das ist beim Mens<strong>ch</strong>en freies, sittli<strong>ch</strong> verantwortli<strong>ch</strong>es<br />

Thun«. 248 Das Erkennen seines weibli<strong>ch</strong>en Gegenübers ist als geistiger<br />

Akt der spezifis<strong>ch</strong> mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Akt des Erzeugens, denn der Mens<strong>ch</strong> ist der Fakkelträger<br />

des Geistes, der geistige Samen dur<strong>ch</strong> seine Natur ausgebären soll. Wir<br />

müssen uns von der Meinung des Sensualismus oder Empirismus ganz und gar<br />

befreien, wona<strong>ch</strong> der Erkennende nur aufnimmt, nämli<strong>ch</strong> Eindrücke dur<strong>ch</strong> die<br />

247<br />

I<strong>ch</strong> übersetze »jada‘« zwar ni<strong>ch</strong>t mit »s<strong>ch</strong>lafen«, aber natürli<strong>ch</strong> muss man hier an die Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

des Mannes mit der Frau denken. Na<strong>ch</strong> HG 4914 (zu Gen 38,26) hat »erkennen« die<br />

Bedeutung »conjungi« (si<strong>ch</strong> verbinden bzw. verbunden werden; vgl. conjugium = Ehe).<br />

248<br />

Franz Delitzs<strong>ch</strong>, Commentar über die Genesis, Leipzig 1872, Seite 162.


Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 121<br />

Sinne. Wir können Genesis 4,1 nur verstehen, wenn wir sehen, dass das Erkennen<br />

ein Akt des Gebens ist. Das geht aus dem Dreiklang der Verben »erkennen«,<br />

»empfangen«, »gebären« deutli<strong>ch</strong> hervor. Da die Folge des Erkennens das Empfangen<br />

ist, muss das Erkennen selbst ein Geben sein. Von »ha-adam« geht demna<strong>ch</strong><br />

ein geistiger Impuls aus, der von seiner Frau empfangen und verwirkli<strong>ch</strong>t wird.<br />

»Ha-adam« (der geistbegabte Erdling) ist ein zwiespältiges Wesen. Gott und Welt,<br />

Geist und Materie stoßen in ihm zusammen. »Ha-adam« erkennt das, und diese Erkenntnis<br />

dur<strong>ch</strong>läuft wie eine S<strong>ch</strong>ockwelle seine Natur und erzeugt den ersten<br />

unversöhnli<strong>ch</strong>en, fundamentalen Konflikt, dargestellt dur<strong>ch</strong> Kain und Abel.<br />

Swedenborg übersetzt »is<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ah« mit »mulier« (Weib) oder »uxor« (das eheli<strong>ch</strong><br />

mit dem Mann verbundene Weib). 249 Geistig bedeutet »is<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ah« »das Eigene«<br />

(proprium) und »die Kir<strong>ch</strong>e« (ecclesia). Man kann si<strong>ch</strong> fragen, wel<strong>ch</strong>er Zusammenhang<br />

zwis<strong>ch</strong>en diesen beiden Begriffen besteht, zumal Swedenborg sagt: »Das<br />

Eigene ist ni<strong>ch</strong>ts als nur etwas Böses und Fals<strong>ch</strong>es.« (HG 215). Do<strong>ch</strong> die Antwort<br />

ist einfa<strong>ch</strong>. Das Eigene oder das I<strong>ch</strong>wesen des Mens<strong>ch</strong>en ist an und für si<strong>ch</strong> so<br />

etwas wie ein Spiegelbild Gottes, und in einem sol<strong>ch</strong>en Bild ist eben alles spiegelverkehrt.<br />

Also ist das Bild Gottes als sol<strong>ch</strong>es etwas dur<strong>ch</strong> und dur<strong>ch</strong> Verkehrtes.<br />

Alles weitere hängt nun davon ab, ob si<strong>ch</strong> der Mens<strong>ch</strong> in das Spiegelbild so sehr<br />

verliebt, dass er meint, es sei das Urwesen, oder ob er den S<strong>ch</strong>ein dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>auen<br />

und erkennen kann, dass sein I<strong>ch</strong>wesen nur ein Reflex des Urwesens im Bewusstsein<br />

des äußeren Mens<strong>ch</strong>en ist. Im ersten Fall wird das I<strong>ch</strong> zum Idol, zum<br />

Megastar der Diesseitsparty mit leider tödli<strong>ch</strong>em Ausgang. Im zweiten Fall bleibt<br />

das I<strong>ch</strong>wesen mit dem Urwesen verbunden und wird zur Kir<strong>ch</strong>e, das heißt zum<br />

Raum der Ruhe des siebten Tages. »Ha-adam« erkannte in »<strong>ch</strong>awwah« Kain (die<br />

Selbstverblendung) und Abel (den Atem Gottes), beide erkannte er in dem, was<br />

ihm eigen war. Und so nahmen sie dur<strong>ch</strong> »<strong>ch</strong>awwah« Gestalt an und wurden Geborene<br />

aus dem Samen der Erkenntnis des Adam.<br />

»Die Mutter aller Lebendigen« (Gen 3,20) bringt als erste Geburt den Todbringer<br />

Kain zur Welt, sie spra<strong>ch</strong>: »Qaniti - Erworben (oder ers<strong>ch</strong>affen) habe i<strong>ch</strong> einen<br />

Mann, den Jahwe.« »Qajin« (Kain), den Namen ihres Sohnes, bringt die Urmutter<br />

mit »qanah« in Verbindung. Das Verb bedeutet sowohl »erwerben« als au<strong>ch</strong> »ers<strong>ch</strong>affen«<br />

(Seebass 148). Swedenborg ents<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> für »acquirere« (erwerben)<br />

und deutet den Freudenruf der »Mutter aller (geistig) Lebendigen«, also der Urkir<strong>ch</strong>e,<br />

dahingehend, dass einige anfingen, den Glauben (Kain) für »etwas Selbständiges<br />

(res per se)« zu halten (HG 340). Sie überließen si<strong>ch</strong> dem Eindruck, dass<br />

man dur<strong>ch</strong> das Glaubenswissen etwas zum Glaubensleben hinzuerwerben könne.<br />

»Qajin«, der oder das Erworbene, stellt die Sphäre des Habens dar oder die Verblendung<br />

des in die Eigenmä<strong>ch</strong>tigkeit entlassenen Mens<strong>ch</strong>en, der zuerst si<strong>ch</strong><br />

selbst und dann au<strong>ch</strong> alles Seiende besitzen will.<br />

249<br />

Eine Übersi<strong>ch</strong>t der Übersetzung von »is<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ah« in Genesis 1 bis 4,16 dur<strong>ch</strong> Swedenborg<br />

(siehe ESL): Er übersetzt »is<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ah« mit »mulier« in Genesis 2,22; 3,1.2.4.6.12.13.15.16. Mit<br />

»uxor« übersetzt er das Wort in Genesis 2,23.24.25; 3,8.17.20.21; 4,1.


122 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

In Genesis 14,19.22 bezei<strong>ch</strong>net das Partizip »qoneh« den S<strong>ch</strong>öpfergott. Wenn man<br />

von daher »qaniti« in Genesis 4,1 mit »i<strong>ch</strong> habe ers<strong>ch</strong>affen« übersetzt, dann bedeutet<br />

das, dass si<strong>ch</strong> die Urmutter, die zum allerersten Mal ein lebendiges Wesen<br />

geformt und geboren hat, als Göttin versteht. »Ihr werdet sein wie Gott« (Gen 3,5),<br />

»<strong>ch</strong>awwah« (Eva) ist zur Göttin geworden, denn sie hat Leben ers<strong>ch</strong>affen. Allerdings<br />

ist sie au<strong>ch</strong> einem Wahn verfallen. Das Werkzeug hält si<strong>ch</strong> nämli<strong>ch</strong> für die<br />

Ursa<strong>ch</strong>e. Das Organ erliegt der Täus<strong>ch</strong>ung, dass die s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong>e Ma<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t<br />

nur in ihm wirksam, sondern ihm au<strong>ch</strong> eigen sei. Dazu Swedenborg: »Der Mens<strong>ch</strong><br />

empfindet es ni<strong>ch</strong>t anders, als dass er aus seinem eigenen Leben heraus lebt,<br />

denn das Werkzeugli<strong>ch</strong>e empfindet das Ursprüngli<strong>ch</strong>e als ihm eigen. Es vermag<br />

hier ni<strong>ch</strong>t zu unters<strong>ch</strong>eiden, denn die ursprüngli<strong>ch</strong>e Ursa<strong>ch</strong>e (causa principalis)<br />

und die werkzeugli<strong>ch</strong>e Ursa<strong>ch</strong>e (causa instrumentalis) wirken na<strong>ch</strong> einem in der<br />

gelehrten Welt bekannten Lehrsatz als eine Ursa<strong>ch</strong>e zusammen.« (WCR 473).<br />

Dementspre<strong>ch</strong>end wird si<strong>ch</strong> Kain als Herr gebärden.<br />

Swedenborg (siehe ESL) versteht »et-jahwe« als Akkusativ, so dass wir im Ans<strong>ch</strong>luss<br />

an Swedenborg übersetzt haben: »I<strong>ch</strong> habe einen Mann erworben, den<br />

Jahwe.« Ein Blick in die deuts<strong>ch</strong>en Bibeln zeigt jedo<strong>ch</strong>, dass wir damit von der<br />

übli<strong>ch</strong>en Praxis abwei<strong>ch</strong>en. In der Elberfelder Bibel heißt es: »I<strong>ch</strong> habe einen<br />

Mann hervorgebra<strong>ch</strong>t mit dem Herrn.« In der Lutherbibel heißt es: »I<strong>ch</strong> habe einen<br />

Mann gewonnen mit Hilfe des Herrn.« In der Zür<strong>ch</strong>er Bibel heißt es: »I<strong>ch</strong> habe<br />

einen Sohn bekommen mit des Herrn Hilfe.« Und in der (katholis<strong>ch</strong>en) Einheitsübersetzung<br />

heißt es: »I<strong>ch</strong> habe einen Mann vom Herrn erworben.« Das heißt, die<br />

gegenwärtig maßgebli<strong>ch</strong>en Interpreten sehen in »et« die Präposition »mit« (bzw.<br />

»mit Hilfe von«). Die Einheitsübersetzung glättet dieses Verständnis spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />

ein wenig und so wird dann aus »mit« »von«. Was spri<strong>ch</strong>t demgegenüber für unsere<br />

Übersetzung in der Tradition Swedenborgs? Erstens der spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Befund:<br />

Horst Seebass sagt klar, dass »die philologis<strong>ch</strong> einfa<strong>ch</strong>ste Auffassung die eines<br />

doppelten Akkusativs« ist (148). Und Franz Delitzs<strong>ch</strong> bemerkt: »… häufig findet<br />

si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> einem ersten Acc. ein zweiter näher bestimmender mit ›et‹ 6,10; 26,34;<br />

Jes 7,17, während ›et-jahve‹ als abverbialer Satztheil in der Bed. ›mit jahve‹ sonst<br />

ni<strong>ch</strong>t vorkommt …« (162). Der spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Befund weist demna<strong>ch</strong> ziemli<strong>ch</strong> deutli<strong>ch</strong><br />

auf Swedenborgs Übersetzung. Daher sollte man si<strong>ch</strong> für sie ents<strong>ch</strong>eiden,<br />

wenn man in ihr au<strong>ch</strong> einen Sinn entdecken kann, womit wir nun zweitens beim<br />

inhaltli<strong>ch</strong>en Befund sind. Delitzs<strong>ch</strong> weist auf einen interessanten Zusammenhang<br />

hin. Beim Verständnis von »et-jahwe« als Akkusativ würde Eva »das männli<strong>ch</strong>e<br />

Kind … für den Messias … oder den mens<strong>ch</strong>gewordenen Jahve halten« (162). Sie<br />

knüpft an ihn »die Hoffnung auf Erfüllung der Verheißung vom Weibessamen<br />

[siehe Genesis 3,15].« (163) 250 . Na<strong>ch</strong> Swedenborg ist Kain ein Sinnbild für »die<br />

250<br />

Diese Deutung fand i<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> bei Jakob Böhme: »Höre und besiehe das s<strong>ch</strong>öne Kind in Adams<br />

und Evas Willen, was ihr Begehren vor und na<strong>ch</strong> dem Falle war: Sie begehrten das irdis<strong>ch</strong>e<br />

Rei<strong>ch</strong>, als dann Eva dur<strong>ch</strong>aus nur irdis<strong>ch</strong> gesinnet war. Denn als sie Cain gebar, spra<strong>ch</strong> sie:<br />

›I<strong>ch</strong> habe den Mann, den Herrn‹, sie geda<strong>ch</strong>te, es wäre der S<strong>ch</strong>lagentreter, er würde das irdis<strong>ch</strong>e<br />

Rei<strong>ch</strong> einnehmen und den Teufel verjagen, sie da<strong>ch</strong>te ni<strong>ch</strong>t, daß sie sollte ihres fals<strong>ch</strong>en,


Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 123<br />

Lehre des von der Liebe getrennten Glaubens« (HG 325). Die Identifikation dieses<br />

Glaubens mit dem von einer Frau geborenen Jahwe, das heißt mit dem Messias,<br />

bedeutet so gesehen, dass der bloße Glaube als Erlöser verkündet wird. Swedenborg<br />

sieht allerdings no<strong>ch</strong> einen anderen Zusammenhang. Der Gottesname Jahwe<br />

wird in der hebräis<strong>ch</strong>en Bibel vom Verb »sein« her erhellt (Exodus 3,14). Demna<strong>ch</strong><br />

s<strong>ch</strong>älten si<strong>ch</strong> bereits in der Urkir<strong>ch</strong>e die Glaubenslehren als etwas selbständig<br />

Seiendes heraus (»res per se«, HG 340).<br />

Zu Genesis 4,2: Die Kir<strong>ch</strong>enväter sahen in Abel eine Vorbildung oder Präfiguration<br />

Christi. 251 Diese Deutung ist au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> beim Swedenborg der von J. F. I. Tafel<br />

sogenannten »Adversaria« 252 vorhanden, wo es heißt: »Die beiden erstgeborenen<br />

Söhne Adams bilden die beiden Fürsten oder Führer vor, Kain offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> den<br />

Fürsten der Welt mit seinem Haufen, Abel hingegen den Fürsten des Himmels<br />

bzw. den Messias ohne Na<strong>ch</strong>kommens<strong>ch</strong>aft.« (WE 90). 253 In den »himmlis<strong>ch</strong>en<br />

Geheimnissen« hat Swedenborg jedo<strong>ch</strong> die personale Hülle abgestreift und präsentiert<br />

uns ein abstraktes Verständnis (vgl. »in sensu abstracto« in HG 2232).<br />

Das geistige Verständnis ist beim Swedenborg der »himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnisse«<br />

zuglei<strong>ch</strong> ein abstraktes, das sagt er ausdrückli<strong>ch</strong>: »Im inneren Sinn wird alles von<br />

den Personen entfernt (in sensu interno abstrahuntur omnia a personis)« (HG<br />

5434; vgl. au<strong>ch</strong> EO 78). Und so wird aus Abel, der Präfiguration des Messias, die<br />

»tätige Liebe« (HG 341), denn die Person Christi ist geradezu die Verkörperung<br />

oder der Inbegriff dieser Liebe (vgl. Joh 13,34).<br />

irdis<strong>ch</strong>en, fleis<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Willens sterben, und in einem heiligen Willen geboren werden. Einen<br />

sol<strong>ch</strong>en Willen führte sie au<strong>ch</strong> in ihren Samen ein, desglei<strong>ch</strong>en au<strong>ch</strong> Adam.« (Mysterium Magnum<br />

26,23). Eva glaubte demna<strong>ch</strong>, den S<strong>ch</strong>lagentreter von Genesis 3,15 geboren zu haben.<br />

251<br />

Spuren des früh<strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>en Verständnisses Abels: Die Abel-Christus-Typologie ist von Ambrosius<br />

»in der S<strong>ch</strong>rift ›De Cain et Abel‹ zum erstenmal in voller Breite dargelegt worden. Ihm<br />

folgten … Augustinus, Leo d. Gr., Maximus von Turin, Paulinus von Nola, Gregor d. Gr., Isidor,<br />

Hrabanus Maurus, Rupert von Deutz und andere (siehe PL 219,243).« (Hans Martin von Erffa,<br />

Ikonologie der Genesis, Band 1, 1989, Seite 359). In einer ehemals Johannes Chrysostomus<br />

zuges<strong>ch</strong>riebenen S<strong>ch</strong>rift »De sacrificiis Caini, de donis Abelis« usw. heißt es: »weil Abel als erster<br />

für die Gere<strong>ch</strong>tigkeit gekämpft hat, war er als erster würdig, für seine Frömmigkeit zu<br />

leiden: so wurde er zu einem Vorbild Christi (imago Christi)«. Bei dem Benediktinermön<strong>ch</strong><br />

Radbert von Corbie (Pas<strong>ch</strong>asius Radbertus) liest man zusammenfassend: »Darum ist Abel der<br />

erste als Vorbild Christi (figura Christi) und sehr gere<strong>ch</strong>ter Prophet, zum Beispiel wenn man<br />

liest, er habe Gottvater ein Lamm dargebra<strong>ch</strong>t und geopfert; er zeigte ihm, daß er mit seinem<br />

Glauben und seinen Werken ein künftiges Lamm sei, das zum Heil der ganzen Welt Gottvater<br />

im liebli<strong>ch</strong>en Geru<strong>ch</strong> als S<strong>ch</strong>la<strong>ch</strong>topfer darzubringen sei. Darum ist au<strong>ch</strong> Abel, der im Glauben<br />

an Christus festblieb, so wie der Rebs<strong>ch</strong>oß an der Rebe, getötet worden als Vorbild (figura)<br />

jenes, und wurde zum Setzling aus der Rebe und zum treuen Zeugen« (Erffa 1,359f.).<br />

252<br />

Swedenborg gab diesem Werk den Titel »Explicatio in Verbum Historicum Vet. Test.«. In<br />

Ermangelung einer deuts<strong>ch</strong>en Übersetzung dieses umfangrei<strong>ch</strong>en Werkes verwende i<strong>ch</strong> das<br />

Sigel »WE« (na<strong>ch</strong> dem englis<strong>ch</strong>en Titel »The Word Explained«) und folge au<strong>ch</strong> der dortigen<br />

Nummerierung der Abs<strong>ch</strong>nitte.<br />

253<br />

Au<strong>ch</strong> bei Jakob Lorber ist Abel die erste Christusvorbildung (HGt 1,11.25).


124 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Abel war »ein Hirt der (Kleinvieh)herde« (Gen 4,2). Um zu einem hohen Verständnis<br />

dieser Tätigkeitsbes<strong>ch</strong>reibung aufsteigen zu können, darf man ni<strong>ch</strong>t bei<br />

Vorstellungen wie »Hirtenromantik« oder »S<strong>ch</strong>äferidylle« stehen bleiben. Denn der<br />

Hirte bezei<strong>ch</strong>nete in der altorientalis<strong>ch</strong>en Vorstellungswelt den (göttli<strong>ch</strong>en) König<br />

und Gott selbst: In »altorientalis<strong>ch</strong>en Königstitulaturen« ist »das Wort ›Hirte‹ eine<br />

der gebräu<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>sten Bezei<strong>ch</strong>nungen«. »Die Insignien der ägyptis<strong>ch</strong>en Könige, die<br />

sog. Geißel und das Zepter, waren ursprüngli<strong>ch</strong> die Abzei<strong>ch</strong>en des Hirten, nämli<strong>ch</strong><br />

Fliegenwedel und Hirtenstab. Au<strong>ch</strong> der grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Mythos weiß um die Wesensverwandts<strong>ch</strong>aft<br />

zwis<strong>ch</strong>en Hirt und König, wenn er den Königssohn Paris auf den<br />

Hängen des Ida seine Herde weiden lässt. Da na<strong>ch</strong> alter Vorstellung der König der<br />

irdis<strong>ch</strong>e Repräsentant Gottes ist, so wird au<strong>ch</strong> dieser im Bild des Hirten ges<strong>ch</strong>aut.<br />

In der mesopotamis<strong>ch</strong>en wie in der grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Kunst findet si<strong>ch</strong> das Bild des<br />

Hirten, der ein Lamm oder Kalb auf der S<strong>ch</strong>ulter trägt; so wurde au<strong>ch</strong> der grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e<br />

Gott Hermes als Kriophoros [S<strong>ch</strong>afträger] dargestellt.« 254 Au<strong>ch</strong> in der Heiligen<br />

S<strong>ch</strong>rift bezei<strong>ch</strong>net »weiden« das fürsorgli<strong>ch</strong>e Wirken des Regenten und wird<br />

von Jahwe, der das Volk hütet (Ps 23; Jes 40,11) und von Königen und Herrs<strong>ch</strong>ern<br />

ausgesagt (Ez 37,24). Und selbstverständli<strong>ch</strong> denken wir au<strong>ch</strong> an den Messias,<br />

den Christus; er ist der von Gott gesalbte König der Mens<strong>ch</strong>enherde. Er ist das<br />

Vollbild des guten Hirten (Joh 10), die es<strong>ch</strong>atologis<strong>ch</strong>e Verwirkli<strong>ch</strong>ung der alten<br />

Hoffnung auf einen sol<strong>ch</strong>en Hirten. Na<strong>ch</strong>dem dieser Mens<strong>ch</strong>heitshirte nun ers<strong>ch</strong>ienen<br />

ist, können alle anderen Hirtengestalten der Vergangenheit nur no<strong>ch</strong> als<br />

Präfigurationen des einen guten Hirten angesehen werden. Und so ist au<strong>ch</strong> Abel<br />

ein S<strong>ch</strong>attenbild des Christus und zum Herrs<strong>ch</strong>er bestimmt, zum »Hirten der Herde«.<br />

Die hohe, geistige Bedeutung Abels steht nun im Gegensatz zur Bedeutung seines<br />

Namens. Denn »hebel« - so müsste sein Name eigentli<strong>ch</strong> in der Ums<strong>ch</strong>rift lauten -<br />

bedeutet »Hau<strong>ch</strong>«, »ein Ni<strong>ch</strong>ts«, »Täus<strong>ch</strong>ung«, »Wahn«. 255 Wir können uns einen<br />

Zugang zum Verständnis dieses merkwürdigen Missverhältnisses bahnen, wenn<br />

wir uns daran erinnern, dass au<strong>ch</strong> heute ein großer Streit darüber herrs<strong>ch</strong>t, ob das<br />

Seelis<strong>ch</strong>e eine Ausdünstung des Gehirns oder do<strong>ch</strong> eine andere, immaterielle<br />

Entität sei. Ist die Seele also »ein Ni<strong>ch</strong>ts«? Ist die Rede von einer Seele eine »Täus<strong>ch</strong>ung«,<br />

ein »Wahn«? Dass die zweite Geburt Evas den Namen »hebel« bekommt,<br />

bedeutet, dass die Seele im Bewusstsein der gefallenen Mens<strong>ch</strong>heit an Substanz<br />

verliert. Denn die Wirkli<strong>ch</strong>keit der S<strong>ch</strong>lange, die physikalis<strong>ch</strong>en Wellen und<br />

S<strong>ch</strong>wingungen drängen si<strong>ch</strong> in den Vordergrund, so dass die Seele und ihre Wirkli<strong>ch</strong>keit<br />

mehr und mehr zu einem Ni<strong>ch</strong>ts wird. Und tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> stehen in der Er-<br />

254<br />

Manfred Lurker, Wörterbu<strong>ch</strong> biblis<strong>ch</strong>er Bilder und Symbole, 1990, Seite 173. Siehe au<strong>ch</strong> den<br />

Begriff des Hirtenkönigs in Bezug auf Ägypten bei Jakob Lorber (GEJ IV,202,16; 204,9,<br />

206,14).<br />

255<br />

So lesen wir zum Beispiel im Psalm 39,6: »Siehe, nur handbreit hast du meine Tage gema<strong>ch</strong>t,<br />

wie ni<strong>ch</strong>ts ist meine Lebenszeit vor dir. Nur ein Hau<strong>ch</strong> (hebel) ist der Mens<strong>ch</strong>.« Und in Kapitel<br />

7,16 sagt Hiob: »I<strong>ch</strong> mag ni<strong>ch</strong>t mehr - ni<strong>ch</strong>t ewig will i<strong>ch</strong> leben! Lass ab von mir! Meine Tage<br />

sind nur no<strong>ch</strong> ein Hau<strong>ch</strong> (hebel).«


Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 125<br />

zählung von Kain und Abel auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> Kain und seine Si<strong>ch</strong>tweise im Mittelpunkt.<br />

Abel kommt ni<strong>ch</strong>t zu Wort, nur Kain spri<strong>ch</strong>t in Genesis 4,1 bis 16. Außerdem<br />

ist die Verwendung von »Bruder« in Genesis 4,1 bis 16 aufs<strong>ch</strong>lussrei<strong>ch</strong>, denn<br />

damit ist immer nur Abel gemeint, nie Kain. Das heißt, dass die Bezugsperson, die<br />

im Mittelpunkt steht und das Umfeld determiniert, Kain ist. Für Kain ist Abel, das<br />

heißt die Herrs<strong>ch</strong>aft des Geistes über die Materie, ein leeres Ges<strong>ch</strong>wätz, und zwar<br />

einfa<strong>ch</strong> deswegen, weil es den Geist als ein selbständiges Wesen in seinen Augen<br />

gar ni<strong>ch</strong>t gibt. 256<br />

Kain war »ein Bearbeiter des Bodens« (»obed adamah«, Gen 4,2). Swedenborg<br />

übersetzte die hebräis<strong>ch</strong>e Wendung »obed adamah« mit »colens humum«. Das<br />

Verb »colere« und das dazugehörige Substantiv »cultus« (Kult) gehören in den<br />

gottesdienstli<strong>ch</strong>en Zusammenhang (siehe beispielsweise »colere Dominum« in HG<br />

7724). Au<strong>ch</strong> das hebräis<strong>ch</strong>e Verb »abad«, das im »obed adamah« enthalten ist,<br />

bedeutet einesteils »arbeiten« und »dienen«; andernteils aber, auf Gott bezogen, ist<br />

es die Bezei<strong>ch</strong>nung für das Gottesverhältnis und für den Kult oder den Dienst an<br />

einem Heiligtum. Daher kann mit »obed adamah« zwar einesteils<br />

»ein Ackerbauer« gemeint sein (siehe »agricola« in der Vulgata), andernteils kann<br />

im »obed adamah« aber au<strong>ch</strong> die Bedeutung »Anbeter des Irdis<strong>ch</strong>en« mits<strong>ch</strong>wingen.<br />

Die »adamah« wird so gesehen zu einem Kultobjekt, das heißt zum Gegenstand<br />

einer Verehrung, die eigentli<strong>ch</strong> nur Gott zukommen soll. Kain ist dann ni<strong>ch</strong>t<br />

nur ein Bebauer, sondern ein Diener der »adamah«. Und indem er si<strong>ch</strong> immer<br />

mehr der Ma<strong>ch</strong>tsphäre des Erdrei<strong>ch</strong>es (»adamah«) ausliefert, wird er am Ende<br />

ganz und gar zu einem Kne<strong>ch</strong>t und Sklaven des irdis<strong>ch</strong>en Rei<strong>ch</strong>es. 257 Wer also bei<br />

seinen Meditationen der heiligen S<strong>ch</strong>rift auf den »sensus spiritualis« (das geistige<br />

Empfinden) a<strong>ch</strong>tet, der wird im »obed adamah« ni<strong>ch</strong>t nur den Dienst am Boden,<br />

sondern au<strong>ch</strong> die Verkne<strong>ch</strong>tung dur<strong>ch</strong> den Boden oder das Irdis<strong>ch</strong>e wahrnehmen.<br />

Daher s<strong>ch</strong>rieb Swedenborg: »Von denen, die auf das Leibli<strong>ch</strong>e und Irdis<strong>ch</strong>e sehen,<br />

sagte man (einst), dass sie den Boden beackern« (HG 345). In der Na<strong>ch</strong>kommens<strong>ch</strong>aft<br />

Kains wird der kulturelle oder äußerli<strong>ch</strong>e Forts<strong>ch</strong>ritt der Mens<strong>ch</strong>heit zur<br />

Spra<strong>ch</strong>e kommen (siehe Genesis 4,20 bis 22).<br />

Der innere Sinn ist nuancenrei<strong>ch</strong>. Im »obed adamah« können wir au<strong>ch</strong> den Bibelausleger<br />

erkennen, der auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> die bu<strong>ch</strong>stäbli<strong>ch</strong>e Grundlage der heiligen<br />

S<strong>ch</strong>rift bearbeitet und dem der Geisthau<strong>ch</strong> des Wortes (Abel) als leeres Ges<strong>ch</strong>wätz<br />

ers<strong>ch</strong>eint, als das Gerede der S<strong>ch</strong>wärmer. Sol<strong>ch</strong>e Leute sind Grundlagenverehrer<br />

oder sogar Fundamentalisten. Sie ers<strong>ch</strong>lagen mit ihren Worten die Seele des Wortes<br />

(Abel). Daher sieht Swedenborg in Kain den bloßen Glauben, der si<strong>ch</strong> von der<br />

256<br />

Viktor Mohr bringt Abel mit »ahab« (lieben) in Verbindung. Siehe H. E. Sponder, Haushaltung<br />

Gottes dur<strong>ch</strong> Jakob Lorber, Lexikaler Anhang, 1979, Seite 36.<br />

257<br />

Kain übt eine Arbeit aus, die ni<strong>ch</strong>t ihn frei ma<strong>ch</strong>t, sondern versklavt. Je mehr der Mens<strong>ch</strong><br />

dem Irdis<strong>ch</strong>en dient, je mehr er si<strong>ch</strong> von der Sorge um das Irdis<strong>ch</strong>e beherrs<strong>ch</strong>en lässt, desto<br />

unfreier wird er, desto mehr wird er vom Irdis<strong>ch</strong>en beherrs<strong>ch</strong>t. Daher kann Jesus sagen: »Wer<br />

die Sünde tut, ist Sklave der Sünde.« (Joh 8,34).


126 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

ges<strong>ch</strong>wisterli<strong>ch</strong>en Liebe verabs<strong>ch</strong>iedet hat (die Orthodoxie). Kain ist die sterile<br />

Glaubenswissens<strong>ch</strong>aft, die nur no<strong>ch</strong> die historis<strong>ch</strong>en Zusammenhänge beackert<br />

und die Seele des Wortes auf dem Feld ihrer theologis<strong>ch</strong>en Wissens<strong>ch</strong>aft erwürgt.<br />

Aber au<strong>ch</strong> Kain darf am Leben bleiben, und für Abel wird ein Ersatz (Set) gefunden,<br />

aus dem s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> das lebendige Wort (Jesus Christus) hervorgehen wird.<br />

Während die Tätigkeit Abels in der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te bisher keine Rolle spielte, hat<br />

die Tätigkeit Kains dort bereits eine Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te. Am Anfang des sogenannten<br />

zweiten S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>ts heißt es: »und (no<strong>ch</strong>) gab es keinen Mens<strong>ch</strong>en, um<br />

den Boden zu bebauen« (Gen 2,5). Die Bestimmung des Mens<strong>ch</strong>en besteht darin,<br />

dem Boden bzw. der Grundlage seines Daseins einen Dienst zu erweisen, nämli<strong>ch</strong><br />

den Dienst der Verbindung des äußeren Mens<strong>ch</strong>en mit dem inneren und innersten.<br />

Diesem Sinn seines Daseins darf der »adam« zunä<strong>ch</strong>st im Garten Eden na<strong>ch</strong>kommen,<br />

das heißt im Wonneland seiner kindli<strong>ch</strong>en Liebe zu seinem himmlis<strong>ch</strong>en<br />

Vater. Denn weiter heißt es: »Und Jahwe Elohim nahm den Mens<strong>ch</strong>en und<br />

setzte ihn in den Garten Eden, um ihn zu bebauen und ihn zu behüten.« (Gen<br />

2,15). Do<strong>ch</strong> der Mens<strong>ch</strong> konnte si<strong>ch</strong> in diesem Zustand der vollkommenen Geborgenheit<br />

in Jahwe Elohim (in der göttli<strong>ch</strong>en Liebe und Weisheit) ni<strong>ch</strong>t halten, deswegen<br />

muss er seinen Auftrag nun jenseits von Eden verwirkli<strong>ch</strong>en (im sog. Diesseits).<br />

»Und Jahwe Elohim ließ ihn aus dem Garten Eden gehen, um die S<strong>ch</strong>olle zu<br />

beackern, von der er genommen war.« (Gen 3,23). Kain ist dieser Ackermann jenseits<br />

von Eden, der den Staub kultivieren und dem Hö<strong>ch</strong>sten von daher etwas<br />

darbringen will.<br />

Zu Genesis 4,3: »Und es ges<strong>ch</strong>ah am Ende der Tage (miqqez jamim)«, so habe i<strong>ch</strong><br />

den Grundtext in Übereinstimmung mit der neukir<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Tradition übersetzt.<br />

Ni<strong>ch</strong>t unbeabsi<strong>ch</strong>tigt weckt diese Verdeuts<strong>ch</strong>ung die Vorstellung einer Endzeit,<br />

»es ges<strong>ch</strong>ah in der Endzeit (am Ende der Tage)«. Die hebräis<strong>ch</strong>e Wendung »miqqez<br />

jamim« wird von Swedenborg jedo<strong>ch</strong> ganz wörtli<strong>ch</strong> mit »a fine dierum« übersetzt.<br />

Die mögli<strong>ch</strong>st wörtli<strong>ch</strong>e deuts<strong>ch</strong>e Übersetzung lautet »vom Ende von Tagen«.<br />

Diese für unsere Ohren etwas fremde Formulierung meint einfa<strong>ch</strong> nur »na<strong>ch</strong><br />

dem Verlauf einer geraumen Zeit« 258 . Au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Swedenborg meint die hebräis<strong>ch</strong>e<br />

Wendung »ein Forts<strong>ch</strong>reiten in der Zeit« (»progressus temporis«, HG 347).<br />

Swedenborg enthüllt hier also ni<strong>ch</strong>t den inneren Sinn, sondern bes<strong>ch</strong>reibt einfa<strong>ch</strong><br />

nur den natürli<strong>ch</strong>en Wortsinn. Sol<strong>ch</strong>e Beoba<strong>ch</strong>tungen ma<strong>ch</strong>en wir bei der aufmerksamen<br />

Lektüre der »himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnisse« oft. Der Enthüller des inneren<br />

Sinnes ist oft nur ein guter Kenner der hebräis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>e.<br />

Das Wesen Kains brau<strong>ch</strong>t eine gewisse Zeit, um si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> außen hin so darstellen<br />

zu können, wie es innerli<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>affen ist. Zeiten bezei<strong>ch</strong>nen Zustände,<br />

die dur<strong>ch</strong>lebt werden müssen, um das Wesen vollständig zu verwirkli<strong>ch</strong>en oder<br />

258<br />

Na<strong>ch</strong> Delitzs<strong>ch</strong> meint die hebräis<strong>ch</strong>e Wendung »na<strong>ch</strong> Verlauf geraumer Zeit« (163). Na<strong>ch</strong><br />

Gesenius bedeutet »miqqez« »m. folg. Zeitbestimmung: n. Verlauf von« (719). Der Plural »jamim«<br />

kann au<strong>ch</strong> »einige Zeit« bedeuten (Gesenius 294).


Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 127<br />

um alles, was nur potentiell ist endli<strong>ch</strong> aktuell in Ers<strong>ch</strong>einung treten zu lassen.<br />

Die Endzeit ist so gesehen die Zeit der Vollendung, das heißt der vollendeten Darstellung<br />

des verborgenen Wesens auf der Ebene der äußeren Handlungen. Die<br />

Endzeit ist die Zeit der Apokalypsis bzw. der Enthüllung (des bis dato verborgenen<br />

Wesens). Den Gedanken eines »Forts<strong>ch</strong>reitens in der Zeit«, das zur sukzessiven<br />

Enthüllung des bösartigen Antriebs führt, äußert Swedenborg au<strong>ch</strong> im<br />

es<strong>ch</strong>atologis<strong>ch</strong>en Kapitel der »Wahren Christli<strong>ch</strong>en Religion«: »Es hat auf der Erde<br />

mehrere Kir<strong>ch</strong>en gegeben, und sie alle sind im Verlauf der Zeit (successu temporis)<br />

zu ihrem Ende gelangt (consummatae sunt).« (WCR 753). So brau<strong>ch</strong>t es also<br />

eine gewisse Zeit bis das bloße Fürwahrhalten oder die religiöse Re<strong>ch</strong>thaberei ihr<br />

wahres Gesi<strong>ch</strong>t vor aller Welt enthüllt. Der Bu<strong>ch</strong>stabenglaube oder der Fundamentalismus<br />

ist der Vater des Fanatismus und der Glaubenskriege. Glei<strong>ch</strong>es gilt<br />

für die säkularen Verwandten, die Ideologien. Sie würgen skrupellos die zarte<br />

Stimme des Gewissens im Dienste der hemmungslosen Selbstverwirkli<strong>ch</strong>ung<br />

ihrer eigenen Interessen ab.<br />

Frü<strong>ch</strong>te stehen in der Bilderspra<strong>ch</strong>e der heiligen S<strong>ch</strong>rift für die Hervorbringungen<br />

oder Produkte des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Geistes. Frü<strong>ch</strong>te stehen für seine Werke.<br />

Psalm 1 ist die Seligpreisung des Mannes, dessen Freude die Tora (Weisung)<br />

Jahwes ist. Dieser Mann »ist wie ein Baum, gepflanzt an Wasserbä<strong>ch</strong>en (Einflüsse<br />

aus der Gnadenquelle des göttli<strong>ch</strong>en Li<strong>ch</strong>tes), der seine Fru<strong>ch</strong>t bringt (seine Werke<br />

hervorbringt) zu seiner Zeit (in den dafür vorgesehenen Zuständen seines äußeren<br />

Lebens)« (Ps 1,3). Na<strong>ch</strong> Jesus zeigt si<strong>ch</strong> im (äußeren) Wirken das (innere)<br />

Wesen: »So bringt jeder gute Baum gute Frü<strong>ch</strong>te, der faule Baum aber bringt<br />

s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>te Frü<strong>ch</strong>te … Darum sollt ihr sie an ihren Frü<strong>ch</strong>ten erkennen.« (Mt<br />

7,17.20). Die Verbindung von »Fru<strong>ch</strong>t« und »Boden« in Genesis 4,3 lenkt unsere<br />

Betra<strong>ch</strong>tungen auf die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass Werke immer nur auf der Grundlage von<br />

Bedingungen, Umständen und Situationen verwirkli<strong>ch</strong>t werden können. Es besteht<br />

ein Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en Werken und empiris<strong>ch</strong>en Gegebenheiten. Im<br />

Falle Kains wird das irdis<strong>ch</strong>e Ges<strong>ch</strong>äft von der Ho<strong>ch</strong>ma<strong>ch</strong>t des Geistes allerdings<br />

ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong>drungen, denn Kain stellt die Eigenmä<strong>ch</strong>tigkeit des Mens<strong>ch</strong>en dar. Die<br />

Frü<strong>ch</strong>te seines Bodens sind auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> Produkte seiner eigenen Klugheit, leblose<br />

Konstrukte, leeres Stroh. Na<strong>ch</strong> Swedenborg sind es »Werke des Glaubens<br />

ohne Liebe« (HG 348). Sol<strong>ch</strong>e Werke heißen zwar au<strong>ch</strong> Frü<strong>ch</strong>te, im Gegensatz zu<br />

den Frü<strong>ch</strong>ten von oben fehlt ihnen aber der Saft aus der Wärme und dem Li<strong>ch</strong>t<br />

der Sonne. 259 Daher s<strong>ch</strong>rieb Swedenborg: »Frü<strong>ch</strong>te des Glaubens ist (eigentli<strong>ch</strong>)<br />

eine leere und sinnlose Redensart.« (KD 49). Zwar ist mit Abel die Bedeutung von<br />

Hau<strong>ch</strong> und Ni<strong>ch</strong>tigkeit verbunden, do<strong>ch</strong> im Grunde sind die »Werke des Glaubens<br />

ohne Liebe« null und ni<strong>ch</strong>tig.<br />

259<br />

Manfred Lurker sieht in der Fru<strong>ch</strong>t eine Verbindung von innen (Sonne) und außen (Erde):<br />

»Als Symbiose aus Erdtiefe und Li<strong>ch</strong>thöhe ist die Fru<strong>ch</strong>t das Produkt irdis<strong>ch</strong>en Gedeihens und<br />

si<strong>ch</strong>tbares Zei<strong>ch</strong>en göttli<strong>ch</strong>en Segens.« (Wörterbu<strong>ch</strong> biblis<strong>ch</strong>er Bilder und Symbole, 1990, Seite<br />

130).


128 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Swedenborg übersetzt »min<strong>ch</strong>ah« hier in Genesis 4,3 mit »munus« (»Gabe«, siehe<br />

Swedenborgs Übersetzung zwis<strong>ch</strong>en HG 323 und 324). 260 Oft übersetzt er das<br />

hebräis<strong>ch</strong>e Wort aber au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, so dass wir im lateinis<strong>ch</strong>en Text entweder »min<strong>ch</strong>a«<br />

oder »min<strong>ch</strong>ah« finden. 261 Einen Grund für diese uneinheitli<strong>ch</strong>e Praxis konnte<br />

i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t entdecken. »Min<strong>ch</strong>a« bedeutet na<strong>ch</strong> Swedenborg »Gabe« (»munus«, HG<br />

4262), gemeint ist die vegetabilis<strong>ch</strong>e Opfergabe, das Speiseopfer. Daher findet der<br />

Leser der deuts<strong>ch</strong>en Übersetzung der »himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnisse« hinter »min<strong>ch</strong>a«<br />

man<strong>ch</strong>mal in Klammern »Speisopfer« 262 .<br />

Die Opfergabe (»munus«) ist ein Bestandteil der Kultfeier (»cultus«). Daher bezei<strong>ch</strong>net<br />

sie Pars pro toto den Kult oder das Gottesverhältnis Kains (HG 349).<br />

Au<strong>ch</strong> diese Deutung Swedenborgs ist keine Enthüllung des inneren Sinnes, sondern<br />

einfa<strong>ch</strong> nur ein S<strong>ch</strong>luss vom Teil auf das Ganze.<br />

Die Erzählung von Kain und Abel und ihren Opfergaben spielt in der Zeit der Ältesten<br />

Kir<strong>ch</strong>e. Do<strong>ch</strong> von dieser Kir<strong>ch</strong>e sagt Swedenborg: Sie »wusste ni<strong>ch</strong>ts von<br />

Opfern (de sacrificiis)« (HG 2180). 263 Dieser Widerspru<strong>ch</strong> lässt si<strong>ch</strong> meines Era<strong>ch</strong>tens<br />

wie folgt auflösen. Die Erzählung vom Brudermord aus der Zeit der Ältesten<br />

Kir<strong>ch</strong>e ist mit Vorstellungen gestaltet, die aus einer späteren Zeit stammen.<br />

Zu Genesis 4,4: Abel bra<strong>ch</strong>te »von den Erstgeburten 264 seiner Herde« dar. Manfred<br />

Lurker weist auf die weite Verbreitung des Erstlingsopfers hin: »Der Brau<strong>ch</strong> eines<br />

Primitialopfers ist von vielen Naturvölkern her bekannt. Jägerstämme opfern das<br />

erste erlegte Wild oder einen Teil von ihm zu Beginn der Jagdsaison … In Ägypten<br />

wurde die erste, vom König selbst ges<strong>ch</strong>nittene Ähre dem Fru<strong>ch</strong>tbarkeitsgott Min<br />

geweiht … Die vorislamis<strong>ch</strong>en Araber haben während des Frühlingsfestes Erstlinge<br />

der Herden geopfert. Das grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e apar<strong>ch</strong>ae (Erstling, Erstlingsopfer) lässt<br />

erkennen, dass au<strong>ch</strong> im ägäis<strong>ch</strong>en Raum der Brau<strong>ch</strong> bekannt war, dur<strong>ch</strong> die<br />

Darbringung eines Teiles das Ganze zu weihen. Der Philosoph Aristoteles vertrat<br />

in seiner ›Nikoma<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Ethik‹ die Auffassung, dass das Primitialopfer die älte-<br />

260<br />

»Munus« als Übersetzung für »min<strong>ch</strong>ah« konnte i<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> in HG 3079 (für Jesaja 66,20), HG<br />

9293 (für Malea<strong>ch</strong>i 3,3.4), HG 2906 (für Malea<strong>ch</strong>i 3,4) und in HG 9293 (für Psalm 72,10) entdecken.<br />

261<br />

Siehe »min<strong>ch</strong>a« in HG 440, 1462, 2177, 2276, 2280, 2342, 2588, 3654, 3881, 4262, 5620,<br />

7356, 7602, 7978, 8159, 8540, 9207, 9295, 9298, 9475, 9993, 9995, 10079, 10137, 10140,<br />

10176, 10177, 10206, 10248, 10262, 10300, 10603. Siehe »min<strong>ch</strong>ah« in HG 4581, 5144,<br />

6280, 6377, 7356, 7602, 7906, 7978, 8159, 9475, 9992, 10129.<br />

262<br />

Siehe HG 2276, 3654, 7356, 7602, 9207, 9295, 9298, 9475, 10176, 10177, 10206 (Himmlis<strong>ch</strong>e<br />

Geheimnisse, orthographis<strong>ch</strong> und typographis<strong>ch</strong> revidierter Na<strong>ch</strong>druck der Basler Ausgabe<br />

von 1867-69, Züri<strong>ch</strong> 2000).<br />

263<br />

»Die Alten (antiqui) vor Eber wussten ni<strong>ch</strong>ts von Opfern (de sacrificiis)« (HG 10042). Na<strong>ch</strong> HG<br />

349 wurden im Judentum (Ecclesia Judaica) »Opfer (sacrificia) aller Art« »Gaben (munera)«<br />

genannt. Demna<strong>ch</strong> wäre »Gabe« der Oberbegriff, jedes Opfer wäre als Gabe zu verstehen.<br />

264<br />

Es besteht ein Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en »erstgeboren« und »segnen«. »Bekor« (Konsonantenfolge<br />

»bkr«) bedeutet »erstgeboren«, »berak« hingegen (Konsonantenfolge »brk«) bedeutet<br />

»segnen«. Beide Worte werden im Hebräis<strong>ch</strong>en aus denselben Konsonanten gebildet.


Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 129<br />

ste Form des Opfers überhaupt sei.« 265 Von Swedenborg erfahren wir: »Na<strong>ch</strong> den<br />

Ordnungen der alten Kir<strong>ch</strong>e sollten die Erstgeborenen Gott geheiligt werden.« (HG<br />

8080). Heute glauben viele Mens<strong>ch</strong>en an die glückbringende Eigens<strong>ch</strong>aft des Geldes.<br />

Daher nimmt der ar<strong>ch</strong>ais<strong>ch</strong>e Glaube an die Besonderheit des Erstgeborenen<br />

eine dieser Vorstellungswelt entspre<strong>ch</strong>ende Gestalt an. Das Symbol dieses Kultes<br />

ist der Bankier Dagobert Duck, der seinen sagenhaften Rei<strong>ch</strong>tum auf seinen ersten<br />

selbstverdienten Taler gründet und ihm magis<strong>ch</strong>e Kräfte zuspri<strong>ch</strong>t (das Motiv<br />

des Glückstalers). Im Glauben der alten Kir<strong>ch</strong>e stellte die Erstgeburt den Herrn<br />

und die Mä<strong>ch</strong>te seiner unmittelbaren Umgebung dar (HG 352). Indem Abel die<br />

Erstgeburten seines Rei<strong>ch</strong>tums dem Herrn darbringt, weiht er das Ganze dem<br />

Herrn, denn das Erste ist der Inbegriff des Ganzen. Abel gehört als Ganzer dem<br />

Herrn, weil er seine Habe im Prinzip (= in Gestalt des Ersten) dem Herrn übergeben<br />

hat. So wird Abel zur ersten Vorbildung Christi, der si<strong>ch</strong> als Ganzer der Urma<strong>ch</strong>t<br />

seines Vaters darbra<strong>ch</strong>te, indem er seinen mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Eigenwillen ganz<br />

und gar Gott übergab. So wurde Christus »der Erstgeborene von den Toten« (Offb<br />

1,5), wobei die Toten diejenigen sind, die im Ma<strong>ch</strong>tberei<strong>ch</strong> des Eigenwillens gefangen<br />

und erstarrt sind.<br />

Kain ist zwar der Erstgeborene von Adam und Eva (HG 338) und au<strong>ch</strong> derjenige,<br />

der zuerst seine Gabe darbringt, aber Abel ist der Darbringer des Erstgeborenen.<br />

Daher entbrennt ein Rangstreit, denn beide sind irgendwie Erste. Swedenborg sah<br />

darin die Rivalität von Glaube (Dogmatik) und Liebe (Ethik) in der Kir<strong>ch</strong>e: »Der<br />

Glaube … ist zwar das Erste der Zeit na<strong>ch</strong>, die Liebe aber … ist es dem Endzweck<br />

na<strong>ch</strong>. Sie ist also das Vorzügli<strong>ch</strong>ere und damit in Wirkli<strong>ch</strong>keit das Erste und Erstgeborene.<br />

Was nur zeitli<strong>ch</strong> vorhergeht, ist bloß dem S<strong>ch</strong>ein na<strong>ch</strong> das Erste, ni<strong>ch</strong>t<br />

aber in Wirkli<strong>ch</strong>keit.« (WCR 336). Ebenso ist die irdis<strong>ch</strong>e Geburt zwar zeitli<strong>ch</strong> die<br />

erste, aber die zweite Geburt oder die Wiedergeburt ist in Wahrheit die erste,<br />

denn sie ist die beabsi<strong>ch</strong>tigte. Ebenso war das Volk Israel zwar zeitli<strong>ch</strong> das erste<br />

Volk Gottes, aber zuglei<strong>ch</strong> war es eine Vorbildung des neuen Gottesvolkes, das<br />

si<strong>ch</strong> um den Messias sammelte. Die Blüte ist das Erste im zeitli<strong>ch</strong>en Entwicklungsgang,<br />

aber die Fru<strong>ch</strong>t ist das Ziel und somit das Erste in der Absi<strong>ch</strong>t. Die<br />

Blüte sollte anerkennen, dass sie um der Fru<strong>ch</strong>t willen da ist, wenn sie das ni<strong>ch</strong>t<br />

tut, dann wird die s<strong>ch</strong>öne Blüte zum Brudermörder.<br />

»Von den Erstgeburten seiner Herde« bra<strong>ch</strong>te Abel »die fetten Stücke« dar. Unser<br />

Blick wird vom Allgemeinen (die Erstgeburten) auf das Besondere (die fetten<br />

Stücke der Erstgeburten) gelenkt. Diesen Sinn s<strong>ch</strong>eint hier die hebräis<strong>ch</strong>e Kopula<br />

»we« zu haben, die wir deswegen mit »und zwar« übersetzt haben. 266 Eine Auswirkung<br />

auf die Übersetzung hat au<strong>ch</strong> die eigentümli<strong>ch</strong>e Punktation (= Vokalisation)<br />

von »<strong>ch</strong>eleb« (»Fett«) im masoretis<strong>ch</strong>en Text. Sie setzt »<strong>ch</strong>eleb« in den Plural.<br />

265<br />

Manfred Lurker, Wörterbu<strong>ch</strong> der biblis<strong>ch</strong>en Bilder und Symbole, 1990, Seite 97f.<br />

266<br />

Wir folgen damit Franz Delitzs<strong>ch</strong>, der hier ein »we« »der erklärenden Anknüpfung des Besonderen<br />

an das Allgemeine« sieht (163).


130 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Daher »stritt bereits der Talmud darüber, ob es si<strong>ch</strong> um Fettstücke … oder um fette<br />

Tiere … handelte.« (Seebass 151). Swedenborg übersieht den Plural oder trennt<br />

si<strong>ch</strong> bewusst von den Punktatoren und interpretiert die Konsonantenfolge »<strong>ch</strong>lb«<br />

als Singular, so dass wir bei ihm lesen: »et de pinguedine eorum« (= und vom Fett<br />

der Erstgeborenen). Wir halten den Plural jedo<strong>ch</strong> für die bessere Lesart, zuglei<strong>ch</strong><br />

aber folgen wir Swedenborg darin, dass hier das fettrei<strong>ch</strong>e Gewebe gemeint ist,<br />

ni<strong>ch</strong>t die fetten Tiere. Diese Vorüberlegungen führen dann zu der folgenden Übersetzung:<br />

»Au<strong>ch</strong> Abel, (ja) au<strong>ch</strong> er, bra<strong>ch</strong>te (Jahwe eine Gabe) dar, (eine Gabe) von<br />

den Erstgeburten seiner Herde und zwar von ihrem Fett.« Um den Plural von »<strong>ch</strong>eleb«<br />

in der deuts<strong>ch</strong>en Übersetzung auftau<strong>ch</strong>en zu lassen, könnte man statt »von<br />

ihrem Fett« »von ihren fetten Stücken« wählen.<br />

Soweit zur Übersetzung. Sie ist wi<strong>ch</strong>tig, aber nur ein erster S<strong>ch</strong>ritt. Das Ziel sind<br />

die Gipfelerlebnisse der Innensinnerfassung. Sie werden dem, der geduldig das<br />

Gebirge der göttli<strong>ch</strong>en Wortoffenbarung besteigt, am Ende gegeben. Die große<br />

Synthese des geistigen Verständnisses lässt si<strong>ch</strong> mit Worten der äußeren Spra<strong>ch</strong>e<br />

ni<strong>ch</strong>t mehr mitteilen. So können die Eingeweihten die »Arcana Caelestia« ni<strong>ch</strong>t<br />

verraten. Aber bis zu einem gewissen Grade können wir uns verbal austaus<strong>ch</strong>en<br />

und gegenseitig ein Stück weit mitnehmen. In diesem Sinne weise i<strong>ch</strong> darauf hin,<br />

dass uns ni<strong>ch</strong>t selten bereits ein Blick in ein umfangrei<strong>ch</strong>eres hebräis<strong>ch</strong>es Lexikon<br />

wi<strong>ch</strong>tige Winke gibt, die wir dankbar aufgreifen können. Vom Hebraisten<br />

Wilhelm Gesenius (1786 - 1842) erfahren wir in seinem Wörterbu<strong>ch</strong> das Folgende:<br />

»Cheleb« bedeutet »eigentli<strong>ch</strong> das fettrei<strong>ch</strong>e, die Eingeweide bedeckende<br />

Netz«, dann »Fett« und s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> »bildli<strong>ch</strong> das Beste, Vorzügli<strong>ch</strong>ste« 267 . Insbesondere<br />

die in »<strong>ch</strong>eleb« enthaltene Bedeutung »das Beste« lässt uns aufhor<strong>ch</strong>en.<br />

Demna<strong>ch</strong> gibt Abel das Beste von den Erstgeburten seiner Herde. Wenn wir bedenken,<br />

dass s<strong>ch</strong>on die Erstgeburten etwas Besonderes sind, dann sehen wir<br />

au<strong>ch</strong>, dass Abel das Beste vom Besten gibt, gewissermaßen »die Creme de la Creme«.<br />

Do<strong>ch</strong> damit sind die Zugänge zu einem tieferen Verständnis, die uns allein<br />

s<strong>ch</strong>on ein gutes Wörterbu<strong>ch</strong> eröffnet, no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ers<strong>ch</strong>öpft. Mit Gesenius kommen<br />

wir zumindest im vorliegenden Fall fast so weit wie mit Swedenborg. Denn wir<br />

erfahren, dass »na<strong>ch</strong> den Arabern« 268 »<strong>ch</strong>eleb« der »Sitz der Gefühle« ist. Deshalb<br />

heißt es in Psalm 17,10: »Sie vers<strong>ch</strong>ließen ihr <strong>ch</strong>eleb«, das heißt sie »sind fühllos«<br />

(siehe Gesenius 231). Hier hat »<strong>ch</strong>eleb« beinahe die Bedeutung von Herz (das<br />

Herz als »Sitz der Gefühle«), und dementspre<strong>ch</strong>end finden wir in der Zür<strong>ch</strong>er Bibel<br />

die Übersetzung: »Ihr Herz haben sie vers<strong>ch</strong>lossen«. Einmal auf diese Fährte<br />

gebra<strong>ch</strong>t, entdecken wir dann au<strong>ch</strong>, dass »<strong>ch</strong>-lb« die Konsonanten des hebräis<strong>ch</strong>en<br />

267<br />

Wilhelm Gesenius' hebräis<strong>ch</strong>es und aramäis<strong>ch</strong>es Handwörterbu<strong>ch</strong> über das Alte Testament,<br />

bearbeitet von Frants Buhl, unveränderter Neudruck der 1915 ers<strong>ch</strong>ienenen 17. Auflage, Berlin,<br />

Göttingen, Heidelberg 1962, Seite 231. Die Abkürzungen wurden im Interesse der lei<strong>ch</strong>teren<br />

Lesbarkeit dur<strong>ch</strong> die Vollform ersetzt.<br />

268<br />

Arabis<strong>ch</strong> ist ebenso wie Hebräis<strong>ch</strong> eine semitis<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e.


Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 131<br />

Wortes für »Herz« enthält, nämli<strong>ch</strong> »lb«. 269 Diese Gedanken bringen uns ganz in<br />

die Nähe von Swedenborg, denn na<strong>ch</strong> ihm bezei<strong>ch</strong>net Fett »das Himmlis<strong>ch</strong>e«,<br />

wobei »das Himmlis<strong>ch</strong>e« in seiner Terminologie alles bezei<strong>ch</strong>net, »was zur Liebe<br />

gehört« (»caeleste est omne quod est amoris«, HG 353). Abel ist also derjenige, der<br />

das darbringt, was im Mens<strong>ch</strong>en dem Herrn gehört (das sind die Erstgeburten),<br />

nämli<strong>ch</strong> die Kraft des Herzens oder die Ma<strong>ch</strong>t der Liebe (das ist das Fettrei<strong>ch</strong>e).<br />

Abel ist sona<strong>ch</strong> derjenige, der si<strong>ch</strong> mit ganzer Liebe dem Herrn hingibt.<br />

Daher wundern wir uns nun ni<strong>ch</strong>t mehr, wenn es im Folgenden heißt: »Und Jahwe<br />

s<strong>ch</strong>aute auf Abel und auf seine Gabe hin. Aber auf Kain und seine Gabe s<strong>ch</strong>aute er<br />

ni<strong>ch</strong>t hin.« (Gen 4,4.5). Den Exegeten des äußeren oder historis<strong>ch</strong>en Sinnes muss<br />

die Annahme des einen und die Ablehnung des anderen Opfers als reine Willkür<br />

Jahwes ers<strong>ch</strong>einen. Denn ein Grund ist auf der Ebene des Bu<strong>ch</strong>stabens ni<strong>ch</strong>t erkennbar.<br />

Horst Seebass s<strong>ch</strong>reibt: »Wenn man bedenkt, dass no<strong>ch</strong> keine Opferanordnung<br />

ergangen war, kann man zwar Unters<strong>ch</strong>iede zwis<strong>ch</strong>en den Opfern Kains<br />

und Hebels, aber keine hinrei<strong>ch</strong>ende Begründung für die Ablehnung des Opfers<br />

finden« (151). Der Bu<strong>ch</strong>stabe ist der S<strong>ch</strong>atten des Wortes, und als sol<strong>ch</strong>er zeigt er<br />

uns die Wahrheit nur in einem dunklen, allgemeinen Umriss. »Der innere Sinn«<br />

hingegen ist »das Li<strong>ch</strong>t des Himmels« (HG 3438, 4783), und als sol<strong>ch</strong>er führt eben<br />

nur er uns in die geistige Organik des Wortes ein und lässt uns Zusammenhänge<br />

erkennen, die bei der auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> bu<strong>ch</strong>stäbli<strong>ch</strong>en Untersu<strong>ch</strong>ung des Wortes im<br />

Dunkeln bleiben. Der Erfors<strong>ch</strong>er der geistigen Organik des Wortes kann si<strong>ch</strong> die<br />

Annahme der einen und die Ablehnung der anderen Gabe aus vielen Hinweisen,<br />

die wir bespro<strong>ch</strong>en haben, verständli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en. Dazu gehören die Bedeutungen<br />

der Namen »Kain« und »Abel«, der Akkusativ Jahwe (Gen 4,1), die Tätigkeiten<br />

Abels als »Hirt der Herde« und Kains als »Kne<strong>ch</strong>t des Bodens« (Gen 4,2) und die<br />

»Erstgeburten« oder genauer ihr »Fett« (Gen 4,4).<br />

Zu Genesis 4,5: »Und es entbrannte dem Kain (der Zorn) sehr«. Swedenborgs lateinis<strong>ch</strong>e<br />

Übersetzung der Genesis ist eine sehr wörtli<strong>ch</strong>e. Er übersetzt jedes hebräis<strong>ch</strong>e<br />

Wort eins zu eins, das heißt für ein hebräis<strong>ch</strong>es Wort steht in der lateinis<strong>ch</strong>en<br />

Übersetzung au<strong>ch</strong> nur ein lateinis<strong>ch</strong>es Wort. Das jedenfalls ist die Regel<br />

oder die allgemeine Tendenz. Hier aber übersetzt Swedenborg die Verbform »wajji<strong>ch</strong>ar«<br />

mit »et accensa est ira« (und der Zorn ist entzündet worden), das heißt mit<br />

einer Verbform und zusätzli<strong>ch</strong> einem Nomen. Diese Ausnahme von der Regel ist<br />

269<br />

Vgl. die Ausführungen von M. Kahir zum Wortstamm »Keleb«: »Nimmt man … K als Vorsatzlaut<br />

und leb als Wurzel, ergibt si<strong>ch</strong> die Bedeutung: k = die Kraft, leb = des Herzens, der Liebe!<br />

Und das ist wieder das göttli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>öpfungswort, dem alles Ges<strong>ch</strong>affene das Leben verdankt.<br />

Findet si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> diese Lautverbindung im Hebräis<strong>ch</strong>en vor? Ja, und zwar als das aspiriert gespro<strong>ch</strong>ene<br />

›<strong>ch</strong>eleb‹ = das Beste, Vorzügli<strong>ch</strong>ste! Wir sehen damit, daß die alten Wortbildner<br />

<strong>ch</strong>aleb, die Kraft der Liebe, wirkli<strong>ch</strong> als das Beste und den hö<strong>ch</strong>sten Aspekt der Gottheit auffaßten.<br />

Wie jedes ursprüngli<strong>ch</strong> geistige Wort erhielt au<strong>ch</strong> <strong>ch</strong>eleb später von den ›Kindern der<br />

Fleis<strong>ch</strong>töpfe Ägyptens‹ einen rein materiellen Sinn unterlegt. Das Wort nahm die Bedeutung<br />

›das Fetteste, das Beste vom Eingeweidefett‹ an und der einstige Sinn verlor si<strong>ch</strong> gänzli<strong>ch</strong>.«<br />

(Das verlorene Wort, 1960, Seite 277).


132 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

gut begründet, denn das hebräis<strong>ch</strong>e Verb »<strong>ch</strong>arah«, das ursprüngli<strong>ch</strong> wohl »brennen«<br />

bedeutete, wird im Alten Testament nur vom Zorn ausgesagt (siehe Gesenius<br />

258). Der Zusatz »ira« (Zorn) hebt also nur das hervor, was im Verb s<strong>ch</strong>on enthalten<br />

ist. Die auf diese Übersetzung folgende Auslegung des inneren Sinnes ist vor<br />

diesem Hintergrund nur eine Auss<strong>ch</strong>öpfung des den Worten bereits innewohnenden<br />

Sinnes. Wo der Zorn entbrennt, da wei<strong>ch</strong>t die Liebe zurück (siehe HG 357).<br />

Dass die Lieblosigkeit das Regiment übernimmt, wird au<strong>ch</strong> der Fortgang der Erzählung<br />

zeigen, nämli<strong>ch</strong> der Brudermord (siehe HG 357). Die Auslegung des inneren<br />

Sinnes ergibt si<strong>ch</strong> wieder einmal ganz zwanglos aus der genauen Erfassung<br />

des Textes.<br />

Infolge des Zornes senkte si<strong>ch</strong> Kains Angesi<strong>ch</strong>t. Swedenborg sagt: »Das Angesi<strong>ch</strong>t<br />

bezei<strong>ch</strong>nete bei den Alten das Innere, weil dur<strong>ch</strong> das Angesi<strong>ch</strong>t das Innere hervorleu<strong>ch</strong>tet.«<br />

(HG 358). Das Hebräis<strong>ch</strong>e belegt diese Interpretation. »Panim« ist<br />

das hebräis<strong>ch</strong>e Wort für »Angesi<strong>ch</strong>t«. Nominale Weiterbildungen der Wurzel sind<br />

»penimah« mit der Bedeutung »inwendig« und »penimi« mit der Bedeutung »innerer«.<br />

Das Angesi<strong>ch</strong>t meint demna<strong>ch</strong> »das Innere«, allerdings nur insoweit es si<strong>ch</strong><br />

äußert bzw. dem Äußeren zuwendet. Denn das Verb »panah« bedeutet »si<strong>ch</strong> zuwenden«.<br />

270 Man<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>fors<strong>ch</strong>er leiten »panim« (Angesi<strong>ch</strong>t) überdies von<br />

»Peh«, das »Mund« bedeutet, her (THAT II,436). Sollte diese (unsi<strong>ch</strong>ere) Herleitung<br />

stimmen, dann würde sie ihrerseits zeigen, dass das Angesi<strong>ch</strong>t ein Ort der<br />

Äußerung des Inneren ist. Auf dem Angesi<strong>ch</strong>t kommt das Innere zum Vors<strong>ch</strong>ein,<br />

weswegen es s<strong>ch</strong>on den alten Weisen als »Spiegel der Seele« galt (vgl. Sira<strong>ch</strong><br />

13,25).<br />

Kains Angesi<strong>ch</strong>t »fiel« oder »senkte si<strong>ch</strong>«. Die Übersetzung von Seebass »und sein<br />

Angesi<strong>ch</strong>t verfiel« (143) wirkt wie eine Verlegenheitslösung. Einerseits soll der<br />

Sinn des hebräis<strong>ch</strong>en Verbs »napal« (fallen) mögli<strong>ch</strong>st direkt wiedergegeben werden,<br />

andererseits erfasst Seebass den Sinn offenbar ni<strong>ch</strong>t, sondern vers<strong>ch</strong>leiert<br />

ihn eher. Dabei ist die Aussage lei<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong>vollziehbar. Denn der si<strong>ch</strong> senkende<br />

Blick unterbri<strong>ch</strong>t die zwis<strong>ch</strong>enmens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Verbindung (den Blickkontakt). Wenn<br />

wir nun no<strong>ch</strong> den Kontext bedenken, wona<strong>ch</strong> vom fallenden Gesi<strong>ch</strong>t im Ans<strong>ch</strong>luss<br />

an den entbrennenden Zorn die Rede ist, dann sind wir bei Swedenborgs Deutung.<br />

Der gesenkte Blick stellt die Lieblosigkeit oder die zwis<strong>ch</strong>enmens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Kälte<br />

sehr ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong> dar. (HG 358). Wenn wir die Grundbedeutung von »napal«, nämli<strong>ch</strong><br />

»fallen«, no<strong>ch</strong> offenkundiger in unsere Überlegungen einbeziehen wollen,<br />

dann können wir sagen: Kain wird gewissermaßen von der S<strong>ch</strong>werkraft seines<br />

eigenen Wesens angezogen. Er fällt in den Abgrund seiner unwiedergeborenen<br />

Natur. Er verfällt dem todbringenden Hass.<br />

Zu Genesis 4,6: Jahwes Spre<strong>ch</strong>en bezieht Swedenborg auf »das Gewissen« (HG<br />

359), das na<strong>ch</strong> seinem Verständnis »eine innere Stimme« (dictamen internum, NJ<br />

139) ist. Damit stimmt er mit der <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>en Tradition und Kant überein, die das<br />

270<br />

Das deuts<strong>ch</strong>e Wort »Antlitz« bedeutet »das Entgegenblickende«.


Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 133<br />

Gewissen als Stimme Gottes im Mens<strong>ch</strong>en gedeutet haben. Swedenborg spri<strong>ch</strong>t<br />

hier im Zusammenhang der ältesten Kir<strong>ch</strong>e von »Gewissen«. Darin kann man eine<br />

spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Inkonsequenz erblicken, denn andernorts sagt er, dass die älteste<br />

Kir<strong>ch</strong>e kein »Gewissen«, sondern ein »Innewerden« oder eine »innere Wahrnehmung«<br />

(perceptio) hatte (HG 597, 393). Do<strong>ch</strong> abgesehen von dieser terminologis<strong>ch</strong>en<br />

Inkonsequenz steht fest, dass si<strong>ch</strong> Jahwe in Kain no<strong>ch</strong> immer bemerkbar<br />

ma<strong>ch</strong>en kann, und zwar um eine »Selbstbesinnung über seinen Zustand«<br />

271 herbeizuführen. Das zweimalige »Warum« in Vers 6 greift das in Vers 5<br />

ges<strong>ch</strong>ilderte Ges<strong>ch</strong>ehen auf. Kain wird damit die Mögli<strong>ch</strong>keit gegeben, die Vorgänge,<br />

die si<strong>ch</strong> in und an ihm ereignen, zu betra<strong>ch</strong>ten und zu bewerten. Kain<br />

steht in der Gefahr, von den in ihm wirkenden Affekten ergriffen und fortgerissen<br />

zu werden. Jahwes Einspra<strong>ch</strong>e eröffnet ihm demgegenüber die Chance, do<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong><br />

den Affekten zu entkommen, die ihn zu ihrem Spielball ma<strong>ch</strong>en wollen. Jahwe als<br />

der Seiende will, dass au<strong>ch</strong> Kain ein freies Subjekt wird.<br />

Zu Genesis 4,7: Diesem Vers geht der Ruf voraus, der dunkelste der Genesis zu<br />

sein (Seebass 152). Bes<strong>ch</strong>ränken wir uns zunä<strong>ch</strong>st auf die erste Vershälfte. Ein<br />

Blick in einige deuts<strong>ch</strong>e Bibeln zeigt, dass unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Übersetzungen mögli<strong>ch</strong><br />

sind. Die Elberfelder Bibel hat den folgenden Text: »Ist es ni<strong>ch</strong>t (so), wenn du<br />

re<strong>ch</strong>t tust, erhebt es si<strong>ch</strong>? Wenn du aber ni<strong>ch</strong>t re<strong>ch</strong>t tust, lagert die Sünde vor der<br />

Tür.« Das Pronomen »es« steht für »Gesi<strong>ch</strong>t«. Aber erhebt si<strong>ch</strong> das Gesi<strong>ch</strong>t Jahwes<br />

272 oder Kains? Ganz anders versteht Hermann Menge den Urtext, denn in<br />

seiner Übersetzung lesen wir: »Wird ni<strong>ch</strong>t, wenn du re<strong>ch</strong>t handelst, dein Opfer<br />

angenommen? lagert (oder: lauert) ni<strong>ch</strong>t, wenn du böse handelst, die Sünde vor<br />

der Tür«. Von der Erhebung eines Gesi<strong>ch</strong>tes ist hier gar ni<strong>ch</strong>t die Rede. Stattdessen<br />

soll es um die Annahme des Opfers von Kain gehen. Wiederum eine ganz<br />

andere Variante fand Swedenborg in der lateinis<strong>ch</strong>en Bibel von Sebastian<br />

S<strong>ch</strong>midt. Dort las er: »Nonne si bene feceris (munus tuum pro peccato,) erit remissio<br />

: si vero non bene feceris, ad ostium peccatum est cubans quis?« Die deuts<strong>ch</strong>e<br />

Übersetzung dieser Lesart lautet: »Ist es ni<strong>ch</strong>t so, wenn du sie (= deine Gabe für<br />

die Sünde) gut darbringst, dann wird Vergebung erfolgen? Wenn du sie aber ni<strong>ch</strong>t<br />

gut darbringst, ist dann ni<strong>ch</strong>t die Sünde eine Lagernde vor der Tür?« Na<strong>ch</strong><br />

S<strong>ch</strong>midt geht es also um »Vergebung«. Der Grund für diese Vielfalt ist die Mehrdeutigkeit<br />

des hebräis<strong>ch</strong>en Wortes »se’et«, das Erhebung, Annahme oder Vergebung<br />

bedeuten kann. Eine weitere S<strong>ch</strong>wierigkeit in der ersten Vershälfte besteht<br />

darin, dass das weibli<strong>ch</strong>e Substantiv »Sünde« mit dem männli<strong>ch</strong>en Partizip »robez«<br />

(der Lagernde) verbunden ist. Daher kann man ni<strong>ch</strong>t übersetzen: »die Sünde<br />

lagert«. Zwei Hinweise können zur Lösung des Problems beitragen. Erstens ist im<br />

271<br />

August Dillmann, Die Genesis, 1886, Seite 93.<br />

272<br />

So zum Beispiel im aaronitis<strong>ch</strong>en Segen: »Jahwe erhebe sein Angesi<strong>ch</strong>t auf di<strong>ch</strong> und gebe dir<br />

Frieden!« (Numeri 6,26).


134 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Akkadis<strong>ch</strong>en »rabisum« als Wort für einen Dämon belegt. 273 Zweitens ist »na<strong>ch</strong>as<strong>ch</strong>«,<br />

die »S<strong>ch</strong>lange« von Genesis 3, ein männli<strong>ch</strong>es Substantiv. Daher könnte<br />

Genesis 4,7 Genesis 3 aufnehmen, so dass si<strong>ch</strong> die folgende Übersetzung ergäbe:<br />

»Wenn du aber ni<strong>ch</strong>t Gutes tust, dann ist die Sünde ein lauernder S<strong>ch</strong>langendämon<br />

vor der Tür.« Betra<strong>ch</strong>ten wir nun die zweite Vershälfte. Der hebräis<strong>ch</strong>e Text<br />

ist zweideutig. Denn die männli<strong>ch</strong>en Suffixe (= die Personalendungen) sind sowohl<br />

auf den Lagernden (»robez«) als au<strong>ch</strong> auf Abel beziehbar. Daher ist im ersten<br />

Fall zu lesen: »… und na<strong>ch</strong> dir (Kain) ist sein Verlangen (das Verlangen des lagernden<br />

Dämons), du (Kain) aber sollst ihn (den Dämon) beherrs<strong>ch</strong>en.« Im zweiten<br />

Fall hingegen ist zu lesen: »… und na<strong>ch</strong> dir (Kain) ist sein (Abels) Verlangen,<br />

du (Kain) aber willst Herr über ihn (Abel) sein.«<br />

Ein so wenig eindeutiger Vers lenkt unsere Aufmerksamkeit ganz besonders auf<br />

die Ents<strong>ch</strong>eidungen, die Swedenborg als Übersetzer und Ausleger der Genesis<br />

getroffen hat. Swedenborg wurde bereits als Student in Uppsala in die hebräis<strong>ch</strong>e<br />

Spra<strong>ch</strong>e eingeführt. Und bevor er »die himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnisse« s<strong>ch</strong>rieb, nahm<br />

er das Studium dieser Spra<strong>ch</strong>e wieder auf und vertiefte seine Kenntnisse. Swedenborg<br />

besaß mehrere hebräis<strong>ch</strong>e Bibeln und lateinis<strong>ch</strong>e Übersetzungen derselben,<br />

außerdem hebräis<strong>ch</strong>e Wörterbü<strong>ch</strong>er, wenigstens eine hebräis<strong>ch</strong>e Grammatik<br />

und sonstige Literatur zum Alten Testament. Mit diesen Hilfsmitteln erarbeitete er<br />

si<strong>ch</strong>, soweit es der Fors<strong>ch</strong>ungsstand seiner Zeit erlaubte, eine klare Vorstellung<br />

vom Bu<strong>ch</strong>stabensinn, den wir heute den historis<strong>ch</strong>en Sinn nennen. 274 Hinzu<br />

kommt bei jedem Übersetzer das Gespür für das Gemeinte. Dieses Gespür wird<br />

besonders dann ents<strong>ch</strong>eidend, wenn der Urtext mehrdeutig ist. Dieser hier nur<br />

angedeutete kenntnisrei<strong>ch</strong>e Hintergrund, über den Swedenborg verfügte, führte<br />

im vorliegenden Fall zu der folgenden Übersetzung: »Annon si benefacis, elevatio?<br />

et si non benefacis, ad januam peccatum cubans; et ad te desiderium ejus, et tu<br />

dominaris ei.« (Tafels Übersetzung dieser Übersetzung Swedenborgs: »Ni<strong>ch</strong>t<br />

wahr? wenn du Gutes thust, so ist Erhebung; und wenn du ni<strong>ch</strong>t Gutes thust, so<br />

liegt die Sünde vor der Thür, und zu dir ist sein Verlangen, und du herrs<strong>ch</strong>est<br />

über dasselbe.« 275 ). Aus dieser Übersetzung und der Auslegung von Vers 7 in HG<br />

361 bis 365 können wir nun Swedenborgs Verständnis des berü<strong>ch</strong>tigten dunkelsten<br />

Verses der gesamten Genesis entnehmen.<br />

Demna<strong>ch</strong> meint »se’et« hier »Erhebung« (elevatio). Swedenborg übernahm ni<strong>ch</strong>t<br />

die Übersetzung »Vergebung« (remissio), die er bei Sebastian S<strong>ch</strong>midt vorfand.<br />

Die »Erhebung« ist auf das Gesi<strong>ch</strong>t Kains zu beziehen. Das geht hinrei<strong>ch</strong>end deutli<strong>ch</strong><br />

aus HG 363 hervor. Der biblis<strong>ch</strong>e Autor will dem Senken oder dem Fall des<br />

273<br />

Seebass zitiert Speiser mit den Worten: »… well known in Akkadian as rabisum, a term for<br />

›demon‹. These beings were depicted both as benevolent, often lurking at the entrance of a<br />

Building to protect or threaten the occupants.« (Seebass 144).<br />

274<br />

Einzelheiten bei Alfred Acton, An Introduction to the Word Explained, 1927, 124 - 125.<br />

275<br />

Diese Übersetzung ist dem ersten Band der Übersetzung der himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnisse von<br />

Immanuel Tafel entnommen, die in Tübingen 1845 ers<strong>ch</strong>ienen ist.


Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 135<br />

Gesi<strong>ch</strong>tes (= des Inneren) die Erhebung desselben gegenüberstellen. Bevor der<br />

Erzähler zum Brudermord kommt, s<strong>ch</strong>altet er einen Augenblick der Besinnung<br />

ein. Dadur<strong>ch</strong> nimmt er dem Ges<strong>ch</strong>ehen das Unauswei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e. Kain war seiner<br />

Natur (= der Bes<strong>ch</strong>affenheit seiner Geburt) ni<strong>ch</strong>t zwingend ausgeliefert. Er hatte<br />

no<strong>ch</strong> immer das »liberum arbitrium«, das heißt die »freie Wahl« zwis<strong>ch</strong>en der<br />

Sünde vor seiner Tür und der Stimme Gottes. Obwohl si<strong>ch</strong> sein Inneres s<strong>ch</strong>on<br />

bedrohli<strong>ch</strong> gesenkt oder verfinstert hatte, stand ihm no<strong>ch</strong> immer die Mögli<strong>ch</strong>keit<br />

offen, sein Gesi<strong>ch</strong>t wieder zu erheben.<br />

Die Sünde ist ni<strong>ch</strong>t nur ein persönli<strong>ch</strong>es Fehlverhalten, das jederzeit korrigierbar<br />

ist, sondern eine überindividuelle Ma<strong>ch</strong>t, die um so größer und unbeherrs<strong>ch</strong>barer<br />

wird, je mehr wir ihr na<strong>ch</strong>geben. Wir sahen bereits: Die hier vorliegende hebräis<strong>ch</strong>e<br />

Konstruktion soll uns wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> die Sünde als einen Dämon oder als die<br />

S<strong>ch</strong>lange von Genesis 3 ansi<strong>ch</strong>tig werden lassen. Ob au<strong>ch</strong> Swedenborg diese Verständnismögli<strong>ch</strong>keit<br />

gesehen hat, ist aufgrund seiner Übersetzung ni<strong>ch</strong>t ents<strong>ch</strong>eidbar,<br />

weil das Lateinis<strong>ch</strong>e das männli<strong>ch</strong>e und das weibli<strong>ch</strong>e Partizip ni<strong>ch</strong>t<br />

unters<strong>ch</strong>eidet. Einen s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en Hinweis darauf, dass Swedenborgs Feinsinn hier<br />

die Komponente »Dämon« wahrgenommen haben könnte, liefert uns seine Aussage<br />

in HG 364, dass »Sünde« in der Spra<strong>ch</strong>e der Bibel »für den Teufel« stehen kann.<br />

Bleibt no<strong>ch</strong> die Frage, auf wen die Suffixe in der zweiten Vershälfte zu beziehen<br />

sind. Aus Swedenborgs Auslegung geht hervor, dass er die zweite der oben genannten<br />

Lesarten für die ri<strong>ch</strong>tige hielt (siehe HG 361, 370, 372). In der Tradition<br />

Swedenborgs müssen wir also unter Zuhilfenahme von verdeutli<strong>ch</strong>enden Eins<strong>ch</strong>üben<br />

in Klammern übersetzen: »… und na<strong>ch</strong> dir (Kain) ist sein (Abels) Verlangen,<br />

du (Kain) aber willst über ihn (Abel) herrs<strong>ch</strong>en.« Man muss »die himmlis<strong>ch</strong>en<br />

Geheimnisse« allerdings s<strong>ch</strong>on sehr genau lesen, um erkennen zu können, dass<br />

das das Verständnis Swedenborgs vom Urtext war. Daher ist es verzeihli<strong>ch</strong>, dass<br />

selbst der Übersetzer und der Revisor der Neukir<strong>ch</strong>enbibel den Vers 7 gemessen<br />

an Swedenborgs Ents<strong>ch</strong>eidungen ni<strong>ch</strong>t vollkommen ri<strong>ch</strong>tig ins Deuts<strong>ch</strong>e übertragen<br />

haben. Bei Leonhard Tafel lesen wir: »Wenn du aber ni<strong>ch</strong>t Gutes thust, lauert<br />

die Sünde vor der Thür und begehrt na<strong>ch</strong> dir, aber du sollst darüber herrs<strong>ch</strong>en.«<br />

Und bei Ludwig H. Tafel lesen wir: »Wenn du aber ni<strong>ch</strong>t Gutes tust, lagert die<br />

Sünde vor der Tür, und verlanget na<strong>ch</strong> dir aber du sollst darüber herrs<strong>ch</strong>en.« Beide<br />

Swedenborgianer geben also hier gegen Swedenborg der ersten Lesart den<br />

Vorzug. Der Vers 7 des 4. Kapitels der Genesis ist offenbar wirkli<strong>ch</strong> der dunkelste<br />

dieses Bu<strong>ch</strong>es und als sol<strong>ch</strong>er voller Tücken. Do<strong>ch</strong> was ist vermutli<strong>ch</strong> gemeint?<br />

I<strong>ch</strong> kann ni<strong>ch</strong>t auss<strong>ch</strong>ließen, dass die Doppeldeutigkeit gewollt ist, aber im komplexen<br />

Gewirr der Bedeutungsfäden mö<strong>ch</strong>te i<strong>ch</strong> an dieser Stelle das Verständnis<br />

Swedenborgs verdeutli<strong>ch</strong>en. Na<strong>ch</strong> ihm handelt die Erzählung von einem Herrs<strong>ch</strong>aftskonflikt.<br />

Wir sahen bereits, dass mit Abel als »Hirte« die Vorstellung von<br />

einem Herrs<strong>ch</strong>er verbunden ist. Do<strong>ch</strong> Kain will si<strong>ch</strong> von Abel ni<strong>ch</strong>t beherrs<strong>ch</strong>en<br />

lassen. Deswegen wird ihm entgegen gehalten: »Na<strong>ch</strong> dir (Kain) ist sein (nämli<strong>ch</strong><br />

Abels) Verlangen, du aber willst Herr über ihn sein.« Und deswegen wird Kain


136 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

na<strong>ch</strong> dem Mord unwillig ausrufen. I<strong>ch</strong> paraphrasiere: »Bin i<strong>ch</strong> etwa der Hüter<br />

meines Brüders? Der erhebt do<strong>ch</strong> selbst den Anspru<strong>ch</strong> ein Herrs<strong>ch</strong>er zu sein!<br />

Warum also sollte ausgere<strong>ch</strong>net i<strong>ch</strong> den behüten, der selbst das wa<strong>ch</strong>same Auge<br />

des Herrs<strong>ch</strong>ers (= der Hirt) sein will?«<br />

Wer ist in Wahrheit in der Kir<strong>ch</strong>e zum Herrs<strong>ch</strong>er berufen? Die Dogmatik (= der<br />

Glaube) oder die Ethik (= die ges<strong>ch</strong>wisterli<strong>ch</strong>e Liebe)? Das Gerangel um die Vorherrs<strong>ch</strong>aft<br />

ist in der Kir<strong>ch</strong>en- und Theologieges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te allenthalben zu beoba<strong>ch</strong>ten.<br />

Au<strong>ch</strong> in den Körpers<strong>ch</strong>aften der Neuen Kir<strong>ch</strong>e, die si<strong>ch</strong> im Ans<strong>ch</strong>luss an<br />

Swedenborg gebildet haben, ist die Orthodoxie (= die re<strong>ch</strong>te swedenborgs<strong>ch</strong>e Lehre)<br />

zum dominierenden Prinzip geworden. Und dementspre<strong>ch</strong>end ist au<strong>ch</strong> in der<br />

Neuen Kir<strong>ch</strong>e der Stein der eigenen Wahrheit re<strong>ch</strong>thaberis<strong>ch</strong> erhoben worden.<br />

Auf der Strecke ist Abel geblieben, blutüberströmt, ers<strong>ch</strong>lagen mit tausend Worten.<br />

Wie sähe eine Kir<strong>ch</strong>e aus, in der Abel der gute Hirte sein kann, in der er das<br />

Hirtenamt ausüben kann? Kains Mund bringt Einwände über Einwände gegen die<br />

Gemeinde der ges<strong>ch</strong>wisterli<strong>ch</strong>en Liebe hervor: In einer Kir<strong>ch</strong>e muss do<strong>ch</strong> Ordnung<br />

herrs<strong>ch</strong>en! Wo soll das hinführen, wenn jedes S<strong>ch</strong>af seine eigene Glaubenswahrheit<br />

su<strong>ch</strong>en und womögli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> finden darf? Do<strong>ch</strong> Abels Kir<strong>ch</strong>e würde<br />

die Vielfalt der Glaubensmeinungen ni<strong>ch</strong>t als ein Zei<strong>ch</strong>en des Zerfalls der Einheit<br />

für<strong>ch</strong>ten, sondern si<strong>ch</strong> an dieser bunten Blumenwiese erfreuen, denn sie zeigt den<br />

Frühling des geistigen Lebens an. Aber Abel wird von Kain mundtot gema<strong>ch</strong>t, sein<br />

Blut versickert no<strong>ch</strong> immer im Boden und s<strong>ch</strong>reit zu Gott.<br />

Zu Genesis 4,8: »Und Kain spra<strong>ch</strong> zu seinem Bruder Abel: ›…‹«. Was Kain zu Abel<br />

sagte, ist im masoretis<strong>ch</strong>en Text (dem sogenannten »Urtext«) ni<strong>ch</strong>t überliefert.<br />

Eine Reihe alter Textüberlieferungen - nämli<strong>ch</strong> der samaritanis<strong>ch</strong>e Pentateu<strong>ch</strong>, die<br />

Septuaginta, die Pes<strong>ch</strong>itta und die Vulgata - haben jedo<strong>ch</strong>: »Lass uns auf das Feld<br />

gehen!« Swedenborg hält si<strong>ch</strong> an den masoretis<strong>ch</strong>en Text. Die Formel »A sagte zu<br />

B«, die eigentli<strong>ch</strong> eine direkte Rede erwarten lässt, meint na<strong>ch</strong> ihm hier »den Zug<br />

der Zeit« (tractus temporis, HG 366). Swedenborg führt diesen Gedanken ni<strong>ch</strong>t<br />

weiter aus, aber vermutli<strong>ch</strong> meint er: Kain, der ja die si<strong>ch</strong> verselbständigende<br />

Glaubenslehre (Dogmatik) verkörpert, verwickelt Abel mit der Zeit immer mehr in<br />

das theologis<strong>ch</strong>e Streitgesprä<strong>ch</strong>. Kain zieht Abel also gewissermaßen auf sein<br />

»Feld«, das heißt auf das Feld der dogmatis<strong>ch</strong>en Auseinandersetzungen. Die Folge<br />

ist der Brudermord. Denn Abel oder das Tat<strong>ch</strong>ristentum ist, indem es si<strong>ch</strong> »im<br />

Verlauf der Zeit« ganz und gar auf das Feld Kains ziehen lässt, s<strong>ch</strong>on verloren,<br />

weil es dur<strong>ch</strong> die Totalisierung des Diskutierens ni<strong>ch</strong>t mehr zu si<strong>ch</strong> selbst kommen<br />

kann.<br />

Deswegen heißt es weiter: »Es ges<strong>ch</strong>ah bei ihrem Sein auf dem Feld«. Wo sonst<br />

kann der Brudermord ges<strong>ch</strong>ehen? Abel kann nur auf dem Feld Kains, in der Domäne<br />

des »obed adamah« ers<strong>ch</strong>lagen werden, und zwar mit harten Fakten und<br />

spitzen Argumenten. Das Feld bezei<strong>ch</strong>net »die Lehre« und somit au<strong>ch</strong> die Diskussionen<br />

auf dem Feld von Fors<strong>ch</strong>ung und Lehre (HG 368). »Adam« (Mens<strong>ch</strong>) und<br />

»adamah« (Erdrei<strong>ch</strong>) hängen in der Bilderspra<strong>ch</strong>e der Bibel eng zusammen. Au<strong>ch</strong>


Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 137<br />

im Lateinis<strong>ch</strong>en finden wir diesen Zusammenhang von »Homo« (Mens<strong>ch</strong>) und<br />

»Humus« (Erdrei<strong>ch</strong>). Die Aufgabe des »Erdlings« (= des Mens<strong>ch</strong>en) ist die Kultivierung<br />

der Erde, ihre Vergeistigung. Der Mens<strong>ch</strong> ist das Nadelöhr, dur<strong>ch</strong> das alles<br />

aus dem Erdrei<strong>ch</strong> hindur<strong>ch</strong> muss, um in das Himmelrei<strong>ch</strong> zu kommen. Der Begriff<br />

»Feld« ist im Zusammenhang dieser Kulturtätigkeit des geistbegabten Erdlings zu<br />

sehen. In der Bibel begegnen uns die Begriffe »Erde« (»’äräz'«), »Erdrei<strong>ch</strong>« (»adamah«)<br />

und »Feld« (»sadeh«). Swedenborg gibt einige Hinweise zum tieferen Verständnis<br />

dieses Trios. Er s<strong>ch</strong>reibt: »Die Erde ist die Grundlage (wörtli<strong>ch</strong>: das Enthaltende)<br />

des Erdrei<strong>ch</strong>s, und das Erdrei<strong>ch</strong> ist die Grundlage des Feldes (oder des<br />

Ackers)« (»terra est continens humi, et humus est continens agri«, HG 620, vgl.<br />

au<strong>ch</strong> HG 377). Die drei Begriffe bauen also im Sinne der erwähnten Kulturtätigkeit<br />

aufeinander auf: Ohne die Erde kein Erdrei<strong>ch</strong>, und ohne das Erdrei<strong>ch</strong><br />

kein Feld (= kein kultiviertes Erdrei<strong>ch</strong>). Im geistigen Verständnis ist »das Erdrei<strong>ch</strong>«<br />

ein Bild für die Empirie, das heißt für die Erfahrung des Irdis<strong>ch</strong>en dur<strong>ch</strong> die<br />

fünf Sinne. Die Empirie oder das Bild der Erde im Bewusstsein des äußeren Mens<strong>ch</strong>en<br />

ist die Grundlage für die Tätigkeit des Geistes. Der kann nämli<strong>ch</strong> die Empirie<br />

mit der Saat seiner Gedanken befru<strong>ch</strong>ten; und wenn das ges<strong>ch</strong>ieht, dann wird<br />

aus dem Erdrei<strong>ch</strong> ein Acker, auf dem die Frü<strong>ch</strong>te von Himmel und Erde heranreifen<br />

können. Im Trio »Erde«, »Erdrei<strong>ch</strong>« und »Feld« sind »Feld« bzw. »Acker« am<br />

engsten mit dem Samen oder der Saat verbunden. 276<br />

Diese gedankli<strong>ch</strong>e Verknüpfung dürfen wir ni<strong>ch</strong>t aus den Augen verlieren, wenn<br />

wir das Folgende verstehen wollen: »Da erhob si<strong>ch</strong> Kain gegen seinen Bruder Abel<br />

und ers<strong>ch</strong>lug ihn.« Abel wird ausgere<strong>ch</strong>net dort ers<strong>ch</strong>lagen, wo die Erde zum Leben<br />

erweckt werden soll, auf dem Acker, der nun jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t die Samenkörner<br />

Kains, sondern die Blutstropfen Abels aufnehmen wird. A<strong>ch</strong>ten wir auf die Feinheiten<br />

der Spra<strong>ch</strong>e! »Kain erhob si<strong>ch</strong>«. So wird der Aufstand Kains, seine Überhebli<strong>ch</strong>keit<br />

dargestellt, als ein Akt des si<strong>ch</strong> Erhebens. Zuglei<strong>ch</strong> bedeutet das Verb<br />

»qum« aber au<strong>ch</strong> »zustande kommen«, »Bestand haben« und »gelten«. Die Seele<br />

der Glaubenswissens<strong>ch</strong>aft (Kain) ist die Glaubenspraxis (Abel). Theologie ist Denken<br />

aus Glauben, das heißt sie muss das Glaubensleben (Abel) voraussetzen. Sie<br />

kann den Glauben, insofern er eine innere Festigkeit, ein Gegründetsein in der<br />

Erfahrung des lebendigen Gottes ist, ni<strong>ch</strong>t erzeugen. Sie kann nur über die vorgegebene<br />

Wirkli<strong>ch</strong>keit des Glaubens na<strong>ch</strong>denken. Den Brudermord kann man als<br />

die Befreiung der Glaubenswissens<strong>ch</strong>aft (Kain) aus der Abhängigkeit vom Glaubensleben<br />

der Kir<strong>ch</strong>e (Abel) interpretieren. Dur<strong>ch</strong> diesen Akt der Erhebung mag<br />

si<strong>ch</strong> die Theologie als etwas Selbständiges geltend ma<strong>ch</strong>en, aber wel<strong>ch</strong>en Preis<br />

276<br />

Einige Stellen zur Verbindung von Acker und Saat bei Swedenborg: »Die Lehre heißt Acker,<br />

weil er (wie die Lehre) den Samen aufnimmt« (»doctrina vocatur ›ager‹ ex semine«, HG 368).<br />

»›Acker‹ bedeutet Kir<strong>ch</strong>e, weil sie wie ein Acker die Samen des Guten und Wahren aufnimmt«<br />

(HG 3766). »›Erdrei<strong>ch</strong>‹ (humus) bezei<strong>ch</strong>net die Kir<strong>ch</strong>e aus einem ähnli<strong>ch</strong>en Grund wie ›Acker‹<br />

(ager), nämli<strong>ch</strong> wegen der Aufnahme vers<strong>ch</strong>iedener Samen, ihrem Wa<strong>ch</strong>stum und Ertrag«<br />

(HG 10570). Wegen der Empfängli<strong>ch</strong>keit für die Aussaat ist »Acker« glei<strong>ch</strong>bedeutend mit »gutes<br />

Erdrei<strong>ch</strong>« (HG 3577).


138 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

muss sie dafür bezahlen? I<strong>ch</strong> will denselben Gedanken no<strong>ch</strong> einmal etwas handgreifli<strong>ch</strong>er<br />

formulieren. Die Glaubenswissens<strong>ch</strong>aft kann natürli<strong>ch</strong> im Interesse<br />

ihrer Wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>keit die Auferstehung Jesu in Frage stellen oder au<strong>ch</strong> leugnen.<br />

Denn die wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> saubere Exegese des Neuen Testaments liefert<br />

keinen wirkli<strong>ch</strong> hieb- und sti<strong>ch</strong>festen Beweis für diesen unerhörten Vorgang, der<br />

das Fundament der Kir<strong>ch</strong>e und das Wesentli<strong>ch</strong>e des Glaubens ist. Aber wenn die<br />

Theologie der Kir<strong>ch</strong>e auf diese Weise wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> korrekt ins Gesi<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>lägt,<br />

dann s<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>t das zwar das Glaubensleben, viellei<strong>ch</strong>t stirbt es sogar, zuglei<strong>ch</strong><br />

aber wird dadur<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> die theologis<strong>ch</strong>e Arbeit unfru<strong>ch</strong>tbar. Der Boden, der das<br />

Blut Abels vers<strong>ch</strong>luckt, wird am Ende au<strong>ch</strong> den Brudermörder entkräftet zurücklassen,<br />

weil er (= der Boden des Wortes) ihm (= dem Exegeten) seine Kraft ni<strong>ch</strong>t<br />

mehr geben wird. Die wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Exegese wird unfru<strong>ch</strong>tbar, wenn sie si<strong>ch</strong><br />

ni<strong>ch</strong>t in den Dienst der Kir<strong>ch</strong>e stellt, wenn sie si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t dem guten Hirten unterordnet.<br />

Eine Theologie, die irgendwo jenseits des Glaubens Bestand haben will,<br />

wird am Ende nur eins sein: »unstet und flü<strong>ch</strong>tig«.<br />

Zweimal werden wir in Vers 8 daran erinnert, dass Abel der Bruder Kains ist.<br />

Dadur<strong>ch</strong> kommt die Ungeheuerli<strong>ch</strong>keit um so krasser zu Vors<strong>ch</strong>ein, dass si<strong>ch</strong> die<br />

Glaubenswissens<strong>ch</strong>aft gegen das Glaubensleben erhebt. Beide Glaubensgestalten<br />

sind do<strong>ch</strong> Brüder!<br />

Das Wesen des Brudermords haben wir uns ein wenig verdeutli<strong>ch</strong>t. Unklar bleibt<br />

allerdings das Wie. Das hebräis<strong>ch</strong>e Verb »harag« bedeutet ans<strong>ch</strong>einend nur hö<strong>ch</strong>st<br />

allgemein »töten« (Gesenius 187), so dass die Phantasie des Bibelinterpreten die<br />

Einzelheiten ergänzen kann und sogar muss, wenn das Bild ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong> werden<br />

soll. Die deuts<strong>ch</strong>en Bibelübersetzungen bevorzugen »s<strong>ch</strong>lagen«, entweder in Form<br />

von »tots<strong>ch</strong>lagen« oder »ers<strong>ch</strong>lagen«. 277 Au<strong>ch</strong> der Swedenborgianer Leonhard Tafel<br />

wählte »ers<strong>ch</strong>lagen«, während si<strong>ch</strong> der Revisor seiner Neukir<strong>ch</strong>enbibel Ludwig H.<br />

Tafel für »erwürgen« ents<strong>ch</strong>ied und damit aus der Reihe fällt. Swedenborg hat<br />

»occidere«. Das kann »tots<strong>ch</strong>lagen« bedeuten, wird aber von ihm wohl einfa<strong>ch</strong> nur<br />

im Sinne von »töten« verwendet, denn das 5. Gebot (»Du sollst ni<strong>ch</strong>t töten«) übersetzt<br />

er mit »Non occides« (WCR 309). Eine Besonderheit beoba<strong>ch</strong>ten wir beim<br />

Verfasser des 1. Johannesbriefes, na<strong>ch</strong> dem Kain seinen Bruder »s<strong>ch</strong>la<strong>ch</strong>tete« (1.<br />

Joh 3,12). Dieses Wort finden wir in der Johannesoffenbarung in Verbindung mit<br />

»Lamm« (5,6.12; 13,8). Sieht der Verfasser dieses neutestamentli<strong>ch</strong>en Briefes also<br />

in Abel bereits eine Präfiguration Christi, des Lammes Gottes? Wir haben uns für<br />

»ers<strong>ch</strong>lagen« ents<strong>ch</strong>ieden, weil wir in der Tradition Swedenborgs in Kain eine<br />

Personifikation des re<strong>ch</strong>ten Glaubens der Orthodoxie sehen, wo man si<strong>ch</strong> mit<br />

Worten zu ers<strong>ch</strong>lagen pflegt. S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> ein Blick auf die Ikonographie. Anna<br />

Ulri<strong>ch</strong> weist auf »die Vielfalt der Werkzeuge« hin: »Betra<strong>ch</strong>tet man die Dar-<br />

277<br />

»Tots<strong>ch</strong>lagen« finden wir in der Zür<strong>ch</strong>er Bibel (1931), in der Lutherbibel (1984), in der »Gute(n)<br />

Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t Bibel« (1997), in der »Hoffnung für alle« (2002) und in der Bibelübersetzung<br />

von Hermann Menge. »Ers<strong>ch</strong>lagen« finden wir in der Elberfelder Bibel (1991) und in der katholis<strong>ch</strong>en<br />

Einheitsübersetzung.


Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 139<br />

stellungen der Tötung Abels, so fällt die Vielfalt der Werkzeuge auf, die Kain benutzt:<br />

vom Stein über die Keule bis zu Ackergeräten; vom Messer bis zum Eselskinnbacken.<br />

Es gibt Darstellungen, auf denen Kain mit Abel ringt, ihn erwürgt<br />

oder dur<strong>ch</strong> einen Biß tötet.« 278<br />

Zu Genesis 4,9: »Wo ist dein Bruder Abel?« Eine harmlose Frage. Jahwe erkundigt<br />

si<strong>ch</strong> einfa<strong>ch</strong> nur na<strong>ch</strong> dem Aufenthaltsort des Bruders von Kain. Au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> dem<br />

Sündenfall stellte Jahwe eine sol<strong>ch</strong>e Frage, damals an Adam: »Wo bist du?« (Gen<br />

3,9). Do<strong>ch</strong> die harmlose Wo-Frage hat es in si<strong>ch</strong>. Sie deckt nämli<strong>ch</strong> den Zustand<br />

desjenigen auf, der nun eine Antwort geben muss. Gerhard von Rad (1901 - 1971)<br />

weist auf einen Unters<strong>ch</strong>ied dieser beiden Wo-Fragen hin: »… die Frage Gottes an<br />

den Mens<strong>ch</strong>en lautet jetzt ni<strong>ch</strong>t ›Wo bist du?‹, sondern ›Wo ist dein Bruder?‹. Die<br />

Verantwortung vor Gott ist die Verantwortung für den Bruder; ›die Gottesfrage<br />

stellt si<strong>ch</strong> jetzt als soziale Frage‹.« 279 In Genesis 3 kam es zum Bru<strong>ch</strong> im Verhältnis<br />

des Mens<strong>ch</strong>en zu Gott (= im vertikalen Verhältnis), in Genesis 4 ist es nun<br />

zum Bru<strong>ch</strong> im zwis<strong>ch</strong>enmens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Verhältnis (= im horizontalen Verhältnis)<br />

gekommen. Kain muss vor Gott nun das verantworten, was er seinem Bruder<br />

(an)getan hat. Das erinnert an die S<strong>ch</strong>ilderung des Geri<strong>ch</strong>tes im Matthäusevangelium<br />

(25,31-46). Die Szene mündet in die Worte: »Wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>, was ihr<br />

einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, habt ihr mir getan.« Und: »…<br />

was ihr einem dieser Geringsten ni<strong>ch</strong>t getan habt, habt ihr au<strong>ch</strong> mir ni<strong>ch</strong>t getan.«<br />

Kain hat somit im Grunde Gott oder das Göttli<strong>ch</strong>e in si<strong>ch</strong> (ab)getötet. Und tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />

wird die kainitis<strong>ch</strong>e Mens<strong>ch</strong>heit au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> den töten, den Abel nur im voraus,<br />

s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong> darstellte, nämli<strong>ch</strong> Jesus Christus, den Sohn Gottes.<br />

Kain will si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> seine Antwort ni<strong>ch</strong>t verraten. Auf die Frage: »Wo ist dein<br />

Bruder?« erwidert er: »I<strong>ch</strong> weiß es ni<strong>ch</strong>t.« Das ist eine unverdä<strong>ch</strong>tige Reaktion.<br />

Aber es ist au<strong>ch</strong> eine fre<strong>ch</strong>e Lüge. Franz Delitzs<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>rieb: »Wel<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>auriger<br />

Forts<strong>ch</strong>ritt von der s<strong>ch</strong>amhaft ängstli<strong>ch</strong>en Flu<strong>ch</strong>t und Ents<strong>ch</strong>uldigung der Ureltern<br />

na<strong>ch</strong> ihrem Falle zu diesem fre<strong>ch</strong>en Trotze, dieser unvers<strong>ch</strong>ämten Verleugnung,<br />

dieser lieblosen Rohheit!« (167). Dieses verdorbene Wesen Kains bri<strong>ch</strong>t im zweiten<br />

Teil seiner Antwort hervor.<br />

»Bin i<strong>ch</strong> der Hüter (oder Bewa<strong>ch</strong>er) meines Bruders?« Kain verrät si<strong>ch</strong> nun do<strong>ch</strong>.<br />

Denn diese heftige Gegenwehr zeigt, dass er aus seinem argen Bewusstsein in die<br />

»arglose Alltagsfrage« (Seebass 154) etwas Arges hineinspiegelt. Er spri<strong>ch</strong>t nämli<strong>ch</strong>,<br />

ohne dass das irgendeinen Grund in der Wo-Frage hat, plötzli<strong>ch</strong> von hüten<br />

oder bewa<strong>ch</strong>en. Damit gibt er zu erkennen: I<strong>ch</strong> weiß, dass Abel etwas Böses widerfahren<br />

ist (denn i<strong>ch</strong> habe ihn ja selbst umgebra<strong>ch</strong>t). Der Ausruf »Bin i<strong>ch</strong> der<br />

Hüter meines Bruders?« bringt die ganze Gerings<strong>ch</strong>ätzung und Vera<strong>ch</strong>tung zum<br />

Vors<strong>ch</strong>ein, die Kain gegenüber Abel empfindet. Na<strong>ch</strong> Swedenborg bedeutet er,<br />

278<br />

Anna Ulri<strong>ch</strong>, Kain und Abel in der Kunst: Untersu<strong>ch</strong>ungen zur Ikonographie und Auslegungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te,<br />

1981, Seite 137.<br />

279<br />

Gerhard von Rad, Das erste Bu<strong>ch</strong> Mose: Genesis, Göttingen und Züri<strong>ch</strong> 1987, Seite 77.


140 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

dass Kain seinen Bruder Abel »für ni<strong>ch</strong>ts hielt« (nihili faceret, HG 370). Abel ist<br />

etwas so Ni<strong>ch</strong>tswürdiges, dass man es ni<strong>ch</strong>t wie ein kostbares Kleinod sorgsam<br />

behüten muss.<br />

Der »Hüter« spielt auf den Beruf Abels an (Hirt = Hüter der Herde). Daher können<br />

wir Kains dreiste Antwort so ums<strong>ch</strong>reiben: »Soll i<strong>ch</strong>, der Ackerbauer, der Hüter<br />

eines Hirten sein, dessen Tätigkeit nun einmal von Natur aus voller Gefahren ist,<br />

auf die er si<strong>ch</strong> mit seiner Berufswahl eingelassen hat.« (siehe Seebass 154). Abel<br />

ist also selbst s<strong>ch</strong>uld, wenn ihm etwas zustößt. Der Zusammenhang von Hirt<br />

(»ro‘eh«) und Hüter (»s<strong>ch</strong>omer«) ist im Alten Testament gut bezeugt: »Der Israel<br />

zerstreut hat, wird es (wieder) sammeln und wird es hüten (us<strong>ch</strong>emaro) wie ein<br />

Hirt (kero‘eh) seine Herde!« (Jer 31,10). »Und Jakob sagte: Du sollst mir gar ni<strong>ch</strong>ts<br />

geben; wenn du mir diese (eine) Sa<strong>ch</strong>e zugestehst, dann will i<strong>ch</strong> wieder deine<br />

S<strong>ch</strong>afe weiden (er‘eh) (und) hüten (es<strong>ch</strong>mor).« (Gen 30,31; vgl. Hos 12,13). In 1.<br />

Samuel 17,20 steht das Partizip Wä<strong>ch</strong>ter, Hüter für den Hirten: »Da ma<strong>ch</strong>te si<strong>ch</strong><br />

David des Morgens früh auf und überließ die S<strong>ch</strong>afe einem Hüter (s<strong>ch</strong>omer).« Und<br />

im Neuen Testament lesen wir: »Und Hirten (poimenes) waren in derselben Gegend<br />

im Freien und hüteten (phylassontes phylakas = hielten Wa<strong>ch</strong>e) des Na<strong>ch</strong>ts<br />

bei ihrer Herde.« (Lk 2,8).<br />

Na<strong>ch</strong> Swedenborg drückt si<strong>ch</strong> in dem unwilligen Ausruf: »Bin i<strong>ch</strong> der Hüter meines<br />

Bruders?«, no<strong>ch</strong> einmal die Rebellion Kains gegen den Dienst, das heißt gegen<br />

die Unterordnung unter Abel aus. Diesen Dienst verglei<strong>ch</strong>t er mit dem der Türhüter<br />

(»s<strong>ch</strong>o‘arim«) und der Hüter der S<strong>ch</strong>welle (»s<strong>ch</strong>omere hasaf«) 280 : »›Hüter sein‹<br />

bedeutet dienen, glei<strong>ch</strong>sam wie die Türhüter und die Hüter der S<strong>ch</strong>welle in der<br />

jüdis<strong>ch</strong>en Gemeinde« (HG 372). Was könnte Swedenborg mit dieser ungewöhnli<strong>ch</strong>en<br />

gedankli<strong>ch</strong>en Verbindung meinen? Der Glaube (Kain) als S<strong>ch</strong>wellenwä<strong>ch</strong>ter<br />

hat die Aufgabe darauf zu a<strong>ch</strong>ten, dass nur diejenigen Gedanken in das Innere<br />

hineingelassen werden, die der freien Tatentfaltung des Geistes in seiner Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

dienen. Der Hüter der S<strong>ch</strong>welle weist die Fremden zurück, nur die Freunde<br />

des Hausherrn, die mit seinem Leben innigli<strong>ch</strong> verbunden sind, lässt er hinein.<br />

Diesen unter- oder vorgeordneten Dienst soll der Glaube dem geistigen Leben<br />

leisten. Stattdessen aber s<strong>ch</strong>wingt er si<strong>ch</strong> zum Herrn auf und würgt das innere<br />

Leben dur<strong>ch</strong> seine re<strong>ch</strong>thaberis<strong>ch</strong>e Tyrannei ab.<br />

»S<strong>ch</strong>amar«, das wir bisher immer mit »hüten« übersetzt haben, kann au<strong>ch</strong> »beoba<strong>ch</strong>ten«,<br />

»A<strong>ch</strong>t geben«, (den Bund oder die Gebote Gottes) »halten« und »verehren«<br />

bedeuten. Wenn der Glaube seine Position als S<strong>ch</strong>wellenwä<strong>ch</strong>ter willig annimmt,<br />

dann ri<strong>ch</strong>tet er si<strong>ch</strong> innerli<strong>ch</strong> auf seinen Herrn aus. Er beoba<strong>ch</strong>tet ihn. Er<br />

gibt A<strong>ch</strong>t auf seine Winke. Er hält si<strong>ch</strong> an die Weisungen seines Herrn. Mit einem<br />

Wort: Er verehrt ihn. Do<strong>ch</strong> der selbstherrli<strong>ch</strong>e Glaube ruft empört aus: Bin i<strong>ch</strong> der<br />

Verehrer meines Bruders?<br />

280<br />

Biblis<strong>ch</strong>e Belegstellen zu Torhüter (»s<strong>ch</strong>o‘er«) bei Gesenius 815 und zu »Hüter der S<strong>ch</strong>welle«<br />

(»s<strong>ch</strong>omere hasaf«) bei Gesenius 549.


Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 141<br />

Zu Genesis 4,10: Die zweite Frage Jahwes oder die zweite Äußerung des Gewissens<br />

na<strong>ch</strong> der s<strong>ch</strong>reckli<strong>ch</strong>en Tat lautet: »Was hast du getan?« Swedenborg legt sie<br />

hier ni<strong>ch</strong>t aus. Aber dieselbe Frage kommt au<strong>ch</strong> in Genesis 20,9 und 31,26 vor,<br />

und dort geht er bei seiner Auslegung von den Affekten oder Emotionen aus, die<br />

glei<strong>ch</strong>sam das Leben dieser Worte sind (siehe HG 2546 und 4132). Daher a<strong>ch</strong>ten<br />

wir besonders auf die Exegeten, die ebenfalls vom affektiven Gehalt ausgehen.<br />

Na<strong>ch</strong> August Dillmann (1823 - 1894) ist »Was hast du getan?« in Genesis 4,10<br />

»eine Frage des Entsetzens«. 281 Und au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Gerhard von Rad bringt der Ausruf<br />

»Gottes Entsetzen über diese Tat« zum Ausdruck (77). Aus der »Was hast du getan?«<br />

Frage von Genesis 31,26 hört Swedenborg den Stimmungston der »Entrüstung«<br />

heraus (HG 4132). Ein anderer Ansatzpunkt für die Deutung von Spra<strong>ch</strong>e<br />

ist die Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> einem »Sitz im Leben«, das heißt na<strong>ch</strong> einer Situation, in der<br />

typis<strong>ch</strong>erweise so und ni<strong>ch</strong>t anders gespro<strong>ch</strong>en wird. In diesem Sinne erkennt<br />

Horst Seebass in den Versen 10 bis 12 »eine Reihe juristis<strong>ch</strong>er Vorstellungen«. So<br />

sei »Was hast du getan?« eine »Formel«, die man vor einem »Geri<strong>ch</strong>tsverfahren zur<br />

Behaftung des Täters« verwandte (155). Kains Tat ers<strong>ch</strong>eint nun im Li<strong>ch</strong>te der<br />

göttli<strong>ch</strong>en Wahrheit als das, was sie ist, nämli<strong>ch</strong> als ein himmels<strong>ch</strong>reiendes Unre<strong>ch</strong>t.<br />

Und sie wird ans<strong>ch</strong>ließend mit den Folgen konfrontiert, in die sie verwickelt<br />

wird. In diesem Sinne wird Kain geri<strong>ch</strong>tet. Die Frage »Was hast du getan?« kann<br />

man au<strong>ch</strong> auf der Subjektstufe deuten. Dann lautet sie: »(Mein Gott), was habe i<strong>ch</strong><br />

getan?« Die Frage leitet die Bewusstwerdung der Tatfolgen ein. Die Deutung auf<br />

der Subjektstufe ist au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Swedenborg angemessen, weil er das Spre<strong>ch</strong>en<br />

Jahwes mit dem Gewissen in Verbindung bringt und das Gewissen die innere<br />

Stimme Gottes ist. Hier spri<strong>ch</strong>t also die höhere Ebene im Subjekt zu der niederen<br />

Ebene im Subjekt.<br />

»Hor<strong>ch</strong>! Das vergossene Blut deines Bruders s<strong>ch</strong>reit zu mir vom Boden.« So haben<br />

wir die zweite Vershälfte übersetzt. Das hebräis<strong>ch</strong>e Wort »qol« bedeutet zwar eigentli<strong>ch</strong><br />

»Stimme«, so übersetzt es Swedenborg. Aber im Alten Testament ist au<strong>ch</strong><br />

der Gebrau<strong>ch</strong> von »qol« als Interjektion belegt (Gesenius 707), und dann bedeutet<br />

es »hor<strong>ch</strong>!«. Wir haben uns hier gegen Swedenborg für »hor<strong>ch</strong>!« ents<strong>ch</strong>ieden, weil<br />

für »s<strong>ch</strong>reien« im Urtext eine Pluralform steht, die si<strong>ch</strong> nur auf den Plural »Blut«<br />

beziehen kann, ni<strong>ch</strong>t aber auf den Singular »Stimme«.<br />

Damit ist s<strong>ch</strong>on die nä<strong>ch</strong>ste Beoba<strong>ch</strong>tung genannt: »Blut« steht im Urtext im Plural.<br />

Na<strong>ch</strong> Franz Delitzs<strong>ch</strong> ist das der »Pl(ural) des Products«. Er bedeutet »als sol<strong>ch</strong>er<br />

das aus dem Innern des Leibes, wo es heimis<strong>ch</strong> ist, tropfen- oder flußweise<br />

zur Ers<strong>ch</strong>einung kommende Blut und zwar immer gewaltsam verströmtes Mens<strong>ch</strong>enblut«,<br />

das ist »ein fester Spra<strong>ch</strong>gebrau<strong>ch</strong>« (167) 282 . Au<strong>ch</strong> Swedenborg gibt<br />

eine Erklärung für den Plural von »Blut«: »Blut im Plural heißt es, weil die Ge-<br />

281<br />

August Dillmann, Die Genesis, Leipzig 1886, Seite 95.<br />

282<br />

Vgl. au<strong>ch</strong> Horst Seebass: »Der Pl. von dam ›Blut‹ steht nur für vergossenes Blut und ganz<br />

überwiegend für die Bluts<strong>ch</strong>uld (KBL 3 ).« (155).


142 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

samtheit des Ungere<strong>ch</strong>ten und Abs<strong>ch</strong>euli<strong>ch</strong>en aus dem Hass entspringt, wie die<br />

Gesamtheit des Guten und Heiligen aus der Liebe« (HG 374). Das Blut steht sona<strong>ch</strong><br />

für das gewaltsam produzierte (Plural des Produkts), das heißt für das vergossene<br />

Blut. Oder, um Swedenborg aufzugreifen: Abels Blutla<strong>ch</strong>e steht für alle<br />

Gewalttaten, die si<strong>ch</strong> die Mens<strong>ch</strong>en gegenseitig zufügen. Das Blut steht für die<br />

Bluttat oder, wenn wir von der Tat auf die Gesinnung s<strong>ch</strong>auen, für den »Hass« (HG<br />

374). Na<strong>ch</strong> diesen Überlegungen könnten wir den Vers au<strong>ch</strong> so übersetzen: »Was<br />

hast du (nur) getan? Hor<strong>ch</strong>! Die Bluttat an deinem Bruder, sie s<strong>ch</strong>reit zu mir vom<br />

Boden (empor).«<br />

Das Ges<strong>ch</strong>rei der zahllosen Blutstropfen klagt Kain vor Gott an (siehe »anklagen«<br />

in HG 374 und 375). So wird er zu einem Angeklagten. Dur<strong>ch</strong> das Jammerges<strong>ch</strong>rei<br />

wird er in den Zustand eines Bes<strong>ch</strong>uldigten versetzt, denn jede Tat begründet<br />

einen Zustand. Das Ges<strong>ch</strong>rei der Blutla<strong>ch</strong>e ist also ein ar<strong>ch</strong>ais<strong>ch</strong>es Bild für diesen<br />

»S<strong>ch</strong>uldzustand« (HG 376) Kains.<br />

Das Blut sickert in den Boden ein. Die Bluttat dur<strong>ch</strong>tränkt und dur<strong>ch</strong>dringt ihn,<br />

sie erfüllt ihn ganz und gar. Dadur<strong>ch</strong> wird die Gewalt ein Teil dieses Bodens, ein<br />

Bestandteil seines Wesens. Glei<strong>ch</strong>es gilt für die S<strong>ch</strong>uld. Denn mit dem Blut dringt<br />

au<strong>ch</strong> sie in den Boden ein. Er ist nun als der Boden des Brudermörders wie dieser<br />

s<strong>ch</strong>uldbeladen. So waren die Erzählungen der Alten bes<strong>ch</strong>affen. An dem für unser<br />

Empfinden uns<strong>ch</strong>uldigen Boden klebt nun das Blut Abels und damit die S<strong>ch</strong>uld<br />

Kains. Daher klagt der Boden seinen Herrn, gemeint ist Kain, vor Gott an, denn<br />

aus allen seinen Fur<strong>ch</strong>en dringt das Gejammer des uns<strong>ch</strong>uldig vergossenen Blutes<br />

zu Gott empor. Im geistigen Sinn meint der Boden den geistigen Boden oder die<br />

geistige Grundlage Kains, das heißt dasjenige gedankli<strong>ch</strong>e System, das seiner Gedankenproduktion<br />

oder seiner geistigen Fru<strong>ch</strong>tbarkeit zugrunde liegt. Dieser fundamentaltheoretis<strong>ch</strong>e<br />

Boden ist im Falle Kains »eine Abspaltung« (s<strong>ch</strong>isma) oder<br />

»eine von der Kir<strong>ch</strong>e abwei<strong>ch</strong>ende Lehre« (haeresis) (HG 377). Konkret denkt Swedenborg<br />

an die Lehre von der Re<strong>ch</strong>tfertigung allein aus dem Glauben. Diese Lehre<br />

hat das geistige Leben (Abel) in der Kir<strong>ch</strong>e im Grundsatz ausgelös<strong>ch</strong>t. Denn wo<br />

sind die <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>en Meister, die den Weg der geistigen Wiedergeburt gegangen<br />

sind und S<strong>ch</strong>üler aufnehmen können? Kains Acker ist ein Friedhof geworden, aber<br />

ans<strong>ch</strong>einend hört nur Gott das Stöhnen Abels, das s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>e, das aus diesem<br />

Blutacker emporsteigt.<br />

Zu Genesis 4,11: »Und nun« leitet die S<strong>ch</strong>ilderung der Folgen ein. »Verflu<strong>ch</strong>t bist<br />

du vom (min) Boden«. Die Präposition »min« ermögli<strong>ch</strong>t vers<strong>ch</strong>iedene Übersetzungen.<br />

Erstens: »Verflu<strong>ch</strong>t bist du vom Boden (her)«. So verstanden vollzieht der<br />

Boden selbst die Verflu<strong>ch</strong>ung. Das passt zu Vers 10, wo das Blut vom Boden her<br />

zu Jahwe s<strong>ch</strong>reit. Zweitens: »Verflu<strong>ch</strong>t bist du wegen des Bodens«. So verstanden<br />

vollzieht zwar Jahwe die Verflu<strong>ch</strong>ung (siehe die direkte Anrede), aber »wegen«<br />

oder »infolge« des Bodens. Drittens: »Verflu<strong>ch</strong>t bist du vom Boden weg«. So verstanden<br />

wird Kain vom Boden weggetrieben oder verbannt. Das passt zu seinen<br />

Worten in Vers 14: »Siehe, du vertreibst mi<strong>ch</strong> heute von den Angesi<strong>ch</strong>ten des


Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 143<br />

Bodens«. Und viertens ermögli<strong>ch</strong>t der komparativis<strong>ch</strong>e Gebrau<strong>ch</strong> von »min« die<br />

Übersetzung: »Verflu<strong>ch</strong>ter bist du als der Boden«. In den deuts<strong>ch</strong>en Bibeln überwiegt<br />

die dritte Variante. 283 Die Swedenborgianer Leonhard Tafel und Ludwig H.<br />

Tafel sind jedo<strong>ch</strong> zurückhaltender. Sie übersetzen »min« mögli<strong>ch</strong>st neutral mit<br />

»von« und greifen somit kaum sinnklärend in den Text ein. In der Tradition Swedenborgs<br />

muss man der zweiten Variante den Vorzug geben: »Verflu<strong>ch</strong>t bist du<br />

wegen (oder infolge) des Bodens« 284 . Au<strong>ch</strong> die erste kann man gelten lassen. Do<strong>ch</strong><br />

die so beliebte dritte und erst re<strong>ch</strong>t die vierte s<strong>ch</strong>eiden aus. Zur Begründung diene<br />

das Folgende: In Genesis 3,17 wurde der Boden verflu<strong>ch</strong>t. Als »Kne<strong>ch</strong>t des Bodens«<br />

(Genesis 4,2) ist Kain demna<strong>ch</strong> in der Sphäre des Verflu<strong>ch</strong>ten tätig. Somit<br />

steht er vor der Ents<strong>ch</strong>eidung: Wird er den Flu<strong>ch</strong> überwinden und aufheben können?<br />

Oder wird ihn die verflu<strong>ch</strong>te »adamah« na<strong>ch</strong> unten ziehen? Die Antwort:<br />

Kains Angesi<strong>ch</strong>t fällt na<strong>ch</strong> unten und wendet si<strong>ch</strong> von oben ab. Kain kann den<br />

Flu<strong>ch</strong> also ni<strong>ch</strong>t aufheben. Stattdessen wird er nun selbst ein Verflu<strong>ch</strong>ter, einer,<br />

der si<strong>ch</strong> von oben, wo Jahwe ist, abgewendet hat und na<strong>ch</strong> unten auf das Irdis<strong>ch</strong>e<br />

blickt (siehe »aversus« in HG 378 und »deorsum spectare« in HG 379) 285 . Diese<br />

Verflu<strong>ch</strong>ung Kains ges<strong>ch</strong>ieht »wegen« oder »infolge« des Bodens, in dessen<br />

Ma<strong>ch</strong>tberei<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong> Kain befindet. Außerdem spri<strong>ch</strong>t für die zweite Variante der<br />

innere Sinn. Denn der Boden meint die geistige Grundlage, das heißt im Falle<br />

Kains die s<strong>ch</strong>ismatis<strong>ch</strong>e oder häretis<strong>ch</strong>e Lehre der Gere<strong>ch</strong>tma<strong>ch</strong>ung des Mens<strong>ch</strong>en<br />

dur<strong>ch</strong> den Glauben allein (HG 377). Kain ist demna<strong>ch</strong> wegen dieser Irrlehre<br />

ein Verflu<strong>ch</strong>ter.<br />

Der Boden »hat sein Maul aufgerissen«. Das Verb »pazah« ist ni<strong>ch</strong>t das gewöhnli<strong>ch</strong>e<br />

Wort für »öffnen«. Das ist »pata<strong>ch</strong>«, das in der hebräis<strong>ch</strong>en Bibel au<strong>ch</strong> in Verbindung<br />

mit Mund belegt ist (Gesenius 667), so dass man si<strong>ch</strong> fragen kann, warum<br />

in Genesis 4,11 »aufreißen« (pazah) und ni<strong>ch</strong>t »öffnen« (pata<strong>ch</strong>) steht. Die<br />

Antwort besteht mögli<strong>ch</strong>erweise darin, dass si<strong>ch</strong> mit »pazah« die Nebenbedeutung<br />

283<br />

Eindeutig der dritten Variante zuzuordnen sind die folgenden Übersetzungen. Die Einheitsübersetzung:<br />

»So bist du verflu<strong>ch</strong>t, verbannt vom Ackerboden«. Die Zür<strong>ch</strong>er Bibel: »Und nun -<br />

verflu<strong>ch</strong>t bist du, verbannt vom Ackerland«. Die Übersetzung von Hermann Menge: »Und nun<br />

- verflu<strong>ch</strong>t sollst du sein, (hinweggetrieben) vom Ackerboden«. Die Elberfelder Bibel: »Und<br />

nun, verflu<strong>ch</strong>t seist du von dem Ackerboden hinweg«. Die Verdeuts<strong>ch</strong>ung von Buber und Rosenzweig:<br />

»Und nun, verflu<strong>ch</strong>t seist du hinweg vom Acker«. Die Gute Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t Bibel: »Du<br />

hast den Acker mit dem Blut deines Bruders getränkt, deshalb stehst du unter einem Flu<strong>ch</strong><br />

und musst das fru<strong>ch</strong>tbare Ackerland verlassen.« Die Übersetzung »Hoffnung für alle«: Darum<br />

bist du von nun an verflu<strong>ch</strong>t: Weil du in diesem Land einen Mord begangen hast, musst du<br />

von hier fort.« Nur die Lutherbibel ist ni<strong>ch</strong>t eindeutig der dritten Variante zuzuordnen. Dort<br />

lesen wir: »Und nun: Verflu<strong>ch</strong>t seist du auf der Erde«. Die Übersetzung von »min« mit »auf« ist<br />

spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t korrekt, weswegen wir die Lutherbibel keiner der oben genannten Lesarten<br />

zuordnen können.<br />

284<br />

Einen ersten Hinweis gibt viellei<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>on Swedenborgs Übersetzung. Sie lautet: »maledictus<br />

tu de humo«. Warum hat er »min« ni<strong>ch</strong>t mit »ab« (von) übersetzt? Die Präposition »de« bedeutet<br />

jedenfalls au<strong>ch</strong> »wegen«.<br />

285<br />

»Arur« (verflu<strong>ch</strong>t) ist das Gegenteil von »baruk« (gesegnet). Diese beiden Begriffe bilden im<br />

Hebräis<strong>ch</strong>en ein Gegensatzpaar (siehe THAT 1,236-240).


144 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

von »töri<strong>ch</strong>ter, übereilter Rede« verbindet (Gesenius 653). Diese Beoba<strong>ch</strong>tung<br />

passt jedenfalls gut mit Swedenborgs Auslegung zusammen, wona<strong>ch</strong> der Boden<br />

hier die töri<strong>ch</strong>te Lehre von der Re<strong>ch</strong>tfertigung dur<strong>ch</strong> den Glauben allein meinen<br />

soll. Das Aufreißen bedeutet das Lehren dieser Häresie (HG 378). Dadur<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>windet<br />

das Blut Abels, weswegen es heißt, dass der Boden sein Maul aufriss,<br />

um das Blut Abels zu nehmen oder zu vers<strong>ch</strong>lucken. So lös<strong>ch</strong>t die Lehrtätigkeit<br />

die Liebtätigkeit aus (HG 378).<br />

Zu Genesis 4,12: »Wenn du den Boden bebaust, wird er dir seine Kraft ni<strong>ch</strong>t mehr<br />

geben.« Das heißt, die Lehre von der Gere<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung des Mens<strong>ch</strong>en, der bestimmte<br />

dogmatis<strong>ch</strong>e Satzwahrheiten für wahr hält, erzeugt kein geistli<strong>ch</strong>es oder<br />

spirituelles Leben. Die Kultivierung (»excolere«, HG 380) dieses theologis<strong>ch</strong>en<br />

Grundsatzes erweist si<strong>ch</strong> für das Leben der Kir<strong>ch</strong>e als unfru<strong>ch</strong>tbar. In den Ohren<br />

e<strong>ch</strong>ter Kainiten ist dieser Satz selbstverständli<strong>ch</strong> eine Ungeheuerli<strong>ch</strong>keit. Denn<br />

die Re<strong>ch</strong>tfertigungslehre gilt diesen Brudermördern als »articulus stantis et cadentis<br />

ecclesiae«, das heißt als »der Glaubensartikel, mit dem die Kir<strong>ch</strong>e steht und<br />

fällt«. Do<strong>ch</strong> der Absolutismus dieser töri<strong>ch</strong>ten Lehre leert die Kir<strong>ch</strong>en. Die Mens<strong>ch</strong>en<br />

su<strong>ch</strong>en Spiritualität, do<strong>ch</strong> geboten wird ihnen von den S<strong>ch</strong>warzröcken nur<br />

das leere Stroh einer fals<strong>ch</strong>en Kreuzestheologie. Und so wandert das Glaubensvolk<br />

aus und su<strong>ch</strong>t woanders die Quelle des Lebens.<br />

»Koa<strong>ch</strong>« bedeutet Kraft, hier die Kraft des Erdrei<strong>ch</strong>s, die es ni<strong>ch</strong>t aus si<strong>ch</strong> heraus<br />

hat, sondern aus dem Saatgut des göttli<strong>ch</strong>en Geistes, der im Erdrei<strong>ch</strong> die Materie<br />

oder den mütterli<strong>ch</strong>er Stoff vorfindet, um daraus die ihm entspre<strong>ch</strong>ende Leibli<strong>ch</strong>keit<br />

zu formen. »Koa<strong>ch</strong>« ist hier die mütterli<strong>ch</strong>e oder seelis<strong>ch</strong>e Kraft, etwas aus<br />

etwas zu gestalten. »Koa<strong>ch</strong>« ist die Erzeugungsfähigkeit und dann au<strong>ch</strong> der Ertrag<br />

dieser ausformenden und gebärenden Kraft. Die Mutter Erde wird unfru<strong>ch</strong>tbar.<br />

Was für ein Forts<strong>ch</strong>ritt! In Genesis 3,17-18 hieß es demgegenüber nur: »… so sei<br />

der Erdboden verflu<strong>ch</strong>t um deinetwillen. Mit Mühsal sollst du davon essen alle<br />

Tage deines Lebens, Dornen und Disteln wird er dir sprossen lassen, und du wirst<br />

das Kraut des Feldes essen!« Immerhin, die »adamah« bra<strong>ch</strong>te damals no<strong>ch</strong> etwas<br />

hervor. Nun aber wird sie unfru<strong>ch</strong>tbar (»sterilis«, HG 380). Denn sie hat das Blut<br />

Abels aufgenommen. Das Blut gilt als der Sitz des Lebens (Num 17,11). Do<strong>ch</strong> der<br />

Lebenssaft Abels befru<strong>ch</strong>tet die »adamah« des Brudermörders ni<strong>ch</strong>t. Denn er ist<br />

das Blut einer Bluttat. Und indem dieses Blut den Boden dur<strong>ch</strong>tränkt, wird die<br />

Gewalttat die Seele oder das Wesen der »adamah« Kains. Sein Studium der S<strong>ch</strong>riften<br />

kann fortan nur no<strong>ch</strong> den Tod gebären. Sein Studium der S<strong>ch</strong>riften bleibt unfru<strong>ch</strong>tbar,<br />

weil es keine Werke hervorbringen will und daher au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t kann.<br />

Werke sind aber die Frü<strong>ch</strong>te des Studiums der alten, heiligen Texte. Steril wird<br />

dieses Studium, wenn es nur no<strong>ch</strong> um historis<strong>ch</strong>e Fragen geht und dabei vergessen<br />

wird, dass die biblis<strong>ch</strong>e Exegese keine reine Wissens<strong>ch</strong>aft sein, sondern dem<br />

kir<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Leben dienen soll. Mit dem Mord an seinem Bruder hat Kain seinen<br />

eigenen Glaubensboden unfru<strong>ch</strong>tbar gema<strong>ch</strong>t. Der Glaube hat den Liebeshau<strong>ch</strong>


Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 145<br />

verni<strong>ch</strong>tet, so dass nun au<strong>ch</strong> die Glaubensgrundlagen ni<strong>ch</strong>t mehr fru<strong>ch</strong>tbar werden<br />

können.<br />

Die stabreimartige Verbindung »na‘ wanod« (»unstet und flü<strong>ch</strong>tig«) 286 kommt im<br />

gesamten Alten Testament nur hier vor. Swedenborg bringt in HG 382 zwar einige<br />

Verglei<strong>ch</strong>sstellen, sie enthalten aber ni<strong>ch</strong>t die oben genannte Verbindung und<br />

teilweise au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t die darin verborgenen Verben, sondern nur sinnverwandte.<br />

Denno<strong>ch</strong> kann Swedenborg den folgenden Sinn ermitteln: Unstet und flü<strong>ch</strong>tig sein<br />

bedeutet »ni<strong>ch</strong>t wissen, was wahr und gut ist«. Kain gerät demna<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> den<br />

Brudermord in geistige Orientierungslosigkeit. Das Verb »nua‘« bedeutet<br />

»(s<strong>ch</strong>)wanken«, »haltlos« bzw. »heimatlos sein«. Und das Verb »nud« hat eine ähnli<strong>ch</strong>e<br />

Bedeutung, denn es bedeutet »(s<strong>ch</strong>)wanken«, »ziellos« bzw. »heimatlos sein«.<br />

Die Glaubenswissens<strong>ch</strong>aft ist na<strong>ch</strong> dem Brudermord ni<strong>ch</strong>t mehr im Glaubensleben<br />

verankert. Daher verliert Kain den Boden unter den Füßen und gerät ins<br />

Wanken, das heißt er wird in seiner s<strong>ch</strong>einbar festgefügten Meinung unsi<strong>ch</strong>er.<br />

Die stabreimartige Wiederholung zeigt an, dass si<strong>ch</strong> diese Verunsi<strong>ch</strong>erung sowohl<br />

auf den Standpunkt (das Wahre) als au<strong>ch</strong> auf den Zielpunkt (das Gute) auswirkt.<br />

»Flü<strong>ch</strong>tig« wird die Glaubenswissens<strong>ch</strong>aft, weil sie na<strong>ch</strong> dem Brudermord ihren<br />

Halt im kir<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>-spirituellen Leben verliert und nun den Angriffen von außen<br />

ausgeliefert ist und ihnen entgehen mö<strong>ch</strong>te. So befindet si<strong>ch</strong> die Glaubenswissens<strong>ch</strong>aft<br />

ständig auf der Flu<strong>ch</strong>t vor glaubensfremden Argumenten in der Angst, von<br />

ihnen ers<strong>ch</strong>lagen zu werden.<br />

Zu Genesis 4,13: »Da sagte Kain zu Jahwe: ›Zu groß ist meine Verkehrtheit, als<br />

dass sie aufgehoben werden könnte.‹« Für das hebräis<strong>ch</strong>e »awon« steht in den<br />

deuts<strong>ch</strong>en Bibeln meist »Strafe«. 287 Die katholis<strong>ch</strong>e Einheitsübersetzung hat<br />

»S<strong>ch</strong>uld«. Und Leonhard und Ludwig Tafel haben »Misset(h)at«. Die deuts<strong>ch</strong>en<br />

Interpreten der hebräis<strong>ch</strong>en Partitur betonen demna<strong>ch</strong> mehrheitli<strong>ch</strong> den Ans<strong>ch</strong>luss<br />

an Vers 12. Dort war von der Straffolge die Rede, und darauf reagiert Kain<br />

nun mit den Worten: »Zu groß ist meine Strafe, als dass i<strong>ch</strong> sie tragen könnte.«<br />

(Elberfelder Bibel). Werfen wir einen Blick auf Swedenborg! In der lateinis<strong>ch</strong>en<br />

Bibel von Sebastian S<strong>ch</strong>midt fand er »delictum« (Vergehen) vor. Er selbst wählte<br />

aber »iniquitas« (Unebenheit, Ungere<strong>ch</strong>tigkeit).<br />

Das hebräis<strong>ch</strong>e »awon« meint den ganzen Zusammenhang vom Vergehen über die<br />

S<strong>ch</strong>uld bis zur Strafe. Denn na<strong>ch</strong> Rolf Knierim wurzelt der Begriff »im dynamistis<strong>ch</strong>en<br />

Ganzheitsdenken«. Zur gängigen Übersetzungspraxis s<strong>ch</strong>reibt er: »Angesi<strong>ch</strong>ts<br />

der dur<strong>ch</strong> das Ganzheitsdenken bestimmten einheitli<strong>ch</strong>en Verwendung<br />

des Begriffs ›awon‹ für die vers<strong>ch</strong>iedenen Stadien eines Untat-Ges<strong>ch</strong>ehensablaufes<br />

286<br />

Die Verdeuts<strong>ch</strong>ung von Buber und Rosenzweig ahmt den Stabreim mit den Worten »s<strong>ch</strong>wank<br />

und s<strong>ch</strong>weifend« na<strong>ch</strong>.<br />

287<br />

»Strafe« steht in der Elberfelder Bibel (in der Anmerkung wird auf die Alternative »S<strong>ch</strong>uld«<br />

hingewiesen), in der Lutherbibel (1984), in der Zür<strong>ch</strong>er Bibel (1931), in der Übersetzung von<br />

Hermann Menge (in Klammern steht »oder: Sündens<strong>ch</strong>uld), in der Gute Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t Bibel<br />

(1997) und in der Hoffnung für alle (2002).


146 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

(Tat - Folgesituation - Vollendung) wird die herkömmli<strong>ch</strong>e, au<strong>ch</strong> lexikographis<strong>ch</strong>e<br />

Übersetzungspraxis problematis<strong>ch</strong>. Sie übersetzt ›awon‹ je na<strong>ch</strong> dem Kontext mit<br />

›Vergehen‹ - ›S<strong>ch</strong>uld‹ - ›Strafe‹. Zunä<strong>ch</strong>st einmal können ›S<strong>ch</strong>uld‹ und ›Strafe‹ nur<br />

no<strong>ch</strong> als freie Interpretationen der Grundbedeutung angesehen werden. Darüber<br />

hinaus drohen die Implikationen der Einheitli<strong>ch</strong>keit eines Ges<strong>ch</strong>ehensablaufes<br />

und die Einheitli<strong>ch</strong>keit desselben hebr. Begriffes in vers<strong>ch</strong>iedenen Kontexten<br />

dur<strong>ch</strong> die Vers<strong>ch</strong>iedenheit der Übersetzung verlorenzugehen.« (THAT II,245). Die<br />

hier angespro<strong>ch</strong>ene Grundbedeutung des Verbums »awah«, von dem »awon« abgeleitet<br />

ist, ist »beugen«, »krümmen«, »verkehren«, »verdrehen«. Daher haben wir<br />

uns, einem Vors<strong>ch</strong>lag von Rolf Knierim folgend, für »Verkehrtheit« als Übersetzung<br />

von »awon« ents<strong>ch</strong>ieden.<br />

Bevor wir diese Überlegungen abrunden können, müssen wir no<strong>ch</strong> etwas zum<br />

Verb »nasa’« sagen. Wieder ist nämli<strong>ch</strong> eine Vorliebe in den deuts<strong>ch</strong>en Bibeln zu<br />

beoba<strong>ch</strong>ten. Dort steht mehrheitli<strong>ch</strong> »tragen«. 288 Swedenborg ents<strong>ch</strong>ied si<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong><br />

für »auferre« (wegtragen). Daher finden wir in den neukir<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Bibeln von<br />

Leonhard Tafel und Ludwig Tafel »wegnehmen«. Au<strong>ch</strong> das Verb »nasa’« deckt<br />

einen ganzen Zusammenhang ab. Es bedeutet »aufheben«, »tragen« und »wegtragen«.<br />

In Verbindung mit Sünde kann es au<strong>ch</strong> »vergeben« bedeuten. Der Übersetzer,<br />

der in seiner Zielspra<strong>ch</strong>e keine Worte vorfindet, die alle Aspekte in si<strong>ch</strong> vereinen,<br />

muss wohl oder übel einen Aspekt herausgreifen und dadur<strong>ch</strong> beim Leser<br />

den Eindruck erwecken, dieser eine Gesi<strong>ch</strong>tspunkt sei der ri<strong>ch</strong>tige.<br />

In diesem Sinne haben wir in der Tradition Swedenborgs eine bestimmte Teilbedeutung<br />

hervorgehoben. Wir hören aus den Worten Kains Resignation oder Verzweiflung<br />

(»desperatio«, HG 383) heraus, die er in die Worte kleidet: »Meine Verkehrtheit<br />

ausgehend von dem, was i<strong>ch</strong> getan habe, bis zu den letzten Tatsa<strong>ch</strong>en,<br />

die si<strong>ch</strong> daraus ergeben werden, ist einfa<strong>ch</strong> viel zu groß, als dass das je wieder<br />

aufgehoben oder rückgängig gema<strong>ch</strong>t werden könnte.« Kain s<strong>ch</strong>afft eine neue<br />

Wirkli<strong>ch</strong>keit, der die Mens<strong>ch</strong>heit fortan ni<strong>ch</strong>t mehr wird entkommen können. So<br />

groß, so umfassend ist diese neue, kainitis<strong>ch</strong>e Wirkli<strong>ch</strong>keit. Au<strong>ch</strong> Jahwe muss sie<br />

respektieren.<br />

Zu Genesis 4,14: Mit Swedenborg zerlegen wir den Vers in vier Abs<strong>ch</strong>nitte. Erstens:<br />

»Siehe, du vertreibst mi<strong>ch</strong> heute vom Angesi<strong>ch</strong>t (von der Oberflä<strong>ch</strong>e) des<br />

Bodens«. Zweitens: »Und vor deinem Angesi<strong>ch</strong>t werde i<strong>ch</strong> verborgen sein«. Oder:<br />

»Und vor deinem Angesi<strong>ch</strong>t muss i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> verbergen«. Mit Swedenborg bevorzugen<br />

wir die erste Übersetzung. 289 Drittens: »So dass i<strong>ch</strong> unstet und flü<strong>ch</strong>tig sein<br />

288<br />

»Tragen« steht in der Elberfelder Bibel (1991), in der Lutherbibel (1984), in der Zür<strong>ch</strong>er Bibel<br />

(1931), in der Übersetzung von Hermann Menge und in der Einheitsübersetzung. Die Hoffnung<br />

für alle (2002) hat »ertragen«.<br />

289<br />

Bei Sebastian S<strong>ch</strong>midt fand Swedenborg »me abscondere cogar« (i<strong>ch</strong> muss mi<strong>ch</strong> verbergen)<br />

vor. Er selbst übersetzte aber die hebräis<strong>ch</strong>e Verbform mit »abscondar« (i<strong>ch</strong> werde verborgen).<br />

Das Verb »nistar« bedeutet »si<strong>ch</strong> verbergen« und »verborgen sein« (Gesenius 553). Horst Seebass<br />

übersetzt es in Genesis 4,14 mit »werde i<strong>ch</strong> … verborgen sein« und kommentiert diese


Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 147<br />

werde auf Erden«. Viertens: »Und dann wird es ges<strong>ch</strong>ehen, dass jeder, der mi<strong>ch</strong><br />

findet, mi<strong>ch</strong> tots<strong>ch</strong>lagen wird«. Diese vier Abs<strong>ch</strong>nitte lassen si<strong>ch</strong> zu zwei Gruppen<br />

vereinen. Denn die ersten zwei Abs<strong>ch</strong>nitte enthalten Verben der Trennung (vertreiben<br />

und verbergen). Und die zweiten zwei Abs<strong>ch</strong>nitte beginnen mit einem<br />

Perfekt consecutivum, das heißt mit einer hebräis<strong>ch</strong>en Verbform, die eine folgernde<br />

Funktion hat. Hier bringen diese Verbformen die Folgen der zuvor genannten<br />

Trennungen (»separari«, HG 385) zum Ausdruck.<br />

Die erste Trennung bezieht Swedenborg auf das Wahre (HG 386), die zweite auf<br />

das Gute (HG 387). Zur Vertreibung vom Boden sei erläuternd gesagt: Kain wird<br />

von seiner Glaubensgrundlage ges<strong>ch</strong>ieden. Denn das Verweilen bei einem Glauben<br />

ist weniger eine Sa<strong>ch</strong>e des Denkens; gedankli<strong>ch</strong> lässt si<strong>ch</strong> nämli<strong>ch</strong> sehr viel<br />

begründen und plausibel ma<strong>ch</strong>en. Die Bindung an einen Glauben ist vielmehr<br />

eine Sa<strong>ch</strong>e des Gefühls oder jenes Hau<strong>ch</strong>es, den Abel darstellt. Na<strong>ch</strong> der Auslös<strong>ch</strong>ung<br />

Abels wird au<strong>ch</strong> die innere Verbundenheit mit dem bis dahin Geglaubten<br />

s<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>er und vers<strong>ch</strong>windet s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> ganz und gar. Und die zweite Trennung,<br />

das Verbergen des Angesi<strong>ch</strong>tes ist ein Zei<strong>ch</strong>en dafür, dass der veräußerli<strong>ch</strong>te<br />

Glaube den Zugang zum Inneren oder den eigentli<strong>ch</strong>en Lebensgeheimnissen total<br />

verloren hat. Der kainitis<strong>ch</strong>e Glaube empfindet tiefe Abs<strong>ch</strong>eu und einen unausspre<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />

Widerwillen gegenüber dem Guten des Lebens. Daher ist ihm das<br />

Angesi<strong>ch</strong>t Jahwes unerträgli<strong>ch</strong>. Swedenborg s<strong>ch</strong>reibt: »Man<strong>ch</strong>e sind der Meinung,<br />

dass Gott sein Angesi<strong>ch</strong>t vom Mens<strong>ch</strong>en abwende« (HH 545), do<strong>ch</strong> der Mens<strong>ch</strong><br />

wendet si<strong>ch</strong> selbst vom Herrn ab »und wendet sein Gesi<strong>ch</strong>t jener Hölle zu, mit der<br />

er in der Welt verbunden gewesen war« (HH 548). In Vers 5 war davon die Rede,<br />

dass si<strong>ch</strong> Kains Angesi<strong>ch</strong>t senkte. Zwis<strong>ch</strong>en dieser Fallbewegung und dem Verbergen<br />

des Angesi<strong>ch</strong>tes Jahwes besteht ein innerer Zusammenhang. Denn wenn<br />

wir uns unter dem Angesi<strong>ch</strong>t Jahwes die Sonne vorstellen, dann vers<strong>ch</strong>wand es<br />

s<strong>ch</strong>on, als Kain seinen Blick senkte und nur no<strong>ch</strong> den Boden anstarrte. Für den<br />

kainitis<strong>ch</strong>en Glauben ist Gott ein »Deus absconditus«, ein verborgener Gott.<br />

S<strong>ch</strong>auen wir auf die Folgen der beiden Trennungen. Die erste Konsequenz ist die<br />

Orientierungslosigkeit oder die Unwissenheit in Bezug auf das Wahre und Gute<br />

(HG 388). Und die zweite ist die Anfälligkeit für alles Böse und Fals<strong>ch</strong>e (HG<br />

389). 290<br />

Übersetzung mit den Worten: »str impf. ni. heißt zwar überwiegend ›si<strong>ch</strong> verbergen‹, aber das<br />

gibt hier keinen Sinn.« (144). Das bestätigt Swedenborgs Übersetzung. Die meisten deuts<strong>ch</strong>en<br />

Bibeln haben jedo<strong>ch</strong> »i<strong>ch</strong> muss mi<strong>ch</strong> verbergen« (siehe die neukir<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Bibeln von Leonhard<br />

und Ludwig Tafel, die Lutherbibel, die Zür<strong>ch</strong>er Bibel, die Einheitsübersetzung, die Übersetzung<br />

von Hermann Menge und die Elberfelder Bibel).<br />

290<br />

Zu den Merkwürdigkeiten der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te gehört, dass sie zuweilen mehr Mens<strong>ch</strong>en voraussetzt<br />

als vorhanden sein können. Na<strong>ch</strong> dem Brudermord gibt es nur drei Mens<strong>ch</strong>en auf<br />

Erden: Adam, Eva und Kain. Denno<strong>ch</strong> sagt Kain: »Und es wird ges<strong>ch</strong>ehen, dass jeder, der<br />

mi<strong>ch</strong> findet, mi<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>lagen wird.« Vor wel<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en für<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> Kain eigentli<strong>ch</strong>?<br />

Swedenborg verstand die Personen der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te ni<strong>ch</strong>t als Individuen, sondern als Kollektive.


148 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Zu Genesis 4,15: »Aber Jahwe spra<strong>ch</strong> zu ihn: ›Ebendeswegen 291 soll jeder, der Kain<br />

ers<strong>ch</strong>lägt, siebenfa<strong>ch</strong> Ra<strong>ch</strong>e erleiden.‹« Hier ist besonders »das Erstaunli<strong>ch</strong>e zu<br />

würdigen, dass Jahwe si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> seinem eindeutigen Urteil über Kains Tat so außerordentli<strong>ch</strong><br />

für Kain einsetzen kann.« (Seebass 159). Do<strong>ch</strong> Swedenborg gibt<br />

eine sehr einleu<strong>ch</strong>tende Erklärung. Sie ergibt si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> all dem Gesagten beinahe<br />

von selbst aus seiner Interpretation Kains. Kain oder »der isolierte Glaube« (»fides<br />

separata«, HG 394) darf um des Heils des Mens<strong>ch</strong>enges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tes willen ni<strong>ch</strong>t<br />

au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> zerstört werden. Daher fügt Jahwe es so, dass die Überlieferungen des<br />

Glaubens sakrosankt werden (»sacrosanctum«, HG 395). Und dann dürfen sie als<br />

geheiligte oder ho<strong>ch</strong>heilige Überlieferungen ni<strong>ch</strong>t mehr angetastet werden. Die<br />

Sieben weist auf etwas Ho<strong>ch</strong>heiliges hin (HG 395). Daher meint »siebenfa<strong>ch</strong>e Ra<strong>ch</strong>e«:<br />

Wer die dem profanen oder mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Zugriff entzogenen und dadur<strong>ch</strong><br />

geheiligten Glaubenslehren der Kritik und den Manipulationen des Intellekts oder<br />

der eigenen Klugheit unterwirft, der handelt si<strong>ch</strong> damit die Strafe eines S<strong>ch</strong>änders<br />

heiliger Dinge ein. Denn der äußere Verstand erhebt si<strong>ch</strong> über alles sogenannte<br />

Heilige, verliert je länger er am Werk ist um so mehr jegli<strong>ch</strong>e A<strong>ch</strong>tung gegenüber<br />

den Traditionen der Väter und Mütter des Glaubens und am Ende hat er das ganze<br />

Erbe aufgelöst und steht vor dem Ni<strong>ch</strong>ts seiner s<strong>ch</strong>ändli<strong>ch</strong>en Leistung. Deswegen<br />

will Jahwe, dass Kain ni<strong>ch</strong>t dem mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Geri<strong>ch</strong>t und dem mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Urteil<br />

ausgeliefert wird, obwohl er ein Brudermörder ist und au<strong>ch</strong> bleibt. Der<br />

Verstand hat s<strong>ch</strong>on Re<strong>ch</strong>t, wenn er vermutet, dass mit den »heiligen« Texten etwas<br />

ni<strong>ch</strong>t stimmt, aber das gibt ihm denno<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t das Re<strong>ch</strong>t, diese alten Zeugen<br />

einer großen Wahrheit vor das Geri<strong>ch</strong>t seiner eigenen Be- und Verurteilung zu<br />

zerren. Die Heiligung oder Tabuisierung bestimmter Traditionen ist die Folge eines<br />

Urfrevels. Na<strong>ch</strong> dem Verlust der lebendigen Gottesbeziehung (Abel) musste<br />

eine Ersatzstabilisierung gefunden werden. Und das ist die Heiligung des Brudermörders.<br />

Do<strong>ch</strong> aufgrund seiner Herkunft neigt der sol<strong>ch</strong>erart Geheiligte zur Verhärtung,<br />

Dogmatismus genannt. Diese Sklerose erinnert ihn an den einstigen<br />

Mord, an die Auslös<strong>ch</strong>ung des Lebens, der er seinen Aufstieg verdankt.<br />

Die zweite Hälfte des Verses lautet in einer mögli<strong>ch</strong>st wörtli<strong>ch</strong>en Übersetzung:<br />

»Und Jahwe setzte dem Kain ein Zei<strong>ch</strong>en, damit jeder, der ihn findet, ihn ni<strong>ch</strong>t<br />

tots<strong>ch</strong>lage.« Für das hebräis<strong>ch</strong>e »ot« (»Zei<strong>ch</strong>en«) fand Swedenborg bei Sebastian<br />

S<strong>ch</strong>midt »miraculum« (Wunder) vor. Denn »setzen« in Verbindung mit »ot« und<br />

Jahwe als Subjekt »wird nur in poetis<strong>ch</strong>en Texten und so verwandt, dass die Zei<strong>ch</strong>en<br />

entweder in der Zukunft oder in der Vergangenheit liegen.« So meinen Ex<br />

10,2, Ps 78,43, Jer 32,20 und Ps 105,27 rückblickend die den Exodus begleitenden<br />

Wunder; Jes 66,19 hingegen meint ein zukünftiges (siehe Seebass 159). Daher<br />

könnte au<strong>ch</strong> hier ein Jahwes Zusage beglaubigendes Wunder (»miraculum«)<br />

gemeint sein. Swedenborg ents<strong>ch</strong>ied si<strong>ch</strong> aber gegen die Übersetzung von<br />

S<strong>ch</strong>midt für »signum« (Zei<strong>ch</strong>en). Allerdings interessiert ihn ni<strong>ch</strong>t so sehr die Art<br />

291<br />

Der masoretis<strong>ch</strong>e Text hat »laken« (daher, fürwahr). Einige alte Übersetzungen setzen hingegen<br />

»lo ken« (ni<strong>ch</strong>t so) voraus.


Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 149<br />

des Zei<strong>ch</strong>ens, sondern dessen Funktion. Es dient nämli<strong>ch</strong> der Unters<strong>ch</strong>eidung<br />

(distinguere, HG 396) und infolgedessen der Erhaltung (conservare, HG 396) des<br />

Glaubens. Es ist also ein Zei<strong>ch</strong>en des S<strong>ch</strong>utzes. Die Glaubensüberlieferungen werden<br />

von den übrigen unters<strong>ch</strong>ieden, indem sie mit einer Aura des Heiligen umgeben<br />

werden. Das dient ihrer mögli<strong>ch</strong>st unversehrten Bewahrung dur<strong>ch</strong> die Zeiten<br />

hindur<strong>ch</strong>.<br />

Zu Genesis 4,16: »Und Kain ging vom Angesi<strong>ch</strong>t Jahwes weg«. Damit vollzieht er<br />

die Ankündigung von Vers 14: »Vor deinem Angesi<strong>ch</strong>t werde i<strong>ch</strong> verborgen sein«.<br />

Er trennt si<strong>ch</strong> also nun wirkli<strong>ch</strong> »vom Guten des Glaubens der Liebe« (HG 398). Zu<br />

bea<strong>ch</strong>ten ist, dass si<strong>ch</strong> Kain von Jahwe trennt, ni<strong>ch</strong>t Jahwe von Kain. Denn der<br />

Mens<strong>ch</strong> ist es, der in seiner Verfinsterung die Nähe seines Gottes ni<strong>ch</strong>t mehr ertragen<br />

kann und das Weite su<strong>ch</strong>t. Diese Flu<strong>ch</strong>t vor der zu großen Nähe Gottes<br />

beinhaltet aber au<strong>ch</strong> einen Neuanfang. Das Verb »jaza’« deutet das insofern an, als<br />

es au<strong>ch</strong> den Ausgangspunkt einer neuen Entwicklung anzeigen kann. 292 Diesen<br />

Aspekt hervorhebend, können wir das Versstück so übersetzen: »Kain zog vom<br />

Angesi<strong>ch</strong>t Jahwes aus«. Oder: »Kain ging vom Angesi<strong>ch</strong>t Jahwes hervor«. Und<br />

tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> wird Kain dur<strong>ch</strong> seinen Auszug aus dem Angesi<strong>ch</strong>t (= dem Inneren)<br />

Jahwes zum Begründer der äußeren Kultur (Genesis 4,20-22).<br />

»Und er ließ si<strong>ch</strong> im Land Nod nieder, östli<strong>ch</strong> von Eden«. Wie lässt si<strong>ch</strong> das unstete<br />

und flü<strong>ch</strong>tige Dasein Kains mit seinem neuen, festen Wohnsitz »im Land Nod«<br />

vereinbaren? Die Antwort ist einfa<strong>ch</strong>. Das Land Nod ist nämli<strong>ch</strong> in der Bilderspra<strong>ch</strong>e<br />

der Bibel genau dieser neue Zustand des geistigen Elends und der Heimatlosigkeit<br />

(Gesenius 491), es ist »das Land der Ruhelosigkeit« (v. Rad 78). »Nod«<br />

greift »na wa-nod« (unstet und flü<strong>ch</strong>tig) auf (HG 398). Dieser elende Zustand des<br />

Mens<strong>ch</strong>en, der seine Heimat bei Gott verloren hat, erinnert mi<strong>ch</strong> an das berühmte<br />

Wort Augustins: »… denn du hast uns auf di<strong>ch</strong> hin ers<strong>ch</strong>affen, und ruhelos ist unser<br />

Herz, bis es ruht in dir« (»… quia fecisti nos ad te et inquietum est cor nostrum,<br />

donec requiescat in te«, Confessiones I,1,1).<br />

Das Land Nod liegt »östli<strong>ch</strong> von Eden«. Eden, der Wonnegau der Liebe, liegt demna<strong>ch</strong><br />

von Nod (bzw. Kain) aus gesehen im Westen und somit in der Gegend des<br />

Sonnenuntergangs. Na<strong>ch</strong> Gesenius bedeutet »qidmah« neben »östli<strong>ch</strong> von« au<strong>ch</strong><br />

»gegenüber« (701). Das wirft ein Li<strong>ch</strong>t auf Swedenborgs Interpretation. Er übersetzt<br />

nämli<strong>ch</strong>: »gegen den Osten Edens hin« (versus orientem Edenis). Und das<br />

bedeutet: Kain wohnte »di<strong>ch</strong>t neben (juxta) dem verständigen Gemüt, wo früher<br />

die Liebe herrs<strong>ch</strong>te« (HG 398). Das heißt: Der Glaube ist nun zwar separiert oder<br />

als etwas Besonderes von der Liebe unters<strong>ch</strong>ieden, aber er ist immer no<strong>ch</strong> »gegenüber«<br />

dem ursprüngli<strong>ch</strong>en Wonnegau vor der Entzweiung angesiedelt. »Juxta«<br />

(di<strong>ch</strong>t neben) ist mit »jungere« (Verbinden) verwandt. Für Swedenborg s<strong>ch</strong>eint<br />

292<br />

Darauf lassen die folgenden Verwendungen s<strong>ch</strong>ließen: »v. d. neugeborenen Kinde«, »si<strong>ch</strong>tbar<br />

w.«, »v. d. Sonne u. d. Gestirnen: aufgehn«, »v. Pflanzen: aus der Erde kommen«, »entspringen<br />

(v. Flusse)« (Gesenius 310f.).


150 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

hier also no<strong>ch</strong> eine gewisse Verbindung zwis<strong>ch</strong>en dem Land Nod und dem »Osten<br />

Edens« zu bestehen. Im Fortgang der Urerzählungen der Bibel (Genesis 1 bis 11)<br />

wird die Entfernung vom Osten (»qedem«) oder von der Urzeit (ebenfalls »qedem«)<br />

immer größer werden. Die Erzählung von Babel und seinem Turm leitet das Ges<strong>ch</strong>ehen<br />

mit den Worten ein: »Und es ges<strong>ch</strong>ah bei ihrem Aufbru<strong>ch</strong> von Osten«<br />

(Genesis 11,2). Dort wird der Absturz in das rein analytis<strong>ch</strong>-zerlegende Denken<br />

erzählt. So weit unten ist Kain no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t angekommen. Er wohnt no<strong>ch</strong> in einem<br />

Land, das »östli<strong>ch</strong> von Eden« liegt.<br />

Eine Synthese des inneren Sinnes<br />

Wir haben Genesis 4,1 bis 16 Vers für Vers bespro<strong>ch</strong>en und ni<strong>ch</strong>t selten sogar<br />

den Sinngehalt einzelner Worte untersu<strong>ch</strong>t. Nun wollen wir das Ganze zusammenfassen,<br />

indem wir den inneren Sinn als eine Art Übersetzung von Genesis 4,1<br />

bis 16 darbieten. Dieses Vorgehen ist ni<strong>ch</strong>t unproblematis<strong>ch</strong>, denn es erweckt den<br />

Eindruck als ließen si<strong>ch</strong> die Korrespondenzen so einfa<strong>ch</strong> in einen äußeren Wortlaut<br />

umgießen. Denno<strong>ch</strong> wollen wir dem Leser, der uns bis hierhin gefolgt ist, mit<br />

dieser Übersetzung die eigenständige Synthese oder Zusammens<strong>ch</strong>au des inneren<br />

Sinnes ein wenig erlei<strong>ch</strong>tern.<br />

1. Die älteste Kir<strong>ch</strong>e bra<strong>ch</strong>te eine Glaubenslehre hervor und meinte, damit etwas<br />

selbständig Seiendes kreiert zu haben. 2. Außerdem bra<strong>ch</strong>te sie die Nä<strong>ch</strong>stenliebe<br />

hervor. Diese leitete die Mens<strong>ch</strong>en zum ges<strong>ch</strong>wisterli<strong>ch</strong>en Verhalten in der Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

an. Die Glaubenslehre hingegen bes<strong>ch</strong>äftigte si<strong>ch</strong> nur mit den theoretis<strong>ch</strong>en<br />

Grundlagen. 3. Beide Tätigkeiten galten als gottesdienstli<strong>ch</strong>. Und so<br />

bra<strong>ch</strong>te die Dogmatik dem Gottesleben ihre Lehrsätze dar. 4. Die Nä<strong>ch</strong>stenliebe<br />

aber bra<strong>ch</strong>te ihm das Heilige und Himmlis<strong>ch</strong>e dar. Diese Gaben waren dem Gottesleben<br />

angenehm. 5. Aber das bloße Glaubenswissen konnte ihm ni<strong>ch</strong>t angenehm<br />

sein. Do<strong>ch</strong> das erregte den Zorn der Glaubenswissens<strong>ch</strong>aft, die si<strong>ch</strong> daraufhin<br />

si<strong>ch</strong> selbst zuwandte und vom Gottesleben abkehrte. 6. Da meldete si<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong><br />

die Stimme des Gewissens und sagte: »Warum erregt das deinen Zorn? Und<br />

warum wendet si<strong>ch</strong> dein Inneres von mir ab? 7. Ist es ni<strong>ch</strong>t so? Wenn du di<strong>ch</strong> zum<br />

Guten dur<strong>ch</strong>ringen könntest, dann würde si<strong>ch</strong> dein Inneres wieder erheben. Wenn<br />

du di<strong>ch</strong> aber gegen das Gute ents<strong>ch</strong>eidest, dann lauert die Sünde wie ein Dämon<br />

vor der Tür deines Willens. Bedenke do<strong>ch</strong>! Die Nä<strong>ch</strong>stenliebe hat ein inniges Verlangen<br />

na<strong>ch</strong> dir, du aber willst sie beherrs<strong>ch</strong>en und ni<strong>ch</strong>t anerkennen, dass sie<br />

deine Seele ist und di<strong>ch</strong> lenken und leiten will.« 8. Aber der Glaube hörte ni<strong>ch</strong>t auf<br />

die Stimme des Gewissens, sondern verwickelte die Nä<strong>ch</strong>stenliebe in dogmatis<strong>ch</strong>e<br />

Streitgesprä<strong>ch</strong>e. Und auf diesem Feld des Disputs erhob er si<strong>ch</strong> dann über sie und<br />

s<strong>ch</strong>lug sie brutal mit theologis<strong>ch</strong>en Argumenten tot. 9. Do<strong>ch</strong> sofort meldete si<strong>ch</strong><br />

wieder die Stimme des Gewissens und fragte: »Wo ist denn die Nä<strong>ch</strong>stenliebe<br />

geblieben?« Der Glaube aber reagierte unwillig, indem er spra<strong>ch</strong>: »Das weiß i<strong>ch</strong><br />

do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t. Bin i<strong>ch</strong> etwa der Aufpasser meines Bruders?« 10. Do<strong>ch</strong> die innere<br />

Stimme ließ si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> diese dreiste Antwort ni<strong>ch</strong>t zum S<strong>ch</strong>weigen bringen. Und


Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 151<br />

so wurde der Dogmatik der ganze Umfang ihrer mörderis<strong>ch</strong>en Überhebli<strong>ch</strong>keit<br />

bewusst: »Mein Gott, was habe i<strong>ch</strong> da angeri<strong>ch</strong>tet! Mein eigener Grund und Boden<br />

ist von einer Bluttat dur<strong>ch</strong>tränkt, von einem himmels<strong>ch</strong>reienden Unre<strong>ch</strong>t. 11.<br />

Bereits die Grundlage meiner Wissens<strong>ch</strong>aft stellt eine Abkehr von Gott dar. 12.<br />

Damit ist mein ganzes Tun unfru<strong>ch</strong>tbar geworden. Denn wenn i<strong>ch</strong> nun die heiligen<br />

Texte bearbeiten werde, dann wird daraus keine Nahrung für das Gottesleben<br />

in der Seele hervorgehen. Vollkommen orientierungslos werde i<strong>ch</strong> umherirren.«<br />

13. Verzweifelt spra<strong>ch</strong> der Glaube zum Herrn des Lebens: »Zu groß ist meine Verkehrtheit,<br />

als dass sie je wieder aufgehoben werden könnte. 14. Nun werde i<strong>ch</strong><br />

von allem Wahren und Guten der Kir<strong>ch</strong>e für immer getrennt sein. Orientierungslos<br />

werde i<strong>ch</strong> umhers<strong>ch</strong>weifen und allen Angriffen s<strong>ch</strong>utzlos ausgeliefert sein.«<br />

15. Do<strong>ch</strong> die innere Stimme sagte: »Nein! Deine Angst geht mit dir dur<strong>ch</strong>. Du bist<br />

zwar nun, weil du den inneren Lebenshau<strong>ch</strong> ausgelös<strong>ch</strong>t hast, eine äußere Wissens<strong>ch</strong>aft<br />

geworden. Aber selbst in dieser Verkehrtheit bewahrst du immerhin<br />

no<strong>ch</strong> ein göttli<strong>ch</strong>es Urwissen auf. Deswegen soll jeder, der di<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>lägt, meine<br />

göttli<strong>ch</strong>e Hand zu spüren bekommen.« Und so zei<strong>ch</strong>nete Jahwe das Glaubenswissen<br />

als etwas Besonderes aus, damit die Mens<strong>ch</strong>en dieses Erbe unangetastet lassen.<br />

16. Dana<strong>ch</strong> entfernte si<strong>ch</strong> der Glaube von der Wahrnehmung des inneres<br />

Wesens Jahwes und ließ si<strong>ch</strong> in der Ruhelosigkeit des äußeren Weltwissens nieder,<br />

blieb aber immerhin no<strong>ch</strong> auf das innere Leben bezogen, denn davon handeln<br />

ja, zumindest theoretis<strong>ch</strong> die Glaubenslehren.


152 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Die Sintflut: Zusammens<strong>ch</strong>au ihres inneren Sinnes<br />

Die Bibelkenntnisse gehen heute in der Flut der Bü<strong>ch</strong>er unter. Do<strong>ch</strong> die Erzählungen<br />

von der Sintflut sind meist no<strong>ch</strong> vorhanden. In keiner Kinderbibel fehlen sie.<br />

Die folgende Zusammens<strong>ch</strong>au enthält Vers für Vers die biblis<strong>ch</strong>e Erzählung von<br />

der großen Flut. Auf jedem Vers folgt ans<strong>ch</strong>ließend eine mögli<strong>ch</strong>st kurze Formulierung<br />

des inneren Sinnes. Dabei habe i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> an Swedenborgs Auslegung in<br />

den Himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnissen orientiert, aber hier und da au<strong>ch</strong> freiere Formulierungen<br />

gewagt, die meinem Empfinden des inneren Sinnes entspringen,<br />

denn der geistige Sinn ist kein totes Gebilde, sondern lebendiges Gewebe.<br />

Die Phantasien der Selbstliebe<br />

Genesis 6,1. Und es ges<strong>ch</strong>ah, dass der Mens<strong>ch</strong> anfing si<strong>ch</strong> zu mehren auf dem<br />

Angesi<strong>ch</strong>te des Bodens und Tö<strong>ch</strong>ter ihnen geboren wurden.<br />

Bei den Mens<strong>ch</strong>en vor der Sündflut nahmen die Begierden überhand.<br />

6,2. Und die Söhne Gottes sahen die Tö<strong>ch</strong>ter des Mens<strong>ch</strong>en, dass sie gut wären<br />

und nahmen si<strong>ch</strong> Frauen von allen, die sie erwählten.<br />

Die Wahrheiten, die diese Mens<strong>ch</strong>en no<strong>ch</strong> aus der ältesten von Gott stammenden<br />

Überlieferung kannten, verbanden si<strong>ch</strong> mit allen mögli<strong>ch</strong>en Begierden.<br />

6,3. Und der Herr spra<strong>ch</strong>: Mein Geist wird ni<strong>ch</strong>t ewigli<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>ten mit dem Mens<strong>ch</strong>en;<br />

denn er ist Fleis<strong>ch</strong>, und seine Tage werden sein hundertundzwanzig Jahre!<br />

Die Folge davon war, dass si<strong>ch</strong> die Mens<strong>ch</strong>en vom Geist des Herrn ni<strong>ch</strong>t mehr leiten<br />

ließen, denn sie waren körperli<strong>ch</strong> geworden. Um wiedergeboren werden zu können<br />

muss der Mens<strong>ch</strong> aber Überreste des Glaubens haben.<br />

6,4. In denselben Tagen waren die Nephilim auf der Erde, und au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong>her, da<br />

die Söhne Gottes zu den Tö<strong>ch</strong>tern des Mens<strong>ch</strong>en eingingen, und diese ihnen gebaren.<br />

Dieselben wurden die Mä<strong>ch</strong>tigen von Alters her, Männer von Namen.<br />

So entstanden jene maßlosen Einbildungen der Selbstliebe, die alles Heilige und Wahre<br />

völlig vera<strong>ch</strong>teten.<br />

Die Bosheit des Urmens<strong>ch</strong>en und die S<strong>ch</strong>öpfung eines neuen Mens<strong>ch</strong>entyps<br />

6,5. Und der Herr sah, dass des Bösen des Mens<strong>ch</strong>en viel ward auf Erden, und<br />

dass alles Bilden der Gedanken seines Herzens nur böse war den ganzen Tag.<br />

Der Wille zum Guten begann aufzuhören, so dass es keine innere Wahrnehmung des<br />

Guten und Wahren mehr gab.<br />

6,6. Und es reute den Herrn, dass Er den Mens<strong>ch</strong>en auf Erden gema<strong>ch</strong>t hatte, und<br />

es s<strong>ch</strong>merzte Ihn in Seinem Herzen.<br />

Da erbarmte si<strong>ch</strong> der Herr des Mens<strong>ch</strong>en.


Die Sintflut: Zusammens<strong>ch</strong>au ihres inneren Sinnes 153<br />

6,7. Und der Herr spra<strong>ch</strong>: I<strong>ch</strong> will vertilgen den Mens<strong>ch</strong>en, den I<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>affen,<br />

von dem Boden vom Mens<strong>ch</strong>en bis zum Vieh, bis zum Krie<strong>ch</strong>tier und bis zum<br />

Gevögel der Himmel, denn es reut Mi<strong>ch</strong>, dass I<strong>ch</strong> sie ma<strong>ch</strong>te.<br />

Denn der Mens<strong>ch</strong> ri<strong>ch</strong>tete si<strong>ch</strong> selbst zugrunde, und zwar in allen seinen Lebensberei<strong>ch</strong>en,<br />

das heißt in Wille und Verstand. Deswegen erbarmte si<strong>ch</strong> der Herr des Mens<strong>ch</strong>en<br />

…<br />

6,8. Aber Noah fand Gnade in den Augen des Herrn.<br />

… indem Er einen neuen Weg der Wiedergeburt eröffnete.<br />

Das Noahprinzip<br />

oder die Wiedergeburt unter den Bedingungen der Sünde<br />

6,9. Dies sind die Geburten Noahs. Noah war ein gere<strong>ch</strong>ter Mann und untadelig in<br />

seinen Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tern. Noah erging si<strong>ch</strong> mit Gott.<br />

Dies ist die Wiedergeburt des Mens<strong>ch</strong>en, der die Liebe zum Herrn ni<strong>ch</strong>t mehr empfinden<br />

kann (Noah bedeutet Trost), aber denno<strong>ch</strong> in seiner äußeren Lebenstätigkeit mit<br />

dem Guten und Wahren erfüllt werden soll, weil er na<strong>ch</strong> den göttli<strong>ch</strong>en Lehren handelt.<br />

6,10. Und Noah zeugte drei Söhne, Sem, Ham und Jafet.<br />

Diese neue Geburt lässt drei Lehr- und somit Religionstypen zu.<br />

Der Untergang des Urmens<strong>ch</strong>en<br />

6,11. Und die Erde war verdorben vor Gott; und die Erde war erfüllt mit Gewalttat.<br />

Die ursprüngli<strong>ch</strong>e Weise, Mens<strong>ch</strong> zu sein aus der Unmittelbarkeit des Herzens, war<br />

ganz und gar verloren gegangen.<br />

6,12. Und Gott sah die Erde, und siehe, sie war verdorben, weil alles Fleis<strong>ch</strong> seinen<br />

Weg verderbt hatte auf Erden.<br />

Das Verständnis des Wahren erlos<strong>ch</strong>, weil der Mens<strong>ch</strong> nur no<strong>ch</strong> die leibli<strong>ch</strong>en Bedürfnisse<br />

befriedigte.<br />

6,13. Und Gott spra<strong>ch</strong> zu Noah: Das Ende alles Fleis<strong>ch</strong>es ist vor Mi<strong>ch</strong> gekommen,<br />

denn die Erde ist erfüllt mit Gewalttat dur<strong>ch</strong> sie. Und siehe, i<strong>ch</strong> will sie verderben<br />

mit der Erde.<br />

Damit war der Untergang des Mens<strong>ch</strong>en besiegelt, denn das Leibli<strong>ch</strong>e kennt keine<br />

Werte, das heißt in ihm wohnt kein Wille zum Guten.


154 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Der neue Mens<strong>ch</strong>entyp<br />

a) die Form seines Geistes (Verstandesseite)<br />

6,14. Ma<strong>ch</strong>e dir eine Ar<strong>ch</strong>e von Gopherholz. Mit Kammern ma<strong>ch</strong>e die Ar<strong>ch</strong>e und<br />

verpi<strong>ch</strong>e sie von innen und außen mit Pe<strong>ch</strong>.<br />

Der neue Mens<strong>ch</strong>entyp besteht aus Lüsten (lei<strong>ch</strong>t entflammbaren Leidens<strong>ch</strong>aften),<br />

was die ganz natürli<strong>ch</strong>e Folge seiner bisherigen Biographie ist (Sündenfall und Brudermord).<br />

Aber er kann gerettet werden, weil sein Geist - anders als der des Urmens<strong>ch</strong>en<br />

- deutli<strong>ch</strong> in vers<strong>ch</strong>iedene Berei<strong>ch</strong>e abgetrennt ist, so dass die Begierden ihn<br />

ni<strong>ch</strong>t übers<strong>ch</strong>wemmen können.<br />

6,15. Und also sollst du sie ma<strong>ch</strong>en: Dreihundert Ellen sei die Länge der Ar<strong>ch</strong>e,<br />

fünfzig Ellen ihre Breite und dreißig Ellen ihre Höhe.<br />

Jedo<strong>ch</strong> sind die Dimensionen seines inneren Lebens - die Tiefe der Erfahrung des Heiligen,<br />

die Wahrheitserkenntnis und die Güte seines Lebens - auf einen engen Raum<br />

bes<strong>ch</strong>ränkt.<br />

6,16. Ein Fenster sollst du ma<strong>ch</strong>en der Ar<strong>ch</strong>e und es oben vollenden bis zu einer<br />

Elle. Und den Eingang der Ar<strong>ch</strong>e sollst du an die Seite setzen. Ein unterstes, zweites<br />

und drittes Stockwerk sollst du ma<strong>ch</strong>en.<br />

Aufgrund der Belastung dur<strong>ch</strong> die Sünde (infolge seiner Biographie) ist dieser Mens<strong>ch</strong>entyp<br />

nur dur<strong>ch</strong> das Verständnis der höheren Dinge und das Hören des Wortes<br />

zugängli<strong>ch</strong>. Aufgrund dieser Einflüsse (Öffnungen), kann er Wissen erwerben, es<br />

geistig dur<strong>ch</strong>dringen und s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> zu einem glei<strong>ch</strong>sam inneren Verständnis der<br />

Wahrheit gelangen.<br />

6,17. Und I<strong>ch</strong>, siehe, I<strong>ch</strong> bringe die Flut von Wassern über die Erde, zu verderben<br />

alles Fleis<strong>ch</strong> unter den Himmeln, in dem der Geist des Lebens ist. Alles, was auf<br />

Erden ist soll vers<strong>ch</strong>eiden.<br />

In der Übers<strong>ch</strong>wemmung des Bösen und Fals<strong>ch</strong>en wird alles Ursprüngli<strong>ch</strong>e, das aber<br />

verdorben ist, untergehen und somit der Erfahrbarkeit ni<strong>ch</strong>t mehr zugängli<strong>ch</strong> sein.<br />

6,18. Aber mit dir will I<strong>ch</strong> einen Bund aufri<strong>ch</strong>ten. Und du sollst in die Ar<strong>ch</strong>e eingehen,<br />

du und deine Söhne und dein Weib und deiner Söhne Weiber mit dir.<br />

Du aber und dein Anhang sollst gerettet werden und neues Leben empfangen (mit<br />

dem Ursprung verbunden werden).<br />

6,19. Und von allem Lebendigen, von allem Fleis<strong>ch</strong>e sollst du je zwei von allem in<br />

die Ar<strong>ch</strong>e einbringen, auf dass sie mit dir am Leben bleiben, ein Männli<strong>ch</strong>es und<br />

ein Weibli<strong>ch</strong>es sollen sie sein.<br />

Deswegen soll das, was bei dir no<strong>ch</strong> lebendig oder intakt ist, das Vermögen zu verstehen,<br />

gerettet werden. Desglei<strong>ch</strong>en aber au<strong>ch</strong> dein Wille, denn nur im Zusammenspiel<br />

von Verstehen und Verwirkli<strong>ch</strong>en kann si<strong>ch</strong> dein Leben neu entfalten.


Die Sintflut: Zusammens<strong>ch</strong>au ihres inneren Sinnes 155<br />

6,20. Von dem Gevögel na<strong>ch</strong> seiner Art, und vom Vieh na<strong>ch</strong> seiner Art, von allem<br />

Krie<strong>ch</strong>tier des Bodens na<strong>ch</strong> seiner Art, sollen je zwei von allen zu dir herein<br />

kommen, auf dass sie am Leben bleiben.<br />

Daher will i<strong>ch</strong> dein Denken und Wollen bewahren, au<strong>ch</strong> deine niedrigsten Triebe und<br />

Absi<strong>ch</strong>ten. Die Mögli<strong>ch</strong>keit, dass si<strong>ch</strong> aus all dem neues Leben entfaltet, soll erhalten<br />

bleiben.<br />

6,21. Und du, nimm dir von jegli<strong>ch</strong>er Speise, die gegessen wird, und sammle sie<br />

dir, auf dass sie dir und ihnen zur Speise seien.<br />

Und weil i<strong>ch</strong> di<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t untergehen lassen, sondern bewahren will, so rüste di<strong>ch</strong> mit<br />

dem Lebensnotwendigen aus. Das Gute werde dir zur Lust und das Wahre eine Berei<strong>ch</strong>erung<br />

deines Geistes.<br />

6,22. Und Noah tat es. Na<strong>ch</strong> allem, wie ihm Gott geboten hatte, so tat er.<br />

Dies ist der Weg, in der Not seines Geistes die Rettung zu erfahren. Wer ihn erkennt,<br />

verwirkli<strong>ch</strong>t ihn.<br />

b) die Lebendigkeit seines Geistes (Willensseite)<br />

Genesis 7,1. Und der Herr spra<strong>ch</strong> zu Noah: Geh ein, du und all dein Haus, zur<br />

Ar<strong>ch</strong>e; denn di<strong>ch</strong> habe I<strong>ch</strong> gere<strong>ch</strong>t vor Mir gesehen in diesem Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>te.<br />

Der Wille wird für die Wiedergeburt dur<strong>ch</strong> das dort befindli<strong>ch</strong>e Gute vorbereitet.<br />

7,2. Von allem reinen Vieh nimm dir sieben und sieben, ein Männ<strong>ch</strong>en und sein<br />

Weib<strong>ch</strong>en, und von dem Vieh, das ni<strong>ch</strong>t rein ist, je zwei, ein Männ<strong>ch</strong>en und sein<br />

Weib<strong>ch</strong>en.<br />

Wiedergeboren werden die heiligen Triebe zum Guten und das mit ihnen verbundene<br />

Wahre. Ebenso aber au<strong>ch</strong> die unheiligen Triebe zum Bösen und das damit verbundene<br />

Fals<strong>ch</strong>e.<br />

7,3. Au<strong>ch</strong> von dem Gevögel der Himmel sieben und sieben, ein Männli<strong>ch</strong>es und<br />

ein Weibli<strong>ch</strong>es, auf dass Samen auf der ganzen Erde erhalten werde.<br />

S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> wird au<strong>ch</strong> das Vermögen zu verstehen wiedergeboren, damit der äußere<br />

Mens<strong>ch</strong>en glauben kann. Dieses Vermögen ist heilig, weil es si<strong>ch</strong> aus der Bereits<strong>ch</strong>aft<br />

Gutes zum tun bildet.<br />

7,4. Denn in no<strong>ch</strong> sieben Tagen lasse I<strong>ch</strong> regnen auf Erden vierzig Tage und vierzig<br />

Nä<strong>ch</strong>te, und vertilge jegli<strong>ch</strong>es Ges<strong>ch</strong>öpf, das i<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t habe, von dem Boden.<br />

Die Versu<strong>ch</strong>ung selbst wird dur<strong>ch</strong> das intensivere Einwirken des Herrn ausgelöst. Die<br />

Versu<strong>ch</strong>ungen bewirken, dass das Eigene des Mens<strong>ch</strong>en glei<strong>ch</strong>sam vertilgt wird.<br />

7,5. Und Noah tat na<strong>ch</strong> allem, das der Herr geboten hatte.<br />

So ges<strong>ch</strong>ah es.


156 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Die Versu<strong>ch</strong>ung des Verstandes<br />

7,6. Und Noah war se<strong>ch</strong>shundert Jahre alt und die Flut der Wasser war auf der<br />

Erde.<br />

Die Anfe<strong>ch</strong>tungen im Berei<strong>ch</strong> des Verstandes fangen an.<br />

7,7. Und Noah und seine Söhne und sein Weib und die Weiber seiner Söhne mit<br />

ihm gingen ein in die Ar<strong>ch</strong>e vor den Wassern der Flut.<br />

Der Mens<strong>ch</strong>, der wiedergeboren werden kann, aber - aufgrund des Bösen in ihm -<br />

Versu<strong>ch</strong>ungen ausgesetzt ist, wird bes<strong>ch</strong>ützt, weil er Wahres und Gutes und Wahres,<br />

das mit Gutem verbunden ist, hat.<br />

7,8. Von dem reinen Vieh und von dem Vieh, das ni<strong>ch</strong>t rein war, und von dem<br />

Gevögel und von allem, das auf dem Boden kreu<strong>ch</strong>t,<br />

Die guten Triebe, aber au<strong>ch</strong> die Begierden, die Gedanken und alles Vergnügli<strong>ch</strong>e aus<br />

dem Sinnli<strong>ch</strong>en …<br />

7,9. kamen hinein zwei und zwei zu Noah zur Ar<strong>ch</strong>e, ein Männli<strong>ch</strong>es und ein<br />

Weibli<strong>ch</strong>es, wie Gott dem Noah geboten hatte.<br />

… wird bes<strong>ch</strong>ützt und somit bewahrt, und zwar in seiner paarweisen Ausprägung als<br />

Form (Wahres) und Inhalt (Gutes).<br />

7,10. Und es ges<strong>ch</strong>ah, dass in sieben Tagen die Wasser der Flut auf der Erde waren.<br />

Dies, nämli<strong>ch</strong> die Versu<strong>ch</strong>ung des Verständigen, ist der Anfang der Versu<strong>ch</strong>ungen.<br />

Die Versu<strong>ch</strong>ung des Willens<br />

7,11. Im se<strong>ch</strong>shundertsten Jahre des Lebens Noahs im zweiten Monat, am siebzehnten<br />

Tage des Monats, an diesem Tage war es, dass alle Brunnquellen des<br />

großen Abgrundes si<strong>ch</strong> zerspalteten, und alle Fenster des Himmels geöffnet wurden.<br />

Der andere Zustand der Versu<strong>ch</strong>ung betrifft den Willen und ist weitaus s<strong>ch</strong>werer als<br />

der den Verstand betreffende. Zuglei<strong>ch</strong> ist er von der Versu<strong>ch</strong>ung des Verstandes ni<strong>ch</strong>t<br />

zu trennen.<br />

7,12. Und vierzig Tage und vierzig Nä<strong>ch</strong>te war der Regen auf der Erde.<br />

Die Dauer der Versu<strong>ch</strong>ung.<br />

Der Zweck der Versu<strong>ch</strong>ung (Wiedergeburt)<br />

7,13. An diesem selbigen Tage ging Noah, und Sem und Ham und Jafet, die Söhne<br />

Noahs und Noahs Weib und die drei Weiber seiner Söhne mit ihnen ein in die<br />

Ar<strong>ch</strong>e.


Die Sintflut: Zusammens<strong>ch</strong>au ihres inneren Sinnes 157<br />

Der geistige (das heißt in si<strong>ch</strong> gespaltene) Mens<strong>ch</strong> wird in den Versu<strong>ch</strong>ungen wiedergeboren.<br />

Ebenso alles, was zu ihm gehört: seine drei Daseinsberei<strong>ch</strong>e, seine Verbindung<br />

mit Gott im allgemeinen und besonderen.<br />

7,14. Sie und alles Wild na<strong>ch</strong> seiner Art und alles Vieh na<strong>ch</strong> seiner Art und alles<br />

Krie<strong>ch</strong>tier, das auf der Erde krie<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> seiner Art und alles Gevögel na<strong>ch</strong> seiner<br />

Art, jeder Vogel, alles Geflügelte.<br />

Alles, was diesem Mens<strong>ch</strong>en angehört, wird gerettet: alles geistig Gute, alles natürli<strong>ch</strong><br />

Gute, alles sinnli<strong>ch</strong> und körperli<strong>ch</strong> Gute, alles geistig Wahre, alles natürli<strong>ch</strong> Wahre<br />

und alles sinnli<strong>ch</strong> Wahre.<br />

7,15. Und sie gingen ein zu Noah zur Ar<strong>ch</strong>e zwei und zwei, von allem Fleis<strong>ch</strong>, in<br />

wel<strong>ch</strong>em der Geist des Lebens war.<br />

Das alles wird gerettet - und zwar na<strong>ch</strong> Form und Inhalt -, weil es neues Leben vom<br />

Herrn empfängt.<br />

Der Zustand des geistigen Mens<strong>ch</strong>en<br />

7,16. Und die hinein gingen, Männli<strong>ch</strong>e und Weibli<strong>ch</strong>e, von allem Fleis<strong>ch</strong> gingen<br />

sie hinein, wie Gott ihm geboten hatte, und der Herr s<strong>ch</strong>loss hinter ihm zu.<br />

Die ganze Lebendigkeit des geistigen Mens<strong>ch</strong>en wird gerettet, do<strong>ch</strong> der Himmel wird<br />

vers<strong>ch</strong>lossen.<br />

7,17. Und die Flut war vierzig Tage auf der Erde, und die Wasser mehrten si<strong>ch</strong><br />

und hoben die Ar<strong>ch</strong>e auf und sie ward emporgehoben über die Erde.<br />

Infolge der Übers<strong>ch</strong>wemmung dur<strong>ch</strong> das Fals<strong>ch</strong>e ist der geistige Mens<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>wankungen<br />

zwis<strong>ch</strong>en dem Wahren und Fals<strong>ch</strong>en ausgesetzt.<br />

7,18. Und es wurden mä<strong>ch</strong>tig die Wasser und mehrten si<strong>ch</strong> sehr auf der Erde, und<br />

die Ar<strong>ch</strong>e ging über die Wasser dahin.<br />

Diese S<strong>ch</strong>wankungen nehmen zu.<br />

Der Untergang des Urmens<strong>ch</strong>en<br />

7,19. Und die Wasser wurden sehr, sehr mä<strong>ch</strong>tig auf Erden, und es wurden alle<br />

hohen Berge unter dem ganzen Himmel bedeckt.<br />

Die fals<strong>ch</strong>en Vorstellungen wa<strong>ch</strong>sen an und überdecken alles Gute des Himmels, …<br />

7,20. Fünfzehn Ellen darüber wurden die Wasser mä<strong>ch</strong>tig und sie bedeckten die<br />

Berge.<br />

… so dass praktis<strong>ch</strong> keine tätige Liebe mehr da war.<br />

7,21. Und alles Fleis<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>ied, das auf Erden krie<strong>ch</strong>t, an Gevögel und an Vieh<br />

und an Wild und an allem Gewürm, das auf Erden wimmelt, und aller Mens<strong>ch</strong>.


158 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Der entartete Urmens<strong>ch</strong> geht unter und mit ihm all seine Einbildungen: seine Neigungen<br />

zum Fals<strong>ch</strong>en, seine Begierden, seine Lüste und sein Körperli<strong>ch</strong>es und Irdis<strong>ch</strong>es.<br />

All das geht unter.<br />

7,22. Alles, was den Odem des Geistes des Lebens in seiner Nase hatte von allem,<br />

das im Trocknen war, starb.<br />

Die gesamte Na<strong>ch</strong>kommens<strong>ch</strong>aft, die den Geist des Urmens<strong>ch</strong>en geatmet hat, vers<strong>ch</strong>eidet,<br />

weil ihr die innere Lebensfris<strong>ch</strong>e abhanden gekommen und sie nun ausgemergelt<br />

ist.<br />

7,23. Und er vertilgte jegli<strong>ch</strong>es Ges<strong>ch</strong>öpf, das auf dem Boden war, vom Mens<strong>ch</strong>en<br />

bis zum Vieh, zum Krie<strong>ch</strong>tier, und zum Gevögel des Himmels. Und sie wurden<br />

vertilgt von der Erde, und nur Noah verblieb, und was mit ihm in der Ar<strong>ch</strong>e war.<br />

So geht der entartete Urmens<strong>ch</strong> mitsamt seiner bösen Natur, seinen Begierden, Lüsten<br />

und fals<strong>ch</strong>en Überzeugungen unter. Was bleibt ist der geistige Mens<strong>ch</strong> und sein Lebensinhalt.<br />

7,24. Und die Wasser waren mä<strong>ch</strong>tig auf Erden hundertundfünfzig Tage.<br />

Das völlige Ende der ursprüngli<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>öpfung des Mens<strong>ch</strong>en.<br />

Erster Zustand na<strong>ch</strong> der Versu<strong>ch</strong>ung<br />

Vom Aufhören der Versu<strong>ch</strong>ungen<br />

Genesis 8,1. Da geda<strong>ch</strong>te Gott an Noah und an alles wilde Getier und an alles<br />

Vieh, das mit ihm in der Ar<strong>ch</strong>e war, und ließ Wind auf Erden kommen, und die<br />

Wasser fielen.<br />

Der Mens<strong>ch</strong> empfindet nun, da die Versu<strong>ch</strong>ung abebbt, dass der Herr seiner wieder<br />

gedenkt. Zwar sieht es im Gemüt des Mens<strong>ch</strong>en no<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>t verworren aus: Gedanken<br />

der Hoffnung und des Glaubens werden von Sorgen, Beängstigungen und fals<strong>ch</strong>en<br />

Vorstellungen dur<strong>ch</strong>kreuzt; aber s<strong>ch</strong>on ma<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> ein Einfluss bemerkbar, der die<br />

Überflutung des Geistes mit negativen Gedanken und Gefühlen vermindert.<br />

8,2. Und die Brunnen der Tiefe wurden verstopft samt den Fenstern des Himmels,<br />

und dem Regen vom Himmel wurde gewehrt.<br />

Das Böse der Triebhaftigkeit quillt ni<strong>ch</strong>t mehr empor und das Fals<strong>ch</strong>e des Verstandes<br />

übers<strong>ch</strong>üttet den Mens<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t mehr, womit die Versu<strong>ch</strong>ung im allgemeinen aufhört.<br />

8,3. Da verliefen si<strong>ch</strong> die Wasser von der Erde, gehend und zurückkehrend, und<br />

nahmen ab na<strong>ch</strong> hundertundfünfzig Tagen.<br />

Aber der Mens<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>wankt no<strong>ch</strong> eine Zeitlang zwis<strong>ch</strong>en dem Wahren und Fals<strong>ch</strong>en<br />

hin und her;<br />

8,4. Am siebzehnten Tage des siebenten Monats ließ si<strong>ch</strong> die Ar<strong>ch</strong>e nieder auf das<br />

Gebirge Ararat.


Die Sintflut: Zusammens<strong>ch</strong>au ihres inneren Sinnes 159<br />

kommt dann aber innerli<strong>ch</strong> zur Ruhe, das heißt wird wiedergeboren aus dem neuen<br />

Li<strong>ch</strong>t der Liebtätigkeit.<br />

8,5. Es nahmen aber die Wasser immer mehr ab bis auf den zehnten Monat. Am<br />

ersten Tage des zehnten Monats sahen die Spitzen der Berge hervor.<br />

S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> lassen die S<strong>ch</strong>wankungen ganz na<strong>ch</strong>, denn das Fals<strong>ch</strong>e vers<strong>ch</strong>windet, und<br />

die ersten großen Glaubenswahrheiten werden si<strong>ch</strong>tbar. Es sind Wahrheiten aus den<br />

religiösen Urerfahrungen im Mens<strong>ch</strong>en, die si<strong>ch</strong> nun in ihrer majestätis<strong>ch</strong>en Erhabenheit<br />

zeigen.<br />

Zweiter Zustand na<strong>ch</strong> der Versu<strong>ch</strong>ung, in si<strong>ch</strong> dreiteilig<br />

Dreimaliges Aussenden der Taube<br />

8,6. Na<strong>ch</strong> vierzig Tagen tat Noah an der Ar<strong>ch</strong>e das Fenster auf, das er gema<strong>ch</strong>t<br />

hatte,<br />

Na<strong>ch</strong> den Versu<strong>ch</strong>ungen werden nun erstmals die Wahrheiten des Glaubens si<strong>ch</strong>tbar.<br />

8,7. und ließ einen Raben ausfliegen; der flog immer hin und her, bis die Wasser<br />

vertrockneten auf Erden.<br />

Do<strong>ch</strong> dunkle Gedanken flattern no<strong>ch</strong> im Gemüt umher und trüben die Einsi<strong>ch</strong>t in das<br />

Wahre solange, bis das Meer der fals<strong>ch</strong>en Vorstellungen ausgetrocknet und dem Augens<strong>ch</strong>ein<br />

ents<strong>ch</strong>wunden ist.<br />

8,8. Dana<strong>ch</strong> ließ er eine Taube von si<strong>ch</strong> ausfliegen, um zu erfahren, ob die Wasser<br />

si<strong>ch</strong> verlaufen hatten auf Erden.<br />

Andererseits erkundet au<strong>ch</strong> das Gute und Wahre die Situation, um herauszufinden,<br />

ob der Mens<strong>ch</strong> seine fals<strong>ch</strong>en Ansi<strong>ch</strong>ten bereits aufgegeben hat.<br />

8,9. Da aber die Taube ni<strong>ch</strong>ts fand, wo ihr Fuß ruhen konnte, kam sie wieder zu<br />

ihm in die Ar<strong>ch</strong>e; denn no<strong>ch</strong> war Wasser auf dem ganzen Erdboden. Da tat er die<br />

Hand heraus und nahm sie zu si<strong>ch</strong> in die Ar<strong>ch</strong>e.<br />

Aber es kann no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t Fuß fassen, denn das Fals<strong>ch</strong>e ist no<strong>ch</strong> im Überfluss vorhanden.<br />

Der Mens<strong>ch</strong> glaubt nämli<strong>ch</strong> immer no<strong>ch</strong>, das Gute und Wahre aus eigener Ma<strong>ch</strong>t<br />

verwirkli<strong>ch</strong>en zu können.<br />

8,10. Da harrte er no<strong>ch</strong> weitere sieben Tage und ließ abermals eine Taube fliegen<br />

aus der Ar<strong>ch</strong>e.<br />

In einer zweiten Phase der Aufnahme des Guten und Wahren kommt die e<strong>ch</strong>te Liebesgesinnung<br />

zum Vors<strong>ch</strong>ein, weswegen dieser Abs<strong>ch</strong>nitt heiliger ist als der vorangehende.<br />

8,11. Die kam zu ihm um die Abendzeit, und siehe, ein Ölblatt hatte sie abgebro<strong>ch</strong>en<br />

und trug's in ihrem S<strong>ch</strong>nabel. Da merkte Noah, dass die Wasser si<strong>ch</strong> verlaufen<br />

hätten auf Erden.


160 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Der Mens<strong>ch</strong> befindet si<strong>ch</strong> zwar, was die Vorgänge in seiner Seele angeht, no<strong>ch</strong> in<br />

einem Dämmerli<strong>ch</strong>t, aber denno<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>eint ihm bereits ein wenig Wahres, das aus<br />

dem e<strong>ch</strong>ten Glaubensbewusstsein der spirituellen Liebe herrührt. Das fals<strong>ch</strong>e Denken<br />

ist nämli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr so gemütsbewegend, dass es hindern könnte.<br />

8,12. Aber er harrte no<strong>ch</strong> weitere sieben Tage und ließ eine Taube ausfliegen; die<br />

kam ni<strong>ch</strong>t wieder zu ihm.<br />

In einer dritten, ebenfalls heiligen Phase nimmt der Mens<strong>ch</strong> das Gute und Wahre<br />

s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> ohne I<strong>ch</strong>bindung auf; er ist also innerli<strong>ch</strong> frei, den himmlis<strong>ch</strong>en Einfluss<br />

ohne Selbstbezug herrs<strong>ch</strong>en zu lassen.<br />

8,13. Im se<strong>ch</strong>shundertundersten Lebensjahr Noahs am ersten Tage des ersten<br />

Monats waren die Wasser vertrocknet auf Erden. Da tat Noah das Da<strong>ch</strong> von der<br />

Ar<strong>ch</strong>e und sah, dass der Erdboden trocken war.<br />

Damit ist die Zeit der Versu<strong>ch</strong>ung vorbei; ein neuer Zustand kann beginnen. Die fals<strong>ch</strong>en<br />

Vorstellungen haben ihre Ma<strong>ch</strong>t über den Mens<strong>ch</strong>en verloren, folgli<strong>ch</strong> kann<br />

das Li<strong>ch</strong>t der Glaubenswahrheiten kraftvoll aufs<strong>ch</strong>einen. Der Mens<strong>ch</strong> anerkennt dieses<br />

Li<strong>ch</strong>t nun und glaubt daran, ist also wiedergeboren.<br />

8,14. Und am siebenundzwanzigsten Tage des zweiten Monats war die Erde ganz<br />

trocken.<br />

Auf den Zustand der Versu<strong>ch</strong>ungskampfe folgt ein heiliger Zustand der Ruhe: die<br />

Wiedergeburt.<br />

Dritter Zustand na<strong>ch</strong> der Versu<strong>ch</strong>ung,<br />

glei<strong>ch</strong>: erster Zustand der Wiedergeburt<br />

Auszug aus der Ar<strong>ch</strong>e<br />

8,15. Da redete Gott mit Noah und spra<strong>ch</strong>:<br />

Da der Herr beim wiedergeborenen Mens<strong>ch</strong>en gegenwärtig ist,<br />

8,16. Geh aus der Ar<strong>ch</strong>e, du und deine Frau, deine Söhne und die Frauen deiner<br />

Sohne mit dir.<br />

kann dieser nun den Zustand der Bedrängnis verlassen. Alles Lebendige im Mens<strong>ch</strong>en,<br />

seine Liebe, die Wahrheiten und die guten Bestrebungen aus dem Wahren<br />

können si<strong>ch</strong> nun frei auswirken.<br />

8,17. Alles Getier, das bei dir ist, von allem Fleis<strong>ch</strong>, an Vögeln, an Vieh und allem<br />

Gewürm, das auf Erden krie<strong>ch</strong>t, das gehe heraus mit dir, dass sie si<strong>ch</strong> regen auf<br />

Erden und fru<strong>ch</strong>tbar seien und si<strong>ch</strong> mehren auf Erden.<br />

Ebenso tritt alles Belebte in den Zustand der Freiheit: das Verständige und das Wollende<br />

des inneren Mens<strong>ch</strong>en und das Entspre<strong>ch</strong>ende beim äußeren Mens<strong>ch</strong>en. Da der<br />

innere Mens<strong>ch</strong> jetzt auf den äußeren einwirkt, wä<strong>ch</strong>st das Gute und Wahre beim äußeren<br />

Mens<strong>ch</strong>en.


Die Sintflut: Zusammens<strong>ch</strong>au ihres inneren Sinnes 161<br />

8,18. So ging Noah heraus mit seinen Söhnen und mit seiner Frau und den Frauen<br />

seiner Söhne,<br />

Tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> wird der Mens<strong>ch</strong> und alles, was in ihm auf Gott ausgeri<strong>ch</strong>tet ist, nun<br />

wahrhaft frei.<br />

8,19. dazu alle wilden Tiere, alles Vieh, alle Vögel und alles Gewürm, das auf Erden<br />

krie<strong>ch</strong>t; das ging aus der Ar<strong>ch</strong>e, ein jedes mit seinesglei<strong>ch</strong>en.<br />

Ebenso das Gute und Wahre des inneren und äußeren Mens<strong>ch</strong>en. Die Freiheit besteht<br />

darin, dass der geistige Mens<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr vom Bösen und Fals<strong>ch</strong>en seiner Begierden<br />

getrieben wird, sondern aus dem Gewissen (oder Bewusstsein) des Guten und Wahren<br />

handeln kann.<br />

Vierter Zustand na<strong>ch</strong> der Versu<strong>ch</strong>ung,<br />

glei<strong>ch</strong>: zweiter Zustand der Wiedergeburt<br />

Die Gottesverehrung<br />

8,20. Noah aber baute dem Herrn einen Altar und nahm von allem reinen Vieh<br />

und von allen reinen Vögeln und opferte Brandopfer auf dem Altar.<br />

Der geistig wiedergeborene Mens<strong>ch</strong> verehrt den Herrn, indem er aus dem Guten der<br />

Liebe und dem Wahren des Glaubens tätig ist.<br />

8,21. Und der Herrn ro<strong>ch</strong> den liebli<strong>ch</strong>en Geru<strong>ch</strong> und spra<strong>ch</strong> in seinem Herzen: I<strong>ch</strong><br />

will hinfort ni<strong>ch</strong>t mehr die Erde verflu<strong>ch</strong>en um des Mens<strong>ch</strong>en willen; denn das<br />

Di<strong>ch</strong>ten und Tra<strong>ch</strong>ten des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Herzens ist böse von Jugend auf. Und i<strong>ch</strong><br />

will hinfort ni<strong>ch</strong>t mehr s<strong>ch</strong>lagen alles, was da lebt, wie i<strong>ch</strong> getan habe.<br />

Diese Verehrung ist dem Herrn angenehm. Der geistige Mens<strong>ch</strong>entyp kann si<strong>ch</strong> vom<br />

Herrn ni<strong>ch</strong>t mehr dermaßen abwenden wie die Na<strong>ch</strong>kommens<strong>ch</strong>aft des ursprüngli<strong>ch</strong>en,<br />

himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>entyps. Denn obwohl das Wollen des Mens<strong>ch</strong>en dur<strong>ch</strong> und<br />

dur<strong>ch</strong> böse ist, ist nunmehr denno<strong>ch</strong> im verständigen Teil des Gemüts ein neuer Wille<br />

aufgeri<strong>ch</strong>tet, das sogenannte Gewissen. Dadur<strong>ch</strong> wird der Mens<strong>ch</strong> vom Herrn geleitet<br />

und kann ni<strong>ch</strong>t mehr so vollständig verderben.<br />

8,22. Solange die Erde steht, soll ni<strong>ch</strong>t aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze,<br />

Sommer und Winter, Tag und Na<strong>ch</strong>t.<br />

Die Zustände des äußeren Mens<strong>ch</strong>en werden hinfort sein: Das Wort Gottes wird er<br />

hören und reifen lassen. Glaube und Liebtätigkeit werden einmal ni<strong>ch</strong>t vorhanden<br />

und einmal vorhanden sein. Au<strong>ch</strong> der wiedergeborene Mens<strong>ch</strong> wird einmal liebtätig,<br />

einmal ni<strong>ch</strong>t liebtätig; einmal verständig, einmal ni<strong>ch</strong>t verständig sein.<br />

Der äußere Mens<strong>ch</strong> dient dem inneren Mens<strong>ch</strong>en<br />

Genesis 9,1. Und Gott segnete Noah und seine Söhne und spra<strong>ch</strong>: Seid fru<strong>ch</strong>tbar<br />

und mehret eu<strong>ch</strong> und füllet die Erde.


162 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Au<strong>ch</strong> dem geistigen, das heißt aus Wahrheiten wiedergeborenen Mens<strong>ch</strong>en ist der<br />

Herr nahe und bewirkt, dass beim äußeren Mens<strong>ch</strong>en das Gute der Nä<strong>ch</strong>stenliebe<br />

fru<strong>ch</strong>tbar und das Wahre des Glaubens vermehrt wird.<br />

9,2. Fru<strong>ch</strong>t und S<strong>ch</strong>recken vor eu<strong>ch</strong> sei über allen Tieren auf Erden und über allen<br />

Vögeln unter dem Himmel, über allem, was auf dem Erdboden wimmelt, und über<br />

allen Fis<strong>ch</strong>en im Meer; in eure Hände seien sie gegeben.<br />

Dadur<strong>ch</strong> herrs<strong>ch</strong>t der innere Mens<strong>ch</strong> über den äußeren, was zur Folge hat, dass si<strong>ch</strong><br />

der äußere Mens<strong>ch</strong> vor dem Bösen seiner Begierden für<strong>ch</strong>tet und vor dem Fals<strong>ch</strong>en<br />

seiner Gedanken ers<strong>ch</strong>rickt. Jedo<strong>ch</strong> ist das Gute und Wahre, das der äußere Mens<strong>ch</strong><br />

ans<strong>ch</strong>einend selbständig hervorbringt, der Besitz des inneren Mens<strong>ch</strong>en beim äußeren.<br />

9,3. Alles, was si<strong>ch</strong> regt und lebt, das sei eure Speise; wie das grüne Kraut habe<br />

i<strong>ch</strong> es eu<strong>ch</strong> alles gegeben.<br />

Alle Lustgefühle, in denen etwas Gutes und somit Lebendiges enthalten ist, dürfen<br />

genossen werden. Sie sind eine Stärkung für die Seele. Au<strong>ch</strong> die ganz geringen, weltli<strong>ch</strong>en<br />

und körperli<strong>ch</strong>en Freuden sind dem Mens<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t verwehrt, denn au<strong>ch</strong> sie<br />

s<strong>ch</strong>affen einen Nutzen.<br />

Die Gefahr der Entweihung<br />

9,4. Allein esset das Fleis<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mit seinem Blut, in dem sein Leben ist!<br />

Der Eigenwille des Mens<strong>ch</strong>en soll mit dem neuen Willen aus dem Herrn, dem Willen,<br />

Nä<strong>ch</strong>stenliebe zu praktizieren, ni<strong>ch</strong>t vermis<strong>ch</strong>t werden. Unheiliges soll si<strong>ch</strong> also ni<strong>ch</strong>t<br />

mit Heiligem verbinden, weil das eine Entweihung des Heiligen dur<strong>ch</strong> Unheiliges ist.<br />

9,5. Au<strong>ch</strong> will i<strong>ch</strong> euer eigen Blut, das ist das Leben eines Jeden unter eu<strong>ch</strong>, rä<strong>ch</strong>en<br />

und will es von allen Tieren fordern und will des Mens<strong>ch</strong>en Leben fordern<br />

von einem jeden Mens<strong>ch</strong>en.<br />

Die Auslös<strong>ch</strong>ung der Nä<strong>ch</strong>stenliebe dur<strong>ch</strong> Hass, Ra<strong>ch</strong>e und Grausamkeit rä<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>,<br />

indem das Wesen eines sol<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en gewalttätig wird, das heißt das Wollen<br />

verhärtet und das Denken verbittert. So straft si<strong>ch</strong> die Entweihung selbst.<br />

9,6. Wer Mens<strong>ch</strong>enblut vergießt, dessen Blut soll au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> Mens<strong>ch</strong>en vergossen<br />

werden; denn Gott hat den Mens<strong>ch</strong>en zu seinem Bilde gema<strong>ch</strong>t.<br />

Wer die Nä<strong>ch</strong>stenliebe bei si<strong>ch</strong> auslös<strong>ch</strong>t, indem er aus Hass- und Ra<strong>ch</strong>egefühlen<br />

handelt, tötet si<strong>ch</strong> selbst, denn er wird seinem eigenen, unwiedergeborenen Willen<br />

ausgeliefert und zerstört das Bild Gottes in si<strong>ch</strong>, nämli<strong>ch</strong> die Nä<strong>ch</strong>stenliebe.<br />

9,7. Seid fru<strong>ch</strong>tbar und mehret eu<strong>ch</strong> und reget eu<strong>ch</strong> auf Erden, dass eurer viel<br />

darauf werden.


Die Sintflut: Zusammens<strong>ch</strong>au ihres inneren Sinnes 163<br />

Wenn der geistige Mens<strong>ch</strong> diese Gefahren meidet und tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> aus dem neuen<br />

Liebeswillen tätig ist, dann wird das Gute und Wahre im inneren und im äußeren<br />

Mens<strong>ch</strong>en zunehmen.<br />

Der Zustand des geistigen Mens<strong>ch</strong>en<br />

9,8. Und Gott sagte zu Noah und seinen Söhnen mit ihm:<br />

Das Wesen des geistigen (= aus Wahrheiten wiedergeborenen) Mens<strong>ch</strong>en ist folgendes:<br />

9,9. Siehe, i<strong>ch</strong> ri<strong>ch</strong>te mit eu<strong>ch</strong> einen Bund auf und mit euren Na<strong>ch</strong>kommen<br />

Der Herr verbindet si<strong>ch</strong> mit diesem Mens<strong>ch</strong>en und allem, was bei ihm ist, dur<strong>ch</strong> die<br />

Nä<strong>ch</strong>stenliebe.<br />

9,10. und mit allem lebendigen Getier bei eu<strong>ch</strong>, an Vögeln, an Vieh und an allen<br />

Tieren des Feldes bei eu<strong>ch</strong>, von allem, was aus der Ar<strong>ch</strong>e gegangen ist, was für<br />

Tiere es sind auf Erden.<br />

Und ist in allem gegenwärtig, was bei diesem Mens<strong>ch</strong>en wiedergeboren ist: in der<br />

Sphäre des Verstehens und des Wollens, im äußeren Gedä<strong>ch</strong>tniswissen und den Körperfreuden.<br />

Ni<strong>ch</strong>t nur bei den Mens<strong>ch</strong>en innerhalb der Kir<strong>ch</strong>e, sondern au<strong>ch</strong> bei denen<br />

außerhalb ist er gegenwärtig.<br />

9,11. Und i<strong>ch</strong> ri<strong>ch</strong>te meinen Bund so mit eu<strong>ch</strong> auf, dass hinfort ni<strong>ch</strong>t mehr alles<br />

Fleis<strong>ch</strong> verderbt werden soll dur<strong>ch</strong> die Wasser der Sintflut und hinfort keine Sintflut<br />

mehr kommen soll, die die Erde verderbe.<br />

Der Herr verbindet si<strong>ch</strong> mit allen Mens<strong>ch</strong>en, die Liebe praktizieren. Der geistige Mens<strong>ch</strong>entyp<br />

kann ni<strong>ch</strong>t mehr zugrunde gehen wie der himmlis<strong>ch</strong>e Mens<strong>ch</strong>entyp, dessen<br />

Denken gänzli<strong>ch</strong> von seinem Wollen abhängig war und der deswegen, als er vom<br />

Herrn abfiel, in einen todbringenden und alles Leben abwürgenden Wahn geriet.<br />

Das Bundeszei<strong>ch</strong>en<br />

9,12. Und Gott spra<strong>ch</strong>: Das ist das Zei<strong>ch</strong>en des Bundes, den i<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>lossen habe<br />

zwis<strong>ch</strong>en mir und eu<strong>ch</strong> und allem lebendigen Getier bei eu<strong>ch</strong> auf ewig:<br />

Dies ist die si<strong>ch</strong>tbare Seite der Verbindung des Herrn mit dem liebtätigen Mens<strong>ch</strong>en<br />

und mit allem, was bei ihm wiedergeboren ist und lebt. Es gilt fortwährend für alle<br />

Mens<strong>ch</strong>en, die (geistig) neu ges<strong>ch</strong>affen werden.<br />

9,13. Meinen Bogen habe i<strong>ch</strong> in die Wolken gesetzt; der soll das Zei<strong>ch</strong>en sein des<br />

Bundes zwis<strong>ch</strong>en mir und der Erde.<br />

Der Zustand des wiedergeborenen geistigen Mens<strong>ch</strong>en glei<strong>ch</strong>t der Naturers<strong>ch</strong>einung<br />

des Regenbogens: Das geistige Li<strong>ch</strong>t des Herrn wird dur<strong>ch</strong> das eigene Verstehen (wel<strong>ch</strong>es<br />

an si<strong>ch</strong> fals<strong>ch</strong> ist) und dur<strong>ch</strong> das eigene Wollen (wel<strong>ch</strong>es an si<strong>ch</strong> böse ist) modifiziert<br />

und somit bunt (vielfältig) gebro<strong>ch</strong>en. Daher ist das Li<strong>ch</strong>t (Verständnis) des


164 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

geistigen Mens<strong>ch</strong>en dunkel, verglei<strong>ch</strong>t man es mit dem Li<strong>ch</strong>t des himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en,<br />

denn dem Verstehen des geistigen Mens<strong>ch</strong>en ist Fals<strong>ch</strong>es und Böses beigemis<strong>ch</strong>t.<br />

Und denno<strong>ch</strong> ist das buntgefä<strong>ch</strong>erte Verständnis des geistigen Mens<strong>ch</strong>en das<br />

si<strong>ch</strong>tbare Zei<strong>ch</strong>en der Gegenwart des Herrn.<br />

9,14. Und wenn es kommt, dass i<strong>ch</strong> Wetterwolken über die Erde führe, so soll<br />

man meinen Bogen sehen in den Wolken.<br />

Wenn wegen des Eigenwillens des Mens<strong>ch</strong>en der Glaube der Nä<strong>ch</strong>stenliebe, das heißt<br />

das geistige Li<strong>ch</strong>t, ni<strong>ch</strong>t ers<strong>ch</strong>eint, was ni<strong>ch</strong>t bedeutet, dass der Mens<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t wiedergeboren<br />

werden kann -,<br />

9,15. Alsdann will i<strong>ch</strong> gedenken an meinen Bund zwis<strong>ch</strong>en mir und eu<strong>ch</strong> und<br />

allem lebendigen Getier unter allem Fleis<strong>ch</strong>, dass hinfort keine Sintflut mehr<br />

komme, die alles Fleis<strong>ch</strong> verderbe.<br />

dann wird si<strong>ch</strong> der Herr denno<strong>ch</strong> erbarmen, in erster Linie natürli<strong>ch</strong> gegenüber denen,<br />

die wiedergeboren sind oder si<strong>ch</strong> wiedergebären lassen, aber au<strong>ch</strong> gegenüber<br />

dem gesamten Mens<strong>ch</strong>enges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t. Der Mens<strong>ch</strong> ist nun einmal in seiner Willenssphäre<br />

verdorben, aber das Verständnisvermögen kann den Mens<strong>ch</strong>en nun ni<strong>ch</strong>t<br />

mehr mit derart aberwitzigen Wahnideen übers<strong>ch</strong>wemmen, dass er zugrunde geht wie<br />

der ursprüngli<strong>ch</strong>e, himmlis<strong>ch</strong>e Mens<strong>ch</strong>entyp. Das gilt ganz allgemein für jeden Mens<strong>ch</strong>en.<br />

9,16. Darum soll mein Bogen in den Wolken sein, dass i<strong>ch</strong> ihn ansehe und gedenke<br />

an den ewigen Bund zwis<strong>ch</strong>en Gott und allem lebendigen Getier unter allem<br />

Fleis<strong>ch</strong>, das auf Erden ist.<br />

Wenn si<strong>ch</strong> das Himmelsli<strong>ch</strong>t in der Sphäre (Aura) eines Mens<strong>ch</strong>en in bunter Vielfalt<br />

(je na<strong>ch</strong> der Bes<strong>ch</strong>affenheit eines jeden) darstellt, dann kann dieser Mens<strong>ch</strong> wiedergeboren<br />

werden, so dass der Herr bei ihm dur<strong>ch</strong> das Medium der Nä<strong>ch</strong>stenliebe gegenwärtig<br />

sein kann.<br />

9,17. Und Gott sagte zu Noah: Das sei das Zei<strong>ch</strong>en des Bundes, den i<strong>ch</strong> aufgeri<strong>ch</strong>tet<br />

habe zwis<strong>ch</strong>en mir und allem Fleis<strong>ch</strong> auf Erden.<br />

Der Mens<strong>ch</strong> der Kir<strong>ch</strong>e soll wissen, dass der Herr ni<strong>ch</strong>t nur bei den Mens<strong>ch</strong>en innerhalb<br />

der Kir<strong>ch</strong>e, sondern au<strong>ch</strong> bei denen außerhalb der Kir<strong>ch</strong>e gegenwärtig ist, sofern<br />

sie Nä<strong>ch</strong>stenliebe praktizieren.<br />

Die drei Mögli<strong>ch</strong>keiten,<br />

das Prinzip »geistige Wiedergeburt« zu verwirkli<strong>ch</strong>en<br />

9,18. Die Söhne Noahs, die aus der Ar<strong>ch</strong>e gingen, sind diese: Sem, Ham und Jafet.<br />

Ham aber ist der Vater Kanaans.<br />

Das Prinzip »geistige Wiedergeburt« lässt drei Verwirkli<strong>ch</strong>ungen zu: die Nä<strong>ch</strong>stenliebe<br />

(innere Kir<strong>ch</strong>e), den bloßen Glauben (verdorbene Kir<strong>ch</strong>e) und die rituellen Handlungen<br />

(äußere Kir<strong>ch</strong>e). Aus dem überwiegenden Interesse an den reinen Glaubenswahr-


Die Sintflut: Zusammens<strong>ch</strong>au ihres inneren Sinnes 165<br />

heiten ist der Zeremoniengottesdienst entstanden, dem keine religiöse Erfahrung innewohnt<br />

und der daher sinnentleert ist.<br />

9,19. Das sind die drei Söhne Noahs; von ihnen kommen her alle Mens<strong>ch</strong>en auf<br />

Erden.<br />

Dies sind die drei Ausprägungen des geistigen Mens<strong>ch</strong>en. Aus diesen Grundtypen<br />

haben si<strong>ch</strong> alle besonderen Lehren entwickelt, die wahren ebenso wie die fals<strong>ch</strong>en.<br />

Der Wissensraus<strong>ch</strong>,<br />

oder: Die Gefahr des geistigen Mens<strong>ch</strong>en<br />

9,20. Noah aber, der Ackermann, pflanzte als erster einen Weinberg.<br />

Der geistige Mens<strong>ch</strong> wird zunä<strong>ch</strong>st in den Lehren seiner Religion unterwiesen; das ist<br />

der Anfang seines Weges. Dadur<strong>ch</strong> entsteht bei ihm die geistige (= auf Wahrheiten<br />

gegründete) Kir<strong>ch</strong>e.<br />

9,21. Und da er von dem Wein trank, ward er trunken und lag im Zelt aufgedeckt.<br />

Wenn er jedo<strong>ch</strong> die Wahrheiten des ihm vermittelten Glaubens ausgrübeln will, dann<br />

verfällt er Irrtümern, beraubt si<strong>ch</strong> der Glaubenswahrheiten, und verkehrte Ansi<strong>ch</strong>ten<br />

gerade in den zentralen Gegenständen des Glaubens sind die Folge.<br />

9,22. Als nun Ham, Kanaans Vater, seines Vaters Blöße sah, sagte er es seinen<br />

beiden Brüdern draußen.<br />

Diejenigen, deren Hauptaugenmerk auf die bloße Glaubenslehre geri<strong>ch</strong>tet ist (die<br />

verdorbene Kir<strong>ch</strong>e) und die daher der Ursprung der si<strong>ch</strong> in Riten ers<strong>ch</strong>öpfenden Kir<strong>ch</strong>e<br />

sind, bemerken die Irrtümer und verkehrten Ansi<strong>ch</strong>ten und spotten darüber.<br />

9,23. Da nahmen Sem und Jafet ein Kleid und legten es auf ihrer beider S<strong>ch</strong>ultern<br />

und gingen rückwärts hinzu und deckten ihres Vaters Blöße zu; und ihr Angesi<strong>ch</strong>t<br />

war abgewandt, damit sie ihres Vaters Blöße ni<strong>ch</strong>t sähen.<br />

Diejenigen hingegen, denen die Nä<strong>ch</strong>stenliebe das Wi<strong>ch</strong>tigste ist (die innere Kir<strong>ch</strong>e)<br />

und die si<strong>ch</strong> dementspre<strong>ch</strong>end verhalten (die entspre<strong>ch</strong>ende äußere Kir<strong>ch</strong>e), legen die<br />

Irrtümer und verkehrten Ansi<strong>ch</strong>ten mit aller Ma<strong>ch</strong>t zum Guten aus. Ja, sie a<strong>ch</strong>ten<br />

ni<strong>ch</strong>t einmal auf die Irrtümer und verkehrten Ansi<strong>ch</strong>ten, sondern ents<strong>ch</strong>uldigen sie.<br />

So soll man si<strong>ch</strong> verhalten: Auf die Irrtümer und Fehler anderer, die aus Vernünfteleien<br />

entstehen, soll man ni<strong>ch</strong>t a<strong>ch</strong>ten.<br />

9,24. Als nun Noah erwa<strong>ch</strong>te von seinem Raus<strong>ch</strong> und erfuhr, was ihm sein jüngster<br />

Sohn angetan hatte,<br />

Wenn der geistige Mens<strong>ch</strong> eines besseren belehrt wird, dann erkennt er, dass das<br />

alleräußerste Religionswissen und -handeln von Haus aus ein Spötter und wenig hilfrei<strong>ch</strong><br />

ist.<br />

9,25. spra<strong>ch</strong> er: Verflu<strong>ch</strong>t sei Kanaan und sei seinen Brüdern ein Kne<strong>ch</strong>t aller<br />

Kne<strong>ch</strong>te!


166 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Der nur äußere Religionsbetrieb ist an und für si<strong>ch</strong> dem göttli<strong>ch</strong>en Einfluss gegenüber<br />

ni<strong>ch</strong>t aufges<strong>ch</strong>lossen, kann aber geringe Dienste leisten, wenn das eigentli<strong>ch</strong>e Wesen<br />

der Religion, nämli<strong>ch</strong> der Prozess der Wiedergeburt, ni<strong>ch</strong>t aus den Augen verloren<br />

wird.<br />

9,26. Und spra<strong>ch</strong> weiter: Gelobt sei der Herr, der Gott Sems, und Kanaan sei sein<br />

Kne<strong>ch</strong>t!<br />

Diejenigen hingegen, die den Herrn dur<strong>ch</strong> die Verwirkli<strong>ch</strong>ung der Nä<strong>ch</strong>stenliebe preisen,<br />

werden mit dem Guten erfüllt. Der äußere Gottesdienst kann ihnen als Ausdrucksmittel<br />

dienen.<br />

9,27. Gott breite Jafet aus und lasse ihn wohnen in den Zelten Sems, und Kanaan<br />

sei sein Kne<strong>ch</strong>t!<br />

Au<strong>ch</strong> diejenigen, die die Lehren der Kir<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>t kennen, aber denno<strong>ch</strong> Nä<strong>ch</strong>stenliebe<br />

praktizieren, sollen erleu<strong>ch</strong>tet werden und die Begrenztheit ihrer Ansi<strong>ch</strong>ten überwinden.<br />

Sie werden in das Heiligtum der Liebe aufgenommen werden. Au<strong>ch</strong> ihnen kann<br />

der äußere Gottesdienst als Ausdrucksmittel dienen.<br />

9,28. Noah aber lebte na<strong>ch</strong> der Sintflut dreihundertundfünfzig Jahre,<br />

9,29. dass sein ganzes Alter ward neunhundertundfünfzig Jahre, und starb.<br />

Die Dauer und der Zustand der alten Kir<strong>ch</strong>e.


Neuanfang mit Noah 167<br />

Neuanfang mit Noah<br />

Die These der Fors<strong>ch</strong>ung<br />

Vor der Sintflut heißt es: »Und der Herr sah, dass die Bosheit des Mens<strong>ch</strong>en auf<br />

der Erde groß war und alles Sinnen der Gedanken seines Herzens nur böse den<br />

ganzen Tag. Und es reute den Herrn, dass er den Mens<strong>ch</strong>en auf der Erde gema<strong>ch</strong>t<br />

hatte, und es bekümmerte ihn in sein Herz hinein. Und der Herr spra<strong>ch</strong>: I<strong>ch</strong> will<br />

den Mens<strong>ch</strong>en, den i<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>affen habe, von der Flä<strong>ch</strong>e des Erdbodens auslös<strong>ch</strong>en,<br />

vom Mens<strong>ch</strong>en bis zum Vieh, bis zu den krie<strong>ch</strong>enden Tieren und bis zu<br />

den Vögeln des Himmels; denn es reut mi<strong>ch</strong>, dass i<strong>ch</strong> sie gema<strong>ch</strong>t habe. Noah<br />

aber fand Gunst in den Augen des Herrn.« (Gen 6,5-8). Und na<strong>ch</strong> der Sintflut heißt<br />

es: »Und Noah baute dem Herrn einen Altar; und er nahm von allem reinen Vieh<br />

und von allen reinen Vögeln und opferte Brandopfer auf dem Altar. Und der Herr<br />

ro<strong>ch</strong> den wohlgefälligen Geru<strong>ch</strong>, und der Herr spra<strong>ch</strong> in seinem Herzen: Ni<strong>ch</strong>t<br />

no<strong>ch</strong> einmal will i<strong>ch</strong> den Erdboden verflu<strong>ch</strong>en um des Mens<strong>ch</strong>en willen; denn das<br />

Sinnen des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Herzens ist böse von seiner Jugend an; und ni<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong><br />

einmal will i<strong>ch</strong> alles Lebendige s<strong>ch</strong>lagen, wie i<strong>ch</strong> getan habe. Von nun an, alle<br />

Tage der Erde, sollen ni<strong>ch</strong>t aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und<br />

Winter, Tag und Na<strong>ch</strong>t.« (Gen 8,20-22).<br />

Der Verglei<strong>ch</strong> der beiden Texte führt zu einem überras<strong>ch</strong>enden Ergebnis. Der<br />

Mens<strong>ch</strong> ist na<strong>ch</strong> der Sintflut genauso böse wie vor ihr. Denn vor der Flut sah der<br />

Herr, »dass die Bosheit des Mens<strong>ch</strong>en auf der Erde groß war und alles Sinnen der<br />

Gedanken seines Herzens nur böse den ganzen Tag.« (Gen 6,5). Und na<strong>ch</strong> der Flut<br />

stellt er fest: »das Sinnen des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Herzens ist böse von seiner Jugend<br />

an« (Gen 8,21). Gott hingegen s<strong>ch</strong>eint einen Gesinnungswandel vollzogen zu haben.<br />

Denn vor der Flut »reute« es den Herrn, »dass er den Mens<strong>ch</strong>en auf der Erde<br />

gema<strong>ch</strong>t hatte, und es bekümmerte ihn in sein Herz hinein.« (Gen 6,6). Aber na<strong>ch</strong><br />

der Flut spra<strong>ch</strong> er »in seinem Herzen: Ni<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong> einmal will i<strong>ch</strong> den Erdboden<br />

verflu<strong>ch</strong>en um des Mens<strong>ch</strong>en willen … und ni<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong> einmal will i<strong>ch</strong> alles Lebendige<br />

s<strong>ch</strong>lagen, wie i<strong>ch</strong> getan habe.« (Gen 8,21). Das zweimalige »ni<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong><br />

einmal« s<strong>ch</strong>eint anzudeuten, dass Gott einen Gesinnungswandel vollzogen hat.<br />

Daher behauptet die gegenwärtige Fors<strong>ch</strong>ung: »So kurios es klingt: Für die Bibel<br />

hat Gott während der Flut eine Umkehr vollzogen.« 293<br />

Diese These ist dur<strong>ch</strong>aus na<strong>ch</strong>vollziehbar und einleu<strong>ch</strong>tend, denno<strong>ch</strong> komme i<strong>ch</strong><br />

mit Emanuel Swedenborg und der Sensibilisierung für einen inneren Sinn zu einem<br />

etwas anderen Ergebnis. Denn entgegen dem bu<strong>ch</strong>stäbli<strong>ch</strong>en Ans<strong>ch</strong>ein han-<br />

293<br />

Norbert Clemens Baumgart, Zuversi<strong>ch</strong>t und Hoffnung in Verbindung mit der biblis<strong>ch</strong>en Fluterzählung,<br />

in: »Na<strong>ch</strong> uns die Sintflut – oder sind wir s<strong>ch</strong>on mittendrin?« Eine ni<strong>ch</strong>t nur biblis<strong>ch</strong>e<br />

Erzählung für S<strong>ch</strong>ule und Bildungsstätten (in Zusammenarbeit mit P. Höffken und G.<br />

Ringshausen), KFW 2002, Seite 40. Siehe au<strong>ch</strong> Lothar Perlitt, 1. Mose 8,15-22, GPM (Göttinger<br />

Predigtmeditationen) 24 (1970) Seite 392: »Die Flut hat offenbar ni<strong>ch</strong>t den Mens<strong>ch</strong>en<br />

verwandelt, sondern Gott!«


168 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

delt die Erzählung von der großen Flut und der Bewahrung Noahs eben do<strong>ch</strong> von<br />

der S<strong>ch</strong>öpfung eines neuen Mens<strong>ch</strong>entyps. Aus Adam wird Noah. Das mö<strong>ch</strong>te i<strong>ch</strong><br />

im Folgenden begründen.<br />

Gemeinsamkeiten zwis<strong>ch</strong>en Sintfluterzählung und S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t<br />

Die Sintfluterzählung hat man<strong>ch</strong>erlei Ähnli<strong>ch</strong>keiten mit dem S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t<br />

des ersten Kapitels der Genesis. Sie ist daher in ihrer Art eine S<strong>ch</strong>öpfungserzählung.<br />

S<strong>ch</strong>auen wir uns das etwas genauer an. 294<br />

Unser Augenmerk ri<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> auf die Ar<strong>ch</strong>e. Die Bes<strong>ch</strong>reibung derselben in Genesis<br />

6,9-22 weist Übereinstimmungen mit der Darstellung der S<strong>ch</strong>öpfung na<strong>ch</strong><br />

Genesis 1,1-2,4 auf. In beiden Fällen werden Lebensräume ges<strong>ch</strong>affen. Der S<strong>ch</strong>öpfungsraum<br />

von Genesis 1 ers<strong>ch</strong>eint vor unserem geistigen Auge als eine Lebensoder<br />

Luftblase, die allseitig, oben und unten, von Chaoswasser umgeben ist. Ganz<br />

ähnli<strong>ch</strong> verhält es si<strong>ch</strong> mit dem Lebensraum Ar<strong>ch</strong>e. Au<strong>ch</strong> er ist allseitig von Wassermassen<br />

umgeben, wobei die Verpi<strong>ch</strong>ung mit Pe<strong>ch</strong> (Gen 6,14) no<strong>ch</strong> einmal eigens<br />

unsere Aufmerksamkeit darauf ri<strong>ch</strong>tet, dass das lebensbedrohli<strong>ch</strong>e Element<br />

in diesen Raum der Lebensbewahrung ni<strong>ch</strong>t eindringen soll. S<strong>ch</strong>öpfung und Ar<strong>ch</strong>e<br />

sind also als Lebensräume in einer lebensfeindli<strong>ch</strong>en Umgebung konzipiert.<br />

Au<strong>ch</strong> in der Abfolge der Themen ähneln si<strong>ch</strong> die Sintfluterzählung und der S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t.<br />

Beide Texte beginnen mit der S<strong>ch</strong>ilderung des Chaos. Vor den<br />

S<strong>ch</strong>öpfungswerken herrs<strong>ch</strong>te in Genesis 1,2 das Chaos (tohuwabohu) in Gestalt<br />

des wilds<strong>ch</strong>äumenden Urmeeres (tehom). Damit verglei<strong>ch</strong>bar ist, dass vor der<br />

Bauanweisung für den neuen S<strong>ch</strong>öpfungsraum der Ar<strong>ch</strong>e (Gen 6,14-16) ein Gewalt<strong>ch</strong>aos<br />

auf Erden wütete (<strong>ch</strong>amas = Gewalttat in Gen 6,11-13). Zweitens: Beide<br />

Räume, der der S<strong>ch</strong>öpfung und der der Ar<strong>ch</strong>e, wurden na<strong>ch</strong> ihrer Ers<strong>ch</strong>affung zu<br />

Lebensräumen für Tier und Mens<strong>ch</strong> (vgl. Gen 1,20-31 mit Gen 6,18-20). Drittens:<br />

Bei der S<strong>ch</strong>öpfung bestand Gottes letzte Handlung vor der Ruhe des siebenten<br />

Tages darin, dem Mens<strong>ch</strong>en und den Tieren die Nahrung zu geben (Gen 1,29f).<br />

Ebenso bezieht si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> Gottes letzte Weisung an Noah darauf, Nahrung in die<br />

Ar<strong>ch</strong>e zu s<strong>ch</strong>affen (Gen 6,21).<br />

Die strukturellen Parallelen zwis<strong>ch</strong>en dem S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t und der Sintfluterzählung<br />

sind ein erster Hinweis darauf, dass es in Genesis 6 bis 9 um eine neue<br />

S<strong>ch</strong>öpfung oder wie Swedenborg sagt um »eine neue Kir<strong>ch</strong>e« (HG 467) geht. In<br />

beiden Fällen werden Räume gestaltet, in denen si<strong>ch</strong> geistiges Leben inmitten der<br />

Chaosmä<strong>ch</strong>te des Bösen und Fals<strong>ch</strong>en entfalten kann.<br />

294<br />

Die folgenden Beoba<strong>ch</strong>tungen übernehme i<strong>ch</strong> dankbar von Norbert Clemens Baumgart, Die<br />

große Flut und die Ar<strong>ch</strong>e, in: Bibel und Kir<strong>ch</strong>e 1 (2003) 30-36.


Neuanfang mit Noah 169<br />

S<strong>ch</strong>öpfung und Neus<strong>ch</strong>öpfung des Mens<strong>ch</strong>en<br />

Ähnli<strong>ch</strong>keiten zwis<strong>ch</strong>en dem S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t und der Sintfluterzählung zeigen<br />

si<strong>ch</strong> uns au<strong>ch</strong> im Verglei<strong>ch</strong> von Genesis 1,26-31 mit 9,1-7. Die sogenannten noa<strong>ch</strong>itis<strong>ch</strong>en<br />

Gebote von Genesis 9,1-7 thematisieren die Neuordnung oder Neus<strong>ch</strong>öpfung<br />

des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Dasein na<strong>ch</strong> der großen Flut.<br />

In beiden Texten geht es um die Herrs<strong>ch</strong>aft des Mens<strong>ch</strong>en (= des Geistbewusstseins)<br />

über die Tiere (= die Triebsphäre oder das Triebhafte), um den Segen bzw.<br />

die Erneuerung des S<strong>ch</strong>öpfungssegens und um die dem jeweiligen Mens<strong>ch</strong>entyp<br />

entspre<strong>ch</strong>ende Nahrung. S<strong>ch</strong>auen wir uns das anhand der Texte an! Der Herrs<strong>ch</strong>aftsauftrag<br />

wird in Genesis 1,26.28 und 9,2 thematisiert: »Sie sollen herrs<strong>ch</strong>en<br />

über die Fis<strong>ch</strong>e des Meeres und über die Vögel des Himmels und über das Vieh<br />

und über die ganze Erde und über alle krie<strong>ch</strong>enden Tiere, die auf der Erde krie<strong>ch</strong>en!«<br />

(Gen 1,26). »und ma<strong>ch</strong>t sie (eu<strong>ch</strong>) untertan; und herrs<strong>ch</strong>t über die Fis<strong>ch</strong>e<br />

des Meeres und über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die si<strong>ch</strong> auf der<br />

Erde regen!« (Gen 1,28). »Und Fur<strong>ch</strong>t und S<strong>ch</strong>recken vor eu<strong>ch</strong> sei auf allen Tieren<br />

der Erde und auf allen Vögeln des Himmels! Mit allem, was si<strong>ch</strong> auf dem Erdboden<br />

regt, mit allen Fis<strong>ch</strong>en des Meeres sind sie in eure Hände gegeben.« (Gen<br />

9,2). Der S<strong>ch</strong>öpfungssegen wird in Genesis 1,28 und 9,1.7 thematisiert: »Und Gott<br />

segnete sie, und Gott spra<strong>ch</strong> zu ihnen: Seid fru<strong>ch</strong>tbar und vermehrt eu<strong>ch</strong>, und<br />

füllt die Erde« (Gen 1,28). »Und Gott segnete Noah und seine Söhne und spra<strong>ch</strong> zu<br />

ihnen: Seid fru<strong>ch</strong>tbar, und vermehrt eu<strong>ch</strong>, und füllt die Erde!« (Gen 9,1). »Ihr nun,<br />

seid fru<strong>ch</strong>tbar, und vermehrt eu<strong>ch</strong>, wimmelt auf der Erde, und vermehrt eu<strong>ch</strong> auf<br />

ihr!« (Gen 9,7). Die dem jeweiligen Mens<strong>ch</strong>entyp (Adam oder Noah) entspre<strong>ch</strong>ende<br />

Nahrung s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> wird in Genesis 1,29 und 9,3f. thematisiert: »Und Gott<br />

spra<strong>ch</strong>: Siehe, i<strong>ch</strong> habe eu<strong>ch</strong> alles samentragende Kraut gegeben, das auf der Flä<strong>ch</strong>e<br />

der ganzen Erde ist, und jeden Baum, an dem samentragende Baumfru<strong>ch</strong>t ist:<br />

es soll eu<strong>ch</strong> zur Nahrung dienen« (Gen 1,29). »Alles Krie<strong>ch</strong>getier, das lebendig ist,<br />

soll eu<strong>ch</strong> zur Speise sein; wie das grüne Kraut habe i<strong>ch</strong> es eu<strong>ch</strong> alles gegeben.<br />

Nur Fleis<strong>ch</strong> (vermis<strong>ch</strong>t) mit seiner Seele, seinem Blut, sollt ihr ni<strong>ch</strong>t essen!« (Gen<br />

9,3f.).<br />

Dass Genesis 9,1-7 die na<strong>ch</strong>sintflutli<strong>ch</strong>e Aktualisierung der ursprüngli<strong>ch</strong>en<br />

S<strong>ch</strong>öpfungsordnung darstellt, ist aufgrund der Wiederaufnahmen der Themen von<br />

Genesis 1,26-31 offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>. Wenn man diese Verbindungen erst einmal entdeckt<br />

hat, dann werden aber gerade au<strong>ch</strong> die Unters<strong>ch</strong>iede in den beiden Texten<br />

interessant, weil sie einen Einblick in die Andersartigkeit des neuen Mens<strong>ch</strong>en<br />

(Noah) gegenüber dem Urmens<strong>ch</strong>en (Adam) gewähren. Genesis 9,1-7 tönt gewalttätiger.<br />

So ist von »Fur<strong>ch</strong>t und S<strong>ch</strong>recken« die Rede und vor allem ist nun die<br />

Tötung von Tieren und der Fleis<strong>ch</strong>genuss erlaubt, was ein Entgegenkommen gegenüber<br />

der nunmehr tieris<strong>ch</strong>en (= triebhaften) Natur des Mens<strong>ch</strong>en (Gen 8,21)<br />

ist (siehe HG 1002). Die Unters<strong>ch</strong>iede hängen also mit der Integration des Gewaltpotentials<br />

in die neue S<strong>ch</strong>öpfungs- oder Wiedergeburtsordnung zusammen.


170 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Die Entspre<strong>ch</strong>ungsformel von Genesis 1 und Noahs Gehorsam<br />

Die letzte Parallele zwis<strong>ch</strong>en dem S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t und der Sintfluterzählung,<br />

auf die i<strong>ch</strong> hinweisen mö<strong>ch</strong>te, ist die zwis<strong>ch</strong>en den Entspre<strong>ch</strong>ungsformeln von<br />

Genesis 1 und den Aussagen über den Gehorsam Noahs. Im S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t<br />

steht meist zwis<strong>ch</strong>en dem Wortberi<strong>ch</strong>t (»Und Gott spra<strong>ch</strong> …«) und dem Tatberi<strong>ch</strong>t<br />

die Formel: »und dementspre<strong>ch</strong>end ges<strong>ch</strong>ah es« (Gen 1,7.9.11.15.24.30). Sie<br />

bringt zum Ausdruck, dass die Tat (weitgehend) dem Wort oder der Absi<strong>ch</strong>t entspri<strong>ch</strong>t,<br />

weswegen man sie Entspre<strong>ch</strong>ungsformel nennt. In der Sintfluterzählung<br />

wird zweimal Noahs Gehorsam ausdrückli<strong>ch</strong> festgestellt: »Und Noah tat es. Na<strong>ch</strong><br />

allem, wie ihm Gott (Elohim) geboten hatte, so tat er.« (Gen 6,22). »Und Noah tat<br />

na<strong>ch</strong> allem, das Jahwe geboten hatte.« (Gen 7,5). Diese Gehorsamsformeln sind<br />

Neuauflagen der Entspre<strong>ch</strong>ungsformeln des S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>ts. Noah wird in<br />

Genesis 6,18-20 im Rahmen einer Elohimrede und in Genesis 7,1-3 im Rahmen<br />

einer Jahwerede zunä<strong>ch</strong>st dur<strong>ch</strong> das Wort aufgefordert, die Ar<strong>ch</strong>e zu besteigen<br />

(das entspri<strong>ch</strong>t den Wortberi<strong>ch</strong>ten von Genesis 1), um dann na<strong>ch</strong> den Gehorsamsformeln<br />

diese au<strong>ch</strong> tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> in Genesis 7,7 und 7,13 zu besteigen (das entspri<strong>ch</strong>t<br />

den Tatberi<strong>ch</strong>ten von Genesis 1).<br />

Es besteht allerdings an dieser Stelle ein Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en dem S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t<br />

und der Sintfluterzählung. In Genesis 1 ist Gott der Gebietende (Wortberi<strong>ch</strong>t)<br />

und der Vollziehende (Tatberi<strong>ch</strong>t). In der Fluterzählung hingegen ist Gott<br />

bzw. Jahwe zwar immer no<strong>ch</strong> der Gebietende, aber ni<strong>ch</strong>t mehr der Vollziehende,<br />

der heißt nun Noah. Die Gehorsamsformel markiert zwar den na<strong>ch</strong> wie vor bestehenden<br />

Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en Wort und Tat, aber Gott verwirkli<strong>ch</strong>t sein Wort<br />

ni<strong>ch</strong>t mehr selbst. Noah ist Mits<strong>ch</strong>öpfer, er baut die Ar<strong>ch</strong>e, die wir als S<strong>ch</strong>öpfungsraum<br />

erkannt haben, und füllt diesen Raum mit Leben. Die erste S<strong>ch</strong>öpfung<br />

ging aus der Hand Gottes hervor, die zweite, die Ar<strong>ch</strong>e, aber aus der Hand Noahs.<br />

Das wiederholt si<strong>ch</strong> später bei den steinernen Tafeln. Die ersten wurden von Jahwe<br />

gema<strong>ch</strong>t, die zweiten von Mose (siehe HG 10603). Das deutet an, dass die<br />

Unmittelbarkeit der Gottesbeziehung beim na<strong>ch</strong>sintflutli<strong>ch</strong>en, das heißt ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en<br />

Mens<strong>ch</strong>en verloren gegangen ist. Na<strong>ch</strong> Swedenborg bestand die<br />

Unmittelbarkeit des vorges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Urmens<strong>ch</strong>en im Innewerden des Göttli<strong>ch</strong>en<br />

(perceptio), während die Mittelbarkeit des ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en, altorientalis<strong>ch</strong>en<br />

Mens<strong>ch</strong>en in der Ausbildung eines Gottesbewusstseins (conscientia) auf der<br />

Grundlage nunmehr s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>er Überlieferungen göttli<strong>ch</strong>er Selbstmitteilungen<br />

bestand.<br />

Der Bauplan der Ar<strong>ch</strong>e<br />

Die Verbindungslinien zwis<strong>ch</strong>en dem S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t und der Sintfluterzählung<br />

ließen diese als eine Art S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te ers<strong>ch</strong>einen. Do<strong>ch</strong> nun müssen<br />

wir no<strong>ch</strong> einen S<strong>ch</strong>ritt weiter gehen und zeigen, dass die Bewahrung der a<strong>ch</strong>t<br />

Mens<strong>ch</strong>en in der Ar<strong>ch</strong>e ein Bild für die »Wiedergeburt« (HG 606), das heißt für die<br />

Herausbildung eines neuen Mens<strong>ch</strong>entyps ist. Unsere Aufmerksamkeit ri<strong>ch</strong>tet


Neuanfang mit Noah 171<br />

si<strong>ch</strong> hierbei auf den Bauplan der Ar<strong>ch</strong>e (Gen 6,14-16). Denn na<strong>ch</strong> Swedenborg<br />

wurde dur<strong>ch</strong> sie im mythis<strong>ch</strong>en Bilddenken der damaligen Zeit »der Mens<strong>ch</strong> der<br />

alten Kir<strong>ch</strong>e« (HG 896; siehe au<strong>ch</strong> HG 639) dargestellt. Und da Mens<strong>ch</strong> und Kir<strong>ch</strong>e<br />

im Denken Swedenborgs austaus<strong>ch</strong>bare Begriffe sind, konnte er au<strong>ch</strong> sagen,<br />

dass die Ar<strong>ch</strong>e »die (noa<strong>ch</strong>itis<strong>ch</strong>e) Kir<strong>ch</strong>e« (HG 639, 4334) oder das Wesen der<br />

altorientalis<strong>ch</strong>en Religionen abbildete.<br />

Diese Deutungen sind ni<strong>ch</strong>t vollkommen neu. S<strong>ch</strong>on die Kir<strong>ch</strong>enväter verstanden<br />

die Ar<strong>ch</strong>e als Symbol der Kir<strong>ch</strong>e und Bild des Mens<strong>ch</strong>en. Seit Justinus (gest. na<strong>ch</strong><br />

165), Tertullian (gest. um 202), Hippolyt (gest. na<strong>ch</strong> 235), Origenes (gest. um 253)<br />

und Cyprian (gest. 258) »sah man die Ar<strong>ch</strong>e in der Sintflut an als ein S<strong>ch</strong>iff auf<br />

dem Meer und damit als die augenfälligste Präfiguration des S<strong>ch</strong>iffs der Kir<strong>ch</strong>e im<br />

Meer der Welt, die das Alte Testament der typologis<strong>ch</strong>en Interpretation bot.« 295<br />

Einen neutestamentli<strong>ch</strong>en Anknüpfungspunkt bot besonders 1. Petrus 3,20f. Der<br />

Verfasser dieses Briefes sah in der Taufe der Kir<strong>ch</strong>e das Gegenbild (grie<strong>ch</strong>. antitypos)<br />

der seinerzeitigen Rettung der a<strong>ch</strong>t Seelen »dur<strong>ch</strong>s Wasser hindur<strong>ch</strong>«. 296 Die<br />

Ar<strong>ch</strong>e wurde aber au<strong>ch</strong> antropomorph als imago hominis, als Abbild des Mens<strong>ch</strong>en<br />

verstanden, so vor allem von Ambrosius in seiner S<strong>ch</strong>rift »De Noe et arca«,<br />

die si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> einem Urteil von Hugo Rahner »fast auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> an Philo ans<strong>ch</strong>ließt«.<br />

Philo von Alexandrien (gest. um 45/50 na<strong>ch</strong> Chr.) hat die Ar<strong>ch</strong>e als Bild<br />

des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Körpers aufgefaßt: »Wer die Ar<strong>ch</strong>e lieber hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ihrer natürli<strong>ch</strong>en<br />

Bes<strong>ch</strong>affenheit (oder Bauweise) untersu<strong>ch</strong>en will, der findet in ihr die<br />

Einri<strong>ch</strong>tung des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Körpers«. 297 Au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Ambrosius »findet man im<br />

Aufbau der Ar<strong>ch</strong>e die Gestalt des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Körpers bes<strong>ch</strong>rieben«. 298<br />

Swedenborgs Interpretation des Bauplans der Ar<strong>ch</strong>e als ein dem altorientalis<strong>ch</strong>en<br />

Denken entspre<strong>ch</strong>endes Bild für die geistige Anatomie des neuen Mens<strong>ch</strong>entyps<br />

na<strong>ch</strong> der Sintflut steht also dur<strong>ch</strong>aus in Verbindung mit früh<strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>en Auslegungen,<br />

wennglei<strong>ch</strong> Swedenborg diese keineswegs einfa<strong>ch</strong> übernimmt, sondern<br />

eigene Akzente setzt. Unter dieser Voraussetzung, dass die Ar<strong>ch</strong>e den neuen<br />

295<br />

Hans Martin von Erffa, Ikonologie der Genesis, Band 1, 1989, Seite 451. Siehe au<strong>ch</strong> Hartmut<br />

Boblitz, Die Allegorese der Ar<strong>ch</strong>e Noahs in der frühen Bibelauslegung, in: Frühmittelalterli<strong>ch</strong>e<br />

Studien 6 (1972) Seite 159-170. Tertullian konstatiert in »De baptismo« (VIII,4): »ecclesia est<br />

arcae figura« (die Kir<strong>ch</strong>e ist die Gestalt der Ar<strong>ch</strong>e); oder in »De idolatria« (XXIV,4): »Quod in<br />

arca non fuit, in ecclesia non sit« (Was in der Ar<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>t gewesen ist, sei au<strong>ch</strong> in der Kir<strong>ch</strong>e<br />

ni<strong>ch</strong>t). Eine die Einzelheiten des knappen Bibeltextes aufgreifende und für die Folgezeit<br />

grundlegende Auslegung der Ar<strong>ch</strong>e als Symbol der Kir<strong>ch</strong>e s<strong>ch</strong>uf Origenes in seiner zweiten<br />

Homilie zum Hexateu<strong>ch</strong>.<br />

296<br />

Einen Zusammenhang mit der Taufe deutet au<strong>ch</strong> die Zahl A<strong>ch</strong>t an. A<strong>ch</strong>t Mens<strong>ch</strong>en sind in der<br />

Ar<strong>ch</strong>e. Am a<strong>ch</strong>ten Tag erfolgte die Bes<strong>ch</strong>neidung (Gen 17,12), die das alttestamentli<strong>ch</strong>e Pendant<br />

der Taufe war. Die <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>en Baptisterien und Taufbecken sind oft a<strong>ch</strong>teckig.<br />

297<br />

Der lateinis<strong>ch</strong>e Originaltext na<strong>ch</strong> Boblitz, Seite 166: »Arcam istam si quis velit magis naturaliter<br />

in examen vocare, inveniet humani corporis apparatum« (Quaestiones et solutiones in Genesim).<br />

298<br />

Der lateinis<strong>ch</strong>e Originaltext aus der S<strong>ch</strong>rift »De Noe et arca« lautet: »inueniet in eius exaedificatione<br />

discriptam humani figuram corporis« (na<strong>ch</strong> Boblitz, Seite 166).


172 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Mens<strong>ch</strong>en darstellt, enthalten die Einzelheiten ihres Baus die Informationen zur<br />

Ausgestaltung dieser Grundannahme.<br />

Genesis 6,14 lautet: »Ma<strong>ch</strong>e dir eine Ar<strong>ch</strong>e aus Gopherholz. Mit Kammern ma<strong>ch</strong>e<br />

die Ar<strong>ch</strong>e und verpi<strong>ch</strong>e sie von innen und von außen mit Pe<strong>ch</strong>.« Gopherholz ist<br />

die Substanz der Ar<strong>ch</strong>e. Es bezei<strong>ch</strong>net das lüsterne, triebhafte Wesen des wiederzugebärenden<br />

Mens<strong>ch</strong>en (siehe »concupiscentiae« in HG 640). Diese Bedeutung<br />

ergibt si<strong>ch</strong> aus der Verwandts<strong>ch</strong>aft von »gopher« mit »gaphrit« (S<strong>ch</strong>wefel). Daher<br />

s<strong>ch</strong>reibt Swedenborg: »Gopherholz ist ein Holz, das rei<strong>ch</strong> an S<strong>ch</strong>wefel ist wie die<br />

Tanne und andere derartige Hölzer. Aufgrund des S<strong>ch</strong>wefels bezei<strong>ch</strong>net es die<br />

Lüste (oder Begierden), weil es lei<strong>ch</strong>t Feuer fängt.« (HG 643). Gopher ist aber au<strong>ch</strong><br />

mit Pe<strong>ch</strong> (»kopher«) spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> verwandt. 299 »Kopher« (Pe<strong>ch</strong>) und »gopher« sind<br />

also gewissermaßen »zwei wie Pe<strong>ch</strong> und S<strong>ch</strong>wefel«, die unzertrennli<strong>ch</strong> sind. Während<br />

nun aber das S<strong>ch</strong>wefelholz die Anfälligkeit des erst no<strong>ch</strong> wiederzugebärenden<br />

Mens<strong>ch</strong>en für die lüsterne Übermä<strong>ch</strong>tigung zum Ausdruck bringt, ist mit<br />

dem semantis<strong>ch</strong>en Bild des Pe<strong>ch</strong>s die komplementäre Funktion des S<strong>ch</strong>utzes vor<br />

der drohenden, triebhaften Übers<strong>ch</strong>wemmung gegeben. Pe<strong>ch</strong> (kopher) ist von<br />

dem Verb »kaphar« abgeleitet, dessen Grundbedeutung »überdecken« und »überstrei<strong>ch</strong>en«<br />

ist 300 und in der priesterli<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>e »sühnen« (Sünden überdecken)<br />

bedeutet. Deswegen s<strong>ch</strong>reibt Swedenborg: »Im Grundtext liest man jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t,<br />

dass sie (die Ar<strong>ch</strong>e) mit Pe<strong>ch</strong> verpi<strong>ch</strong>t wurde, sondern es wird ein Wort gebrau<strong>ch</strong>t,<br />

das auf eine Bes<strong>ch</strong>irmung (protectionem) hindeutet und von sühnen (expiare)<br />

oder versöhnen (propitiare) abgeleitet ist, weswegen es Ähnli<strong>ch</strong>es in si<strong>ch</strong><br />

s<strong>ch</strong>ließt.« (HG 645). Die mit Pe<strong>ch</strong> abgedi<strong>ch</strong>tete Ar<strong>ch</strong>e aus Gopherholz (S<strong>ch</strong>wefelholz)<br />

ist also ein kunstvolles Bild des seiner eigenen Triebhaftigkeit verfallenen<br />

Mens<strong>ch</strong>en, der vor si<strong>ch</strong> selbst ges<strong>ch</strong>ützt werden muss, um die Übers<strong>ch</strong>wemmung<br />

des I<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> das unbewusste Es zu verhindern.<br />

Die Bewahrung des Mens<strong>ch</strong>en auf der Grundlage einer Neueinri<strong>ch</strong>tung seines<br />

Geistes (mens) drückte das altorientalis<strong>ch</strong>e Bilddenken mit den Kammern der<br />

Ar<strong>ch</strong>e aus. Swedenborg bezog sie auf die Areale des Großhirns, die am Ende die<br />

beiden Hemisphären bilden. Sie waren für ihn die physis<strong>ch</strong>e Ausprägung der<br />

Zweiteilung des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Geistes in Wille in der re<strong>ch</strong>ten und Verstand in der<br />

linken Gehirnhälfte (HG 641, 644). 301 Die relative Autonomie des Verstandes gegenüber<br />

der Triebsphäre ist na<strong>ch</strong> Swedenborg die Voraussetzung für die Ausbildung<br />

eines neuen (wiedergeborenen) Willens auf der Grundlage eines spirituellen<br />

299<br />

Zur Verwandts<strong>ch</strong>aft von »gopher« mit »gaphrit« (S<strong>ch</strong>wefel) und »kopher« (Pe<strong>ch</strong>) siehe au<strong>ch</strong><br />

Franz Delitzs<strong>ch</strong>, Commentar über die Genesis, 1872, Seite 207.<br />

300<br />

Siehe Franz Delitzs<strong>ch</strong>, Commentar über die Genesis, 1872, Seite 207.<br />

301<br />

Der gegenwärtige Wissensstand kennt »die extreme Spezialisierung der re<strong>ch</strong>ten Hemisphäre<br />

für räumli<strong>ch</strong>-analoge und der linken Hemisphäre für zeitli<strong>ch</strong>-sequentielle Aufgaben« (Niels<br />

Birbaumer, Stephanie Töpfer, Hirnhemisphären und Verhalten, in: Deuts<strong>ch</strong>es Ärzteblatt 1998;<br />

95: A-2844-2848 [Heft 45]). Na<strong>ch</strong> GLW 70 korrespondieren der Raum mit der Liebe und die<br />

Zeit mit der Weisheit.


Neuanfang mit Noah 173<br />

Bewusstseins (conscientia). Der noa<strong>ch</strong>itis<strong>ch</strong>e Mens<strong>ch</strong> ist daher viel intellektueller<br />

und s<strong>ch</strong>riftbezogener als der vorges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Urmens<strong>ch</strong>.<br />

Genesis 6,15 lautet: »Und so sollst du sie ma<strong>ch</strong>en: Dreihundert Ellen die Länge<br />

der Ar<strong>ch</strong>e, fünfzig Ellen ihre Breite und dreißig Ellen ihre Höhe.« Die Zahlen erzählen<br />

uns, was es mit der Ar<strong>ch</strong>e auf si<strong>ch</strong> hat. Dieser Kasten, der a<strong>ch</strong>t Mens<strong>ch</strong>en<br />

aus der Urzeit in die ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Zeit hinüberrettete, ist das Sinnbild für die<br />

Überreste (reliquiae, HG 646) der Urkir<strong>ch</strong>e, die die Samenkörner des altorientalis<strong>ch</strong>en<br />

Kulturerwa<strong>ch</strong>ens wurden. Die Hinterlassens<strong>ch</strong>aft der vorges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en<br />

Kir<strong>ch</strong>e war das Wort, das heißt die Vers<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>ung der heno<strong>ch</strong>itis<strong>ch</strong>en Urlehre<br />

(vgl. HG 519). In diese Interpretation Swedenborgs fügen si<strong>ch</strong> die Erkenntnisse<br />

von Friedri<strong>ch</strong> Weinreb bestens ein. Denn erstens bedeutet das hebräis<strong>ch</strong>e Wort<br />

für Ar<strong>ch</strong>e (tebah) au<strong>ch</strong> »Wort« 302 und zweitens ergeben die Zahlen, wenn man für<br />

sie die entspre<strong>ch</strong>enden Bu<strong>ch</strong>staben einsetzt, das hebräis<strong>ch</strong>e Wort für Spra<strong>ch</strong>e<br />

(las<strong>ch</strong>on). 303 Das Wort, na<strong>ch</strong> Swedenborg das sog. Alte Wort, stellt demna<strong>ch</strong> die<br />

Überreste der Innewerdungen der ältesten Kir<strong>ch</strong>e zum Gebrau<strong>ch</strong> für die alte Kir<strong>ch</strong>e<br />

dar. An dieser Stelle zeigt si<strong>ch</strong> nun, dass die relative Unabhängigkeit des<br />

Verstandes die subjektive oder innermens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Voraussetzung für die Nutzung<br />

der objektiven oder äußerli<strong>ch</strong>en Heilsgabe der ges<strong>ch</strong>riebenen Wortes ist. 304<br />

Genesis 6,16 lautet: »Ein Fenster sollst du der Ar<strong>ch</strong>e ma<strong>ch</strong>en. Und na<strong>ch</strong> (dem<br />

Maß ?) der Elle (?) sollst du es oben vollenden (anbringen ?). Und den Eingang der<br />

Ar<strong>ch</strong>e sollst du an die Seite setzen. Mit einem unteren, einem zweiten und dritten<br />

(Stockwerk) sollst du sie ma<strong>ch</strong>en.« Die Erfassung des wörtli<strong>ch</strong>en Sinnes bereitet<br />

S<strong>ch</strong>wierigkeiten. Folgt man Swedenborg, so ist immerhin klar, dass »zohar« Fenster<br />

oder Li<strong>ch</strong>töffnung (ni<strong>ch</strong>t Da<strong>ch</strong>) bedeutet und das Suffix am Verb »vollenden«<br />

das Fenster meint und ni<strong>ch</strong>t die Ar<strong>ch</strong>e. Unklar bleibt allerdings, was der Ausdruck<br />

bedeutet, den i<strong>ch</strong> mit »na<strong>ch</strong> (dem Maß ?) der Elle« (wegen »quoad cubitum«<br />

in HG 655) übersetzt habe. Do<strong>ch</strong> trotz dieser S<strong>ch</strong>wierigkeiten können wir einen<br />

im Hinblick auf unsere These genügend klaren Sinn ermitteln. Während Vers 14<br />

das Augenmerk auf die Triebnatur ri<strong>ch</strong>tet (HG 642, 652), wendet si<strong>ch</strong> Vers 16<br />

nun der intellektuellen Fähigkeit zu (HG 642, 652). Das Fenster steht für den<br />

302<br />

Friedri<strong>ch</strong> Weinreb, S<strong>ch</strong>öpfung im Wort, 2002, Seite 445. I<strong>ch</strong> konnte diese Bedeutung aber<br />

bisher ni<strong>ch</strong>t verifizieren.<br />

303<br />

300 ist der Bu<strong>ch</strong>stabe S<strong>ch</strong>in, 50 ist der Bu<strong>ch</strong>stabe Nun und 30 ist der Bu<strong>ch</strong>stabe Lamed. Diese<br />

drei Bu<strong>ch</strong>staben lassen si<strong>ch</strong> zu dem Wort »las<strong>ch</strong>on« verbinden, das Spra<strong>ch</strong>e bedeutet.<br />

304<br />

Für Noahs Ar<strong>ch</strong>e und Moses »Kästlein« (Ex 2,3.5) steht im hebräis<strong>ch</strong>en Grundtext dasselbe<br />

Wort (»tebah«). Daraus lassen si<strong>ch</strong> Einsi<strong>ch</strong>ten in den inneren Sinn gewinnen. Na<strong>ch</strong> HG 6723<br />

besteht zwis<strong>ch</strong>en Mose, der Vorbildung der Thora, im Kästlein und dem Gesetz in der Lade<br />

eine Beziehung. Interessant ist nun, dass dur<strong>ch</strong> Noah die Lehren der ältesten Kir<strong>ch</strong>e über die<br />

Sintflut hinweg bewahrt worden sind. S<strong>ch</strong>on Swedenborg sah in Noah ni<strong>ch</strong>t nur die alte Kir<strong>ch</strong>e,<br />

sondern au<strong>ch</strong> »die Lehre, die von der ältesten Kir<strong>ch</strong>e her übrig geblieben ist (doctrina<br />

remanens ab Antiquissima)« (HG 530). Lorber wurde konkreter. Noah hat das Bu<strong>ch</strong> Heno<strong>ch</strong><br />

unter dem Titel Kriege Jehovas über die Sintflut herübergebra<strong>ch</strong>t (DT 16,7). Daher kann die<br />

»tebah« als Aufbewahrungsort des göttli<strong>ch</strong> Wahren im überlieferten Wort interpretiert werden.


174 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Li<strong>ch</strong>teinfall des Wahren und die Tür an der Seite der Ar<strong>ch</strong>e für das Hören dur<strong>ch</strong><br />

die Ohren an der Seite des Kopfes. Fenster und Tür verbindet Swedenborg zu einer<br />

Einheit im Sinne des Pauluswortes, dass der Glaube dur<strong>ch</strong> das Hören kommt<br />

(siehe Röm 10,17 und HG 654). Die drei Stockwerke symbolisieren die drei Ebenen<br />

der Wahrheitserfassung: die unterste Ebene der von außen (dur<strong>ch</strong> die Ohren)<br />

aufgenommenen und angeeigneten Kenntnisse, die vermittelnde Ebene der rationalen<br />

Dur<strong>ch</strong>dringung des Stoffes und die oberste Ebene des si<strong>ch</strong> allmähli<strong>ch</strong> einstellenden<br />

Verstehens von innen heraus. Zwis<strong>ch</strong>en Vers 14 und 16 handelt Vers<br />

15 von der Brücke des Wortes. Dur<strong>ch</strong> das äußere Offenbarungswort wird zuerst<br />

das mit den Sinnen verbundene Bewusstsein zu einem Bewusstsein des göttli<strong>ch</strong>en<br />

Wahren umgestaltet (reformatio). Ans<strong>ch</strong>ließend wird auf dieser Grundlage ein<br />

neuer, spiritueller Wille geboren (regeneratio).<br />

Eine Bemerkung zu den Dubletten der Sintfluterzählung: S<strong>ch</strong>on Swedenborg wies<br />

auf zahlrei<strong>ch</strong>e Wiederholungen im Text von Genesis 6 bis 9 hin. Au<strong>ch</strong> die wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />

Fors<strong>ch</strong>ung hat das gesehen und daraus weitrei<strong>ch</strong>ende, quellenkritis<strong>ch</strong>e<br />

S<strong>ch</strong>lüsse gezogen. Die Sintfluterzählungen (in diesem Zusammenhang muss<br />

man den Plural gebrau<strong>ch</strong>en) lassen si<strong>ch</strong> demna<strong>ch</strong> auf zwei und der gesamte Pentateu<strong>ch</strong><br />

auf vier Quellen verteilen. Von Swedenborg herkommend, kann man jedo<strong>ch</strong><br />

zu einer anderen Ansi<strong>ch</strong>t gelangen. Dass gerade in Genesis 6 bis 9 die Dubletten<br />

so zahlrei<strong>ch</strong> und ineinander verwoben sind, hängt mit der hier thematisierten<br />

Zweiteilung des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Geistes zusammen. Aber au<strong>ch</strong> unabhängig<br />

davon sollten die Wiederholungen im Pentateu<strong>ch</strong> vor dem Hintergrund des altorientalis<strong>ch</strong>en<br />

Erzählens und des Parallelismus membrorum der hebräis<strong>ch</strong>en Poesie<br />

gesehen werden.


Neuanfang mit Noah 175<br />

Das Bundeszei<strong>ch</strong>en: Gottes Bogen in den Wolken<br />

Der Bauplan der Ar<strong>ch</strong>e bes<strong>ch</strong>rieb, wie wir gesehen haben, den Bauplan des neuen<br />

Mens<strong>ch</strong>entyps, den Swedenborg den geistigen Mens<strong>ch</strong>en der alten Kir<strong>ch</strong>e im<br />

Unters<strong>ch</strong>ied zum himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en der ältesten Kir<strong>ch</strong>e nannte. Die Kammerbauweise<br />

verstanden wir, insbesondere insofern damit au<strong>ch</strong> die beiden Hemisphären<br />

des Großhirns gemeint waren, als einen Hinweis auf die relative Selbständigkeit<br />

des Verstandes gegenüber der Triebsphäre, die der unwiedergeborene<br />

Mens<strong>ch</strong> mit den Tieren gemeinsam hat. Das Bundeszei<strong>ch</strong>en des Regenbogens, auf<br />

das i<strong>ch</strong> abs<strong>ch</strong>ließend eingehen mö<strong>ch</strong>te, führt uns in die Geheimnisse (arcana) der<br />

Verbindung des Herrn mit diesem neuen Mens<strong>ch</strong>entyp ein und soll ein letzter<br />

Blick auf die Wesensart des »homo spiritualis« sein.<br />

Der Regenbogen als Bundeszei<strong>ch</strong>en (Gen 9,12-17) zeigt an, dass das Spiel des<br />

geistigen (oder spirituellen) Li<strong>ch</strong>tes beim geistigen (oder spirituellen) Mens<strong>ch</strong>en<br />

der Indikator seiner Verbindung mit dem Herrn ist und seiner von daher bestimmten<br />

Wesensart. Dieses Bundeszei<strong>ch</strong>en des Bogens in den Wolken bezei<strong>ch</strong>net<br />

mit anderen Worten, so formuliert es Swedenborg, »den Zustand des wiedergeborenen<br />

geistigen Mens<strong>ch</strong>en« (HG 1042).<br />

»Bund« bedeutet »Verbindung (conjunctio)« (HG 665). Und weil diese Verbindung<br />

mit dem Herrn nur bei denen besteht, die wiedergeboren werden, deswegen ist<br />

»Bund« im weitesten Sinne auf »die Wiedergeburt (regeneratio)« zu beziehen (HG<br />

665). Unter dem »Zei<strong>ch</strong>en des Bundes« (Gen 9,12) ist dementspre<strong>ch</strong>end »das<br />

si<strong>ch</strong>tbare Anzei<strong>ch</strong>en oder Indiz der Gegenwart des Herrn (indicium praesentiae<br />

Domini)« (HG 1038) zu verstehen. Konkret ist das die »<strong>ch</strong>aritas«. Das ist im Unters<strong>ch</strong>ied<br />

zur Herzensliebe (amor) die geistige Liebe, die auf ein an Werten orientiertes<br />

Na<strong>ch</strong>denken (Reflexion) beruht. Sie ist das äußerli<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong>tbare Anzei<strong>ch</strong>en<br />

der Anwesenheit des Herrn beim geistigen oder spirituellen Mens<strong>ch</strong>en. Zur Wesensart<br />

dieses Mens<strong>ch</strong>entyps gehört es also, dass die Erneuerung seiner ganzen<br />

Lebensart bis hinunter in den natürli<strong>ch</strong>en Berei<strong>ch</strong> des Tuns auf einen gedankli<strong>ch</strong>en<br />

Prozess beruht.<br />

Unter dem »Bogen in den Wolken« ist im natürli<strong>ch</strong>en Sinn der Himmel und Erde<br />

verbindende »Regenbogen (arcus iridis)« (HG 1042) zu verstehen. Die historis<strong>ch</strong>e<br />

Fors<strong>ch</strong>ung vermutet dahinter Gottes Kriegsbogen bzw. genauer »den zur Perserzeit<br />

gebräu<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Kompositbogen« 305 . Die geistige Fors<strong>ch</strong>ung na<strong>ch</strong> Swedenborg<br />

hingegen vermutet hinter diesem Bogen in den Wolken eine Bes<strong>ch</strong>reibung dafür,<br />

wie die Geburt aus Wasser und Geist (Joh 3,5) dem geistigen Auge zur Ers<strong>ch</strong>einung<br />

kommt (siehe HG 1042). Swedenborg weiß zu beri<strong>ch</strong>ten: »Um das Haupt«<br />

der geistigen Engel ers<strong>ch</strong>eint so etwas »wie ein Regenbogen«, denn »ihr dem Geistigen<br />

entspre<strong>ch</strong>endes Natürli<strong>ch</strong>es gewährt einen sol<strong>ch</strong>en Anblick«. Dieser farbige<br />

Bogen ist »eine Modifikation des geistigen Li<strong>ch</strong>tes vom Herrn im Natürli<strong>ch</strong>en der<br />

305<br />

Horst Seebass, Genesis I: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 227.


Der Turm zu Babel 177<br />

Der Turm zu Babel<br />

Swedenborgs Übersetzung von Genesis 11,1-9<br />

Abbildung 6: Swedenborgs Übersetzung von Genesis 11,1-9 aus »Arcana Coelestia«, Erstausgabe<br />

London 1749.<br />

Meine Übersetzung von Genesis 11,1-9<br />

1. Und die ganze Erde hatte eine Spra<strong>ch</strong>e und einerlei Worte. 2. Und es ges<strong>ch</strong>ah,<br />

als sie von Osten aufbra<strong>ch</strong>en und ein Tal im Lande S<strong>ch</strong>inear fanden und dort<br />

wohnten. 3. Und sie spra<strong>ch</strong>en, ein Mann zu seinem Genossen: Wohlan, backen<br />

wir Backsteine und brennen wir sie im Feuer. Und so diente ihnen der Backstein<br />

als Baustein und das Erdpe<strong>ch</strong> als Mörtel. 4. Und sie spra<strong>ch</strong>en: Wohlan, bauen wir<br />

uns eine Stadt und einen Turm und seine Spitze sei im Himmel. Und ma<strong>ch</strong>en wir<br />

uns einen Namen, damit wir uns ni<strong>ch</strong>t über die Oberflä<strong>ch</strong>e der ganzen Erde zerstreuen.<br />

5. Und der Herr stieg herab, um die Stadt und den Turm zu sehen, den<br />

die Söhne des Mens<strong>ch</strong>en bauten. 6. Und der Herr spra<strong>ch</strong>: Siehe, ein Volk und eine


178 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Spra<strong>ch</strong>e unter ihnen allen. Und dies ist der Anfang ihres Tuns. Und nun wird ihnen<br />

ni<strong>ch</strong>ts mehr unzugängli<strong>ch</strong> sein, was sie gedenken zu tun. 7. Wohlan, steigen<br />

wir herab und verwirren wir dort ihre Spra<strong>ch</strong>e, damit ein Mann ni<strong>ch</strong>t die Spra<strong>ch</strong>e<br />

seines Genossen verstehe. 8. Und der Herr zerstreute sie von dort über die Oberflä<strong>ch</strong>e<br />

der ganzen Erde. Und sie hörten auf, die Stadt zu bauen. 9. Deshalb nennt<br />

man ihren Namen Babel, denn dort verwirrte der Herr die Spra<strong>ch</strong>e der ganzen<br />

Erde und von dort zerstreute der Herr sie über die Oberflä<strong>ch</strong>e der ganzen Erde.<br />

Der innere Sinn<br />

1. Ursprüngli<strong>ch</strong> hatten die Mens<strong>ch</strong>en der Kir<strong>ch</strong>e eine klare und einheitli<strong>ch</strong>e Vorstellung<br />

von den religiösen Dingen, und zwar von den allgemeinen Grundzügen<br />

ebenso wie von den Einzelheiten. 2. Do<strong>ch</strong> dann entfernte man si<strong>ch</strong> innerli<strong>ch</strong> von<br />

der tätigen Liebe, dem lebendigen Ausdruck jeder Religion. Dadur<strong>ch</strong> wurde die<br />

Verehrung des göttli<strong>ch</strong>en Wesens gröber und weltli<strong>ch</strong>er und der Lebenswandel<br />

oberflä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er. 3. Man begann die eigenen Interessen zur Grundlage des Denkens<br />

zu ma<strong>ch</strong>en, so dass man nur no<strong>ch</strong> Fals<strong>ch</strong>es denken konnte, das man jedo<strong>ch</strong><br />

für wahr hielt. Und die eigenen Interessen hielt man für gut. 4. Aus dieser Gesinnung<br />

erwu<strong>ch</strong>s ein eigenes Lehrgebäude, dessen Zentrum jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts als Selbstanbetung<br />

und Überhebli<strong>ch</strong>keit war. Selbst die himmlis<strong>ch</strong>en und religiösen Dinge<br />

wollte man si<strong>ch</strong> untertan ma<strong>ch</strong>en. Man wollte als ma<strong>ch</strong>tvoll gelten und allgemeine<br />

Anerkennung finden. 5. Do<strong>ch</strong> die eigensinnigen Denkweisen in den Köpfen der<br />

Großen ri<strong>ch</strong>ten si<strong>ch</strong> selbst zugrunde. 6. Hatte man ursprüngli<strong>ch</strong> aus dem Leben<br />

der Religion heraus das allgemeine Wohl im Auge, so veränderte si<strong>ch</strong> nun die<br />

innere Lebensausri<strong>ch</strong>tung vollständig und damit au<strong>ch</strong> die gesamte Gemütsverfassung.<br />

7. Keiner war mehr in der Lage, die Wahrheit zu erkennen. Stattdessen propagierte<br />

jeder nur no<strong>ch</strong> seine eigene Meinung, so dass große Uneinigkeit herrs<strong>ch</strong>te.<br />

8. Folgli<strong>ch</strong> blieb gerade das aus, was man eigentli<strong>ch</strong> su<strong>ch</strong>te: Die Anerkennung<br />

dur<strong>ch</strong> andere und die allgemeine Geltung der eigenen Meinung. 9. Das ist die<br />

Bes<strong>ch</strong>affenheit und das S<strong>ch</strong>icksal derer, die das göttli<strong>ch</strong>e Wesen nur no<strong>ch</strong> äußerli<strong>ch</strong><br />

verehren, in toten Formen, und die innere Anbetung des Guten und Wahren<br />

längst aufgegeben haben.


Bauvorhaben endet im Dur<strong>ch</strong>einander: Eine Auslegung von Genesis 11,1 bis 9 … 179<br />

Bauvorhaben endet im Dur<strong>ch</strong>einander:<br />

Eine Auslegung von Genesis 11,1 bis 9<br />

aus der S<strong>ch</strong>ule Swedenborgs<br />

Eine Übers<strong>ch</strong>rift für Genesis 11,1 bis 9<br />

Eine passende Übers<strong>ch</strong>rift ist ni<strong>ch</strong>t lei<strong>ch</strong>t zu finden. Meist steht der Turm im Mittelpunkt.<br />

In den Bibelausgaben lautet die Übers<strong>ch</strong>rift in der Regel entweder »Der<br />

Turm zu Babel« 306 oder »Der Turmbau zu Babel« 307 . Au<strong>ch</strong> in der Ikonographie dominiert<br />

das Motiv des Turmes, entweder sein Bau oder seine Zerstörung, die allerdings<br />

im Alten Testament ni<strong>ch</strong>t erwähnt wird (LCI 1,237). Demgegenüber<br />

s<strong>ch</strong>eint der urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Erzählung die Stadt wi<strong>ch</strong>tiger zu sein. Denn in den<br />

Versen 4 und 5 wird erst die Stadt und dann der Turm genannt. Und in Vers 8 ist<br />

nur von der Stadt die Rede, die im S<strong>ch</strong>lussvers den Namen Babel erhält. Jedo<strong>ch</strong><br />

hat der Leser wohl ni<strong>ch</strong>t zu Unre<strong>ch</strong>t den Eindruck, dass der Turm das Wahrzei<strong>ch</strong>en<br />

308 dieser Stadt ist. In ihm verdi<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> die Bedeutung der Weltstadt am<br />

Euphrat.<br />

Selten wird die Spra<strong>ch</strong>verwirrung in der Übers<strong>ch</strong>rift genannt. Hermann Menge ist<br />

eine sol<strong>ch</strong>e Seltenheit, er wählte »Der Turmbau zu Babel und die Spra<strong>ch</strong>verwirrung«,<br />

und Horst Seebass ents<strong>ch</strong>ied si<strong>ch</strong> in seinem Genesiskommentar für<br />

»Spra<strong>ch</strong>en (11,1-9)« 309 . Dieses Motiv ist tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ein wesentli<strong>ch</strong>er Bestandteil,<br />

denn es rahmt die Erzählung.<br />

Genesis 11,1 bis 9 hat sona<strong>ch</strong> zwei S<strong>ch</strong>werpunkte, das Bauvorhaben und das<br />

spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Dur<strong>ch</strong>einander. Daher meinte Georg Lorenz Bauer: »Man kann einen<br />

doppelten Mythos unters<strong>ch</strong>eiden, den vom Thurmbau, … und den anderen vom<br />

Ursprung der Spra<strong>ch</strong>e.« 310 Vor dem Hintergrund dieser ungewöhnli<strong>ch</strong>en Motivkombination<br />

kann es als eine Aufgabe der geistigen Exegese angesehen werden,<br />

den inneren Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en den beiden Motiven herauszuarbeiten.<br />

Warum endet das Städtebauvorhaben in der babylonis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>verwirrung?<br />

Ein Erdbeben hätte dem stolzen Turm do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> ein Ende bereiten können.<br />

Übersetzung von Genesis 11,1 bis 9<br />

1. Und die ganze Erde hatte eine Lippe und dieselben Worte. 2. Und es ges<strong>ch</strong>ah,<br />

als sie von Osten aufbra<strong>ch</strong>en, da fanden sie ein Tal im Lande S<strong>ch</strong>inar und wohnten<br />

306<br />

Zür<strong>ch</strong>er Bibel 1931, Tafelbibel in der Revision von Ludwig H. Tafel (dort ohne Artikel).<br />

307<br />

Lutherbibel 1984, Einheitsübersetzung, Elberfelder Bibel 1985.<br />

308<br />

Dazu passt, dass der innere Sinn von Babel (HG 1326) und au<strong>ch</strong> vom Turm (HG 1306) der<br />

cultus sui ist. Die Bedeutung der Stadt verdi<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> also im Turm. »Dur<strong>ch</strong> den Turm wird<br />

hier Babels Bes<strong>ch</strong>affenheit bes<strong>ch</strong>rieben.« (HG 1303).<br />

309<br />

Horst Seebass. Genesis, 1. Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1 - 11,26). Neukir<strong>ch</strong>en-Vluyn 1996, 269.<br />

310<br />

G. L. Bauer, Hebräis<strong>ch</strong>e Mythologie des alten und neuen Testaments, 1802, 226.


180 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

dort. 3. Und sie spra<strong>ch</strong>en, ein Mann zu seinem Genossen: Wohlan, lasst uns Ziegel<br />

ziegeln und zu Gebranntem brennen. Und so hatten sie Ziegel statt Stein und<br />

Erdpe<strong>ch</strong> statt Lehm. 4. Und sie spra<strong>ch</strong>en: Wohlan, lasst uns eine Stadt und einen<br />

Turm bauen, und sein Haupt sei im Himmel. Und lasst uns einen Namen ma<strong>ch</strong>en,<br />

damit wir uns ni<strong>ch</strong>t über die Angesi<strong>ch</strong>te der ganzen Erde zerstreuen. 5. Und<br />

JHWH stieg herab, um die Stadt und den Turm zu sehen, den die Söhne des Mens<strong>ch</strong>en<br />

bauten. 6. Und JHWH spra<strong>ch</strong>: Siehe, ein Volk sind sie, und eine Lippe haben<br />

sie alle, und dies ist der Anfang ihres Tuns. Und nun wird von ihnen ni<strong>ch</strong>ts ferngehalten<br />

werden, was sie gedenken zu tun. 7. Wohlan, lasst uns hinabsteigen und<br />

dort ihre Lippe verwirren, damit sie ni<strong>ch</strong>t hören, ein Mann die Lippe seines Genossen.<br />

8. Und JHWH zerstreute sie von dort über die Angesi<strong>ch</strong>te der ganzen Erde.<br />

Und sie hörten auf, die Stadt zu bauen. 9. Deswegen nannte man ihren Namen<br />

Babel, denn dort verwirrte JHWH die Lippe der ganzen Erde, und von dort zerstreute<br />

sie JHWH über die Angesi<strong>ch</strong>te der ganzen Erde.<br />

Zusätzli<strong>ch</strong>e Informationen zum Urtext und zur Übersetzung<br />

Diese Übersetzung basiert auf dem Urtext und steht in der Tradition der lateinis<strong>ch</strong>en<br />

Übersetzung Swedenborgs und der deuts<strong>ch</strong>en Übersetzungen der Swedenborgianer<br />

Leonhard und Ludwig Tafel. Sie alle waren si<strong>ch</strong> des inneren Sinnes<br />

bewusst, denno<strong>ch</strong> bleibt jede Übersetzung unvollkommen. Deswegen mö<strong>ch</strong>te i<strong>ch</strong><br />

einige zusätzli<strong>ch</strong>e Informationen zum Urtext und zur Übersetzung geben.<br />

In Swedenborgs Besitz befanden si<strong>ch</strong> mehrere lateinis<strong>ch</strong>e Übersetzungen der<br />

Bibel, eine davon war die des Straßburger Theologen Sebastian S<strong>ch</strong>mid. Swedenborgs<br />

Übersetzung von Genesis 11,1 bis 9, abgedruckt in den Himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnissen,<br />

und die von S<strong>ch</strong>mid sind si<strong>ch</strong> sehr ähnli<strong>ch</strong>. Um so interessanter sind<br />

die wenigen Abwei<strong>ch</strong>ungen, von denen die wi<strong>ch</strong>tigsten in der Anmerkung genannt<br />

sind. 311 Sie zeigen, dass Swedenborg eine mögli<strong>ch</strong>st wörtli<strong>ch</strong>e Übertragung<br />

der hebräis<strong>ch</strong>en Vorlage anstrebte.<br />

I<strong>ch</strong> habe das Tetragramm unvokalisiert gelassen. Swedenborg liest mit seiner Zeit<br />

bekanntli<strong>ch</strong> Jehovah. Diese Ausspra<strong>ch</strong>e beruht jedo<strong>ch</strong> auf einem Irrtum. Aufgrund<br />

von »Angaben bei den Kir<strong>ch</strong>envätern« 312 nimmt man heute an, dass Jahwe ri<strong>ch</strong>tig<br />

ist. Die heilige S<strong>ch</strong>rift (Exodus 3,14) und mit ihr Swedenborg (WCR 19) dur<strong>ch</strong>hellen<br />

den Gottesnamen vom hebräis<strong>ch</strong>en Verb »sein«. Das unvokalisierte Tetragramm<br />

bringt zum Ausdruck, dass die Unendli<strong>ch</strong>keit des Seins (WCR 36) unausspre<strong>ch</strong>bar<br />

ist.<br />

311<br />

Vers 1: tota terra bei Swedenborg statt universa terra bei S<strong>ch</strong>mid. Vers 2: vallem statt vallem<br />

planam. Vers 3. laterificemus lateres statt formemus lateres. aduramus in adustum statt aduramus<br />

in coctile. pro luto statt pro caemento. Vers 4. dispergamur statt dispergi cogamur. Vers 7.<br />

audiant statt intelligant. Vers 9. totius terrae statt universae terrae.<br />

312<br />

Walther Zimmerli, Grundriß der alttestamentli<strong>ch</strong>en Theologie, 1989, Seite 12.


Bauvorhaben endet im Dur<strong>ch</strong>einander: Eine Auslegung von Genesis 11,1 bis 9 … 181<br />

Um der vorphilosophis<strong>ch</strong>en Sinnli<strong>ch</strong>keit der hebräis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>e etwas näher zu<br />

kommen, steht in der Übersetzung Erde statt Erdbewohner oder Mens<strong>ch</strong>en (11,1),<br />

Lippe statt Spra<strong>ch</strong>e (11,1), Haupt statt Spitze (11,4) und Angesi<strong>ch</strong>te der Erde statt<br />

Oberflä<strong>ch</strong>e der Erde (11,4.8.9). Allerdings hat uns die abendländis<strong>ch</strong>e Tradition<br />

der philosophis<strong>ch</strong>-abstrakten Begriffsbildung das Urerlebnis des Bildes so sehr<br />

vers<strong>ch</strong>lossen, dass seine Sinnli<strong>ch</strong>keit in einer Übersetzung kaum zum Na<strong>ch</strong>erleben<br />

gebra<strong>ch</strong>t werden kann. Zwar ist Idee von sehen abgeleitet, aber unser Geist<br />

ist längst erblindet. Er sieht ni<strong>ch</strong>ts mehr, er denkt nur no<strong>ch</strong>.<br />

Vers 1. Der hebräis<strong>ch</strong>e Text beginnt mit einer S<strong>ch</strong>wierigkeit, nämli<strong>ch</strong> einem Kongruenzproblem.<br />

Auf eine maskuline Verbform (= er war) folgt ein feminines Subjekt<br />

(= die Erde). 313 I<strong>ch</strong> bin mir ni<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>er, wel<strong>ch</strong>e Bedeutung i<strong>ch</strong> dieser spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />

Beoba<strong>ch</strong>tung beimessen soll. I<strong>ch</strong> erwäge aber die Mögli<strong>ch</strong>keit, dass dadur<strong>ch</strong><br />

die Vermännli<strong>ch</strong>ung der weibli<strong>ch</strong>-empfangenden Mutter Erde angedeutet werden<br />

soll. Der Turm, dessen Spitze in den Himmel hineinragen soll, könnte au<strong>ch</strong> ein<br />

Symbol des männli<strong>ch</strong>en Zeugungsgliedes sein. Die Erde will in den Himmel eindringen,<br />

sie will ihn über-zeugen anstatt si<strong>ch</strong> von ihm befru<strong>ch</strong>ten oder überzeugen<br />

zu lassen.<br />

In der Tradition Swedenborgs stehend, habe i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> für Lippe und Worte ents<strong>ch</strong>ieden.<br />

Das hebräis<strong>ch</strong>e sapah bedeutet Lippe und Rand, gesehen wird demna<strong>ch</strong><br />

die Umrandung des Mundes. Die Septuaginta, die grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Übersetzung der<br />

heiligen S<strong>ch</strong>rift, die im 3. und 2. Jahrhundert vor Christus in Ägypten entstanden<br />

ist, bewahrt dieses Bild rein, denn <strong>ch</strong>eilos bedeutet ebenfalls Lippe und Rand. Das<br />

hebräis<strong>ch</strong>e dabar deutet auf das, was dur<strong>ch</strong> diese Mündung (oder Öffnung des<br />

Mundes) hervorgebra<strong>ch</strong>t wird, also auf die Lautgebilde, die Worte oder die Rede.<br />

Die Übersetzer der Septuaginta wählten phone (Laut, Rede).<br />

Vers 2. I<strong>ch</strong> habe miqqedem mit »von Osten« übersetzt. In mehreren Bibeln ist jedo<strong>ch</strong><br />

»na<strong>ch</strong> Osten« zu finden, beispielsweise in der Lutherbibel 1984, bei Hermann<br />

Menge und in der Verdeuts<strong>ch</strong>ung der S<strong>ch</strong>rift von Martin Buber und Franz<br />

Rosenzweig. Do<strong>ch</strong> der innere Sinn spri<strong>ch</strong>t für die erste Mögli<strong>ch</strong>keit, au<strong>ch</strong> für<br />

Horst Seebass ist das »die näherliegende Übersetzung« 314 . Interessant ist, dass<br />

qedem au<strong>ch</strong> die Bedeutung von Urzeit oder Vorzeit hat, also au<strong>ch</strong> die älteste Kir<strong>ch</strong>e<br />

meint. Die »Tage der Vorzeit« (kime qedem) in Jesaja 51,9 stehen na<strong>ch</strong> Swedenborg<br />

»für den Zustand und die Zeit der ältesten Kir<strong>ch</strong>e« (HG 6239). Demna<strong>ch</strong><br />

könnte der Aufbru<strong>ch</strong> von Osten au<strong>ch</strong> die Entfernung von den no<strong>ch</strong> lebendigen<br />

Überlieferungen der Urkir<strong>ch</strong>e in si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ließen.<br />

Die hebräis<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e kennt mehrere Wörter für Tal. Das hier verwendete biqah<br />

wird gewöhnli<strong>ch</strong> von dem hebräis<strong>ch</strong>en Verb für spalten abgeleitet, wobei jedo<strong>ch</strong><br />

313<br />

Der Vors<strong>ch</strong>lag von Horst Seebass zur Lösung dieses Problems befriedigt mi<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t. Er übersetzt:<br />

»Und es ges<strong>ch</strong>ah: die ganze Erd(bewohners<strong>ch</strong>aft) war eine Lippe mit denselben Worten.«<br />

(a.a.O., 270). Das lässt ein Ges<strong>ch</strong>ehen erwarten. Tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> folgt aber ein Zustand.<br />

314<br />

a.a.O., 270.


182 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

hinzugefügt werden muss, dass diese Ableitung umstritten ist. Spalten würde<br />

aber gut zur analytis<strong>ch</strong>-zerlegenden Tätigkeit des Intellekts passen. Dem entspri<strong>ch</strong>t,<br />

dass in den Versen 3 bis 4 erst die Bauelemente Ziegel und Lehm und<br />

dann der Bau genannt werden. Die Bewegung rückt also von den Bestandteilen<br />

zum Ganzen vor. Das ist die Denkbewegung des äußeren Mens<strong>ch</strong>en. Der innere<br />

Mens<strong>ch</strong> hingegen geht von der Ganzheitss<strong>ch</strong>au aus.<br />

Vers 3. Anstelle von »ein Mann zu seinem Genossen« steht in der Elberfelder Bibel<br />

»einer zum anderen« und in den vers<strong>ch</strong>iedenen Ausgaben der Tafelbibel sogar<br />

nur »zu einander«. I<strong>ch</strong> habe mi<strong>ch</strong> für die wörtli<strong>ch</strong>ere Variante ents<strong>ch</strong>ieden, weil<br />

darin die Eintra<strong>ch</strong>t oder das Wir-Gefühl stärker zum Ausdruck kommt, das au<strong>ch</strong><br />

in der 1. Person Plural (lasst uns ziegeln, brennen, bauen, ma<strong>ch</strong>en, 11,3-4) spürbar<br />

ist.<br />

Zu bea<strong>ch</strong>ten sind die etymologis<strong>ch</strong>en Figuren, »Ziegel ziegeln« (= Ziegel strei<strong>ch</strong>en)<br />

und »zu Gebranntem brennen« (= hart brennen).<br />

Kaum übersetzbar sind die Laut- und Sinngemeinsamkeiten zwis<strong>ch</strong>en Ziegel (lamed-beth-nun-he)<br />

und Stein (aleph-beth-nun) einerseits und Erdpe<strong>ch</strong> (<strong>ch</strong>et-memres<strong>ch</strong>)<br />

und Lehm (<strong>ch</strong>et-mem-res<strong>ch</strong>) andererseits. In der Verdeuts<strong>ch</strong>ung von Martin<br />

Buber und Franz Rosenzweig lesen wir: »So war ihnen der Backstein statt Baustein<br />

und das Roherdpe<strong>ch</strong> war ihnen statt Roterdmörtels.« Den hebräis<strong>ch</strong>en Wörtern<br />

für Ziegel und Stein ist die Lautverbindung bn (beth-nun) gemeinsam. Sie<br />

findet si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> im hebräis<strong>ch</strong>en Wort für bauen (beth-nun-he), und Ben (beth-nun)<br />

heißt Sohn. Erdpe<strong>ch</strong> und Lehm haben völlig dieselben Konsonanten, sie unters<strong>ch</strong>eiden<br />

si<strong>ch</strong> nur in der Vokalisation.<br />

Indem i<strong>ch</strong> »Lehm« wähle, folge i<strong>ch</strong> Swedenborg, der bei Sebastian S<strong>ch</strong>mid caementum<br />

vorfand, si<strong>ch</strong> stattdessen aber für lutum ents<strong>ch</strong>ied. Dem Material na<strong>ch</strong> ist<br />

Lehm, der Verwendung na<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong> Mörtel gemeint.<br />

Vom inneren Sinn her bevorzugt die swedenborgs<strong>ch</strong>e Übersetzungstradition<br />

»statt«. Spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> korrekt ist aber au<strong>ch</strong> »als«: »Und der Ziegel diente ihnen als<br />

Stein und das Erdpe<strong>ch</strong> als Lehm.«<br />

Vers 4. Das Wort für Turm (migdal) ist aus mem = M und »groß sein« zusammengesetzt.<br />

M ist in fast allen Spra<strong>ch</strong>en der Mutterlaut, das heißt der Laut der Formbildung.<br />

Der Turm ist demna<strong>ch</strong> die Form der Größe, der eigenen, selbsterri<strong>ch</strong>teten<br />

Größe na<strong>ch</strong> der Abkehr von Osten. Sie soll bis an oder sogar bis in den Himmel<br />

rei<strong>ch</strong>en.<br />

Vers 5. Beim Verb jarad muss si<strong>ch</strong> der Übersetzer zwis<strong>ch</strong>en hinabsteigen oder<br />

herabsteigen ents<strong>ch</strong>eiden. Spri<strong>ch</strong>t der Urtext also vom Standpunkt Jahwes, der<br />

hinabsteigt, oder der Mens<strong>ch</strong>en, die sehen, wie er herabsteigt?<br />

Das Relativpronomen kann auf Stadt und Turm oder nur auf den Turm bezogen<br />

werden. Swedenborg hat es nur auf den Turm bezogen, wobei ni<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>er ist, ob


Bauvorhaben endet im Dur<strong>ch</strong>einander: Eine Auslegung von Genesis 11,1 bis 9 … 183<br />

er die andere Mögli<strong>ch</strong>keit überhaupt gesehen hat. Am Sinn ändert das aber ni<strong>ch</strong>t<br />

viel.<br />

Vers 6. Lo jibbaser mehem übersetzt Swedenborg mit »es würde ni<strong>ch</strong>t ferngehalten<br />

werden von ihnen« (non prohiberetur ab iis). Die ganze Aussage versteht er demna<strong>ch</strong><br />

so: »Alles, was sie gedenken zu tun, würde nun (wenn Jahwe ni<strong>ch</strong>t herabsteigen<br />

würde) ni<strong>ch</strong>t (mehr) von ihnen ferngehalten werden.« Mit dem Bau der<br />

Stadt und des Turmes übers<strong>ch</strong>reiten die Bauleute eine S<strong>ch</strong>welle. Sie begeben si<strong>ch</strong><br />

ganz in die Hand ihres eigenen Denkens und liefern si<strong>ch</strong> ihm s<strong>ch</strong>utzlos aus. Das<br />

eigene Denken kann nun, na<strong>ch</strong>dem die Hemms<strong>ch</strong>welle überwunden ist, ni<strong>ch</strong>t<br />

mehr von ihnen ferngehalten werden. Mögli<strong>ch</strong> ist au<strong>ch</strong> die folgende Übersetzung:<br />

»Alles, was sie gedenken zu tun, wird ihnen (= von ihnen aus gesehen) nun ni<strong>ch</strong>t<br />

(mehr) unzugängli<strong>ch</strong> sein.« Mit der Absi<strong>ch</strong>t, einen Turm zu bauen, dessen Spitze<br />

im Himmel sein soll, haben sie alle Grenzen zumindest mental abges<strong>ch</strong>üttelt,<br />

ni<strong>ch</strong>ts s<strong>ch</strong>eint unzugängli<strong>ch</strong>, ni<strong>ch</strong>ts unmögli<strong>ch</strong>.<br />

Vers 7. Balal bedeutet vermengen und verwirren. Dieselbe Bedeutung haben au<strong>ch</strong><br />

confundere bei Swedenborg und syn<strong>ch</strong>ein in der Septuaginta. Na<strong>ch</strong> der Abkehr<br />

vom inneren Li<strong>ch</strong>t des Geistes (= Auszug von Osten) werden Gedanken und Begriffe<br />

ohne Rücksi<strong>ch</strong>t auf den inneren Zusammenhang miteinander vermengt. Da<br />

die strukturierende Kraft des Li<strong>ch</strong>tes erlos<strong>ch</strong>en ist, geht die Ordnung in der Begriffswelt<br />

verloren. Das jeweils aktuelle Dur<strong>ch</strong>einander, die Muster, die aus den<br />

S<strong>ch</strong>erben beliebig gebildet werden können, entspre<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t mehr der Wahrheit<br />

und sind haltlos.<br />

Vers 8. Im samaritanis<strong>ch</strong>en Pentateu<strong>ch</strong> und der Septuaginta steht zusätzli<strong>ch</strong> »und<br />

den Turm«, so dass der Vers dort lautet: »… und sie hörten auf, die Stadt und den<br />

Turm zu bauen.« Vermutli<strong>ch</strong> ist das aber als Anglei<strong>ch</strong>ung an die Verse 4 und 5 zu<br />

bewerten.<br />

Vers 9. Rein spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ist au<strong>ch</strong> »Deswegen nannte er (= Jahwe) …« mögli<strong>ch</strong>, zutreffend<br />

ist aber do<strong>ch</strong> wohl »Deswegen nannte man …«. Die Septuaginta hat statt<br />

Babel Syn<strong>ch</strong>ysis (= Verwirrung). Im Urtext liegt ein Wortspiel zwis<strong>ch</strong>en Babel und<br />

dem Verb balal (= verwirren) vor.<br />

Abgrenzung und Stellung von Genesis 11,1 bis 9<br />

Die Abgrenzung von Genesis 11,1 bis 9 ist problemlos mögli<strong>ch</strong>, siehe au<strong>ch</strong> HG<br />

1279. Das vorangehende Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tsregister Noahs endet deutli<strong>ch</strong> erkennbar mit<br />

10,32. Au<strong>ch</strong> der Beginn des na<strong>ch</strong>folgenden Abs<strong>ch</strong>nitts ist mit »dies die Geburten«<br />

11,10 deutli<strong>ch</strong> markiert, er umfasst 11,10-26 (HG 1281). Dieselbe Kennzei<strong>ch</strong>nung<br />

ers<strong>ch</strong>eint no<strong>ch</strong> einmal in 11,27, wiederum am Anfang einer Einheit, nämli<strong>ch</strong><br />

11,27-32 (HG 1282).<br />

Der Turmbau zu Babel steht am Ende der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26). Swedenborg<br />

kannte diesen Begriff allerdings no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, ma<strong>ch</strong>te aber eine wi<strong>ch</strong>tige Unters<strong>ch</strong>eidung:<br />

»Vom ersten Kapitel der Genesis … bis Eber (erstmals 11,14 erwähnt)


184 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

war es keine wahre, sondern gema<strong>ch</strong>te Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (historica facta)« (HG 1403,<br />

siehe au<strong>ch</strong> 1020). Swedenborg überwand mit dieser Erkenntnis ein altes Missverständnis,<br />

denn von der Zeit des Neuen Testaments an 315 wurde das in Genesis 1<br />

bis 11 »Erzählte als Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te verstanden, genau wie alles andere, was die Bibel<br />

beri<strong>ch</strong>tet. Dass diese Ereignisse von der S<strong>ch</strong>öpfung bis zum Turmbau von Babel<br />

im AT selbst ni<strong>ch</strong>t als Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te in unserem Sinn gemeint sind und daher au<strong>ch</strong><br />

niemals in die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tstraditionen einbezogen werden (Credo), wurde ni<strong>ch</strong>t<br />

gesehen …« 316 Der Turmbau zu Babel steht au<strong>ch</strong> für Swedenborg an einem Ende,<br />

nämli<strong>ch</strong> am Ende der gema<strong>ch</strong>ten Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te. In einem ungemein di<strong>ch</strong>ten Bild<br />

zeigt er uns Anfang und Ende, Wesen und Wandel der ersten Alten Kir<strong>ch</strong>e (HG<br />

1279).<br />

Gliederung<br />

Genesis 11,1 bis 9 gliedert si<strong>ch</strong> deutli<strong>ch</strong> erkennbar in zwei Teile. In den Versen 1<br />

bis 4 ist die Mens<strong>ch</strong>heit das Subjekt, in den Versen 5 bis 9 hingegen ist es Jahwe.<br />

Im ersten Teil sieht Swedenborg vier aufeinanderfolgende Zustände und im zweiten<br />

fasst er die Verse 5 und 6 sowie 7 bis 9 zu zwei Untergruppen zusammen (HG<br />

1280).<br />

1. Die Mens<strong>ch</strong>en (11,1-4)<br />

1.1 Der Anfangszustand:<br />

»Und die ganze Erde hatte eine Lippe und einerlei Worte« (11,1)<br />

1.2 Der Ortswe<strong>ch</strong>sel:<br />

»Und es ges<strong>ch</strong>ah, als sie von Osten aufbra<strong>ch</strong>en, da fanden sie ein Tal<br />

im Lande S<strong>ch</strong>inar und wohnten dort.« (11,2)<br />

1.3 Die Bautätigkeit (11,3-4)<br />

1.3.1 Erster Aufruf mit Einleitungsformel, der Baustoff:<br />

»Und sie spra<strong>ch</strong>en, ein Mann zu seinem Genossen: Wohlan, lasst uns<br />

Ziegel ziegeln und zu Gebranntem brennen.« (11,3a)<br />

1.3.2 Kommentar zum Baustoff:<br />

»Und der Ziegel diente ihnen als Stein und das Erdpe<strong>ch</strong> als Lehm.«<br />

(11,3b)<br />

1.3.3 Zweiter Aufruf, der Bau (11,4)<br />

1.3.3.1 Aufruf zum Bau von Stadt und Turm:<br />

»Und sie spra<strong>ch</strong>en: Wohlan, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen,<br />

und sein Haupt sei im Himmel.« (11,4aa)<br />

315<br />

Man denke nur an Paulus, für den Adam ein Personenname und somit der erste Mens<strong>ch</strong> war.<br />

316<br />

Claus Westermann, Genesis 1-11, 1989, EdF 7, Seite 3.


Bauvorhaben endet im Dur<strong>ch</strong>einander: Eine Auslegung von Genesis 11,1 bis 9 … 185<br />

1.3.3.2 Der gema<strong>ch</strong>te Name (das Image oder Ansehen):<br />

»Und lasst uns einen Namen ma<strong>ch</strong>en …« (11,4ab)<br />

1.3.3.3 Der Gefahr der Zerstreuung soll entgegengewirkt werden:<br />

»… damit wir uns ni<strong>ch</strong>t über die Angesi<strong>ch</strong>te der ganzen Erde zerstreuen.«<br />

(11,4b)<br />

2. Jahwe (11,5-9)<br />

2.1 Die Herabkunft Jahwes:<br />

»Und Jahwe stieg herab, um die Stadt und den Turm zu sehen, den die<br />

Söhne des Mens<strong>ch</strong>en bauten.« (11,5)<br />

2.2 Die Jahwerede (11,6-7)<br />

2.2.1 Hinweis auf den Anfangszustand:<br />

»Und Jahwe spra<strong>ch</strong>: Siehe, ein Volk sind sie, und eine Lippe haben sie<br />

alle« (11,6aa)<br />

2.2.2 Bewertung des Tuns als Auftakt:<br />

»Und dies ist der Anfang ihres Tuns« (11,6ab)<br />

2.2.3 Die ungehinderte Verwirkli<strong>ch</strong>ung des eigenen Denkens (ni<strong>ch</strong>ts ist<br />

unmögli<strong>ch</strong>):<br />

»Und nun wird alles, was sie gedenken zu tun, ni<strong>ch</strong>t von ihnen ferngehalten<br />

werden.« (11,6b)<br />

2.2.4 Herabkunft zur Verwirrung der Lippe, so dass die Geistabsi<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t<br />

mehr herausgehört werden kann:<br />

»Wohlan, lasst uns hinabsteigen und dort ihre Lippe verwirren, damit<br />

sie ni<strong>ch</strong>t hören, ein Mann die Lippe seines Genossen.« (11,7)<br />

2.3 Die Zerstreuung und das Ablassen von der Bautätigkeit:<br />

»Und Jahwe zerstreute sie von dort über die Angesi<strong>ch</strong>te der ganzen<br />

Erde. Und sie hörten auf, die Stadt zu bauen.« (11,8)<br />

2.4 Die Endzustände im Perfekt: Stadtname, Verwirrung und Zerstreuung:<br />

»Deswegen nannte man ihren Namen Babel, denn dort verwirrte Jahwe<br />

die Lippe der ganzen Erde; und von dort zerstreute Jahwe sie über<br />

die Angesi<strong>ch</strong>te der ganzen Erde.« (11,9)<br />

Eine Zusammenfassung des inneren Sinnes<br />

In den Himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnissen 1279 bis 1328 legt Swedenborg den inneren<br />

Sinn der Turmbauges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te aus, indem er die Begriffe der Reihe na<strong>ch</strong> erklärt.<br />

Do<strong>ch</strong> am Ende setzt er daraus kein Gesamtbild zusammen. Wir sehen die Pinselstri<strong>ch</strong>e<br />

des Meisters, aber ni<strong>ch</strong>t das Gemälde des inneren Sinnes als Ganzes. Dieser<br />

Anblick eröffnet si<strong>ch</strong> nur dem, der den Abstand zu den Pinselstri<strong>ch</strong>en vergrö-


186 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

ßert, und zwar so sehr, dass er diese s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> aus den Augen verliert, dafür<br />

aber das Bild gewinnt.<br />

Wenn i<strong>ch</strong> denno<strong>ch</strong> hier nun ein Gesamtbild formuliere, dann sollte diese Komposition<br />

aus Bu<strong>ch</strong>staben ni<strong>ch</strong>t mit der Ganzheitss<strong>ch</strong>au verwe<strong>ch</strong>selt werden. Es ist<br />

wie mit dem Skelett eines Mens<strong>ch</strong>en, das dessen Gestalt zwar erahnen lässt, aber<br />

ni<strong>ch</strong>t der lebendige Mens<strong>ch</strong> ist. So ist au<strong>ch</strong> das folgende Gerüst ni<strong>ch</strong>t der lebendige,<br />

innere Sinn, obwohl es den Himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnissen entlehnt ist.<br />

1. Die ganze Kir<strong>ch</strong>e hatte eine Lehre im allgemeinen und besonderen. 2. Als sie<br />

si<strong>ch</strong> aber von der tätigen Liebe entfernten, wurde ihr Gottesdienst unreiner und<br />

unheiliger und dementspre<strong>ch</strong>end au<strong>ch</strong> ihr Lebenswandel. 3. Da spra<strong>ch</strong>en sie zueinander:<br />

Wohlan, lasst uns Eigenes denken aus unseren eigenen Interessen. Und<br />

so galt ihnen ihr Fals<strong>ch</strong>es als Wahres und ihr Böses als Gutes. 4. Und sie spra<strong>ch</strong>en:<br />

Wohlan, lasst uns eine Lehre formen, die dem Ansehen der eigenen Person<br />

dient und uns sogar göttli<strong>ch</strong>e Vollma<strong>ch</strong>ten zus<strong>ch</strong>reibt, damit man uns für mä<strong>ch</strong>tig<br />

hält und wir ni<strong>ch</strong>t bedeutungslos werden. 5. Do<strong>ch</strong> das Geri<strong>ch</strong>t konnte ni<strong>ch</strong>t ausbleiben,<br />

denn die Lehre war verkehrt und der Gottesdienst, den sie si<strong>ch</strong> ersonnen<br />

hatten, unheilig. 6. Daher spra<strong>ch</strong> Jahwe: Siehe, no<strong>ch</strong> eint sie die überlieferte Glaubenswahrheit,<br />

aber das ist nun der Grundgedanke und die Absi<strong>ch</strong>t ihres Tuns.<br />

Daher werden sie si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts mehr aufhalten lassen, ihrem Sinnen und<br />

Tra<strong>ch</strong>ten zu folgen. 7. Wohlan, lasst uns ihren Zustand verändern. Das Wahre soll<br />

aus ihrem Gesi<strong>ch</strong>tskreis ents<strong>ch</strong>winden und große Uneinigkeit soll übrig bleiben.<br />

8. So werden sie keine Anerkennung mehr finden und müssen vom Ausbau ihrer<br />

Lehre ablassen. 9. Deswegen nannte man den daher stammenden Gottesdienst<br />

babylonis<strong>ch</strong> (verworren), denn der innere Gottesdienst verlor si<strong>ch</strong> und wurde<br />

s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> ganz zuni<strong>ch</strong>te.<br />

Swedenborgs Auslegung der Turmbauges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

In den Himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnissen übersetzt Swedenborg die Turmbauges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

in eine Spra<strong>ch</strong>e, zu der Begriffe wie Kir<strong>ch</strong>e (ecclesia), Lehre (doctrina), Nä<strong>ch</strong>stenliebe<br />

(<strong>ch</strong>aritas), Glaube (fides), Gottesdienst (cultus), das Wahre (verum), das<br />

Fals<strong>ch</strong>e (falsum), das Gute (bonum) und das Böse (malum) gehören. Diese Begriffe<br />

kann man in ein theologis<strong>ch</strong>es System bringen. Do<strong>ch</strong> sollte man das swedenborgs<strong>ch</strong>e<br />

Begriffssystem ni<strong>ch</strong>t für das einzig mögli<strong>ch</strong>e halten. Denn der innere<br />

Sinn ließe si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> in eine andere Terminologie gießen.<br />

Am Ende der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te stehend, fasst der Turmbau zu Babel Anfang und Ende<br />

der ersten Alten Kir<strong>ch</strong>e zusammen (HG 1279, 1280). Die Stellung am Ende der<br />

Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te lässt jedo<strong>ch</strong> erwarten, dass das Gewi<strong>ch</strong>t mehr auf dem Untergang<br />

dieser Kir<strong>ch</strong>e liegt. Der folgende Abs<strong>ch</strong>nitt 11,10-26 handelt von der zweiten Alten<br />

Kir<strong>ch</strong>e (HG 1281), und 11,27-32 vom Ursprung der dritten Alten Kir<strong>ch</strong>e (HG<br />

1282). 317 Unter der Alten Kir<strong>ch</strong>e verstand Swedenborg eine bestimmte Epo<strong>ch</strong>e der<br />

317<br />

Näheres zu den drei Alten Kir<strong>ch</strong>en findet man unter HG 1327.


Bauvorhaben endet im Dur<strong>ch</strong>einander: Eine Auslegung von Genesis 11,1 bis 9 … 187<br />

altorientalis<strong>ch</strong>en Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te. Swedenborgs Auslegung von Genesis 11,1 bis 9 hat<br />

somit einen historis<strong>ch</strong>en Bezug. Diese Feststellung ist insofern interessant, als der<br />

innere Sinn eigentli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts von Zeit an si<strong>ch</strong> haben soll. Swedenborg s<strong>ch</strong>reibt:<br />

»Vor den Engeln, die im inneren Sinn sind, vers<strong>ch</strong>windet alles, was zur Materie,<br />

zu Raum und Zeit gehört.« (HG 488, vgl. au<strong>ch</strong> 813, 3254). Also vers<strong>ch</strong>windet vor<br />

ihnen au<strong>ch</strong> die Alte Kir<strong>ch</strong>e als eine Epo<strong>ch</strong>e. Swedenborg s<strong>ch</strong>reibt weiter: »Wenn<br />

man die Vorstellung von Zeit entfernt, dann bleibt diejenige des Zustandes der<br />

Dinge, die zu jener Zeit waren.« (HG 488). Demna<strong>ch</strong> wäre zu fragen, was die Alte<br />

Kir<strong>ch</strong>e zuständli<strong>ch</strong> betra<strong>ch</strong>tet bedeutet.<br />

Dem Bibelkundigen fällt auf, dass viel von dem, was erst in Genesis 11,1 bis 9<br />

entsteht, s<strong>ch</strong>on vorher vorhanden ist. Erstens, die Stadt. Zu ihrem Bau wird in<br />

11,4 aufgerufen, na<strong>ch</strong> 11,9 heißt sie Babel. Do<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on in 10,10 wurde Babel erwähnt.<br />

Zweitens, die Spra<strong>ch</strong>en. Eine Folge des Bauvorhabens ist na<strong>ch</strong> 11,9 die<br />

Verwirrung der Lippe. Do<strong>ch</strong> bereits in der Völkertafel 10,1 bis 32 ist von vers<strong>ch</strong>iedenen<br />

Spra<strong>ch</strong>en die Rede (siehe 10,5.20.31). Da die eine Lippe geistig verstanden<br />

eine Lehre bedeutet, ist außerdem darauf hinzuweisen, dass s<strong>ch</strong>on die<br />

drei Söhne Noahs »drei Arten von Lehren« (HG 616) meinten. Drittens, die Zerstreuung.<br />

Eine weitere Folge des Bauvorhabens ist die Zerstreuung über die Oberflä<strong>ch</strong>e<br />

der ganzen Erde. Do<strong>ch</strong> bereits die Völkertafel zeigt die Verbreitung der<br />

Na<strong>ch</strong>kommen Noahs über die ganze Erde. Diese Beoba<strong>ch</strong>tungen unterstrei<strong>ch</strong>en<br />

no<strong>ch</strong> einmal, dass Genesis 11,1 bis 9 ein Bild für die gesamte Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der ersten<br />

Alten Kir<strong>ch</strong>e ist, vom ersten bis zum letzten Zustand (siehe HG 1280).<br />

Vers 1. Die Bibelübersetzungen zeigen, dass das hebräis<strong>ch</strong>e Wort für Erde au<strong>ch</strong><br />

die Erdbewohner meinen kann. 318 In 1. Könige 2,2 sagt der sterbende König David:<br />

»I<strong>ch</strong> gehe den Weg aller Erde.« Gemeint ist aller Erdbewohner oder alles Irdis<strong>ch</strong>en.<br />

Auf der Subjektstufe des Verstehens meint Erde ni<strong>ch</strong>t die objektive, sondern<br />

eben die subjektive Erde, das heißt die Erde als ein Gesamterlebnis der Psy<strong>ch</strong>e,<br />

ja die Psy<strong>ch</strong>e selbst. Do<strong>ch</strong> aus swedenborgs<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t ist dieses an si<strong>ch</strong> ri<strong>ch</strong>tige<br />

Verständnis no<strong>ch</strong> zu allgemein. Denn das überlieferte Wort der Bibel ist Gottes<br />

Wort. Daher ist die Erde Gottes gemeint, das heißt die Erde oder Psy<strong>ch</strong>e als Ges<strong>ch</strong>öpf<br />

Gottes, die Gemeins<strong>ch</strong>aft der Wiedergeborenen oder, wie Swedenborg sagt,<br />

die Kir<strong>ch</strong>e.<br />

Mit Lippe ist die Vorstellung des Äußerli<strong>ch</strong>en verbunden. Das hebräis<strong>ch</strong>e Wort<br />

meint den Rand oder die Um-Randung des Mundes. Die Vorstellung des Äußerli<strong>ch</strong>en<br />

kommt sehr deutli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> im Begriff des Lippenwortes zum Ausdruck (siehe<br />

2. Könige 18,20). Bei Jesaja heißt es: »Weil dieses Volk mit seinem Mund si<strong>ch</strong><br />

naht und mit seinen Lippen mi<strong>ch</strong> verherrli<strong>ch</strong>t, aber sein Herz fern von mir ist und<br />

ihre Fur<strong>ch</strong>t vor mir nur angelerntes Mens<strong>ch</strong>engebot ist, …« (Jes 29,13). Au<strong>ch</strong> Swedenborg<br />

weist auf den Aspekt des Äußeren hin: »Im Worte heißt es öfters Lippe,<br />

Mund und Spra<strong>ch</strong>e. Die Lippe bedeutet dort die Lehre, der Mund das Denken und<br />

318<br />

Bei Hermann Menge steht »Erdbevölkerung« und in der Einheitsübersetzung »Mens<strong>ch</strong>en«.


188 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

die Spra<strong>ch</strong>e das Bekenntnis, weil nämli<strong>ch</strong> Lippe, Mund und Spra<strong>ch</strong>e das Äußere<br />

des Mens<strong>ch</strong>en sind, dur<strong>ch</strong> das das Innere offenbar gema<strong>ch</strong>t wird.« (OE 455). Die<br />

Lippe als Äußerli<strong>ch</strong>es bedarf der Füllung dur<strong>ch</strong> das Innerli<strong>ch</strong>e. Die Lippe an si<strong>ch</strong><br />

ist nur die Umrisslinie des Geistes.<br />

Swedenborg sieht in der Lippe die Lehre. Der Anfangszustand der altorientalis<strong>ch</strong>en<br />

Religionssysteme (De primo ejus statu, HG 1280) war die einheitli<strong>ch</strong>e Lehre.<br />

Na<strong>ch</strong> der Sintflut begann die Mens<strong>ch</strong>heit mit einem allseits anerkannten Erbe<br />

oder System. Sowohl die allgemeinen Konturen (= die Lippe), als au<strong>ch</strong> die ins Einzelne<br />

gehenden Begriffe (= die Worte) waren einheitli<strong>ch</strong>. Allerdings wurde die<br />

Einheit der Lehre wohl ni<strong>ch</strong>t erstrangig dur<strong>ch</strong> die überall glei<strong>ch</strong>en Lehrsätze gewährleistet,<br />

sondern dur<strong>ch</strong> das Gefühl der Verbundenheit (vgl. <strong>ch</strong>aritas, HG 1327)<br />

aus dem Bewusstsein eines gemeinsamen, geistigen Ursprungs (Uroffenbarung<br />

der ältesten Kir<strong>ch</strong>e). I<strong>ch</strong> vermute also, dass das geerbte Lehrgebilde na<strong>ch</strong> der Sintflut<br />

no<strong>ch</strong> verhältnismäßig einheitli<strong>ch</strong> war, aber es war ni<strong>ch</strong>t starre Orthodoxie,<br />

sondern eher ein lebendiger Organismus, dessen Zusammenhalt dur<strong>ch</strong> die Seele<br />

der Gemeins<strong>ch</strong>aftstreue (<strong>ch</strong>aritas) bewirkt wurde. I<strong>ch</strong> mö<strong>ch</strong>te also einerseits die<br />

Einheitli<strong>ch</strong>keit der Lehre in den alten Kir<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t unters<strong>ch</strong>ätzen, andererseits<br />

die einheitsstiftende Kraft ni<strong>ch</strong>t im Kognitiven su<strong>ch</strong>en. 319<br />

Swedenborg unters<strong>ch</strong>eidet die Lehre (doctrina) von der Wahrnehmung (perceptio).<br />

Eine Lehre stattet den Belehrten mit Lehrsätzen oder Satzwahrheiten aus,<br />

deren Realgrund der Belehrte selbst ni<strong>ch</strong>t notwendigerweise in einem Akt unmittelbarer<br />

Wahrnehmung gesehen haben muss. Als Beispiel diene die Lehre von der<br />

Wiedergeburt. Man kann si<strong>ch</strong> diese Lehre aneignen, au<strong>ch</strong> ohne wiedergeboren zu<br />

sein, das heißt ohne den Realgrund aus eigener, unmittelbarer Erfahrung zu kennen.<br />

Swedenborg meint nun, dass die alte Kir<strong>ch</strong>e nur no<strong>ch</strong> eine Lehre hatte, während<br />

die älteste Kir<strong>ch</strong>e e<strong>ch</strong>te, innere Wahrnehmungen hatte, und dass die Lehre<br />

der alten Kir<strong>ch</strong>e das Erbe jener Wahrnehmungen der Urkir<strong>ch</strong>e war. »Die Lehrgegenstände<br />

beim Mens<strong>ch</strong>en der alten Kir<strong>ch</strong>e stammten … aus den Offenbarungen<br />

und inneren Wahrnehmungen der ältesten Kir<strong>ch</strong>e.« (HG 1068, siehe au<strong>ch</strong> HG<br />

530). Eine Lehre ist gegenüber den Wahrnehmungen verhältnismäßig äußerli<strong>ch</strong>,<br />

so dass sie treffend dur<strong>ch</strong> das Bild der Lippe dargestellt werden kann. Wie die<br />

Lippe die Umrisslinie des Mundes ist, so ist die Terminologie die Grenzlinie des<br />

Geistes (lat. terminus = Grenze).<br />

Vers 2. Der Osten ist die Gegend des Sonnenaufgangs. Im geistigen Verständnis<br />

ist das die Gegend des Herzens, denn dort geht die Gottessonne der Liebe auf.<br />

Swedenborg deutet den Osten als »die tätige Liebe, die vom Herrn angeregt wird.«<br />

319<br />

Das Ideal eines einheitli<strong>ch</strong>en, allumfassenden Systems befremdet uns als Kinder der Postmoderne,<br />

die wir den weltans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>en Pluralismus preisen. Wir empfinden die Vielzahl der<br />

Si<strong>ch</strong>tweisen als Freiheit und die Einheit als Zwang. Viellei<strong>ch</strong>t ist aber der Pluralismus nur die<br />

freundli<strong>ch</strong>e Ums<strong>ch</strong>reibung für geistige Blindheit, Beliebigkeit, Orientierungslosigkeit und<br />

Sinnlosigkeit. Jedenfalls begann die Mens<strong>ch</strong>heit na<strong>ch</strong> der Sintflut mit einem Religions-, Orientierungs-<br />

und Wertesystem.


Bauvorhaben endet im Dur<strong>ch</strong>einander: Eine Auslegung von Genesis 11,1 bis 9 … 189<br />

(<strong>ch</strong>aritas a Domino, HG 1291). 320 Der Aufbru<strong>ch</strong> von Osten bedeutet den Verlust<br />

der gemeins<strong>ch</strong>aftsbildenden Liebe. Mit diesem Aufbru<strong>ch</strong> geht die einheitsstiftende<br />

Mitte verloren, nämli<strong>ch</strong> der Herr. Dana<strong>ch</strong> soll ersatzweise vom Bau der Stadt und<br />

des Turmes die integrierende Kraft ausgehen, die eigentli<strong>ch</strong> nur von der geistigen<br />

Sonne im Osten ausgehen kann.<br />

Das Tal im Lande S<strong>ch</strong>inar ist der äußerli<strong>ch</strong>e Gottesdienst, in dem Unreines und<br />

Unheiliges ist. Zum Tal führt Swedenborg aus: »Berge bedeuten im Worte Gottes<br />

die Liebe (amor) oder Hingabe (<strong>ch</strong>aritas), weil diese das Hö<strong>ch</strong>ste oder au<strong>ch</strong> das<br />

Innerste in der Gottesbeziehung (in cultu) sind … Ein Tal deutet demgegenüber<br />

auf das, was unterhalb der Berge liegt, auf das Untere oder au<strong>ch</strong> Äußere in der<br />

Gottesbeziehung.« (HG 1292). Zum Land S<strong>ch</strong>inar kann Swedenborg ni<strong>ch</strong>t viel<br />

mitteilen, nur soviel, dass es »der äußere Gottesdienst, in dem Unheiliges ist« (HG<br />

1292) darstellt. 321<br />

Vers 3. Die Erzählung wendet si<strong>ch</strong> erst den Baustoffen (11,3) und dann den Bauwerken<br />

(11,4) zu. Der Blick geht also von den Teilen zum Ganzen. Die Bauleute<br />

wollen Ziegel strei<strong>ch</strong>en und hart brennen. Das heißt, eigenes Denken, ni<strong>ch</strong>t die<br />

überlieferte Uroffenbarung, wird die Substanz ihrer Lehrbildung sein. »Ein Stein<br />

bedeutet im Wort Wahres. Daher bedeutet ein Ziegel Fals<strong>ch</strong>es, weil er ein von<br />

Mens<strong>ch</strong>en, also künstli<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>ter Stein ist.« (HG 1296). Dass der Ziegel im<br />

Feuer hart gebrannt werden soll bedeutet, dass die Festigkeit des eigenen Denkens<br />

dur<strong>ch</strong> die eigenen Interessen bewirkt wird. Hinter den Gedanken und Überzeugungen<br />

sind immer Interessen wirksam, die dem Denken und Reden Zusammenhalt<br />

und Festigkeit geben. So diente ihnen also Fals<strong>ch</strong>es als Wahres. Asphalt<br />

oder Erdpe<strong>ch</strong> korrespondieren mit dem Übel des Habenwollens (malum cupiditatis),<br />

denn es ist s<strong>ch</strong>wefelhaltig und brennbar (HG 1299). Lehm korrespondiert<br />

mit dem Guten. Die meisten Übersetzungen haben Mörtel, betonen also die Bindefunktion.<br />

Swedenborg bringt in HG 1300 Stellen (Jes 64,7; Jer 18,6), die Lehm als<br />

Baustoff zeigen, denn der Mens<strong>ch</strong> ist letztli<strong>ch</strong> die Gestalt des Guten.<br />

320<br />

Von der Deutung des Ostens als der Gegend des Aufgangs der geistigen Sonne des Herrn sind<br />

mehrere Bräu<strong>ch</strong>e abgeleitet: »Weil der Herr der Osten ist, war es vor dem Bau des Tempels in<br />

der vorbildenden jüdis<strong>ch</strong>en Kultgemeins<strong>ch</strong>aft ein heiliger Brau<strong>ch</strong>, das Gesi<strong>ch</strong>t beim Gebet<br />

na<strong>ch</strong> Osten zu wenden.« (HG 101). »Aus der Antike wurde vom frühen Christentum der<br />

Brau<strong>ch</strong> übernommen, si<strong>ch</strong> beim Gebet der aufsteigenden Sonne = Christus zuzuwenden.«<br />

(Manfred Lurker, Wörterbu<strong>ch</strong> der Symbolik, 1985, 289).<br />

321<br />

Philo von Alexandrien bra<strong>ch</strong>te S<strong>ch</strong>inar mit dem hebräis<strong>ch</strong>en Verb ers<strong>ch</strong>üttern (nun-ajinres<strong>ch</strong>)<br />

in Verbindung: »Die aber von der Tugend weggezogen sind und si<strong>ch</strong> von der Unbesonnenheit<br />

leiten ließen, finden einen sehr entspre<strong>ch</strong>enden Ort und lassen si<strong>ch</strong> dort nieder. Der<br />

heißt in der Spra<strong>ch</strong>e der Hebräer Senaar, der Hellenen aber Ers<strong>ch</strong>ütterung. Denn erregt, getrübt<br />

und ers<strong>ch</strong>üttert ist das ganze Leben der S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ten, ist immer in Aufruhr und Verwirrung<br />

und erhält keine Spur des wahrhaft Guten in si<strong>ch</strong>.« (Über die Verwirrung der Spra<strong>ch</strong>en §<br />

68-69, in: Philo von Alexandrien, Die Werke in deuts<strong>ch</strong>er Übersetzung, Berlin 1962, Seite<br />

119). Viktor Mohr (alias M. Kahir) bringt das Land S<strong>ch</strong>inar (s<strong>ch</strong>in-nun-ajin-res<strong>ch</strong>) mit dem hebräis<strong>ch</strong>en<br />

Verb für hassen (sin-nun-aleph) in Verbindung. (Das verlorene Wort, 1960, 53).


190 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Vers 4. Au<strong>ch</strong> die Stadt korrespondiert wie die Lippe mit einer Lehre (HG 1305).<br />

Wenn mehrere Begriffsbilder ans<strong>ch</strong>einend dieselbe Bedeutung haben, dann lohnt<br />

es si<strong>ch</strong>, na<strong>ch</strong> dem je eigenen Aspekt zu fragen. So meint Lippe die Lehre, insofern<br />

diese ein äußerli<strong>ch</strong>es Begriffssystem ist, das heißt die begriffli<strong>ch</strong>e Umgrenzung<br />

oder Terminologie einer geistigen Ans<strong>ch</strong>auung. Stadt hingegen meint die Lehre,<br />

insofern diese eine geistige Struktur ist, die gemeins<strong>ch</strong>aftsbildend wirkt. Städte<br />

vereinigen Mens<strong>ch</strong>en, und Weltans<strong>ch</strong>auungen oder Glaubensgemeins<strong>ch</strong>aften<br />

ebenso. »Städte waren in jener Zeit ni<strong>ch</strong>ts anderes als Familien, die beisammen<br />

wohnten.« (HG 1358). Daher bezei<strong>ch</strong>net eine Stadt »eine Lehre, insofern diese<br />

eine Umfassung oder Verknüpfung ist« (doctrinale in suo complexu; HG 2723,<br />

siehe au<strong>ch</strong> HG 2392). 322<br />

Der Turm ist das Zentrum und Wahrzei<strong>ch</strong>en der Stadt. Daher ist er im geistigen<br />

Verständnis der Kern oder das Wesen der Lehre. Er zeigt an, worum es in der babylonis<strong>ch</strong>en<br />

Lehre eigentli<strong>ch</strong> geht. S<strong>ch</strong>on rein spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ist er, wie oben bereits<br />

gesagt, der Ausdruck von Größe. Er korrespondiert mit dem Egoismus oder der<br />

gottglei<strong>ch</strong>en Stellung des I<strong>ch</strong>s, Personenkult statt Gottesdienst. Swedenborg<br />

spri<strong>ch</strong>t von cultus sui und erläutert: »Selbstanbetung oder -verehrung (cultus sui)<br />

liegt dann vor, wenn man si<strong>ch</strong> selbst so sehr über andere stellt, dass man Gegenstand<br />

der Verehrung wird. Deswegen wird die Selbstliebe (oder Selbstverliebtheit),<br />

die Eigendünkel und Überhebli<strong>ch</strong>keit ist, Höhe, Hoheit und Erhebung<br />

genannt und dur<strong>ch</strong> alles bes<strong>ch</strong>rieben, was ho<strong>ch</strong> ist.« (HG 1306). Wo die göttli<strong>ch</strong>e<br />

Mitte verlassen wird, sammelt si<strong>ch</strong> das Volk um die eigene Mitte. Wo Gott vers<strong>ch</strong>windet,<br />

betreten die Götter die Bühne, die zahlrei<strong>ch</strong>en Stars, Diven und Idole,<br />

die dem kleinen I<strong>ch</strong> Bedeutung verleihen, indem sie es Teil einer kollektiven Person<br />

sein lassen. Die Notwendigkeit einer Mitte kann eben ni<strong>ch</strong>t umgangen werden,<br />

der Mens<strong>ch</strong> hat nur die Wahl zwis<strong>ch</strong>en Gott oder Götze.<br />

Unklar ist, ob si<strong>ch</strong> Swedenborg unter dem babylonis<strong>ch</strong>en Turm einen Befestigungs-<br />

oder einen Tempelturm vorstellte. In HG 1306 s<strong>ch</strong>reibt er: »Einst wurden<br />

die Städte mit Türmen befestigt, in denen Wä<strong>ch</strong>ter waren.« (HG 1306). Demna<strong>ch</strong><br />

da<strong>ch</strong>te er an einen Befestigungsturm. Glei<strong>ch</strong>zeitig erkennt er aber im Turm<br />

das Bild eines Kultes (cultus), wozu die Vorstellung eines Tempelturmes besser<br />

passt.<br />

Die Erhebung des Hauptes bis in den Himmel meint die Ausdehnung der Herrs<strong>ch</strong>aft<br />

bis auf den Himmel (vgl. HG 1307). Das Göttli<strong>ch</strong>e wird den eigenen Interessen<br />

untertan gema<strong>ch</strong>t. Interessant ist der Zusammenhang mit Genesis 3,15: »Er<br />

wird dir (= der S<strong>ch</strong>lange) das Haupt niedertreten.« Swedenborg bringt sowohl das<br />

Haupt der S<strong>ch</strong>lange als au<strong>ch</strong> das des Turmes mit der si<strong>ch</strong> ins Maßlose steigernden<br />

Herrs<strong>ch</strong>gier der Selbstliebe in Verbindung (vgl. HG 257 mit HG 1307).<br />

322<br />

Interessant ist au<strong>ch</strong> die Formulierung: Eine Stadt meint »das mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Gemüt hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />

der Wahrheiten« (mens humana quoad vera, HG 2268).


Bauvorhaben endet im Dur<strong>ch</strong>einander: Eine Auslegung von Genesis 11,1 bis 9 … 191<br />

Der Name, den man si<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en will, ist der Ruf, den man si<strong>ch</strong> erwerben will. Es<br />

ist »der Ruf, mä<strong>ch</strong>tig zu sein« (fama potentiae, HG 1308). Das ist das Image, das<br />

si<strong>ch</strong> mit dem alles mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Maß übersteigenden Turm in den Köpfen der<br />

gläubigen Betra<strong>ch</strong>ter einprägen soll. Dieser Ruf soll der Auflösung des Lehrkomplexes<br />

bis hin zur Bedeutungslosigkeit entgegenwirken. »›Über die Oberflä<strong>ch</strong>e der<br />

ganzen Erde zerstreut werden‹, heißt aus ihrem Anblick vers<strong>ch</strong>winden, somit<br />

ni<strong>ch</strong>t angenommen und anerkannt werden.« (HG 1309).<br />

Fassen wir den inneren Sinn des ersten Teils (11,1-4) der Erzählung zusammen:<br />

Die altorientalis<strong>ch</strong>en Religionssysteme waren anfangs im wesentli<strong>ch</strong>en einheitli<strong>ch</strong>.<br />

Als man jedo<strong>ch</strong> vom Ursprung und Garanten der Einheit, nämli<strong>ch</strong> der ges<strong>ch</strong>wisterli<strong>ch</strong>en<br />

Verbundenheit, abrückte, veräußerli<strong>ch</strong>te das gesamte Religionswesen.<br />

Der Verlust der lebendigen Gotteserfahrung sollte dur<strong>ch</strong> eine beeindrukkende<br />

Lehre überdeckt und glei<strong>ch</strong>sam aufgehoben werden. Do<strong>ch</strong> da das eigene<br />

Denken und die eigenen Interessen an die Stelle der alten Überlieferungen und<br />

der e<strong>ch</strong>ten Demut gesetzt wurden, war die pompöse Lehre im Kern ni<strong>ch</strong>ts weiter<br />

als ein Ausdruck der Entthronung Gottes. Do<strong>ch</strong> auf diese Weise hatte man Ma<strong>ch</strong>t<br />

über die Gemüter der einfa<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en erlangt und glaubte, dem Untergang in<br />

die Ni<strong>ch</strong>tigkeit des eigenen Seins für immer entgegengewirkt zu haben.<br />

Vers 5. Die Herabkunft Jahwes ges<strong>ch</strong>ieht zum Geri<strong>ch</strong>t. Swedenborg s<strong>ch</strong>reibt: »Von<br />

Jehovah heißt es, er steige herab, wenn er Geri<strong>ch</strong>t hält.« (HG 1311). Das Haupt des<br />

Turmes sollte selbst vor dem Himmel ni<strong>ch</strong>t Halt ma<strong>ch</strong>en. Dieses Bild will sagen,<br />

dass das Böse zur Maßlosigkeit tendiert, dass es jede Grenze übers<strong>ch</strong>reitet und<br />

die hö<strong>ch</strong>ste Verwirkli<strong>ch</strong>ung anstrebt. Damit aber wird es reif für das Geri<strong>ch</strong>t. No<strong>ch</strong><br />

einmal Swedenborg: »Von Geri<strong>ch</strong>t wird gespro<strong>ch</strong>en, wenn das Böse seine hö<strong>ch</strong>ste<br />

Verwirkli<strong>ch</strong>ung errei<strong>ch</strong>t hat … alles Böse hat nämli<strong>ch</strong> seine Grenzen, bis zu denen<br />

es gehen darf. Sobald es jedo<strong>ch</strong> darüber hinausgeht, verfällt es der Bestrafung des<br />

Bösen … und diese heißt dann Geri<strong>ch</strong>t.« (HG 1311, vgl. au<strong>ch</strong> 1857). Do<strong>ch</strong> diese<br />

Bestrafung geht ni<strong>ch</strong>t von einem hö<strong>ch</strong>sten Wesen aus, sondern ist die der bösen<br />

Tat innewohnende Folge. »Alles Böse führt seine Strafe mit si<strong>ch</strong>, beide sind miteinander<br />

verbunden. Daher gilt, wer im Bösen ist, ist au<strong>ch</strong> in der Strafe des Bösen.«<br />

(HH 509). »Alles Böse hat eine entspre<strong>ch</strong>ende Strafe bei si<strong>ch</strong>, die sogenannte<br />

Bestrafung des Bösen. Sie ist im Bösen wie etwas mit ihm Verbundenes enthalten.«<br />

(OE 556). Was also in den folgenden Versen als Tat oder Geri<strong>ch</strong>t Jahwes dargestellt<br />

wird, muss als Folge des Bauvorhabens gedeutet werden.<br />

Das Haupt des Turmes rei<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Vorstellung bis in den Himmel.<br />

Denno<strong>ch</strong> muss Jahwe herabsteigen, um die Stadt und ihr Türm<strong>ch</strong>en überhaupt zu<br />

Gesi<strong>ch</strong>t zu bekommen. So winzig klein ist mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Größe. Der Abstand zwis<strong>ch</strong>en<br />

Jahwe und den Na<strong>ch</strong>kommen Adams hat si<strong>ch</strong> seit dem Sündenfall sehr<br />

vergrößert. Im Garten Eden wandelte Jahwe no<strong>ch</strong> mit dem ersten Mens<strong>ch</strong>enpaar<br />

auf einer Ebene (Genesis 3,8). Do<strong>ch</strong> nun wohnt er ho<strong>ch</strong> oben, und au<strong>ch</strong> das Türm<strong>ch</strong>en<br />

kann diesen Abstand ni<strong>ch</strong>t überbrücken.


192 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Vers 6. Die Einheit des Volkes und der Lippe bedeutet, dass »alle in der Glaubenswahrheit<br />

und der Lehre eins waren« (verum fidei et doctrina una omnibus,<br />

HG 1316). Das heißt na<strong>ch</strong> Swedenborg ni<strong>ch</strong>t unbedingt, dass bei allen dieselben<br />

Glaubensinhalte und Lehrsätze waren, denn er führt aus: »›Ein Volk und eine Lippe‹<br />

heißt, alle haben das allgemeine Wohl (bonum) der Gesells<strong>ch</strong>aft, das allgemeine<br />

Wohl (bonum) der Kir<strong>ch</strong>e und das Rei<strong>ch</strong> des Herrn zum Ziel, denn so ist im<br />

Ziel der Herr (wirksam), von dem her alle eins sind« (HG 1316). Man würde Swedenborg<br />

missverstehen, wenn man meinte, die Einheit würde dur<strong>ch</strong> die Einheitslehre<br />

gewährleistet. Swedenborg sieht das einheitsstiftende Moment im Herrn, in<br />

der lebendigen Gotteserfahrung, ni<strong>ch</strong>t in der Uniformität von Satzwahrheiten. Das<br />

s<strong>ch</strong>ließt ni<strong>ch</strong>t aus, dass die altorientalis<strong>ch</strong>en Lehrsysteme wesentli<strong>ch</strong>e Gemeinsamkeiten<br />

hatten, aber das war ni<strong>ch</strong>t der Grund ihrer Verbundenheit. Das war<br />

vielmehr der Herrn. Do<strong>ch</strong> dieses einheitsstiftende Moment hatten sie mit ihrem<br />

Aufbru<strong>ch</strong> von Osten verlassen. Damit war die Einheit nur no<strong>ch</strong> eine äußerli<strong>ch</strong>e,<br />

traditionell bedingte, aber ni<strong>ch</strong>t mehr eine von innen her gewährleistete.<br />

Der Anfang des Tuns ist im geistigen Verständnis ni<strong>ch</strong>t das äußere, zeitli<strong>ch</strong>e Beginnen,<br />

sondern »der Gedanke oder die Absi<strong>ch</strong>t, folgli<strong>ch</strong> das beabsi<strong>ch</strong>tigte Ziel.«<br />

(HG 1317). Das liegt jedem Realisierungsversu<strong>ch</strong> als innerer Anfang zugrunde.<br />

Die Stadt und der Turm bes<strong>ch</strong>reiben demna<strong>ch</strong> eine Intention und au<strong>ch</strong> den dazugehörigen<br />

ents<strong>ch</strong>lossenen Willen.<br />

»Und nun wird von ihnen ni<strong>ch</strong>ts ferngehalten werden, was sie gedenken zu tun.«<br />

Na<strong>ch</strong>dem si<strong>ch</strong> die Intention, die Stadt mit dem himmelhohen Turm zu bauen, im<br />

Gemüt dur<strong>ch</strong>gesetzt hat, stehen der Umsetzung dieser Idee keinerlei Bedenken<br />

mehr im Weg. Daher wird si<strong>ch</strong> der Zustand ändern (HG 1318). Wel<strong>ch</strong>e Änderungen<br />

oder Folgen aus der Ents<strong>ch</strong>lossenheit resultieren, zeigen die folgenden Verse.<br />

Vers 7. Die Verwirrung der Lippe bedeutet, dass als Folge des Bauvorhabens ein<br />

großes Dur<strong>ch</strong>einander im System der Satzwahrheiten entsteht. »Niemand hat das<br />

Wahre der Lehre«, denn »verwirren bedeutet im inneren Verständnis ni<strong>ch</strong>t nur<br />

verfinstern, sondern au<strong>ch</strong> auslös<strong>ch</strong>en (oder vergessen ma<strong>ch</strong>en) und zerstreuen<br />

(oder zerstören), so dass ni<strong>ch</strong>ts Wahres mehr übrig bleibt.« (HG 1321). Der Bau<br />

der Stadt mit dem Turm versinnbildli<strong>ch</strong>t eine geistige Strukturbildung, der es im<br />

Kern darum geht, den Mens<strong>ch</strong>en an die Stelle Gottes zu setzen. Die Verwirrung<br />

der Lippe ist die unauswei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Folge dieser Absi<strong>ch</strong>t und ihrer Verwirkli<strong>ch</strong>ung.<br />

Der Mens<strong>ch</strong> verliert die Fähigkeit, das metaphysis<strong>ch</strong>e Wahre zu erkennen. Natürli<strong>ch</strong><br />

kann er mit seinen körperli<strong>ch</strong>en Sinnen na<strong>ch</strong> wie vor die Welt beoba<strong>ch</strong>ten<br />

und bes<strong>ch</strong>reiben, aber er kann die Fakten ni<strong>ch</strong>t mehr deuten, er kann den Sinn<br />

der Zei<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t mehr entziffern. Da nun aber denno<strong>ch</strong> eine gewisse Notwendigkeit<br />

besteht, zu Systembildungen zu gelangen, tritt der Pluralismus der Theorieansätze<br />

in Ers<strong>ch</strong>einung. »Sobald der selbstbezogene Dienst (cultus sui) an die<br />

Stelle des Dienstes für den Herrn (cultus Domini) tritt, wird alles Wahre ni<strong>ch</strong>t nur<br />

verdreht, sondern verni<strong>ch</strong>tet, und am Ende hält man Fals<strong>ch</strong>es für wahr und Böses<br />

für gut.« (HG 1321). In diesem Stimmenwirrwar verliert si<strong>ch</strong> die Bereits<strong>ch</strong>aft auf


Bauvorhaben endet im Dur<strong>ch</strong>einander: Eine Auslegung von Genesis 11,1 bis 9 … 193<br />

Andersdenkende zu hören. Dass keiner auf die Lippe des anderen hört, bedeutet<br />

»alle sind uneinig oder einer gegen den anderen.« (HG 1322).<br />

Der Einheit der Lippe steht ni<strong>ch</strong>t die Vielheit gegenüber, sondern die Vermengung<br />

oder Verwirrung. Zwar darf man Vielheit mit heraushören, denn Verwirrung<br />

zieht Auflösung und Zerfall in Einzelteile na<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong>, aber der Akzent liegt denno<strong>ch</strong><br />

auf der Verwirrung der Lippe. Darauf hatte s<strong>ch</strong>on Philo von Alexandrien hingewiesen:<br />

»… das Ergebnis nannte er Syn<strong>ch</strong>ysis, obwohl er es do<strong>ch</strong>, hätte er nur die<br />

Entstehung der Spra<strong>ch</strong>en darstellen wollen, mit einem treffenderen Ausdruck als<br />

Sonderung statt als Syn<strong>ch</strong>ysis (Zusammengießung) bezei<strong>ch</strong>net hätte. Denn was<br />

ges<strong>ch</strong>ieden wird, wird ni<strong>ch</strong>t zusammengegossen …« 323 Wirres Zeug entsteht, wenn<br />

das Li<strong>ch</strong>t des Geistes verlis<strong>ch</strong>t. In der geistigen Umna<strong>ch</strong>tung werden Begriffe und<br />

Begriffssequenzen zwar no<strong>ch</strong> kombiniert, aber ni<strong>ch</strong>t mehr im Li<strong>ch</strong>te der Wahrheit,<br />

sondern na<strong>ch</strong> eigenem Gutdünken. So entsteht die babylonis<strong>ch</strong>e Vermengung der<br />

Gedanken und Begriffe. Jede intellektuelle Revolution bringt nun zwar ein neues<br />

Paradigma hervor, hebt aber das Dur<strong>ch</strong>einander ni<strong>ch</strong>t auf, sondern vergrößert es<br />

nur no<strong>ch</strong>.<br />

Vers 8. Zerstreuung ist das Gegenteil von Sammlung. Na<strong>ch</strong> der Abkehr von Osten,<br />

das heißt der vom Herrn ausgehenden gemeins<strong>ch</strong>aftsbildenden Kraft, soll die<br />

Stadt ersatzweise die gemeins<strong>ch</strong>aftsbildende Funktion übernehmen. Do<strong>ch</strong> die<br />

Selbstvergötterung (cultus sui) kann nur einen ungeordneten Haufen, jedo<strong>ch</strong> keine<br />

Einheit hervorbringen. Das Projekt Großstadt mit Turm endet im Wirrwarr der<br />

Meinungen, denen allesamt die universelle Anerkennung versagt bleibt.<br />

Vers 9. Das großartige Lehrgebäude heißt Babel. Dieser Name spielt auf die dort<br />

ges<strong>ch</strong>ehene Verwirrung der Lippe an, das heißt auf die heillose Unordnung der<br />

Lehre. Die Zerstreuung der Bauleute über die ganze Erde bedeutet, dass sie als<br />

Einheit auseinander fallen, weil sie si<strong>ch</strong> untereinander ni<strong>ch</strong>t mehr verstehen. Sie<br />

zerfallen in vers<strong>ch</strong>iedene S<strong>ch</strong>ulen und Ri<strong>ch</strong>tungen. Glei<strong>ch</strong>zeitig werden sie dadur<strong>ch</strong><br />

aber au<strong>ch</strong> wie Saatgut über das ganze Feld der Erde ausgestreut, so dass<br />

die geistige Verwirrung fortan überall aufgehen und alle Gemüter erfassen wird.<br />

Es wird lange dauern bis Babylon, die Große fallen wird (Offenbarung 18). Die<br />

Zerstreuung der Bauleute am Ende der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te bedeutet, dass »die innere<br />

Anbetung zuni<strong>ch</strong>te geworden ist.« (HG 1328). Damit ist aber au<strong>ch</strong> das Allerheiligste<br />

dem mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Zugriff entzogen, die profane Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te kann beginnen.<br />

Fassen wir den inneren Sinn des zweiten Teils (11,5-11) zusammen: Alles<br />

mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Tun hat Konsequenzen. Die mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Gedankengebäude sind<br />

bei weitem ni<strong>ch</strong>t so bedeutsam ist, wie es aus irdis<strong>ch</strong>er Perspektive den Ans<strong>ch</strong>ein<br />

haben mag. Hinzu kommt, dass gemeinsame Überzeugungen und Lehren zwar in<br />

der Regel den Ausgangspunkt von Gemeins<strong>ch</strong>aftsleistungen bilden. Do<strong>ch</strong> wenn<br />

die Demut gegenüber dem Hö<strong>ch</strong>sten s<strong>ch</strong>windet, und es im Grunde genommen nur<br />

323<br />

Über die Verwirrung der Spra<strong>ch</strong>en § 191, in: Philo von Alexandrien, Die Werke in deuts<strong>ch</strong>er<br />

Übersetzung, Berlin 1962, Seite 149.


194 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

no<strong>ch</strong> um größtmögli<strong>ch</strong>e Selbstbehauptung und Überhebli<strong>ch</strong>keit geht, dann erlis<strong>ch</strong>t<br />

die Führung dur<strong>ch</strong> das innere Li<strong>ch</strong>t des Geistes. Der Gemeins<strong>ch</strong>aftswille<br />

zerfällt im Meinungsstreit und der Anspru<strong>ch</strong>, ein allumfassendes System zu finden,<br />

kann ni<strong>ch</strong>t mehr verwirkli<strong>ch</strong>t werden. Das nennt man dann Babel, Gebabbel,<br />

weil in diesem Dur<strong>ch</strong>einander der Begriffe und Vorstellungen die Klarheit des<br />

Geistes ni<strong>ch</strong>t mehr vorhanden ist. Die Zerstreuung in alle mögli<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>ulen und<br />

Ri<strong>ch</strong>tungen ist ein Zei<strong>ch</strong>en des Untergangs der inneren Geisteskultur.<br />

Abbildung 7: Die Radierung des Niederländers Cornelis Anthonisz (1547) ist se<strong>ch</strong>szehn Jahre vor<br />

dem Gemälde von Pieter Bruegel entstanden. Anthonisz war ni<strong>ch</strong>t so sehr darauf aus, die grandiose<br />

Anlage des Baus und die wagemutige Erri<strong>ch</strong>tung des Turmes zu zeigen, sondern er interessierte<br />

si<strong>ch</strong> weit mehr für den dramatis<strong>ch</strong>en Augenblick, in dem die Zerstörung erfolgte, und für das<br />

große Entsetzen, das die Mens<strong>ch</strong>heit überkam. Der Flu<strong>ch</strong> des unsi<strong>ch</strong>tbaren Gottes, aus den Wolken<br />

ges<strong>ch</strong>leudert und von den Trompeten der Engel verkündet, zers<strong>ch</strong>mettert den mä<strong>ch</strong>tigen Bau. Von<br />

der Zerstörung ist jedo<strong>ch</strong> im Genesistext interessanterweise keine Rede. Sie entspri<strong>ch</strong>t jedo<strong>ch</strong> der<br />

rabbinis<strong>ch</strong>en Auslegung.


Adam und Adamah: Zum inneren Sinn der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te 195<br />

Adam und Adamah:<br />

Zum inneren Sinn der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

Der Mens<strong>ch</strong> und sein Boden, auf dem er steht, der die Saat seiner Hoffnungen und<br />

Wüns<strong>ch</strong>e aufnimmt, aus ihnen Frü<strong>ch</strong>te ma<strong>ch</strong>t; der Mens<strong>ch</strong> und die Grundlage<br />

seines Gewordenseins und seines S<strong>ch</strong>affens, diese Zusammengehörigkeit ist im<br />

Hebräis<strong>ch</strong>en s<strong>ch</strong>on eine spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e: Adam und Adamah. Folgli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>lagen si<strong>ch</strong><br />

die Wandlungen der Zustände des Adam in seinem Verhältnis zur Adamah nieder.<br />

Die äußere Welt war bei den ältesten Mens<strong>ch</strong>en dieser Erde no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t so<br />

objektiv, so gegenständli<strong>ch</strong>, so lebensfern, kalt und tot; im äußeren Kosmos erlebte<br />

und spürte man den Pulss<strong>ch</strong>lag des inneren. Folgli<strong>ch</strong> war au<strong>ch</strong> die Adamah<br />

dem Adam S<strong>ch</strong>icksalsgenosse. Die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Adamah ist die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des<br />

Adam.<br />

Die Spra<strong>ch</strong>e, um no<strong>ch</strong> ein wenig bei ihr zu verweilen, ist eine S<strong>ch</strong>atzkammer des<br />

Geistes (Worts<strong>ch</strong>atz), die uns Edelsteine, Gold und Silber über Jahrtausende hinweg<br />

bewahrt hat. Im Hebräis<strong>ch</strong>en, wie gesagt, wird Adam genommen von der<br />

Adamah; do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> im Lateinis<strong>ch</strong>en ist homo (Mens<strong>ch</strong>) von humus (Erdrei<strong>ch</strong>)<br />

abgeleitet und mit humilis (niedrig) und humilitas (Demut) verwandt. Unten muss<br />

der sein, der von oben empfangen will. 324 Swedenborg hätte gesagt: Ein Gefäß<br />

muss der sein, der aufnehmen will.<br />

Die hebräis<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e kennt no<strong>ch</strong> ein Wort für Mens<strong>ch</strong>: »’änos<strong>ch</strong>«. Es ist mit dt.<br />

Mens<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> ähnli<strong>ch</strong>e Lautgesetze verbunden, wie lat. unus mit grie<strong>ch</strong>. monos.<br />

Außerdem hängt »’änos<strong>ch</strong>« (Mens<strong>ch</strong>) mit »’ani« (I<strong>ch</strong>) zusammen; »’änos<strong>ch</strong>« ist<br />

demna<strong>ch</strong> das I<strong>ch</strong>wesen, d. h. die vom I<strong>ch</strong>gefühl geleitete Selbstexistenz. Im Unters<strong>ch</strong>ied<br />

dazu weist A-dam - verwandt mit grie<strong>ch</strong>. Dem-os (Volk) - auf unsere Verwurzelung<br />

im Kollektiven. 325 A ist der Ursprungslaut des Göttli<strong>ch</strong>en; und Dam von<br />

dama (ähnli<strong>ch</strong> sein) deutet die Ähnli<strong>ch</strong>keit mit dem göttli<strong>ch</strong>en Ursprung an, weswegen<br />

es im S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t heißt: »Lasst uns Mens<strong>ch</strong>en (’adam) ma<strong>ch</strong>en …<br />

wie unsere Ähnli<strong>ch</strong>keit (demut)«. Diese Spannung ist im Mens<strong>ch</strong>en angelegt: Einerseits<br />

kann er nur im kollektiven Ganzen von Gottheit und Mens<strong>ch</strong>heit leben<br />

(daher das Gebot der Gottes- und Nä<strong>ch</strong>stenliebe); andererseits drängt es ihn zur<br />

selbständigen I<strong>ch</strong>existenz. So gesehen ist Mens<strong>ch</strong>sein die Kunst, Du und I<strong>ch</strong> zu<br />

vers<strong>ch</strong>melzen (vgl. Swedenborgs Konzept der eheli<strong>ch</strong>en oder himmlis<strong>ch</strong>en Liebe).<br />

Ein abs<strong>ch</strong>ließender Blick auf die grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e: Das Wort für Mens<strong>ch</strong> lautet<br />

anthropos und meint den Empors<strong>ch</strong>auenden (ho ano athron). Der Anthropos ist<br />

also dasjenige Wesen, das seinen Blick himmelwärts na<strong>ch</strong> oben ri<strong>ch</strong>ten kann.<br />

324<br />

Meister Eckehart: »Wer von oben her empfangen will, der muß notwendig unten sein in re<strong>ch</strong>ter<br />

Demut.« (Predigt 4 in: Josef Quint, Deuts<strong>ch</strong>e Predigten und Traktate, 1985, Seite 172)<br />

325<br />

Siehe: Arnold Wadler, Der Turm von Babel: Urgemeins<strong>ch</strong>aft der Spra<strong>ch</strong>en, 1988, Seite 419.


196 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Dieser Überblick zeigt uns die Stellung<br />

des Mens<strong>ch</strong>en zwis<strong>ch</strong>en Himmel<br />

und Erde. Der Mens<strong>ch</strong> ist zur<br />

Unvergängli<strong>ch</strong>keit der Engel berufen<br />

- das ist der Himmel in ihm; aber er<br />

ist au<strong>ch</strong> ein Sterbewesen wie alle<br />

anderen irdis<strong>ch</strong>en Gebilde au<strong>ch</strong>. Diese<br />

Dualität ist bereits in den ersten<br />

Worten der Genesis angelegt: »Im<br />

Anfang s<strong>ch</strong>uf Gott den Himmel und<br />

die Erde« (Gen 1,1). Himmel und<br />

Abbildung 8<br />

Erde bilden zusammen das Ganze<br />

des Mens<strong>ch</strong>seins; do<strong>ch</strong> meist berührt in unseren Tagen die Erde des äußeren<br />

Mens<strong>ch</strong>en den Himmel des inneren Mens<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t mehr. Na<strong>ch</strong> H. Bonnet wissen<br />

die zahllosen Legenden von der Entstehung des Himmels »von einer Zeit, in der<br />

Himmel und Erde vereint waren.« 326 An die Trennung von Himmel und Erde erinnern<br />

den Ägypter die Abbildungen, wo der Luftgott S<strong>ch</strong>u die Himmelsgöttin Nut<br />

mit beiden Händen ho<strong>ch</strong>hebt, während der Erdgott Geb am Boden liegt (Abbildung<br />

8). Do<strong>ch</strong> nur die Vereinigung von Himmel und Erde kann die Zeugungen der Wiedergeburt<br />

hervorbringen, weswegen es Genesis 2,4 heißt: »Dies sind die Zeugungen<br />

des Himmels und der Erde«. Abbildung 1 (Seite 72) zeigt uns eine ägyptis<strong>ch</strong>e<br />

Darstellung dieser ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Vereinigung, die si<strong>ch</strong> von denen der meisten<br />

anderen Völker nur dadur<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>eidet, dass bei den Ägyptern der Himmel<br />

weibli<strong>ch</strong>, die Erde aber männli<strong>ch</strong> war. Das hängt damit zusammen, dass Ägypten<br />

vom Nil befru<strong>ch</strong>tet wurde, - ni<strong>ch</strong>t vom Himmelregen. Die tiefere Entspre<strong>ch</strong>ungsursa<strong>ch</strong>e<br />

besteht darin, dass Ägypten den Mens<strong>ch</strong>en des Wissens repräsentiert,<br />

der vom großen Nil der äußeren Einflüsse angeregt und befru<strong>ch</strong>tet wird, obwohl<br />

er an si<strong>ch</strong> nur eine Wüste ist. Himmel und Erde sollen also eine Ehe bilden und<br />

die Zeugungen der Wiedergeburt bewirken. Indem nun die Erde den Samen aufnimmt,<br />

wird sie Ackerboden.<br />

In Genesis 1 dominiert das Wort »Erde«; aber in Vers 25, unmittelbar vor der Ers<strong>ch</strong>affung<br />

des Mens<strong>ch</strong>en, steht ausnahmsweise Adamah (Erdboden). Damit soll<br />

wohl ein Bezug zur ans<strong>ch</strong>ließenden Mens<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>öpfung (Vers 26) hergestellt<br />

werden, denn im Krie<strong>ch</strong>gewimmel des Erdbodens, die ein Bild für die reineren<br />

Willensregungen sind, kündigt si<strong>ch</strong> die Gottesebenbildli<strong>ch</strong>keit und somit Mens<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>öpfung<br />

s<strong>ch</strong>on an.<br />

Ackerboden (Adamah) und Feld herrs<strong>ch</strong>en im Erzählzusammenhang von Genesis<br />

2f vor. No<strong>ch</strong> »gab es keinen Mens<strong>ch</strong>en, den Ackerboden zu bebauen (wörtl.: zu<br />

dienen)« (Gen 2,5). Aufgabe des Mens<strong>ch</strong>en ist es, das Saatgut des göttli<strong>ch</strong>en Wortes<br />

im Erdrei<strong>ch</strong> seines Herzens aufgehen zu lassen. »Da formte Jehovah Gott den<br />

326<br />

Hans Bonnet, Reallexikon der ägyptis<strong>ch</strong>en Religionsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, Berlin 1952, 304,2.


Adam und Adamah: Zum inneren Sinn der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te 197<br />

Mens<strong>ch</strong>en aus Staub vom Ackerboden« (Gen 2,7). Die Aufnahme der Saat des<br />

göttli<strong>ch</strong>en Geistes ist nur mögli<strong>ch</strong>, wenn si<strong>ch</strong> der Mens<strong>ch</strong> als Gefäß erkennt. Formen<br />

bzw. bilden (jz'r) bezei<strong>ch</strong>net die Tätigkeit des Töpfers, wie aus Jeremia 18,1-6<br />

(Töpferglei<strong>ch</strong>nis); Jesaja 29,16; 45,9 327 und 64,7 ersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ist, aber au<strong>ch</strong> aus der<br />

neutestamentli<strong>ch</strong>en Rezeption bei Paulus (Röm 9,20f). Der Mens<strong>ch</strong> als das Gefäß<br />

des Lebens, diese Vorstellung begegnet uns au<strong>ch</strong> in Ägypten; Abbildung 2 (Seite<br />

77) zeigt den ägyptis<strong>ch</strong>en Gott Chnum, der den Mens<strong>ch</strong>en auf der Töpfers<strong>ch</strong>eibe<br />

modelliert. An diese alten Traditionen anknüpfend, s<strong>ch</strong>reibt Swedenborg: »Der<br />

Mens<strong>ch</strong> ist ni<strong>ch</strong>t das Leben, sondern das Aufnahmeorgan (receptaculum) des Lebens<br />

von Gott.« (WCR 470-474). Diesem Gefäß bläst Jehovah Gott den »Odem des<br />

Lebens« ein, so dass der Mens<strong>ch</strong> »eine lebendige Seele« wird (Gen 2,7). Interessanterweise<br />

wird erst der Mens<strong>ch</strong> von Genesis 2 »lebendige Seele« genannt. In<br />

Genesis 1 ist dieser Begriff den Tieren vorbehalten; der Mens<strong>ch</strong> dort heißt (ledigli<strong>ch</strong>?)<br />

Bild und Ähnli<strong>ch</strong>keit Gottes. Soll damit eine gewisse Leblosigkeit ausgedrückt<br />

werden (vgl. Swedenborgs Unters<strong>ch</strong>eidung des geistigen und des himmlis<strong>ch</strong>en<br />

Mens<strong>ch</strong>en)?<br />

Vor dem Sündenfall befand si<strong>ch</strong> Adam im Garten Eden, im »Üppigland« (M. Buber).<br />

Hebr. Eden ist mit grie<strong>ch</strong>. Hedone (Wonne) verwandt. Der Wonnegarten ist<br />

der Rei<strong>ch</strong>tum des göttli<strong>ch</strong>en Geistes in der Seele, dessen Lebenskraft und dessen<br />

Wu<strong>ch</strong>s: »Jehova Gott ließ aus dem Ackerboden (Adamah) allerlei Bäume wa<strong>ch</strong>sen,<br />

liebli<strong>ch</strong> anzusehen und mit köstli<strong>ch</strong>en Frü<strong>ch</strong>ten« (Gen 2,9). Diese Bäume bezei<strong>ch</strong>nen<br />

die inneren Wahrnehmungen, die - im Unters<strong>ch</strong>ied zu den äußeren oder Sinneswahrnehmungen<br />

- vom Mark bis zur Rinde dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>aubar sind und so den<br />

s<strong>ch</strong>auenden Geist mit dem Wonne- und Lebensgefühl des Urgrundes erfüllen. Das<br />

ist das Leben der gesegneten Adamah.<br />

Do<strong>ch</strong> dann verkümmerte die Ackerkrume. Na<strong>ch</strong> dem Sündenfall lesen wir: »So ist<br />

verflu<strong>ch</strong>t der Ackerboden deinetwegen. Unter Mühsal wirst du von ihm essen alle<br />

Tage deines Lebens. Dornen und Disteln lässt er dir wa<strong>ch</strong>sen; und das [welkende]<br />

Kraut des Feldes musst du essen. Im S<strong>ch</strong>weiße deines Angesi<strong>ch</strong>tes wirst du dein<br />

Brot essen, bis du zurückkehrst zum Ackerboden, von dem du ja genommen bist;<br />

denn Staub bist du, zum Staub musst du zurückkehren.« (Gen 3,17ff). Die Abkehr<br />

vom Einfluss aus dem inneren Mens<strong>ch</strong>en, die Hinwendung zur Sinnenwelt vers<strong>ch</strong>ließen<br />

den fru<strong>ch</strong>tbaren Boden des Geistes. Der s<strong>ch</strong>nelle Vorteil der Begierde<br />

führt in den geistigen Tod. Anstatt die Himmelsbraut (Adamah) zu ergreifen,<br />

wendet si<strong>ch</strong> der Mens<strong>ch</strong> ihrem S<strong>ch</strong>atten, dem trügeris<strong>ch</strong>en Glanz des äußeren<br />

Lebens zu.<br />

Do<strong>ch</strong> dem harten Boden der Welt ist keine bleibende Fru<strong>ch</strong>t abzugewinnen (vgl.<br />

dagegen das Heilswort Jesu in Joh 15,16). Der Mens<strong>ch</strong> wird von Sa<strong>ch</strong>zwängen<br />

getrieben. Dem göttli<strong>ch</strong>en Geist wollte er ni<strong>ch</strong>t dienen; nun verkne<strong>ch</strong>ten ihn die<br />

327<br />

Besonders interessant, weil hier au<strong>ch</strong> von der Adama die Rede ist: »Weh dem, der mit seinem<br />

Bilder/Töpfer re<strong>ch</strong>tet - ein Tongefäß unter Tongefäßen des Erdbodens/der Adama« (Jes 45,9).


198 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

leibli<strong>ch</strong>en und weltli<strong>ch</strong>en Bedürfnisse. Die Bestimmung des Mens<strong>ch</strong>en in Genesis<br />

2,5 (»no<strong>ch</strong> gab es keinen Mens<strong>ch</strong>en, der Adamah zu dienen«) hatte einen hohen,<br />

himmlis<strong>ch</strong>en Sinn, denn die Adamah war das fru<strong>ch</strong>tbare Erdrei<strong>ch</strong> des Herzens.<br />

Do<strong>ch</strong> nun lastet der Flu<strong>ch</strong> auf dem Ackersklaven: »Jehova Gott s<strong>ch</strong>ickte ihn aus<br />

dem Garten Eden weg, damit er dem Acker diente, von dem er genommen war.«<br />

(Gen 3,23). Ackerbauer sein bedeutet jetzt leibli<strong>ch</strong>en Interessen dienen. Von Kain<br />

und Ahbel heißt es: »Ahbel wurde S<strong>ch</strong>afhirte und Kain Ackerbauer« (Gen 4,2).<br />

Dazu bemerkt Swedenborg: »Von denen, die auf das Leibli<strong>ch</strong>e und Irdis<strong>ch</strong>e sahen,<br />

wurde gesagt, sie dienen dem Ackerboden.« (HG 345). Der Boden der äußeren<br />

Realität, den sie so auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> beackern, versklavt seine Arbeiter.<br />

Na<strong>ch</strong> dem Brudermord lesen wir: »Was hast du getan? Die Stimme von deines<br />

Bruders Blut s<strong>ch</strong>reit zu mir von dem Ackerboden. Und nun - verflu<strong>ch</strong>t seist du von<br />

dem Ackerboden … Wenn du den Ackerboden bebaust gibt er dir seine Kraft ni<strong>ch</strong>t<br />

mehr. Du wirst umherwandern und flü<strong>ch</strong>tig sein auf Erden!« (Gen 4,10-12). Kain<br />

vers<strong>ch</strong>lingt die sanften Anwehungen des Geistes, dargestellt dur<strong>ch</strong> Ahbel, den<br />

S<strong>ch</strong>afhirten. Dadur<strong>ch</strong> wird Kain zu einem Gehetzten. Nod, das Land seiner Zuflu<strong>ch</strong>t<br />

(Gen 4,16), bedeutet Ruhelosigkeit.<br />

Die Sintflut kommt, weil »die Bosheit des Mens<strong>ch</strong>en auf der Erde groß war und<br />

alles Gebilde (jez'är) der Gedanken seines Herzens nur böse den ganzen Tag.«<br />

(Gen 6,5). Na<strong>ch</strong> der Sintflut hat si<strong>ch</strong> daran ni<strong>ch</strong>ts geändert: »… das Gebilde (jez'är)<br />

des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Herzens ist böse« (Gen 8,21). Das bedeutet, dass aus dem bösen<br />

Herzensgrund auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> böse Gedankenformen aufsteigen. Denno<strong>ch</strong> wird<br />

nun - im Unters<strong>ch</strong>ied zu Genesis 3,17 - der Ackerboden ni<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong> einmal um des<br />

Mens<strong>ch</strong>en willen verflu<strong>ch</strong>t (Gen 8,21). Swedenborg versteht das so, dass nun ein<br />

neuer Weg der Wiedergeburt bes<strong>ch</strong>ritten wird. Der Herzenswille ist zwar böse,<br />

aber im intellektuellen Berei<strong>ch</strong> kann ein geistiger Wille geformt werden; er wird<br />

Gewissen bzw. das Bewusstsein des Wahren und Guten (conscientia) genannt.<br />

Daher kann Noah den Acker des Lebens wieder mit Erfolg bebauen. Von Noah<br />

heißt es: »Er wird uns aufatmen lassen von unserer Arbeit und von der Mühe unserer<br />

Hände um den Ackerboden, den der Herr verflu<strong>ch</strong>t hat.« (Gen 5,29). »Und<br />

Noah fing an als Mann des Ackerbodens und pflanzte einen Weinberg.« (Gen<br />

9,20). Noah bezei<strong>ch</strong>net die geistige Kir<strong>ch</strong>e, die zwar äußerli<strong>ch</strong>er als die himmlis<strong>ch</strong>e<br />

ist, aber denno<strong>ch</strong> aus dem S<strong>ch</strong>riftwort Impulse für die Wiedergeburt aufnehmen<br />

kann. Die Erneuerung des Mens<strong>ch</strong>en aus dem Bewusstsein der Wahrheit<br />

wird mit der Arbeit im Weinberg vergli<strong>ch</strong>en. Der Lebensacker bringt wieder ein<br />

edles Gewä<strong>ch</strong>s hervor.


Das sind die Geburten: Zum inneren Sinn der Toledot-Struktur der Genesis 199<br />

Das sind die Geburten:<br />

Zum inneren Sinn der Toledot-Struktur der Genesis<br />

1. Vorbemerkung: Toledot und Genesis<br />

Die Toledot-Formeln gehören ni<strong>ch</strong>t gerade zur Lieblingslektüre des Bibellesers,<br />

do<strong>ch</strong> sie sind das Skelett, das tragende Gerüst. Der Rest, all die s<strong>ch</strong>önen Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten,<br />

sind demgegenüber nur das Fleis<strong>ch</strong>. Im Folgenden geht es um diese<br />

die Genesis strukturierenden Formeln, um »(we)’ellä toledot«, was auf Deuts<strong>ch</strong><br />

bedeutet »(und) das sind die Geburten«. Dass diese uns<strong>ch</strong>einbaren Formeln den<br />

Blick auf etwas Wesentli<strong>ch</strong>es freigeben, können wir s<strong>ch</strong>on daraus entnehmen,<br />

dass der grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Name des Bu<strong>ch</strong>es, um das es hier geht, Genesis, Geburt bedeutet,<br />

also dieselbe Bedeutung hat wie »toledot« (Geburten). Das Bu<strong>ch</strong> Genesis<br />

und die Toledot-Formeln s<strong>ch</strong>einen demna<strong>ch</strong> zusammen zu gehören. Daher wollen<br />

wir einige Beoba<strong>ch</strong>tungen mitteilen, die uns helfen sollen, zum inneren Verständnis<br />

der Toledot-Struktur der Genesis vorzudringen.<br />

2. Die Toledot-Formeln der Genesis<br />

2.1. Zur Bedeutung des Wortes »toledot«<br />

Das hebräis<strong>ch</strong>e »toledot« hat die Grundbedeutung »Zeugungen« (HAL 1566) 328 ,<br />

denn es ist von »jalad« abgeleitet, das »gebären« oder »erzeugen« bedeutet (HAL<br />

393). Uns interessiert der Sinn des Wortes »toledot« in den sogenannten Toledot-<br />

Formeln der Genesis. In den deuts<strong>ch</strong>en Bibeln ist »toledot« in Genesis 2,4 mit<br />

»Entstehungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te« (ELB) 329 bzw. »Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Entstehung« (ZUR) übersetzt,<br />

in 5,1; 10,1; 11,10.27; 25,12; 36,1.9 mit »Generationenfolge« (ELB), »Na<strong>ch</strong>kommen«<br />

(ZUR) bzw. »Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t« (LUT) sowie in 6,9; 25,19; 37,2 mit »Generationenfolge«<br />

(ELB), »Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te von Noahs/Jakobs Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t« (LUT) bzw. »Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te«<br />

(ELB, ZUR). Die genaue Auswertung dieser Varianten lässt erkennen,<br />

dass Genesis 2,4 einen Sonderfall darstellt: Die Übersetzer verstehen »toledot«<br />

hier im Sinne von »Entstehungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te«; die Mögli<strong>ch</strong>keit, »toledot« au<strong>ch</strong> hier<br />

im Sinne von »Zeugungen« zu verstehen, wird ni<strong>ch</strong>t in Erwägung gezogen oder<br />

abgelehnt. Für das weitere Vorkommen der Toledot-Formel ist ents<strong>ch</strong>eidend, ob<br />

auf sie ein Stammbaum bzw. eine Genealogie (5,1; 10,1; 11,10.27; 25,12; 36,1.9)<br />

oder eine Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te bzw. ein Erzählzusammenhang (6,9; 25,19; 37,2) folgt.<br />

Wenn ein Stammbaum folgt, dann ist Generationenfolge eine angemessene Übersetzung.<br />

Wenn dagegen eine Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te folgt, dann kann man »toledot« au<strong>ch</strong> so<br />

328<br />

HAL: Hebräis<strong>ch</strong>es und Aramäis<strong>ch</strong>es Lexikon zum Alten Testament von Ludwig Koehler und<br />

Walter Baumgartner, 2 Bände 2004 (unveränderter Na<strong>ch</strong>druck der dritten Auflage 1967-<br />

1995).<br />

329<br />

Deuts<strong>ch</strong>e Bibelübersetzungen werden von mir mit drei Großbu<strong>ch</strong>staben bezei<strong>ch</strong>net. ELB: Die<br />

Elberfelder Bibel, revidierte Fassung 1985. ZUR: Zür<strong>ch</strong>er Bibel 2007. LUT: Die Bibel na<strong>ch</strong> der<br />

Übersetzung Martin Luthers (revidierte Fassung von 1984). EIN: Die Einheitsübersetzung<br />

1980.


200 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

übersetzen. Die Bedeutung des Wortes ist also aufgrund der Kontexte, in denen es<br />

verwendet wird, rei<strong>ch</strong> an Nuancen.<br />

Swedenborg wählte als Übersetzung für »toledot« überall »nativitates« (Geburten);<br />

bei seiner Neigung zu einer mögli<strong>ch</strong>st konkordanten 330 Übersetzung als Grundlage<br />

für seine exegetis<strong>ch</strong>e Arbeit ist das ni<strong>ch</strong>t weiter verwunderli<strong>ch</strong>. Glei<strong>ch</strong>zeitig<br />

war er si<strong>ch</strong> aber au<strong>ch</strong> bewusst, dass »toledot« je na<strong>ch</strong> Kontext 331 besondere Bedeutungen<br />

annimmt. So sah er in den »Geburten der Himmel und der Erde« (Gen 2,4)<br />

»die Formungen (formationes) des himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en« (HG 89). Im »Bu<strong>ch</strong> der<br />

Geburten (sefär toledot)« (Gen 5,1) hingegen bezieht si<strong>ch</strong> »toledot« auf die na<strong>ch</strong>folgende<br />

»Aufzählung (recensio)« (HG 470). Die Toledot-Formel zu Beginn der<br />

Sintfluterzählungen (Gen 6,9) leitet »die Bes<strong>ch</strong>reibung der Umformung oder Wiedergeburt<br />

(reformationis 332 seu regenerationis) einer neuen Kir<strong>ch</strong>e« ein (HG 611).<br />

Oft gibt Swedenborg »Ableitungen (derivationes)« als Bedeutung von »toledot« an<br />

(HG 1145, 1330, 1360, 3263, 3279, 4641, 4646, 4668), man<strong>ch</strong>mal au<strong>ch</strong> »Ursprung<br />

und Ableitung (origo et derivatio)« (HG 1330, bzw. dasselbe in der Mehrzahl in HG<br />

1360). »Im äußeren oder bu<strong>ch</strong>stäbli<strong>ch</strong>en Sinn sind Geburten die Zeugungen (generationes)<br />

des einen vom anderen (oder: die aufeinanderfolgenden Generationen)«<br />

(HG 1145). Allerdings folgt auf die Toledot-Formel ni<strong>ch</strong>t immer eine Genealogie,<br />

sondern man<strong>ch</strong>mal eine Erzählung. Deswegen bedeutet die die Josefsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

einleitende Toledot-Formel (Gen 37,2) einfa<strong>ch</strong> »das, was folgt (illa quae sequuntur)«,<br />

und Swedenborg merkt an: »Dass sol<strong>ch</strong>es hier mit ›Geburten‹ gemeint<br />

ist, geht au<strong>ch</strong> daraus hervor, dass im Folgenden keine genealogis<strong>ch</strong>en Geburten<br />

(nativitates genealogicae) erwähnt werden, denn es ist die Rede von Josef, seinen<br />

Träumen, den Ans<strong>ch</strong>lägen seiner Brüder gegen ihn und seiner Wegführung na<strong>ch</strong><br />

Ägypten.« (HG 4668).<br />

Die Grundbedeutung von »toledot« ist Geburten, do<strong>ch</strong> darf man das ni<strong>ch</strong>t zu eng<br />

verstehen. Wie die Grundfarbe eines Gegenstandes von der Umgebung verändert<br />

wird, vom Sonnenli<strong>ch</strong>t und den Farben der anderen Gegenstände, so ist au<strong>ch</strong> die<br />

Bedeutung eines Wortes vom Kontext abhängig. Die Toledot-Formel leitet Geburtenketten<br />

ein. Oft folgt auf diese Formel »nur« eine Genealogie, das heißt der biblis<strong>ch</strong>e<br />

Erzähler belässt es beim Gerüst und füllt es ni<strong>ch</strong>t oder nur minimal mit<br />

Fleis<strong>ch</strong>. Man<strong>ch</strong>mal folgt aber au<strong>ch</strong> eine Erzählung, die narrativ den Sinn der Na-<br />

330<br />

Eine konkordante Übersetzung will na<strong>ch</strong> Mögli<strong>ch</strong>keit ein- und dasselbe Wort der Grundspra<strong>ch</strong>e<br />

dur<strong>ch</strong> ein- und dasselbe Wort in der Zielspra<strong>ch</strong>e wiedergeben. Außerdem sollen wurzelverwandte<br />

Wörter in der Grundspra<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> Mögli<strong>ch</strong>keit dur<strong>ch</strong> wurzelverwandte Wörter in<br />

der Zielspra<strong>ch</strong>e wiedergegeben werden (so wird aus »’adam« und »’adama« bei Swedenborg<br />

»homo« und »humus«). Diese sehr weitgehende Konkordanz zwis<strong>ch</strong>en dem Grundtext und<br />

dem Übersetzungstext ist freili<strong>ch</strong> (au<strong>ch</strong> bei Swedenborg) ni<strong>ch</strong>t immer dur<strong>ch</strong>führbar.<br />

331<br />

Dass der Kontext den Sinn der Wörter, Satzteile und Sätze beeinflusst, gehört zu den von<br />

Swedenborg immer wieder vorgetragenen Erkenntnissen (siehe beispielsweise HG 270, 1318,<br />

2816).<br />

332<br />

Zu bea<strong>ch</strong>ten ist, dass Swedenborg mit Bezug auf Gen 2,4 den Begriff »formatio« verwendet<br />

(HG 89), hier aber mit Bezug auf Gen 6,9 »reformatio« wählt.


Das sind die Geburten: Zum inneren Sinn der Toledot-Struktur der Genesis 201<br />

men entfaltet. Das ist dann das Fleis<strong>ch</strong> oder die Bots<strong>ch</strong>aft der Genesis; das hebr.<br />

Wort für Fleis<strong>ch</strong> (bas'ar) hängt mögli<strong>ch</strong>erweise mit dem glei<strong>ch</strong>lautenden Verb<br />

»bs'r« zusammen, das »Bots<strong>ch</strong>aft bringen« bedeutet. Für die Weisheit der Engel<br />

sind aber au<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on die Abfolgen der bloßen Namen in den Genealogien inhaltsrei<strong>ch</strong>e<br />

Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten.<br />

2.2. Die Gliederung der Genesis dur<strong>ch</strong> die Toledot-Formeln<br />

Die (we)’ellä-toledot-Formeln gliedern die Genesis. 333 Sie begegnen uns in 2,4;<br />

6,9; 10,1; 11,10.27; 25,12.19; 36,1.9 und 37,2. Das sind zehn Stellen. Sie lauten:<br />

»Das sind die Geburten der Himmel und der Erde« (2,4). »Das sind die Geburten<br />

Noahs« (6,9). »Und das sind die Geburten der Söhne Noahs, Sem, Cham und<br />

Japhet« (10,1). »Das sind die Geburten Sems« (11,10). »Und das sind die Geburten<br />

Tera<strong>ch</strong>s« (11,27). »Und das sind die Geburten Ismaels« (25,12). »Und das sind die<br />

Geburten Isaaks« (25,19). »Und das sind die Geburten Esaus, das ist Edom« (36,1).<br />

»Und das sind die Geburten Esaus, des Vaters von Edom« (36,9). »Das sind die<br />

Geburten Jakobs« (37,2). Außerdem begegnet uns in 5,1 die Formel: »Das ist das<br />

Bu<strong>ch</strong> der Geburten (sefär toledot) des Mens<strong>ch</strong>en«.<br />

Die Genesis beginnt ni<strong>ch</strong>t mit einer Toledot-Formel. Die erste derartige Formel<br />

ers<strong>ch</strong>eint erst in 2,4. Sie ist - wie alle folgenden - als Übers<strong>ch</strong>rift zu verstehen. 334<br />

Ents<strong>ch</strong>eidend im Hinblick auf die Frage na<strong>ch</strong> der Gliederung ist die Beoba<strong>ch</strong>tung,<br />

dass »’ellä toledot« (das sind die Geburten) viermal ohne das Bindewort »und«<br />

vorkommt, se<strong>ch</strong>smal hingegen mit diesem Bindewort. 335 Wo das »und« fehlt, liegt<br />

ein starker Eins<strong>ch</strong>nitt vor; wo es vorhanden ist, ein s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>er. 336 Eine gesonderte<br />

333<br />

Siehe Thomas Hieke: »Die konsequente Bea<strong>ch</strong>tung der Toledot-Formel als Struktursignal und<br />

Leseanweisung erweist sie als wesentli<strong>ch</strong>es Gliederungsmerkmal des Bu<strong>ch</strong>es Genesis.« (Die<br />

Genealogien der Genesis, 2003, 241).<br />

334<br />

Ein Blick in die gängigen Bibelübersetzungen zeigt, dass Gen 2,4a (das ist die erste Toledot-<br />

Formel) als S<strong>ch</strong>luss der S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Gen 1,1-2,4a) verstanden wird (siehe ELB,<br />

ZUR, LUT, EIN). Swedenborg verstand sie jedo<strong>ch</strong> also Übers<strong>ch</strong>rift (siehe »nunc« in HG 89).<br />

Zur Unters<strong>ch</strong>rift wurde Gen 2,4a dur<strong>ch</strong> die historis<strong>ch</strong>-kritis<strong>ch</strong>en Arbeiten seit dem 18. Jahrhundert.<br />

Als Charakteristikum der Priesters<strong>ch</strong>rift musste Gen 2,4a dem priesters<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>en<br />

S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t (Gen 1,1-2,4a) zuges<strong>ch</strong>lagen werden. (Siehe: Thomas Hieke, Genealogien,<br />

2003, 47f.).<br />

335<br />

I<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ließe mi<strong>ch</strong> hier der Sehweise von Friedri<strong>ch</strong> Weinreb an, für den das Fehlen oder Vorhandensein<br />

des uns<strong>ch</strong>einbaren Wört<strong>ch</strong>ens »und« ents<strong>ch</strong>eidend ist (S<strong>ch</strong>öpfung im Wort: Die<br />

Struktur der Bibel in jüdis<strong>ch</strong>er Überlieferung, 2002, 138f.). Dass au<strong>ch</strong> andere Gliederungen<br />

anhand der Toledot-Formeln mögli<strong>ch</strong> sind, entnehme i<strong>ch</strong> Thomas Hieke (Die Genealogien der<br />

Genesis, 2003, 242): Man kann von zehn Toledot-Abs<strong>ch</strong>nitten ausgehen. Oder man kann mit<br />

Konrad S<strong>ch</strong>mid sagen: »Die Toledot-Struktur überzieht die Genesis in je einem Fünfers<strong>ch</strong>ema<br />

für die Ur- wie für die Erzväterges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te.« (Erzväter und Exodus, 1999, Seite 265). F.H.<br />

Breukelman (Bijbelse Theologie I,2, 1992, Seite 14ff.) nimmt vier Hauptteile an: 5,1-11,26<br />

(Adam), 11,27-25,11 (Tera<strong>ch</strong>), 25,12-35,29 (Ismael/Isaak), 36,1-50,26 (Esau/Jakob).<br />

336<br />

Swedenborg weist mehrfa<strong>ch</strong> auf die gliedernde Bedeutung bestimmter hebräis<strong>ch</strong>er Ausdrücke<br />

und des »und« hin (siehe HG 4987, 5578, 7191).


202 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Betra<strong>ch</strong>tung erfordert die Formel in 5,1, die ebenfalls kein »und« hat, dur<strong>ch</strong> die<br />

Verwendung von »Bu<strong>ch</strong>« aber eine Formel sui generis ist.<br />

Daraus ergibt si<strong>ch</strong>, dass die Genesis aus einem »Vorwort« 337 (1,1-2,3) und vier<br />

Kapiteln (2,4-6,8; 6,9-11,9; 11,10-36,43; 37,1-50,26) besteht. Das Vorwort handelt<br />

von der S<strong>ch</strong>öpfung und versteht sie als Voraussetzung der ans<strong>ch</strong>ließenden<br />

Geburtenfolge. Das erste Kapitel rei<strong>ch</strong>t von der ersten ’ellä-toledot-Formel 2,4 bis<br />

6,8. In diesem Kapitel steht nun aber die besondere Toledot-Formel von 5,1: »Das<br />

ist das Bu<strong>ch</strong> der Geburten des Mens<strong>ch</strong>en«. In meinem Urteil über diese Auffälligkeit<br />

folge i<strong>ch</strong> im Grundsatz Thomas Hieke, er s<strong>ch</strong>reibt: »Gen 5,1a dient als Titel<br />

und Themenangabe der gesamten Toledot-Struktur des Bu<strong>ch</strong>es Genesis.« 338 Diese<br />

Eins<strong>ch</strong>ätzung führt mi<strong>ch</strong> zu der Vorstellung einer zweifa<strong>ch</strong>en Gliederung der Genesis.<br />

Auf der einen Betra<strong>ch</strong>tungsebene, die i<strong>ch</strong> in diesem Aufsatz wähle, lässt<br />

man si<strong>ch</strong> von den großen Eins<strong>ch</strong>nitten der ’ellä-toledot-Formeln leiten und gelangt<br />

zu der Gliederung: ein Vorwort und vier Kapitel (siehe oben). Auf der anderen<br />

Betra<strong>ch</strong>tungsebene lässt man si<strong>ch</strong> von der außerordentli<strong>ch</strong>en Formel in 5,1<br />

leiten und gelangt zu den zwei Teilen: Vorberi<strong>ch</strong>t (1,1-4,26) und »das Bu<strong>ch</strong> der<br />

Geburten« (5,1-50,26). Im Vorberi<strong>ch</strong>t geht es um Himmel und Erde (1,1; 2,4), zunä<strong>ch</strong>st<br />

um die S<strong>ch</strong>öpfung von Himmel und Erde, dann um die Geburten von<br />

Himmel und Erde. Im ans<strong>ch</strong>ließenden »Bu<strong>ch</strong> der Geburten« geht es dann um die<br />

mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Geburten von Adam bis Jakob (Israel). Das sind 22 Generationen;<br />

so viele Bu<strong>ch</strong>staben hat au<strong>ch</strong> das hebräis<strong>ch</strong>e Alphabet. Wenn man für die Namen<br />

all dieser 22 Personen die entspre<strong>ch</strong>enden Zahlen s<strong>ch</strong>reibt, dann ergibt das in der<br />

Summe genau 7000, wobei man für Abram Abraham und für Jakob Israel s<strong>ch</strong>reiben<br />

muss. Die 7000 ist die Sabbatzahl, das heißt in Israel kommt Gott zur Ruhe. 339<br />

Kehren wir nun aber zu der zuerst vorges<strong>ch</strong>lagenen Gliederung zurück. Das zweite<br />

Kapitel rei<strong>ch</strong>t von der zweiten ’ellä-toledot-Formel 6,9 bis 11,9. Das dritte Kapitel<br />

rei<strong>ch</strong>t von der dritten ’ellä-toledot-Formel 11,10 bis 36,43. Das vierte Kapitel<br />

beginnt mit 37,1 und endet - zumindest innerhalb der Genesis - mit 50,26. Zwei<br />

Probleme müssen hier erwähnt werden: 1. Die vierte ’ellä-toledot-Formel steht<br />

erst in 37,2. Denno<strong>ch</strong> beginnt dieses Kapitel »ni<strong>ch</strong>t mit der Toledot-Formel, sondern<br />

mit einer Siedlungsnotiz, die als Äquivalent zu einer analogen Ortsangabe<br />

bei Esau (Gen 36,6-8) aufgefasst werden kann.« 340 2. Da es keine fünfte ’ellätoledot-Formel<br />

gibt, stellt si<strong>ch</strong> die Frage na<strong>ch</strong> dem Ende dieses Kapitels. Thomas<br />

Hieke lässt es mit dem letzten Vers der Genesis enden und begründet das mit<br />

337<br />

Diese Terminologie übernehme i<strong>ch</strong> von Thomas Hieke, Genealogien, 2003, 86.<br />

338<br />

Thomas Hieke, Genealogien, 2003, 86. »Bu<strong>ch</strong> der Geburten« heißt in der Septuaginta »biblos<br />

geneseos«. Diese Wendung kommt im Alten Testament kein zweites Mal vor, aber das Neue<br />

Testament beginnt mit genau diesen Worten (Mt 1,1). So stehen si<strong>ch</strong> der erste Adam und der<br />

zweite Adam (Jesus Christus) gegenüber.<br />

339<br />

Diese Entdeckung ist auf der Homepage von Rüdiger Heinzerling (www.ruedigerheinzerling.de)<br />

veröffentli<strong>ch</strong>t (zuletzt besu<strong>ch</strong>t am 6.7.2008).<br />

340<br />

Thomas Hieke, Genealogien, 2003, 192.


Das sind die Geburten: Zum inneren Sinn der Toledot-Struktur der Genesis 203<br />

dem dort ges<strong>ch</strong>ilderten Tod Josefs. 341 Friedri<strong>ch</strong> Weinreb dagegen folgt der Geburtenkette<br />

ein wenig weiter, bis Mose (der Offenbarung am Sinai) und gelangt auf<br />

dieser Grundlage zu interessanten Einsi<strong>ch</strong>ten, die i<strong>ch</strong> unten vorstellen werde.<br />

Innerhalb dieser vier Hauptkapitel sind die we’ellä-toledot-Formeln (die Nebentoledotformeln)<br />

zu finden, die mit dem Bindewort »und« (hebr. we) beginnen und<br />

somit keinen so großen Eins<strong>ch</strong>nitt markieren wie die ’ellä-toledot-Formeln (die<br />

Haupttoledotformeln). Das erste Kapitel hat keine Nebentoledotformel. Im zweiten<br />

Kapitel steht in 10,1 »und das sind die Geburten der Söhne Noahs, Sem, Cham<br />

und Japhet«. Das dritte Kapitel weist die meisten Nebentoledotformeln auf. In<br />

11,27 steht »und das sind die Geburten Tera<strong>ch</strong>s«, mit der die sog. Abrahamerzählungen<br />

(11,27-25,11) beginnen 342 . Dana<strong>ch</strong> folgen zwei Nebentoledotformeln,<br />

in denen es um die beiden Söhne Abrahams geht. In 25,12 steht »und das sind die<br />

Geburten Ismaels«. Ismael war der Erste aufgrund der Geburt (der Erstgeborene).<br />

Und in 25,19 steht »und das sind die Geburten Isaaks«. Isaak war der Erste aufgrund<br />

der Bedeutung (der Sohn der Verheißung). Mit der Nebentoledotformel in<br />

25,19 beginnen die Isaakerzählungen (25,19-35,29), man nennt sie au<strong>ch</strong> gern<br />

»Jakobsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te«. Wiederum s<strong>ch</strong>ließen si<strong>ch</strong> zwei (bzw. drei) Toledotformeln an,<br />

in denen es um die beiden Söhne geht, diesmal um die beiden Söhne Isaaks. Esau,<br />

der in den Nebentoledotformeln 36,1.9 genannt wird, war der Erste aufgrund der<br />

Geburt. Jakob hingegen, der in der Haupttoledotformel 37,2 genannt wird, war<br />

der Erste aufgrund der Bedeutung. Das vierte Toledot-Kapitel enthält innerhalb<br />

der Genesis keine Nebentoledotformeln. Erst in Numeri 3,1 steht »und das sind<br />

die Geburten Aarons und Moses«. Und in Ruth 4,18 steht »und das sind die Geburten<br />

des Perez«.<br />

Die folgende Übersi<strong>ch</strong>t fasst das Gesagte zusammen und verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>t auf diese<br />

Weise die anhand der Toledotformeln gewonnene Gliederung der Genesis:<br />

1,1-2,3 Vorwort: Die S<strong>ch</strong>öpfung von Himmel und Erde<br />

341<br />

Siehe Thomas Hieke: »Zieht man in Analogie zu den bisherigen Toledot-Abs<strong>ch</strong>nitten die Todes-<br />

bzw. Begräbnisnotiz heran, so endet die Toledot Jakobs in Gen 49,33. Dazu sind jedo<strong>ch</strong><br />

die folgenden Bes<strong>ch</strong>reibungen des feierli<strong>ch</strong>en Begräbnisses mit heranzuziehen (Gen 50). Eine<br />

strukturelle Ähnli<strong>ch</strong>keit ist bei der Toledot Tera<strong>ch</strong>s (Gen 11,27-25,11) zu beoba<strong>ch</strong>ten: Sie endet<br />

ni<strong>ch</strong>t mit der Todesnotiz Tera<strong>ch</strong>s (11,32), sondern mit dem Tod des Hauptprotagonisten<br />

Abraham (25,7-11). Somit ist au<strong>ch</strong> hier das Ende der Toledot Jakobs mit dem Tod der Hauptperson<br />

Josef (50,26) errei<strong>ch</strong>t.« (Die Genealogien der Genesis, 2003, 192f.).<br />

342<br />

Aufgrund der einleitenden Toledotformel und au<strong>ch</strong> aufgrund des Inhalts müsste man eigentli<strong>ch</strong><br />

von Tera<strong>ch</strong>erzählungen oder von der Familienges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te Tera<strong>ch</strong>s spre<strong>ch</strong>en. Thomas Hieke<br />

geht auf das Problem einer s<strong>ch</strong>einbar fehlenden Toledot-Formel mit Abram bzw. Abraham<br />

ein, die man in 12,1 erwarten könnte, und stellt in diesem Zusammenhang fest: »Dieser Abs<strong>ch</strong>nitt<br />

[12,1-25,11] enthält au<strong>ch</strong> die Na<strong>ch</strong>kommen Lots, des Sohnes Harans (Gen 19,30-38),<br />

und die Na<strong>ch</strong>kommen Nahors (Gen 22,20-24 mit Hinweis auf Rebekka, die in Gen 24 eine<br />

wi<strong>ch</strong>tige Rolle spielt). Somit umfasst Gen 12,1-25,11 ni<strong>ch</strong>t nur die Abrahamges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten, sondern<br />

au<strong>ch</strong> die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te von Nahor und Lot ben Haran, also die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten aller Na<strong>ch</strong>fahren<br />

Tera<strong>ch</strong>s.« (Die Genealogien der Genesis, 2003, 125f.)


204 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

2,4-6,8 Erstes Toledot-Kapitel: Die Geburten der Himmel und der Erde<br />

2,4-4,26 Die Geburten der Himmel und der Erde bringen<br />

den Mens<strong>ch</strong>en hervor.<br />

5,1-6,8 Das Bu<strong>ch</strong> der Geburten des Mens<strong>ch</strong>en<br />

6,9-11,9 Zweites Toledot-Kapitel: Die Geburten Noahs<br />

6,9-9,29 Die Sintflut und der Bund mit Noah<br />

10,1-11,9 Die Söhne Noahs oder die Völker<br />

11,10-36,43 Drittes Toledot-Kapitel: Die Geburten Sems<br />

11,10-26 Stammbaum Sems<br />

11,27-25,11 Die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te Tera<strong>ch</strong>s (»Abrahamges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten«)<br />

25,12-18 Stammbaum Ismaels<br />

25,19-35,29 Die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te Isaaks (»Jakob-Esau-<br />

Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten«)<br />

36,1-8.9-43 Zwei Stammbäume Esaus<br />

37,1-? Viertes Toledot-Kapitel: Die Geburten Jakobs<br />

37,1-50,26 Die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te Jakobs (»Josefges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te«)<br />

Die Gliederung der Genesis mit Hilfe der Toledot-Formeln lässt die Frage aufkommen,<br />

wie si<strong>ch</strong> diese Gliederung zu der übli<strong>ch</strong>en verhält, die zum Beispiel dem<br />

Kommentar von Horst Seebass zugrunde liegt. Demna<strong>ch</strong> sind die »Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te«<br />

(1,1-11,26), die »Väterges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te« (11,27-36,43) und die »Josephsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te«<br />

(37,1-50,26) zu unters<strong>ch</strong>eiden. Geht man no<strong>ch</strong> eine Stufe weiter na<strong>ch</strong> unten, dann<br />

ergibt si<strong>ch</strong> die folgende Gliederung: 1. Die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26). 2. Die Väterges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />

unterteilt in: 2.1. Der Abraham-Zyklus (11,27-25,11), 2.2. Zwis<strong>ch</strong>entext:<br />

Die Ismaeliten (25,12-18), 2.3. Der Isaak-Zyklus (25,19-35,29), 2.4. Zwis<strong>ch</strong>entext:<br />

Esau/Edom, seine Gruppierungen und frühen Könige (36,1-43). 3. Die<br />

Josephsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te unterteilt in: 3.1. Der Jakob/Israel-Zyklus (37,1-50,14), 3.2.<br />

S<strong>ch</strong>luß der Genesis: Die Söhne Israels (50,15-26). Man kann die Toledot- und die<br />

klassis<strong>ch</strong>e Gliederung zur Deckung bringen. Das Vorwort und die ersten beiden<br />

Toledot-Kapitel heißen in der klassis<strong>ch</strong>en Gliederung »Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te«, wobei man<br />

dann allerdings sagen muss, dass die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te mit dem Turmbau zu Babel<br />

(11,1-9) endet. Das dritte Toledot-Kapitel beinhaltet die »Väterges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te«, die<br />

allerdings s<strong>ch</strong>on mit dem Stammbaum Sems beginnt. Es geht hier also um die<br />

semitis<strong>ch</strong>e Linie. Das vierte Toledot-Kapitel beinhaltet die »Josephsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te«.


Das sind die Geburten: Zum inneren Sinn der Toledot-Struktur der Genesis 205<br />

2.3. Die Einzei<strong>ch</strong>nung der Generationen in das Toledot-S<strong>ch</strong>ema<br />

Da »toledot« »Generationenfolge« (ELB) bedeutet, liegt es nahe, den vier Toledot-<br />

Kapiteln die zu ihnen gehörenden Generationen zuzuordnen. Das ist ni<strong>ch</strong>t ganz<br />

einfa<strong>ch</strong>, aber Friedri<strong>ch</strong> Weinreb hat hierzu einen interessanten Vors<strong>ch</strong>lag gema<strong>ch</strong>t.<br />

Ihm zufolge decken die vier Kapitel die Generationen »bis zur Offenbarung<br />

am Sinai« 343 , das heißt bis Mose ab. Das Ende des vierten Toledot-Kapitels lässt<br />

si<strong>ch</strong> wie gesagt ni<strong>ch</strong>t einfa<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> das Auftreten einer fünften ’ellä-toledot-<br />

Formel bestimmen, denn diese gibt es ni<strong>ch</strong>t. Thomas Hieke nahm daher als alternatives<br />

Kriterium den Tod der Hauptperson Josef in Gen 50,26 an. 344 Friedri<strong>ch</strong><br />

Weinreb hingegen ma<strong>ch</strong>t einen anderen Vors<strong>ch</strong>lag, indem er die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te bis<br />

zur Offenbarung des Jahwenamens am Sinai (siehe Ex 6,3) als das Thema benennt,<br />

das dur<strong>ch</strong> die vier Toledot-Kapitel abgedeckt wird. Unter dieser Voraussetzung<br />

muss er nun zeigen, wie si<strong>ch</strong> die 26 Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter von Adam bis Mose mögli<strong>ch</strong>st<br />

ungezwungen auf die vier Kapitel verteilen. Die Namen dieser 26 Generationen<br />

sind die folgenden: Adam, Set, Enos<strong>ch</strong>, Kenan, Mahalalel, Jered, Heno<strong>ch</strong>,<br />

Metus<strong>ch</strong>ela<strong>ch</strong>, Lame<strong>ch</strong>, Noah, Sem, Arpa<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ad, S<strong>ch</strong>ela<strong>ch</strong>, Eber, Peleg, Regu,<br />

Serug, Nahor, Tera<strong>ch</strong>, Abram (Abraham), Isaak, Jakob (Israel), Levi, Kehat, Amram,<br />

Mose.<br />

Die Aufteilung dieser 26 Namen auf die vier Kapitel erfolgt im wesentli<strong>ch</strong>en über<br />

die Stammbäume, die für die einzelnen Kapitel zentral sind. Für das erste Toledot-Kapitel<br />

(2,4-6,8) ist das der Stammbaum in Gen 5. Er rei<strong>ch</strong>t von Adam bis<br />

Noah und umfasst somit 10 Generationen. 345 Für das zweite Toledot-Kapitel (6,9-<br />

11,9) ist das der Stammbaum Sems in Gen 10,21-31. Er rei<strong>ch</strong>t von Sem bis Peleg<br />

und umfasst somit 5 Generationen. Für das dritte Toledot-Kapitel (11,10-37,1)<br />

muss man von dem Stammbaum in Gen 11,10-27 ausgehen. Er beginnt erneut<br />

mit Sem und endet (wenn wir uns wie im Falle von Gen 5 ents<strong>ch</strong>eiden) mit Tera<strong>ch</strong>.<br />

Eine erste S<strong>ch</strong>wierigkeit an dieser Stelle besteht in der Übers<strong>ch</strong>neidung mit<br />

dem vorher genannten Stammbaum Gen 10,21-31. Weinreb zählt die dort bereits<br />

genannten Personen hier ni<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong> einmal und erhält somit aus dem Stammbaum<br />

für das dritte Toledot-Kapitel 4 Namen (Regu, Serug, Nahor, Tera<strong>ch</strong>). Do<strong>ch</strong><br />

es tau<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong> eine zweite S<strong>ch</strong>wierigkeit auf, die sofort si<strong>ch</strong>tbar wird, wenn wir<br />

uns den Stammbaum betra<strong>ch</strong>ten, der für das vierte Toledot-Kapitel (ab 37,2) herangezogen<br />

werden muss, nämli<strong>ch</strong> der Stammbaum Levis in Ex 6,16-27. Ihm<br />

entnehmen wir die 4 Generationen von Levi bis Mose. Die S<strong>ch</strong>wierigkeit besteht<br />

nun darin, dass die drei Erzväter Abram, Isaak und Jakob in den vier hier maßgebli<strong>ch</strong>en<br />

Stammbäumen ni<strong>ch</strong>t vorkommen, so dass zu fragen ist: Wer gehört zum<br />

dritten und wer zum vierten Kapitel? Weinreb s<strong>ch</strong>lägt Abram und Isaak zum drit-<br />

343<br />

Friedri<strong>ch</strong> Weinreb, S<strong>ch</strong>öpfung im Wort, 2002, 143.<br />

344<br />

Thomas Hieke, Genealogien, 2003, 192f.<br />

345<br />

Man kann einwenden, dass dieser Stammbaum au<strong>ch</strong> die Söhne Noahs und somit au<strong>ch</strong> Sem<br />

nennt. Berücksi<strong>ch</strong>tigt werden jedo<strong>ch</strong> nur die Personen, die im Stammbaum als zeugend aufgeführt<br />

werden.


206 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

ten und Jakob zum vierten Kapitel, so dass das dritte Kapitel 6 Generationen und<br />

das vierte 5 Generationen umfasst. Gegen insbesondere die Zuordnung Jakobs<br />

zum vierten Kapitel kann man einwenden, dass - zumindest na<strong>ch</strong> der übli<strong>ch</strong>en<br />

Spre<strong>ch</strong>weise - das dritte Toledot-Kapitel die Väterges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten, das heißt die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten<br />

von Abram, Isaak und Jakob erzählt. Jakob müsste demna<strong>ch</strong> zum dritten<br />

Kapitel gehören. Andererseits könnte das aber au<strong>ch</strong> ein Missverständnis sein,<br />

denn die sogenannte Josefsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te beginnt bekanntli<strong>ch</strong> mit den Worten: »Dies<br />

ist die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te Jakobs« (37,2 ZUR). Wenn wir also Weinreb folgen wollen, dann<br />

werden die 26 Generationen von Adam (Mens<strong>ch</strong>) bis Mose (das Wort) dur<strong>ch</strong> die<br />

vier Toledot-Kapitel in 10-5-6-5 Generationen strukturiert. Setzt man für diese<br />

Zahlen die entspre<strong>ch</strong>enden hebräis<strong>ch</strong>en Bu<strong>ch</strong>staben ein 346 , dann liest man JHWH<br />

(Jahwe). In der Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terfolge ist also von Anfang an Jahwe enthalten oder<br />

wirksam (Jahwe tau<strong>ch</strong>t in der hebräis<strong>ch</strong>en Bibel erstmals in Gen 2,4 auf) und<br />

drängt zu seiner Offenbarung dur<strong>ch</strong> Mose, der den Herrn in seiner Offenbarung<br />

dur<strong>ch</strong> das Wort darstellt (vgl. HG 6752). 347<br />

3. Zur Interpretation des Toledot-Gerüstes<br />

3.1. Vier Epo<strong>ch</strong>en der alttestamentli<strong>ch</strong>en Kultgemeinde<br />

Die vier großen Toledot-Kapitel werden mit den folgenden Formeln eingeleitet: 1.<br />

»Das sind die Geburten der Himmel und der Erde« (2,4), 2. »Das sind die Geburten<br />

Noahs« (6,9), 3. »Das sind die Geburten Sems« (11,10) und 4. »Das sind die Geburten<br />

Jakobs« (37,2). Wel<strong>ch</strong>e Ordnung liegt diesen vier Namen zugrunde? Die Zahl<br />

Vier deutet auf eine Zerlegung in Zwei mal Zwei. Es ist zu vermuten, dass die<br />

Kapitel eins und zwei ein gemeinsames Thema haben und dass au<strong>ch</strong> die Kapitel<br />

drei und vier ein gemeinsames haben. Und tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> werden die ersten beiden<br />

Kapitel oft unter dem Sti<strong>ch</strong>wort »Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te« zu einer Einheit verbunden, und<br />

die Kapitel drei und vier thematisieren die Vorges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te Israels im engeren Sinne.<br />

Mit Swedenborg, das heißt dur<strong>ch</strong> die Sensibilisierung für den inneren Sinn,<br />

können wir außerdem erkennen, dass es ist den ersten beiden Kapiteln um die<br />

S<strong>ch</strong>öpfung oder um die grundlegende Ordnung (den Kosmos) geht. Das erste Kapitel<br />

behandelt die erste oder die Urs<strong>ch</strong>öpfung aus der Hand Gottes. Das zweite<br />

Kapitel behandelt die zweite oder die Neus<strong>ch</strong>öpfung aus der Hand Noahs, das<br />

heißt die Ar<strong>ch</strong>e, die mit Mens<strong>ch</strong> und Tier gefüllt ebenfalls ein S<strong>ch</strong>öpfungsraum<br />

346<br />

Na<strong>ch</strong> Friedri<strong>ch</strong> Weinreb sind die hebräis<strong>ch</strong>en Bu<strong>ch</strong>staben »in erster Linie Zahlen« (S<strong>ch</strong>öpfung<br />

im Wort, 2002, 69).<br />

347<br />

Auf der Grundlage dieser Deutung kommt Weinreb zu einer interessanten Erklärung der<br />

Übers<strong>ch</strong>neidungen der Generationen im dritten Toledot-Kapitel mit dem zweiten, mit dem es<br />

Sem, Arpa<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ad, S<strong>ch</strong>ela<strong>ch</strong>, Eber und Peleg gemeinsam hat. Das dritte Kapitel entspri<strong>ch</strong>t<br />

dem Verbindungsbu<strong>ch</strong>staben Waw, der »und« bedeutet, daher bindet es das vorhergehende<br />

Kapitel ein (siehe S<strong>ch</strong>öpfung im Wort, 2002, 145). Man kann Weinrebs Gedanken no<strong>ch</strong> weiterführen.<br />

Denn die Zuordnung Jakobs zu den Kapiteln drei oder vier stellt ein Problem dar.<br />

Jakob wird im dritten geboren, sein Toledot-Kapitel ist aber das vierte. Somit integriert das<br />

dritte au<strong>ch</strong> den Kopf des vierten Kapitels.


Das sind die Geburten: Zum inneren Sinn der Toledot-Struktur der Genesis 207<br />

ist. Es waltet hier dasselbe Verhältnis wie im Falle der zweimaligen Anfertigung<br />

der Gebotstafeln. Die ersten wurden von Jahwe gema<strong>ch</strong>t, die zweiten von Mose<br />

(HG 10603). In den Kapiteln drei und vier rückt dann in der na<strong>ch</strong>sintflutli<strong>ch</strong>en<br />

(ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en) Welt für den biblis<strong>ch</strong>en Erzähler die semitis<strong>ch</strong>e Linie in den<br />

Mittelpunkt und ihre Fokussierung auf Israel.<br />

Mit Swedenborg kann man in den vier Kapiteln vier Epo<strong>ch</strong>en der Kultgemeinde<br />

des alten Bundes (vor der Mens<strong>ch</strong>werdung Jahwes) erkennen. Das erste Toledot-<br />

Kapitel (2,4-6,8) bes<strong>ch</strong>reibt demna<strong>ch</strong> die »Urkir<strong>ch</strong>e« oder »älteste Kir<strong>ch</strong>e« (Swedenborgs<br />

»ecclesia antiquissima«) (HG 89, 1330), die bei Swedenborg au<strong>ch</strong><br />

»himmlis<strong>ch</strong>er Mens<strong>ch</strong>« heißt (HG 199). Die einleitende Toledot-Formel dieses<br />

Kapitels (2,4) nennt »Himmel« und »Erde« als Vater und Mutter der ersten irdis<strong>ch</strong>en<br />

Form (’adam von ’adama) einer Gottesvergegenwärtigung auf unserer Erde.<br />

Dieser Merismus 348 ist für viele Deutungen offen. Von Swedenborg haben wir<br />

gelernt, dass der Himmel den inneren Mens<strong>ch</strong>en und die Erde den äußeren meint<br />

(HG 89). Man kann darin aber au<strong>ch</strong> den Gegensatz von Geist und Materie (Transzendenz<br />

und Stoffli<strong>ch</strong>keit) erblicken. Adam, der geistbegabte Erdling, entwickelte<br />

si<strong>ch</strong> genau am Ort des Zusammenstoßes dieser Gegensätze, die eigentli<strong>ch</strong> voreinander<br />

fliehen wollen. Die Urkir<strong>ch</strong>e war der Sabbat (der Ruhetag) des Geistes in<br />

der Materie, dargestellt dur<strong>ch</strong> den Garten Eden.<br />

Das zweite Toledot-Kapitel (6,9-11,9) bes<strong>ch</strong>reibt die »alte Kir<strong>ch</strong>e« (Swedenborgs<br />

»ecclesia antiqua«) oder - wie wir heute sagen - die Religionen des alten Vorderen<br />

Orients. Während die Urkir<strong>ch</strong>e in der Spra<strong>ch</strong>e der Bibel »Adam« (Mens<strong>ch</strong>) hieß,<br />

erhielt die zweite geistige Großma<strong>ch</strong>t, die glei<strong>ch</strong>zeitig die erste ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />

fassbare ist, den Namen »Noah« (Trost, 5,29), denn in den Überlieferungen dieser<br />

»Kir<strong>ch</strong>e«, die ein Erbe der Urkir<strong>ch</strong>e waren, fand die Mens<strong>ch</strong>heit Trost angesi<strong>ch</strong>ts<br />

des Verlustes der ursprüngli<strong>ch</strong>en Gemeins<strong>ch</strong>aft mit Gott. In den S<strong>ch</strong>rift- und<br />

Kultbildern näherte man si<strong>ch</strong> dem Unsagbaren und gelangte so zu einer tiefen<br />

Weisheit. Do<strong>ch</strong> am Ende s<strong>ch</strong>wand der Geist und zurück blieb eine große Verwirrung<br />

(Gen 11,1-9). Interessant ist, dass es in der berühmten Turmbauges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te,<br />

die das Ende dieser Kir<strong>ch</strong>e markiert, heißt: »so wollen wir uns einen Namen ma<strong>ch</strong>en«<br />

(11,4). »Name« heißt auf Hebräis<strong>ch</strong> »s<strong>ch</strong>em«; das ist glei<strong>ch</strong>zeitig der Name<br />

des Sohnes Noahs, der über dem dritten Toledot-Kapitel (11,10-37,1) steht.<br />

Denn mit »’ellä toledot s<strong>ch</strong>em« (das sind die Geburten Sems) beginnt in 11,10<br />

dieses dritte Kapitel. Was im geistestollen Endzustand der alten Kir<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>t gelang,<br />

nämli<strong>ch</strong> eine die Zeiten überdauernde Bedeutung zu erlangen, das sollte<br />

nun in der dritten Epo<strong>ch</strong>e Wirkli<strong>ch</strong>keit werden, und zwar dur<strong>ch</strong> den Auszug<br />

Abrams aus Ur in Chaldäa; Chaldäa meint »einen Kult, in dem innen ni<strong>ch</strong>ts Wahres<br />

vorhanden ist« (HG 1368). Die einleitende Toledot-Formel (11,10) nennt je-<br />

348<br />

Der Merismus ist ein Stilmittel der biblis<strong>ch</strong>en Lyrik, der eine Gesamtheit dur<strong>ch</strong> zwei gegensätzli<strong>ch</strong>e<br />

Begriffe ausdrückt. So bezei<strong>ch</strong>nen »Himmel und Erde« den Kosmos (das geordnete<br />

Weltganze).


208 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

do<strong>ch</strong> keinen der Erzväter, sondern Sem, der na<strong>ch</strong> 10,21 »der Vater aller Söhne<br />

Ebers (der Stammvater der Hebräer)« ist. Daher heißt diese Kultgemeinde »die<br />

zweite alte Kir<strong>ch</strong>e (alterius ecclesiae antiquae)« (HG 1329) oder »die hebräis<strong>ch</strong>e<br />

Kir<strong>ch</strong>e (eccelesia hebraea)« (HG 1850). Sie war die Brücke zwis<strong>ch</strong>en der ursprüngli<strong>ch</strong>en<br />

altorientalis<strong>ch</strong>en Weisheit und Israel.<br />

Das vierte Toledot-Kapitel (ab 37,1) ist na<strong>ch</strong> Jakob benannt und thematisiert das<br />

Werden der Kultgemeinde Israels. Sie wird von Swedenborg die dritte alte Kir<strong>ch</strong>e<br />

genannt (HG 1285, 1330). Sie war nur no<strong>ch</strong> »die (äußere) Darstellung einer Kir<strong>ch</strong>e<br />

(Ecclesiae repraesentativum), aber ni<strong>ch</strong>t mehr eine darstellende Kir<strong>ch</strong>e (Ecclesia<br />

repraesentativa)« (HG 4844). Der Unters<strong>ch</strong>ied ist spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t groß,<br />

aber inhaltli<strong>ch</strong> um so größer, denn: »Eine darstellende Kir<strong>ch</strong>e liegt vor, wenn ein<br />

innerer Gottesdienst im äußeren vorhanden ist; die Darstellung einer Kir<strong>ch</strong>e hingegen<br />

ist gegeben, wenn kein innerer, sondern nur no<strong>ch</strong> ein äußerer Gottesdienst<br />

da ist.« (HG 4288).<br />

3.2. Die Bots<strong>ch</strong>aft von Eins plus Vier<br />

Die Gliederung der Genesis auf der Grundlage der ’ellä-toledot-Formeln führte zu<br />

dem Ergebnis, dass dieses erste Bu<strong>ch</strong> der Bibel aus einem Vorwort und vier Kapiteln<br />

besteht. Die Eins-Vier-Struktur wiederholt si<strong>ch</strong> im Pentateu<strong>ch</strong> (in den 5 Bü<strong>ch</strong>ern<br />

Mose), denn er besteht aus der Genesis und den vier Gesetzesbü<strong>ch</strong>ern. Dass<br />

die Genesis ein Vorwort ist, kann man damit begründen, dass es in diesem Bu<strong>ch</strong><br />

das Volk Israel, Mose und das Gesetz no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t gibt. Die Eins-Vier-Struktur<br />

zeigt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> im Neuen Testament, denn vor den vier Evangelien steht der<br />

fleis<strong>ch</strong>gewordene Logos, der gewissermaßen die Genesis oder der Geburtsgrund<br />

der vier Evangelien ist. Man kann au<strong>ch</strong> auf die Szene am Kreuz hinweisen, die<br />

von dem Untergewand und den vier Teilen der Kleider Jesu beri<strong>ch</strong>tet (Joh 19,23f.;<br />

Deutung in OE 64, HG 9093). In allen diesen Beispielen steht die Eins für das<br />

Innere (den Kern) und die Vier für das dementspre<strong>ch</strong>ende Äußere. So steht die<br />

Entfaltung des ursprüngli<strong>ch</strong>en Gottesimpulses in Geburten (die Genesis) vor dem<br />

Gesetz. So steht der lebendige Logos vor dem Zeugnis über ihn in den Evangelien.<br />

So steht die innere Wahrheit (das Untergewand Jesu) vor ihrer ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en<br />

Ausgestaltung (die vier Teile). Und so steht nun au<strong>ch</strong> innerhalb der Genesis das<br />

»In principio« (beres<strong>ch</strong>it) von Gen 1,1 vor den vier großen Toledot der Geburtenkette.<br />

Es geht au<strong>ch</strong> hier, in diesem Vorwort, um das geistige Prinzip, das seiner<br />

Ausprägung in den vier Geburtenlinien zugrunde liegt.<br />

Friedri<strong>ch</strong> Weinreb verdanken wir weitere Beoba<strong>ch</strong>tungen. Adam, das hebräis<strong>ch</strong>e<br />

Wort für Mens<strong>ch</strong>, besteht aus den Zahlen 1-4-40 (Aleph-Daleth-Mem). Die Verbindung<br />

von 1 und 4 (die 40 ist die 4 auf einer anderen Ebene) ist also die Wesensformel<br />

für den Mens<strong>ch</strong>en. Das hebräis<strong>ch</strong>e Wort für Wahrheit »’ämät« besteht<br />

aus den Zahlen 1-40-400 (Aleph-Mem-Taw). Es beruht somit ebenfalls auf der 1-<br />

4-Struktur. Mens<strong>ch</strong> und Wahrheit (oder Glaube) sind also ganz eng miteinander<br />

verwandt. Oder anders ausgedrückt: Der Mens<strong>ch</strong> kann überhaupt nur Mens<strong>ch</strong>


Das sind die Geburten: Zum inneren Sinn der Toledot-Struktur der Genesis 209<br />

sein als ein Glaubender, als einer der »’ämät«, die geistigen Grundlagen der kosmis<strong>ch</strong>en<br />

Ordnung, verwirkli<strong>ch</strong>t. Entfernt man aus den 1-4-Formeln die 1 (das<br />

Aleph), dann bleibt im Falle des Mens<strong>ch</strong>en 4-40 übrig, das ist das hebräis<strong>ch</strong>e<br />

Wort für Blut, und im Falle der Wahrheit bleibt 40-400 übrig, das ist das hebräis<strong>ch</strong>e<br />

Wort für Tod. Ohne die göttli<strong>ch</strong>e Eins bleibt also von den hohen Gebilden<br />

Mens<strong>ch</strong> und Wahrheit nur das Stoffli<strong>ch</strong>e zurück, das biologis<strong>ch</strong>e Leben und der<br />

Bu<strong>ch</strong>stabe, der tötet, na<strong>ch</strong>dem der Geist entwi<strong>ch</strong>en ist. Das s<strong>ch</strong>ärft unsere Augen<br />

no<strong>ch</strong> einmal dafür, dass die vier Geburtenfolgen der Genesis ni<strong>ch</strong>ts wären ohne<br />

den S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t (Gen 1) und den Ruhetag (Gen 2,1-3). In Genesis 1 ist das<br />

folgende Toledot-Ges<strong>ch</strong>ehen bereits angelegt, aber no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ausgespro<strong>ch</strong>en.<br />

Das drückt si<strong>ch</strong> in der hebräis<strong>ch</strong>en Bibel darin aus, dass Genesis 1 (ohne den<br />

Ruhetag Gen 2,1-3) aus genau 434 Worten besteht. Das ist exakt der Zahlenwert<br />

für den Singular (die Eins) von »toledot«, also »toled« (400-30-4). 349<br />

No<strong>ch</strong> weitere Beoba<strong>ch</strong>tungen verdanken wir Weinreb, der jüdis<strong>ch</strong>en Weinrebe,<br />

die in unverglei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Weise aus der Überlieferung (Kabbala) s<strong>ch</strong>öpfte. In Genesis<br />

2 ist mehrmals, teils offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>, teils weniger offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>, das Zahlenverhältnis<br />

1-4 enthalten. Zu Adam (1-4-40) ist das Wesentli<strong>ch</strong>e s<strong>ch</strong>on gesagt worden.<br />

Do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> der geheimnisvolle »Dunst« (2,6), der der Formung des Adam aus<br />

dem Staub der Adama (1-4-40-5) vorausgeht, besteht genau aus den Zahlen 1-4.<br />

Er erweist si<strong>ch</strong> damit als die Urgestalt der 1-4-Bauweise. Die Zahlensumme des<br />

Baumes des Lebens (233) verhält si<strong>ch</strong> zur Zahlensumme des Baumes der Erkenntnis<br />

des Guten und Bösen (932) wie 1 zu 4. Und natürli<strong>ch</strong> muss man au<strong>ch</strong><br />

den einen Fluss nennen, der si<strong>ch</strong> in vier Hauptarme teilt. 350 Zwis<strong>ch</strong>en dem Mens<strong>ch</strong>en<br />

und den wesentli<strong>ch</strong>en Elementen seiner Umgebung besteht sona<strong>ch</strong> eine<br />

eigentümli<strong>ch</strong>e Entspre<strong>ch</strong>ung. 351<br />

Die Eins bezei<strong>ch</strong>net das Göttli<strong>ch</strong>e. Die Vier hingegen steht für das Weltli<strong>ch</strong>e bzw.<br />

die totale Verwirkli<strong>ch</strong>ung eines Prinzips in der Welt. Somit ist die Vier eine<br />

Ganzheitszahl, was si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> darin zeigt, dass die Summe der Zahlen von Eins<br />

bis Vier Zehn oder das Ganze ergibt. Viele Beispiele belegen, dass wir die Ganzheit<br />

in vier Aspekten erfahren. So ers<strong>ch</strong>ließt si<strong>ch</strong> uns die Ganzheit des Raumes<br />

dur<strong>ch</strong> die vier Himmelsri<strong>ch</strong>tungen und die Ganzheit der Zeit in den vier Tagesund<br />

Jahreszeiten. Die Ganzheit der Welt bildete si<strong>ch</strong> für die alten Weisen aus den<br />

vier Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde. Die Ganzheit des leibli<strong>ch</strong>en Mikrokosmos<br />

lässt si<strong>ch</strong> auf einen genetis<strong>ch</strong>en Code (DNA) zurückführen, in dem es<br />

vier Basen gibt: Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin. Und die Ganzheit des seelis<strong>ch</strong>en<br />

Mikrokosmos wird oft in einer vierfaltigen Typenlehre erfasst. Bekannt sie<br />

349<br />

Friedri<strong>ch</strong> Weinreb, S<strong>ch</strong>öpfung im Wort, 2002, 140.<br />

350<br />

Die Zahlen der Namen der vier Flüsse ergeben die Summe 1345, wel<strong>ch</strong>e die Quersumme 4<br />

hat.<br />

351<br />

Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist ferner, dass sowohl die Ers<strong>ch</strong>affung des Mens<strong>ch</strong>en<br />

in Vers 7 als au<strong>ch</strong> die Ers<strong>ch</strong>affung der Frau in den Versen 21b bis 22a in 16 Wörtern<br />

ges<strong>ch</strong>ildert werden. In beiden Fällen ist also die Zahl 4 das bestimmende Prinzip.


210 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

die vier Temperamente Sanguiniker, Choleriker, Phlegmatiker und Melan<strong>ch</strong>oliker<br />

oder Carl Gustav Jungs Typologie ebenfalls basierend auf der Vier. Na<strong>ch</strong> Swedenborg<br />

hat Vier die Bedeutung von »conjunctio« (Verbindung, HG 5313, 9493). Vier<br />

ist die Verdopplung der Urdualität des Guten und Wahren, die »die Universalien<br />

der S<strong>ch</strong>öpfung« (EL 85) sind. Die Verdopplung resultiert aus dem Mis<strong>ch</strong><strong>ch</strong>arakter<br />

der Welt, in der Göttli<strong>ch</strong>es und Widergöttli<strong>ch</strong>es im Streit liegen. Dementspre<strong>ch</strong>end<br />

müssen ni<strong>ch</strong>t nur das Gute und Wahre, sondern au<strong>ch</strong> die Pole Wärme und<br />

Kälte auf der einen und Li<strong>ch</strong>t und Finsternis auf der anderen Seite unters<strong>ch</strong>ieden<br />

werden. Das 1-4-Prinzip deutet auf die Einsenkung der göttli<strong>ch</strong>en oder transzendenten<br />

Eins in die materielle Weltwirkli<strong>ch</strong>keit hin. »Gott ist der eigentli<strong>ch</strong>e<br />

Mens<strong>ch</strong>« (GLW 11), sagt Swedenborg. Daher streben alle Formen zur mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />

Form hin und sind um so vollkommener, je näher sie dieser Urform aller<br />

Formen kommen. Die Bibel ist offenbar auf eine sehr tiefsinnige Weise ein Bild<br />

dieser Urform.<br />

3.3. Die Erstgeburt und die erwählte Geburt<br />

Ni<strong>ch</strong>t immer ist der Erstgeborene au<strong>ch</strong> der erwählte Sohn der Verheißung. Swedenborg<br />

prägte aus der ihm eigenen Fähigkeit, komplexe Sa<strong>ch</strong>verhalte auf einfa<strong>ch</strong>e<br />

Formeln zu bringen, die diesen Unters<strong>ch</strong>ied bes<strong>ch</strong>reibenden Begriffe »primum<br />

tempore« (das Erste im Hinblick auf die Zeit) und »primum fine« (das Erste<br />

im Hinblick auf das angestrebte Ziel oder den Zweck). So s<strong>ch</strong>reibt er: »Der Glaube,<br />

unter dem man au<strong>ch</strong> das Wahre versteht, ist zwar das Erste der Zeit na<strong>ch</strong><br />

(primum tempore), die Liebe (<strong>ch</strong>aritas) aber, unter der man au<strong>ch</strong> das Gute versteht,<br />

ist es dem Endzweck na<strong>ch</strong> (primum fine). Dieses Erste im Hinblick auf das<br />

Ziel (primum fine) ist in Wahrheit das Erste, das Erstrangige (primarium) und<br />

somit au<strong>ch</strong> der Erstgeborene. Was nur zeitli<strong>ch</strong> das Erste ist, das ist ni<strong>ch</strong>t in<br />

Wahrheit das Erste, sondern nur dem Ans<strong>ch</strong>ein na<strong>ch</strong>.« (WCR 336; vgl. au<strong>ch</strong> EO<br />

17). Das also ist die Ordnung des Geistes. Diese grundlegende Erkenntnis Swedenborgs<br />

eröffnet uns das Verständnis einer Merkwürdigkeit in den Geburtensträngen<br />

der Genesis.<br />

Denn weder Isaak, no<strong>ch</strong> Jakob (Israel) waren die Erstgeborenen. Der Erstgeborene<br />

Abrams war Ismael, und der Erstgeborene Isaaks war Esau. Do<strong>ch</strong> die Verheißung<br />

verwirkli<strong>ch</strong>te si<strong>ch</strong> über die zweite Geburt. Die Zurücksetzung der zeitli<strong>ch</strong><br />

ersten Geburt können wir au<strong>ch</strong> anhand von Kain, dem Erstgeborenen Adams,<br />

anhand von Ruben, dem Erstgeborenen Jakobs und anhand von Manasse, dem<br />

Erstgeborenen Josefs beoba<strong>ch</strong>ten.<br />

So ist es au<strong>ch</strong> in der Entwicklung jedes Mens<strong>ch</strong>en. Seine erste Geburt ist die natürli<strong>ch</strong>e.<br />

Seine zweite Geburt aber ist die geistige Wiedergeburt (regeneratio). Die<br />

erste Geburt s<strong>ch</strong>eint die allein bedeutsame zu sein; viele Zeitgenossen werden die<br />

Rede von einer Wiedergeburt für ein Pfaffenmär<strong>ch</strong>en halten, dem keinerlei Bedeutung<br />

beizumessen ist. Und do<strong>ch</strong> ist die zweite Geburt die wesentli<strong>ch</strong>e. Sie will<br />

si<strong>ch</strong> aber s<strong>ch</strong>einbar ni<strong>ch</strong>t ereignen, weswegen man das Gerede von ihr mit einem


Das sind die Geburten: Zum inneren Sinn der Toledot-Struktur der Genesis 211<br />

gewissen Re<strong>ch</strong>t in Frage stellt. Dem entspri<strong>ch</strong>t in den Geburtenerzählungen der<br />

Genesis die Unfru<strong>ch</strong>tbarkeit der Erzmütter. Sarah, die Frau Abrahams, Rebekka,<br />

die Frau Isaaks, Ra<strong>ch</strong>el, die geliebte Frau Jakobs, sie alle waren unfru<strong>ch</strong>tbar. Die<br />

Geburt ihrer Söhne, dur<strong>ch</strong> die si<strong>ch</strong> das göttli<strong>ch</strong>e Geistwirken entfalten sollte,<br />

stand auf Messers S<strong>ch</strong>neide. Isaak, der erste der unmögli<strong>ch</strong>en Söhne, wäre beinahe<br />

gar ni<strong>ch</strong>t geboren worden und später beinahe getötet worden, sein Name<br />

findet si<strong>ch</strong> in keinem Stammbaum. Wir können daraus entnehmen, dass si<strong>ch</strong> die<br />

Wiedergeburt beinahe gar ni<strong>ch</strong>t ereignet. Und do<strong>ch</strong> erzählt die Bibel, dass das<br />

Unmögli<strong>ch</strong>e oder äußerst Unwahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>e immer wieder ges<strong>ch</strong>ieht. Das ist ein<br />

großer Trost für die pilgernde Kir<strong>ch</strong>e, die oftmals nahe daran ist, die Hoffnung<br />

aufzugeben. Do<strong>ch</strong> im Li<strong>ch</strong>te der Bibel ist es sehr wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>, dass das Unwahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>e<br />

passiert.<br />

All das erzählen die Toledot-Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten der Genesis, wenn man auf ihren geistigen<br />

Sinn a<strong>ch</strong>tet. In den Toledot-Abs<strong>ch</strong>nitten spiegelt si<strong>ch</strong> das Re<strong>ch</strong>t der Natur und<br />

das Re<strong>ch</strong>t des Geistes. Denn (zeitli<strong>ch</strong>) zuerst werden immer die Stammbäume der<br />

Erstgeborenen genannt, der Stammbaum Ismaels (25,12-18) und derjenige Esaus<br />

(36,1-8.9-43). Erst an zweiter Stelle stehen die Toledot Isaaks (25,19-35,29) und<br />

Jakobs (37,1-50,26). Aber diese Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten von Isaak und Jakob sind die bedeutsamen,<br />

auf denen das gesamte Gewi<strong>ch</strong>t des biblis<strong>ch</strong>en Erzählers liegt. So sind die<br />

Zweiten also au<strong>ch</strong> im Erzählduktus der Genesis die Ersten, und die s<strong>ch</strong>einbar<br />

Ersten haben das Na<strong>ch</strong>sehen.<br />

4. Dem Weisen genügt wenig<br />

»Sapienti pauca sufficiunt« (dem Weisen genügt wenig) 352 , lautet ein Spri<strong>ch</strong>wort.<br />

Dem Engel genügen die Namen in den Genealogien, sie erkennen in ihnen die<br />

Fülle göttli<strong>ch</strong>er Gedanken. Denn der Name ist der Ausdruck des Wesens einer<br />

Sa<strong>ch</strong>e. Gott müsste also ni<strong>ch</strong>t viele Worte ma<strong>ch</strong>en, die Genealogien würden ausrei<strong>ch</strong>en.<br />

Sie sind das Herzstück der Genesis. Do<strong>ch</strong> für alle, die no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in die<br />

»Sapientia angelica« (die Weisheit der Engel) eingeweiht worden sind, hat der<br />

göttli<strong>ch</strong>e Geist einige zusätzli<strong>ch</strong>e Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten gegeben, an die si<strong>ch</strong> der S<strong>ch</strong>üler<br />

der Gottesweisheit üben kann.<br />

352<br />

Paulinus von Aquileia, Exhort. 30 (226 B). Alcuin., Ep. 82 (125,24). 136 (210,8). 154 (249,17).<br />

155 (251,6).


212 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

Literaturverzei<strong>ch</strong>nis und Bilder<br />

1. Die Bibel<br />

1.1. Urtextausgaben und grundlegende Übersetzungen<br />

Biblia Hebraica Stuttgartensia, herausgegeben von Karl Elliger und Wilhelm Rudolph, Stuttgart,<br />

4., verbesserte Auflage 1990. (BHS)<br />

Novum Testamentum Graece, herausgegeben von Eberhard und Erwin Nestle, Barbara und Kurt<br />

Aland (Nestle-Aland), Stuttgart, 27., revidierte Auflage 1999.<br />

Septuaginta, herausgegeben von Alfred Rahlfs, Stuttgart 1979. (LXX)<br />

Biblia Sacra iuxta Vulgatam Versionem, herausgegeben von Robertus Weber und Roger Gryson,<br />

Stuttgart, 4., verbesserte Auflage 1994. (Vulgata)<br />

Biblia Hebraica secundum Editionem Belgicam Everardi van der Hooght collatis aliis bonae notae<br />

Codicibus una cum Versione Latina Sebastiani S<strong>ch</strong>midii, Leipzig 1740.<br />

Biblia Sacra sive Testamentum Vetus et Novum ex Linguis originalibus in Linguam Latinam translatum<br />

a Sebastiano S<strong>ch</strong>midt, Straßburg 1696, herausgegeben von Rudolph Leonhard Tafel, 1872.<br />

(SS<strong>ch</strong>m)<br />

Emanuel Swedenborgs lateinis<strong>ch</strong>e Übersetzung der Bü<strong>ch</strong>er »Genesis« und »Exodus« in »Arcana<br />

Caelestia«. (ESL)<br />

1.2. Deuts<strong>ch</strong>e Bibeln<br />

Elberfelder Bibel, Wuppertal und Dillenburg, 1. Auflage der Standardausgabe 2006. (ELB)<br />

Die Bibel na<strong>ch</strong> der Übersetzung Martin Luthers, mit Apokryphen, revidierte Fassung von 1984,<br />

Stuttgart 1985. (LUT)<br />

Die Zür<strong>ch</strong>er Bibel in der revidierten Fassung von 2007, Züri<strong>ch</strong> 2007. (ZUR)<br />

Die Einheitsübersetzung, Stuttgart 1980. (EIN)<br />

Die Heilige S<strong>ch</strong>rift des Alten und Neuen Testaments übersetzt von Hermann Menge, Stuttgart<br />

1949. (MEN)<br />

Gute Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t Bibel, revidierte Fassung 1997 der Bibel in heutigem Deuts<strong>ch</strong>, Stuttgart 2000.<br />

(GNB)<br />

Hoffnung für alle - die Bibel, Basel 2002. (HFA)<br />

Die deuts<strong>ch</strong>e Übersetzung von ESL, in: Himmlis<strong>ch</strong>e Geheimnisse, Bände 1-4, Tübingen 1845-1857,<br />

übersetzt von Johann Friedri<strong>ch</strong> Immanuel Tafel, Bände 5-16, Basel und Ludwigsburg 1866-1869,<br />

übersetzt von Julie Conring und Johann Jakob Wurster. (ESD)<br />

Die Bibel oder die Heilige S<strong>ch</strong>rift des Alten und Neuen Testaments übersetzt … von Dr. Leonhard<br />

Tafel, Frankfurt am Main 1880. (LEO)<br />

Die Bibel oder die Heilige S<strong>ch</strong>rift des Alten und Neuen Testaments übersetzt … von Dr. Leonhard<br />

Tafel, revidiert von Professor Ludwig H. Tafel, Philadelphia 1911. (LUD)<br />

Die biblis<strong>ch</strong>en Bü<strong>ch</strong>er werden na<strong>ch</strong> den Loccumer Ri<strong>ch</strong>tlinien abgekürzt: Ökumenis<strong>ch</strong>es Verzei<strong>ch</strong>nis<br />

der biblis<strong>ch</strong>en Eigennamen na<strong>ch</strong> den Loccumer Ri<strong>ch</strong>tlinien, herausgegeben von den katholis<strong>ch</strong>en<br />

Bis<strong>ch</strong>öfen Deuts<strong>ch</strong>lands, dem Rat der Evangelis<strong>ch</strong>en Kir<strong>ch</strong>e in Deuts<strong>ch</strong>land und der Deuts<strong>ch</strong>en<br />

Bibelgesells<strong>ch</strong>aft - Evangelis<strong>ch</strong>es Bibelwerk, Stuttgart 1981.<br />

2. Die Neuoffenbarung<br />

2.1. Die Werke Emanuel Swedenborgs<br />

Sie sind beim Swedenborg Verlag (Apollostraße 2 in 8032 Züri<strong>ch</strong>) erhältli<strong>ch</strong>. In der Quellenangabe<br />

folgt auf das Sigel die Nummer des Abs<strong>ch</strong>nitts. Da i<strong>ch</strong> die Zitate mit den lateinis<strong>ch</strong>en Urtextausga-


Literaturverzei<strong>ch</strong>nis und Bilder 213<br />

ben vergli<strong>ch</strong>en oder ni<strong>ch</strong>t selten au<strong>ch</strong> neu übersetzt habe, verzi<strong>ch</strong>te i<strong>ch</strong> auf die Bezei<strong>ch</strong>nung der<br />

von mir benutzten Übersetzungen und gebe im folgenden nur die Kurztitel in <strong>ch</strong>ronologis<strong>ch</strong>er<br />

Reihenfolge (siehe Jahreszahlen in Klammern) und das Sigel an.<br />

The Word of the Old Testament explained, übersetzt von Alfred Acton, Bände 1-8, Bryn Athyn<br />

1928-1948. Originaltitel: Explicatio in Verbum Historicum Veteris Testamenti. J. F. I. Tafel gab<br />

diesem Werk 1842 den Titel »Adversaria«. (Sigel: WE oder Explicatio) | Das Geistige Tagebu<strong>ch</strong><br />

(1747-1765) (Sigel: GT). | Die himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnisse (1749 – 1756) (Sigel: HG). | Die Erdkörper<br />

im Weltall (1758) (Sigel: EW). | Himmel und Hölle (1758) (Sigel: HH) | Vom Jüngsten Geri<strong>ch</strong>t<br />

und vom zerstörten Babylonien (1758) (Sigel: JG). | Vom Neuen Jerusalem und seiner himmlis<strong>ch</strong>en<br />

Lehre (1758) (Sigel: NJ). | Die erklärte Offenbarung (1759, von Swedenborg ni<strong>ch</strong>t veröffentli<strong>ch</strong>t)<br />

(Sigel: OE). | Das Athanasianis<strong>ch</strong>e Glaubensbekenntnis (1759, von Swedenborg ni<strong>ch</strong>t veröffentli<strong>ch</strong>t)<br />

(Sigel: Ath.). | Die Lehre des Neuen Jerusalems vom Herrn (1763) (Sigel: LH). | Die<br />

Lehre des Neuen Jerusalems von der Heiligen S<strong>ch</strong>rift (1763) (Sigel: LS). | Die Lebenslehre für das<br />

Neue Jerusalem (1763) (Sigel: LL). | Die Lehre des Neuen Jerusalems vom Glauben (1763) (Sigel:<br />

LG). | Fortsetzung von dem Jüngsten Geri<strong>ch</strong>t und von der geistigen Welt (1763) (Sigel: JG/F). | Die<br />

göttli<strong>ch</strong>e Liebe und Weisheit (1763) (Sigel: GLW). | Die göttli<strong>ch</strong>e Vorsehung (1764) (Sigel: GV). |<br />

Die enthüllte Offenbarung (1766) (Sigel: EO). | Die eheli<strong>ch</strong>e Liebe (1768) (Sigel: EL). | Der Verkehr<br />

zwis<strong>ch</strong>en Seele und Körper (1769) (Sigel: SK). | Kurze Darstellung der Lehre der Neuen Kir<strong>ch</strong>e<br />

(1769) (Sigel: KD). | Die wahre <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>e Religion (1771) (Sigel: WCR).<br />

2.2. Die Werke Jakob Lorbers<br />

Sie sind beim Lorber Verlag (Hindenburgstraße 5 in 74321 Bietigheim-Bissingen) erhältli<strong>ch</strong>. In der<br />

Quellenangabe folgen auf das Sigel in der Regel der Band, das Kapitel und der Vers. Die Werke<br />

ers<strong>ch</strong>einen im folgenden (na<strong>ch</strong> Mögli<strong>ch</strong>keit) in der Reihenfolge ihrer Nieders<strong>ch</strong>rift (siehe Jahreszahlen<br />

in Klammern):<br />

Haushaltung Gottes (1840 - 1844), Bände 1 - 3, Bietigheim 4. Aufl. 1960 - 1966, (Sigel: HGt). |<br />

Erde und Mond (1846/47 und 1841), Bietigheim 4. Aufl. 1953, (Sigel: EM). Ab der fünften Auflage<br />

ist der Wortlaut ni<strong>ch</strong>t mehr mit der Urs<strong>ch</strong>rift identis<strong>ch</strong> und somit für das Quellenstudium nur no<strong>ch</strong><br />

bedingt geeignet. | Außerordentli<strong>ch</strong>e Eröffnungen über die natürli<strong>ch</strong>e und methaphysis<strong>ch</strong>e oder<br />

geistige Bes<strong>ch</strong>affenheit der Erde und ihres Mittelpunctes, … hrsg. v. Johannes Bus<strong>ch</strong>, Meißen 1856,<br />

(Sigel: 1856Erde). | Die Fliege (1842), Bietigheim 4. Aufl. 1952, Sigel: Fl.). | Der Großglockner<br />

(1842), Bietigheim 4. Aufl. 1953, (Sigel: Gr.). | Die natürli<strong>ch</strong>e Sonne (1842), Bietigheim 6. Aufl.<br />

1980, (Sigel: NS). | Die geistige Sonne (1842/43), Bände 1 – 2, Bietigheim 5. Aufl. 1955/56, (Sigel:<br />

GS). | S<strong>ch</strong>rifttexterklärungen (1843/44), Bietigheim 5. Aufl. 1985, (Sigel: S<strong>ch</strong>r.). | Die Jugend<br />

Jesu: Das Jakobus-Evangelium (1843/44), Bietigheim-Bissingen 11. Auflage 1996, (Sigel: JJ). |<br />

Jenseits der S<strong>ch</strong>welle: Sterbeszenen (1847/48), Bietigheim 7. Aufl. 1990, (Sigel: Sterbeszenen). |<br />

Bis<strong>ch</strong>of Martin (1847/48), Bietigheim 2. Aufl. 1927, (Sigel: BM). | Robert Blum (1848 - 1851),<br />

Bände 1 – 2, Bietigheim 2. Aufl. 1929, (Sigel: RB). Seit der dritten Auflage ers<strong>ch</strong>eint das Werk<br />

unter dem Titel Von der Hölle bis zum Himmel. Im »Vorwort zur dritten Auflage« wird auf eine<br />

spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Überarbeitung hingewiesen: »Eine sol<strong>ch</strong>e Neuauflage erlebt nun au<strong>ch</strong> dieses Bu<strong>ch</strong>,<br />

wobei dur<strong>ch</strong> eine flüssigere Gestaltung des teilweise zeitgebundenen Spra<strong>ch</strong>stils Lorbers das Werk<br />

dem modernen Leser zugängli<strong>ch</strong>er gema<strong>ch</strong>t werden soll.« | Die drei Tage im Tempel (1859/60),<br />

Bietigheim 8. Aufl. 1975, (Sigel: DT). | Das große Evangelium Johannis (1851 – 1864), Bände 1 -<br />

2, Bietigheim 6. Aufl. 1967, Bände 3 – 10, Bietigheim 5. Aufl. 1949 – 1963, (Sigel: GEJ). | Anhang<br />

zum Johanneswerk, in: Das große Evangelium Johannis, Band 11 (siehe unter »Die Werke<br />

Leopold Engels«), Seiten 223 – 339, (Sigel: Suppl.). | Himmelsgaben, Bände 1 – 2, Bietigheim 1.<br />

Aufl. 1935/36, Band 3 Bietigheim 1. Aufl. 1993, (Sigel: Hg).<br />

2.3. Die Werke Leopold Engels<br />

Das große Evangelium Johannis, vom Vater des Li<strong>ch</strong>ts kundgegeben dur<strong>ch</strong> Leopold Engel, Band 11,<br />

Bietigheim 5. Aufl. 1959, (Sigel: GEJ). Der elfte Band »des großen Evangeliums« erhebt den Anspru<strong>ch</strong>,<br />

der Abs<strong>ch</strong>luss »des großen Evangeliums« zu sein. Daher habe i<strong>ch</strong> ihn einbezogen. Aller-


214 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />

dings sind gewisse Unters<strong>ch</strong>iede zwis<strong>ch</strong>en den dur<strong>ch</strong> Jakob Lorber offenbarten zehn Bänden und<br />

dem dur<strong>ch</strong> Leopold Engel empfangenen Abs<strong>ch</strong>lussband unverkennbar.<br />

3. Lexika und Wörterbü<strong>ch</strong>er<br />

Hans Bonnet, Reallexikon der ägyptis<strong>ch</strong>en Religionsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, Berlin, New York 2000<br />

Wilhelm Gesenius, Hebräis<strong>ch</strong>es und aramäis<strong>ch</strong>es Handwörterbu<strong>ch</strong> über das Alte Testament, bearbeitet<br />

von Dr. Frants Buhl, unveränderter Neudruck der 1915 ers<strong>ch</strong>ienenen 17. Auflage, Berlin,<br />

Göttingen, Heidelberg 1962. (Gesenius).<br />

Hebräis<strong>ch</strong>es und Aramäis<strong>ch</strong>es Lexikon zum Alten Testament von Ludwig Koehler und Walter<br />

Baumgartner, Bände 1-2, Leiden, Boston 2004 (Unveränderter Na<strong>ch</strong>druck der dritten Auflage<br />

1967-1995)<br />

Lexikon der <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>en Ikonographie, Bände 1-4, herausgegeben von Engelbert Kirs<strong>ch</strong>baum,<br />

Bände 5-8, herausgegeben von Wolfgang Braunfels, Freiburg im Breisgau 1994. (LCI).<br />

Theologis<strong>ch</strong>es Handwörterbu<strong>ch</strong> zum Alten Testament, herausgegeben von Ernst Jenni unter Mitarbeit<br />

von Claus Westermann, 2 Bände, Gütersloh 2004. (THAT).<br />

4. Theologis<strong>ch</strong>e Literatur<br />

Alfred Acton, An Introduction to the Word Explained, Bryn Athyn 1927<br />

Georg Lorenz Bauer, Hebräis<strong>ch</strong>e Mythologie des alten und neuen Testaments, Leipzig 1802<br />

Norbert Clemens Baumgart, Zuversi<strong>ch</strong>t und Hoffnung in Verbindung mit der biblis<strong>ch</strong>en Fluterzählung,<br />

in: »Na<strong>ch</strong> uns die Sintflut – oder sind wir s<strong>ch</strong>on mittendrin?« Eine ni<strong>ch</strong>t nur biblis<strong>ch</strong>e Erzählung<br />

für S<strong>ch</strong>ule und Bildungsstätten (in Zusammenarbeit mit P. Höffken und G. Ringshausen),<br />

KFW 2002<br />

Norbert Clemens Baumgart, Die große Flut und die Ar<strong>ch</strong>e, in: Bibel und Kir<strong>ch</strong>e 1 (2003) 30-36<br />

Hartmut Boblitz, Die Allegorese der Ar<strong>ch</strong>e Noahs in der frühen Bibelauslegung, in: Frühmittelalterli<strong>ch</strong>e<br />

Studien 6 (1972) Seiten 159-170<br />

Franz Delitzs<strong>ch</strong>, Commentar über die Genesis, Leipzig 1872. (Delitzs<strong>ch</strong>).<br />

August Dillmann, Die Genesis, Leipzig 1886. (Dillmann).<br />

Franz Joseph Dölger, Sol salutis: Gebet und Gesang im <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>en Altertum, Münster 1920 (umgearb.<br />

u. verm. 1925)<br />

Herbert Donner, Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des Volkes Israel und seiner Na<strong>ch</strong>barn in Grundzügen, Teil 1: Von den<br />

Anfängen bis zur Staatenbildung, Teil 2: Von der Königszeit bis zu Alexander dem Großen. Mit<br />

einem Ausblick auf die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des Judentums bis Bar Ko<strong>ch</strong>ba, Göttingen 1984 und 1986<br />

Eugen Drewermann, Strukturen des Bösen, Bände 1-3, Paderborn 1988<br />

Hans Martin von Erffa, Ikonologie der Genesis: Die <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>en Bildthemen aus dem Alten Testament<br />

und ihre Quellen, Bände 1-2, Mün<strong>ch</strong>en 1989-1995<br />

Horand K. Gutfeldt, Swedenborg and the Egyptian Hieroglyphs, in: Emanual Swedenborg, A Continuing<br />

Vision: A Pictorial Biography & Anthology of Essays & Poetry, edited by Robin Larsen etc.,<br />

New York 1988, Seiten 392-401<br />

Fritz Heidler, Die biblis<strong>ch</strong>e Lehre von der Unsterbli<strong>ch</strong>keit der Seele: Sterben, Tod, ewiges Leben im<br />

Aspekt lutheris<strong>ch</strong>er Anthropologie, Göttingen 1983<br />

Thomas Hieke, Die Genealogien der Genesis, Freiburg im Breisgau 2003<br />

M. Kahir, Das verlorene Wort: Mystik und Magie der Spra<strong>ch</strong>e, Bietigheim 1960<br />

Othmar Keel, Die Welt der altorientalis<strong>ch</strong>en Bildsymbolik und das Alte Testament: Am Beispiel der<br />

Psalmen, Göttingen 1996<br />

Heinri<strong>ch</strong> Krauss, Max Kü<strong>ch</strong>ler, Erzählungen der Bibel: Das Bu<strong>ch</strong> Genesis in literaris<strong>ch</strong>er Perspektive:<br />

Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Gen 1-11), Göttingen 2003


Literaturverzei<strong>ch</strong>nis und Bilder 215<br />

Wolfgang Krets<strong>ch</strong>mer, Psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e Weisheit der Bibel, Mün<strong>ch</strong>en 1955<br />

Daniel Kro<strong>ch</strong>malnik, S<strong>ch</strong>riftauslegung: Das Bu<strong>ch</strong> Genesis im Judentum, Stuttgart 2001<br />

Manfred Lurker, Wörterbu<strong>ch</strong> der Symbolik, Stuttgart 1985<br />

Manfred Lurker, Wörterbu<strong>ch</strong> biblis<strong>ch</strong>er Bilder und Symbole, Mün<strong>ch</strong>en 1990<br />

Manfred Lurker, Lexikon der Götter und Symbole der alten Ägypter, Bern, Mün<strong>ch</strong>en, Wien 1998<br />

Viktor Notter, Biblis<strong>ch</strong>er S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t und ägyptis<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>öpfungsmythen, Stuttgart 1974<br />

Gerhard von Rad, Das erste Bu<strong>ch</strong> Mose: Genesis, Göttingen 1987. (von Rad).<br />

Werner H. S<strong>ch</strong>midt, Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Priesters<strong>ch</strong>rift, Neukir<strong>ch</strong>en-Vluyn 1967<br />

Wolfgang S<strong>ch</strong>neider, Grammatik des biblis<strong>ch</strong>en Hebräis<strong>ch</strong>, Mün<strong>ch</strong>en 1989<br />

Arthur Hodson Searle, General Index to Swedenborgs Scripture Quotations, London 1954<br />

Horst Seebass, Genesis I: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), Neukir<strong>ch</strong>en-Vluyn 1996. (Seebass)<br />

Odil Hannes Steck, Die Paradieserzählung: Eine Auslegung von Genesis 2,4b-3,24, Neukir<strong>ch</strong>en-<br />

Vluyn 1970<br />

Anna Ulri<strong>ch</strong>, Kain und Abel in der Kunst: Untersu<strong>ch</strong>ungen zur Ikonographie und Auslegungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te,<br />

Bamberg 1981<br />

Friedri<strong>ch</strong> Weinreb, S<strong>ch</strong>öpfung im Wort: Die Struktur der Bibel in jüdis<strong>ch</strong>er Überlieferung, Weiler<br />

im Allgäu 2002<br />

Claus Westermann, Genesis 1–11, Darmstadt 1989<br />

William Ross Woofenden, Swedenborg Resear<strong>ch</strong>er's Manual, Bryn Athyn 1988<br />

Ernst Würthwein, Der Text des Alten Testaments, Stuttgart 1988<br />

5. Zu den Aufsätzen dieses Sammelbandes<br />

Der Turm zu Babel. Abges<strong>ch</strong>lossen am 12.1.1992. | Die Sintflut: Zusammens<strong>ch</strong>au ihres inneren<br />

Sinnes (1992). Die Zusammens<strong>ch</strong>au von Genesis 9,8-29 wurde unter dem Titel »Gottes Bund mit<br />

Noa<strong>ch</strong>: Aufgrund der ›Himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnisse‹« in OT 4 (1992) 156-160 veröffentli<strong>ch</strong>t. Den<br />

gesamten Text veröffentli<strong>ch</strong>te i<strong>ch</strong> in OT 1 (2003) 25-42. | Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te im Li<strong>ch</strong>te der<br />

Neuoffenbarung dur<strong>ch</strong> Swedenborg und Lorber. Abges<strong>ch</strong>lossen am 1.4.1996. Veröffentli<strong>ch</strong>t in: Der<br />

Seher und der S<strong>ch</strong>reibkne<strong>ch</strong>t Gottes: Emanuel Swedenborg und Jakob Lorber im Verglei<strong>ch</strong>, Züri<strong>ch</strong><br />

2004, 85-125. | Adam und Adamah: Zum inneren Sinn der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1997). Veröffentli<strong>ch</strong>t in<br />

OT 3 (1997) 97-102. | Bauvorhaben endet im Dur<strong>ch</strong>einander: Eine Auslegung von Genesis 11,1<br />

bis 9 aus der S<strong>ch</strong>ule Swedenborgs. Abges<strong>ch</strong>lossen am 22.3.2003. Veröffentli<strong>ch</strong>t in: OT 2 (2003)<br />

67-89. | Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs.<br />

Abges<strong>ch</strong>lossen am 18.10.2005. Veröffentli<strong>ch</strong>t in OT 4 (2005) 190-207, OT 1 (2006) 13-34, OT 2<br />

(2006) 64-75. | Neuanfang mit Noah. Abges<strong>ch</strong>lossen am 2.3.2007. Veröffentli<strong>ch</strong>t in OT 1 (2008) 3-<br />

15. | Die S<strong>ch</strong>öpfung: Eine Struktur der Zahl 2. Abges<strong>ch</strong>lossen am 29.6.2007. | Genesis 2: Ein<br />

Kommentar von Thomas Noack. Abges<strong>ch</strong>lossen am 12.11.2007. | Beoba<strong>ch</strong>tungen zu Genesis 3.<br />

Abges<strong>ch</strong>lossen am 1.5.2008. | Das sind die Geburten: Zum inneren Sinn der Toledot-Struktur der<br />

Genesis. Abges<strong>ch</strong>lossen am 6.7.2008.<br />

6. Bildna<strong>ch</strong>weis<br />

Ums<strong>ch</strong>lag: »Biblia Sacra« von Sebastian S<strong>ch</strong>midt mit hands<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>en Kommentaren von Emanuel<br />

Swedenborg. | Abb. 1: Othmar Keel, Die Welt der altorientalis<strong>ch</strong>en Bildsymbolik und das Alte<br />

Testament, 1996, Seite 25. | Abb. 2: Viktor Notter, Biblis<strong>ch</strong>er S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t und ägyptis<strong>ch</strong>e<br />

S<strong>ch</strong>öpfungsmythen, 1974, Seite 150. | Abb. 3: Hans Bonnet, Reallexikon der ägyptis<strong>ch</strong>en Religionsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te,<br />

2000, Seite 387. | Abb. 4: Othmar Keel, a.a.O., Seite 125. | Abb. 5: Heinri<strong>ch</strong><br />

Krauss, Max Kü<strong>ch</strong>ler, Erzählungen der Bibel: Das Bu<strong>ch</strong> Genesis in literaris<strong>ch</strong>er Perspektive: Die<br />

biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Gen 1-11), 2003, Seite 108. | Abb. 6: Emanuel Swedenborg, Arcana Coelestia,<br />

Band 1, London 1749. | Abb. 7: Helmut Minkowski, Aus dem Nebel der Vergangenheit steigt<br />

der Turm zu Babel: Bilder aus 1000 Jahren, 1959, Seite 43. | Abb. 8: Othmar Keel, a.a.O., Seite 27.


Thomas Noack<br />

Der Seher und der S<strong>ch</strong>reibkne<strong>ch</strong>t<br />

Gottes: Emanuel Swedenborg<br />

und Jakob Lorber im Verglei<strong>ch</strong><br />

226 Seiten, Paperback<br />

Die Werke Emanuel Swedenborgs und<br />

Jakob Lorbers gelten als die Klassiker<br />

der Neuoffenbarung. Zwis<strong>ch</strong>en ihren<br />

Lehren gibt es zahlrei<strong>ch</strong>e, wesentli<strong>ch</strong>e<br />

Gemeinsamkeiten. Glei<strong>ch</strong>wohl sind die<br />

beiden Offenbarungen vollkommen<br />

eigenständig und originell. Swedenborg<br />

ist ni<strong>ch</strong>t nur ein Vorläufer Lorbers<br />

und Lorber ni<strong>ch</strong>t bloß eine Neuauflage<br />

Swedenborgs.<br />

Das Bu<strong>ch</strong> dokumentiert anhand sorgfältig<br />

ausgewählter Zitate das außergewöhnli<strong>ch</strong><br />

hohe Maß an Übereinstimmungen.<br />

Zuglei<strong>ch</strong> wird aber au<strong>ch</strong> auf<br />

das je eigene Profil der beiden Offenbarungen<br />

hingewiesen. So s<strong>ch</strong>ließt das<br />

Bu<strong>ch</strong> eine Lücke. Denn derart ausführli<strong>ch</strong><br />

ist die s<strong>ch</strong>on immer gesehene<br />

nahe Verwandts<strong>ch</strong>aft no<strong>ch</strong> nie dargestellt<br />

worden.<br />

Im Zuge dieses Verglei<strong>ch</strong>es kommen<br />

die wi<strong>ch</strong>tigsten Themen der Neuoffenbarung<br />

zur Spra<strong>ch</strong>e: die Gotteslehre,<br />

die Erlösung und die Wiedergeburt,<br />

das Mens<strong>ch</strong>enbild, die Entspre<strong>ch</strong>ungskunde,<br />

das Jenseits und die Hoffnung<br />

auf die Geistkir<strong>ch</strong>e Christi.<br />

Der Autor kennt die Offenbarungen<br />

dur<strong>ch</strong> Swedenborg und Lorber seit<br />

1977. Heute leitet er als Pfarrer der<br />

Neuen Kir<strong>ch</strong>e das Swedenborg Zentrum<br />

und den Swedenborg Verlag in<br />

Züri<strong>ch</strong>.<br />

Das Bu<strong>ch</strong> ist aus der Überzeugung<br />

entstanden, dass Jesus Christus dur<strong>ch</strong><br />

beide Gottesboten gespro<strong>ch</strong>en hat. Die<br />

Posaunen der Neuoffenbarung wollen<br />

uns aus den Gräbern der Na<strong>ch</strong>t befreien<br />

und zu Bürgern des neuen Jerusalems<br />

ma<strong>ch</strong>en. Deswegen sollte zwis<strong>ch</strong>en<br />

den Lorberfreunden und den<br />

Swedenborgianern ein ges<strong>ch</strong>wisterli<strong>ch</strong>es<br />

Miteinander herrs<strong>ch</strong>en. Das<br />

Bu<strong>ch</strong> mö<strong>ch</strong>te dazu einen Beitrag leisten<br />

und weitere Fors<strong>ch</strong>ungen zum<br />

Verhältnis der beiden Neuoffenbarungen<br />

anregen.<br />

Das Bu<strong>ch</strong> ist beim Swedenborg Verlag<br />

(Postfa<strong>ch</strong> 1205, CH - 8032 Züri<strong>ch</strong>) und<br />

beim Autor (www.orah.<strong>ch</strong>) erhältli<strong>ch</strong>.


Das Bu<strong>ch</strong> enthält Aufsätze von Thomas Noack zum inneren Sinn der<br />

biblis<strong>ch</strong>en Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1-11). Der Autor ist Theologe der<br />

Neuen Kir<strong>ch</strong>e (Gemeinde der Swedenborgianer). Die Beiträge beruhen<br />

auf »Arcana Caelestia«, dem exegetis<strong>ch</strong>en Hauptwerk Emanuel<br />

Swedenborgs. Darin legte er das 1. und 2. Bu<strong>ch</strong> Mose aus.<br />

www.swedenborg.<strong>ch</strong> • www.thomasnoack.<strong>ch</strong>

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