DIE BIBLISCHE URGESCHICHTE - Orah.ch
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Thomas Noack<br />
<strong>DIE</strong> <strong>BIBLISCHE</strong> <strong>URGESCHICHTE</strong><br />
DER GEISTIGE SINN NACH EMANUEL SWEDENBORG
Thomas Noack<br />
<strong>DIE</strong> <strong>BIBLISCHE</strong> <strong>URGESCHICHTE</strong><br />
DER GEISTIGE SINN NACH EMANUEL SWEDENBORG
© 2008 Thomas Noack, Apollostrasse 2, 8032 Züri<strong>ch</strong>, www.thomasnoack.<strong>ch</strong>
Inhaltsverzei<strong>ch</strong>nis<br />
Vorwort ................................................................................................................. 5<br />
Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1-11) ......................................................... 7<br />
Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) ............................................................... 15<br />
Die S<strong>ch</strong>öpfung: Eine Struktur der Zahl 2 ............................................................ 58<br />
Genesis 2 .............................................................................................................. 60<br />
Beoba<strong>ch</strong>tungen zu Genesis 3 .............................................................................. 96<br />
Kain und Abel:<br />
Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs ........... 113<br />
Die Sintflut: Zusammens<strong>ch</strong>au ihres inneren Sinnes ......................................... 152<br />
Neuanfang mit Noah ............................................................................................ 167<br />
Der Turm zu Babel ............................................................................................... 177<br />
Bauvorhaben endet im Dur<strong>ch</strong>einander:<br />
Eine Auslegung von Genesis 11,1 bis 9 aus der S<strong>ch</strong>ule Swedenborgs ............ 179<br />
Adam und Adamah: Zum inneren Sinn der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te ................................ 195<br />
Das sind die Geburten:<br />
Zum inneren Sinn der Toledot-Struktur der Genesis ........................................ 199<br />
Literaturverzei<strong>ch</strong>nis und Bilder .......................................................................... 212
Vorwort<br />
Das Bu<strong>ch</strong> besteht aus meinen Aufsätzen zum inneren Sinn der biblis<strong>ch</strong>en Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te.<br />
Die Aufsätze sind zwis<strong>ch</strong>en 1992 und 2008 in der folgenden Reihenfolge<br />
entstanden: 1. Der Turm zu Babel (1992). 2. Die Sintflut: Zusammens<strong>ch</strong>au ihres<br />
inneren Sinnes (1992). 3. Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te im Li<strong>ch</strong>te der Neuoffenbarung<br />
dur<strong>ch</strong> Swedenborg und Lorber (1996). 4. Adam und Adamah: Zum inneren<br />
Sinn der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1997). 5. Bauvorhaben endet im Dur<strong>ch</strong>einander: Eine Auslegung<br />
von Genesis 11,1 bis 9 aus der S<strong>ch</strong>ule Swedenborgs (2003). 6. Kain und<br />
Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs<br />
(2005). 7. Neuanfang mit Noah (März 2007). 8. Die S<strong>ch</strong>öpfung: Eine Struktur der<br />
Zahl 2 (Juni 2007). 9. Genesis 2: Ein Kommentar von Thomas Noack (November<br />
2007). 10. Beoba<strong>ch</strong>tungen zu Genesis 3 (Mai 2008). 11. Das sind die Geburten:<br />
Zum inneren Sinn der Toledot-Struktur der Genesis (Juli 2008).<br />
In den se<strong>ch</strong>szehn Jahren von 1992 bis 2008 hat si<strong>ch</strong> die den Aufsätzen zugrundeliegende<br />
Idee dreimal gewandelt. Erstens: 1992 ging es mir einfa<strong>ch</strong> nur um eine<br />
Art Übersetzung des biblis<strong>ch</strong>en Textes in den inneren Sinn. Zweitens: Der Beitrag<br />
aus dem Jahr 1996 entstammt einer S<strong>ch</strong>affensphase von 1990 bis 2002, in der es<br />
mir um das Verhältnis der Offenbarungen dur<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg und Jakob<br />
Lorber ging. Drittens: In den neueren Aufsätzen von 2003 bis 2008 ging es mir<br />
um eine Auslegung und dann um einen Kommentar zur Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te. In dieser<br />
dritten Phase vollzog si<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> einmal ein Wandel, der si<strong>ch</strong> am We<strong>ch</strong>sel von<br />
»S<strong>ch</strong>ule« (2003) zu »Tradition« (2005) und an den einleitenden Bemerkungen der<br />
Aufsätze 6, 9 und 10 ablesen lässt. Ents<strong>ch</strong>eidend war die Frage: Was kann mein<br />
Kommentar mehr sein als eine bloße Na<strong>ch</strong>erzählung des Kommentars Swedenborgs?<br />
Die Antworten stehen in den genannten einleitenden Bemerkungen. Als<br />
Ergebnis steht für mi<strong>ch</strong> heute fest: Die neukir<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Exegese muss einesteils in<br />
der Tradition Swedenborgs stehen bzw. in seinem Geiste arbeiten und andernteils<br />
dieses Erbe weiterentwickeln. I<strong>ch</strong> verglei<strong>ch</strong>e die neukir<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Exegese mit einem<br />
lebendigen Organismus, der sein Woher ni<strong>ch</strong>t verleugnen kann und au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />
soll, der aber andererseits wie alles, was lebt, dem Wandel unterworfen ist und<br />
das ni<strong>ch</strong>t als ein notwendiges Übel, sondern aufgrund eines exegetis<strong>ch</strong>en Programms.<br />
Treue gegenüber der Tradition und Offenheit für neue Einsi<strong>ch</strong>ten, das<br />
sind für mi<strong>ch</strong> die Sti<strong>ch</strong>worte für eine lebenskräftige neukir<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Exegese. In<br />
diesem Sinne sind die Aufsätze dieses Sammelbandes Zeugnisse eines Aufbru<strong>ch</strong>s.<br />
Der einleitende Aufsatz »die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te« ist eine Ausgliederung aus<br />
der Arbeit über die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te von 1996. Die Beiträge wurden zum<br />
Zwecke der Veröffentli<strong>ch</strong>ung in diesem Sammelband in formaler Hinsi<strong>ch</strong>t vereinheitli<strong>ch</strong>t.<br />
Inhaltli<strong>ch</strong> sind die Unters<strong>ch</strong>iede aus den vers<strong>ch</strong>iedenen S<strong>ch</strong>affensphasen<br />
aber na<strong>ch</strong> wie vor deutli<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong>tbar.<br />
Züri<strong>ch</strong>, am 6. Juli 2008 | Thomas Noack
Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1-11) 7<br />
Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1-11)<br />
1. Zur Quellenfrage der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />
Lange Zeit galt die Bibel als das älteste Bu<strong>ch</strong> der Mens<strong>ch</strong>heit. Do<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die ar<strong>ch</strong>äologis<strong>ch</strong>en<br />
Funde des 19. Jahrhunderts ist sie zu einer verhältnismäßig jungen<br />
Ers<strong>ch</strong>einung geworden. Ein großer Teil ihres Inhalts ist von den Anfängen der<br />
altorientalis<strong>ch</strong>en Ho<strong>ch</strong>kulturen ebenso weit entfernt wie von uns. Es gibt keinen<br />
Text der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, zu dem uns heute ni<strong>ch</strong>t eine Fülle verglei<strong>ch</strong>baren Materials<br />
vorläge. Zu Genesis 1 beispielsweise gibt es vers<strong>ch</strong>iedene Versionen akkadis<strong>ch</strong>er<br />
1 S<strong>ch</strong>öpfungsepen. Das bekannteste dürfte das babylonis<strong>ch</strong>e sein, das na<strong>ch</strong><br />
seinen Anfangsworten »Enuma Elis<strong>ch</strong>« (= Wenn ho<strong>ch</strong> oben) heißt. Diese Erzählungen<br />
haben teilweise erstaunli<strong>ch</strong>e Gemeinsamkeiten mit Genesis 1, aber au<strong>ch</strong><br />
große Unters<strong>ch</strong>iede. Daher vermuten einige Gelehrte, dass die altorientalis<strong>ch</strong>en<br />
S<strong>ch</strong>öpfungsmythen und der mosais<strong>ch</strong>e zwar ni<strong>ch</strong>t direkt voneinander abhängig<br />
sind, wohl aber aus einer gemeinsamen Tradition hervorgegangen sind: »Zwar ist<br />
im israelitis<strong>ch</strong>en Raum si<strong>ch</strong>er mit einer Bekannts<strong>ch</strong>aft babylonis<strong>ch</strong>er Mythen zu<br />
re<strong>ch</strong>nen, trotzdem bleibt eine unmittelbare Abhängigkeit der priesterli<strong>ch</strong>en<br />
S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te von dem babylonis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>öpfungsepos ausges<strong>ch</strong>lossen;<br />
dazu rei<strong>ch</strong>en die gegenseitigen Beziehungen bei so gewi<strong>ch</strong>tigen Unters<strong>ch</strong>ieden<br />
ni<strong>ch</strong>t aus. Vielmehr müssen beide Texte eine gemeinsame Tradition haben, deren<br />
ganz unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Ausprägung sie darstellen.« 2<br />
Diese Erklärung finden wir au<strong>ch</strong> in der Neuoffenbarung. Denn es hat »eine Uroffenbarung<br />
(primaeva Revelatio) gegeben, die über den ganzen Erdkreis verbreitet<br />
war« (WCR 11). Das bezeugen au<strong>ch</strong> die Lorberwerke, namentli<strong>ch</strong> die »Haushaltung<br />
Gottes«, die sogar als die Uroffenbarung in moderner Gestalt angesehen werden<br />
kann, denn sie beinhaltet die Lehrgesprä<strong>ch</strong>e des Herrn mit den Urvätern. 3<br />
1<br />
Mit »akkadis<strong>ch</strong>« bezei<strong>ch</strong>net man die zusammengehörigen semitis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>en Babylons<br />
und Assyriens.<br />
2<br />
Werner H. S<strong>ch</strong>midt, »Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Priesters<strong>ch</strong>rift«, Neukir<strong>ch</strong>en-Vluyn 1967,<br />
Seite 31. Die Hervorhebung in Kursivs<strong>ch</strong>rift stammt von mir.<br />
3<br />
Diese These kann si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> auf den folgenden Hinweis im Lorberwerk stützen, der vom Alten<br />
Wort handelt und dabei die Haushaltung erwähnt: »Ganz in der Mitte von Asien, im hohen<br />
Thibet, lebt no<strong>ch</strong> ein Volk, wel<strong>ch</strong>es die uralte patria<strong>ch</strong>alis<strong>ch</strong>e Verfassung hat. Unter allen alten<br />
Religionen der sogenannten Parsen und Gebern ist die Religion dieses Volkes no<strong>ch</strong> die am<br />
meisten ungetrübte. Sie haben no<strong>ch</strong> die eigentli<strong>ch</strong>e Sanskrit, in wel<strong>ch</strong>er von der Zenda vesta<br />
gehandelt wird; denn die Sanskrit ist die heilige S<strong>ch</strong>rift der Urzeit, und die in dieser S<strong>ch</strong>rift<br />
enthaltenen Geheimnisse Namens Zenda vesta, in eurer Spra<strong>ch</strong>e: die heiligen Gesi<strong>ch</strong>te, sind<br />
historis<strong>ch</strong>e Ueberlieferungen von den mannigfaltigen göttli<strong>ch</strong>en wunderbaren Führungen des<br />
Mens<strong>ch</strong>enges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tes in der Urzeit. Es ist darum fals<strong>ch</strong>, so hie und da man<strong>ch</strong>e die Sanskrit<br />
und die Zenda vesta als gewisserart zwei Bü<strong>ch</strong>er annahmen; das Ganze ist nur ein Bu<strong>ch</strong>, und<br />
dieses ist abgetheilt in das Bu<strong>ch</strong> der Kriege Jehova's und in das Bu<strong>ch</strong> der Propheten. Da aber<br />
eben die Propheten dur<strong>ch</strong> ihre heiligen Gesi<strong>ch</strong>te die Thaten Gottes bes<strong>ch</strong>rieben, so sind diese<br />
s<strong>ch</strong>einbaren zwei Bü<strong>ch</strong>er eigentli<strong>ch</strong> nur ein Bu<strong>ch</strong>, wel<strong>ch</strong>es si<strong>ch</strong> bei den obbenannten Bewohnern<br />
des hohen Thibet no<strong>ch</strong> ziemli<strong>ch</strong> unverfäls<strong>ch</strong>t vorfindet, und ungefähr dasselbe enthält,
8 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Aus der mündli<strong>ch</strong>en Uroffenbarung entstand allmähli<strong>ch</strong> das Alte Wort, das in die<br />
Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten unserer Bibel eingeflossen ist. Swedenborg zufolge hatte Moses die<br />
Überlieferungen »von der S<strong>ch</strong>öpfung, vom Garten Eden bis zur Zeit Abrahams«<br />
»von den Na<strong>ch</strong>kommen der ältesten Kir<strong>ch</strong>e« (HG 66). Später konkretisiert er diese<br />
Vorstellung, indem er das Alte Wort als Quelle nennt: »Darüber hinaus hörte i<strong>ch</strong><br />
von den Engeln, dass die ersten Kapitel des ersten Bu<strong>ch</strong>es Mose, die von der<br />
S<strong>ch</strong>öpfung, von Adam und Eva im Garten Eden und von ihren Söhnen und Na<strong>ch</strong>kommen<br />
bis zur Sintflut und s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> von Noah und dessen Söhnen handeln,<br />
si<strong>ch</strong> ebenfalls bereits in jenem Alten Wort fanden, also von Moses daraus abges<strong>ch</strong>rieben<br />
worden waren.« (WCR 279d) 4 . Das Alte Wort ist also die Quelle der<br />
Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te.<br />
Da es weit verbreitet war 5 , konnte Moses au<strong>ch</strong> in Ägypten mit ihm in Berührung<br />
kommen, denn au<strong>ch</strong> dort gab es die alte Kir<strong>ch</strong>e (HG 1462). Aus den Lorbers<strong>ch</strong>riften<br />
geht hervor, dass Moses »in alle Wissens<strong>ch</strong>aften der Ägypter eingeweiht war«<br />
(GEJ I,157,8; Apg 7,22). Er hatte ihre S<strong>ch</strong>ulen dur<strong>ch</strong>gema<strong>ch</strong>t (GEJ IV,204,4), und<br />
war »in die ägyptis<strong>ch</strong>en Mysterien eingeweiht« (GEJ IX,92,10), bis er s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong><br />
»in einem Alter von 57 Jahren« »vom Geiste Gottes zu einer hö<strong>ch</strong>sten Weihe« geführt<br />
wurde (GEJ IV,204,4; Anspielung auf Exodus 3). Die Wissens<strong>ch</strong>aften und<br />
Mysterien der Ägypter waren für Moses eine »Vors<strong>ch</strong>ule« (GEJ IV,204,4), die ihn<br />
für die hö<strong>ch</strong>ste Offenbarung empfängli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>te. In Ägypten muss er au<strong>ch</strong> das<br />
Alte Wort kennengelernt haben, denn sonst hätte er später daraus ni<strong>ch</strong>t einiges in<br />
seine S<strong>ch</strong>riften aufnehmen können (Num 21,14f.; 27-30; siehe WCR 265 und<br />
279d). Na<strong>ch</strong> seiner Berufung konnte er aus dem Alten Wort die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten der<br />
Bibel formen. Sie sind eine Verdi<strong>ch</strong>tung des ursprüngli<strong>ch</strong> breiteren Überlieferungsstromes;<br />
aber eine Verdi<strong>ch</strong>tung, die vom Geiste Gottes autorisiert ist. Gerade<br />
was I<strong>ch</strong> eu<strong>ch</strong> im von eu<strong>ch</strong> sogenannten Hauptwerke aus der Urzeit mitgetheilt habe; - nur ist dort<br />
Alles no<strong>ch</strong> in der Urspra<strong>ch</strong>e in lauter geheimnißvolle Bilder eingehüllt, die für die neue Zeit<br />
s<strong>ch</strong>wer oder gar ni<strong>ch</strong>t zu enträthseln sind.« (1856Erde, Seite 229). Der Text bezieht si<strong>ch</strong> auf<br />
das Alte Wort und sagt, dass die Haushaltung »ungefähr dasselbe enthält«.<br />
Außerdem ist mögli<strong>ch</strong>erweise eine Notiz in der Lorbers<strong>ch</strong>rift »Die drei Tage im Tempel« relevant.<br />
Der Jesusknabe sagte: »Als Levite und angehender Varisar (Pharisäer) musst du das …<br />
aus dem Bu<strong>ch</strong>e Heno<strong>ch</strong>, das Noah über die Sündflut herübergebra<strong>ch</strong>t hat unter dem Titel<br />
›Kriege Jehovas‹ (siehe ›Haushaltung Gottes‹!) wissen« (DT 16,7). Es ist allerdings ni<strong>ch</strong>t klar,<br />
ob der Klammereins<strong>ch</strong>ub von Lorber stammt und wie er zu interpretieren ist. Er kann bedeuten,<br />
dass die »Kriege Jehovas« mit der »Haushaltung« identis<strong>ch</strong> sind oder dass man in der<br />
»Haushaltung« na<strong>ch</strong>sehen soll.<br />
4<br />
Vgl. au<strong>ch</strong> LS 103: Ȇberdies ist mir gesagt worden, dass die sieben ersten Kapitel des ersten<br />
Bu<strong>ch</strong>es Mose au<strong>ch</strong> in jenem Alten Worte stehen, so dass kein Wört<strong>ch</strong>en fehle.« Hier ist nur<br />
von den sieben ersten Kapitel die Rede. Das widerspri<strong>ch</strong>t den Angaben in WCR 279d, wona<strong>ch</strong><br />
die Kapitel bis zur Sintflut und den Söhnen Noahs zum Alten Wort gehörten. Dana<strong>ch</strong> käme<br />
man wenigstens bis zur Völkertafel in Kapitel 10, die ja mit den Worten beginnt: »Das ist die<br />
Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terfolge na<strong>ch</strong> den Söhnen Noahs, Sem, Ham und Jafet.« Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> käme man<br />
sogar bis zur Turmbauerzählung, denn sie greift das Völkermotiv auf. Na<strong>ch</strong> WCR 279d wäre<br />
also die gesamte Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te dem Alten Wort entnommen.<br />
5<br />
Siehe EO 11, WCR 266, 275.
Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1-11) 9<br />
die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te ist ein Beispiel für die konzentrierte Spra<strong>ch</strong>gewalt der<br />
Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten.<br />
In dieses Entstehungsmodell fügt si<strong>ch</strong> die folgende Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t ein, die nun allerdings<br />
das gesamte mosais<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>rifttum betrifft: »Moses s<strong>ch</strong>rieb no<strong>ch</strong> in der ihm<br />
wohlbekannten ägyptis<strong>ch</strong>en Hieroglyphens<strong>ch</strong>rift.« (Suppl. 257). Dieser auf den ersten<br />
Blick erstaunli<strong>ch</strong>e Hinweis ist andererseits naheliegend, wenn man in Moses,<br />
dem Mann mit dem ägyptis<strong>ch</strong>en Namen 6 , den Verfasser des Pentateu<strong>ch</strong> sieht;<br />
zumal die Hieroglyphen ein für das Geistige sehr geeignetes Ausdrucksmittel<br />
waren, denn sie waren »Bilder natürli<strong>ch</strong>er Dinge, die Geistiges vorbildeten« (HG<br />
7926) 7 . »Erst in der Zeit der Ri<strong>ch</strong>ter, die in dieser [Hieroglyphen]S<strong>ch</strong>rift no<strong>ch</strong> wohl<br />
bewandert waren, sowie in deren Entspre<strong>ch</strong>ungen, wurden die Bü<strong>ch</strong>er Mosis mit<br />
den althebräis<strong>ch</strong>en Lettern aufs Pergament gebra<strong>ch</strong>t« (Suppl. 257). Es ist bekannt,<br />
dass die Hands<strong>ch</strong>riften des Alten Testaments ursprüngli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in der no<strong>ch</strong> heute<br />
gebräu<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Quadrats<strong>ch</strong>rift, sondern mit den von Lorber erwähnten althebräis<strong>ch</strong>en<br />
Lettern ges<strong>ch</strong>rieben wurden. Man weiß, dass si<strong>ch</strong> der »Übergang von der<br />
althebräis<strong>ch</strong>en zur Quadrats<strong>ch</strong>rift« »vom 4. - 2. Jahrhundert v. Chr.« vollzog. 8 Da<br />
die Ri<strong>ch</strong>terzeit von circa 1200 bis 1012 vor Christus zu datieren ist 9 , kommt man<br />
auf ungefähr 600 bis 1100 Jahre althebräis<strong>ch</strong>e Überlieferung der Mosess<strong>ch</strong>riften.<br />
Zur Zeit Jesu war jedo<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on die Quadrats<strong>ch</strong>rift übli<strong>ch</strong>, wennglei<strong>ch</strong> die althebräis<strong>ch</strong>e<br />
S<strong>ch</strong>rift (wie Funde zum Beispiel in Qumran zeigen) no<strong>ch</strong> immer ni<strong>ch</strong>t<br />
ausgestorben war. Do<strong>ch</strong> in dieser Quadrats<strong>ch</strong>rift wurden nur die Konsonanten<br />
ges<strong>ch</strong>rieben. Der Text, den Jesus in der Synagoge von Nazareth las (Lk 4,16ff.),<br />
war ein sol<strong>ch</strong>er Konsonantentext, den man bald ni<strong>ch</strong>t mehr ausspre<strong>ch</strong>en konnte,<br />
so dass man ihn vokalisieren musste. Auf diesen Vorgang bezieht si<strong>ch</strong> der letzte<br />
Teil der überlieferungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t Lorbers: »Aber selbst diese<br />
S<strong>ch</strong>rift war den meisten zu Meiner Zeit lebenden Juden unverständli<strong>ch</strong>, weil die<br />
Vokale zwis<strong>ch</strong>en den Konsonanten ni<strong>ch</strong>t vorkamen. Man fand si<strong>ch</strong> genötigt, eine<br />
neue Abs<strong>ch</strong>rift zu ma<strong>ch</strong>en, an der si<strong>ch</strong> die sogenannten alten S<strong>ch</strong>riftgelehrten über<br />
zweihundert Jahre lang beteiligten« (Suppl. 257). Damit ist die Punktation (Vokalisierung)<br />
des Konsonantentextes gemeint. Wer jedo<strong>ch</strong> genau die alten S<strong>ch</strong>riftgelehrten<br />
oder Masoreten waren, lässt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t sagen, da die Anfänge der Punktation<br />
ni<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>er zu datieren sind. 10 Immerhin sollte deutli<strong>ch</strong> geworden sein, dass<br />
die Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t Lorbers teilweise mit dem gegenwärtigen Fors<strong>ch</strong>ungsstand überein-<br />
6<br />
Zur ägyptis<strong>ch</strong>en Herkunft des Namens siehe Herbert Donner, »Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des Volkes Israel<br />
und seiner Na<strong>ch</strong>barn in Grundzügen«, Teil 1, Göttingen 1984, Seite 109. Demna<strong>ch</strong> ist das<br />
Element »Mose« au<strong>ch</strong> in Pharaonennamen wie »Thut-mose« oder »Ra-mses« zu finden.<br />
7<br />
Vgl. hierzu den Aufsatz von Horand K. Gutfeldt, »Swedenborg and the Egyptian Hieroglyphs,<br />
in: Emanual Swedenborg, A Continuing Vision: A Pictorial Biography & Anthology of Essays &<br />
Poetry«, edited by Robin Larsen etc., New York 1988, Seite 392-401.<br />
8<br />
Ernst Würthwein, »Der Text des Alten Testaments«, Stuttgart 1988, Seite 5.<br />
9<br />
Na<strong>ch</strong> der sogenannten Frühdatierung begann die Ri<strong>ch</strong>terzeit jedo<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on um circa 1400 vor<br />
Christus.<br />
10<br />
Vgl. Ernst Würthwein, a.a.O., Seite 25.
10 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
stimmt; aber als eigentli<strong>ch</strong>e Überras<strong>ch</strong>ung bleibt der Hinweis, dass der hebräis<strong>ch</strong>e<br />
Grundtext bereits eine Übersetzung der ursprüngli<strong>ch</strong> ägyptis<strong>ch</strong>en Urs<strong>ch</strong>rift ist.<br />
Daraus würden si<strong>ch</strong> weitrei<strong>ch</strong>ende Konsequenzen ergeben; viellei<strong>ch</strong>t wäre es<br />
sogar mögli<strong>ch</strong>, den Pentateu<strong>ch</strong> in die Hieroglyphens<strong>ch</strong>rift zurückzuübersetzen.<br />
Bei den Evangelien hat man verglei<strong>ch</strong>bare Versu<strong>ch</strong>e gema<strong>ch</strong>t, denn Jesus spra<strong>ch</strong><br />
hö<strong>ch</strong>stwahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> aramäis<strong>ch</strong> 11 .<br />
Wenn die überlieferungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Angaben der Neuoffenbarung stimmen,<br />
woran i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zweifle, dann werden Unmengen von wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Literatur<br />
zum Pentateu<strong>ch</strong> zu Makulatur. Da i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> hier ni<strong>ch</strong>t mit den herrs<strong>ch</strong>enden Thesen<br />
auseinandersetzen will, sei nur angemerkt, dass die gegenwärtige Fors<strong>ch</strong>ung<br />
ganz andere Wege geht und au<strong>ch</strong> die Verfassers<strong>ch</strong>aft des Moses vehement bestreitet.<br />
Do<strong>ch</strong> die wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Thesen sind nur Vermutungen, die si<strong>ch</strong> auf<br />
gewisse Textbeoba<strong>ch</strong>tungen stützen, die si<strong>ch</strong> angebli<strong>ch</strong> anders ni<strong>ch</strong>t erklären<br />
lassen. Die Hinweise der Neuoffenbarung sind meines Era<strong>ch</strong>tens ni<strong>ch</strong>t unwahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>er<br />
als das, was gegenwärtig behauptet wird.<br />
2. Zur Interpretation der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />
2.1. Swedenborgs Thesen<br />
Bei Swedenborg finden wir zwei Thesen zum Verständnis der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, die<br />
erwähnt werden müssen, weil sie der dur<strong>ch</strong> Jakob Lorber offenbarten »Haushaltung<br />
Gottes« zu widerspre<strong>ch</strong>en s<strong>ch</strong>einen.<br />
Swedenborg sah einen Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te und den Erzväterüberlieferungen.<br />
Die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten sind - im Unters<strong>ch</strong>ied zu den ab Genesis 12<br />
beginnenden »wahren Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten (historica vera)« (HG 1403, 1540) - »gema<strong>ch</strong>te<br />
Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten (facta historica)«; folgli<strong>ch</strong> hat alles, was in ihnen »ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> zusammengewebt«<br />
ist, »eine andere als die bu<strong>ch</strong>stäbli<strong>ch</strong>e Bedeutung« (HG 1020).<br />
Denn die Urmens<strong>ch</strong>en da<strong>ch</strong>ten immer nur an Geistiges und Himmlis<strong>ch</strong>es, wenn<br />
sie Irdis<strong>ch</strong>es und Weltli<strong>ch</strong>es nannten. »Daher drückten sie es [= das Geistige und<br />
Himmlis<strong>ch</strong>e] dur<strong>ch</strong> Vorbildungen ni<strong>ch</strong>t nur aus, sondern bra<strong>ch</strong>ten es au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> in<br />
einen ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Zusammenhang, um es lebendiger zu ma<strong>ch</strong>en.« (HG 66). Die<br />
Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten sind also ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tsartige Einkleidungen, deren eigentli<strong>ch</strong>er Aussagegehalt<br />
Geistiges und Himmlis<strong>ch</strong>es ist. Diese Entdeckung Swedenborgs<br />
s<strong>ch</strong>eint si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> in der Genesisfors<strong>ch</strong>ung anzubahnen, denn Claus Westermann<br />
s<strong>ch</strong>reibt, dass »diese Ereignisse von der S<strong>ch</strong>öpfung bis zum Turmbau von Babel<br />
im AT selbst ni<strong>ch</strong>t als Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te in unserem Sinn gemeint sind und daher au<strong>ch</strong><br />
niemals in die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tstraditionen einbezogen werden (Credo)« 12 . Das alles bedeutet<br />
nun aber ni<strong>ch</strong>t, dass die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> eine historis<strong>ch</strong>e Dimen-<br />
11<br />
Vgl. zum Beispiel George M. Lamsa, »Die Evangelien in aramäis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t«, 1963. Na<strong>ch</strong> Lorber<br />
hat es ein hebräis<strong>ch</strong>es Matthäusevangelium gegeben (GEJ II,218,15); eine Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t, die<br />
wir au<strong>ch</strong> in der Kir<strong>ch</strong>enges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des Eusebius von Caesarea finden (KG V,10).<br />
12<br />
Claus Westermann, »Genesis 1–11«, Darmstadt 1989, Seite 3.
Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1-11) 11<br />
sion haben, denn Adam bezei<strong>ch</strong>net die älteste (HG 478) und Noah die alte Kir<strong>ch</strong>e<br />
(HG 530). Daher ist es mögli<strong>ch</strong>, eine »Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Mens<strong>ch</strong>heit« 13 zu s<strong>ch</strong>reiben,<br />
wie es Lorber in der »Haushaltung« getan hat.<br />
Die zweite These betrifft die »Personen« der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te. Swedenborg s<strong>ch</strong>reibt,<br />
»dass unter den Namen in den ersten Kapiteln der Genesis nur Kir<strong>ch</strong>en verstanden<br />
wurden« (HG 1114). Die »Personen« der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te sind also Kollektivpersonen<br />
(Gruppen). Speziell zu Adam führt Swedenborg aus, dass das hebräis<strong>ch</strong>e<br />
Wort Adam s<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>t und einfa<strong>ch</strong> Mens<strong>ch</strong> bedeutet und daher ni<strong>ch</strong>t als Eigenname<br />
verwendet wird (HG 478). Das belegen Stellen wie Genesis 1,26: »Lasst uns Mens<strong>ch</strong>en<br />
(= Adam) ma<strong>ch</strong>en als unser Bild, na<strong>ch</strong> unserer Ähnli<strong>ch</strong>keit«, oder Genesis<br />
5,2: »Männli<strong>ch</strong> und weibli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>uf er sie, und er segnete sie und nannte ihren<br />
Namen Mens<strong>ch</strong> (= Adam), am Tage da sie ges<strong>ch</strong>affen wurden.« »Daraus ist ersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>,<br />
dass ni<strong>ch</strong>t von einem zuerst vor allen ges<strong>ch</strong>affenen Mens<strong>ch</strong>en, sondern von<br />
der ältesten Kir<strong>ch</strong>e die Rede ist.« (HG 478). Für die anderen »Personen« der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />
gilt ähnli<strong>ch</strong>es (vgl. HG 483). Über Noah lesen wir sogar: »einen Noah …<br />
hat es nie gegeben« (HG 1238). Wenn man das weiß, dann verwundert es sehr,<br />
dass in der »Haushaltung« alle »Personen« der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te als individuelle Personen<br />
auftreten. Aber au<strong>ch</strong> hier ist der Widerspru<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t so krass, wie es zunä<strong>ch</strong>st<br />
ers<strong>ch</strong>eint.<br />
2.2. Das Verhältnis der swedenborgs<strong>ch</strong>en Thesen zu den Lorbers<strong>ch</strong>riften<br />
Was lässt si<strong>ch</strong> zur Lösung des Problems sagen? Zunä<strong>ch</strong>st, dass si<strong>ch</strong> Swedenborgs<br />
Aussagen einzig und allein auf die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Bibel beziehen, während<br />
Lorbers »Haushaltung« die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Mens<strong>ch</strong>heit darstellt. Das sind vers<strong>ch</strong>iedene<br />
Gegenstände, die si<strong>ch</strong> allerdings darin berühren, dass au<strong>ch</strong> die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />
der Bibel eine historis<strong>ch</strong>e Dimension hat. Aber grundsätzli<strong>ch</strong> äußern si<strong>ch</strong><br />
Swedenborg und Lorber über unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Objekte. Deswegen muss man zuerst<br />
untersu<strong>ch</strong>en, wie Lorber die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Bibel versteht, denn das ist der<br />
unmittelbare Verglei<strong>ch</strong> mit Swedenborg.<br />
Und da lässt si<strong>ch</strong> lei<strong>ch</strong>t zeigen, dass au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Lorber die bu<strong>ch</strong>stäbli<strong>ch</strong>e Bedeutung<br />
ni<strong>ch</strong>t selten unsinnig ist, weil die biblis<strong>ch</strong>en Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten die äußeren<br />
Verhältnisse eben nur mittelbar widerspiegeln. So ist »die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />
Mosis, wörtli<strong>ch</strong> auf die S<strong>ch</strong>öpfung der Naturwelt angewendet, ein alleroffenbarster<br />
Unsinn« (GEJ II,215,1). Ferner wurde Eva keineswegs aus einer Rippe gebaut,<br />
denn die Rippe ist nur ein Bild für das »hartnäckigere Geistige, das mehr Sinnli<strong>ch</strong>e,<br />
Stolze und Ho<strong>ch</strong>mütige des Mannes« (GEJ I,166,5) 14 . Au<strong>ch</strong> den Garten Eden<br />
gab es ni<strong>ch</strong>t: »Auf der Erde … gab es nirgends ein materielles Paradies« (GEJ<br />
IV,142,4). Glei<strong>ch</strong>wohl aber entstand das erste Mens<strong>ch</strong>enpaar »in einer der fru<strong>ch</strong>t-<br />
13<br />
So der Untertitel der »Haushaltung Gottes«.<br />
14<br />
Vgl. au<strong>ch</strong> GEJ IV,162,10f, HGt I,7,11 und HGt I,40,29.
12 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
barsten Gegenden der Welt« (GEJ IV,142,11) 15 . Wir sehen, dass aus der geistigen<br />
Bedeutung eine abgeleitete, natürli<strong>ch</strong>e folgt; jedo<strong>ch</strong> ist diese in der Regel ni<strong>ch</strong>t<br />
lei<strong>ch</strong>t zu finden. Der sogenannte Sündenfall beispielsweise wird dur<strong>ch</strong> Sinnbilder<br />
ausgedrückt, die zunä<strong>ch</strong>st ni<strong>ch</strong>t die äußere Wirkli<strong>ch</strong>keit bes<strong>ch</strong>reiben, denn der<br />
Mens<strong>ch</strong> wurde natürli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t von einer S<strong>ch</strong>lange, s<strong>ch</strong>on gar ni<strong>ch</strong>t von einer spre<strong>ch</strong>enden,<br />
verführt, sondern es siegte »die sinnli<strong>ch</strong>e Begierde unter dem von Moses<br />
aufgestellten Sinnbilde einer S<strong>ch</strong>lange über die Erkenntnis des Guten und Wahren<br />
aus der göttli<strong>ch</strong>en Offenbarung« (GEJ VII,121,9). Folgli<strong>ch</strong> war au<strong>ch</strong> der Baum<br />
der Erkenntnis kein natürli<strong>ch</strong>er Baum: »Der Mens<strong>ch</strong> aber, da er einen freiesten<br />
Willen hatte, ließ si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die S<strong>ch</strong>lange seiner Begierde verlocken und aß eher<br />
no<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> von dem Baume der Erkenntnis, als er dur<strong>ch</strong> Glaubensreife im Herzen<br />
des Mens<strong>ch</strong>en wäre gesegnet worden, d.h. er fing an, dur<strong>ch</strong> den Gehirnverstand<br />
den Geist Gottes und so den Geist des Lebens zu su<strong>ch</strong>en und zu ergründen, und<br />
die Folge davon war, dass er si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> von Gott nur stets mehr entfernte, anstatt<br />
si<strong>ch</strong> Ihm mehr und mehr zu nahen.« (GEJ IX,83,5). Im materiellen Verständnis<br />
irreführend ist au<strong>ch</strong> der Engel mit dem flammenden S<strong>ch</strong>wert: »Meinst du denn<br />
im Ernste, dass Gott den Adam aus dem Paradiese dur<strong>ch</strong> einen Engel, der ein<br />
flammendes S<strong>ch</strong>wert als Vertreibungswaffe in seiner Re<strong>ch</strong>ten führte, vertreiben<br />
ließ? I<strong>ch</strong> sage es dir: mag das au<strong>ch</strong> dem Adam als Ers<strong>ch</strong>einung vorgestellt worden<br />
sein, so war es aber nur eine Entspre<strong>ch</strong>ung von dem, was eigentli<strong>ch</strong> in Adam<br />
selbst vorgegangen ist, und gehörte eben also zum Akte seiner Erziehung und zur<br />
Gründung der ersten Religion und Urkir<strong>ch</strong>e 16 unter den Mens<strong>ch</strong>en auf Erden.«<br />
(GEJ IV,142,3). Und s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> hat es au<strong>ch</strong> die Sintflut in der von Mose bes<strong>ch</strong>riebenen<br />
Weise ni<strong>ch</strong>t gegeben, weswegen der Herr mahnt: »Du darfst … die natürli<strong>ch</strong>e<br />
hohe Wasserflut … ni<strong>ch</strong>t mit der geistigen allgemeinen Überflutung der Sünde<br />
verwe<strong>ch</strong>seln, ansonst du darin niemals ganz ins reine kommen wirst.« (GEJ<br />
VII,91,20). Diese Aussage zeigt deutli<strong>ch</strong>, dass die mosais<strong>ch</strong>e Sintflut mit der historis<strong>ch</strong>en<br />
großen Flut ni<strong>ch</strong>t identis<strong>ch</strong> ist; do<strong>ch</strong> die geistige Bedeutung des mosais<strong>ch</strong>en<br />
Beri<strong>ch</strong>ts s<strong>ch</strong>ließt entspre<strong>ch</strong>end natürli<strong>ch</strong>e Folgewirkungen ni<strong>ch</strong>t aus:<br />
»Dur<strong>ch</strong> die im westli<strong>ch</strong>en Teile Asiens stattgehabte große Wasserflut zu den Zeiten<br />
Noahs sind wohl hö<strong>ch</strong>st viele Mens<strong>ch</strong>en und Tiere zugrunde gegangen, weil<br />
das Wasser im Ernste sogar den hohen Ararat überspülte, aber deshalb rei<strong>ch</strong>te<br />
das natürli<strong>ch</strong>e Wasser denno<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t über die ganze Erde [wie Moses behauptet],<br />
die damals no<strong>ch</strong> lange ni<strong>ch</strong>t in allen ihren bewohnbaren Teilen bevölkert war. Es<br />
ergoss si<strong>ch</strong> aber die Flut der Sünde, die da heißt Gottvergessenheit, Hurerei,<br />
Ho<strong>ch</strong>mut, Geiz, Neid, Herrs<strong>ch</strong>su<strong>ch</strong>t und Lieblosigkeit, über das ganze Mens<strong>ch</strong>enges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t,<br />
unter dem die geistige Erde zu verstehen ist, und das ist es, was Moses<br />
15<br />
Vgl. au<strong>ch</strong> GEJ III,10,1: »Dieses Eden war ein großer Garten und bestens bestellt mit den besten<br />
Frü<strong>ch</strong>ten der ganzen Erde«.<br />
16<br />
Mit »Urkir<strong>ch</strong>e« greift Lorber den swedenborgs<strong>ch</strong>en Terminus »Antiquissima Ecclesia« auf, der<br />
in den alten Übersetzungen der »himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnisse« sowohl mit »älteste Kir<strong>ch</strong>e« (zum<br />
Beispiel HG 1139) als au<strong>ch</strong> mit »Urkir<strong>ch</strong>e« (HG 986, 1013, 1241, 1259, 1263, 1384, 1540,<br />
1587, 1588, 1607, 1622, 7476) übersetzt wurde.
Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1-11) 13<br />
unter der allgemeinen Sündflut verstanden haben will. Die hö<strong>ch</strong>sten Berge, über die<br />
die Flut si<strong>ch</strong> ergoss, sind der große Ho<strong>ch</strong>mut der damaligen Mens<strong>ch</strong>en, die über<br />
die Völker herrs<strong>ch</strong>ten, und die Überflutung ist die Demütigung, die damals über<br />
alle Beherrs<strong>ch</strong>er kam, und zwar in jedem Rei<strong>ch</strong>e auf eine eigene, entspre<strong>ch</strong>ende<br />
Art.« (GEJ VII,91,21f.). Die mosais<strong>ch</strong>e, weltweite Sintflut hat es also nie gegeben;<br />
glei<strong>ch</strong>wohl gab es eine Wasserflut, die jedo<strong>ch</strong> auf Teile Asiens bes<strong>ch</strong>ränkt war<br />
und außerdem andere Ursa<strong>ch</strong>en hatte, als es der mosais<strong>ch</strong>e Beri<strong>ch</strong>t sagt. Natürli<strong>ch</strong><br />
hängen die historis<strong>ch</strong>e Flut und die mosais<strong>ch</strong>e irgendwie zusammen, aber der<br />
mosais<strong>ch</strong>e Beri<strong>ch</strong>t ist stilisiert und will im wesentli<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t die historis<strong>ch</strong>e<br />
Wirkli<strong>ch</strong>keit, sondern ein geistiges Ges<strong>ch</strong>ehen bes<strong>ch</strong>reiben. Wir sehen, wie genau<br />
man unters<strong>ch</strong>eiden muss, um ni<strong>ch</strong>t kurzs<strong>ch</strong>lüssig auf Widersprü<strong>ch</strong>e zu kommen.<br />
Damit ist klar, dass au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Lorber die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten der Bibel primär eine<br />
geistige Bedeutung haben und deswegen »gema<strong>ch</strong>te Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten« sind, weil sie<br />
eben so, wie bei Moses ges<strong>ch</strong>ildert, ni<strong>ch</strong>t ges<strong>ch</strong>ehen sind. Eva ist eben ni<strong>ch</strong>t aus<br />
einer Rippe entstanden usw. Glei<strong>ch</strong>wohl ist historis<strong>ch</strong> etwas ges<strong>ch</strong>ehen, denn es<br />
gab ja die Zeit der ältesten Kir<strong>ch</strong>e, jenes sagenhafte Goldene Zeitalter. Do<strong>ch</strong> diese<br />
historis<strong>ch</strong>e Wirkli<strong>ch</strong>keit lässt si<strong>ch</strong> nur indirekt aus der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te ers<strong>ch</strong>ließen.<br />
Dass es jedo<strong>ch</strong> eine Offenbarung über dieses Zeitalter geben wird, kündigte ausgere<strong>ch</strong>net<br />
Swedenborg an, der in den Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten »gema<strong>ch</strong>te Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten« sah:<br />
»In der ältesten Kir<strong>ch</strong>e, mit der der Herr von Angesi<strong>ch</strong>t zu Angesi<strong>ch</strong>t spra<strong>ch</strong>, ers<strong>ch</strong>ien<br />
er wie ein Mens<strong>ch</strong>, wovon vieles beri<strong>ch</strong>tet werden kann, aber es ist no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />
an der Zeit.« (HG 49). Die »Haushaltung Gottes« ist der historis<strong>ch</strong>e Beri<strong>ch</strong>t über<br />
jene sagenhafte Zeit der ältesten Kir<strong>ch</strong>e. Aber au<strong>ch</strong> hier muss man si<strong>ch</strong> vor Kurzs<strong>ch</strong>lüssen<br />
in A<strong>ch</strong>t nehmen, denn die ältesten Mens<strong>ch</strong>en da<strong>ch</strong>ten ni<strong>ch</strong>t so irdis<strong>ch</strong>,<br />
wie wir heute, deswegen kann au<strong>ch</strong> der Beri<strong>ch</strong>t über jene ferne Zeit ni<strong>ch</strong>t so irdis<strong>ch</strong><br />
ausfallen, wie wir meinen. Daher warnt uns der Herr, die »Haushaltung«<br />
ni<strong>ch</strong>t nur als ein Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tsbu<strong>ch</strong> zu betra<strong>ch</strong>ten: »Wohl jedem, der das darinnen [=<br />
in der Haushaltung] dur<strong>ch</strong>leu<strong>ch</strong>tende Gesetz der Liebe wird zum Grunde seines<br />
Lebens ma<strong>ch</strong>en; denn er wird dann darinnen au<strong>ch</strong> das wahre, ewige Leben finden!<br />
Wer es aber nur lesen wird wie ein anderes mär<strong>ch</strong>enhaftes Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tsbu<strong>ch</strong>, der<br />
wird eine sehr magere Ernte bekommen für den Geist!« (HGt III,365,20f.). Und<br />
ergänzend heißt es im »großen Evangelium«: Die »Haushaltung Gottes« ist »naturmäßig<br />
und geistig gemengt« gegeben (GEJ IV,163,4). Das heißt: Die »Haushaltung«<br />
ist nun zwar ein sehr viel mehr naturmäßiger Beri<strong>ch</strong>t als die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te,<br />
aber denno<strong>ch</strong> muss man immer au<strong>ch</strong> mit der geistigen Bedeutung<br />
re<strong>ch</strong>nen, ja viellei<strong>ch</strong>t sind einige Beri<strong>ch</strong>te sogar nur geistig gemeint.<br />
Ein weiteres Problem sind, wie s<strong>ch</strong>on gesagt, die Kollektiv- oder Individualpersonen.<br />
Aber au<strong>ch</strong> hier muss man grundsätzli<strong>ch</strong> sagen, dass Swedenborg die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />
der Bibel interpretiert - und da ist nun einmal Adam das hebräis<strong>ch</strong>e Wort<br />
für Mens<strong>ch</strong> -, während Lorber die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Mens<strong>ch</strong>heit s<strong>ch</strong>reibt und in<br />
Adam, um dabei zu bleiben, den ersten geistbegabten Mens<strong>ch</strong>en sieht. Aber man<br />
kann das no<strong>ch</strong> deutli<strong>ch</strong>er herausarbeiten. Denn Lorber unters<strong>ch</strong>eidet mit aller<br />
Deutli<strong>ch</strong>keit die sozusagen swedenborgs<strong>ch</strong>e Interpretationsstufe und die denno<strong>ch</strong>
14 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
mögli<strong>ch</strong>e Si<strong>ch</strong>t der »Haushaltung«: »Sehet, alles, was Moses mit seiner S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />
sagt und so ganz eigentli<strong>ch</strong> sagen will, bezieht si<strong>ch</strong> zu allernä<strong>ch</strong>st<br />
nur auf die Erziehung und geistige Bildung der ersten Mens<strong>ch</strong>en [Plural!]<br />
überhaupt, und nur dur<strong>ch</strong> Entspre<strong>ch</strong>ung au<strong>ch</strong> auf die des allerersten Mens<strong>ch</strong>enpaares.«<br />
(GEJ IV,162,3). Demna<strong>ch</strong> haben sowohl Swedenborg als au<strong>ch</strong> Lorber<br />
re<strong>ch</strong>t. Moses meinte tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>, wie Swedenborg erkannte, mit »Adam« die ältesten<br />
Mens<strong>ch</strong>en (Plural!); dessenungea<strong>ch</strong>tet gab es aber au<strong>ch</strong> ein erstes Mens<strong>ch</strong>enpaar.<br />
17 Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass der Urmens<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> kein so<br />
ausgebildetes I<strong>ch</strong>bewusstsein hatte wie wir, so dass das Kollektive und das Individuelle<br />
no<strong>ch</strong> enger beieinander liegen. No<strong>ch</strong> im Alten Testament kann man beoba<strong>ch</strong>ten,<br />
dass individuelle Persönli<strong>ch</strong>keiten zuglei<strong>ch</strong> kollektive Persönli<strong>ch</strong>keiten<br />
sind. So ist Israel zuglei<strong>ch</strong> der Name einer Einzelpersönli<strong>ch</strong>keit und eines Volkes.<br />
Glei<strong>ch</strong>es gilt für Edom und die Edomiter, Ismael und die Ismaeliter, Moab und die<br />
Moabiter usw. Au<strong>ch</strong> in der »Haushaltung« werden beide Si<strong>ch</strong>tweisen verbunden:<br />
»Und wie vorher Adam und Eva nur als das erste Mens<strong>ch</strong>enpaar haben angesehen<br />
werden können, so kann es [das erste Mens<strong>ch</strong>enpaar] nun au<strong>ch</strong> als die erste<br />
Gründung der Kir<strong>ch</strong>e Jehovas angesehen werden« (HGt I,169,6). Demna<strong>ch</strong> können<br />
Adam und Eva individuell (= erstes Mens<strong>ch</strong>enpaar) und kollektiv (= erste Kir<strong>ch</strong>e)<br />
interpretiert werden. Glei<strong>ch</strong>es gilt für die übrigen »Personen« der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te.<br />
17<br />
In diesem Zusammenhang sei au<strong>ch</strong> darauf hingewiesen, dass in der »Haushaltung« der allgemeine<br />
und der besondere Adam unters<strong>ch</strong>ieden werden (HGt I,40; 47,1; II,114,3ff.). Da das<br />
aber in no<strong>ch</strong> andere Interpretationsräume führt, mö<strong>ch</strong>te i<strong>ch</strong> darauf ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> eingehen.<br />
Im übrigen betrifft es ja nur Adam und ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> die übrigen Personen der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te.
Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 15<br />
Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1)<br />
1. Zum Verhältnis der zwei S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>te<br />
Es gibt zwei S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten. Jeder Bibelleser kann sehen, dass die Ers<strong>ch</strong>affung<br />
des Mens<strong>ch</strong>en - und ni<strong>ch</strong>t nur die - zweimal beri<strong>ch</strong>tet wird, nämli<strong>ch</strong> in<br />
Genesis 1,26f und in Genesis 2,7. Diese und andere Beoba<strong>ch</strong>tungen 18 führten in<br />
der Bibelwissens<strong>ch</strong>aft zur Annahme zweier Quellen, der sogenannten Priesters<strong>ch</strong>rift<br />
und dem Jahwisten. Do<strong>ch</strong> die Neuoffenbarung hat einen anderen Erklärungsansatz:<br />
Ȇbrigens aber ist dem Wortlaute na<strong>ch</strong> die Vortextierung [Genesis 1]<br />
von der Na<strong>ch</strong>textierung [Genesis 2] ni<strong>ch</strong>t gar so vers<strong>ch</strong>ieden, als du es meinst;<br />
denn die Na<strong>ch</strong>textierung kommentiert vielmehr die Vortextierung und bes<strong>ch</strong>reibt<br />
die Art und Weise - wenns<strong>ch</strong>on eigentli<strong>ch</strong> in geistig entspre<strong>ch</strong>ender Weise - näher,<br />
wie des Mens<strong>ch</strong>en Werdung vor si<strong>ch</strong> gegangen ist.« (GEJ IV,162,1). Genesis<br />
2, die »Na<strong>ch</strong>textierung«, ist also als Kommentar zu Genesis 1, der »Vortextierung«,<br />
zu lesen. Wel<strong>ch</strong>e Auslegung si<strong>ch</strong> aus diesem Ansatz ergibt, ist bei Swedenborg<br />
na<strong>ch</strong>zulesen: »In diesem Kapitel [Genesis 2] wird vom himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en<br />
gehandelt; im vorhergehenden [Genesis 1] war vom geistigen die Rede« (HG 81).<br />
Himmlis<strong>ch</strong> bezei<strong>ch</strong>net bei Swedenborg alles zur Liebe und zum Willen Gehörige;<br />
geistig alles zur Weisheit, zum Li<strong>ch</strong>t und zum Verstand Gehörige. Genesis 1<br />
s<strong>ch</strong>ildert also die Wiedergeburt aus dem Li<strong>ch</strong>t. Das ist ein Vorgang, der no<strong>ch</strong><br />
Kampf bedeutet (Gen 1,28); dieser Vorgang vollzieht si<strong>ch</strong> von außen na<strong>ch</strong> innen 19 ,<br />
das heißt vom Verstand (oder der bewussten Intention) zum Willen. Genesis 2<br />
hingegen s<strong>ch</strong>ildert die eigentli<strong>ch</strong>e Wiedergeburt; »eigentli<strong>ch</strong>« deswegen, weil sie<br />
si<strong>ch</strong> von innen na<strong>ch</strong> außen vollzieht und die Ruhe des siebenten Tages bewirkt,<br />
die darin besteht, dass der äußere Mens<strong>ch</strong> dem inneren wirkli<strong>ch</strong> gehor<strong>ch</strong>t. Diese<br />
Differenz aufgreifend unters<strong>ch</strong>eidet Swedenborg die Umbildung (reformatio) von<br />
der Wiedergeburt (regeneratio) 20 . Die Umbildung ist sozusagen die uneigentli<strong>ch</strong>e<br />
Wiedergeburt und das Thema des Se<strong>ch</strong>stagewerkes. Man kann jedo<strong>ch</strong> in der<br />
»Wiedergeburt« au<strong>ch</strong> den Oberbegriff für Umbildung und Wiedergeburt sehen;<br />
und dann führt au<strong>ch</strong> das Se<strong>ch</strong>stagewerk zur Wiedergeburt oder zur geistigen<br />
S<strong>ch</strong>öpfung des Mens<strong>ch</strong>en. Was das im einzelnen bedeutet, werden wir no<strong>ch</strong> sehen.<br />
2. Das Thema der S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1)<br />
2.1. Die geistige Aussageebene<br />
Genesis 1 handelt »im allgemeinen von der neuen S<strong>ch</strong>öpfung oder Wiedergeburt<br />
des Mens<strong>ch</strong>en und im besonderen von der ältesten Kir<strong>ch</strong>e« (HG 4). Swedenborg<br />
18<br />
S<strong>ch</strong>on Cyrenius hatte sol<strong>ch</strong>e Merkwürdigkeiten in den Texten gesehen, siehe GEJ IV,161,2-<br />
4+9.<br />
19<br />
Siehe HG 64.<br />
20<br />
Vgl. hierzu HG 10729, 8539 und WCR 571.
16 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
sieht also zwei Bedeutungsebenen: eine, die an keine bestimmte Zeit gebunden<br />
ist, denn Mens<strong>ch</strong>en können zu allen Zeiten wiedergeboren werden; und eine, die<br />
eine ganz bestimmte Zeit meint, nämli<strong>ch</strong> die der ältesten Kir<strong>ch</strong>e. Swedenborgs<br />
Auslegung bes<strong>ch</strong>ränkt si<strong>ch</strong> dann jedo<strong>ch</strong> auf die allgemeine Bedeutungsebene,<br />
denn er will ledigli<strong>ch</strong> zeigen, dass »die se<strong>ch</strong>s Tage oder Zeiten … ebenso viele<br />
aufeinanderfolgende Zustände der Wiedergeburt des Mens<strong>ch</strong>en« sind (HG 6) 21 .<br />
Immerhin deutet Swedenborg aber bei seiner Auslegung des ersten Wortes, nämli<strong>ch</strong><br />
»im Anfang (beres<strong>ch</strong>it)«, an, dass es sowohl »die älteste Zeit« (also die Urzeit<br />
der adamis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>heit), als au<strong>ch</strong> »die erste Zeit der Wiedergeburt des Mens<strong>ch</strong>en«<br />
(HG 16) bedeutet. Do<strong>ch</strong> die Enthüllung der Urzeit war ni<strong>ch</strong>t Swedenborgs<br />
Auftrag, obglei<strong>ch</strong> wir denno<strong>ch</strong> einige Informationen über den Urmens<strong>ch</strong>en erhalten.<br />
Es ist nun interessant, dass au<strong>ch</strong> die Lorbers<strong>ch</strong>riften die beiden Bedeutungsebenen<br />
kennen, denn was »Moses von der S<strong>ch</strong>öpfung sagt, hat mit der Ers<strong>ch</strong>affung<br />
der Welt gar ni<strong>ch</strong>ts zu tun, sondern allein nur mit der Bildung des Mens<strong>ch</strong>en<br />
von der Wiege angefangen bis zu seiner Vollendung hin« (GEJ III,235,1) 22 . Das ist<br />
die Ebene der Wiedergeburt. Dass die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te aber au<strong>ch</strong> von der<br />
ältesten Kir<strong>ch</strong>e handelt, wird in den folgenden Texten deutli<strong>ch</strong> gesagt: So heißt es<br />
von der »Haushaltung«, dass sie »die vollste Erklärung der in der Bibel von Moses<br />
bezei<strong>ch</strong>neten se<strong>ch</strong>s S<strong>ch</strong>öpfungstage« gibt, »dur<strong>ch</strong> die ni<strong>ch</strong>ts anderes verstanden<br />
werden soll als eben die Gründung der ersten Kir<strong>ch</strong>e auf dem Erdkörper« (HGt<br />
II,172,1). Ferner lesen wir: »Sehet, alles, was Moses mit seiner S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />
sagt und so ganz eigentli<strong>ch</strong> sagen will, bezieht si<strong>ch</strong> zu allernä<strong>ch</strong>st nur<br />
auf die Erziehung und geistige Bildung der ersten Mens<strong>ch</strong>en überhaupt [also der<br />
ältesten Kir<strong>ch</strong>e], und nur dur<strong>ch</strong> Entspre<strong>ch</strong>ung au<strong>ch</strong> auf die des allerersten Mens<strong>ch</strong>enpaares.«<br />
(GEJ IV,162,3). Moses bes<strong>ch</strong>äftigt si<strong>ch</strong> in seiner Bilderspra<strong>ch</strong>e bloß<br />
nur mit dem, »was da die Urbildung der ersten Mens<strong>ch</strong>en der Erde betrifft« (GEJ<br />
II,215,2) und gibt si<strong>ch</strong> ledigli<strong>ch</strong> und nahezu allein nur »mit der ersten Herzensund<br />
Verstandesbildung der Mens<strong>ch</strong>en« ab (GEJ II,215,2). »Moses stellt in seiner<br />
S<strong>ch</strong>öpfungsdarstellung nur Bilder auf, die die Gründung der ersten Erkenntnis<br />
Gottes bei den Mens<strong>ch</strong>en der Erde kundgeben, ni<strong>ch</strong>t aber die materielle S<strong>ch</strong>öpfung<br />
der Erde und aller anderen Welten.« (GEJ I,156,9). Die Gründung der Urkir<strong>ch</strong>e<br />
ist jedo<strong>ch</strong> nur die zeitli<strong>ch</strong> erste Realisierung der an si<strong>ch</strong> zeitlosen Wahrheit.<br />
Daher beinhaltet Genesis 1 au<strong>ch</strong> »die Gründung der Kir<strong>ch</strong>e Gottes auf Erden bis<br />
auf diese Zeiten und fortan bis ans Weltende« (GEJ III,235,1). Und da »die Erziehung<br />
und geistige Bildung der ersten Mens<strong>ch</strong>en« (GEJ IV,162,3) dem allgemeinen<br />
Muster der Wiedergeburt folgte, wird die »Haushaltung«, die diese Bildung s<strong>ch</strong>il-<br />
21<br />
Siehe au<strong>ch</strong> Swedenborgs Bemerkung na<strong>ch</strong> der Auslegung von Genesis 1 in HG 64.<br />
22<br />
Siehe au<strong>ch</strong> GEJ III,222,4: Man kann sehen, »dass die Genesis Mosis ni<strong>ch</strong>t so sehr die eigentli<strong>ch</strong>e<br />
Ers<strong>ch</strong>affung der Welten, als vielmehr und eigentli<strong>ch</strong> vor allem nur die geistige Erziehung<br />
und Bildung des ganzen Mens<strong>ch</strong>en und seines freien Willens, in die Gottesordnung einund<br />
übergehend, darstellt.«
Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 17<br />
dert, ein »neues Bu<strong>ch</strong> des Lebens« (siehe HGt III,88,2) genannt. Außerdem weise<br />
i<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on jetzt darauf hin, dass in den oben zitierten Lorbertexten oft von »Bildung«<br />
(einmal au<strong>ch</strong> von »Erkenntnis«) die Rede ist. Bei der Auslegung von Genesis<br />
1 werden wir sehen, dass dort das Li<strong>ch</strong>t des Wahren, also die »Herzens- und<br />
Verstandesbildung« (GEJ II,215,2) die ents<strong>ch</strong>eidende Rolle spielt.<br />
2.2. Die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te als Folgewirkung<br />
Ein weiterer Aspekt darf ni<strong>ch</strong>t unerwähnt bleiben. Er betrifft das Verhältnis von<br />
»Bildung« und »Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te«: »wer den weiteren Verlauf der Mosais<strong>ch</strong>en Bü<strong>ch</strong>er<br />
nur einigermaßen s<strong>ch</strong>ärfer ins Auge fasst als irgendeine Fabel des grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en<br />
Di<strong>ch</strong>ters Aesop, der muss es ja do<strong>ch</strong> bald merken, dass si<strong>ch</strong> Moses in seiner Bilderspra<strong>ch</strong>e<br />
bloß nur mit dem bes<strong>ch</strong>äftigt, was da die Urbildung der ersten Mens<strong>ch</strong>en<br />
der Erde betrifft, und somit keineswegs etwa nur die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />
der Erde und des Himmels und all der Ges<strong>ch</strong>öpfe auf der Erde und in der Erde<br />
behandelt, sondern si<strong>ch</strong> vor allem ledigli<strong>ch</strong> und nahezu allein nur mit der ersten<br />
Herzens- und Verstandesbildung der Mens<strong>ch</strong>en abgibt; darum er au<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong> das<br />
Mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>-Historis<strong>ch</strong>e daran bindet. Die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te aber konnte ja nur ein Produkt<br />
der intelligenten Bildung der Mens<strong>ch</strong>en und nie der stummen ges<strong>ch</strong>affenen Natur<br />
sein, die si<strong>ch</strong> völlig glei<strong>ch</strong>geblieben ist bis auf diese Zeit und au<strong>ch</strong> also verbleiben<br />
wird bis ans Ende aller Zeiten.« (GEJ II,215,2f.). Dieser hermeneutis<strong>ch</strong> hö<strong>ch</strong>st interessante<br />
Hinweis bezieht si<strong>ch</strong> zunä<strong>ch</strong>st nur auf die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, ließe<br />
si<strong>ch</strong> aber viellei<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> auf die ganze Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te ausweiten. Denn i<strong>ch</strong> habe ja<br />
gezeigt, dass die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te glei<strong>ch</strong>sam das Präludium der ab Genesis 12 beginnenden<br />
»wahren Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te« ist. Dieses Vorspiel führt uns in die Vorhalle der<br />
Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te ein; Vorhalle deswegen, weil die »Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te … ja nur ein Produkt der<br />
intelligenten Bildung der Mens<strong>ch</strong>en« sein konnte. Das heißt: Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />
oder (wenn man den Rahmen weiter fassen darf) die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te s<strong>ch</strong>ildert<br />
uns die Voraussetzungen der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te. Der Mens<strong>ch</strong> musste erst zu dem<br />
werden, was er nun ist, nämli<strong>ch</strong> ein Bild Gottes, das si<strong>ch</strong> selbst verleugnet, bevor<br />
er das bewirken konnte, was er tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> bewirkt hat. In diesem Sinne ist die<br />
S<strong>ch</strong>öpfungs- oder die ganze Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te die Grundsteinlegung des ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en<br />
Prozesses. Die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te hat also, au<strong>ch</strong> von dieser Warte aus<br />
gesehen, eine eminent historis<strong>ch</strong>e Dimension, au<strong>ch</strong> wenn sie nur »gema<strong>ch</strong>te Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te«<br />
ist.<br />
2.3. Die natürli<strong>ch</strong>-kosmologis<strong>ch</strong>e Dimension des S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>tes<br />
S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> lässt der so sehr in Misskredit geratene S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> Rücks<strong>ch</strong>lüsse<br />
auf die natürli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>öpfung zu. Allerdings ist dazu »die Weisheit der<br />
Engel« erforderli<strong>ch</strong>: »So dir die Weisheit der Engel eigen ist, dann wirst du aus<br />
dem rein Geistigen in rückgängiger Entspre<strong>ch</strong>ung ins Naturmäßige hinaus au<strong>ch</strong><br />
die ganze natürli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>öpfung auf ein Haar genau aus dem finden, was Moses in
18 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
seiner Genesis sagt« (GEJ I,162,5) 23 . Das Ergebnis präsentiert uns der Herr, indem<br />
er von den Erdbildungsperioden spri<strong>ch</strong>t. Dass sie mit den Tagen der mosais<strong>ch</strong>en<br />
S<strong>ch</strong>öpfung in Beziehung stehen, wird ausdrückli<strong>ch</strong> gesagt: »Na<strong>ch</strong> und aus den<br />
eu<strong>ch</strong> nun so einfa<strong>ch</strong> und klar als mögli<strong>ch</strong> dargestellten Bildungsperioden könnet<br />
ihr aber no<strong>ch</strong> etwas entnehmen, und zwar den eigentli<strong>ch</strong>en Urgrund, aus dem der<br />
Prophet Moses die S<strong>ch</strong>öpfung in se<strong>ch</strong>s Tage eingeteilt hat. Diese se<strong>ch</strong>s Tage sind<br />
demna<strong>ch</strong> die eu<strong>ch</strong> gezeigten se<strong>ch</strong>s Perioden« (GEJ VIII,73,10f.). Allerdings ist<br />
tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> »die Weisheit der Engel« notwendig, um die Entwicklungsprozesse der<br />
Erdbildungsperioden mit dem mosais<strong>ch</strong>en Beri<strong>ch</strong>t in Übereinstimmung zu bringen,<br />
denn beispielsweise passen die Vorgänge der fünften Periode (GEJ VIII,72,10<br />
und 73,4) eigentli<strong>ch</strong> besser zum vierten Tag. Do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> das zeigt nur, dass jede<br />
bu<strong>ch</strong>stäbli<strong>ch</strong>e Auslegung des mosais<strong>ch</strong>en Beri<strong>ch</strong>tes s<strong>ch</strong>eitern muss, obwohl er<br />
au<strong>ch</strong> eine natürli<strong>ch</strong>e Aussagedimension hat, die uns das Lorberwerk enthüllt.<br />
3. Die Auslegung der S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1)<br />
3.1. Vorbemerkung zur Auslegung<br />
Die folgende Auslegung orientiert si<strong>ch</strong> an Swedenborg und Lorber. Swedenborg<br />
hat den inneren Sinn des Se<strong>ch</strong>stagewerkes in den »himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnissen«<br />
Nr. 6 bis 66 enthüllt; einzelne Verse werden aber au<strong>ch</strong> an zahlrei<strong>ch</strong>en anderen<br />
Stellen behandelt 24 . Hinzuweisen ist ferner auf die Auslegungen in der »Historia<br />
Creationis a Mose tradita« 25 und der »Explicatio in Verbum Historicum Veteris<br />
Testamenti« 26 Nr. 2 bis 15. Beide Werke wurden zwar na<strong>ch</strong> der Berufungsvision<br />
(1745) ges<strong>ch</strong>rieben, aber von Swedenborg selbst nie veröffentli<strong>ch</strong>t, denn sie sind<br />
no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t göttli<strong>ch</strong>e Offenbarungen. Bei Lorber wird das Se<strong>ch</strong>stagewerk vollständig<br />
nur in GEJ I,157-162 ausgelegt; drei weitere Deutungen des ersten Tages sind<br />
in GEJ II,219-221, GEJ III,28 und GEJ III,235 zu finden.<br />
3.2. Die Strukturen des S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>tes<br />
3.2.1. Die doppelte Triadenstruktur<br />
Der S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t besteht aus a<strong>ch</strong>t Werken, die auf se<strong>ch</strong>s Tage verteilt sind.<br />
Die a<strong>ch</strong>t Werke sind: 1. das Li<strong>ch</strong>t, 2. die Feste (Firmament), 3. das Meer und das<br />
Land, 4. die Pflanzen, 5. die Gestirne, 6. die Wasser- und Lufttiere, 7. die Landtiere<br />
und 8. der Mens<strong>ch</strong>. Wenn man si<strong>ch</strong> die Verteilung der Werke auf die Tage an-<br />
23<br />
Vgl. au<strong>ch</strong> GEJ I,158,15; II,215,6.<br />
24<br />
Siehe Arthur Hodson Searle, General Index to Swedenborgs Scripture Quotations, London<br />
1954.<br />
25<br />
Übersetzung des Titels: »Die von Moses überlieferte Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der S<strong>ch</strong>öpfung«. Na<strong>ch</strong> William<br />
Ross Woofenden, Swedenborg Resear<strong>ch</strong>er's Manual, Bryn Athyn 1988, Seite 65f wurde diese<br />
S<strong>ch</strong>rift 1745 ges<strong>ch</strong>rieben.<br />
26<br />
Übersetzung des Titels: »Erklärung des historis<strong>ch</strong>en Wortes des Alten Testaments«. Na<strong>ch</strong><br />
William R. Woofenden, a.a.O., Seite 66f wurde dieses umfangrei<strong>ch</strong>e Werk 1746 ges<strong>ch</strong>rieben.
Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 19<br />
s<strong>ch</strong>aut, dann erkennt man eine Struktur: Der erste und der zweite S<strong>ch</strong>öpfungstag<br />
haben je ein Werk; der dritte zwei; der vierte und der fünfte wieder je ein Werk;<br />
und der se<strong>ch</strong>ste wieder zwei Werke. Die Werke sind also na<strong>ch</strong> dem S<strong>ch</strong>ema einseins-zwei<br />
und eins-eins-zwei verteilt. Folgli<strong>ch</strong> bilden der erste bis dritte Tag eine<br />
Einheit; und ebenso der vierte bis se<strong>ch</strong>ste Tag. Untersu<strong>ch</strong>t man die auf diesem<br />
Wege erkannten Triaden (Dreiheiten) weiter, dann ma<strong>ch</strong>t man weitere Beoba<strong>ch</strong>tungen,<br />
die für diese Strukturanalyse spre<strong>ch</strong>en. Denn das erste Werk der beiden<br />
Triaden hat mit dem Li<strong>ch</strong>t zu tun, mit dem Li<strong>ch</strong>t des ersten und den Li<strong>ch</strong>tkörpern<br />
des vierten Tages. Das zweite Werk der beiden Triaden betrifft den unteren und<br />
den oberen Berei<strong>ch</strong>; das heißt am zweiten Tag die Wasser unterhalb und oberhalb<br />
der Feste und am fünften Tag die Tiere unterhalb und oberhalb der Erde (die Wasser-<br />
und Lufttiere). Und s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> das dritte und vierte Werk der beiden Triaden<br />
betrifft die Erde: am dritten Tag das Hervortreten der Erde und die Entstehung der<br />
Pflanzenwelt, am se<strong>ch</strong>sten Tag die Landtiere und der Mens<strong>ch</strong>.<br />
Diese Strukturanalyse zeigt deutli<strong>ch</strong> die beherrs<strong>ch</strong>ende Stellung des Li<strong>ch</strong>tes; es ist<br />
der Anfang der Wiedergeburt; die Initiative geht vom Li<strong>ch</strong>t aus. Deswegen ist es<br />
wi<strong>ch</strong>tig, den Bedeutungsrei<strong>ch</strong>tum der Li<strong>ch</strong>tmetapher zu kennen. Das Li<strong>ch</strong>t bezei<strong>ch</strong>net<br />
in der Heiligen S<strong>ch</strong>rift Gott oder sein Ers<strong>ch</strong>einen: »Und dies ist die Bots<strong>ch</strong>aft,<br />
die wir von ihm (Jesus Christus) gehört haben und eu<strong>ch</strong> verkündigen: dass<br />
Gott Li<strong>ch</strong>t ist …« (1. Joh 1,5). »Er (der Herr) umhüllt si<strong>ch</strong> mit Li<strong>ch</strong>t wie mit einem<br />
Gewand« (Ps 104,2) 27 . Dieses Li<strong>ch</strong>tgewand heißt in der Heiligen S<strong>ch</strong>rift au<strong>ch</strong> »die<br />
Herrli<strong>ch</strong>keit des Herrn«, denn sie bezei<strong>ch</strong>net die Li<strong>ch</strong>ters<strong>ch</strong>einung Gottes, die<br />
ihrem Wesen na<strong>ch</strong> das göttli<strong>ch</strong>e Wahre ist (HG 8427, 9429). Daher ers<strong>ch</strong>eint Gott<br />
den Engeln als das Li<strong>ch</strong>tzentrum (Sonne); das innere Wesen dieses Gottesli<strong>ch</strong>tes<br />
freili<strong>ch</strong> ist die Liebe, und das Li<strong>ch</strong>t ist nur die Offenbarung der Liebe in der Herrli<strong>ch</strong>keit<br />
des Li<strong>ch</strong>tes. Aus dem bisher Gesagten geht ferner hervor, dass das Li<strong>ch</strong>t<br />
in der Heiligen S<strong>ch</strong>rift au<strong>ch</strong> die Weisheit bezei<strong>ch</strong>net: »Sende dein Li<strong>ch</strong>t und deine<br />
Wahrheit, dass sie mi<strong>ch</strong> führen …« (Ps 43,3). »Dein Wort ist meines Fußes Leu<strong>ch</strong>te<br />
und ein Li<strong>ch</strong>t auf meinen Weg.« (Ps 119,105). Und da, wie gesagt, die Liebe das<br />
innere Wesen des Li<strong>ch</strong>tes ist, ist die Wirkung des Li<strong>ch</strong>tes das Leben; denn das<br />
Li<strong>ch</strong>t könnte kein Leben erwecken, wenn es das Leben ni<strong>ch</strong>t in si<strong>ch</strong> tragen würde.<br />
Daher lesen wir in den Weisheitsbü<strong>ch</strong>ern des Alten Bundes: »Wer mi<strong>ch</strong> (die<br />
Weisheit) findet, findet Leben« (Spr 8,35). »Wer sie (die Weisheit) liebt, liebt das<br />
Leben« (Sir 4,12). Und bei Johannes heißt es: »I<strong>ch</strong> bin das Li<strong>ch</strong>t der Welt. Wer mir<br />
na<strong>ch</strong>folgt, der wird ni<strong>ch</strong>t in der Finsternis wandeln, sondern das Li<strong>ch</strong>t des Lebens<br />
haben.« (Joh 8,12). Denn das »vom Herrn ausgehende Li<strong>ch</strong>t ist das eigentli<strong>ch</strong>e<br />
Leben« (OE 349). Oder mit Lorber gespro<strong>ch</strong>en: »Li<strong>ch</strong>t und Leben« ist »eines und<br />
dasselbe, und das Li<strong>ch</strong>t ist … nur eine Ers<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit des Lebens.« (Fl. 11). Damit<br />
ist nun klar, wie es zu verstehen ist, dass das Li<strong>ch</strong>t als die Ers<strong>ch</strong>einungsform<br />
des Lebens den Prozess der Wiedergeburt einleitet und bewirkt.<br />
27<br />
Weitere Stellen zum Zusammenhang Gott und Li<strong>ch</strong>t: Jes 60,19f; Ps 4,7; Joh 12,46; Offb 22,5;<br />
Offb 21,23; 1.Tim 6,16; die Verwendung des Li<strong>ch</strong>tes im Johannesprolog.
20 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Die Werke des zweiten und fünften Tages betreffen den Verstandesberei<strong>ch</strong>. Damit<br />
meine i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t nur den Gehirnverstand, sondern überhaupt den ganzen Berei<strong>ch</strong><br />
des Verstehens. Na<strong>ch</strong>dem zuerst vom Li<strong>ch</strong>t die Rede war, ist nun von den im<br />
Mens<strong>ch</strong>en wahrnehmbaren Formen des Li<strong>ch</strong>tes die Rede, das heißt: den Informationen,<br />
den Erkenntnissen usw. Die Zuordnung des mittleren Abs<strong>ch</strong>nittes der<br />
beiden Triaden zum Verstandesberei<strong>ch</strong> ist aus Swedenborgs Auslegung ersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>.<br />
Demna<strong>ch</strong> sind »die Wasser unterhalb der Feste« (7) »die Wissensdinge (Informationen)<br />
des äußeren Mens<strong>ch</strong>en« (HG 24) und »die Wasser oberhalb der Feste«<br />
(7) »die Erkenntnisse des inneren Mens<strong>ch</strong>en« (HG 24); denn »Wasser« bezei<strong>ch</strong>net<br />
im inneren Sinn das Wahre (HG 2702). Ähnli<strong>ch</strong>es gilt für die Wasserund<br />
Lufttiere des fünften Tages, denn das Gewimmel des Wassers oder die Fis<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>wärme<br />
(20) bezei<strong>ch</strong>nen »die (zahlrei<strong>ch</strong>en) Wissensdinge des äußeren Mens<strong>ch</strong>en«<br />
(HG 40), und »Vögel« bezei<strong>ch</strong>nen »im allgemeinen das Vernünftige, und<br />
ferner das Verständige, das (im Unters<strong>ch</strong>ied zum Vernünftigen) dem inneren<br />
Mens<strong>ch</strong>en angehört« (HG 40). Dass die Tiere des fünften Tages die Formungen<br />
des Lebens im Verstand sind, hebt Swedenborg ausdrückli<strong>ch</strong> hervor: »Die Dinge<br />
des Verstandes wurden dur<strong>ch</strong> ›das Gewimmel, wel<strong>ch</strong>es die Wasser hervorwimmeln<br />
lassen‹ und dur<strong>ch</strong> ›den Vogel über der Erde und über den Angesi<strong>ch</strong>ten der<br />
Feste‹ bezei<strong>ch</strong>net« (HG 44).<br />
Die Werke des dritten und se<strong>ch</strong>sten Tages s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> betreffen, wie gesagt, die<br />
Erde, die für den äußeren Mens<strong>ch</strong>en (HG 27), seine Hervorbringungen oder Produktionen<br />
(HG 29) und den Willen (HG 44) steht. Zur Tierwelt des se<strong>ch</strong>sten Tages<br />
s<strong>ch</strong>reibt Swedenborg: »Die Dinge des Willens werden hier dur<strong>ch</strong> ›die lebende Seele,<br />
wel<strong>ch</strong>e die Erde hervorbringen soll‹, und dur<strong>ch</strong> ›Vieh und Krie<strong>ch</strong>tiere‹ und<br />
ferner dur<strong>ch</strong> ›das Wild der Erde‹ bezei<strong>ch</strong>net.« (HG 44).<br />
Wir sehen also, dass in jeder Triade der Impuls vom Li<strong>ch</strong>t ausgeht, vom Li<strong>ch</strong>t, das<br />
Gott selbst in seiner Ers<strong>ch</strong>einung oder Offenbarung ist. Dieser Li<strong>ch</strong>timpuls wird<br />
vom Verstand aufgenommen, um si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> den Willen zu verwirkli<strong>ch</strong>en.<br />
Dieser Dreis<strong>ch</strong>ritt ist typis<strong>ch</strong> für den geistigen Mens<strong>ch</strong>en, der im Unters<strong>ch</strong>ied<br />
zum himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en das Gute und Wahre nur aus dem Glauben an<br />
das Wahre verwirkli<strong>ch</strong>en kann (HG 81); daher vollzieht si<strong>ch</strong> der Wiedergeburtstyp<br />
des Se<strong>ch</strong>stagewerkes von außen na<strong>ch</strong> innen (HG 64), dass heißt: vom Verstand<br />
zum Willen. Der geistige Mens<strong>ch</strong> versu<strong>ch</strong>t, aus dem im Verstand wahrgenommenen<br />
Li<strong>ch</strong>timpuls tätig zu werden; das Bewusstsein des Wahren geht also voran.<br />
S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> ein Wort zum Unters<strong>ch</strong>ied der beiden Triaden. Wi<strong>ch</strong>tig ist die<br />
Beoba<strong>ch</strong>tung, dass nur in der zweiten vom Leben gespro<strong>ch</strong>en wird. Viermal begegnet<br />
die »lebende Seele« (näfäs<strong>ch</strong> <strong>ch</strong>ajja, in den Versen 20, 21, 24 und 30);<br />
dreimal das »Wild der Erde« (<strong>ch</strong>ajja, in den Versen 24, 25 und 30), wobei man<br />
folgendes wissen muss: »Das Wort ›Wild‹ bedeutet in der Originalspra<strong>ch</strong>e eigentli<strong>ch</strong><br />
›Leben‹ oder ›Lebendiges‹; aber im Wort ni<strong>ch</strong>t nur das Lebendige, sondern<br />
au<strong>ch</strong> das glei<strong>ch</strong>sam Ni<strong>ch</strong>tlebendige oder das Wild.« (HG 908). Das »Wild der Erde«<br />
ist also das »Leben« des äußeren Mens<strong>ch</strong>en. Einmal ist vom »Lebendigen« die Re-
Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 21<br />
de (<strong>ch</strong>ajja 28 , im Vers 28). Demgegenüber sind die Pflanzen der ersten Triade no<strong>ch</strong><br />
ni<strong>ch</strong>t »lebende Seelen«. Das heißt, dass der Mens<strong>ch</strong> erst na<strong>ch</strong> dem vierten Tag<br />
wirkli<strong>ch</strong> lebendig wird. Somit ist das spirituelle Leben das besondere Thema der<br />
zweiten Triade.<br />
3.2.2. Der Wort- und der Tatberi<strong>ch</strong>t<br />
Eine zweite Struktur wird si<strong>ch</strong>tbar, wenn man si<strong>ch</strong> die einzelnen Werke ans<strong>ch</strong>aut.<br />
Dann sieht man, dass es zu jedem Werk einen Wort- und einen Tatberi<strong>ch</strong>t gibt.<br />
Der Wortberi<strong>ch</strong>t wird mit der Formel »Und Gott spra<strong>ch</strong>« eingeleitet; er zeigt uns<br />
das Wort als die s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong>e Kraft oder als die eigentli<strong>ch</strong>e geistige S<strong>ch</strong>öpfung.<br />
Die Ausführung des im Wort Geformten s<strong>ch</strong>ildert der Tatberi<strong>ch</strong>t, der meist mit der<br />
Formel »Und so ges<strong>ch</strong>ah es« eingeleitet wird, im übrigen aber lei<strong>ch</strong>t an der Wiederholung<br />
des im Wortberi<strong>ch</strong>t bereits Gesagten erkennbar ist.<br />
Die Doppelstruktur von Wort- und Tatberi<strong>ch</strong>t drückt den Zusammenhang von<br />
Wort und Verwirkli<strong>ch</strong>ung aus. Das Wort ist eine geistige Form der Liebe und<br />
Weisheit. Na<strong>ch</strong> Swedenborg ist das Wort »in seinem Wesen … das göttli<strong>ch</strong>e Gute<br />
der göttli<strong>ch</strong>en Liebe und das göttli<strong>ch</strong>e Wahre der göttli<strong>ch</strong>en Weisheit des Herrn«<br />
(EO 200). Ganz ähnli<strong>ch</strong> drückt si<strong>ch</strong> Heno<strong>ch</strong> in einer großartigen Rede über das<br />
Wesen des Wortes aus:<br />
LORBER: »Wie aber die Form aller Dinge in ihrer größten Vers<strong>ch</strong>iedenheit ist ein<br />
Ausdruck der natürli<strong>ch</strong>en Wärme in der Verbindung des Li<strong>ch</strong>tes … so ist au<strong>ch</strong> die<br />
Spra<strong>ch</strong>e des Mens<strong>ch</strong>en eine gebildete Form der geistigen Wärme, wel<strong>ch</strong>e die göttli<strong>ch</strong>e<br />
Liebe im Herzen ist, und des geistigen Li<strong>ch</strong>tes, wel<strong>ch</strong>es die göttli<strong>ch</strong>e Gnade im<br />
Mens<strong>ch</strong>en ist. Wie mö<strong>ch</strong>ten wir verständige Worte spre<strong>ch</strong>en, wenn sie ni<strong>ch</strong>t als<br />
ewige Formen des Geistes uns gegeben wären?! Da wir aber alle Dinge benennen<br />
können, sagt, wer lehrte uns das? Gott allein konnte das, da Er allein nur der ewige<br />
Inbegriff aller Formen ist, weil Er das Leben und Li<strong>ch</strong>t oder die Liebe und Weisheit<br />
Selbst und als die ewige, unzertrennli<strong>ch</strong>e Verbindung der beiden die Urform aller<br />
Formen oder das Urwesen aller Wesen oder demna<strong>ch</strong> das ewige Wort Selbst ist!<br />
Wenn demna<strong>ch</strong> jemand das Wort gefunden hat äußerli<strong>ch</strong> und hat es verstanden<br />
und angenommen, so hat er ja kein Ding, sondern ein geistiges Leben im Vollbestande<br />
gefunden, da jegli<strong>ch</strong>es Wort eine Form ist, entstehend aus geistiger Wärme<br />
und geistigem Li<strong>ch</strong>te.« (HGt I,64,12-15) 29 .<br />
Das Wort als geistige Form des Lebens wird von der Seele aufgenommen, denn sie<br />
ist na<strong>ch</strong> Swedenborg »ein Aufnahmeorgan des Lebens von Gott« (WCR 461) 30 .<br />
Oder, wie es in den Lorbers<strong>ch</strong>riften heißt: »Die Seele ist das Aufnahmeorgan für<br />
28<br />
Swedenborg übersetzt <strong>ch</strong>ajja hier ni<strong>ch</strong>t mit »fera« (Wild), sondern mit »vivum« (das Lebendige).<br />
29<br />
Der Geist »ist das Li<strong>ch</strong>t, wel<strong>ch</strong>es aus seiner eigenen Wärme si<strong>ch</strong> von Ewigkeiten zu Ewigkeiten<br />
erzeugt, und ist glei<strong>ch</strong> der Wärme die Liebe und glei<strong>ch</strong> dem Li<strong>ch</strong>te die Weisheit.« (EM 52).<br />
30<br />
»Die Seele ist ni<strong>ch</strong>t das Leben in si<strong>ch</strong>, sondern ein Aufnahmegefäß (recipiens) des Lebens von<br />
Gott.« (SK 8).
22 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
alle endlos vielen Ideen des Urgrundes, aus dem sie wie ein Hau<strong>ch</strong> hervorgegangen<br />
ist.« (EM 52,4). Fassen wir das bisher Gesagte zusammen: Das Wort ist Gott<br />
selbst und zuglei<strong>ch</strong> der von ihm ausgehende geistige Impuls, der von der Seele<br />
aufgenommen werden kann und si<strong>ch</strong> dort verwirkli<strong>ch</strong>en will. Allerdings, das zeigen<br />
die Abwei<strong>ch</strong>ungen zwis<strong>ch</strong>en dem Wort- und dem Tatberi<strong>ch</strong>t, kann si<strong>ch</strong> das<br />
Wort in der Seele ni<strong>ch</strong>t ganz rein auswirken, denn sie ist zwar das Aufnahmeorgan<br />
des göttli<strong>ch</strong>en Geistes, sie steuert aber bei der Ausformung des Geistimpulses<br />
ihr Spezifis<strong>ch</strong>es (oder Eigenes) bei. Auf einige Abwei<strong>ch</strong>ungen zwis<strong>ch</strong>en dem Wortund<br />
dem Tatberi<strong>ch</strong>t werde i<strong>ch</strong> bei der Auslegung der einzelnen S<strong>ch</strong>öpfungstage<br />
hinweisen.<br />
Die s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong>e Kraft des Wortes ist au<strong>ch</strong> in anderen Stellen der Heiligen<br />
S<strong>ch</strong>rift bezeugt. Im Psalter lesen wir: »Dur<strong>ch</strong> das Wort Jehovahs sind die Himmel<br />
gema<strong>ch</strong>t und all ihr Heer dur<strong>ch</strong> den Hau<strong>ch</strong> seines Mundes.« (Ps 33,6). »Hau<strong>ch</strong>« ist<br />
hier die Übersetzung für »rua<strong>ch</strong>«, das au<strong>ch</strong> in Genesis 1,2 vorkommt und dort<br />
meist mit »Geist« übersetzt wird. Im Psalm 148 heißt es: »Loben sollen sie [= die<br />
zuvor genannten S<strong>ch</strong>öpfungswerke] den Namen Jehovahs! Denn er gebot und da<br />
wurden sie ges<strong>ch</strong>affen.« (Ps 148,5). In der Weisheitsliteratur sagt die Weisheit von<br />
si<strong>ch</strong>: »Der Herr hat mi<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>affen im Anfang seiner Wege, vor seinen Werken<br />
in der Urzeit« (Spr 8,22). Und im Neuen Testament ist vor allem auf den Prolog<br />
des Johannesevangeliums hinzuweisen: »Im Anfang war das Wort … alles wurde<br />
dur<strong>ch</strong> das Wort, und ohne das Wort wurde au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t eines.« (Joh 1,1ff.). Dieses<br />
»Wort« ist na<strong>ch</strong> Swedenborg das göttli<strong>ch</strong>e Wahre (LH 1) und na<strong>ch</strong> Lorber »das<br />
Li<strong>ch</strong>t (der große heilige S<strong>ch</strong>öpfungsgedanke, die wesenhafte Idee)« (GEJ I,1,6).<br />
Nimmt man no<strong>ch</strong> den Hebräerbrief hinzu, dann erkennt man ferner, dass das<br />
Wort der unsi<strong>ch</strong>tbare Ursprung aller si<strong>ch</strong>tbaren Ers<strong>ch</strong>einungen ist, denn dort<br />
heißt es: »Aufgrund des Glaubens verstehen wir, dass die Welt dur<strong>ch</strong> Gottes Wort<br />
ers<strong>ch</strong>affen worden ist, so dass das Si<strong>ch</strong>tbare aus Unsi<strong>ch</strong>tbarem entstanden ist.«<br />
(Hebr 11,3). Tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ist der Geist das Li<strong>ch</strong>t, das zwar alle Dinge in der Seele<br />
erleu<strong>ch</strong>tet, selbst aber unsi<strong>ch</strong>tbar ist: »Der Geist ist … glei<strong>ch</strong> dem Li<strong>ch</strong>te, wel<strong>ch</strong>es<br />
in si<strong>ch</strong> selbst zwar ewig Li<strong>ch</strong>t bleibt, aber als Li<strong>ch</strong>t so lange ni<strong>ch</strong>t bemerkbar auftreten<br />
kann, solange es keine Gegenstände gibt, die es erleu<strong>ch</strong>tete« (EM 52).<br />
3.2.3. Zusammenfassung<br />
Der S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t weist zwei Strukturen auf, die man erkennen sollte, bevor<br />
man den Text im einzelnen auslegt. Da ist zunä<strong>ch</strong>st die doppelte Triadenstruktur,<br />
die si<strong>ch</strong>tbar wird, wenn man si<strong>ch</strong> die Verteilung der a<strong>ch</strong>t S<strong>ch</strong>öpfungswerke auf<br />
die se<strong>ch</strong>s S<strong>ch</strong>öpfungstage ans<strong>ch</strong>aut und zuglei<strong>ch</strong> den parallelen Aufbau der beiden<br />
Triaden sieht. In jeder Triade geht der Impuls vom Li<strong>ch</strong>t aus und entfaltet<br />
seine Wirkung zunä<strong>ch</strong>st im Verstand und dann im Willen. Die zweite Struktur ist<br />
die des Wort- und Tatberi<strong>ch</strong>tes. Sie drückt aus, wie der Geist- oder Wortimpuls<br />
von der Seele aufgenommen wird.
Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 23<br />
3.3. Die S<strong>ch</strong>öpfungstage<br />
3.3.1. Der erste Tag<br />
Vers 1 31 : Im Anfang s<strong>ch</strong>uf Gott 32 (Elohim) Himmel und Erde.<br />
Wenn man den S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t, wie es im folgenden ges<strong>ch</strong>ehen soll, auf die<br />
Wiedergeburt hin auslegt, dann ist der »Anfang« »die erste Zeit der Wiedergeburt«<br />
(HG 16). Jedo<strong>ch</strong> ist neben dem zeitli<strong>ch</strong>en au<strong>ch</strong> der prinzipielle Anfang gemeint,<br />
denn »Himmel und Erde« bilden die Grundlage der Wiedergeburt. Der »Himmel«<br />
bezei<strong>ch</strong>net den inneren und die »Erde« den äußeren Mens<strong>ch</strong>en (HG 16). Oder mit<br />
Lorber gespro<strong>ch</strong>en: »Der ›Himmel‹ ist das Geistige, und die ›Erde‹ das Naturmäßige<br />
im Mens<strong>ch</strong>en« (GEJ I,157,4). Au<strong>ch</strong> Swedenborg kann den Himmel das Geistige<br />
und die Erde das Natürli<strong>ch</strong>e nennen, denn das Geistige ist wie der Himmel oben<br />
und das Natürli<strong>ch</strong>e wie die Erde unten: »Das Geistige ist das Frühere, Innere, Obere<br />
und dem Göttli<strong>ch</strong>en Nähere; das Natürli<strong>ch</strong>e aber ist das Spätere, Äußere, Untere<br />
und vom Göttli<strong>ch</strong>en Entferntere. Darum wird das Geistige beim Mens<strong>ch</strong>en und<br />
in der Kir<strong>ch</strong>e mit dem Himmel vergli<strong>ch</strong>en und Himmel genannt; während das<br />
Natürli<strong>ch</strong>e mit der Erde vergli<strong>ch</strong>en und Erde genannt wird.« (HG 5013). Das Geistige<br />
ist das Wahre oder alles, was zum Berei<strong>ch</strong> des Verstehens gehört; im Unters<strong>ch</strong>ied<br />
zum Himmlis<strong>ch</strong>en als der Welt des Guten oder des Wollens (HG 61, 4570,<br />
GLW 280). Au<strong>ch</strong> in den Lorbers<strong>ch</strong>riften kann »das Geistige« in diesem Sinne verstanden<br />
werden, denn der »Himmel« von Genesis 1 kann als »die Intelligenzfähigkeit«<br />
(GEJ II,219,6) gedeutet werden und als »die si<strong>ch</strong> selbst erkennende Weisheit«<br />
Gottes (GEJ III,28,6). Zu »Himmel und Erde« als Begriffspaar ist zu sagen,<br />
dass es den Mens<strong>ch</strong>en als Ganzheit bezei<strong>ch</strong>net, denn na<strong>ch</strong> antiker Ans<strong>ch</strong>auung<br />
drückt erst die Doppelheit die Ganzheit aus. Die Wiedergeburt ges<strong>ch</strong>ieht also auf<br />
der Grundlage des Mens<strong>ch</strong>en der »Himmel und Erde« und somit in der S<strong>ch</strong>öpfung<br />
das »medium conjunctionis« (HH 112) ist, wo das Geistige mit dem Natürli<strong>ch</strong>en<br />
verbunden ist.<br />
31<br />
Lorber: »Im Anfang s<strong>ch</strong>uf Gott Himmel und Erde, und die Erde war wüste und leer und Finsternis<br />
auf der Tiefe; Gottes Geist aber s<strong>ch</strong>webte über den Wassern. Und Gott spra<strong>ch</strong>: ›Es<br />
werde Li<strong>ch</strong>t!‹, und es ward Li<strong>ch</strong>t. Gott sah, dass das Li<strong>ch</strong>t gut war; da s<strong>ch</strong>ied Er das Li<strong>ch</strong>t von<br />
der Finsternis. Er nannte das Li<strong>ch</strong>t Tag und die Finsternis Na<strong>ch</strong>t. Da ward aus Abend und<br />
Morgen der erste Tag.« (GEJ I,157,1f.). »Am Anfang s<strong>ch</strong>uf Gott Himmel und Erde, und die Erde<br />
war wüste und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes s<strong>ch</strong>webte auf dem<br />
Wasser. Da spra<strong>ch</strong> Gott: ›Es werde Li<strong>ch</strong>t!‹ Und es ward Li<strong>ch</strong>t. Und Gott sah, dass das Li<strong>ch</strong>t gut<br />
war. Da s<strong>ch</strong>ied Gott das Li<strong>ch</strong>t von der Finsternis und nannte das Li<strong>ch</strong>t Tag und die Finsternis<br />
Na<strong>ch</strong>t. Da ward denn aus Abend und Morgen der erste Tag.« (GEJ II,214,2). »Im Anfange s<strong>ch</strong>uf<br />
Gott Himmel und Erde« (GEJ II,219,5). Die Erde war »wüst und leer« (GEJ II,220,1). »Es war<br />
no<strong>ch</strong> finster auf der Tiefe« (GEJ II,219,10). Der »Geist Gottes« »s<strong>ch</strong>webte« »auf dem Wasser«<br />
(GEJ II,220,6). »Es werde Li<strong>ch</strong>t! und Es ward Li<strong>ch</strong>t!« (GEJ II,220,7). »Da s<strong>ch</strong>ied Gott das Li<strong>ch</strong>t<br />
von der Finsternis und hieß das Li<strong>ch</strong>t Tag und die Finsternis Na<strong>ch</strong>t.« (GEJ II,221,1). »Da ward<br />
aus Abend und Morgen der erste Tag.« (GEJ II,221,3). »Im Anfange s<strong>ch</strong>uf Gott den Himmel<br />
und die Erde, und die Erde war wüst und leer und finster in ihrer Tiefe.« (GEJ III,28,5). Siehe<br />
au<strong>ch</strong> GEJ III,235,2f.<br />
32<br />
Elohim (’älohim) ist im gesamten S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t die Bezei<strong>ch</strong>nung für »Gott«.
24 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
»Elohim« (Gott) ist das Wahre des göttli<strong>ch</strong>en Wesens; das Gute dieses Wesens<br />
heißt »Jehovah« (HG 2586), do<strong>ch</strong> dieser Name kommt in Genesis 1 no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t vor,<br />
weil das Se<strong>ch</strong>stagewerk die Wiedergeburt aus dem Li<strong>ch</strong>t des Wahren bes<strong>ch</strong>reibt.<br />
Swedenborgs Deutung des Elohimbegriffs ist au<strong>ch</strong> aus den hebräis<strong>ch</strong>en Bu<strong>ch</strong>staben<br />
ableitbar 33 , denn Aleph bezei<strong>ch</strong>net den Ursprung, Lamed das Li<strong>ch</strong>t und He<br />
den Lebenshau<strong>ch</strong> der Seele, »Elohim« bezei<strong>ch</strong>net daher das Li<strong>ch</strong>t des Ursprungs<br />
(= das göttli<strong>ch</strong>e Li<strong>ch</strong>t) in der Seele. Ferner ist »Elohim« eine Pluralform; sie bezei<strong>ch</strong>net<br />
also genau genommen »alle vom Herrn ausgehenden Wahrheiten« (HG<br />
4402). Diese Wahrheiten existieren als Engel (Botenwesen Gottes), denn Engel<br />
sind göttli<strong>ch</strong>e Wahrheiten in mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Gestalt. Das Se<strong>ch</strong>stagewerk wird also<br />
von Gott dur<strong>ch</strong> seine Engel bewirkt. Sie sind bei uns und passen die göttli<strong>ch</strong>e<br />
Li<strong>ch</strong>tfülle, die als sol<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>t zu ertragen wäre, unserem Verständnis an; gemäß<br />
diesem Verständnis des Wahren werden wir wiedergeboren. Weitere Aufs<strong>ch</strong>lüsse<br />
über »Elohim« findet man in HG 300, 4402 und 6003.<br />
Vers 2: Und die Erde war wüst und leer (tohu wabohu), und Finsternis (lag) auf den<br />
Angesi<strong>ch</strong>ten der Tiefe 34 (Tehom); Gottes Geist aber bewegte-si<strong>ch</strong> über den Angesi<strong>ch</strong>ten<br />
der Wasser.<br />
»Wüst und leer« bedeutet, dass »der Mens<strong>ch</strong> vor der Wiedergeburt … ni<strong>ch</strong>ts Gutes<br />
und Wahres« hat (HG 17). Im Hintergrund steht die Vorstellung, dass der natürli<strong>ch</strong>e<br />
Mens<strong>ch</strong> (= die Erde) »ein Aufnahmegefäß (receptaculum) des Wahren und<br />
Guten vom inneren« Mens<strong>ch</strong>en sein soll (HG 8351). Da au<strong>ch</strong> in den Lorberwerken<br />
der natürli<strong>ch</strong>e Mens<strong>ch</strong> als »Gefäß« (GEJ I,161,1) gesehen wird, ist die Auslegung<br />
der wüsten und leeren Erde derjenigen Swedenborgs ähnli<strong>ch</strong>: »Solange … im Gefäße<br />
ni<strong>ch</strong>ts ist, solange au<strong>ch</strong> ist das Gefäß wüst und leer.« (GEJ II,220,1). »Wüst«<br />
(tohu) bezieht si<strong>ch</strong> auf die Abwesenheit des Guten, »leer« (bohu) auf die des Wahren<br />
(HG 17). Beiden Worten gemeinsam ist die Vorstellung des Ni<strong>ch</strong>tvorhandenseins.<br />
Das ist au<strong>ch</strong> in der einzigen Stelle im Alten Testament so, die no<strong>ch</strong> einmal<br />
das Wortpaar »tohuwabohu« enthält, nämli<strong>ch</strong> Jeremia 4,22f.: »Denn dumm ist<br />
mein Volk, mi<strong>ch</strong> kennen sie ni<strong>ch</strong>t; töri<strong>ch</strong>te Söhne sind sie, ohne Verstand sind sie;<br />
ges<strong>ch</strong>ickt sind sie, Böses zu tun, aber Gutes zu tun, verstehen sie ni<strong>ch</strong>t. I<strong>ch</strong> sah<br />
die Erde, und siehe, wüst und leer (tohuwabohu) war sie; und zum Himmel, aber<br />
kein Li<strong>ch</strong>t war dort.« Die aus der Abwesenheit des Guten und Wahren resultierende<br />
Ni<strong>ch</strong>tigkeit des äußeren Mens<strong>ch</strong>en ers<strong>ch</strong>eint ihm selbst freili<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t so, denn<br />
33<br />
In der hebräis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>e, die der Urspra<strong>ch</strong>e no<strong>ch</strong> verhältnismäßig nahe steht (GT 5581),<br />
haben bereits die Bu<strong>ch</strong>staben eine Bedeutung: »Es wurde ein Blatt Papier herabgelassen, das<br />
mit den hebräis<strong>ch</strong>en Bu<strong>ch</strong>staben der ältesten Zeit bes<strong>ch</strong>rieben war, die von den heutigen<br />
Bu<strong>ch</strong>staben wenig, aber do<strong>ch</strong> etwas abwei<strong>ch</strong>en. Der Engel, der bei mir war, sagte, dass er alles<br />
dort Ges<strong>ch</strong>riebene allein s<strong>ch</strong>on aus den Bu<strong>ch</strong>staben verstehe und dass jeder Bu<strong>ch</strong>stabe eine<br />
Idee, ja eine Sinnfolge von Ideen enthalte. Er unterri<strong>ch</strong>tete mi<strong>ch</strong> sogar über die Bedeutung<br />
des Jod (j), des Aleph (’) und des He (h); über die Bedeutung der übrigen Bu<strong>ch</strong>staben durfte er<br />
jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts sagen.« (GT 4671). Vgl. au<strong>ch</strong> LS 90, HH 260. Die Bedeutung der Bu<strong>ch</strong>staben<br />
entnehme i<strong>ch</strong> M. Kahir (Pseudonym für Viktor Mohr), »Das verlorene Wort«, Bietigheim 1960.<br />
34<br />
»Tehom«, Swedenborg hat abyssus (Tiefe, Abgrund).
Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 25<br />
er ist angefüllt mit eigenen Interessen und Phantasien. Dieses »Tohuwabohu« des<br />
eigenen Interessen<strong>ch</strong>aos kann nur dur<strong>ch</strong> die ordnende und strukturierende Kraft<br />
des göttli<strong>ch</strong>en Li<strong>ch</strong>tes überwunden werden.<br />
Die »Finsternis« ist »der Stumpfsinn und die Unwissenheit in allen Dingen des<br />
Glaubens an den Herrn und somit des geistigen und himmlis<strong>ch</strong>en Lebens« (HG<br />
17). »Die Angesi<strong>ch</strong>te (Ers<strong>ch</strong>einungsformen) der Tiefe« sind die »Begierden und die<br />
daherstammenden Fals<strong>ch</strong>heiten« (HG 18). Das hebräis<strong>ch</strong>e Wort, das hier mit »Tiefe«<br />
übersetzt ist, lautet »tehom« und kann au<strong>ch</strong> »Abgrund«, »Urmeer« und »Chaos«<br />
bedeuten. Es kann au<strong>ch</strong> im positiven Sinn verwendet werden (Gen 49,25; Dtn 8,7;<br />
Ps 78,15; Ez 31,4), weswegen mir »Tiefe« als geeignete Übersetzung ers<strong>ch</strong>ien,<br />
weil dieses Wort sowohl die Ausdehnung na<strong>ch</strong> unten (tiefes Lo<strong>ch</strong>) als au<strong>ch</strong> die<br />
Ausdehnung na<strong>ch</strong> innen (tiefe Gefühle) bedeuten kann. In Genesis 1,2 bezei<strong>ch</strong>net<br />
es den äußeren Weltmens<strong>ch</strong>en, »der, weil er kein Li<strong>ch</strong>t hat, wie eine Tiefe (abyssus)<br />
oder etwas verworren Dunkles ist« (HG 18). Swedenborg deutet also die »Tehom«<br />
des S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>tes als die dunkle, undur<strong>ch</strong>dringli<strong>ch</strong>e Tiefe der Leidens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>keit<br />
oder Emotionalität des unwiedergeborenen Mens<strong>ch</strong>en, die ebenso<br />
wildbewegt ist wie das »Urmeer«. Au<strong>ch</strong> die Lorbers<strong>ch</strong>riften erblicken in der<br />
»Tehom« unsere materielle »Welttiefe« (GEJ I,157,5). Auf ihren Ers<strong>ch</strong>einungsformen<br />
lastet die Finsternis des Stumpfsinns und der geistigen Ignoranz.<br />
Der »Geist Gottes« ist »die Barmherzigkeit des Herrn« (HG 19), das heißt seine<br />
si<strong>ch</strong> dem Elenden zuwendende Liebe: »Die göttli<strong>ch</strong>e Liebe heißt Barmherzigkeit<br />
im Hinblick auf das mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t, das si<strong>ch</strong> in so großem Elend befindet.«<br />
(HG 5816) 35 . Dazu muss man wissen, dass das lateinis<strong>ch</strong>e Wort für Barmherzigkeit,<br />
misericordia, aus miser (= elend) und cor (= Herz) besteht. Diese Liebe ist<br />
Gottes Geist, der die tote, im Elend gefangene S<strong>ch</strong>öpfung beleben kann und will.<br />
Daher kann das hebräis<strong>ch</strong>e Wort für »Geist« (»Rua<strong>ch</strong>«) au<strong>ch</strong> den Lebensodem in<br />
allem Fleis<strong>ch</strong> bedeuten (Num 16,22; 27,16). Dieser Lebensgeist Gottes bewegt<br />
si<strong>ch</strong> über den Wassern. »Die Angesi<strong>ch</strong>te der Wasser« sind »die Überreste«, das<br />
heißt die »Erkenntnisse des Guten und Wahren, die erst dann ans Li<strong>ch</strong>t oder an<br />
den Tag kommen, wenn das Äußere entleert (abgeödet) ist« (HG 19). Interessant<br />
ist, dass au<strong>ch</strong> die Lorbers<strong>ch</strong>riften unter den Wassern »Erkenntnisse« verstehen,<br />
aber s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>te: »Die ›Wasser‹ sind eure s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ten Erkenntnisse in allen Dingen,<br />
über denen wohl au<strong>ch</strong> der Gottesgeist s<strong>ch</strong>webt, aber no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in ihnen ist.« (GEJ<br />
I,157,4). Auf einer anderen Deutungsebene, auf die i<strong>ch</strong> weiter unten zu spre<strong>ch</strong>en<br />
komme, versinnbildli<strong>ch</strong>en die Wasser »die no<strong>ch</strong> form- und wesenlose unendli<strong>ch</strong>e<br />
Masse der Gedanken und Ideen Gottes« (GEJ II,220,6), also keine »s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ten Erkenntnisse«.<br />
Sol<strong>ch</strong>e Beoba<strong>ch</strong>tungen lassen uns die Viels<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tigkeit des inneren<br />
Sinnes erahnen, der ni<strong>ch</strong>t so eindimensional ist, wie es der äußere Weltverstand<br />
gerne hätte. Do<strong>ch</strong> dazu später. Vorläufig können wir festhalten, dass der Gottesgeist<br />
über den Wassern die Anwesenheit der belebenden Liebe andeutet, die frei-<br />
35<br />
Vgl. au<strong>ch</strong> HG 3063.
26 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
li<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in unsere entweder unbewussten oder trüben Wasser eingedrungen<br />
ist.<br />
Die Verse 3 bis 5: 3. Und Gott spra<strong>ch</strong>: »Es werde Li<strong>ch</strong>t!«. Und es ward Li<strong>ch</strong>t. 4. Und<br />
Gott sah, dass das Li<strong>ch</strong>t gut war; da s<strong>ch</strong>ied Gott das Li<strong>ch</strong>t von der Finsternis 5. und<br />
36 nannte das Li<strong>ch</strong>t »Tag«, während er die Finsternis »Na<strong>ch</strong>t« nannte.<br />
Das »Li<strong>ch</strong>t« ist das erste Bewusstsein des Guten und Wahren; es dämmert dem<br />
natürli<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en, dass es etwas Höheres gibt: »Der erste S<strong>ch</strong>ritt der Wiedergeburt<br />
besteht darin, dass der Mens<strong>ch</strong> das Gute und Wahre als etwas Höheres zu<br />
erkennen beginnt.« (HG 20). Die Deutungen bei Swedenborg und Lorber sind so<br />
einleu<strong>ch</strong>tend und ähnli<strong>ch</strong>, dass i<strong>ch</strong> sie ohne weitere Erläuterungen anfügen kann:<br />
SWEDENBORG: »Das ›Li<strong>ch</strong>t‹ heißt gut, weil es vom Herrn kommt, der das Gute selbst<br />
ist. ›Finsternis‹ ist all das, was dem Mens<strong>ch</strong>en, ehe er von neuem empfangen und<br />
geboren wird, wie Li<strong>ch</strong>t ers<strong>ch</strong>ien, weil ihm sein Böses wie Gutes, und sein Fals<strong>ch</strong>es<br />
wie Wahres vorkam; denno<strong>ch</strong> ist es Finsternis und das beim Mens<strong>ch</strong>en verbleibende<br />
Eigene. Alles, was des Herrn ist, wird dem ›Tag‹ vergli<strong>ch</strong>en, weil es dem<br />
Li<strong>ch</strong>t angehört; aber alles Eigene des Mens<strong>ch</strong>en der ›Na<strong>ch</strong>t‹, weil es der Finsternis<br />
angehört.« (HG 21).<br />
LORBER: »Da aber der Geist Gottes allzeit sieht, dass es in eurer materiellen Welttiefe<br />
ganz entsetzli<strong>ch</strong> finster ist, so spri<strong>ch</strong>t Er zu eu<strong>ch</strong> …: ›Es werde Li<strong>ch</strong>t!‹ Da fängt es<br />
in eurer Natur zu dämmern an, und Gott sieht es wohl, wie gut für eure Finsternis<br />
das Li<strong>ch</strong>t ist; aber nur ihr selbst könnt und wollt es ni<strong>ch</strong>t einsehen. Deshalb aber<br />
ges<strong>ch</strong>ieht denn au<strong>ch</strong> eine Teilung in eu<strong>ch</strong>, nämli<strong>ch</strong> Tag und Na<strong>ch</strong>t werden ges<strong>ch</strong>ieden,<br />
und ihr erkennt dann aus dem Tage in eu<strong>ch</strong> die frühere Na<strong>ch</strong>t eures<br />
Herzens.« (GEJ I,157,5f.).<br />
Jeder Tag endet mit der Formel: »Und es war Abend, und es war Morgen, der erste,<br />
zweite usw. Tag.« Wenn die natürli<strong>ch</strong>en Tage der Erde gemeint wären, dann<br />
wäre es ri<strong>ch</strong>tiger zu sagen: Und es war Morgen, und es war Abend, der erste Tag.<br />
Die Tage des S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>tes entstehen jedo<strong>ch</strong> umgekehrt aus Abend und<br />
Morgen (vgl. GEJ I,157,8ff.). Für den ersten Tag ist das lei<strong>ch</strong>t einsehbar, denn zuerst<br />
war ja die Finsternis, die auf der Tiefe lag, und dana<strong>ch</strong> erst ließ Gott das Li<strong>ch</strong>t<br />
werden. Die Reihenfolge entspri<strong>ch</strong>t also den Angaben des S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>tes. 37<br />
Daher lesen wir bei Lorber: »Bei dem Mens<strong>ch</strong>en ist sein erstes Natursein tiefer<br />
Abend, also Na<strong>ch</strong>t. Da aber Gott ihm gibt ein Li<strong>ch</strong>t, so ist sol<strong>ch</strong> ein Li<strong>ch</strong>t dem<br />
Mens<strong>ch</strong>en ein re<strong>ch</strong>tes Morgenrot, und es wird also aus des Mens<strong>ch</strong>en Abend und<br />
Morgenrot wahrli<strong>ch</strong> sein erster Lebenstag.« (GEJ I,157,7). Au<strong>ch</strong> beim vierten Tag<br />
kann man si<strong>ch</strong> die dem natürli<strong>ch</strong>en Ablauf widerspre<strong>ch</strong>ende Reihenfolge no<strong>ch</strong><br />
lei<strong>ch</strong>t erklären, wenn man sie als Zusammenfassung dessen betra<strong>ch</strong>tet, was am<br />
36<br />
Hier habe i<strong>ch</strong> aus stilistis<strong>ch</strong>en Gründen »Gott« ausgelassen.<br />
37<br />
Darauf weist Swedenborg hin: »Diese ganze Zeit der S<strong>ch</strong>öpfung von der di<strong>ch</strong>ten Finsternis des<br />
Universums bis zum Anbru<strong>ch</strong> des Li<strong>ch</strong>tes heißt ›Tag‹, weswegen aus Abend und Morgen der<br />
erste Tag gema<strong>ch</strong>t wurde.« (»Explicatio in Verbum Historicum Veteris Testamenti«, 3). Ebenso<br />
in Explicatio 6.
Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 27<br />
vierten Tag ges<strong>ch</strong>ieht: Die Li<strong>ch</strong>ter an der Himmelsfeste sollen den Tag von der<br />
Na<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>eiden und der Erde Li<strong>ch</strong>t geben; also war es vorher offenbar finster. Bei<br />
den übrigen Tagen ist der vorangehende dunkle Zustand ni<strong>ch</strong>t so offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>;<br />
jedo<strong>ch</strong> ist die Formel »Und Gott spra<strong>ch</strong>« als ein Wort- oder Li<strong>ch</strong>timpuls zu verstehen,<br />
der die jeweils vorhergehenden Zustände als eine relative Finsternis entlarvt.<br />
Im Lorberwerk gibt es, abgesehen von der ausführli<strong>ch</strong>en Deutung in GEJ I,157ff.,<br />
no<strong>ch</strong> drei weitere, die si<strong>ch</strong> allerdings auf den ersten Tag bes<strong>ch</strong>ränken und si<strong>ch</strong><br />
außerdem ni<strong>ch</strong>t auf die Wiedergeburt des Mens<strong>ch</strong>en beziehen. Deswegen mö<strong>ch</strong>te<br />
i<strong>ch</strong> diese Interpretationen im folgenden separat vorstellen. Dass es mehrere Gegenstandsberei<strong>ch</strong>e<br />
der Auslegung gibt, ist s<strong>ch</strong>on gesagt worden, denn Genesis 1<br />
handelt au<strong>ch</strong> »von der Gründung (de instauratione) der ältesten Kir<strong>ch</strong>e« (OE 513)<br />
und ferner, wie jeder Text der Heiligen S<strong>ch</strong>rift, im innersten Sinn vom Herrn allein.<br />
Deswegen darf man die Auslegung Swedenborgs in den »himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnissen«<br />
ni<strong>ch</strong>t als die einzig mögli<strong>ch</strong>e ansehen; Swedenborg wollte in seinem<br />
exegetis<strong>ch</strong>en Hauptwerk, obwohl es sehr umfangrei<strong>ch</strong> ist, nur »vom Allgemeinsten<br />
eine allgemeine Vorstellung geben« (HG 771). Daher sind die folgenden Auslegungss<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten<br />
au<strong>ch</strong> aus swedenborgs<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t ausges<strong>ch</strong>lossen, wennglei<strong>ch</strong><br />
sie natürli<strong>ch</strong> im Rahmen der Offenbarung dur<strong>ch</strong> Lorber besser zu verstehen<br />
sind. Der innere Sinn ist eben viels<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tig.<br />
Im dritten Band »des großen Evangeliums« deutet Mathael eine entwicklungspsy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e<br />
Interpretation an: »Unter ›Himmel und Erde‹ ist zu verstehen der<br />
neue Erdmens<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong> von Geburt an. Der ›Himmel‹ bezei<strong>ch</strong>net seine innersten,<br />
verborgenen, geistigen Fähigkeiten, und die leere und wüste ›Erde‹ bezei<strong>ch</strong>net<br />
den neu erstandenen Naturmens<strong>ch</strong>en, der seines Seins kaum bewusst ist; - erstes<br />
Stadium des Mens<strong>ch</strong>en. Mit der Zeit gelangt das Kind zum Selbstbewusstsein und<br />
fängt an zu träumen und zu denken. Das ist das ›Es werde Li<strong>ch</strong>t!‹ im Mens<strong>ch</strong>en,<br />
dass er wisse, dass er ist; - zweites Stadium. Und so geht das dur<strong>ch</strong> alle anderen<br />
S<strong>ch</strong>öpfungstage bis zum Ruhestadium der Vollendung des Mens<strong>ch</strong>en!« (GEJ<br />
III,235,2ff.).<br />
Ebenfalls im dritten Band »des großen Evangeliums« bezieht Mathael die Aussagen<br />
des ersten Tages auf Gott selbst. Grundlegend dabei ist sein Verständnis von<br />
»Gott« und »Geist Gottes«. »Gott« ist, so Mathael im Ans<strong>ch</strong>luss an ein zuvor gebrau<strong>ch</strong>tes<br />
Bild, »das lebendige Wasser« (GEJ III,28,1), denn s<strong>ch</strong>on im kalten und<br />
ruhigen Wasser ist der Lebensgeist vorhanden, aber frei wird er erst als Wasserdampf<br />
dur<strong>ch</strong> das Erhitzen. So au<strong>ch</strong> ist Gott zwar »das lebendige Wasser; aber das<br />
Wasser in si<strong>ch</strong> erkennt sein eigenes Leben ni<strong>ch</strong>t. Wenn es aber aus si<strong>ch</strong> heraus<br />
dur<strong>ch</strong> die mä<strong>ch</strong>tige Liebeglut … zum Sieden gebra<strong>ch</strong>t wird, da erhebt si<strong>ch</strong> der<br />
Lebensgeist in seiner Freiheit über das ihn eher gefangenhaltende Wasser, und du<br />
siehst hier den Geist Gottes s<strong>ch</strong>weben über den Wassern« (GEJ III,28,1). Der<br />
»Geist Gottes« verhält si<strong>ch</strong> also zu »Gott« wie der Wasserdampf zum Wasser: Sie<br />
sind desselben Wesens; nur ist der »Geist« die freie und wirkende Ers<strong>ch</strong>einungsform<br />
Gottes. Zu dieser Deutung kann Mathael kommen, weil das hebräis<strong>ch</strong>e Wort
28 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
für »Geist« (»Rua<strong>ch</strong>«) eigentli<strong>ch</strong> die bewegte Luft oder den Wind meint; wieso also<br />
ni<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> den Dampf!? Das Wasser ist die no<strong>ch</strong> in si<strong>ch</strong> ruhende, unausgespro<strong>ch</strong>ene<br />
Gottheit (das Meer der unbewegten Gottheit); der »Geist« hingegen ist<br />
der freiwirkende, si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> und dur<strong>ch</strong> erkennende Lebensgeist, der vorher im<br />
Wasser verborgen war. Diese Unters<strong>ch</strong>eidung von »Gott« und »Geist Gottes« fasst<br />
Mathael abs<strong>ch</strong>ließend dahingehend zusammen, dass »die hö<strong>ch</strong>ste Lebenspotenz in<br />
Gott ein doppeltes Sein« hat, »erstens ein stummes bloß nur seines Seins bewusstes«,<br />
dem kalten, ruhigen Wasser verglei<strong>ch</strong>bar, und zweitens »ein als von einem<br />
innern Tätigkeitsbeginn entflammtes, frei si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> und dur<strong>ch</strong> erkennendes und<br />
kleinst dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>auendes Dasein« (GEJ III,28,4), das dem Wasserdampf verglei<strong>ch</strong>bar<br />
ist. Was hier »Sein« und »Dasein« heißt, nennt Swedenborg in »der wahren<br />
<strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>en Religion« »Esse« (Sein) und »Essentia« (Wesen).<br />
Na<strong>ch</strong> dieser Unters<strong>ch</strong>eidung trägt Mathael dem erstaunten Cyrenius die folgende<br />
Interpretation der ersten Worte des S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>tes vor: Mit den Worten »Im<br />
Anfang s<strong>ch</strong>uf Gott den Himmel und die Erde, und die Erde war wüst und leer und<br />
finster in ihrer Tiefe« (GEJ III,28,5) »ist nur dunkel angedeutet, wie die ewige Lebenskraft<br />
Gottes in ihrem Sein unters<strong>ch</strong>eidli<strong>ch</strong> hat zu erfors<strong>ch</strong>en und zu erkennen<br />
angefangen! Und da stellt der ›Himmel‹ die si<strong>ch</strong> selbst erkennende Weisheit seines<br />
I<strong>ch</strong>s dar; in dem liebeglühenden S<strong>ch</strong>werpunkt seines Zentrums aber, im liebeheißen<br />
Zentrum, das unter dem Ausdrucke ›Erde‹ gemeint ist, war es no<strong>ch</strong> finster<br />
und wüste und leer, also ohne eine tiefere Erkenntnis des eigenen Selbst.<br />
Aber das Zentrum ward heißer und heißer, je mehr des äußern Selbstbewusstseins<br />
Massen auf dasselbe zu drücken begannen. Das Zentrum geriet in die hö<strong>ch</strong>ste<br />
Glut, und aus dem siedenden Lebenswasser entstieg der Dampf (Geist),<br />
s<strong>ch</strong>webte nun frei auf und über den Wassern des stummen und ruhigen ewigen<br />
Vorseins und erkannte si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> und dur<strong>ch</strong>; und dieses Erkennen eben ist dann<br />
das Li<strong>ch</strong>t, das Moses Gott zur Vertilgung der Finsternis glei<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> der Ers<strong>ch</strong>affung<br />
des Himmels und der Erde werden lässt. Von da an erst wird Gott als ein nie<br />
ausgespro<strong>ch</strong>enes Wort Selbst zum ›Worte‹, und dieses Wort ›Es werde!‹ ist ein in<br />
si<strong>ch</strong> selbst dur<strong>ch</strong> und dur<strong>ch</strong> erkennender freier Wille, ein Sein im Sein, ein Wort<br />
im Worte, ein Alles nun in Allem! Von da an erst beginnt aus dem freisten Willen<br />
die si<strong>ch</strong> nun dur<strong>ch</strong> und dur<strong>ch</strong> erkannte Urlebensquelle alles andern Lebens hervorzugehen.«<br />
(GEJ III,28,6-9). Diese Interpretation hat in der »Haushaltung« eine<br />
Parallele, die i<strong>ch</strong> zunä<strong>ch</strong>st kommentarlos anfügen mö<strong>ch</strong>te, bevor i<strong>ch</strong> beide Texte<br />
verglei<strong>ch</strong>en werde: »Die Gottheit war von Ewigkeit her die alle Unendli<strong>ch</strong>keit der<br />
Unendli<strong>ch</strong>keit dur<strong>ch</strong>dringende Kraft und war und ist und wird sein ewig die Unendli<strong>ch</strong>keit<br />
Selbst. In der Mitte Ihrer Tiefe war I<strong>ch</strong> von Ewigkeit die Liebe und das<br />
Leben Selbst in Ihr; aber siehe, I<strong>ch</strong> war blind wie ein Embryo im Mutterleibe! Die<br />
Gottheit aber gefiel Si<strong>ch</strong> in der Liebe und drängte Si<strong>ch</strong> ganz zu Ihrer Liebe. Und<br />
der Liebe ward es immer heißer und heißer in Ihrer Mitte, und es drängten si<strong>ch</strong><br />
Massen und Massen der Gottheit dahin, und alle Mä<strong>ch</strong>te und Kräfte stürmten auf<br />
Dieselbe los. Und siehe, da entstand ein großes Raus<strong>ch</strong>en, Brausen und Toben,<br />
und siehe, die Liebe ward geängstigt und gedrückt von allen Seiten, so dass die
Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 29<br />
Liebe bis ins Innerste erbebte! Und die Liebe gewahrte es, und das Raus<strong>ch</strong>en ward<br />
zum Tone, der Ton aber ward in der Liebe zum Worte, und das Wort spra<strong>ch</strong>: »Es<br />
werde Li<strong>ch</strong>t!« Und da loderte im Herzen die Flamme der entzündeten Liebe auf,<br />
und es ward Li<strong>ch</strong>t in allen Räumen der Unendli<strong>ch</strong>keit!« (HGt I,5,2f.). Soweit diese<br />
beiden Texte, die uns Einblicke in innergöttli<strong>ch</strong>e Prozesse der Selbstfindung erlauben.<br />
Das erste Wort des S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>tes, »im Anfang«, lenkt unseren Blick in den<br />
wahren Anfang, der Gott selbst ist. Der »Himmel« ist »die si<strong>ch</strong> selbst erkennende<br />
Weisheit« (GEJ III,28,6) oder die »Gottheit« als »die alle Unendli<strong>ch</strong>keit der Unendli<strong>ch</strong>keit<br />
dur<strong>ch</strong>dringende Kraft« (HGt I,5,2). Dass Weisheit und Kraft zusammengehören<br />
und beinahe dasselbe meinen, kann man bei Swedenborg lernen, denn<br />
darauf weist er immer wieder hin: »Dem göttli<strong>ch</strong>en Wahren ist alle Ma<strong>ch</strong>t eigen.«<br />
(NJ 25). »Im Himmel ist alle Ma<strong>ch</strong>t dem göttli<strong>ch</strong>en Wahren eigen« (HH 137). »Das<br />
göttli<strong>ch</strong>e Wahre hat alle Ma<strong>ch</strong>t so sehr in si<strong>ch</strong>, dass es die Ma<strong>ch</strong>t selbst ist.« (HG<br />
8200). Daher also kann der »Himmel« »die si<strong>ch</strong> selbst erkennende Weisheit« und<br />
zuglei<strong>ch</strong> die mit diesem »Selbstbewusstsein« (GEJ III,28,7) untrennbar verbundene<br />
»Kraft« der Gottheit bezei<strong>ch</strong>nen (siehe au<strong>ch</strong> GEJ III,28,3). Die »Erde« ist, wie<br />
Mathael sagt, das liebeglühende oder liebeheiße Zentrum (GEJ III,28,6). Parallel<br />
dazu heißt es in der »Haushaltung«: »In der Mitte Ihrer [= der Gottheit] Tiefe [»Tehom«]<br />
war I<strong>ch</strong> von Ewigkeit die Liebe« (HGt I,5,2). Dass die »Mitte« hier glei<strong>ch</strong>bedeutend<br />
mit dem »Zentrum« ist, von dem Mathael spri<strong>ch</strong>t, ist offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>;<br />
glei<strong>ch</strong>zeitig wird aber au<strong>ch</strong> der Bezug zur S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te hergestellt, denn<br />
die »Tiefe« ist die mosais<strong>ch</strong>e »Tehom«. Von der »Erde« heißt es, dass sie »wüst und<br />
leer und finster in ihrer Tiefe« war (GEJ III,28,5); das bedeutet na<strong>ch</strong> Mathael, dass<br />
die Liebe als das Zentrum der Gottheit, »ohne eine tiefere Erkenntnis des eigenen<br />
Selbst« war (GEJ III,28,6). Parallel dazu sagt die Liebe in der »Haushaltung« von<br />
si<strong>ch</strong>: »I<strong>ch</strong> war blind wie ein Embryo im Mutterleibe« (HGt I,5,2). »Himmel und<br />
Erde« bezei<strong>ch</strong>nen also die Dualität in Gott, die, was im folgenden gezeigt werden<br />
soll, zur Geburt des Geistes drängt.<br />
Im S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t ist na<strong>ch</strong> »Himmel« (Gottheit) und »Erde« (Liebe) und der<br />
Bes<strong>ch</strong>reibung der »Erde« als »wüst und leer und finster in ihrer Tiefe« (GEJ<br />
III,28,5) vom Gottesgeist die Rede. Sowohl aus Mathaels Deutung als au<strong>ch</strong> aus<br />
dem Beri<strong>ch</strong>t der »Haushaltung« ist ersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>, dass der Geist aus einem Vorgang<br />
zwis<strong>ch</strong>en der Gottheit und ihrer Liebe entstand. Mathael sagt: »… das Zentrum<br />
ward heißer und heißer, je mehr des äußern Selbstbewusstseins Massen auf dasselbe<br />
zu drücken begannen. Das Zentrum geriet in die hö<strong>ch</strong>ste Glut, und aus dem<br />
siedenden Lebenswasser entstieg der Dampf (Geist)« (GEJ III,28,7). Aufgrund des<br />
Druckes also, den das äußere Selbstbewusstsein (Gottheit) auf das Zentrum ausübte,<br />
erglühte es in der Liebe und befreite den Geist zur Wirksamkeit. Ähnli<strong>ch</strong><br />
wird der Vorgang in der »Haushaltung« bes<strong>ch</strong>rieben: »Die Gottheit aber gefiel Si<strong>ch</strong><br />
in der Liebe und drängte Si<strong>ch</strong> ganz zu Ihrer Liebe. Und der Liebe ward es immer<br />
heißer und heißer in Ihrer Mitte, und es drängten si<strong>ch</strong> Massen und Massen der
30 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Gottheit dahin, und alle Mä<strong>ch</strong>te und Kräfte stürmten auf Dieselbe los. Und siehe,<br />
da entstand ein großes Raus<strong>ch</strong>en, Brausen und Toben [›Rua<strong>ch</strong>‹], und siehe, die<br />
Liebe ward geängstigt und gedrückt von allen Seiten, so dass die Liebe bis ins<br />
Innerste erbebte!« (HGt I,5,2f.). In beiden Texten ist vom Drücken bzw. Drängen<br />
die Rede; in beiden vom »heißer und heißer« Werden des Zentrums bzw. der Liebe<br />
und in beiden au<strong>ch</strong> von den »Massen« des äußeren Selbstbewusstseins der Gottheit.<br />
Außerdem ist der Bezug zum biblis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t erkennbar, denn<br />
das »Raus<strong>ch</strong>en, Brausen und Toben« ist die »Rua<strong>ch</strong>«, die somit au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> den Beri<strong>ch</strong>t<br />
der »Haushaltung« aus dem Drängen der Gottheit zur Liebe entsteht.<br />
Die ewige Geburt des göttli<strong>ch</strong>en Geistes - ewig deswegen, weil sie ni<strong>ch</strong>t in der Zeit<br />
ges<strong>ch</strong>ieht - bringt das Li<strong>ch</strong>t hervor, weswegen die ersten Worte Gottes »Es werde<br />
Li<strong>ch</strong>t!« sind. In dem kleinen, aber inhaltsrei<strong>ch</strong>en Lorberwerk »die Fliege« wird das<br />
Wesen des Li<strong>ch</strong>tes erklärt (Kapitel 9). Obwohl dort nur vom Li<strong>ch</strong>t, »wie es in der<br />
Zeit und im Raume zur Ers<strong>ch</strong>einung kommt«, die Rede ist, sind do<strong>ch</strong> gewisse Gemeinsamkeiten<br />
mit den Urvorgängen in Gott unverkennbar. Denn erstens ist au<strong>ch</strong><br />
das natürli<strong>ch</strong>e Li<strong>ch</strong>t die Folge eines Druckes: »Erleidet aber diese [materielle Hülle]<br />
von außen her was immer für einen Druck, so wird der Geist alsbald aus seiner<br />
angewohnten Beengungssphäre geweckt und gibt sein Dasein dur<strong>ch</strong> seine ausdehnende<br />
Bewegung zu erkennen, wel<strong>ch</strong>es Erkennen si<strong>ch</strong> dann allzeit dur<strong>ch</strong> das<br />
eu<strong>ch</strong> bekannte Phänomen des Leu<strong>ch</strong>tens kundgibt.« Wir erinnern uns an die entspre<strong>ch</strong>enden<br />
Aussagen Mathaels und in der »Haushaltung«: »… das Zentrum ward<br />
heißer und heißer, je mehr des äußern Selbstbewusstseins Massen auf dasselbe<br />
zu drücken begannen.« (GEJ III,28,7). »… und siehe, die Liebe ward geängstigt 38<br />
und gedrückt von allen Seiten, so dass die Liebe bis ins Innerste erbebte!« (HGt<br />
I,5,3). Zweitens entstammt au<strong>ch</strong> das natürli<strong>ch</strong>e Li<strong>ch</strong>t »dem Beben« entweder der<br />
Liebe oder des Zornes, weswegen der Druck, den die Kraftfülle der Gottheit auf<br />
die Liebe ausübte, bewirkte, »dass die Liebe bis ins Innerste erbebte« (HGt I,5,3).<br />
Das Li<strong>ch</strong>t des ersten Tages <strong>ch</strong>arakterisiert Mathael mit den Worten: Der Geist<br />
»erkannte si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> und dur<strong>ch</strong>« (GEJ III,28,7). Das erste Li<strong>ch</strong>t ist also ein Li<strong>ch</strong>t<br />
der Selbsterkenntnis. Das ist au<strong>ch</strong> den folgenden Worten Mathaels zu entnehmen:<br />
»Und der Geist erkennt si<strong>ch</strong> und das Wasser und erkennt, dass er mit dem Wasser<br />
von Ewigkeit her ein und derselbe ist« (GEJ III,28,1). Demna<strong>ch</strong> ist das erste Li<strong>ch</strong>t<br />
dreifa<strong>ch</strong>: Erstens ist es das Li<strong>ch</strong>t der Selbsterkenntnis, denn der Geist »erkennt<br />
si<strong>ch</strong>«; zweitens ist es das Li<strong>ch</strong>t der Erkenntnis des urgöttli<strong>ch</strong>en Grundes, denn der<br />
Geist, der ja na<strong>ch</strong> Mathael dem Wasserdampf verglei<strong>ch</strong>bar ist, erkennt »das Wasser«;<br />
und drittens ist es das Li<strong>ch</strong>t der Erkenntnis der Einheit, denn der Geist erkennt,<br />
»dass er mit dem Wasser von Ewigkeit her ein und derselbe ist«. So also ist<br />
es zu verstehen, dass der Geist si<strong>ch</strong> »dur<strong>ch</strong> und dur<strong>ch</strong>« erkennt. Diese all- und<br />
we<strong>ch</strong>selseitige Erkenntnis enthüllt uns der Herr au<strong>ch</strong> in der »Haushaltung«, wenn<br />
38<br />
Angst und Enge hängen spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> zusammen; daher ist im Text aus der Fliege von der »Beengungssphäre«<br />
die Rede.
Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 31<br />
er sagt: »Und siehe, da entstand ein großes Raus<strong>ch</strong>en, Brausen und Toben [Geist],<br />
und siehe, die Liebe ward geängstigt und gedrückt von allen Seiten, so dass die<br />
Liebe bis ins Innerste erbebte! Und die Liebe gewahrte es, und das Raus<strong>ch</strong>en ward<br />
zum Tone, der Ton aber ward in der Liebe zum Worte, und das Wort spra<strong>ch</strong>: ›Es<br />
werde Li<strong>ch</strong>t!‹ Und da loderte im Herzen die Flamme der entzündeten Liebe auf,<br />
und es ward Li<strong>ch</strong>t in allen Räumen der Unendli<strong>ch</strong>keit! Und Gott sah in Si<strong>ch</strong> die<br />
große Herrli<strong>ch</strong>keit Seiner Liebe, und die Liebe ward gestärkt mit der Kraft der<br />
Gottheit, und so verband Si<strong>ch</strong> die Gottheit mit der Liebe ewigli<strong>ch</strong>, und das Li<strong>ch</strong>t<br />
ging aus der Wärme hervor. Und siehe, da sah die Liebe alle Herrli<strong>ch</strong>keiten, deren<br />
Zahl kein Ende ist, in der Gottheit, und die Gottheit sah, wie dieses alles aus der<br />
Liebe in Sie überging, und die Liebe sah in der Gottheit Ihre Gedanken und fand<br />
großes Wohlgefallen an denselben.« (HGt I,5,3ff.). Das Li<strong>ch</strong>t »in allen Räumen der<br />
Unendli<strong>ch</strong>keit« bedeutet die Erkenntnis in der Gottheit, denn die Gottheit ist ja<br />
»die Unendli<strong>ch</strong>keit« (HGt I,5,2); folgli<strong>ch</strong> ist au<strong>ch</strong> hier von der Selbsterkenntnis<br />
Gottes die Rede. Sie wird ans<strong>ch</strong>ließend als we<strong>ch</strong>selseitige Erkenntnis präzisiert,<br />
denn es heißt: »Und Gott sah in Si<strong>ch</strong> die große Herrli<strong>ch</strong>keit Seiner Liebe« (HGt<br />
I,5,4), und die Liebe sah »alle Herrli<strong>ch</strong>keiten … in der Gottheit, und die Gottheit<br />
sah, wie dieses alles aus der Liebe in Sie überging, und die Liebe sah in der Gottheit<br />
Ihre Gedanken« (HGt I,5,5). Hier ist viel vom Sehen die Rede, und dass es si<strong>ch</strong><br />
zwis<strong>ch</strong>en der Gottheit und der Liebe ereignet und daher we<strong>ch</strong>selseitig und alldur<strong>ch</strong>dringend<br />
ist. Die »Herrli<strong>ch</strong>keit« (hebr. »Kabod«), ein Begriff, der im Alten<br />
Testament zentral ist, ist der Glanz der Liebe, der si<strong>ch</strong> in der Gottheit als die Fülle<br />
der Gedanken spiegelt, weswegen sie »die Gedanken der Herrli<strong>ch</strong>keit« (HGt I,5,6)<br />
heißen.<br />
Zusammenfassend ist zu sagen: Die Deutung Mathaels, die Parallelen in der<br />
»Haushaltung« hat, sieht im S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t bisher unbekannte Vorgänge der<br />
Selbstfindung Gottes, wobei si<strong>ch</strong> das Gottheitszentrum (Erde) der Liebe als der<br />
s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong>e Geist in Gott erkennt. Swedenborg wird später in der Liebe die Ursa<strong>ch</strong>e<br />
der S<strong>ch</strong>öpfung sehen (WCR 46).<br />
S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> wird der erste Tag au<strong>ch</strong> im zweiten Band »des großen Evangeliums«<br />
ausgelegt; dort im Hinblick auf die Bildung intelligenter, freier Geistwesen, wie<br />
sie zuerst in der Urs<strong>ch</strong>öpfung ges<strong>ch</strong>ah. Wählt man diesen Interpretationshorizont,<br />
dann ist unter »Himmel« zu verstehen, »dass Gott die Intelligenzfähigkeit … außer<br />
Si<strong>ch</strong> hinausgestellt hat.« (GEJ II,219,6), das heißt »ein Heer der Geister« (HGt<br />
I,5,7), denn keine Fähigkeit kann ohne eine Form als Träger (Subjekt) der Fähigkeit<br />
bestehen. »Hinausstellen« bedeutet, dass die Geister, die eigentli<strong>ch</strong> Gedanken<br />
waren, nun »außer der Liebe [= Zentrum (GEJ II,219,6f.)] in der Gottheit fixierte<br />
Formen« wurden (HGt I,5,8). Die Geistwesen besaßen die Fähigkeit, Intelligenz zu<br />
entwickeln, - deswegen »Intelligenzfähigkeit«. Allerdings deutet die bloße Fähigkeit<br />
au<strong>ch</strong> einen Mangel an, denn sie allein »ist glei<strong>ch</strong> einem Spiegel, der in der<br />
finstersten Na<strong>ch</strong>t wohl au<strong>ch</strong> die Fähigkeit besitzt, äußere Gegenstände … aufzunehmen<br />
und wiederzugeben. Aber in der vollsten Na<strong>ch</strong>t, und daselbst in der
32 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
ebenso vollen Objektlosigkeit, ist der Spiegel eine Sa<strong>ch</strong>e für ni<strong>ch</strong>ts und wieder<br />
ni<strong>ch</strong>ts!« (GEJ II,219,6). Dieser Mangel der bloßen Intelligenzfähigkeit bedurfte<br />
einer Ergänzung; und das ist die »Erde«, denn »unter der ›Erde‹ verstand Moses<br />
bloß die Assimilations- und Attraktionsfähigkeit [Anglei<strong>ch</strong>ungs- und Anziehungsfähigkeit]<br />
der untereinander verwandten, hinausgestellten Intelligenzen« (GEJ<br />
II,219,8). Es liegt im Wesen der Gedanken, dass sie si<strong>ch</strong> je na<strong>ch</strong> den Graden der<br />
Verwandts<strong>ch</strong>aft anziehen und Vorstellungskomplexe bilden; so ges<strong>ch</strong>ah es au<strong>ch</strong><br />
bei den Urintelligenzformen: sie bildeten geistige Vereine. Für diesen »damals<br />
no<strong>ch</strong> tief geistigen Akt« (GEJ II,219,9) stellte Moses »das Bild der materiellen Erde«<br />
auf, »die an und für si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts als eben ein Konglomerat von lauter attraktionsfähigen<br />
und unter, wie in si<strong>ch</strong> verwandten Substantialpartikeln ist« (GEJ<br />
II,219,9). Der »Himmel« ist also die Fähigkeit, Intelligenz zu entwickeln oder<br />
Ideen zu produzieren; und die »Erde« ist die ergänzende Fähigkeit, Gedankenkomplexe<br />
oder -ballungen zu erzeugen.<br />
Nun heißt es aber: »Die Erde war wüst und leer«. Um das zu verstehen, muss man<br />
wissen, dass jeder Gedanke oder Begriff, obwohl er dem äußeren Mens<strong>ch</strong>en als<br />
das Li<strong>ch</strong>t des Bewusstseins ers<strong>ch</strong>eint, für si<strong>ch</strong> genommen »no<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong> einem<br />
leeren Gefäße« ist (GEJ II,220,3). Das hat au<strong>ch</strong> Swedenborg erkannt, denn »alles,<br />
was im mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Gedä<strong>ch</strong>tnis ist, ist ni<strong>ch</strong>ts weniger als wahr, obglei<strong>ch</strong> es so<br />
heißt, aber in diesen Gedä<strong>ch</strong>tnisinhalten als in den Gefäßen ist das Wahre.« (HG<br />
1469). Daher bezei<strong>ch</strong>net Swedenborg die Dinge des Wissens (scientifica) und die<br />
Begriffe (cognitiones) als bloße Gefäße (HG 1435, 1460), die freili<strong>ch</strong> der Erleu<strong>ch</strong>tung<br />
dur<strong>ch</strong> das innere Li<strong>ch</strong>t fähig sind, aber »mit der Fähigkeit allein, etwas in<br />
si<strong>ch</strong> aufnehmen zu können, wie au<strong>ch</strong> mit dem s<strong>ch</strong>on gefühlten Bedürfnisse dazu,<br />
ist no<strong>ch</strong> kein Gefäß vollgema<strong>ch</strong>t worden. Solange aber im Gefäße ni<strong>ch</strong>ts ist, solange<br />
au<strong>ch</strong> ist das Gefäß wüst und leer.« (GEJ II,220,1). So also ist es zu verstehen,<br />
dass die großen Gedankenansammlungen no<strong>ch</strong> wüst und leer waren. Die »Finsternis«<br />
bedeutet, »dass die Intelligenzfähigkeit und die attraktionsfähige Verwandts<strong>ch</strong>aft<br />
der Intelligenzen no<strong>ch</strong> kein wie immer geartetes Erkennen, Verständnis<br />
und Selbstbewusstsein - was alles identis<strong>ch</strong> ist mit dem einen Begriffe<br />
›Li<strong>ch</strong>t‹ - sondern das Gegenteil so lange bedingen muss, bis sie si<strong>ch</strong> ergreifen, si<strong>ch</strong><br />
dana<strong>ch</strong> zu drücken, zu reiben und also gewisserart miteinander zu kämpfen anfangen.«<br />
(GEJ II,219,10). Li<strong>ch</strong>t ist die Folgeers<strong>ch</strong>einung der Tätigkeit, weswegen<br />
si<strong>ch</strong> hier Verben der Bewegung, nämli<strong>ch</strong> »ergreifen«, »drücken«, »reiben« und<br />
»kämpfen«, häufen.<br />
Do<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> sind die Gedankenformen tat- und regungslos und werden daher mit<br />
dem trägen Wasser vergli<strong>ch</strong>en. Die »Erde« stellte die Gedanken dar, insofern sie<br />
ein Konglomerat waren; das Gewässer stellt wiederum die Gedanken dar, do<strong>ch</strong><br />
nun, insofern sie »zu einem einfa<strong>ch</strong>en [Element] zusammengemengt sind« (GEJ<br />
II,220,4). So wie das Wasser ein Urstoff ist - Thales von Milet (624 - 545 v. Chr.)<br />
sah im Wasser den Urgrund aller Dinge -, so au<strong>ch</strong> sind es die Gedanken. Do<strong>ch</strong> im<br />
Wasser ist no<strong>ch</strong> keine Form erkennbar, obglei<strong>ch</strong> es fähig ist, alle Formen hervor-
Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 33<br />
zubringen; ebenso ist es mit den Gedanken, solange sie ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> ein spezifis<strong>ch</strong>es<br />
Interesse und die dadur<strong>ch</strong> angeregte Tätigkeit ergriffen, strukturiert und<br />
ausgebildet werden. Deswegen au<strong>ch</strong> wurde die »Erde« ein »Konglomerat« genannt,<br />
denn das ist zwar eine Zusammenballung, die aber no<strong>ch</strong> gänzli<strong>ch</strong> ungegliedert ist;<br />
und da sie ungegliedert ist, ist sie eben au<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong>sam formlos oder nur lose zusammengemengt,<br />
so dass, wenn dieser Gesi<strong>ch</strong>tspunkt dargestellt werden soll, das<br />
Gewässer das beste Bild ist. Daher sagt der Herr bei Lorber: »Alle diese no<strong>ch</strong> tatund<br />
regungslosen Gedanken und Ideen der göttli<strong>ch</strong>en Weisheit werden au<strong>ch</strong><br />
hö<strong>ch</strong>st treffend vergli<strong>ch</strong>en mit dem ›Wasser‹, in dem au<strong>ch</strong> zahllose Spezifikalelemente<br />
wie zu einem einfa<strong>ch</strong>en zusammengemengt sind, aus dem aber endli<strong>ch</strong><br />
denno<strong>ch</strong> alle Körperwelt ihr hö<strong>ch</strong>st vers<strong>ch</strong>iedenartiges Dasein nimmt.« (GEJ<br />
II,220,4).<br />
Über diesem Gewässer s<strong>ch</strong>webte der Geist Gottes. Zunä<strong>ch</strong>st ein Wort zum hebräis<strong>ch</strong>en<br />
Verb »r<strong>ch</strong>p«, das meist mit »s<strong>ch</strong>weben« übersetzt wird. Im Syris<strong>ch</strong>en ist<br />
jedo<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> die Bedeutung »brüten« belegt, weswegen die Tätigkeit des Gottesgeistes<br />
bei Swedenborg und Lorber mit einer Henne vergli<strong>ch</strong>en wird: »Unter ›Geist<br />
Gottes‹ ist die Barmherzigkeit des Herrn zu verstehen, von der es heißt: sie bewege<br />
si<strong>ch</strong> (motitare)« über die Überreste »wie eine Henne über die Eier« (HG 19).<br />
»Wenn irgendein Mens<strong>ch</strong> … Gedanken zu Ideen verband und sie bewerkstelligt<br />
haben mö<strong>ch</strong>te, so muss er … zu seinen Gedanken und Ideen eine re<strong>ch</strong>t übermäßig<br />
große Liebe fassen. Von sol<strong>ch</strong>er Liebe werden dann seine Gedanken und Ideen<br />
also gehegt, wie da hegt eine Henne ihre Kü<strong>ch</strong>lein.« (GEJ II,220,6). Die Henne<br />
symbolisiert also die brütende und hegende Kraft der Liebe, wel<strong>ch</strong>e die no<strong>ch</strong> unentwickelten<br />
Gedankenformen ausbrütet und lebensfähig ma<strong>ch</strong>t. Denn zunä<strong>ch</strong>st<br />
gilt no<strong>ch</strong>, was in der »Haushaltung« von ihnen gesagt wird: »… alle diese Wesen [=<br />
Gedankenformen] waren no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t lebendig und empfanden no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t und sahen<br />
no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t« (HGt I,5,8). Der innere Tätigkeitsbeginn oder die Lebensenergie,<br />
die alle Formen dur<strong>ch</strong>dringt, ist die Liebe. Au<strong>ch</strong> wir spüren, dass unsere geistigen<br />
Prozesse vom Leben dur<strong>ch</strong>pulst und strukturiert werden, wenn von innen her<br />
Interesse, Neigung und Motivation hinzukommen, alles Ers<strong>ch</strong>einungsformen der<br />
Lebensliebe. Die Liebe ist der Gottesgeist im Herzen, brütend über den Gewässern<br />
der no<strong>ch</strong> toten Gedanken: »Und sehet, sol<strong>ch</strong> eine Liebe ist eben der Geist Gottes in<br />
Gott Selbst, der da, na<strong>ch</strong> Moses, auf dem Wasser s<strong>ch</strong>webte, das an und für si<strong>ch</strong><br />
ni<strong>ch</strong>ts anderes besagt, als die no<strong>ch</strong> form- und wesenlose unendli<strong>ch</strong>e Masse 39 der<br />
Gedanken und Ideen Gottes! Dur<strong>ch</strong> diesen Geist belebt, fingen die Gedanken Gottes<br />
an, si<strong>ch</strong> zu großen Ideen zu verbinden, und es drängte ein Gedanke den andern<br />
und eine Idee die andere. Und seht, da ges<strong>ch</strong>ieht dann in der göttli<strong>ch</strong>en Ordnung<br />
ja wie von selbst das ›Es werde Li<strong>ch</strong>t!‹ und ›Es ward Li<strong>ch</strong>t!‹« (GEJ II,220,6f.).<br />
Die Formel, »Und Gott sah, dass das Li<strong>ch</strong>t gut war«, ist »ein Zeugnis der ewigen<br />
und endlosen Weisheit Gottes, laut der dies Li<strong>ch</strong>t ein wahrhaft freies, si<strong>ch</strong> von<br />
39<br />
Wiederum ist, wie au<strong>ch</strong> in GEJ III,28,7 und HGt I,5,2, von Masse die Rede.
34 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
selbst aus der Tätigkeit der Gedanken und Ideen Gottes na<strong>ch</strong> der Ordnung der<br />
Weisheit entwickeltes Geistlebensli<strong>ch</strong>t ist, dur<strong>ch</strong> das die auf diese Weise von Gott<br />
hinausgestellten Gedanken und Ideen Gottes si<strong>ch</strong> als selbständige Wesen na<strong>ch</strong><br />
eigener Intelligenz weiterhin, natürli<strong>ch</strong> unter dem unvermeidbar beständigen<br />
Einflusse Gottes, wie von si<strong>ch</strong> selbst heraus ausbilden können.« (GEJ II,220,8). Die<br />
ans<strong>ch</strong>ließende S<strong>ch</strong>eidung des Li<strong>ch</strong>tes von der Finsternis bedeutet, dass si<strong>ch</strong> das<br />
freie Geistesleben über das geri<strong>ch</strong>tete, nur von außen bewegte Leben erhebt: »Diese<br />
Sa<strong>ch</strong>e wird … lei<strong>ch</strong>ter verständli<strong>ch</strong>, so ihr statt der beiden von Moses aufgestellten<br />
allgemeinsten Begriffe die entspre<strong>ch</strong>enden mehr sonderheitli<strong>ch</strong>en nehmet,<br />
als für den Tag das s<strong>ch</strong>on selbständige Leben und für die Na<strong>ch</strong>t den Tod,<br />
oder für den Tag die Freiheit und für die Na<strong>ch</strong>t das Geri<strong>ch</strong>t, oder für den Tag die<br />
Selbständigkeit und für die Na<strong>ch</strong>t die Gebundenheit, oder für den Tag das si<strong>ch</strong><br />
selbst s<strong>ch</strong>on erkennende Liebeleben des göttli<strong>ch</strong>en Geistes in der neuen Kreatur<br />
und für die Na<strong>ch</strong>t die no<strong>ch</strong> unbelebten Gedanken und Ideen aus Gott.« (GEJ<br />
II,221,1). Und s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> der We<strong>ch</strong>sel von Abend und Morgen: »Der Abend ist<br />
hier derjenige Zustand, in dem si<strong>ch</strong> die Vorbedingungen zur endli<strong>ch</strong>en Aufnahme<br />
des Liebelebens aus Gott dur<strong>ch</strong> den Einfluss des allmä<strong>ch</strong>tigen Gotteswillens zu<br />
konstatieren und zu ergreifen anfangen, glei<strong>ch</strong> den einzelnen Gedanken und Begriffen<br />
zu einer Idee.« (GEJ II,221,3). Da dies no<strong>ch</strong> ein geri<strong>ch</strong>teter (= zwangsläufiger)<br />
Prozess ist, wird die Allma<strong>ch</strong>t des Gotteswillens eigens erwähnt. Der<br />
Morgen bezei<strong>ch</strong>net dann den Ȇbergang des vorhergehenden geri<strong>ch</strong>teten, unfreien<br />
Zustandes der Kreatur in den freien, selbständigen« (GEJ II,221,3).<br />
Na<strong>ch</strong>dem i<strong>ch</strong>, weil i<strong>ch</strong> das vorhandene Material ni<strong>ch</strong>t unters<strong>ch</strong>lagen wollte, die<br />
drei besonderen Perspektiven der Interpretation vorgestellt habe, will i<strong>ch</strong> nun<br />
wieder zum Hauptstrang zurückkehren, der bei Swedenborg und bei Lorber im<br />
ersten Band »des großen Evangeliums« zu finden ist; er sieht im S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t<br />
die Wiedergeburt thematisiert. Der »Himmel« ist der innere Mens<strong>ch</strong>; die<br />
»Erde« der äußere, der als sol<strong>ch</strong>er wüst und leer und finster in seiner Welttiefe ist.<br />
Der »Geist Gottes« bezei<strong>ch</strong>net die erbarmende Liebe, die mittels der im Unbewussten<br />
verborgenen Überreste des Guten und Wahren die s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ten Erkenntnisse<br />
des äußeren Mens<strong>ch</strong>en belebend dur<strong>ch</strong>dringen will, um auf diese Weise das erste<br />
Li<strong>ch</strong>t eines höheren Bewusstseins zu erzeugen, das den Mens<strong>ch</strong>en befähigt, seine<br />
bisherige Lebensfinsternis als sol<strong>ch</strong>e zu erkennen.<br />
3.3.2. Der zweite Tag<br />
Die Verse 6 bis 8: 6. 40 Und Gott spra<strong>ch</strong>: »Es sei eine Feste 41 inmitten der Wasser,<br />
die sei den Wassern eine S<strong>ch</strong>eide zwis<strong>ch</strong>en den Wassern.« [Und so ges<strong>ch</strong>ah es:] 42<br />
40<br />
Lorber: »Da ma<strong>ch</strong>te Gott eine Feste zwis<strong>ch</strong>en den beiden Wassern … und teilte also die beiden<br />
Wasser.« (GEJ I,158,2).<br />
41<br />
»Raqia‘«, Swedenborg hat »expansum« (Ausbreitung). Das Substantiv »raqia‘« bezei<strong>ch</strong>net das<br />
»Firmament« (= die Feste) und die »Ausbreitung«.
Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 35<br />
7. 43 Gott ma<strong>ch</strong>te die Feste und s<strong>ch</strong>ied die Wasser, die unterhalb der Feste waren,<br />
von den Wassern, die oberhalb der Feste waren. 8. Und Gott nannte die Feste<br />
»Himmel«. Und es war Abend, und es war Morgen, der zweite Tag.<br />
Das Wort »raqia‘« wird von Swedenborg mit »expansum« (Ausbreitung) und bei<br />
Lorber mit »Feste« (GEJ I,158,2) wiedergegeben. Swedenborg kommt zu seiner<br />
Übersetzung, weil »raqia« von einem Verb »rq‘« abgeleitet ist, das u. a. »ausbreiten«<br />
bedeutet. Außerdem gibt es in der Heiligen S<strong>ch</strong>rift die Redewendung »die<br />
Erde ausbreiten und den Himmel ausdehnen«, womit die Wiedergeburt des Mens<strong>ch</strong>en<br />
gemeint ist. Swedenborg nennt die beiden Stellen bei Jesaja (HG 25, 9596):<br />
»So spri<strong>ch</strong>t der Gott Jehovah, der die Himmel ers<strong>ch</strong>uf und sie ausspannte, der die<br />
Erde ausbreitete und ihre Sprösslinge, der dem Volk auf ihr Odem gab, und Geist<br />
denen, die auf ihr wandeln.« (Jes 42,5). »I<strong>ch</strong>, Jehovah, ma<strong>ch</strong>e alles, spanne die<br />
Himmel aus allein, breite die Erde aus von mir selbst.« (Jes 44,24). Interessanterweise<br />
wird hier, wie au<strong>ch</strong> in Ps 136,6, »raqa« auf die Erde bezogen; die Erde (= der<br />
äußere Mens<strong>ch</strong>) wird ausgebreitet, aber der Himmel (= der innere Mens<strong>ch</strong>) ist die<br />
Ausbreitung. »Feste«, die Übersetzung bei Lorber, ist ebenso bere<strong>ch</strong>tigt, denn<br />
»Raqia« ist das Firmament (von firmare = fest ma<strong>ch</strong>en, bekräftigen) oder die feste<br />
Himmelswölbung.<br />
Die »Ausbreitung« ist »der innere Mens<strong>ch</strong>« (HG 24) bzw. das si<strong>ch</strong> von daher ausbreitende<br />
»neue Wollen und Denken« (HG 9596). Die »Feste« hingegen ist der<br />
Glaube, der dieses neue Wollen und Denken wie ein fester und uners<strong>ch</strong>ütterli<strong>ch</strong>er<br />
Grund trägt; bei Lorber lesen wir: »Die Feste aber ist der eigentli<strong>ch</strong>e Himmel im<br />
Mens<strong>ch</strong>enherzen und spri<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> aus im wahren lebendigen Glauben« (GEJ<br />
I,158,3). Dass si<strong>ch</strong> diese beiden Interpretationen ergänzen, ist offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>, denn<br />
der Glaube wohnt im inneren Mens<strong>ch</strong>en; der äußere Mens<strong>ch</strong> kennt nur das Glaubenswissen,<br />
aber ni<strong>ch</strong>t die innere Gewissheit und das Vertrauen.<br />
»Die Wasser unterhalb der Ausbreitung« bezei<strong>ch</strong>nen »die Kenntnisse (scientifica)<br />
des äußeren Mens<strong>ch</strong>en« (HG 24), zu denen au<strong>ch</strong> sein Glaubenswissen gehört, das<br />
Swedenborg in HG 10238 »das Glaubenswahre des äußeren Mens<strong>ch</strong>en« nennt.<br />
»Die Wasser oberhalb der Ausbreitung« bezei<strong>ch</strong>nen »die Erkenntnisse (cognitiones)<br />
beim inneren Mens<strong>ch</strong>en« (HG 24) bzw. das dortige »Glaubenswahre« (HG<br />
10238). Au<strong>ch</strong> bei Lorber symbolisieren die Wasser »die beiderlei Erkenntnisse«<br />
(GEJ I,158,2), nämli<strong>ch</strong> die rein irdis<strong>ch</strong>e »Verstandesbildung« (GEJ I,157,13) einerseits,<br />
zu der au<strong>ch</strong> das bloß angelernte Glaubenswissen gehört, und »das Gottesli<strong>ch</strong>t<br />
im Mens<strong>ch</strong>enherzen« (GEJ I,158,1) andererseits.<br />
42<br />
»Wajehi ken«, Swedenborg hat »et factum ita« (= und so ges<strong>ch</strong>ah es). I<strong>ch</strong> beziehe diese Formel<br />
als Einleitungsformel auf das jeweils Folgende, also den Ausführungsberi<strong>ch</strong>t. Zur Positionierung<br />
der Formel am Ende von Vers 6, ist zu sagen, dass i<strong>ch</strong> hier der Septuaginta folge (vgl.<br />
au<strong>ch</strong> die Verse 9, 11, 15, 20, 24 und 30).<br />
43<br />
Na<strong>ch</strong> der Einleitungsformel des Ausführungsberi<strong>ch</strong>tes lasse i<strong>ch</strong> das »und« weg.
36 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Die Interpretation des zweiten Tages bei Lorber, die mit den Ausführungen Swedenborgs<br />
in HG 24-26 zu verglei<strong>ch</strong>en ist, lautet im Zusammenhang:<br />
LORBER: »Es könnte aber sehr lei<strong>ch</strong>t ges<strong>ch</strong>ehen, dass das Gottesli<strong>ch</strong>t im Mens<strong>ch</strong>enherzen<br />
si<strong>ch</strong> ergösse ins Abendli<strong>ch</strong>t und alsdann verzehrt oder zum wenigsten also<br />
vermengt würde, dass man am Ende ni<strong>ch</strong>t mehr wüsste, was da Naturli<strong>ch</strong>t und was<br />
da Gottesli<strong>ch</strong>t sei im Mens<strong>ch</strong>en. Da ma<strong>ch</strong>te Gott eine Feste zwis<strong>ch</strong>en den beiden<br />
Wassern, die da besagen die beiderlei Erkenntnisse … und teilte also die beiden<br />
Wasser. Die Feste aber ist der eigentli<strong>ch</strong>e Himmel im Mens<strong>ch</strong>enherzen und spri<strong>ch</strong>t<br />
si<strong>ch</strong> aus im wahren lebendigen Glauben, aber ewig nie in einer leeren und ni<strong>ch</strong>tigen<br />
Verstandesgrübelei.« (GEJ I,158,1-3).<br />
No<strong>ch</strong> ein Wort zum Zusammenhang von »Himmel« und »Wasser», denn beide<br />
Begriffe spielen am zweiten Tag eine zentrale Rolle und sind, wie es die folgende<br />
Analyse zeigen soll, inhaltli<strong>ch</strong> eng aufeinander bezogen. Das hebräis<strong>ch</strong>e Wort für<br />
»Himmel« lautet »s<strong>ch</strong>amajim«, während si<strong>ch</strong> das hebräis<strong>ch</strong>e Wort für »Wasser«<br />
davon nur dur<strong>ch</strong> das fehlende »s<strong>ch</strong>in« (s<strong>ch</strong>) unters<strong>ch</strong>eidet, also »majim« lautet. 44<br />
»Mem« (m) ist der Laut der Formbildung. »Urspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> stellt daher das M den<br />
typis<strong>ch</strong>en Mutterlaut dar und wird au<strong>ch</strong> fast in allen Spra<strong>ch</strong>en in diesem Sinn<br />
gebrau<strong>ch</strong>t.« 45 Die Form ist das Wahre, denn »das Wahre ist die Form des Guten«<br />
(HG 3039). Deswegen heißen die platonis<strong>ch</strong>en Ideen bei Aristoteles Formen. Es<br />
zeigt si<strong>ch</strong> also wiederum, dass »Himmel« und »Wasser« ganz allgemein die Sphäre<br />
des Formhaften meinen, weswegen der »Himmel« als »das Geistige« im Mens<strong>ch</strong>en<br />
(GEJ I,157,4) und das »Gewässer« als die »Erkenntnisse« gedeutet wurden. Tritt<br />
nun zum Wasser (Majim) das S<strong>ch</strong>in hinzu, dann entsteht der Himmel (S<strong>ch</strong>amajim).<br />
S<strong>ch</strong>in ist der Laut für das Geistfeuer im Mens<strong>ch</strong>en 46 . Das heißt nun: Wenn<br />
uns bewusst wird, dass die Welt der Formen aus dem Geistfeuer der Liebe gezeugt<br />
wird, dann verklärt si<strong>ch</strong> das Wasser zum Himmel. Der erste S<strong>ch</strong>ritt dahin<br />
besteht darin, dass si<strong>ch</strong> der Himmel im Mens<strong>ch</strong>enherzen zunä<strong>ch</strong>st im wahren<br />
lebendigen Glauben ausspri<strong>ch</strong>t (vgl. GEJ I,158,3). Dieser aus dem inneren Mens<strong>ch</strong>en<br />
erwa<strong>ch</strong>ende Glaube befähigt uns, das äußere Bewusstsein als ein äußeres<br />
zu erkennen und vom inneren Bewusstsein zu unters<strong>ch</strong>ieden. Das ist das Thema<br />
des zweiten Tages.<br />
44<br />
THAT zu »s<strong>ch</strong>amajim«: »Die Ableitung von glei<strong>ch</strong> auslautendem majim ›Wasser‹ wird von BL<br />
621 ernsthaft in Betra<strong>ch</strong>t gezogen (*s<strong>ch</strong>a = Relativpronomen + *maju ›Wasser‹, also ›Ort des<br />
Wassers‹) und von KBL 986b erwogen; es dürfte si<strong>ch</strong> aber wohl hö<strong>ch</strong>stens um eine unter<br />
Ausnützung der Assonanz gebildete Volksetymologie handeln …, bei der der ›Himmel‹ mit der<br />
die kosmis<strong>ch</strong>en Wasser zurückhaltenden ›Feste‹ (raqia‘) glei<strong>ch</strong>gesetzt wird.« (THAT II,966).<br />
45<br />
M. Kahir, Das verlorene Wort, Seite 233.<br />
46<br />
M. Kahir, Das verlorene Wort, Seite 256.
Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 37<br />
3.3.3. Der dritte Tag<br />
Die Verse 9 bis 10: 9. 47 Und Gott spra<strong>ch</strong>: »Die Wasser unterhalb des Himmels sollen<br />
si<strong>ch</strong> an einem (einzigen) Ort sammeln, so dass das Trockene 48 si<strong>ch</strong>tbar werde.«<br />
Und so ges<strong>ch</strong>ah es: [Die Wasser unterhalb des Himmels sammelten si<strong>ch</strong> an ihren<br />
Sammelplätzen, so dass das Trockene si<strong>ch</strong>tbar wurde.] 10. Und Gott nannte das<br />
Trockene »Erde«, während er den Sammelplatz der Wasser »Meere« nannte. Und<br />
Gott sah, dass es gut war.<br />
Na<strong>ch</strong>dem man si<strong>ch</strong> am zweiten Tag den Glauben erworben hat, wel<strong>ch</strong>er der anfängli<strong>ch</strong>e<br />
Himmel eines höheren Bewusstseins ist, wendet si<strong>ch</strong> das Ges<strong>ch</strong>ehen<br />
nun der Erde zu. Dort sammelt si<strong>ch</strong> das Wasser an einem bestimmten Ort, so dass<br />
das Festland si<strong>ch</strong>tbar wird. Die Ansammlung des Wassers ist das im Gedä<strong>ch</strong>tnis<br />
angesammelte Wissen, das jetzt als ein sol<strong>ch</strong>es erkennbar wird, denn vorher, als<br />
alles no<strong>ch</strong> Wasser war, konnte die Wasserwelt in ihrer Besonderheit ni<strong>ch</strong>t erkannt<br />
werden, weil jede Wahrnehmung eine sol<strong>ch</strong>e von Unters<strong>ch</strong>ieden ist (vgl. HH 541).<br />
Indem nun aber das Wissen als bloßes Wissen erkannt wird, zeigt si<strong>ch</strong> dessen<br />
relativ geringer Wert, denn nun entdeckt man, dass das gesamte höhere Bewusstsein<br />
im Gedä<strong>ch</strong>tnis den Verlust einer Dimension erleidet, nämli<strong>ch</strong> der Tiefe; im<br />
Gedä<strong>ch</strong>tnis ist alles nur no<strong>ch</strong> Wissen: »Alles, was dem Gedä<strong>ch</strong>tnis des äußeren<br />
Mens<strong>ch</strong>en eingepflanzt wird - es sei natürli<strong>ch</strong> oder geistig oder himmlis<strong>ch</strong> - bleibt<br />
dort als (bloßes) Wissen.« (HG 27).<br />
Wie alle Mens<strong>ch</strong>en, die ein Innewerden des Wahren hatten, erkannte au<strong>ch</strong> Swedenborg,<br />
dass das Wissen die unterste Stufe des Wahrheitserfassens ist, und entwickelte<br />
einen Stufenweg der Erkenntnis, dessen Stufen Wissen, Vernunft, Einsi<strong>ch</strong>t<br />
und Weisheit sind (vgl. HG 124). Das Wissen ist zwar das Fundament, auf<br />
dem jede höhere Erkenntnis aufbaut, aber wie jedes Fundament liegt es unten, im<br />
Natürli<strong>ch</strong>en: »Die Wahrheiten des natürli<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en sind die Wissensdinge.«<br />
(NJ 23). Aus dem gereiften Erfahrungswissen entwickelt si<strong>ch</strong> die Vernunft (vgl.<br />
GLW 237); aber au<strong>ch</strong> sie ist no<strong>ch</strong> ein relativ äußerli<strong>ch</strong>er Grad der Erkenntnis. Die<br />
erste innere Stufe ist die Einsi<strong>ch</strong>t oder das Verständnis (intelligentia), »denn Einsi<strong>ch</strong>t<br />
ist inwendig in si<strong>ch</strong> sehen [daher Ein-si<strong>ch</strong>t], ob etwas wahr oder ni<strong>ch</strong>t wahr<br />
ist; wer dagegen nur aus dem Weltli<strong>ch</strong>en weise ist, der sieht das Wahre ni<strong>ch</strong>t inwendig<br />
in si<strong>ch</strong>, sondern aus anderen Dingen, und das ist bloßes Wissen« (OE<br />
198). Die hö<strong>ch</strong>ste Stufe ist die Weisheit (sapientia). »Der Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en<br />
Einsi<strong>ch</strong>t und Weisheit besteht darin, dass die Einsi<strong>ch</strong>t dem Wahrheitsverständnis<br />
des geistigen Mens<strong>ch</strong>en angehört, die Weisheit hingegen dem Wahrheitsverständ-<br />
47<br />
Lorber: »Und sehet, das ist es, was im Moses ges<strong>ch</strong>rieben steht, dass Gott befohlen hat den<br />
Wassern, dass sie si<strong>ch</strong> sammeln sollen in gewisse, abgesonderte Örter und man dadur<strong>ch</strong> das<br />
trockene und feste Erdrei<strong>ch</strong> ersehe, aus dem allein die Samen zur lebendigen und belebenden<br />
Fru<strong>ch</strong>t erwa<strong>ch</strong>sen können! Und es heißt: ›Und Gott nannte das Trockene Erde und das nun an<br />
bestimmte Örter versammelte Wasser Meer.‹« (GEJ I,158,11f.).<br />
48<br />
»Jabas<strong>ch</strong>a«, Swedenborg hat »arida« (das Trockene). Das hebräis<strong>ch</strong>e Wort meint au<strong>ch</strong> das<br />
Festland. Trocken werden ist also im Sinne von fest werden zu verstehen.
38 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
nis des himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en, der es aus dem Willen des Guten hat.« (OE 280).<br />
Einsi<strong>ch</strong>t ist also die spezifis<strong>ch</strong>e Erkenntnis des geistigen, Weisheit hingegen die<br />
des himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en. Zum Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en Einsi<strong>ch</strong>t und Weisheit<br />
heißt es ferner: »Die himmlis<strong>ch</strong>e Liebe ist mit der Weisheit und die geistige mit<br />
der Einsi<strong>ch</strong>t eheli<strong>ch</strong> verbunden. Sa<strong>ch</strong>e der Weisheit ist es nämli<strong>ch</strong>, Gutes zu tun<br />
aus dem Guten heraus, Sa<strong>ch</strong>e der Einsi<strong>ch</strong>t aber, Gutes zu tun aus dem Wahren<br />
heraus.« (GLW 427). »Das Denken von den Endzwecken her ist Sa<strong>ch</strong>e der Weisheit,<br />
das Denken von den Ursa<strong>ch</strong>en her ist eine Angelegenheit der Einsi<strong>ch</strong>t, und<br />
das Denken von den Wirkungen her ist Sa<strong>ch</strong>e des Wissens.« (GLW 202). Wissen<br />
(scientia), Einsi<strong>ch</strong>t (intelligentia) und Weisheit (sapientia) sind also der natürli<strong>ch</strong>e,<br />
der geistige und der himmlis<strong>ch</strong>e Grad des Li<strong>ch</strong>tes, wobei das Wissen als ein von<br />
außen angeeignetes eigentli<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> geistige Finsternis ist, die si<strong>ch</strong> erst am vierten<br />
Tag verflü<strong>ch</strong>tigt, wenn der Mond (Einsi<strong>ch</strong>t) und die Sonne (Weisheit) zu leu<strong>ch</strong>ten<br />
beginnen.<br />
Do<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on am dritten Tag ma<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> die Sehnsu<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> den wahren Lebensli<strong>ch</strong>tern<br />
bemerkbar, denn »das Trockene« wird si<strong>ch</strong>tbar, womit die Willenssphäre<br />
gemeint ist. Indem nun der Impuls aus dem göttli<strong>ch</strong>en Geist den Willen errei<strong>ch</strong>t,<br />
beeinflusst er das Leben, so dass si<strong>ch</strong> in der Folge das Li<strong>ch</strong>t aus dem Leben entwickeln<br />
kann. Do<strong>ch</strong> der Reihe na<strong>ch</strong>: Die Erde ist »der äußere Mens<strong>ch</strong>« (HG 27),<br />
insofern er das Gute und Wahre (die Saat des Lebens) aufnehmen kann und soll.<br />
Swedenborg s<strong>ch</strong>reibt: »Dass die Erde das Aufnehmende (receptaculum) bezei<strong>ch</strong>net,<br />
geht aus der folgenden Stelle bei Sa<strong>ch</strong>arja hervor: ›Jehovah dehnt die Himmel<br />
aus und gründet die Erde und bildet den Geist des Mens<strong>ch</strong>en in seiner Mitte‹<br />
(Sa<strong>ch</strong> 12,1).« (HG 28). Das hier mit »Mitte« übersetzte hebräis<strong>ch</strong>e Wort (qäräb)<br />
kann au<strong>ch</strong> das Innere bezei<strong>ch</strong>nen. Wenn also der Herr den Geist im Inneren des<br />
Mens<strong>ch</strong>en bildet, dann muss der Mens<strong>ch</strong> selbst (die Erde) ein Gefäß sein. Das<br />
Gefäßhafte wird also dur<strong>ch</strong> die Erde, die dem Himmel gegenüber das Weibli<strong>ch</strong>e<br />
ist, versinnbildli<strong>ch</strong>t. Das hebräis<strong>ch</strong>e Wort für Erde (’äräz') besteht aus den Lautideen<br />
Aleph (’) = das Göttli<strong>ch</strong>e, Res<strong>ch</strong> (r) = die Herrs<strong>ch</strong>aft und Sade (z') = das<br />
Stoffli<strong>ch</strong>e; daher ist »’äräz'« das Stoffli<strong>ch</strong>e, in dem das Göttli<strong>ch</strong>e zur Herrs<strong>ch</strong>aft<br />
kommen soll. 49<br />
Nun nimmt aber der Mens<strong>ch</strong> nur das wirkli<strong>ch</strong> auf, was er verwirkli<strong>ch</strong>en will.<br />
Deswegen wird die Erde »das Trockene« genannt, denn damit ist der zur Tat fest<br />
ents<strong>ch</strong>lossene Wille gemeint, was viellei<strong>ch</strong>t deutli<strong>ch</strong>er wird, wenn man das hebräis<strong>ch</strong>e<br />
Wort (jabas<strong>ch</strong>a) mit »Festland« übersetzt. Swedenborg s<strong>ch</strong>reibt: »Die<br />
Erde heißt im Verhältnis zum Meer au<strong>ch</strong> ›das Trockene‹; dann wird ›das Trockene‹<br />
vom Guten und ›das Meer‹ vom Wahren ausgesagt.« (HG 8185). Das wahre »Festland«<br />
ist also der zum Guten fest ents<strong>ch</strong>lossene Wille, weswegen Swedenborg den<br />
dritten Zustand als »Buße« (= Wille zur Besserung) <strong>ch</strong>arakterisiert (HG 9). Der<br />
49<br />
Viktor Mohr s<strong>ch</strong>reibt: »›Erde‹ (arez) bezei<strong>ch</strong>net die größte Verdi<strong>ch</strong>tung des Geistes im Stoff«<br />
(M. Kahir, Das verlorene Wort, Seite 52).
Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 39<br />
feste Glaube des zweiten Tages (die Himmelsfeste) wird nun also dur<strong>ch</strong> den festen<br />
Willen (das Festland) ergänzt.<br />
Diese Interpretation ist au<strong>ch</strong> den Lorbers<strong>ch</strong>riften zu entnehmen, denn dort lesen<br />
wir: »Der Mens<strong>ch</strong> wird … gesondert sogar in seinem naturmäßigen Teile. Die Erkenntnise<br />
haben ihren Ort, das ist das Meer des Mens<strong>ch</strong>en, und die aus den Erkenntnissen<br />
hervorgegangene Liebe als ein Frü<strong>ch</strong>te zu tragen fähiges Erdrei<strong>ch</strong> 50<br />
wird stets von dem Meere als der Gesamtheit der Erkenntnisse re<strong>ch</strong>ten Li<strong>ch</strong>tes<br />
umspült und zur stets rei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>eren Hervorbringung allerlei edelster Frü<strong>ch</strong>te neu<br />
gekräftigt.« (GEJ I,158,16). Das »Meer« ist also »die Gesamtheit der Erkenntnisse«<br />
(vgl. Swedenborgs Gedä<strong>ch</strong>tniswissen), und »das trockene und feste Erderei<strong>ch</strong>«<br />
(GEJ I,158,11) ist die »Liebe« (vgl. das Gute bei Swedenborg in HG 8185).<br />
Die Liebe befähigt den Mens<strong>ch</strong>en das Wissen als Wissen zu erkennen und von<br />
den Stufen der inneren Wahrnehmung zu unters<strong>ch</strong>eiden. Dieser Gedanke tau<strong>ch</strong>t<br />
in den Lorbers<strong>ch</strong>riften ganz ähnli<strong>ch</strong> wie bei Swedenborg auf: Am zweiten Tag<br />
glei<strong>ch</strong>t der Mens<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> »einer puren Wasserwelt, die wohl von allen Seiten mit<br />
li<strong>ch</strong>tdur<strong>ch</strong>flossener Luft umgeben ist, wobei er aber am Ende do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t darüber<br />
ins klare kommen kann, ob seine Wasserwelt aus der sie umgebenden Li<strong>ch</strong>tluft,<br />
oder ob diese aus der Wasserwelt hervorgegangen ist, - d.h.: er weiß es in si<strong>ch</strong><br />
no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t klar genug, ob si<strong>ch</strong> seine geistige Erkenntnis aus seinem Naturverstande,<br />
oder ob dieser aus der geheim im Mens<strong>ch</strong>en s<strong>ch</strong>on etwa daseienden und<br />
also au<strong>ch</strong> im Anfange ganz geheim wirkenden geistigen Erkenntnis si<strong>ch</strong> entwickelt<br />
hat, oder, um no<strong>ch</strong> handgreifli<strong>ch</strong>er zu reden, er weiß es ni<strong>ch</strong>t, geht der<br />
Glaube aus dem Wissen oder das Wissen aus dem Glauben hervor, und wel<strong>ch</strong> ein<br />
Unters<strong>ch</strong>ied da ist zwis<strong>ch</strong>en beiden.« (GEJ I,158,7). Was hier »geistige Erkenntnis«<br />
und »Naturverstand« heißt, wird, wie wir gesehen haben, bei Swedenborg »intelligentia«<br />
(= die Einsi<strong>ch</strong>t des geistigen Mens<strong>ch</strong>en) und »scientia« bzw. »scientifica«<br />
(= das Wissen des natürli<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en) genannt.<br />
Die Verse 11 bis 13: 11. 51 Und Gott spra<strong>ch</strong>: »Die Erde lasse zartes-Grün 52 hervorsprießen<br />
53 ; Pflanzen 54 , die Samen bilden, [und] Fru<strong>ch</strong>tbäume 55 , die Frü<strong>ch</strong>te brin-<br />
50<br />
Lorber: »Sol<strong>ch</strong>e Wärme aber heißt die Liebe und ist geistig zuglei<strong>ch</strong> das Erdrei<strong>ch</strong>, in wel<strong>ch</strong>em<br />
die Samen ihre Keime und Wurzeln zu treiben beginnen.« (GEJ I,158,10).<br />
51<br />
Lorber: »›Es lasse die Erde nun aufgehen allerlei Gras und Kraut, das si<strong>ch</strong> besame, und<br />
fru<strong>ch</strong>tbare Bäume und Gesträu<strong>ch</strong>e aller Art, davon ein jegli<strong>ch</strong>es Fru<strong>ch</strong>t trage na<strong>ch</strong> seiner Art<br />
und seinen eigenen Samen habe bei si<strong>ch</strong> auf Erden!‹« (GEJ I,159,2).<br />
52<br />
»Däs<strong>ch</strong>ä’«, Swedenborg hat »herba tenera« (zartes Gras) im Unters<strong>ch</strong>ied zu Sebastian S<strong>ch</strong>midt,<br />
der »gramen« (Gras) hat. Swedenborg betont also das Zarte (siehe HG 29). Swedenborg benutzte<br />
unter anderem die lateinis<strong>ch</strong>e Übersetzung der Bibel von Sebastian S<strong>ch</strong>midt (1617-<br />
1696), ers<strong>ch</strong>ienen 1696 unter dem Titel »Biblia Sacra, sive Testamentum Vetus et Novum«.<br />
Swedenborgs Exemplar mit seinen Randbemerkungen wird in den Codices 89 und 90 in der<br />
Bibliothek der »Royal Swedish Academy of Sciences« aufbewahrt. Swedenborgs Übersetzung<br />
ist wörtli<strong>ch</strong>er als S<strong>ch</strong>midts. Der Ausleger des geistigen Sinnes wollte also fest auf dem Boden<br />
des bu<strong>ch</strong>stäbli<strong>ch</strong>en Sinnes stehen.<br />
53<br />
»Tads<strong>ch</strong>e«, Swedenborg hat »progerminare facere« (hervorsprossen lassen).
40 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
gen 56 na<strong>ch</strong> ihrer Art 57 und ihren Samen bei si<strong>ch</strong> haben auf der Erde.« Und so ges<strong>ch</strong>ah<br />
es: 12. Die Erde bra<strong>ch</strong>te hervor zartes-Grün, Pflanzen, die Samen bilden,<br />
na<strong>ch</strong> ihren Arten, und Bäume, die Frü<strong>ch</strong>te bringen, in denen ihr Same ist, na<strong>ch</strong> ihren<br />
Arten. Und Gott sah, dass es gut war. 13. Und es war Abend, und es war Morgen,<br />
der dritte Tag.<br />
Swedenborg s<strong>ch</strong>reibt: »Wenn die Erde bzw. der Mens<strong>ch</strong> so vorbereitet ist, dass er<br />
vom Herrn den himmlis<strong>ch</strong>en Samen aufnehmen und etwas Gutes und Wahres<br />
hervorbringen kann, dann lässt der Herr zuerst etwas Zartes hervorsprießen, das<br />
sogenannte ›zarte Grün‹; dann etwas Nützli<strong>ch</strong>eres, das si<strong>ch</strong> wiederum aussät, und<br />
›samenbildende Pflanze‹ genannt wird; und s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> etwas Gutes, das si<strong>ch</strong> befru<strong>ch</strong>tet,<br />
und ›Baum, der eine Fru<strong>ch</strong>t bringt, in der sein Same ist‹ genannt wird«<br />
(HG 29). Die Gewä<strong>ch</strong>se des dritten Tages bezei<strong>ch</strong>nen also das, was der äußere<br />
Mens<strong>ch</strong> hervorbringt; und das sind, um glei<strong>ch</strong> die Parallele bei Lorber zu nennen,<br />
»allerlei Werke« (GEJ I,159,6). Die drei Gewä<strong>ch</strong>sgattungen, das zarte Grün, die<br />
samenbildenden Pflanzen und die Fru<strong>ch</strong>tbäume werden nur bei Swedenborg ausgelegt.<br />
Aus den Lorbers<strong>ch</strong>riften lässt si<strong>ch</strong> ledigli<strong>ch</strong> entnehmen, dass das »zarte<br />
Grün« das »Gras« ist (GEJ I,159,2). Das hebräis<strong>ch</strong>e Nomen »däs<strong>ch</strong>ä’« meint das<br />
junge, fris<strong>ch</strong>e Gras des Frühlings, denn das dazugehörige Verb bedeutet »sprossen«<br />
und im Akkadis<strong>ch</strong>en »s<strong>ch</strong>wellen« (Knospen treiben). Damit ist klar, was gemeint<br />
ist: die ersten, zaghaften Versu<strong>ch</strong>e, gut und wahr zu handeln. Zur zweiten<br />
Gattung finden wir bei Lorber keine weiterführenden Hinweise, hingegen begegnet<br />
uns dort die dritte Gattung als »fru<strong>ch</strong>tbare Bäume und Gesträu<strong>ch</strong>e aller Art«<br />
(GEJ I,159,2). Das ist insofern interessant, weil »‘ez'« ni<strong>ch</strong>t nur die Bäume, sondern<br />
au<strong>ch</strong> das Holz oder Gehölz meint, so dass die »Gesträu<strong>ch</strong>e« dazugehören. Das<br />
Holz bezei<strong>ch</strong>net »das Gute« (HG 9486), weil es entflammbar ist; im engeren Sinne,<br />
der hier wohl anwendbar ist, versinnbildli<strong>ch</strong>t es »das natürli<strong>ch</strong>e Gute« (EL 77),<br />
während die höheren Grade des Guten dur<strong>ch</strong> das Erz und das Gold repräsentiert<br />
werden (HG 643).<br />
Die Gewä<strong>ch</strong>se der Erde sind no<strong>ch</strong> unbeseelt (vgl. HG 29), aber glei<strong>ch</strong>wohl wird<br />
bereits die Fähigkeit zur Reproduktion betont und Verben der Tätigkeit sind vorherrs<strong>ch</strong>end.<br />
Die Reproduktionsfähigkeit ist aus jeder Übersetzung ersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>,<br />
denn die Pflanzen bilden Samen und die Bäume bringen samenhaltige Frü<strong>ch</strong>te<br />
hervor; aber die Verben der Tätigkeit sind mitunter ni<strong>ch</strong>t so offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> (vgl. die<br />
54<br />
»‘es'äb« (Pflanzen) ist na<strong>ch</strong> Swedenborg ni<strong>ch</strong>t mit davorstehenden »däs<strong>ch</strong>ä’« (zartes Grün) zu<br />
verbinden (HG 29).<br />
55<br />
»‘ez'« bedeutet »Baum« und »Holz« (Lorber: »Bäume und Gesträu<strong>ch</strong>e«; GEJ I,159,2). Swedenborg<br />
ents<strong>ch</strong>ied si<strong>ch</strong> gegen S<strong>ch</strong>midt, der »lignum« (Holz) hatte, für »arbor« (Baum).<br />
56<br />
»‘s'h« (ma<strong>ch</strong>en). Der produktive Aspekt wird betont. Daher ist die Übersetzung »Frü<strong>ch</strong>te tragen«<br />
abzulehnen.<br />
57<br />
Na<strong>ch</strong> Lorber bezieht si<strong>ch</strong> diese Formel sowohl auf das Gehölz (»Bäume und Gesträu<strong>ch</strong>e aller<br />
Art«), als au<strong>ch</strong> auf die Fru<strong>ch</strong>t (»Fru<strong>ch</strong>t trage na<strong>ch</strong> seiner Art«).
Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 41<br />
Zür<strong>ch</strong>er Bibel 58 ), weswegen darauf hinzuweisen ist, dass die Erde Sprosse hervorsprossen<br />
lässt, die Pflanzen Samen bilden und die Fru<strong>ch</strong>tbäume Frü<strong>ch</strong>te ma<strong>ch</strong>en<br />
(im Hebräis<strong>ch</strong>en steht tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> »ma<strong>ch</strong>en«). Diesem Tätigkeits<strong>ch</strong>arakter entspre<strong>ch</strong>end<br />
dominieren in Swedenborgs lateinis<strong>ch</strong>er Übersetzung Formen, in denen<br />
facere (ma<strong>ch</strong>en) vorkommt. 59 Das heißt also: Die Werke sind zwar no<strong>ch</strong> unbeseelt,<br />
aber glei<strong>ch</strong>wohl ist in ihnen der Tatendrang spürbar, denn am dritten Tag verwendet<br />
der Mens<strong>ch</strong> allen Eifer darauf, sein Leben zu bessern.<br />
Allerdings meint er anfangs, »das Gute, das er tut, sei aus ihm selbst, und ebenso<br />
das Wahre, das er spri<strong>ch</strong>t« (HG 29). Deswegen sind seine Werke no<strong>ch</strong> unbeseelt<br />
oder unbelebt, denn der Herr, der das Leben selbst ist, wird dur<strong>ch</strong> diese Irrmeinung<br />
no<strong>ch</strong> zurückgehalten. Dem entspri<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> die folgende Beoba<strong>ch</strong>tung: In der<br />
Regel hat der Tatberi<strong>ch</strong>t, der si<strong>ch</strong>, wie wir gesehen haben, dem Wortberi<strong>ch</strong>t ans<strong>ch</strong>ließt,<br />
Gott als Subjekt; wir lesen also: »Und Gott ma<strong>ch</strong>te oder s<strong>ch</strong>uf«. Nur am<br />
dritten Tag ist Gott ni<strong>ch</strong>t das Subjekt des Handelns. Die Erde (der äußere Mens<strong>ch</strong>)<br />
führt das aus, was Gott zuvor gespro<strong>ch</strong>en hat: »Die Erde bra<strong>ch</strong>te hervor usw.«. Der<br />
äußere Mens<strong>ch</strong> verdeckt also no<strong>ch</strong> das göttli<strong>ch</strong>e Wirken. Wenn man ferner die<br />
Lesart der Septuaginta für die ursprüngli<strong>ch</strong>ere hält, dann tau<strong>ch</strong>t au<strong>ch</strong> beim ersten<br />
Werk des dritten Tages, der Sammlung der Wasser, Gott als Subjekt ni<strong>ch</strong>t auf, was<br />
das bisher Gesagte nur no<strong>ch</strong> einmal unterstrei<strong>ch</strong>t: Das Eigene ist no<strong>ch</strong> vorherrs<strong>ch</strong>end;<br />
der Mens<strong>ch</strong> unterliegt no<strong>ch</strong> dem Wahn, das Gute und Wahre aus<br />
eigener Kraft verwirkli<strong>ch</strong>en zu können.<br />
Au<strong>ch</strong> die Interpretation bei Lorber sieht im Pflanzenwu<strong>ch</strong>s des dritten Tages den<br />
Mens<strong>ch</strong>en, der »Hand ans Werk« legt: »Wenn sona<strong>ch</strong> die Erkenntnisse des Mens<strong>ch</strong>en<br />
[Meer] die Liebe [Erdrei<strong>ch</strong>] von allen Seiten umgeben und von der Liebesfeuerflamme,<br />
der sie stets mehr und mehr Nahrung geben, heller und heller erleu<strong>ch</strong>tet<br />
und erwärmt werden, so wird der Mens<strong>ch</strong> in allem au<strong>ch</strong> in glei<strong>ch</strong>em Maße<br />
tatkräftiger und tatfähiger.« (GEJ I,159,1). Der Tatendrang entsteht also als<br />
Folge der we<strong>ch</strong>selseitigen Beeinflussung der Liebe dur<strong>ch</strong> die Erkenntnisse und<br />
der Erkenntnisse dur<strong>ch</strong> die Liebe. Daher kann der göttli<strong>ch</strong>e Geist nun das S<strong>ch</strong>öpfungswort<br />
des vierten Werkes spre<strong>ch</strong>en. »Na<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>em Gebote von Gott im Herzen<br />
bekommt dann der Mens<strong>ch</strong> einen festen Willen, Kraft und Mut und legt nun<br />
Hand ans Werk. Und sehet! Seine re<strong>ch</strong>ten Erkenntnisse erheben si<strong>ch</strong> als regens<strong>ch</strong>wangere<br />
Wolken über das geordnete Meer, und ziehen über die trockene Erde,<br />
befeu<strong>ch</strong>ten und befru<strong>ch</strong>ten sie. Und die Erde fängt dann an zu grünen, bringt allerlei<br />
Gras und Kraut mit Samen und allerlei Fru<strong>ch</strong>tbäume und Gesträu<strong>ch</strong>e mit<br />
Samen zum Vors<strong>ch</strong>eine, d.h.: was nun der re<strong>ch</strong>te, mit himmlis<strong>ch</strong>er Weisheit<br />
dur<strong>ch</strong>leu<strong>ch</strong>tete Verstand als vollends gut und wahr erkennt, das will und begehrt<br />
dann soglei<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> die Liebe im Herzen des Mens<strong>ch</strong>en.« (GEJ I,159,3f.). Ganz im<br />
58<br />
Zür<strong>ch</strong>er Bibel: »Und Gott spra<strong>ch</strong>: Die Erde lasse sprossen junges Grün: Kraut, das Samen<br />
trägt, und Fru<strong>ch</strong>tbäume, die na<strong>ch</strong> ihrer Art Frü<strong>ch</strong>te tragen …«. Hier herrs<strong>ch</strong>t »tragen« vor.<br />
59<br />
Swedenborgs Übersetzung: »Et dixit Deus, Progerminare faciat terra herbam teneram, herbam<br />
seminificantem semen, arborem fructus facientem fructum …«
42 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Sinne der Interpretation Swedenborgs geht au<strong>ch</strong> hier der Impuls vom Verstand<br />
zum Willen; das entspri<strong>ch</strong>t der Ordnung des geistigen Mens<strong>ch</strong>en. Besondere Erwähnung<br />
verdient die Deutung des »Trockenen« (»die trockene Erde«; GEJ<br />
I,159,4); demna<strong>ch</strong> ist damit au<strong>ch</strong> gemeint, dass die Erde vom Wasser (Regen) der<br />
»re<strong>ch</strong>ten Erkenntnisse« no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t befeu<strong>ch</strong>tet und befru<strong>ch</strong>tet worden ist.<br />
3.3.4. Der vierte Tag<br />
Die Verse 14 bis 19: 14. 60 Und Gott spra<strong>ch</strong>: »Es seien 61 Li<strong>ch</strong>ter an der Himmelsfeste,<br />
um den Tag von der Na<strong>ch</strong>t zu s<strong>ch</strong>eiden; die sollen zu Zei<strong>ch</strong>en und zu festgesetzten-Zeiten<br />
62 und zu Tagen und Jahren sein; 15. und sollen zu Li<strong>ch</strong>tern an der<br />
Himmelsfeste sein, um der Erde Li<strong>ch</strong>t zu geben 63 .« Und so ges<strong>ch</strong>ah es: 16. Gott<br />
ma<strong>ch</strong>te die beiden großen Li<strong>ch</strong>ter, das größere Li<strong>ch</strong>t zur Herrs<strong>ch</strong>aft des Tags und<br />
das kleinere Li<strong>ch</strong>t zur Herrs<strong>ch</strong>aft des Na<strong>ch</strong>ts, und die Sterne. 17. Und Gott gab sie<br />
an die Himmelsfeste, um der Erde Li<strong>ch</strong>t zu geben, 18. und um über den Tag und<br />
über die Na<strong>ch</strong>t zu herrs<strong>ch</strong>en, und um das Li<strong>ch</strong>t von der Finsternis zu s<strong>ch</strong>eiden.<br />
Und Gott sah, dass es gut war. 19. Und es war Abend, und es war Morgen, der vierte<br />
Tag.<br />
Na<strong>ch</strong> Swedenborg entspre<strong>ch</strong>en die beiden Li<strong>ch</strong>ter der Liebe und dem Glauben,<br />
wobei man wissen muss, dass der Glaube »seinem Wesen na<strong>ch</strong> die Wahrheit ist,<br />
die ihrerseits der Gegenstand der Weisheit ist« 64 (WCR 385); also entspre<strong>ch</strong>en die<br />
beiden Li<strong>ch</strong>ter der Liebe und Weisheit. Na<strong>ch</strong> Lorber stellen sie jedo<strong>ch</strong> entweder<br />
nur den göttli<strong>ch</strong>en Geist im Herzen oder diesen Geist und seine Seele dar. Bei<br />
Swedenborg lesen wir: »Die Liebe ist ›das große Li<strong>ch</strong>t, das am Tag herrs<strong>ch</strong>t‹; der<br />
Glaube aus der Liebe ist ›das kleine Li<strong>ch</strong>t, das bei Na<strong>ch</strong>t herrs<strong>ch</strong>t‹« (HG 30). Dagegen<br />
heißt es bei Lorber: Der unges<strong>ch</strong>affene ewige Geist Gottes im Mens<strong>ch</strong>enherzen<br />
»ist na<strong>ch</strong> dem Maße seiner Auswirkung das, was Moses unter den zwei großen<br />
Li<strong>ch</strong>tern … versteht« (GEJ I,161,2). Hier wird der eine Geist »na<strong>ch</strong> dem Maße<br />
seiner Auswirkung« unter den zwei Li<strong>ch</strong>tern verstanden. Dazu werde i<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong><br />
etwas sagen; do<strong>ch</strong> zunä<strong>ch</strong>st no<strong>ch</strong> eine weitere Interpretation, die nun die beiden<br />
Li<strong>ch</strong>ter auf den Geist und auf die Seele bezieht: »Das rein Göttli<strong>ch</strong>e, oder der unges<strong>ch</strong>affene<br />
Geist Gottes … ist das große Li<strong>ch</strong>t; die Seele des Mens<strong>ch</strong>en aber, die<br />
dur<strong>ch</strong> das große Li<strong>ch</strong>t denn au<strong>ch</strong> zu einem nahezu glei<strong>ch</strong> großen Li<strong>ch</strong>te umgestal-<br />
60<br />
Lorber: »›Und Gott spra<strong>ch</strong>: Es werden Li<strong>ch</strong>ter an der Feste des Himmels, die da s<strong>ch</strong>eiden Tag<br />
und Na<strong>ch</strong>t und geben Zei<strong>ch</strong>en, Zeiten, Tage und Jahre, und seien zwei Li<strong>ch</strong>ter an der Feste<br />
des Himmels, dass sie s<strong>ch</strong>einen auf Erden! Und es ges<strong>ch</strong>ah also. Und Gott ma<strong>ch</strong>te zwei große<br />
Li<strong>ch</strong>ter, ein großes Li<strong>ch</strong>t, das den Tag regiere, und ein kleines Li<strong>ch</strong>t, das die Na<strong>ch</strong>t regiere,<br />
und dazu au<strong>ch</strong> Sterne. Und Gott setzte sie an die Feste des Himmels, dass sie s<strong>ch</strong>ienen auf die<br />
Erde und den Tag und die Na<strong>ch</strong>t regierten und s<strong>ch</strong>ieden Li<strong>ch</strong>t und Finsternis. Und Gott sah,<br />
dass es gut war. Da ward aus Abend und Morgen der vierte Tag.‹« (GEJ I,160,2).<br />
61<br />
Eigentli<strong>ch</strong> steht hier der Singular »jehi« (es sei); zur Begründung siehe HG 30 und 34.<br />
62<br />
»Mo‘ed« bedeutet Versammlung, Versammlungsplatz und von daher au<strong>ch</strong> Termin (= festgesetze<br />
Zeit).<br />
63<br />
»Leha’ir«, Swedenborg hat »ad lucem dandum« (um Li<strong>ch</strong>t zu geben).<br />
64<br />
Wörtli<strong>ch</strong>: »Fides in sua essentia est Veritas quae sapientiae« (WCR 385).
Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 43<br />
tet wird, ist das zweite, kleinere Li<strong>ch</strong>t« (GEJ I,161,6). Das sind insgesamt drei vers<strong>ch</strong>iedene<br />
Interpretationen, eine bei Swedenborg, zwei bei Lorber; folgli<strong>ch</strong> stellt<br />
si<strong>ch</strong> die Frage: Wie hängen sie zusammen? Die Antwort ergibt si<strong>ch</strong> aus dem Verständnis<br />
von Geist und Seele bei Lorber: Der Geist, so erfahren wir, »ist das Li<strong>ch</strong>t,<br />
wel<strong>ch</strong>es aus seiner eigenen Wärme si<strong>ch</strong> von Ewigkeiten zu Ewigkeiten erzeugt,<br />
und ist glei<strong>ch</strong> der Wärme die Liebe und glei<strong>ch</strong> dem Li<strong>ch</strong>te die Weisheit.« (EM 52).<br />
Oder eine andere, inhaltli<strong>ch</strong> aber identis<strong>ch</strong>e Formulierung: »Der reine Geist ist ein<br />
Gedanke Gottes, hervorgehend aus Seiner Liebe und Weisheit, und wird zum<br />
wahren Sein dur<strong>ch</strong> den Willen Gottes.« (GEJ VII,66,6). Der Geist ist die Selbsterfassung<br />
der Liebe und Weisheit. Diese Erkenntnis bildet die Brücke zu Swedenborg,<br />
denn demna<strong>ch</strong> ist offenbar der Geist dasselbe, was uns von Swedenborg her<br />
als das göttli<strong>ch</strong>e Ges<strong>ch</strong>wisterpaar der Liebe und Weisheit vertraut ist. Wir sehen<br />
also, wie man vom Begriffssystem der einen Offenbarung in das der anderen<br />
kommt. Ferner sehen wir, warum der eine Geist »na<strong>ch</strong> dem Maße seiner Auswirkung«<br />
dur<strong>ch</strong> zwei Li<strong>ch</strong>ter dargestellt wird: er ma<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> nämli<strong>ch</strong> in der Seele als<br />
Liebe und Weisheit oder Wärme und Li<strong>ch</strong>t (Erleu<strong>ch</strong>tung) bemerkbar. Nun heißt es<br />
aber au<strong>ch</strong>, dass die zwei Li<strong>ch</strong>ter ni<strong>ch</strong>t nur der eine Geist, sondern der Geist und<br />
die Seele sind. Au<strong>ch</strong> das ist lei<strong>ch</strong>t erklärbar, wenn man weiß, was die Seele und<br />
der Geist, nun aber im Verhältnis zur Seele, sind: »Die Seele des Mens<strong>ch</strong>en ist<br />
eine rein ätheris<strong>ch</strong>e Substanz, also … aus sehr vielen Li<strong>ch</strong>tatomen<br />
… zusammengesetzt, und der reine Geist ist … der von Gott ausgehende Wille, der<br />
da das Feuer der reinsten Liebe in Gott ist.« (GEJ VII,66,5). Die Seele ist als Li<strong>ch</strong>tstruktur<br />
eine Form der Weisheit; und der Geist ist ihr gegenüber die Lebenswärme<br />
der Liebe. Dass die Seele Li<strong>ch</strong>tstruktur ist, ergibt si<strong>ch</strong> aus dem Blickwinkel der<br />
Lorberoffenbarung au<strong>ch</strong> daraus, dass sie »ein aus der Materie si<strong>ch</strong> entwickelnder<br />
Geist« ist (GEJ V,51,3), die Materie ihrerseits aber die geri<strong>ch</strong>tete Ers<strong>ch</strong>einungsform<br />
jenes großen Li<strong>ch</strong>tgeistes ist, der Luzifer (= Li<strong>ch</strong>tträger) heißt. Wenn also<br />
Swedenborg von Weisheit spri<strong>ch</strong>t, dann kann damit bei Lorber die Seele oder au<strong>ch</strong><br />
der Geist gemeint sein; die Liebe hingegen als das Feuer des Lebens ist der Seele<br />
vorerst no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t eigen und daher allein auf den göttli<strong>ch</strong>en Geistfunken zu beziehen.<br />
Folgli<strong>ch</strong> ist der Geist das große Li<strong>ch</strong>t, das den wahren Lebenstag der Seele<br />
beherrs<strong>ch</strong>t, während die Seele selbst das kleine Li<strong>ch</strong>t ist. Do<strong>ch</strong> Liebe und Weisheit,<br />
Geist und Seele vers<strong>ch</strong>melzen bei der Wiedergeburt zu einer Einheit; deswegen<br />
- darauf hat Swedenborg hingewiesen - heißt es im Hebräis<strong>ch</strong>en: »Es sei Li<strong>ch</strong>ter<br />
usw.», das heißt der Plural »Li<strong>ch</strong>ter« ist mit einem Singular von »sein« verbunden,<br />
weil eben die beiden Li<strong>ch</strong>ter zu einem vers<strong>ch</strong>melzen sollen (vgl. HG 30 und<br />
34). Erst die Einheit der beiden Li<strong>ch</strong>ter ist die Erfahrung des Göttli<strong>ch</strong>en. Die »Sterne«<br />
sind na<strong>ch</strong> Swedenborg »die Erkenntnisse des Glaubens« (HG 32) oder na<strong>ch</strong><br />
Lorber »die zahllosen nützli<strong>ch</strong>en Erkenntnisse in allen einzelnen Dingen« (GEJ<br />
I,161,8).<br />
Die »Ausbreitung der Himmel« interpretiert Swedenborg als den inneren Mens<strong>ch</strong>en<br />
(HG 30). Bei Lorber ist das hebräis<strong>ch</strong>e Wort, wie wir s<strong>ch</strong>on gesehen haben,<br />
mit »Feste« wiedergegeben und bezei<strong>ch</strong>net den festen Willen Gottes und dann
44 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
au<strong>ch</strong> der Seele: »… es gibt nur eine Feste im endlosen und freiesten Raume, und<br />
diese ist der Wille Gottes« (GEJ I,160,9). »Die Feste … ist der aus dem re<strong>ch</strong>ten Verständnisse<br />
und aus der Liebe, wel<strong>ch</strong>e ist das gesegnete Erdrei<strong>ch</strong> des Lebens, hervorgehende<br />
feste Wille na<strong>ch</strong> der göttli<strong>ch</strong>en Ordnung.« (GEJ I,160,12). Da nun der<br />
feste Wille die Gottesgeburt ermögli<strong>ch</strong>t, heißt es, dass die Li<strong>ch</strong>ter an die Himmelsfeste<br />
gesetzt wurden.<br />
Swedenborg s<strong>ch</strong>reibt: Die beiden Li<strong>ch</strong>ter »ers<strong>ch</strong>einen im Willen und im Verstand<br />
nur, wie das Sonnenli<strong>ch</strong>t an den Gegenständen« (HG 30). Au<strong>ch</strong> das stimmt mit<br />
Aussagen bei Lorber überein, denn der göttli<strong>ch</strong>e Geist gibt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t unmittelbar<br />
zu erkennen, sondern nur »na<strong>ch</strong> dem Maße seiner Auswirkung«, weswegen wir<br />
über den Geist folgendes erfahren: »Der Geist ist demna<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong> dem Li<strong>ch</strong>te, wel<strong>ch</strong>es<br />
in si<strong>ch</strong> selbst zwar ewig Li<strong>ch</strong>t bleibt, aber als Li<strong>ch</strong>t so lange ni<strong>ch</strong>t bemerkbar<br />
auftreten kann, solange es keine Gegenstände gibt, die es erleu<strong>ch</strong>tete. Das Li<strong>ch</strong>t<br />
geht, wie ihr z.B. au<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on bei der Sonne seht, fortwährend glei<strong>ch</strong>mäßig von ihr<br />
aus; aber ohne Gegenstand kann kein Auge sein Dasein merken. Eine mondlose<br />
Na<strong>ch</strong>t hat ebensoviel von der Sonne ausgehendes Li<strong>ch</strong>t als eine mondhelle; aber<br />
im ersten Falle hat das Li<strong>ch</strong>t keinen Gegenstand droben im hohen Aether, und<br />
darum merkt es niemand, dass es vorhanden ist. Steht aber der Mond als ein tü<strong>ch</strong>tiger<br />
Körper zur Na<strong>ch</strong>tzeit im hohen Aether, da wird das ausgehende Sonnenli<strong>ch</strong>t<br />
glei<strong>ch</strong> sehr gewaltig wahrgenommen, und jedermann, der nur einigermaßen mit<br />
der Sternkunde vertraut ist, wird es lei<strong>ch</strong>t merken, wie und woher der Mond von<br />
der Sonne bes<strong>ch</strong>ienen wird.« (EM 52). Der Geist wird also nur dur<strong>ch</strong> die Gegenstände<br />
offenbar, die si<strong>ch</strong> die Seele angeeignet hat, weswegen diese Gegenstände<br />
au<strong>ch</strong> »Gefäße« (HG 880) heißen.<br />
Die Li<strong>ch</strong>ter sollen »zu Zei<strong>ch</strong>en und zu festgesetzten Zeiten und zu Tagen und Jahren<br />
sein« (Gen 1,14). Swedenborg sieht darin »die We<strong>ch</strong>sel des Geistigen [Mond]<br />
und des Himmlis<strong>ch</strong>en [Sonne]« (HG 37). Was gemeint ist, verdeutli<strong>ch</strong>t er, indem<br />
er ausführt: »Der Mens<strong>ch</strong> empfängt dur<strong>ch</strong> die Wiedergeburt vom Herrn das wahre<br />
Leben; und weil er vorher kein Leben hatte, we<strong>ch</strong>seln si<strong>ch</strong> nun dieses Ni<strong>ch</strong>tleben<br />
und jenes wahre Leben ab« (HG 933). »Die Verfassung des Mens<strong>ch</strong>en (conditio<br />
hominis) ist so, dass bei ihm Himmlis<strong>ch</strong>es und Geistiges ni<strong>ch</strong>t mit seinem Körperli<strong>ch</strong>en<br />
und Weltli<strong>ch</strong>en zusammensein kann, sondern We<strong>ch</strong>sel stattfinden.« (HG<br />
933). Die Conditio humana, die mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Daseinsbedingung, die hier angespro<strong>ch</strong>en<br />
wird, ist dadur<strong>ch</strong> gekennzei<strong>ch</strong>net, dass si<strong>ch</strong> im Mens<strong>ch</strong>en Himmel und<br />
Hölle begegnen und folgli<strong>ch</strong>, da sie ni<strong>ch</strong>t glei<strong>ch</strong>zeitig herrs<strong>ch</strong>en können, die<br />
We<strong>ch</strong>selfälle des seelis<strong>ch</strong>en Erlebens verursa<strong>ch</strong>en. Das sind die »Zei<strong>ch</strong>en« (Ers<strong>ch</strong>einungsformen),<br />
die »festgesetzten Zeiten« (unverrückbaren Zustände) und die<br />
»Tage« und »Jahre« (die si<strong>ch</strong> regelmäßig wiederholenden Zustände).<br />
Swedenborg sagt ferner: »Ein Leben ohne We<strong>ch</strong>sel und Mannigfaltigkeiten wäre<br />
eintönig und somit kein Leben, au<strong>ch</strong> würde man das Gute und Wahre weder erkennen,<br />
no<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>eiden, ges<strong>ch</strong>weige denn innewerden.« (HG 37). Hier wird<br />
der ständige, die Vielfalt der Ers<strong>ch</strong>einungsformen produzierende We<strong>ch</strong>sel zur
Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 45<br />
Voraussetzung jegli<strong>ch</strong>er Erkenntnis; We<strong>ch</strong>sel und Erkenntnis hängen also irgendwie<br />
zusammen. Die absolute Weisheit, die unerkennbar ist, wird unserem<br />
Auge nur insoweit si<strong>ch</strong>tbar, als sie si<strong>ch</strong> in ein buntes Formenmeer auflöst. Do<strong>ch</strong><br />
diese »S<strong>ch</strong>einbarkeiten des Wahren« (HG 3207), so der swedenborgs<strong>ch</strong>e Terminus,<br />
sind nie etwas Endgültiges, sondern immer nur etwas Vorläufiges, eine Annäherung<br />
an das absolute Wahre; und deswegen sind diese S<strong>ch</strong>einbarkeiten eben<br />
au<strong>ch</strong> der ständige We<strong>ch</strong>sel, der die Wahrheit für uns erkennbar ma<strong>ch</strong>t. Daher<br />
bedeutet die Bestimmung der Zei<strong>ch</strong>en: »in aller Weisheit den Grund aller Ers<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit<br />
und aller ges<strong>ch</strong>affenen Dinge« (GEJ I,161,7) bestimmen, denn die<br />
beiden Li<strong>ch</strong>ter befähigen uns, die Ers<strong>ch</strong>einungen verstehend zu dur<strong>ch</strong>dringen.<br />
Und die Bestimmung der Zeiten, Tage und Jahre bedeutet »in allen Ers<strong>ch</strong>einungen<br />
erkennen die göttli<strong>ch</strong>e Weisheit, Liebe und Gnade« (GEJ I,161,7). Was hier, bei<br />
Lorber, »Ers<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>keit« und »Ers<strong>ch</strong>einungen« heißt, das sind bei Swedenborg<br />
»die S<strong>ch</strong>einbarkeiten des Wahren«. Sie we<strong>ch</strong>seln ständig; jede endgültige Begründung<br />
in ihnen wäre ein Verharren des Geistes im Vorläufigen; und denno<strong>ch</strong> müssen<br />
wir die momentane Gestalt dieser Ers<strong>ch</strong>einungsformen des Wahren festhalten,<br />
weil wir sonst in das finstere Ni<strong>ch</strong>ts, das keinen Namen hat, abstürzen würden.<br />
Zusammenfassend ist zu sagen, dass der vierte Tag oder Zustand die Erfahrung<br />
des Göttli<strong>ch</strong>en in der Seele ist, weswegen die beiden folgenden Tage die Seelenwelt<br />
mit Lebensformen aller Art erfüllen werden.<br />
3.3.5. Der fünfte Tag<br />
Die Verse 20 bis 23: 20. Und Gott spra<strong>ch</strong>: »Die Wasser sollen Gewimmel 65 hervorkrie<strong>ch</strong>en<br />
lassen 66 , lebendige Seele(n); und Vögel sollen über der Erde, über den<br />
Angesi<strong>ch</strong>ten der Himmelsfeste fliegen.« [Und so ges<strong>ch</strong>ah es:] 21. Gott s<strong>ch</strong>uf die<br />
großen Seeungeheuer und jede lebende, si<strong>ch</strong> regende 67 Seele, die die Wasser hervorkrie<strong>ch</strong>en<br />
lassen, na<strong>ch</strong> ihrer Art, und jeden geflügelten Vogel na<strong>ch</strong> seiner Art.<br />
Und Gott sah, dass es gut war. 22. Und Gott segnete sie, indem er spra<strong>ch</strong>: »Seid<br />
fru<strong>ch</strong>tbar und mehret eu<strong>ch</strong> und füllet die Wasser in den Meeren, und der Vogel<br />
mehre si<strong>ch</strong> auf der Erde.« 23. Und es war Abend, und es war Morgen, der fünfte<br />
Tag.<br />
Am fünften Tag werden die Wasser- und Lufttiere ges<strong>ch</strong>affen, am se<strong>ch</strong>sten Tag die<br />
Landtiere und der Mens<strong>ch</strong>. Erst jetzt, na<strong>ch</strong>dem die Li<strong>ch</strong>ter an die Himmelsfeste<br />
65<br />
»S<strong>ch</strong>äräz'«, Swedenborg hat »reptile« (Krie<strong>ch</strong>tier); HG 40 zufolge denkt Swedenborg hierbei an<br />
Fis<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>wärme. Das hebräis<strong>ch</strong>e Wort »s<strong>ch</strong>äräz'« vereinigt in si<strong>ch</strong> die Vorstellungen des Zahlrei<strong>ch</strong>en<br />
und des Krie<strong>ch</strong>ens; in etwa verglei<strong>ch</strong>bar unserem Gewürm. In der Entspre<strong>ch</strong>ung sind<br />
die vielen kleinen Wissensdinge, Fakten oder Informationen gemeint, die si<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong> kaum<br />
über die erdgebundene Sinneswahrnehmung erheben können. I<strong>ch</strong> habe versu<strong>ch</strong>t, diesen<br />
Doppelaspekt mit der Übersetzung »Gewimmel hervorkrie<strong>ch</strong>en lassen« wiederzugeben.<br />
66<br />
»Jis<strong>ch</strong>rez'u«, Swedenborg hat »prorepere faciant« (sie sollen hervorkrie<strong>ch</strong>en lassen).<br />
67<br />
»Rms<strong>ch</strong>«, Swedenborg hat »reptare« (krie<strong>ch</strong>en). Dieser Vers verbindet »die lebende Seele« mit<br />
»rms<strong>ch</strong>« (Swedenborg: reptare) und »s<strong>ch</strong>rz'« (Swedenborg: prorepere facere).
46 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
gesetzt worden sind, ist in vers<strong>ch</strong>iedenen Formen vom Leben die Rede; erstens in<br />
Form der »lebendigen Seele« (in den Versen 20, 21, 24 und 30), zweitens in Form<br />
des »Wildlebenden der Erde« (in den Versen 24, 25 und 30) und drittens in Form<br />
des »Lebendigen, das auf der Erde krie<strong>ch</strong>t« (Vers 28). Der vierte Tag bra<strong>ch</strong>te die<br />
Erfahrung des Göttli<strong>ch</strong>en; folgli<strong>ch</strong> kann nun, am fünften und se<strong>ch</strong>sten Tag, die<br />
Seele, die diese Erfahrung gema<strong>ch</strong>t hat, lebendig werden. Daher lesen wir bei<br />
Swedenborg: »Na<strong>ch</strong>dem die großen Li<strong>ch</strong>ter angezündet und in den inneren Mens<strong>ch</strong>en<br />
[Ausbreitung] gesetzt sind, und der äußere von daher Li<strong>ch</strong>t empfängt, beginnt<br />
er nun erstmals zu leben. Vorher konnte vom Leben kaum die Rede sein,<br />
denn er meinte, das Gute, das er getan hat, habe er aus si<strong>ch</strong> getan, und das Wahre,<br />
das er gespro<strong>ch</strong>en hat, habe er aus si<strong>ch</strong> gespro<strong>ch</strong>en. Do<strong>ch</strong> da der Mens<strong>ch</strong> von<br />
si<strong>ch</strong> aus tot ist und in ihm ni<strong>ch</strong>ts als Böses und Fals<strong>ch</strong>es ist, daher ist alles, was er<br />
von si<strong>ch</strong> aus hervorbringt, ni<strong>ch</strong>t lebendig, so dass er no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t einmal Gutes, das<br />
in si<strong>ch</strong> gut ist, aus si<strong>ch</strong> heraus tun kann.« (HG 39). Und bei Lorber heißt es, »dass<br />
die na<strong>ch</strong>trägli<strong>ch</strong>e Ers<strong>ch</strong>affung der gesamten Tierwelt und endli<strong>ch</strong> des Mens<strong>ch</strong>en<br />
selbst ni<strong>ch</strong>ts anderes bezei<strong>ch</strong>net als die volle Lebendigwerdung und si<strong>ch</strong>ere Realisierung<br />
alles dessen, was der Mens<strong>ch</strong> in seinem naturmäßigen Teile in si<strong>ch</strong> fasst.«<br />
(GEJ I,162,1).<br />
Oben habe i<strong>ch</strong> die drei Formulierungen erwähnt, in denen vom Leben gespro<strong>ch</strong>en<br />
wird; dazu sind die folgenden Erläuterungen notwendig. Die »lebende Seele« bezei<strong>ch</strong>net<br />
»das Leben im allgemeinen« (OE 750), das heißt in seiner, au<strong>ch</strong> die Körperli<strong>ch</strong>keit<br />
umfassenden Gesamtheit. Aus der Beoba<strong>ch</strong>tung, dass die Tiere »lebendige<br />
Seele«, ni<strong>ch</strong>t »lebendiger Körper«, genannt werden, s<strong>ch</strong>ließt Swedenborg,<br />
dass »Seele« (näfäs<strong>ch</strong>) im Hebräis<strong>ch</strong>en das Leben in seinem Gesamtumfang meint,<br />
also das Leben des Geistes und des Körpers, oder anders formuliert: »Seele« im<br />
Hebräis<strong>ch</strong>en bezei<strong>ch</strong>net »das Leben des Mens<strong>ch</strong>en, das dur<strong>ch</strong>aus ni<strong>ch</strong>t getrennt<br />
vom Körper, sondern nur im Körper bestehen kann, denn der Körper ist die äußere<br />
Form des Lebens, das Seele genannt wird« (OE 750). Bei »Seele« ist also im Hebräis<strong>ch</strong>en,<br />
im Unters<strong>ch</strong>ied zu unserer Spra<strong>ch</strong>gewohnheit, immer au<strong>ch</strong> die Körperli<strong>ch</strong>keit<br />
des Lebens mitzuhören; eine Körperli<strong>ch</strong>keit, die si<strong>ch</strong> freili<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> auf<br />
geistigen Seinsebenen realisieren kann. Alles, was vom Herrn ausgeht und dur<strong>ch</strong><br />
Engelsgeister gedankli<strong>ch</strong> realisiert wird, heißt »lebendige Seele« und hat eine<br />
»körperli<strong>ch</strong>e Gestalt« (speciem corporis); sie wird im S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t »dur<strong>ch</strong><br />
›das si<strong>ch</strong> Regende‹ (Vers 24) bzw. ›Krie<strong>ch</strong>ende‹ (Verse 21, 25, 26, 28 und 30) bezei<strong>ch</strong>net«<br />
(HG 41) 68 . »Das si<strong>ch</strong> Regende« und »das Krie<strong>ch</strong>ende«, diese beiden Wörter<br />
werden im Hebräis<strong>ch</strong>en dur<strong>ch</strong> dasselbe Wort, nämli<strong>ch</strong> »ramas'« ausgedrückt.<br />
Es hat die in Swedenborgs Übersetzung anklingende doppelte Bedeutung von<br />
»si<strong>ch</strong> regen« (oder: si<strong>ch</strong> bewegen, wimmeln) und »krie<strong>ch</strong>en», womit die Erdgebundenheit<br />
oder Körperli<strong>ch</strong>keit (»krie<strong>ch</strong>en«) der si<strong>ch</strong> regenden und bewegenden<br />
Wesen gemeint ist. Das s<strong>ch</strong>eint der tiefere Grund zu sein, warum im S<strong>ch</strong>öpfungs-<br />
68<br />
Au<strong>ch</strong> in HG 994 bringt Swedenborg das si<strong>ch</strong> regende Krie<strong>ch</strong>getier mit der Leibli<strong>ch</strong>keit in<br />
Verbindung.
Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 47<br />
beri<strong>ch</strong>t so viel von Krie<strong>ch</strong>tieren die Rede ist; sie sollen die Leibgebundenheit alles<br />
Lebens unterstrei<strong>ch</strong>en.<br />
Die körperli<strong>ch</strong>en Gefühle werden »das Wildlebende der Erde« genannt. »Chajja«<br />
bedeutet sowohl »Wild« als au<strong>ch</strong> »Leben«. Von beiden Bedeutungen ma<strong>ch</strong>t Swedenborg<br />
in seiner Übersetzung Gebrau<strong>ch</strong> (»Wild« in den Versen 24, 25 und 30;<br />
»Lebendiges« in Vers 28); außerdem erläutert er, wie sie zusammenhängen: »Das<br />
Wort ›Wild‹ (<strong>ch</strong>ajja) bedeutet in der Originalspra<strong>ch</strong>e eigentli<strong>ch</strong> Leben oder das<br />
Lebendige; aber im Worte (Gottes) ni<strong>ch</strong>t nur das Lebendige, sondern au<strong>ch</strong> das<br />
glei<strong>ch</strong>sam ni<strong>ch</strong>t Lebendige oder das Wild. Deswegen kann derjenige, der den inneren<br />
Sinn ni<strong>ch</strong>t kennt, man<strong>ch</strong>mal ni<strong>ch</strong>t wissen, was gemeint ist. Der Grund der<br />
zweifa<strong>ch</strong>en Bedeutung liegt darin, dass der Mens<strong>ch</strong> der ältesten Kir<strong>ch</strong>e in der<br />
Selbsterniedrigung vor dem Herrn anerkannte, dass er ni<strong>ch</strong>t lebendig, ja ni<strong>ch</strong>t<br />
einmal ein Tier, sondern ein Wild sei, denn man wusste, dass der Mens<strong>ch</strong> an si<strong>ch</strong><br />
oder in seinem Eigenen betra<strong>ch</strong>tet so bes<strong>ch</strong>affen ist. Daher bedeutet dasselbe<br />
Wort das Lebendige und das Wild.« (HG 908) 69 . Das »Wildlebende der Erde« bezei<strong>ch</strong>net<br />
daher das instinktive, triebhafte Leben des äußeren Mens<strong>ch</strong>en, weswegen<br />
das »Wild« im S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t immer mit »Erde« verbunden ist. In Vers 28<br />
hingegen ist ni<strong>ch</strong>t »das Wild, das auf der Erde krie<strong>ch</strong>t«, sondern »das Lebendige,<br />
das auf der Erde krie<strong>ch</strong>t« gemeint; do<strong>ch</strong> da beide Bedeutungen dur<strong>ch</strong> dasselbe<br />
Wort abgedeckt werden, ist nur vom inneren Sinn her ents<strong>ch</strong>eidbar, wel<strong>ch</strong>e gemeint<br />
ist.<br />
Nun zu den Wassertieren und den Vögeln. Swedenborg s<strong>ch</strong>reibt: »Dur<strong>ch</strong> ›das<br />
Krie<strong>ch</strong>gewimmel (reptilia), das die Wasser hervorbringen‹ [= die Fis<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>wärme]<br />
werden die Wissensdinge des äußeren Mens<strong>ch</strong>en bezei<strong>ch</strong>net; dur<strong>ch</strong> ›die Vögel‹ im<br />
allgemeinen das Vernünftige, ferner das dem inneren Mens<strong>ch</strong>en eigene Verständige.«<br />
(HG 40). Das hebräis<strong>ch</strong>e »s<strong>ch</strong>äräz'«, hier »reptilia« (Krie<strong>ch</strong>gewimmel), vereinigt<br />
in si<strong>ch</strong> die Vorstellungen des Zahlrei<strong>ch</strong>en (des Gewimmels) und des Krie<strong>ch</strong>ens;<br />
daher ist es bestens geeignet, die zahlrei<strong>ch</strong>en Wissensdinge (Fakten) zu<br />
bezei<strong>ch</strong>nen, die si<strong>ch</strong> kaum über den Boden der Sinneswahrnehmung erheben können,<br />
also krie<strong>ch</strong>en. Denno<strong>ch</strong> ist nun, na<strong>ch</strong> den Ereignissen des vierten Tages,<br />
sogar das äußere Wissen belebt, weswegen das Gewimmel oder Gewürm nun ausdrückli<strong>ch</strong><br />
als »lebendige Seele« qualifiziert wird: »Die Wasser sollen Krie<strong>ch</strong>gewimmel<br />
hervorwimmeln lassen, lebendige Seele«.<br />
Von den Vögeln heißt es, dass sie »über der Erde, über den Gesi<strong>ch</strong>ten der Himmelsfeste«<br />
fliegen sollen. Daher sieht Swedenborg in ihnen das Sinnbild des Vernünftigen,<br />
das in Beziehung zur Erde (zum äußeren Mens<strong>ch</strong>en) steht, und des<br />
Verständigen, das in Beziehung zum Himmel (zum inneren Mens<strong>ch</strong>en) steht. Der<br />
Erdbezug des Vernünftigen geht aus vers<strong>ch</strong>iedenen Äußerungen Swedenborgs<br />
eindeutig hervor: »Dreierlei bildet den äußeren Mens<strong>ch</strong>en: das Vernünftige, das<br />
Wissen und das äußere Sinnli<strong>ch</strong>e. Das Vernünftige ist innerli<strong>ch</strong>er, das Wissen<br />
69<br />
Sehr ausführli<strong>ch</strong>e Aufs<strong>ch</strong>lüsse gibt Swedenborg in OE 388.
48 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
äußerli<strong>ch</strong>er, und das Sinnli<strong>ch</strong>e ist am äußerli<strong>ch</strong>sten.« (HG 1589). Da jedo<strong>ch</strong> das<br />
Vernünftige die innerste und hö<strong>ch</strong>ste Erkenntnisstufe des äußeren Mens<strong>ch</strong>en ist,<br />
ist es au<strong>ch</strong> das Bindeglied zwis<strong>ch</strong>en dem inneren und äußeren Mens<strong>ch</strong>en: »Das<br />
Vernünftige ist es, dur<strong>ch</strong> das der innere Mens<strong>ch</strong> mit dem äußeren verbunden<br />
wird.« (HG 1589). Dass dagegen das Verständige dem inneren Mens<strong>ch</strong>en und<br />
somit dem Himmel angehört, wird s<strong>ch</strong>on in der oben zitierten Auslegung in HG<br />
40 ausdrückli<strong>ch</strong> gesagt. Bei Lorber, wo nur die Meerestiere zu Spra<strong>ch</strong>e kommen,<br />
bezei<strong>ch</strong>nen diese »die zahllose und endlos mannigfa<strong>ch</strong>e Fülle der s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong>en<br />
Ideen und Formen«: »Sein Meer und all sein Gewässer wird voll Lebens, und der<br />
Mens<strong>ch</strong> erkennt und ers<strong>ch</strong>aut in seinem nun rein göttli<strong>ch</strong>en, unges<strong>ch</strong>affenen<br />
Li<strong>ch</strong>te die zahllose und endlos mannigfa<strong>ch</strong>e Fülle der s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong>en Ideen und<br />
Formen und wird auf diese Art seiner rein göttli<strong>ch</strong>en Abkunft inne.« (GEJ I,162,2).<br />
Zusammenfassend ist also zu sagen, dass die Fis<strong>ch</strong>e (Wasser) und die Vögel (Erde<br />
und Himmel) das gesamte Erkenntnisspektrum abdecken. Am se<strong>ch</strong>sten Tag wird<br />
der Wille mit dem Leben von Gott erfüllt; am fünften Tag hingegen ist es der<br />
Verstand in all seinen S<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten.<br />
Der Tatberi<strong>ch</strong>t, der - wie gesagt - die Verwirkli<strong>ch</strong>ung des Geist- oder Wortimpulses<br />
in der Seelenwelt darstellt, zeigt, dass die Erkenntnisse, die im inneren Mens<strong>ch</strong>en<br />
in allen Einzelheiten vorhanden sind, im Bewusstsein zunä<strong>ch</strong>st nur in allgemeinen<br />
Formen ers<strong>ch</strong>einen können. Denn die »großen Seeungeheuer« bezei<strong>ch</strong>nen das<br />
Allgemeine des Wissens (HG 42). Die Vögel tau<strong>ch</strong>en im Tatberi<strong>ch</strong>t als »geflügelte<br />
Vögel« auf. Das s<strong>ch</strong>eint die Wendung des Wortberi<strong>ch</strong>tes zusammenzufassen, die<br />
ja von den Vögeln sagte, dass sie »über der Erde, über den Angesi<strong>ch</strong>ten der Himmelsfeste<br />
fliegen«; hier nun, im Tatberi<strong>ch</strong>t, s<strong>ch</strong>eint die differenziertere Aussage<br />
des Wortberi<strong>ch</strong>tes in den »geflügelten Vögeln« zusammengefasst zu sein. Damit<br />
könnte Mehreres angedeutet sein: Erstens, dass der Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en dem<br />
Vernünftigen und dem Verständigen zumindest vorerst ni<strong>ch</strong>t wahrnehmbar ist.<br />
Zweitens, dass uns glei<strong>ch</strong>wohl das innerli<strong>ch</strong>ere Erfassen der Wahrheit beflügelt<br />
und emporhebt. Drittens, dass das Wahre mä<strong>ch</strong>tig ist, denn die Flügel bezei<strong>ch</strong>nen,<br />
weil sie die Arme der Vögel sind, die Ma<strong>ch</strong>t (HG 8764). Alle Ma<strong>ch</strong>t wohnt im Letzten<br />
(OE 918), das heißt in der Verwirkli<strong>ch</strong>ung, so dass au<strong>ch</strong> das ein Grund dafür<br />
sein könnte, warum im Tatberi<strong>ch</strong>t die Flügel erwähnt werden. S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong><br />
ein Wort zur Segensformel; dazu s<strong>ch</strong>reibt Swedenborg: »Alles, was vom Herrn her<br />
Leben in si<strong>ch</strong> hat, befru<strong>ch</strong>tet und vermehrt si<strong>ch</strong> unermessli<strong>ch</strong> … ›Fru<strong>ch</strong>tbar sein‹<br />
wird im Worte von den Dingen der Liebe und ›vermehren‹ von denen des Glaubens<br />
ausgesagt; die Fru<strong>ch</strong>t, die zur Liebe gehört, hat den Samen, dur<strong>ch</strong> den sie<br />
si<strong>ch</strong> so sehr vermehrt. Daher au<strong>ch</strong> bedeutet der Segen des Herrn im Worte das<br />
Hervorbringen von Frü<strong>ch</strong>ten und die Vermehrung, weil diese aus jenem folgt.«<br />
(HG 43).
Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 49<br />
3.3.6. Der se<strong>ch</strong>ste Tag<br />
Die Verse 24 bis 25: 24. Und Gott spra<strong>ch</strong>: »Die Erde bringe lebendige Seele(n) hervor<br />
na<strong>ch</strong> ihren Arten: Vieh 70 und Krie<strong>ch</strong>getier 71 und das 72 Wild der Erde, (jegli<strong>ch</strong>es)<br />
na<strong>ch</strong> seiner Art.« Und so ges<strong>ch</strong>ah es: 25. Gott ma<strong>ch</strong>te das Wild der Erde na<strong>ch</strong><br />
seiner Art, und das Vieh na<strong>ch</strong> seiner Art, und alles Krie<strong>ch</strong>getier 73 des Erdbodens<br />
na<strong>ch</strong> seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war.<br />
Am se<strong>ch</strong>sten Tag steht nun wieder die Erde im Mittelpunkt des Ges<strong>ch</strong>ehens; sie<br />
soll, was uns nun ni<strong>ch</strong>t mehr verwundert, die »lebende Seele« hervorbringen, und<br />
zwar in vers<strong>ch</strong>iedenen Arten: »Vieh und Krie<strong>ch</strong>getier und das Wild der Erde«, so<br />
die Formulierung des Wortberi<strong>ch</strong>tes; im Tatberi<strong>ch</strong>t steht es etwas anders, do<strong>ch</strong><br />
dazu später. Wie s<strong>ch</strong>on gesagt, bezei<strong>ch</strong>nen die Landtiere des se<strong>ch</strong>sten Tages das,<br />
»was dem Willen angehört« (HG 44). Do<strong>ch</strong> lässt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> die Dreierfolge, Vieh,<br />
Krie<strong>ch</strong>getier und Wild der Erde, aufs<strong>ch</strong>lüsseln? »Vieh«, hebräis<strong>ch</strong> »behema«, ist<br />
von einem Wort abgeleitet, das »stumm« bedeutet; ebenso bezei<strong>ch</strong>net »bestia«,<br />
Swedenborgs Übersetzung, das vernunftlose Tier im Gegensatz zum (vernunftbegabten)<br />
Mens<strong>ch</strong>en. Das »Vieh« s<strong>ch</strong>eint daher ein umfassender Begriff für die Willensantriebe<br />
zu sein, die jedo<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t das Gute und Wahre (= das Bild Gottes)<br />
in aller Deutli<strong>ch</strong>keit widerspiegeln, immerhin aber sind sie »gut und sanft«:<br />
»Die Tiere (bestiae) sind hier, weil von denen, die wiedergeboren werden sollen,<br />
gehandelt wird, gut und sanft und bezei<strong>ch</strong>nen Neigungen; die niederen, die mehr<br />
vom Körper an si<strong>ch</strong> haben, heißen ›Wild der Erde 74 ‹ und sind die Begierden und<br />
Lustgefühle.« (HG 45). Das »Wild der Erde« ist das wilde und ungebändigte Leben<br />
des äußeren Mens<strong>ch</strong>en. Zum »Krie<strong>ch</strong>getier« erfahren wir ni<strong>ch</strong>ts Neues. Do<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong><br />
dem, was wir s<strong>ch</strong>on wissen, lassen si<strong>ch</strong> die drei Tiergattungen nun folgendermaßen<br />
verstehen: Im Willen entwickeln si<strong>ch</strong> Neigungen und Motivationen, die<br />
zwar das Gute und Wahre no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ganz klar erfassen können, aber immerhin<br />
70<br />
»Behema« von »bhm« (stumm). Daher hat Swedenborg »bestia« (das stumme, vernunftlose<br />
Ges<strong>ch</strong>öpf).<br />
71<br />
Hier ist die einzige Stelle im S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t, wo Swedenborg »rms<strong>ch</strong>« mit »se movere«<br />
(si<strong>ch</strong> bewegen), statt mit »reptare« übersetzt (S<strong>ch</strong>midt hat hier »reptile«). Eine interessante Interpretation<br />
von »rms<strong>ch</strong>« gibt Swedenborg in HG 41: »Was vom Herrn kommt, hat Leben in<br />
si<strong>ch</strong> … und wird hier dur<strong>ch</strong> ›lebende Seele‹ bezei<strong>ch</strong>net; ferner hat es eine körperli<strong>ch</strong>e Gestalt<br />
(speciem corporis), die hier dur<strong>ch</strong> ›si<strong>ch</strong> bewegend (se movens)‹ oder ›krie<strong>ch</strong>end (reptans)‹ bezei<strong>ch</strong>net<br />
wird.« Demna<strong>ch</strong> bezieht si<strong>ch</strong> »rms<strong>ch</strong>« auf die körperli<strong>ch</strong>e Gestalt des Lebens; das ist<br />
also mit »krie<strong>ch</strong>en« (Bodennähe) gemeint.<br />
72<br />
»We<strong>ch</strong>ajeto ’äräz'«, Swedenborg hat »et feram istius terrae« (S<strong>ch</strong>midt: »et ferram terrae«);<br />
wörtli<strong>ch</strong>: »und sein Wild der Erde« oder (um den etwas abfälligen Ton von »iste« aufzunehmen)<br />
»und von dem da das Wild der Erde«. Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> ist »istius« (sein) auf das »Krie<strong>ch</strong>getier«<br />
zu beziehen. Dann würde zur Leibgebundenheit des Lebens au<strong>ch</strong> »das Wild der Erde«<br />
gehören, das Swedenborg folgendermaßen deutet: Die Affekte, »die niedriger sind und mehr<br />
vom Körper an si<strong>ch</strong> haben, heißen ›sein Wild der Erde‹ und sind die Begierden und Gelüste.«<br />
(HG 45).<br />
73<br />
»Rms<strong>ch</strong>«, Swedenborg hat »reptans«.<br />
74<br />
Wörtli<strong>ch</strong>: »ferae ejus terrae« (sein Wild der Erde). Swedenborg gibt hier das Hebräis<strong>ch</strong>e ganz<br />
wörtli<strong>ch</strong> wieder: »<strong>ch</strong>ajeto ’äräz'«
50 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
s<strong>ch</strong>on davon beseelt sind, denn es sind gute und sanfte Neigungen (das Vieh). Sie<br />
nehmen eine konkrete Gestalt an, was nur mögli<strong>ch</strong> ist, wenn sie si<strong>ch</strong> der Erde<br />
oder den irdis<strong>ch</strong>en Verhältnissen zuwenden (die krie<strong>ch</strong>enden Regungen oder das<br />
Krie<strong>ch</strong>getier). Daher vermis<strong>ch</strong>en sie si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> mit der Triebhaftigkeit des äußeren<br />
Mens<strong>ch</strong>en, mit seinem Verlangen und seinem Genussstreben (das Wild der Erde).<br />
Do<strong>ch</strong> all das heißt »lebendige Seele«, weil der göttli<strong>ch</strong>e Einfluss s<strong>ch</strong>on so weit vorgedrungen<br />
ist.<br />
Interessant sind nun die Abwei<strong>ch</strong>ungen im Tatberi<strong>ch</strong>t. Offenbar gelingt es dem<br />
Mens<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t, seine eigenen Interessen in den Hintergrund zu stellen, denn im<br />
Tatberi<strong>ch</strong>t geht das »Wild der Erde« wieder voran: »Gott ma<strong>ch</strong>te das Wild der Erde<br />
… das Vieh … und alles Krie<strong>ch</strong>getier des Erdbodens«. Die Reihenfolge ist also gegenüber<br />
den Wortberi<strong>ch</strong>t, wo das »Wild der Erde« no<strong>ch</strong> die letzte Stelle einnahm,<br />
vertaus<strong>ch</strong>t. Swedenborgs Erklärung: »Zuerst bringt der Mens<strong>ch</strong> (das Gute und<br />
Wahre) wie von si<strong>ch</strong> aus hervor, au<strong>ch</strong> später no<strong>ch</strong>, ehe er himmlis<strong>ch</strong> wird; und so<br />
beginnt die Wiedergeburt beim äußeren Mens<strong>ch</strong>en und s<strong>ch</strong>reitet zum inneren<br />
fort. Daher liegt hier nun eine andere Ordnung vor und das Äußere geht (wieder)<br />
voran.« (HG 47). Das »Wild der Erde« ist für die Wahnidee verantwortli<strong>ch</strong>, die dem<br />
Bewusstsein des äußeren Mens<strong>ch</strong>en nur s<strong>ch</strong>wer zu nehmen ist, dass er alles aus<br />
eigener Kraft bewerkstelligen kann. Erwähnenswert ist ferner, dass das »Krie<strong>ch</strong>getier«,<br />
das nun die letzte Stelle einnimmt, ni<strong>ch</strong>t »Krie<strong>ch</strong>getier der Erde«, sondern<br />
»Krie<strong>ch</strong>getier des Bodens (hebr. Adama)« genannt wird, was au<strong>ch</strong> deswegen auffällig<br />
ist, weil die »Adama« in Genesis 1 nur hier vorkommt und dann erst wieder<br />
in Genesis 2, wo sie die Grundlage ist, aus der »Adam« (der Mens<strong>ch</strong>) geformt wird.<br />
Der »Boden« oder »Ackerboden« bezei<strong>ch</strong>net im Unters<strong>ch</strong>ied zur »Erde«, die Erdkrume,<br />
die den Samen des Wahren aufnimmt (HG 10570), was den (natürli<strong>ch</strong>en)<br />
Mens<strong>ch</strong>en zum (geistigen) Mens<strong>ch</strong>en ma<strong>ch</strong>t. Daraus folgt, dass in Vers 25 die<br />
»Adama« erwähnt wird, um die Verbindung oder Überleitung zu Vers 26 herzustellen,<br />
wo die Ers<strong>ch</strong>affung des »Adam« (des Mens<strong>ch</strong>en) erzählt wird. Die Neigungen<br />
(Tierwelt) sind also inzwis<strong>ch</strong>en soweit mit Leben erfüllt, dass nun der Mens<strong>ch</strong><br />
als das Bild Gottes in ihnen ers<strong>ch</strong>einen kann. Deswegen fasst Swedenborg die<br />
S<strong>ch</strong>öpfung der Tierwelt wie folgt zusammen: »Der fünfte Zustand besteht darin,<br />
dass der Mens<strong>ch</strong> aus dem Glauben des Verstandes spri<strong>ch</strong>t und si<strong>ch</strong> daher im<br />
Wahren und Guten bestärkt; was er dann hervorbringt ist beseelt und heißt ›Fis<strong>ch</strong>e<br />
des Meeres‹ und ›Vögel der Himmel‹. Und der se<strong>ch</strong>ste Zustand ist gegeben,<br />
wenn er aus dem Glauben des Verstandes und von da aus au<strong>ch</strong> aus der Liebe des<br />
Willens Wahres spri<strong>ch</strong>t und Gutes tut; was er dann hervorbringt heißt ›lebende<br />
Seele‹ und ›Tier (bestia)‹; und weil er jetzt anfängt aus dem Glauben und zuglei<strong>ch</strong><br />
aus der Liebe zu handeln, wird er nun ein geistiger Mens<strong>ch</strong>, der ›Bild‹ heißt, wovon<br />
glei<strong>ch</strong> ans<strong>ch</strong>ließend die Rede sein wird.« (HG 48).<br />
Die Verse 26 bis 28: 26. Und Gott spra<strong>ch</strong>: »Lasst uns Mens<strong>ch</strong>en ma<strong>ch</strong>en als unser<br />
Bild, wie unsere Ähnli<strong>ch</strong>keit, so dass sie herrs<strong>ch</strong>en über die Fis<strong>ch</strong>e des Meeres und<br />
über die Vögel des Himmels und über das Vieh und über die ganze Erde und über
Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 51<br />
das ganze Krie<strong>ch</strong>getier, das auf der Erde krie<strong>ch</strong>t.« 27. Und Gott s<strong>ch</strong>uf den Mens<strong>ch</strong>en<br />
als sein Bild, als Bild Gottes s<strong>ch</strong>uf er ihn, männli<strong>ch</strong> 75 und weibli<strong>ch</strong> 76 s<strong>ch</strong>uf er<br />
sie. 28. Und Gott segnete sie und Gott spra<strong>ch</strong> zu ihnen: »Seid fru<strong>ch</strong>tbar und mehret<br />
eu<strong>ch</strong> und füllet die Erde und unterwerft 77 sie und herrs<strong>ch</strong>t über die Fis<strong>ch</strong>e des<br />
Meeres und über die Vögel des Himmels und über alles Lebendige 78 , das auf der<br />
Erde krie<strong>ch</strong>t.«<br />
Die S<strong>ch</strong>öpfung des Mens<strong>ch</strong>en ist der Höhepunkt des Se<strong>ch</strong>stagewerkes. Na<strong>ch</strong> allem,<br />
was bisher gesagt wurde, dürfte klar sein, dass der »Adam« von Genesis 1<br />
ni<strong>ch</strong>t der erste Mens<strong>ch</strong> ist (vgl. dagegen Paulus in Röm 5,15; 1.Kor 15,21f.), sondern<br />
das Mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e im Mens<strong>ch</strong>en. Seine Ers<strong>ch</strong>affung stellt »die vollendete<br />
Mens<strong>ch</strong>werdung oder die Überkommung der vollkommenen Kinds<strong>ch</strong>aft Gottes«<br />
dar (GEJ I,162,2). Gemeint ist also ni<strong>ch</strong>t ein einmaliger Vorgang am Anfang der<br />
Mens<strong>ch</strong>heitsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, sondern ein Vorgang, der si<strong>ch</strong> im Vollzug der Wiedergeburt<br />
bei jedem Mens<strong>ch</strong>en wiederholen kann, wenn er in seiner Entwicklung bis<br />
zum se<strong>ch</strong>sten Tag kommt. Dann wird er, der äußerli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on seit seiner Geburt<br />
Mens<strong>ch</strong> ist, au<strong>ch</strong> innerli<strong>ch</strong> Mens<strong>ch</strong>, indem er das Göttli<strong>ch</strong>e abbildet, indem er<br />
»imago Dei« wird. Das ist ein inneres Ges<strong>ch</strong>ehen, so dass man sagen muss: Unser<br />
Mens<strong>ch</strong>sein beginnt tief im Inneren der Seele; dort ers<strong>ch</strong>afft Gott den Mens<strong>ch</strong>en.<br />
Do<strong>ch</strong> viele meinen, »die irdis<strong>ch</strong>en und materiellen Bestandteile, aus denen das<br />
Äußerste des Mens<strong>ch</strong>en geformt ist, bilden diesen, und ohne sie sei der Mens<strong>ch</strong><br />
ni<strong>ch</strong>t Mens<strong>ch</strong>. Man sollte jedo<strong>ch</strong> wissen, dass der Mens<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> sie Mens<strong>ch</strong><br />
ist, sondern dadur<strong>ch</strong>, dass er das Wahre einsehen und das Gute wollen kann; das<br />
ist das Geistige und Himmlis<strong>ch</strong>e, das den Mens<strong>ch</strong>en ausma<strong>ch</strong>t.« (HH 60). Die Ers<strong>ch</strong>affung<br />
Adams ist also die na<strong>ch</strong> allen Vormühen nun endli<strong>ch</strong> stattfindende<br />
Mens<strong>ch</strong>werdung des Mens<strong>ch</strong>en.<br />
Da das Mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e im Mens<strong>ch</strong>en »Bild Gottes« heißt, muss Gott der eigentli<strong>ch</strong>e<br />
Mens<strong>ch</strong> sein (GLW 11; GEJ IV,56,1). Wenn wir sagen, dass Gott vor zweitausend<br />
Jahren Mens<strong>ch</strong> geworden ist, dann meinen wir damit ni<strong>ch</strong>t, dass er es vorher<br />
ni<strong>ch</strong>t war; im Gegenteil, Gott ist »von Ewigkeit her … der erste Mens<strong>ch</strong>« (GEJ<br />
75<br />
»Zakar« (ni<strong>ch</strong>t »’is<strong>ch</strong>« oder »gäbär«), Swedenborg hat »masculum«. Es gibt au<strong>ch</strong> ein Verb »zkr«,<br />
das »denken an« bedeutet; na<strong>ch</strong> HG 54 ist im geistigen Mens<strong>ch</strong>en der Verstand das Männli<strong>ch</strong>e.<br />
Wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> hebt »zakar« die ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Verbindung hervor.<br />
76<br />
»Neqeba« bezei<strong>ch</strong>net das Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t, während si<strong>ch</strong> »’is<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>a« auf das Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tsleben<br />
bezieht (Ludwig Koehler und Walter Baumgartner, »Hebräis<strong>ch</strong>es und aramäis<strong>ch</strong>es Lexikon<br />
zum Alten Testament«, 632).<br />
77<br />
»Kbs<strong>ch</strong>«, Swedenborg hat »subjugare« (unterjo<strong>ch</strong>en, unterwerfen). Bea<strong>ch</strong>te, dass Swedenborg<br />
au<strong>ch</strong> von der »subjugatio infernorum« (Unterjo<strong>ch</strong>ung der Höllen, WCR 115) spri<strong>ch</strong>t.<br />
78<br />
Swedenborg übersetzt »<strong>ch</strong>ajja« hier mit »vivum« (S<strong>ch</strong>midt: »animal«); wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>, weil<br />
vom »Wild« (der anderen Bedeutung dieses Wortes) ni<strong>ch</strong>t »haromäs'ät ‘al ha’aräz'« (Swedenborg:<br />
»reptans super terra«) ausgesagt werden kann. An den anderen Stellen steht immer die<br />
Verbindung »<strong>ch</strong>ajeto ’äräz'« bzw. »<strong>ch</strong>ajjat ha’aräz'« (Vers 24 ohne Artikel aber mit Suffix, Verse<br />
25 und 30 mit Artikel), »Wild der Erde«; »Wild« also immer in Vebindung mit »Erde«.<br />
S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> ist no<strong>ch</strong> auf die Verbindung »näfäs<strong>ch</strong> (ha)<strong>ch</strong>ajja« (Verse 20, 24 und 30 ohne Artikel,<br />
Vers 21 mit Artikel), »lebendige Seele«, hinzuweisen.
52 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
II,39,3). Alle übrigen Mens<strong>ch</strong>en sind nur von ihm her Mens<strong>ch</strong>. Das war die Weisheit<br />
der Urkir<strong>ch</strong>e, die in Genesis 1 ihren Nieders<strong>ch</strong>lag fand: »In der ältesten Kir<strong>ch</strong>e<br />
… ers<strong>ch</strong>ien der Herr wie ein Mens<strong>ch</strong> … Darum nannten sie niemand einen<br />
Mens<strong>ch</strong>en als ihn und was ihm angehört, ni<strong>ch</strong>t aber si<strong>ch</strong> selbst, außer das, was sie<br />
- wie sie innewurden - vom Herrn hatten, das heißt alles Gute der Liebe und Wahre<br />
des Glaubens; das nannten sie das zum Mens<strong>ch</strong>en, weil zum Herrn Gehörige.«<br />
(HG 49). Von daher sind nun die beiden Begriffe »Bild« und »Ähnli<strong>ch</strong>keit« zu interpretieren.<br />
Bei Swedenborg finden wir zwei, einander ergänzende Auslegungen:<br />
»Der Mens<strong>ch</strong> ist … Bild Gottes, weil er die göttli<strong>ch</strong>e Weisheit aufnimmt; und Ähnli<strong>ch</strong>keit<br />
Gottes, weil er die göttli<strong>ch</strong>e Liebe aufnimmt. Daher ist das Aufnahmeorgan,<br />
das Verstand heißt, das Bild Gottes; und das Aufnahmeorgan, das Wille heißt,<br />
die Ähnli<strong>ch</strong>keit Gottes.« (GV 328). Derselbe Gedanke ist in den »himmlis<strong>ch</strong>en<br />
Geheimnissen« folgendermaßen formuliert: »Der geistige Mens<strong>ch</strong> ist Bild, der<br />
himmlis<strong>ch</strong>e Mens<strong>ch</strong> aber ist Ähnli<strong>ch</strong>keit oder Ebenbild.« (HG 51). Demna<strong>ch</strong> ist<br />
das »Bild« die Abbildung der göttli<strong>ch</strong>en Weisheit im geistigen Mens<strong>ch</strong>en, während<br />
die »Ähnli<strong>ch</strong>keit« beim himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en dur<strong>ch</strong> die Liebe bewirkt wird. Eine<br />
etwas andere Betra<strong>ch</strong>tungsweise liegt den folgenden Worten zugrunde: »Zum<br />
Bilde Gottes wird er [der Mens<strong>ch</strong>] … dur<strong>ch</strong> die Anerkennung und den Glauben,<br />
dass alles Gute der Liebe und Nä<strong>ch</strong>stenliebe, alles Wahre der Weisheit und des<br />
Glaubens ihm von Gott gegeben wurde und ständig gegeben wird, ni<strong>ch</strong>t aber seinem<br />
Eigenen entstammt. Ähnli<strong>ch</strong>keit Gottes aber ist er dadur<strong>ch</strong>, dass er all dies<br />
fühlt, als ob es in ihm selber wäre.« (WCR 48). Demna<strong>ch</strong> ist mit »Bild Gottes« das<br />
Gefühl der Abhängigkeit ausgesagt, während »Ähnli<strong>ch</strong>keit« im Gefühl der Selbständigkeit<br />
liegt. Diese Interpretation erinnert an Lorber, bei dem es heißt, »dass<br />
si<strong>ch</strong> in den ges<strong>ch</strong>affenen Wesen notwendig zwei Gefühle begegnen müssen, und<br />
zwar erstens und zunä<strong>ch</strong>st das Gefühl der göttli<strong>ch</strong>en Ebenmäßigkeit [Ähnli<strong>ch</strong>keit]<br />
… und zweitens … das Gefühl des zeitgemäßen Werdens dur<strong>ch</strong> den Urwillen des<br />
S<strong>ch</strong>öpfers [Bild]. Das erste Gefühl stellt das Ges<strong>ch</strong>öpf unbedingt dem S<strong>ch</strong>öpfer<br />
glei<strong>ch</strong> und wie aus si<strong>ch</strong> hervorgehend völlig unabhängig von dem ewigen Urgrunde,<br />
als glei<strong>ch</strong>sam sol<strong>ch</strong>en in si<strong>ch</strong> selbst fassend und bergend; das zweite aus<br />
diesem ersten notwendig hervorgehende Lebensgefühl aber muss si<strong>ch</strong> denno<strong>ch</strong><br />
als ein vom eigentli<strong>ch</strong>en Urgrunde aus si<strong>ch</strong> hervorgerufenes und erst in der Zeitenfolge<br />
als in si<strong>ch</strong> selbst als frei manifestiertes und somit vom Haupturgrunde<br />
sehr abhängiges ansehen und betra<strong>ch</strong>ten.« (GEJ I,1,16f.). Fassen wir zusammen:<br />
Das »Bild Gottes« ist die Weisheit; die »Ähnli<strong>ch</strong>keit« ist die Liebe, die uns Gott so<br />
ähnli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t, dass wir das Gefühl haben, das Leben selbst zu sein. Es liegt im<br />
Wesen der Liebe, all das Ihrige dem anderen zu geben; deswegen ist die ewige<br />
Liebe bestrebt, si<strong>ch</strong> uns so restlos zu geben, dass wir diese Gabe ni<strong>ch</strong>t einmal als<br />
Gabe erkennen können.<br />
Das, was bisher zum Verständnis von »Bild« und »Ähnli<strong>ch</strong>keit« gesagt wurde, soll<br />
no<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> einige spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Beoba<strong>ch</strong>tungen ergänzt werden. Das hebräis<strong>ch</strong>e<br />
Wort für »Bild« (z'äläm) kann au<strong>ch</strong> »Statue« und »Bildsäule« bedeuten, was zeigt,<br />
dass wir als wandelnde Bilder no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t sehr lebendig sind. Ferner ist zu sagen,
Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 53<br />
dass »z'el« »S<strong>ch</strong>atten« bedeutet und das dazugehörige Verb »z'll« »s<strong>ch</strong>attig oder<br />
dunkel werden«. Das ist auf den ersten Blick sonderbar, denn ein Bild soll ja die<br />
Realität mögli<strong>ch</strong>st farbenfroh darstellen, aber ni<strong>ch</strong>t verdunkeln; in Wahrheit ist es<br />
aber keineswegs sonderbar, denn sowohl die »Bildsäule«, als au<strong>ch</strong> der »S<strong>ch</strong>atten«<br />
sind nur die Abbilder einer höheren Wirkli<strong>ch</strong>keit auf dem Boden der Stoffli<strong>ch</strong>keit;<br />
daher ist au<strong>ch</strong> das Bild eine gewisse Verdunklung der eigentli<strong>ch</strong>en Wahrheit. Das<br />
Bild Gottes leu<strong>ch</strong>tet in dem auf, was wir aus der stoffli<strong>ch</strong>en Welt an Bildern aufgenommen<br />
haben. Mit anderen Worten: Gott ers<strong>ch</strong>eint in unseren Erfahrungen.<br />
Wir erinnern uns, bevor die »imago Dei« ers<strong>ch</strong>einen kann, musste uns das Li<strong>ch</strong>t<br />
des ersten Tages gegeben werden, mussten die Wasser ges<strong>ch</strong>ieden werden und<br />
musste das Festland hervortreten. Dann endli<strong>ch</strong>, am vierten Tag, wurde uns das<br />
göttli<strong>ch</strong>e Li<strong>ch</strong>t gegeben. Do<strong>ch</strong> es gab nur der Tierwelt das Leben; der Mens<strong>ch</strong>,<br />
ausgere<strong>ch</strong>net er, wird im gesamten S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t »lebende Seele« genannt.<br />
Er ist, so muss man jetzt formulieren, nur Bild Gottes; das unterstrei<strong>ch</strong>t<br />
no<strong>ch</strong> einmal die relative Leblosigkeit der »Bildsäule». Erst in Genesis 2, wo<br />
»Adam« das zweite Mal ersteht, heißt er »lebendige Seele«. Deswegen also ist das<br />
»Bild« no<strong>ch</strong> immer eine gewisse Vers<strong>ch</strong>attung der Lebenswirkli<strong>ch</strong>keit Gottes. Das<br />
hebräis<strong>ch</strong>e Wort für »Ähnli<strong>ch</strong>keit« (demut) ist von »dmh« abgeleitet, das »glei<strong>ch</strong>en«<br />
bedeutet. Die Lautverbindung Daleth (d) und Mem (m) begegnet au<strong>ch</strong> in<br />
»’adam«, dort mit Aleph (’), so dass »Adam« au<strong>ch</strong> von daher das »Ebenbild Gottes«<br />
ist. Außerdem bedeutet »dam« »Blut«; und da das Blut die Verwandts<strong>ch</strong>aft begründet,<br />
ist »Adam« das Wesen göttli<strong>ch</strong>en Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tes.<br />
Diese Beoba<strong>ch</strong>tungen lassen vermuten, dass die ältesten Mens<strong>ch</strong>en eine sehr<br />
komplexe und ausgeprägte Vorstellung vom »Bild Gottes« hatten; jedenfalls<br />
s<strong>ch</strong>reibt Swedenborg: »Die älteste Kir<strong>ch</strong>e verstand unter dem ›Bilde Gottes‹ mehr,<br />
als gesagt werden kann.« (HG 50). Dass die Gottesebenbildli<strong>ch</strong>keit eine spezifis<strong>ch</strong>e<br />
Idee der Urkir<strong>ch</strong>e war, mag daraus hervorgehen, dass sie na<strong>ch</strong> den Sintfluterzählungen,<br />
die den Untergang dieser Kir<strong>ch</strong>e bes<strong>ch</strong>reiben, ni<strong>ch</strong>t mehr erwähnt<br />
wird; die einzigen Belege finden wir in Gen 1,26f.; 5,1 (dort: Ähnli<strong>ch</strong>keit Gottes)<br />
und 9,3. Dass ferner die Rede von der Gottesebenbildli<strong>ch</strong>keit damals ohne weiteres<br />
verständli<strong>ch</strong> war, geht daraus hervor, dass sie nirgends erläutert wird, also<br />
offenbar bekannt war.<br />
Im Unters<strong>ch</strong>ied zum Wortberi<strong>ch</strong>t ist im Tatberi<strong>ch</strong>t nur vom »Bild« die Rede, was<br />
ein Hinweis darauf ist, dass die »Ähnli<strong>ch</strong>keit« des himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en zwar in<br />
Genesis 1 als S<strong>ch</strong>öpfungsabsi<strong>ch</strong>t ausgespro<strong>ch</strong>en, aber no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ausgeführt wird;<br />
erst der siebente Tag stellt den himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en dar (HG 74). Im Tatberi<strong>ch</strong>t<br />
des se<strong>ch</strong>sten Tages ist statt von »Bild« und »Ähnli<strong>ch</strong>keit« zweimal vom »Bild« die<br />
Rede: »Und Gott s<strong>ch</strong>uf den Mens<strong>ch</strong>en als sein Bild, als Bild Gottes s<strong>ch</strong>uf er ihn«.<br />
Damit ist der Verstand und der Wille des geistigen Mens<strong>ch</strong>en gemeint (HG 53).<br />
Etwas ähnli<strong>ch</strong>es bedeutet au<strong>ch</strong> die ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Differenzierung: »Männli<strong>ch</strong><br />
und weibli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>uf er sie«. Die Mens<strong>ch</strong>en der Urkir<strong>ch</strong>e nannten »im geistigen<br />
Mens<strong>ch</strong>en den Verstand das Männli<strong>ch</strong>e und den Willen das Weibli<strong>ch</strong>e« (HG 54).
54 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Im himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en hingegen wäre der Wille das Männli<strong>ch</strong>e und der<br />
Verstand das Weibli<strong>ch</strong>e. »Männli<strong>ch</strong> und weibli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>uf er sie« bedeutet, dass si<strong>ch</strong><br />
Verstand und Wille zu einer Einheit ergänzen sollen. Erst wenn das ges<strong>ch</strong>ehen ist,<br />
erst dann ist der Mens<strong>ch</strong> wirkli<strong>ch</strong> »imago dei«, ein Bildnis des Gottes, der Liebe<br />
und Weisheit ist.<br />
Das Mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e im Mens<strong>ch</strong>en soll herrs<strong>ch</strong>en. Zum Herrs<strong>ch</strong>aftsauftrag s<strong>ch</strong>reibt<br />
Swedenborg: »Solange der Mens<strong>ch</strong> (nur) geistig ist, geht seine Herrs<strong>ch</strong>aft vom<br />
äußeren Mens<strong>ch</strong>en zum inneren, wie es hier heißt: ›sie sollen herrs<strong>ch</strong>en über die<br />
Fis<strong>ch</strong>e des Meeres, und über den Vogel der Himmel, und über das Tier (bestiam),<br />
und über die ganze Erde, und über alles Krie<strong>ch</strong>ende, das auf der Erde krie<strong>ch</strong>t‹.<br />
Wenn er aber himmlis<strong>ch</strong> wird und aus Liebe Gutes tut, dann geht die Herrs<strong>ch</strong>aft<br />
vom inneren Mens<strong>ch</strong>en zum äußeren« (HG 52). Da beim geistigen Mens<strong>ch</strong>en der<br />
Impuls vom Verstand ausgeht und dur<strong>ch</strong> den Willen zur Wirkung kommt, gehen<br />
die Fis<strong>ch</strong>e und Vögel, die zum Verstand gehören, voran, während die Tiere der<br />
Erde, die zum Willen gehören, na<strong>ch</strong>folgen (vgl. HG 52). Interessant ist au<strong>ch</strong>, dass<br />
das »Wild der Erde« ni<strong>ch</strong>t erwähnt wird; stattdessen ist nur von der »Erde« die<br />
Rede. Gott verlangt von uns also ni<strong>ch</strong>t, das »Wild der Erde« zu beherrs<strong>ch</strong>en; offenbar<br />
wären wir damit überfordert. Au<strong>ch</strong> im Herrs<strong>ch</strong>aftsauftrag des Segens (Vers<br />
28) ist ni<strong>ch</strong>t vom »Wild«, sondern vom »Lebendigen, das auf der Erde krie<strong>ch</strong>t« die<br />
Rede. Wie s<strong>ch</strong>on gesagt, hat das hebräis<strong>ch</strong>e Wort beide Bedeutungen, do<strong>ch</strong> aus<br />
mehreren Gründen kann hier nur das »Lebendige« gemeint sein: Erstens, ist das<br />
»Lebendige, das auf der Erde krie<strong>ch</strong>t« die Zusammenfassung des gesamten, in<br />
Vers 26 dreifa<strong>ch</strong> gegliederten Erdberei<strong>ch</strong>s; zweitens, ist es Teil der Segensformel,<br />
wird also vom Lebensstrom erfasst und ist daher »Lebendiges«; und drittens kann<br />
si<strong>ch</strong> die Herrs<strong>ch</strong>aft im Tatberi<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t auf das »Wild« erstrecken, wenn diese<br />
Herrs<strong>ch</strong>aft im Wortberi<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t beabsi<strong>ch</strong>tigt war.<br />
Die Verben des Herrs<strong>ch</strong>aftsauftrages zeigen uns den Mens<strong>ch</strong>en im Kampf mit<br />
seiner niederen Natur. »Rdh« (Verse 26 und 28) wird von Swedenborg mit »dominari«<br />
(Herr sein über etw.) übersetzt; meint also, dass die Geistigkeit des Mens<strong>ch</strong>en<br />
das Triebhafte dominieren soll. »Kbs<strong>ch</strong>«, die Herrs<strong>ch</strong>aft über die Erde, wird<br />
von Swedenborg mit »subjugare« (unterjo<strong>ch</strong>en) übersetzt; das ist dasselbe Wort,<br />
das er au<strong>ch</strong> in »subjugatio infernorum« (Unterjo<strong>ch</strong>ung der Höllen) verwendet.<br />
Somit ist die »Erde« das, was zur Hölle werden kann, wenn es ni<strong>ch</strong>t vom Himmel<br />
beherrs<strong>ch</strong>t wird; der Himmelssegen bewirkt jedo<strong>ch</strong>, dass die Erde mit Leben erfüllt<br />
wird: »Seid fru<strong>ch</strong>tbar und mehret eu<strong>ch</strong> und füllet die Erde«. Swedenborg<br />
s<strong>ch</strong>reibt: »Wenn der Mens<strong>ch</strong> geistig ist und natürli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> wenn er es wird, dann<br />
ist er im Kampf, weswegen es heißt: ›unterjo<strong>ch</strong>t die Erde‹ und ›beherrs<strong>ch</strong>t‹.« (HG<br />
55). Unter dem Kampf sind die Versu<strong>ch</strong>ungen zu verstehen. Die verwendeten<br />
Verben sind besonders starke Ausdrücke; »kbs<strong>ch</strong>« heißt »niedertreten«, »gewaltsam<br />
unterwerfen« (Jer 34,11.16: »mit Gewalt zu Sklaven ma<strong>ch</strong>en«); »rbh« meint<br />
die unums<strong>ch</strong>ränkte Herrs<strong>ch</strong>aft, der gegenüber es keinen Widerstand gibt (Ps<br />
72,8f.; 110,2), ein hartes, s<strong>ch</strong>onungsloses Unterjo<strong>ch</strong>en (Jes 14,2.6; Ez 34,4; Lev
Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 55<br />
25,53). Dass das Hebräis<strong>ch</strong>e au<strong>ch</strong> andere Worte für herrs<strong>ch</strong>en hat, zeigt im S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t<br />
der vierte Tag, wo von den Li<strong>ch</strong>tern zur Herrs<strong>ch</strong>aft die Rede ist.<br />
Wenn vom geistigen Mens<strong>ch</strong>en gefordert wird, dass er den natürli<strong>ch</strong>en Berei<strong>ch</strong><br />
dominieren, ja unterjo<strong>ch</strong>en soll, dann zeigt das deutli<strong>ch</strong>, dass das Böse ni<strong>ch</strong>t erst<br />
mit dem Sündenfall (Genesis 3) in die Welt kam, sondern - zumindest potentiell -<br />
immer s<strong>ch</strong>on da war. Deswegen wurde ja au<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong> zu Beginn gesagt, dass die<br />
Erde wüst und leer und finster in ihrer Tiefe war. Das Böse ist also die Voraussetzung<br />
der Wiedergeburt; do<strong>ch</strong> diese negative Veranlagung des Mens<strong>ch</strong>en bleibt in<br />
Genesis 1 im Hintergrund, weil sie vom Wirken Gottes überstrahlt wird. Immer<br />
wenn in Genesis 1 etwas für »gut«, oder gar »sehr gut« (Vers 31) befunden wird,<br />
und das ges<strong>ch</strong>ieht oft (in den Versen 4, 10, 12, 18, 21, 25, 31), dann bezieht si<strong>ch</strong><br />
dieses Urteil auf Gottes Werke. Der Mens<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong>, der in die Freiheit des eigenen<br />
Wirkens entlassen wird, soll si<strong>ch</strong> selbst beherrs<strong>ch</strong>en, - weil er si<strong>ch</strong> andernfalls<br />
zum Tyrannen entwickeln wird.<br />
Die Verse 29 bis 31: 29. Und Gott spra<strong>ch</strong>: »Siehe, i<strong>ch</strong> gebe eu<strong>ch</strong> jede Samen säende<br />
79 Pflanze, die auf den Angesi<strong>ch</strong>ten der ganzen Erde (ist), und jeden Baum, an<br />
dem Fru<strong>ch</strong>t (ist); der Samen säende Baum 80 , eu<strong>ch</strong> sei er zur Speise. 30. Und allem<br />
Wild der Erde und jedem Vogel des Himmels und allem Krie<strong>ch</strong>getier auf der Erde,<br />
in dem (eine) lebendige Seele (ist), (gebe i<strong>ch</strong>) alles Grünkraut 81 zur Speise.« Und so<br />
ges<strong>ch</strong>ah es. 31. Und Gott sah alles, was er gema<strong>ch</strong>t hatte, und siehe, (es war) sehr<br />
gut. Und es war Abend, und es war Morgen, der se<strong>ch</strong>ste Tag.<br />
Das ist die Speiseordnung für Mens<strong>ch</strong> (Vers 29) und Tier (Vers 30). In Vers 29<br />
werden die geistigen, in Vers 30 hingegen die natürli<strong>ch</strong>en Speisen bes<strong>ch</strong>rieben.<br />
»Die geistigen (Speisen werden) dur<strong>ch</strong> ›Samen säende Pflanze‹ und dur<strong>ch</strong> ›Baum,<br />
an dem Fru<strong>ch</strong>t ist‹ (bes<strong>ch</strong>rieben); sie heißen im allgemeinen ›Baum, der Samen<br />
hervorbringt‹.« (HG 56). Da vom geistigen Mens<strong>ch</strong>en, der si<strong>ch</strong> vom Wahren ernährt,<br />
die Rede ist, wird seine Speise dur<strong>ch</strong> den Baum, der Samen produziert,<br />
zusammengefasst, denn der Same bezei<strong>ch</strong>net das Wahre. »Die ›Samen säende<br />
Pflanze‹ ist alles Wahre, das Nutzen beabsi<strong>ch</strong>tigt; der ›Baum, an den Fru<strong>ch</strong>t‹ ist<br />
das Gute des Glaubens. Die ›Fru<strong>ch</strong>t‹ ist das, was der Herr dem himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en<br />
gibt, aber der ›Same‹, aus dem die Fru<strong>ch</strong>t kommt, ist das, was er dem geistigen<br />
Mens<strong>ch</strong>en gibt. Daher wird gesagt: ›Der Baum, der den Samen hervorbringt,<br />
sei eu<strong>ch</strong> zur Speise‹.« (HG 57). In Vers 30 wird die natürli<strong>ch</strong>e Speise des Mens<strong>ch</strong>en<br />
bes<strong>ch</strong>rieben: »Sein Natürli<strong>ch</strong>es ist hier dur<strong>ch</strong> ›das Wild der Erde‹, dur<strong>ch</strong><br />
79<br />
Swedenborg übersetzt diese Qal-Form (zorea‘) genauso wie in Vers 11 die Hifil-Form (mazria‘):<br />
»herbam seminificantem semen«.<br />
80<br />
Aus Swedenborgs Übersetzung und der Auslegung in HG 56 geht hervor, dass die masoretis<strong>ch</strong>e<br />
Lesart, die zwis<strong>ch</strong>en »Fru<strong>ch</strong>t« und »Baum« ein Maqqef (Bindestri<strong>ch</strong>) setzt, irreführend<br />
ist. Folgt man der masoretis<strong>ch</strong>en Lesart, dann müsste man übersetzen: »und jeden Baum, an<br />
dem Samen säende Baumfru<strong>ch</strong>t (ist)«.<br />
81<br />
»Järäq ‘es'äb«, Swedenborg hat »viride herbae« (Das Grüne der Pflanze); S<strong>ch</strong>midt hat »olus<br />
herbae«. Die Übersetzung von S<strong>ch</strong>midt tau<strong>ch</strong>t in HG 58 und 59 auf.
56 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
›den Vogel der Himmel‹ bezei<strong>ch</strong>net, denen der Kohl und das Grünkraut zur Speise<br />
gegeben ist.« (HG 58). Der Kohl bezei<strong>ch</strong>net »geringe angenehme Gefühle (vilia<br />
jucunditatum)« (HG 996). »Jrq« bedeutet »sowohl Kohl (olus) als au<strong>ch</strong> Grünes (viride);<br />
›Kohl‹ im Hinblick auf die Freuden des Willens oder der himmlis<strong>ch</strong>en Gefühle;<br />
›Grünes‹ im Hinblick auf die Freuden der Verstandes oder der geistigen Gefühle.«<br />
(HG 996). Gemeint ist eine Nahrung mit geringem Nährwert; das zugrundeliegende<br />
Verb »jrq« bedeutet »blass, blei<strong>ch</strong> oder gelb werden«. Ferner gibt es ein<br />
Adjektiv »raq«, das »dünn« und »s<strong>ch</strong>mä<strong>ch</strong>tig« bedeutet, und ein Adverb »raq«, das<br />
»auf geringe Weise« bedeutet. Die Nahrung des natürli<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en sind also<br />
die ni<strong>ch</strong>t sehr nahrhaften »Dinge des Wissens« (HG 56). Warum dem natürli<strong>ch</strong>en<br />
Mens<strong>ch</strong>en nur diese nährwertarme Nahrung zugängli<strong>ch</strong> ist, erklärt Swedenborg<br />
damit, dass der natürli<strong>ch</strong>e Mens<strong>ch</strong> aus Begierden aller Art besteht, die tiefere<br />
Innewerdungen ni<strong>ch</strong>t zulassen: »Dass dem natürli<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en hier nur Kohl<br />
und grünes Kraut zum Essen dient, damit verhält es si<strong>ch</strong> so: Während der Mens<strong>ch</strong><br />
wiedergeboren und geistig wird, befindet er si<strong>ch</strong> ständig im Kampf, weswegen die<br />
Kir<strong>ch</strong>e des Herrn eine kämpfende heißt. Denn vorher haben Begierden geherrs<strong>ch</strong>t,<br />
weil der ganze Mens<strong>ch</strong> nur aus Begierden und den daherstammenden Fals<strong>ch</strong>heiten<br />
zusammengesetzt ist. Wenn er nun wiedergeboren wird, können seine Begierden<br />
und Fals<strong>ch</strong>heiten ni<strong>ch</strong>t sofort ausgelös<strong>ch</strong>t werden, denn dann müsste man<br />
den ganzen Mens<strong>ch</strong>en zerstören, der si<strong>ch</strong> ja kein anderes Leben angeeignet hat.<br />
Daher werden bei ihm lange böse Geister gelassen, damit sie seine Begierden<br />
erregen und auf zahllose Weisen öffnen (auflösen), so dass der Herr sie zum Guten<br />
lenken und der Mens<strong>ch</strong> umgestaltet werden kann. In der Zeit des Kampfes<br />
lassen ihm die bösen Geister ni<strong>ch</strong>ts anderes zum Essen übrig als den ›Kohl‹ und<br />
das ›grüne Kraut‹; diese Geister haben nämli<strong>ch</strong> den größten Hass auf alles Gute<br />
und Wahre, das heißt auf alles, was zur Liebe und zum Glauben an den Herrn<br />
gehört, das ja einzig deswegen gut und wahr ist, weil es ewiges Leben [und somit<br />
das Nährende] in si<strong>ch</strong> hat. Der Herr aber gibt dem Mens<strong>ch</strong>en au<strong>ch</strong> die Speise, die<br />
mit dem Kraut, das Samen hervorbringt, und dem Baum, an dem Fru<strong>ch</strong>t ist, vergli<strong>ch</strong>en<br />
wird; das sind die zwis<strong>ch</strong>en den Kämpfen liegenden Zustände der Ruhe<br />
und des Friedens mit ihren angenehmen Glücksgefühlen.« (HG 59).<br />
Die mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Nahrung ist in Genesis 1 auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> das Pflanzli<strong>ch</strong>e; in Genesis<br />
9 hingegen, also na<strong>ch</strong> der Sintflut (Überflutung des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Willens mit<br />
Leidens<strong>ch</strong>aften), au<strong>ch</strong> das Tieris<strong>ch</strong>e, das mehr Begierli<strong>ch</strong>es in si<strong>ch</strong> hat. Swedenborg<br />
erklärt diese vers<strong>ch</strong>iedenen Speiseordnungen, indem er s<strong>ch</strong>reibt: »Fleis<strong>ch</strong><br />
von Tieren (animalium) essen ist an si<strong>ch</strong> etwas Unheiliges, denn in der ältesten<br />
Zeit aß man nie das Fleis<strong>ch</strong> von Tieren (bestiae) oder Vögeln, sondern nur Samen,<br />
hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> Weizenbrote, Baumfrü<strong>ch</strong>te, Gemüse, Mil<strong>ch</strong> und Mil<strong>ch</strong>produkte,<br />
zum Beispiel Butter. Tiere s<strong>ch</strong>la<strong>ch</strong>ten und ihr Fleis<strong>ch</strong> essen, galt den ältesten<br />
Mens<strong>ch</strong>en als sündhaft und den wilden Tieren ähnli<strong>ch</strong>; sie ma<strong>ch</strong>ten si<strong>ch</strong> diese nur<br />
dienst- und nutzbar, wie aus Genesis 1,29f. ersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ist. Als jedo<strong>ch</strong> die Mens<strong>ch</strong>en<br />
im Verlauf der Zeit ebenso wild wie die wilden Tiere, ja sogar no<strong>ch</strong> wilder
Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1) 57<br />
wurden, da erst begann man Tiere zu s<strong>ch</strong>la<strong>ch</strong>ten und ihr Fleis<strong>ch</strong> zu essen« (HG<br />
1002).<br />
Das also ist der innere Sinn des S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>tes. Do<strong>ch</strong> die Spra<strong>ch</strong>e der Bibel<br />
besteht aus Bildern; und ein Bild öffnet den Blick in die unendli<strong>ch</strong>e Weite des<br />
Raumes. Diese unendli<strong>ch</strong>e Sinnweite kann dur<strong>ch</strong> Worte immer nur teilweise erfasst<br />
werden; daher ist die hier gebotene Auslegung kein letztes Wort. Die Bildspra<strong>ch</strong>e<br />
der Bibel öffnet uns die innere S<strong>ch</strong>au, während die Wortspra<strong>ch</strong>e des<br />
Verstandes sie notwendigerweise begrenzt, und leider au<strong>ch</strong> verdunkelt.
58 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Die S<strong>ch</strong>öpfung: Eine Struktur der Zahl 2<br />
1. Ein S<strong>ch</strong>aubild<br />
2. Tag<br />
Geistiger Grad (Kraftfeld)<br />
Wasser (= Seele)<br />
2. »Und Gott spra<strong>ch</strong>« v6-8<br />
Wasser oben<br />
Wasser unten<br />
Das In-Ers<strong>ch</strong>einung-Treten der<br />
Erde aus der Wasserwelt<br />
5. Tag<br />
Geistiger Grad (Kraftfeld)<br />
Wasser (= Seele)<br />
6. »Und Gott spra<strong>ch</strong>« v20-23<br />
Leben im Wasser oben<br />
Leben im Wasser unten<br />
Leben au<strong>ch</strong> auf der Erde<br />
3. Tag<br />
Natürli<strong>ch</strong>er Grad (Wirkung)<br />
Erde (= Leib)<br />
3. »Und Gott spra<strong>ch</strong>« v9-10<br />
Wasser<br />
Erde<br />
4. »Und Gott spra<strong>ch</strong>« v11-13<br />
Samengebende Pflanzen<br />
Fru<strong>ch</strong>ttragende Pflanzen<br />
6. Tag<br />
Natürli<strong>ch</strong>er Grad (Wirkung)<br />
Erde (= Leib)<br />
7. »Und Gott spra<strong>ch</strong>« v24-25<br />
HausVieh<br />
Wild (mit Krie<strong>ch</strong>getier)<br />
8. »Und Gott spra<strong>ch</strong>« v26-27<br />
9. »Und Gott spra<strong>ch</strong> zu ihnen«<br />
v28<br />
10. »Und Gott spra<strong>ch</strong>« v29-31<br />
Mann<br />
Frau<br />
1. Tag<br />
Himmlis<strong>ch</strong>er Grad (Impuls)<br />
Li<strong>ch</strong>t (= Geist)<br />
1. »Und Gott spra<strong>ch</strong>« v3-5<br />
Li<strong>ch</strong>t<br />
Finsternis<br />
Pflanzen als Aufnahmegefäße<br />
des Li<strong>ch</strong>tes (Chlorophyll)<br />
4. Tag<br />
Himmlis<strong>ch</strong>er Grad (Impuls)<br />
Li<strong>ch</strong>t (= Geist)<br />
5. »Und Gott spra<strong>ch</strong>« v14-19<br />
Sonne<br />
Mond und Sterne<br />
Der Mens<strong>ch</strong> als Aufnahmegefäß<br />
des Göttli<strong>ch</strong>en<br />
Diese Strukturanalyse von Genesis 1 basiert auf Friedri<strong>ch</strong> Weinreb (S<strong>ch</strong>öpfung im<br />
Wort: Die Struktur der Bibel in jüdis<strong>ch</strong>er Überlieferung, 2002, Seite 35). Sie wurde<br />
dann jedo<strong>ch</strong> mit Einsi<strong>ch</strong>ten Emanuel Swedenborgs weiterentwickelt. Aus der 2<br />
(Grundidee S<strong>ch</strong>öpfung) gehen 3 Grade oder Ebenen und darin 4 (= 2 mal 2) Werke<br />
hervor.
Die S<strong>ch</strong>öpfung: Eine Struktur der Zahl 2 59<br />
2. Erläuterungen zum S<strong>ch</strong>aubild<br />
Der S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t beginnt mit dem Bu<strong>ch</strong>staben Beth und somit mit der Zahl<br />
2. Die 2 ist das Gegenüber und daher die Grundidee der S<strong>ch</strong>öpfung. Demna<strong>ch</strong> ist<br />
es folgeri<strong>ch</strong>tig, dass die 2 die Grundzahl des S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>ts ist. Jeder Tag<br />
weist in si<strong>ch</strong> eine Dualität auf. Ferner ist zu bea<strong>ch</strong>ten, dass si<strong>ch</strong> der 1. und der 2.<br />
sowie der 4. und der 5. Tag gegenüberstehen und zuglei<strong>ch</strong> im 3. bzw. 6. Tag ihr<br />
gemeinsames »Kind« erzeugen. Daher beoba<strong>ch</strong>ten wir am 3. und am 6. Tag jeweils<br />
zwei Werke, denn beide Elternteile sind im 3. und 6. Tag gegenwärtig. Aus der 2<br />
ergeben si<strong>ch</strong> sona<strong>ch</strong> 3 Grade oder Ebenen, in denen die Zahl 4 als 2 mal 2 verwirkli<strong>ch</strong>t<br />
ist.<br />
Die drei Spalten repräsentieren das Li<strong>ch</strong>t (bzw. das Feuer) 82 , das Wasser und die<br />
Erde. I<strong>ch</strong> bin mir ni<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>er, ob in dieser Struktur au<strong>ch</strong> die Luft, für die der Hebräer<br />
bekanntli<strong>ch</strong> kein Wort hat, enthalten ist. Mögli<strong>ch</strong>erweise kann man im<br />
mehrmaligen Vorkommen von Wasser die spätere Unters<strong>ch</strong>eidung von Luft und<br />
Wasser erblicken. Dann wären im S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t die vier Elemente des Empedokles<br />
vorgebildet.<br />
Dass ein Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en den Werken des 1. und 4. Tags sowie des 2.<br />
und 5. Tags besteht, ist offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>. Besteht aber au<strong>ch</strong> ein Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en<br />
den Werken des 3. und des 6. Tags? Die samengebenden Pflanzen könnten<br />
mit dem Mann und die fru<strong>ch</strong>ttragenden Pflanzen mit der Frau in Beziehung gebra<strong>ch</strong>t<br />
werden. S<strong>ch</strong>wieriger ist es, einen Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en dem Wasser<br />
und dem Vieh und der Erde und dem Wild zu sehen. Bemerkenswert ist aber,<br />
dass nur das Wild mit Erde und nur die krie<strong>ch</strong>enden Tiere mit Erdboden (adamah)<br />
in Verbindung gebra<strong>ch</strong>t werden. Das Vieh hingegen, dass in v24 no<strong>ch</strong> die erste<br />
Stelle einnahm, tritt in v25 zurück, so dass das Wild hervortritt.<br />
Auf einige S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>stellen soll hingewiesen werden: Erstens: Die Zweierstruktur<br />
innerhalb der Werke s<strong>ch</strong>eint mir am problematis<strong>ch</strong>sten beim ersten Werk des<br />
se<strong>ch</strong>sten Tags (Vieh - Wild). Man muss hier das Krie<strong>ch</strong>getier zum Wild re<strong>ch</strong>nen,<br />
was mir aber mit Gen 3,1 mögli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>eint. Dort wird die S<strong>ch</strong>lange zum Wild des<br />
Feldes gere<strong>ch</strong>net. Zweitens: Die zehn Worte (wajomer elohim) lassen si<strong>ch</strong> klar<br />
abgrenzen. Allerdings sollte ni<strong>ch</strong>t übersehen werden, dass in v22 einmal »lemor«<br />
vorkommt.<br />
82<br />
Vgl. Lorber: »Nun wisset ihr au<strong>ch</strong>, was so ganz eigentli<strong>ch</strong> der Geist ist: er ist das Li<strong>ch</strong>t, wel<strong>ch</strong>es<br />
aus seiner eigenen Wärme si<strong>ch</strong> von Ewigkeiten zu Ewigkeiten erzeugt, und ist glei<strong>ch</strong> der<br />
Wärme die Liebe und glei<strong>ch</strong> dem Li<strong>ch</strong>te die Weisheit.« (Erde 52,14).
60 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Genesis 2<br />
Vorbemerkungen<br />
Swedenborg hat Genesis 2 in »Himmlis<strong>ch</strong>e Geheimnisse« 73 bis 167 ausgelegt.<br />
Dort kann man beim Meister selbst in die S<strong>ch</strong>ule gehen. Wel<strong>ch</strong>er besonderen<br />
Aufgabe will si<strong>ch</strong> demgegenüber mein Kommentar stellen? Selbstverständli<strong>ch</strong><br />
geht es au<strong>ch</strong> mir am Ende um den geistigen Sinn. Allerdings will i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in erster<br />
Linie Swedenborgs Auslegung na<strong>ch</strong>erzählen oder zusammenfassen. Die Lektüre<br />
von HG 73 bis 167 setze i<strong>ch</strong> mehr oder weniger voraus. Mein besonderes<br />
Interesse gilt vielmehr zwei Punkten. Zum einen mö<strong>ch</strong>te i<strong>ch</strong> mein Augenmerk<br />
mehr als Swedenborg auf die Anatomie des Textes ri<strong>ch</strong>ten. Denn wenn es stimmt,<br />
dass der innere Sinn im äußeren ebenso erkannt werden kann, wie die Seele im<br />
Leib (siehe Swedenborgs anatomis<strong>ch</strong>e Studien), dann ist das Studium der Anatomie<br />
des Textes die Grundlage der Entspre<strong>ch</strong>ungswissens<strong>ch</strong>aft. Zum anderen hat<br />
si<strong>ch</strong> das Wissen rund um die Bibel seit dem 18. Jahrhundert sehr vermehrt, woraus<br />
si<strong>ch</strong> die Notwendigkeit ergibt, Swedenborgs Auslegung auf die Höhe des<br />
heutigen Kenntnisstandes zu bringen. Diesen Erfordernissen muss si<strong>ch</strong> die neukir<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e<br />
Exegese stellen.<br />
Die Grundlage meiner Exegese ist der Text der hebräis<strong>ch</strong>en Bibel. Für die meisten<br />
Leser wird er aber nur in einer deuts<strong>ch</strong>en Übersetzung zugängli<strong>ch</strong> sein. Deswegen<br />
s<strong>ch</strong>lage i<strong>ch</strong> das folgende Vorgehen vor: Da es die vollkommene Übersetzung<br />
ni<strong>ch</strong>t gibt, sollte man mehrere verglei<strong>ch</strong>en. Ans<strong>ch</strong>ließend gilt als Faustregel: In<br />
den Fällen, in denen sie inhaltli<strong>ch</strong> übereinstimmen, kann man davon ausgehen,<br />
beim Sinn des Grundtextes zu sein. Wenn sie jedo<strong>ch</strong> auseinandergehen, ist anzunehmen,<br />
dass der Sinn des Grundtextes aus wel<strong>ch</strong>en Gründen au<strong>ch</strong> immer ni<strong>ch</strong>t<br />
eindeutig ermittelbar ist. In diesen Fällen kann ein Kommentar weiterhelfen. Um<br />
auf diese Weise arbeiten zu können, muss man si<strong>ch</strong> einen Bibelkorb zusammenstellen.<br />
Meiner besteht aus eher wörtli<strong>ch</strong>en Übersetzungen. Was heißt das? Der<br />
englis<strong>ch</strong>e Satz »It's raining cats and dogs« kann im Prinzip auf dreierlei Weise<br />
übersetzt werden. Erstens: »Es ist regnend Katzen und Hunde.« Das ist die Wortfür-Wort-Übersetzung.<br />
Zweitens: »Es regnet Katzen und Hunde.« Das ist die wörtli<strong>ch</strong>e<br />
Übersetzung. 83 Und drittens: »Es gießt in Strömen.« Das ist die freie oder<br />
sinngemäße oder kommunikative Übersetzung. Gegen eine gelungene freie Übersetzung,<br />
die den Sinn vollständig in die Zielspra<strong>ch</strong>e überträgt, ist an und für si<strong>ch</strong><br />
ni<strong>ch</strong>ts einzuwenden. In der Praxis zeigt si<strong>ch</strong> aber, dass die meisten freien Übersetzungen<br />
den Sinn vieler Bibelstellen ni<strong>ch</strong>t ausrei<strong>ch</strong>end erfassen, so dass der<br />
Leser in hohem Maße den Meinungen der Übersetzer ausgeliefert ist. Wenn i<strong>ch</strong><br />
denno<strong>ch</strong> eine kommunikative Übersetzung empfehlen sollte, dann die Neue Gen-<br />
83<br />
Man<strong>ch</strong>mal wird die wörtli<strong>ch</strong>e Übersetzung au<strong>ch</strong> die philologis<strong>ch</strong>e genannt. Aber man<strong>ch</strong>mal<br />
werden die wörtli<strong>ch</strong>e und die philologis<strong>ch</strong>e au<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>ieden. Dann gilt: Die philologis<strong>ch</strong>e<br />
Übersetzung verfährt gegenüber der ausgangsspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Wortfolge etwas freier als die<br />
wörtli<strong>ch</strong>e.
Genesis 2 61<br />
fer Übersetzung, die aber no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t vollständig vorliegt. Zu den Wort-für-Wort-<br />
Übersetzungen kurz dies: Obwohl Swedenborg in seinem bibelexegetis<strong>ch</strong>en<br />
Hauptwerk »Arcana Caelestia« eine Übersetzung hat, die dem Wort-für-Wort-Typ<br />
sehr nahe kommt, mö<strong>ch</strong>te i<strong>ch</strong> diesen Typ dem, der keine Kenntnisse der biblis<strong>ch</strong>en<br />
Spra<strong>ch</strong>en hat, ebenfalls ni<strong>ch</strong>t empfehlen, denn er enthält einen s<strong>ch</strong>wer<br />
verständli<strong>ch</strong>en, gelegentli<strong>ch</strong> sogar unverständli<strong>ch</strong>en Text. 84 So empfehle i<strong>ch</strong> für<br />
den Bibelkorb den mittleren Weg wörtli<strong>ch</strong>er oder philologis<strong>ch</strong>er Übersetzungen<br />
und konkret die folgenden Bibeln: 1. Die Elberfelder Bibel von 2006. Das ist die<br />
wörtli<strong>ch</strong>ste Bibel. 2. Die Zür<strong>ch</strong>er Bibel von 2007. Das ist die wohl zuverlässigste<br />
philologis<strong>ch</strong>e Bibel. 3. Die Menge-Bibel (1939). Das ist die Übersetzung des Altphilologen<br />
Hermann Menge (1841-1939). 4. Die Lutherbibel (1984). 5. Die katholis<strong>ch</strong>e<br />
Einheitsübersetzung (1980). 6. Die neukir<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Tafelbibel. Sie existiert in<br />
der ursprüngli<strong>ch</strong>en Fassung von Leonhard Tafel (1875 und 1880) und in der revidierten<br />
von Ludwig Tafel (1911). 85 Diese Bibel nimmt die exegetis<strong>ch</strong>en Einsi<strong>ch</strong>ten<br />
Swedenborgs auf, sie ist aber im 19. bzw. frühen 20. Jahrhundert stehen geblieben.<br />
Übersetzung mit Erläuterungen<br />
Die Übersetzung von Genesis 2 fertigte i<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> der Auslegung des hebräis<strong>ch</strong>en<br />
Textes an. Sie steht hier aber vor der Auslegung. Damit soll zum Ausdruck gebra<strong>ch</strong>t<br />
werden, dass der Text die Grundlage unserer Gedankenbildung aus dem<br />
göttli<strong>ch</strong>en Wort ist. In den Fußnoten gebe i<strong>ch</strong> Erläuterungen zur Übersetzung und<br />
gehe auf die wi<strong>ch</strong>tigsten Varianten ein, wobei i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> auf die oben genannten<br />
Bibeln beziehe.<br />
1. So waren (nun) die Himmel 86 und die Erde und ihr ganzes Heer vollendet. 2.<br />
Und Gott vollendete am siebten Tag sein Werk, das er gema<strong>ch</strong>t hatte; und er ruhte<br />
am siebten Tag von all seinem Werk, das er gema<strong>ch</strong>t hatte. 3. Und Gott segnete<br />
den siebten Tag und heiligte ihn, denn an ihm ruhte Gott von all seinem Werk,<br />
das er ers<strong>ch</strong>affen hatte, um es zu ma<strong>ch</strong>en 87 . 4. Dies sind die Geburten 88 des Him-<br />
84<br />
Sol<strong>ch</strong>e Übersetzungen sind als Interlinearbibeln erhältli<strong>ch</strong>. Die deuts<strong>ch</strong>en Wörter stehen<br />
direkt unter dem hebräis<strong>ch</strong>en oder grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Grundtext, und zwar ohne Rücksi<strong>ch</strong>t auf die<br />
deuts<strong>ch</strong>e Grammatik. Dieser Kategorie ordne i<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> die no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t vollständig vorliegende<br />
konkordante Bibelübersetzung (siehe Konkordanter Verlag Pforzheim), die Verdeuts<strong>ch</strong>ung<br />
der S<strong>ch</strong>rift von Martin Buber und Franz Rosenzweig und das Mün<strong>ch</strong>ener Neue Testament zu.<br />
85<br />
Diese Bibel ist als Druckausgabe ni<strong>ch</strong>t mehr erhältli<strong>ch</strong>. Im Internet ist aber eine PDF-Datei<br />
der revidierten Fassung vorhanden.<br />
86<br />
Vers 1: I<strong>ch</strong> habe »die Himmel« (Plural) als Übersetzung gewählt, um so für den deuts<strong>ch</strong>spra<strong>ch</strong>igen<br />
Leser die Mögli<strong>ch</strong>keit si<strong>ch</strong>tbar zu ma<strong>ch</strong>en, dass si<strong>ch</strong> »ihr Heer« auf »die Himmel« beziehen<br />
könnte.<br />
87<br />
Vers 3: Wel<strong>ch</strong>en Sinn hat die Aufeinanderfolge von »s<strong>ch</strong>affen« (hebr. bara) und »ma<strong>ch</strong>en«<br />
(hebr. asah)? Die Übersetzer ents<strong>ch</strong>eiden si<strong>ch</strong> zuweilen für mehr spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Eleganz. Daher<br />
hat die Zür<strong>ch</strong>er Bibel: »…, das er dur<strong>ch</strong> sein Tun ges<strong>ch</strong>affen hatte.« Am freiesten innerhalb<br />
der oben genannten Auswahl geht die Einheitsübersetzung mit dem Grundtext um: »…, na<strong>ch</strong>dem<br />
er das ganze Werk der S<strong>ch</strong>öpfung vollendet hatte.«
62 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
mels und der Erde, als sie ers<strong>ch</strong>affen wurden. An dem Tag, als Jahwe 89 Gott Erde<br />
und Himmel ma<strong>ch</strong>te 5. und es no<strong>ch</strong> kein Gesträu<strong>ch</strong> des Feldes gab auf der Erde<br />
und no<strong>ch</strong> kein Feldkraut wu<strong>ch</strong>s, weil Jahwe Gott no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t hatte regnen lassen<br />
auf die Erde und no<strong>ch</strong> kein Mens<strong>ch</strong> da war, um den Erdboden zu bebauen, 6. aber<br />
(bereits) ein Dunst 90 von der Erde aufstieg und die ganze Oberflä<strong>ch</strong>e des Erdbodens<br />
tränkte, 7. da bildete Jahwe Gott den Mens<strong>ch</strong>en aus Staub vom Erdboden 91<br />
und blies den Odem des Lebens 92 in seine Nase. So wurde der Mens<strong>ch</strong> ein lebendiges<br />
Wesen. 8. Dann pflanzte Jahwe Gott einen Garten in Eden 93 im Osten, und<br />
da hinein setzte er den Mens<strong>ch</strong>en, den er gebildet hatte. 9. Und Jahwe Gott ließ<br />
aus dem Erdboden allerlei Bäume wa<strong>ch</strong>sen, begehrenswert anzusehen und gut zu<br />
essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis<br />
von Gut und Böse. 10. Und der Fluss, der von Eden ausging 94 , um den Garten zu<br />
bewässern, teilte si<strong>ch</strong> von dort aus in vier Hauptarme: 11. Der Name des ersten<br />
ist Pis<strong>ch</strong>on; der umfließt das ganze Land Chawila, wo es Gold gibt. 12. Und das<br />
Gold dieses Landes ist kostbar. Dort gibt es Bdellionharz 95 und Karneolstein 96 . 13.<br />
88<br />
Vers 4: Keine der ni<strong>ch</strong>t neukir<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Verglei<strong>ch</strong>sbibeln wagt es, Toledot mit Geburten oder<br />
Zeugungen zu übersetzen. In der Regel steht »die Entstehungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des Himmels und<br />
der Erde« (ELB). Viele Übersetzungsvarianten betreffen ni<strong>ch</strong>t den Sinn. Hier aber liegen<br />
sinnvers<strong>ch</strong>iedene Alternativen vor. Sind »die Geburten des Himmels und der Erde« oder »die<br />
Entstehungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des Himmels und der Erde« gemeint? Im ersten Fall sind Himmel und<br />
Erde als Vater und Mutter oder Urelternpaar zu verstehen. Im zweiten Fall wird angenommen,<br />
dass hier von Kosmogonie (Entstehung der S<strong>ch</strong>öpfung) die Rede ist. Im ersten Fall verstehen<br />
wir den Text als Übers<strong>ch</strong>rift zur Paradieserzählung von Genesis 2,4-3,24. Im zweiten<br />
Fall wird er als Unters<strong>ch</strong>rift zum S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t von Genesis 1,1-2,4a verstanden.<br />
89<br />
Vers 4: Swedenborg gab den Eigennamen Gottes mit »Jehovah« wieder. Diese Ausspra<strong>ch</strong>e<br />
des Tetragramms ergab si<strong>ch</strong> aus der Verbindung der vier Bu<strong>ch</strong>staben Jhwh des Konsonantentextes<br />
mit den Vokalen von Adonaj (mein Herr). Heute wird in der Regel gesagt, dass Jahwe<br />
die ursprüngli<strong>ch</strong>e Ausspra<strong>ch</strong>e gewesen sei.<br />
90<br />
Vers 6: Das hebr. Ed kommt nur hier und Hiob 36,27 vor. Es ist daher ni<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>er zu deuten.<br />
Dementspre<strong>ch</strong>end findet man in den deuts<strong>ch</strong>en Übersetzungen »Dunst« (ELB), »Wassers<strong>ch</strong>wall«<br />
(ZUR), »Wasserdunst« (MEN), »Nebel« (LUT) und »Feu<strong>ch</strong>tigkeit« (EIN). Swedenborg<br />
hat »vapor« (Dunst), womit die Vorstellung des Dur<strong>ch</strong>strömens (perfundere in HG 91) verbunden<br />
ist. I<strong>ch</strong> verstehe das Aufsteigen des Dunstes als Vorbereitung der Formung des Mens<strong>ch</strong>en<br />
aus dem Staub des Erdbodens. Dementspre<strong>ch</strong>end ist die Übersetzung gehalten.<br />
91<br />
Vers 7: Mens<strong>ch</strong> und Erdboden sind in der Spra<strong>ch</strong>e der hebräis<strong>ch</strong>en Bibel dur<strong>ch</strong> das Wortspiel<br />
Adam und Adama verbunden. Daher könnte man au<strong>ch</strong> übersetzen: »Und Jahwe Gott formte<br />
den Erdling aus Staub der Erds<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>t«.<br />
92<br />
Vers 7: Im Hebräis<strong>ch</strong>en steht der Plural von Leben. Die wörtli<strong>ch</strong>e Übersetzung lautet daher:<br />
Odem der Leben (Swedenborg: spiraculum vitarum).<br />
93<br />
Verse 8, 10, 15: Eden hat au<strong>ch</strong> die Bedeutung Wonne (vgl. grie<strong>ch</strong>. Hedone). Daher heißt der<br />
Garten Eden in der Vulgata »paradisus voluptatis« (Garten der Lust).<br />
94<br />
Vers 10: Wörtli<strong>ch</strong>: »Und ein Fluss ausgehend von Eden«. I<strong>ch</strong> habe aus der Partizipialkonstruktion<br />
einen Relativsatz gema<strong>ch</strong>t.<br />
95<br />
Vers 12: Bedol<strong>ch</strong>harz oder Bdelliumharz. Laut Anhang der Lutherbibel: »Das wohlrie<strong>ch</strong>ende<br />
Harz der in Südarabien heimis<strong>ch</strong>en Balsamstaude, das als Duftstoff, zum Räu<strong>ch</strong>ern und als<br />
Wundmittel verwendet wurde.«
Genesis 2 63<br />
Und der Name des zweiten Flusses ist Gi<strong>ch</strong>on; der umfließt das ganze Land<br />
Kus<strong>ch</strong> 97 . 14. Und der Name des dritten Flusses ist Chiddekel 98 ; der verläuft östli<strong>ch</strong><br />
von Assur. Und der vierte Fluss, das ist der Eufrat 99 . 15. Und Jahwe Gott nahm<br />
den Mens<strong>ch</strong>en und setzte ihn in den Garten Eden, damit er ihn 100 bebaue und<br />
bewahre. 16. Und Jahwe Gott gebot dem Mens<strong>ch</strong>en und spra<strong>ch</strong>: Von allen Bäumen<br />
des Gartens darfst du essen, 17. vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse<br />
aber, von dem darfst du ni<strong>ch</strong>t essen, denn an dem Tag, da du davon isst, musst<br />
du sterben. 18. Und Jahwe Gott spra<strong>ch</strong>: Es ist ni<strong>ch</strong>t gut, dass der Mens<strong>ch</strong> allein<br />
ist. I<strong>ch</strong> will ihm eine Hilfe ma<strong>ch</strong>en, die wie bei ihm ist 101 . 19. Daraufhin bildete<br />
Jahwe Gott aus dem Erdboden alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Himmels<br />
und bra<strong>ch</strong>te sie zum Mens<strong>ch</strong>en, um zu sehen wie er sie nennen würde; und ganz<br />
wie der Mens<strong>ch</strong> sie, die lebenden Wesen 102 , nennen würde, so sollten sie heißen.<br />
20. Und obglei<strong>ch</strong> der Mens<strong>ch</strong> allem Vieh und den Vögeln des Himmels und allen<br />
Tieren 103 des Feldes Namen gab, fand er für den Mens<strong>ch</strong>en keine Hilfe, die wie<br />
bei ihm war. 21. Da ließ Jahwe Gott einen tiefen S<strong>ch</strong>laf auf den Mens<strong>ch</strong>en fallen,<br />
und er s<strong>ch</strong>lief ein. Und er nahm eine von seinen Rippen 104 und s<strong>ch</strong>loss die Stelle<br />
96<br />
Vers 12: Hebr. S<strong>ch</strong>oham bleibt in einigen Bibeln unübersetzt (bei Swedenborg, ELB und LUT)<br />
oder wird mit Onyx (LEO und LUD), Chrysopras (bei MEN in Klammern) oder Karneolstein<br />
(ZUR und EIN) übersetzt.<br />
97<br />
Vers 13: Swedenborg identifiziert Kus<strong>ch</strong> mit Äthiopien (HG 117).<br />
98<br />
Vers 14: Der Chiddeqel ist der Tigris.<br />
99<br />
Vers 14: Der Pherat ist au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Swedenborg der Eufrat (HG 118).<br />
100<br />
Vers 15: Die Verben »bebauen« und »bewahren« sind mit femininen Suffixen verbunden,<br />
obwohl Garten maskulin ist. Die femininen Suffixe orientieren si<strong>ch</strong> wohl an Eden (Horst Seebass,<br />
Genesis I: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 111f.).<br />
101<br />
Verse 18 und 20: Swedenborg bietet für hebr. kenegdo eine sehr ungewöhnli<strong>ch</strong>e Übersetzung<br />
an, nämli<strong>ch</strong> »wie bei ihm« (tanquam apud illum). Meist wird jedo<strong>ch</strong> im Hinblick auf die Ähnli<strong>ch</strong>keit<br />
zwis<strong>ch</strong>en Mann und Frau übersetzt: »die ihm entspri<strong>ch</strong>t« (ELB und EIN) oder »ihm<br />
gemäss« (ZUR).<br />
102<br />
Vers 19: Ist »lebendes Wesen« auf den Mens<strong>ch</strong>en oder die Tiere zu beziehen? Die meisten<br />
Übersetzungen beziehen diese Formulierung auf die Tiere, so dass wir lesen: »und genau so<br />
wie der Mens<strong>ch</strong> sie, die lebenden Wesen, nennen würde, (so) sollte ihr Name sein« (ELB).<br />
Die Zür<strong>ch</strong>er Bibel bildet hier die Ausnahme. Dort heißt es: »und ganz wie der Mens<strong>ch</strong> als lebendiges<br />
Wesen sie nennen würde, so sollten sie heissen«. Au<strong>ch</strong> Swedenborg bezieht »lebendes<br />
Wesen« auf die Tiere. Seine Übersetzung zwis<strong>ch</strong>en HG 130 und 131 lautet: »et quicquid<br />
vocabat id homo, animam viventem, id nomen ejus.« Anima vivens im Akkusativ belegt den<br />
Zusammenhang mit den Tieren. Das geht no<strong>ch</strong> eindeutiger aus OE 750 hervor: »Dass ›lebendige<br />
Seele‹ das Leben im allgemeinen bezei<strong>ch</strong>net, geht aus den Stellen hervor, wo Tiere, Vögel,<br />
Reptilien und Fis<strong>ch</strong>e ›lebendige Seelen‹ heißen«. In der ans<strong>ch</strong>ließenden Aufzählung der<br />
Stellen ist au<strong>ch</strong> Genesis 2,19 enthalten.<br />
103<br />
Vers 20: »Chajja« (Tier) in Vers 19 übersetzt Swedenborg mit bestia. Dasselbe Wort in Vers<br />
20 hingegen übersetzt er mit fera.<br />
104<br />
Vers 21: Das in allen Verglei<strong>ch</strong>sübersetzungen als Rippe auftau<strong>ch</strong>ende Wort kann au<strong>ch</strong> Seite<br />
bedeuten. Swedenborg hat costa, das Rippe, aber au<strong>ch</strong> die rippenartigen Seitenwände eines<br />
S<strong>ch</strong>iffes bedeutet. Die Septuaginta hat pleura, das die Seite des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Leibes (= die<br />
Rippen) bezei<strong>ch</strong>net.
64 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
mit Fleis<strong>ch</strong>. 22. Und Jahwe Gott baute 105 aus der Rippe, die er vom Mens<strong>ch</strong>en<br />
genommen hatte, ein Weib 106 und bra<strong>ch</strong>te es zum Mens<strong>ch</strong>en. 23. Da spra<strong>ch</strong> der<br />
Mens<strong>ch</strong>: Diese nun ist Gebein von meinem Gebein und Fleis<strong>ch</strong> von meinem<br />
Fleis<strong>ch</strong>. Diese soll Is<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>a (Weib) heißen, denn vom Is<strong>ch</strong> (Mann) 107 ist sie genommen.<br />
24. Deswegen verlässt ein Mann seinen Vater und seine Mutter und<br />
hängt seinem Weib an und so werden sie ein Fleis<strong>ch</strong>. 25. Und die beiden waren<br />
nackt, der Mens<strong>ch</strong> und sein Weib, aber sie s<strong>ch</strong>ämten si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t 108 .<br />
Abgrenzung und Gliederung<br />
Swedenborg fasste Genesis 2,1- 3,24 zu einer Einheit zusammen. Denn während<br />
in Genesis 1 vom geistigen Mens<strong>ch</strong>en (spiritualis homo) die Rede war, beginnt<br />
mit Genesis 2 die Rede vom himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en (caelestis homo) (siehe HG<br />
81). Swedenborg sah also mit Genesis 2,1 eine neue Einheit beginnen. Und aus<br />
seinen Ausführungen in HG 286 geht hervor, dass Genesis 3,24 »der Abs<strong>ch</strong>luss<br />
alles Vorhergehenden (conclusio omnium praecedentium)« ist. 109 Der Erzählzusammenhang<br />
Genesis 2 bis 3 wird szenis<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> den Garten Eden oder das Paradies<br />
zu einer Einheit. 110 Darunter ist der Vollendungszustand der alten S<strong>ch</strong>öpfung<br />
oder der himmlis<strong>ch</strong>e Mens<strong>ch</strong> oder die Urkir<strong>ch</strong>e der Mens<strong>ch</strong>heit zu verstehen.<br />
Genesis 2 bis 3 sind somit der mythis<strong>ch</strong>e Beri<strong>ch</strong>t 111 von der ältesten oder<br />
Urkir<strong>ch</strong>e im engeren Sinne.<br />
Ein Blick in Bibelübersetzungen und Kommentare zeigt nun aber, dass dort Genesis<br />
2,4b -3,24 als Einheit gesehen werden. Während das Ende also unstrittig ist,<br />
verlangt die Abwei<strong>ch</strong>ung am Anfang na<strong>ch</strong> einer genaueren Beurteilung der Textsituation.<br />
Betra<strong>ch</strong>ten wir zunä<strong>ch</strong>st Genesis 2,1-3: Dieser Abs<strong>ch</strong>nitt zeigt Gemeinsamkeiten<br />
mit dem von Genesis 1 her gewohnten Bild. So wird die Tageszählung<br />
fortgesetzt und es ist nur von »Gott«, no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t von »Jahwe Gott«, die Rede. Andererseits<br />
ist der siebte Tag von den se<strong>ch</strong>s vorangegangenen aber au<strong>ch</strong> deutli<strong>ch</strong><br />
unters<strong>ch</strong>ieden, denn die ständig wiederkehrenden Formeln, die Genesis 1 prägen,<br />
105<br />
Vers 22: Das Verb bauen bezei<strong>ch</strong>net zwar in akkadis<strong>ch</strong>er und ugaritis<strong>ch</strong>er Entspre<strong>ch</strong>ung den<br />
S<strong>ch</strong>öpfungsvorgang, aber alttestamentli<strong>ch</strong> hat das keinen re<strong>ch</strong>ten Widerhall (Horst Seebass,<br />
Genesis I: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 118). Daher fällt »bauen« in einigen Übersetzungen<br />
dem Streben na<strong>ch</strong> spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Eleganz zum Opfer. ZUR hat ma<strong>ch</strong>en und MEN gestalten.<br />
106<br />
Vers 22: Is<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>a kommt in Genesis 2 viermal vor. In Vers 22 wählte Swedenborg mulier<br />
(Weib) und in den Versen 23, 24 und 25 uxor (Gattin).<br />
107<br />
Vers 23: Luther gab das Wortspiel Is<strong>ch</strong> und Is<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>a mit Mann und Männin wieder.<br />
108<br />
Vers 25: Einige Übersetzungen fügen hier »voreinander« ein (siehe ZUR, MEN und EIN).<br />
109<br />
In HG 286 bezieht si<strong>ch</strong> »alles Vorhergehende« auf Genesis 1 bis 3, also au<strong>ch</strong> auf Genesis 1.<br />
Das hebt aber ni<strong>ch</strong>t die Beoba<strong>ch</strong>tung eines Eins<strong>ch</strong>nitts zwis<strong>ch</strong>en Genesis 1 und 2 auf.<br />
110<br />
Der Garten wird allerdings erst in Genesis 2,8 gepflanzt. Die Formung des Mens<strong>ch</strong>en ges<strong>ch</strong>ieht<br />
no<strong>ch</strong> vor der Pflanzung des Gartens und somit außerhalb desselben.<br />
111<br />
Swedenborg verwendet den Begriff Mythos no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, hat aber stattdessen die Wendung<br />
»gema<strong>ch</strong>te Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten« (historica facta). So bezei<strong>ch</strong>net er die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (HG 1403, 1540).
Genesis 2 65<br />
fehlen. Außerdem ist der siebte Tag ni<strong>ch</strong>t einfa<strong>ch</strong> nur ein weiterer Tag in der Kette<br />
der Tage, sondern von dort aus ers<strong>ch</strong>einen die vorangegangenen Tage als ein<br />
Ganzes, das »Werk« (Gen 2,2.3) oder Se<strong>ch</strong>stagewerk genannt wird. Die S<strong>ch</strong>öpfung<br />
wird als abges<strong>ch</strong>lossen betra<strong>ch</strong>tet: »So wurden der Himmel und die Erde und<br />
ihr ganzes Heer vollendet.« (Gen 2,1). Mit demselben Verb »vollenden« wird aber<br />
glei<strong>ch</strong> darauf in Vers 2 gesagt, dass Gott erst am siebten Tag sein Werk »vollendete«<br />
oder zum Abs<strong>ch</strong>luss bra<strong>ch</strong>te. Diese abs<strong>ch</strong>ließende Vollendung des an si<strong>ch</strong><br />
s<strong>ch</strong>on fertigen Produkts besteht in der Ruhe des siebten Tages bzw. mit Swedenborg<br />
gespro<strong>ch</strong>en im Übergang zum himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en. Die Ruhe ist der<br />
Grundton des neuen Zustandes, der von Genesis 2 bis 3 alles trägt in Gestalt des<br />
Paradieses. Denn das Paradies ist der Vollendungszustand der Ruhe in Gott oder<br />
des himmlis<strong>ch</strong>en Friedens. So komme i<strong>ch</strong> zu dem folgenden Ergebnis: Genesis<br />
2,1-3 sollte weder zum Se<strong>ch</strong>stagewerk (Genesis 1) no<strong>ch</strong> zur Paradieserzählung<br />
(Genesis 2,4-3,24) zuges<strong>ch</strong>lagen, sondern als Brücke zwis<strong>ch</strong>en diesen beiden<br />
Landmassen angesehen werden. Au<strong>ch</strong> in der Grundtextausgabe der hebräis<strong>ch</strong>en<br />
Bibel ist Genesis 2,1-3 als eigenständiger Abs<strong>ch</strong>nitt (sog. offener Abs<strong>ch</strong>nitt = Petu<strong>ch</strong>a)<br />
gekennzei<strong>ch</strong>net. Die klassis<strong>ch</strong>e Urkundenhypothese (Wellhausen-Modell)<br />
erzwang jedo<strong>ch</strong> die Zuordnung zu einer der beiden »Landmassen«, und zwar zu<br />
Genesis 1, dem S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t der Priesters<strong>ch</strong>rift. Es fehlt no<strong>ch</strong> eine Bemerkung<br />
zu Genesis 2,4a: Diese erste Toledotformel (»Dies sind die Geburten …«) wird<br />
im allgemeinen als Unters<strong>ch</strong>rift zu Genesis 1,1-2,3 angesehen. Do<strong>ch</strong> Swedenborg<br />
(HG 89) und einige andere Fors<strong>ch</strong>er sehen darin die Übers<strong>ch</strong>rift für Genesis<br />
2,4bff.<br />
Die Bespre<strong>ch</strong>ung der Abgrenzungsproblematik lässt si<strong>ch</strong> so zusammenfassen:<br />
Genesis 2,4 -3,24 bildet die Einheit der Paradieserzählung. Genesis 2,1-3 hingegen<br />
ist ein Abs<strong>ch</strong>nitt sui generis. Darin ist der Übergang (Brückenfunktion!) vom<br />
geistigen zum paradiesis<strong>ch</strong>en oder himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en, in dem Gott zur Ruhe<br />
kommt, thematisiert, weswegen i<strong>ch</strong> diesen Abs<strong>ch</strong>nitt hier im Zusammenhang<br />
meiner Interpretation von Genesis 2,4ff. behandle.<br />
Zur Gliederung von Genesis 2: Genesis 2,1-3 ist, wie soeben dargestellt, die Brükke<br />
zwis<strong>ch</strong>en der S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te und der Paradieserzählung. Genesis 2,4a<br />
ist die erste Toledotformel der Genesis. Zur Bedeutung dieser auf den ersten Blick<br />
eher uns<strong>ch</strong>einbaren Formeln s<strong>ch</strong>reibt Thomas Hieke: »Die konsequente Bea<strong>ch</strong>tung<br />
der Toledot-Formel als Struktursignal und Leseanweisung erweist si<strong>ch</strong> als<br />
wesentli<strong>ch</strong>es Gliederungsmerkmal des Bu<strong>ch</strong>es Genesis.« 112 Genesis 2,4b-7 thematisiert<br />
die Bildung oder Formung des Mens<strong>ch</strong>en. Sie ges<strong>ch</strong>ieht no<strong>ch</strong> vor der Pflanzung<br />
des Gartens, der das »Bühnenbild« von Genesis 2,8 bis 3,24 bestimmt. Genesis<br />
2,4b-7 kann daher als die der eigentli<strong>ch</strong>en »Bühnenhandlung« vorangestellte<br />
Exposition angesehen werden. Zur Syntax bemerkte Odil Hannes Steck: »Die<br />
temporale Bestimmung V 4b gehört mit den Zustandsaussagen V 5-6 zusammen<br />
112<br />
Thomas Hieke, Die Genealogien der Genesis, 2003, Seite 241.
66 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
als Vordersatz zu dem Na<strong>ch</strong>satz V 7« 113 . Genesis 2,8-17 lässt uns den Garten ers<strong>ch</strong>auen,<br />
und wir erfahren, wie der Mens<strong>ch</strong> diese, seine Urumgebung gebrau<strong>ch</strong>en<br />
sollte. »Der Abs<strong>ch</strong>nitt ist in der Form A-B-A gehalten.« 114 Das heißt: Die A-Verse<br />
8-9 und 15-17 ums<strong>ch</strong>ließen die B-Verse 10-14 (die vier Flüsse), wobei die beiden<br />
A-Gruppen einen ähnli<strong>ch</strong>en Inhalt haben, denn in den Versen 8 und 15 ist<br />
von der Hineinsetzung des Mens<strong>ch</strong>en in den Garten die Rede, und in den Versen<br />
9 und 16f. geht es um die Bäume des Gartens. Genesis 2,18-25 s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> steht<br />
im Zei<strong>ch</strong>en der Frau. Vers 18 bildet mit den Sti<strong>ch</strong>worten Alleinsein und Hilfe den<br />
Auftakt. Es folgen in den Versen 19f. die Tierszene und in den Versen 21-23 die<br />
Auferbauung der Frau aus einer Verhärtung (Rippe) des Mens<strong>ch</strong>en. Der Vers 24<br />
ist der erzähleris<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>lusspunkt. Und der Vers 25 bildet die Brücke zu Genesis<br />
3.<br />
Zwei S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>te<br />
Die Bibel beginnt mit zwei S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>ten, einen in Genesis 1 (das Se<strong>ch</strong>stagewerk)<br />
und den anderen in Genesis 2. Diese Dublette wird meist vor dem Hintergrund<br />
einer Quellentheorie erklärt. Klassis<strong>ch</strong> ist die Auskunft, dass Genesis<br />
1,1-2,4a zur Priesters<strong>ch</strong>rift gehöre, während Genesis 2,4b-3,24 dem sog. Jahwisten<br />
angehöre. Swedenborg hat die wi<strong>ch</strong>tigsten Beoba<strong>ch</strong>tungen 115 , die zur Quellens<strong>ch</strong>eidung<br />
führten, au<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t, aber anders gedeutet, nämli<strong>ch</strong> mit dem<br />
Hinweis auf die damalige »S<strong>ch</strong>reibart« (stilus) 116 . Demna<strong>ch</strong> ist die zweimalige<br />
S<strong>ch</strong>öpfung des Mens<strong>ch</strong>en auf zwei Stufen der Wiedergeburt zu beziehen: »Dieses<br />
(zweite) Kapitel (der Genesis) handelt vom himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en. Das vorhergehende<br />
(erste) handelte vom geistigen, der aus einem toten gema<strong>ch</strong>t wurde.«<br />
(HG 81). Später nennt Swedenborg die erste Stufe »Umbildung« (reformatio) und<br />
die zweite »Wiedergeburt« (regeneratio). Dass »Umbildung« sein Begriff für das<br />
Se<strong>ch</strong>stagewerk und »Wiedergeburt« sein Begriff für die Ruhe des siebten Tags ist,<br />
113<br />
Odil Hannes Steck, Die Paradieserzählung: Eine Auslegung von Genesis 2,4b-3,24, 1970,<br />
Seite 28.<br />
114<br />
Horst Seebass, Genesis I: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 107.<br />
115<br />
So fällt ihm beispielsweise in HG 89 das erstmalige Vorkommen von »Jahwe Elohim« in Genesis<br />
2,4b auf, na<strong>ch</strong>dem vorher von »Elohim« (Gott) die Rede war. Der We<strong>ch</strong>sel von Jahwe und<br />
Elohim diente seit dem 18. Jahrhundert als Ansatzpunkt für die Urkundenhypothesen. Erstmals<br />
wurde dieses Kriterium 1711 von dem evangelis<strong>ch</strong>en Hildesheimer Pfarrer Henning<br />
Bernhard Witter (1683-1715) angewendet. Witters Entdeckung hatte allerdings zunä<strong>ch</strong>st keine<br />
Wirkungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te. Daher wurde Jean Astruc (1684-1766) mit seinem 1753 veröffentli<strong>ch</strong>ten<br />
Werk »Vermutungen über die authentis<strong>ch</strong>en Überlieferungen, deren si<strong>ch</strong> Mose bei der<br />
Abfassung der Genesis bediente« zum Begründer der sog. »älteren Urkundenhypothese«.<br />
Swedenborg gab bereits 1749 den ersten Band seiner »Arcana Caelestia« heraus. Darin ging<br />
er auf dem We<strong>ch</strong>sel von Jahwe und Elohim, auf Widersprü<strong>ch</strong>e und Dubletten ein und erklärte<br />
sie aus der altorientalis<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>reibart. Obwohl Swedenborg als Begründer der Entspre<strong>ch</strong>ungswissens<strong>ch</strong>aft<br />
gilt, sind seine Erläuterungen bestimmter Textphänomene ni<strong>ch</strong>t selten<br />
au<strong>ch</strong> für die historis<strong>ch</strong>e Bibelwissens<strong>ch</strong>aft in hohem Maße verwertbar.<br />
116<br />
Zum Sti<strong>ch</strong>wort »S<strong>ch</strong>reibart« (stilus) siehe man beispielsweise HG 66, 605, 742, 1140.
Genesis 2 67<br />
geht am deutli<strong>ch</strong>sten aus WCR 302 hervor (siehe aber au<strong>ch</strong> HG 10667f. in Verbindung<br />
mit WCR 571).<br />
Der Brückentext: Genesis 2,1-3<br />
Zu Vers 1: Man übersieht lei<strong>ch</strong>t, dass Vers 1 den siebten Tag no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t erwähnt.<br />
Dieser Vers s<strong>ch</strong>aut no<strong>ch</strong> ganz und gar auf das Se<strong>ch</strong>stagewerk zurück und stellt<br />
fest, dass es nun abges<strong>ch</strong>lossen oder vollendet ist. Swedenborg formuliert diese<br />
exegetis<strong>ch</strong>e Einsi<strong>ch</strong>t mit den Worten: »Dieser Vers ist so zu verstehen: Der<br />
Mens<strong>ch</strong> ist nun, insoweit er ›der se<strong>ch</strong>ste Tag‹ ist, ein geistiger geworden.« (HG<br />
82). »›Vollendet‹ heißen ›Himmel und Erde und all ihr Heer‹, wenn der Mens<strong>ch</strong><br />
›der se<strong>ch</strong>ste Tag‹ geworden ist.« (HG 83). Das Verb »vollenden« meint hier also,<br />
dass das Ende oder der Abs<strong>ch</strong>luss voll und ganz errei<strong>ch</strong>t ist. Vers 1 ist sozusagen<br />
der S<strong>ch</strong>lusspunkt hinter dem Se<strong>ch</strong>stagewerk. Dieser Rückbezug wird in den meisten<br />
Übersetzungen dur<strong>ch</strong> die Verwendung von »so« angezeigt: »So waren der<br />
Himmel und die Erde mit ihrem ganzen Heer vollendet.« (MEN). Feinsinnig verwendet<br />
Hermann Menge außerdem »waren« statt wie die meisten Übersetzungen<br />
»wurden«.<br />
Zum inneren Sinn von Vers 1 heißt es bei Swedenborg: »Dieser Vers bedeutet,<br />
dass der Mens<strong>ch</strong> nun, insoweit er ›der se<strong>ch</strong>ste Tag‹ ist, ein geistiger geworden<br />
ist. ›Der Himmel‹ ist sein innerer Mens<strong>ch</strong> und ›die Erde‹ sein äußerer. ›Ihr Heer‹<br />
sind die Liebe, der Glaube und all deren Erkenntnisse, die vorher dur<strong>ch</strong> ›die großen<br />
Li<strong>ch</strong>ter und die Sterne‹ (Gen 1,16) bezei<strong>ch</strong>net wurden.« (HG 82). Bea<strong>ch</strong>tenswert<br />
ist »ihr Heer« am Ende von Vers 1. Das Possessivpronomen »ihr« im Plural<br />
und die Stellung von »ihr Heer« na<strong>ch</strong> »der Himmel und die Erde« lassen beim<br />
Lesen der deuts<strong>ch</strong>en Übersetzungen nur den S<strong>ch</strong>luss zu, dass »Heer« au<strong>ch</strong> auf die<br />
Erde zu beziehen ist. Im hebräis<strong>ch</strong>en Grundtext sieht das etwas anders aus.<br />
»Himmel« (s<strong>ch</strong>amajim) ist dort nämli<strong>ch</strong> eine maskuline Pluralform 117 , weswegen<br />
wir in der lateinis<strong>ch</strong>en Übersetzung Swedenborgs lesen: »Und vollendet sind die<br />
Himmel (caeli) …« Dort passt also »ihr Heer« zu »die Himmel«. Auffallend bleibt<br />
glei<strong>ch</strong>wohl die Stellung von »ihr Heer«. Denn es heißt ni<strong>ch</strong>t: »Und vollendet sind<br />
die Himmel und all ihr Heer und die Erde«, sondern: »Und vollendet sind die<br />
Himmel und die Erde und all ihr Heer«. Das erweckt dann do<strong>ch</strong> den Eindruck,<br />
dass »ihr Heer« au<strong>ch</strong> auf die Erde zu beziehen ist. Wie beurteile i<strong>ch</strong> diesen Sa<strong>ch</strong>verhalt?<br />
Während »das Heer des Himmels« in der hebräis<strong>ch</strong>en Bibel häufig belegt<br />
ist und die Gestirne oder die Engel meint, wäre die Ausweitung dieses Begriffs auf<br />
die Erde in Genesis 2,1 sehr ungewöhnli<strong>ch</strong>. Dementspre<strong>ch</strong>end versi<strong>ch</strong>ert uns<br />
Swedenborg mehrmals, dass »ihr Heer« au<strong>ch</strong> in Genesis 2,1 auf »die großen Li<strong>ch</strong>ter<br />
und die Sterne« von Genesis 1,16 zu beziehen ist (HG 82, siehe au<strong>ch</strong> HG<br />
7988, OE 573, EO 447). Aber wie lässt si<strong>ch</strong> dann die Stellung von »ihr Heer« am<br />
Ende des Verses erklären? Mein Vors<strong>ch</strong>lag: Der Aufbau von Vers 1 ist als genaue<br />
117<br />
Keine Dualform: siehe THAT II,966.
68 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Wiederaufnahme von Genesis 1 konzipiert. Denn au<strong>ch</strong> dort wurden zuerst der<br />
Himmel, dann die Erde und dann erst die Gestirne ges<strong>ch</strong>affen. Die Reihenfolgen<br />
entspre<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> also. Hinzu kommt, dass diese drei, der Himmel, die Erde und<br />
ihr Heer, als Kurzformel für das ganze Se<strong>ch</strong>stagewerk stehen. Dass Himmel und<br />
Erde das Ganze der S<strong>ch</strong>öpfung bezei<strong>ch</strong>nen, mag unmittelbar einleu<strong>ch</strong>tend sein;<br />
aber inwiefern trifft das au<strong>ch</strong> für die Gestirne zu? Die Gestirne eröffnen die zweite<br />
Dreitagesgruppe des S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>ts von Genesis 1. Als die erstges<strong>ch</strong>affenen<br />
Dinge dieser zweiten Triade stehen sie für die Prinzipien, die die Erfüllung des<br />
S<strong>ch</strong>öpfungsraums mit Leben bewirken. Erst in der zweiten Triade ist nämli<strong>ch</strong> von<br />
»lebendigen Wesen« die Rede. Daher meint das Heer in Genesis 2,1 tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />
Sonne, Mond und Sterne, das heißt die Himmelsmä<strong>ch</strong>te der Liebe, der Weisheit<br />
und der zahllosen Erkenntnisse. Da diese Himmelsmä<strong>ch</strong>te aber die Prinzipien<br />
oder Anfangsgründe des spirituellen Lebens sind, umfasst das Heer in Genesis<br />
2,1 au<strong>ch</strong> die Formenfülle der lebendigen Seelen im irdis<strong>ch</strong>en Raum unter dem<br />
Himmel.<br />
Zu den Versen 2 und 3: Diese beiden Verse bilden eine Einheit. Denn das mehrmalige<br />
Vorkommen bestimmter Elemente lässt den Abs<strong>ch</strong>nitt als ein Ganzes ers<strong>ch</strong>einen.<br />
Fünfmal wird der siebte Tag erwähnt bzw. auf ihn Bezug genommen,<br />
dreimal begegnet uns »sein Werk« und zweimal das Verb »ruhen«. Na<strong>ch</strong> dem<br />
S<strong>ch</strong>lusspunkt hinter dem Se<strong>ch</strong>stagewerk in Vers 1 thematisieren die Verse 2 und<br />
3 nun den siebten Tag (den himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en). An ihm vollzieht si<strong>ch</strong> die<br />
Vollendung des Se<strong>ch</strong>stagewerkes (Vers 2a) und der Übergang in den Zustand der<br />
Ruhe oder des inneren Friedens. Au<strong>ch</strong> das Segnen und das Heiligen (Vers 3a) ist<br />
ganz und gar dem Ruhen Gottes untergeordnet und eingegliedert (siehe den mit<br />
»denn« beginnenden Satz in Vers 3b). Das Se<strong>ch</strong>stagewerk ist freili<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die<br />
Formulierungen »sein Werk, das er gema<strong>ch</strong>t hatte« (zweimal in Vers 2) oder<br />
»sein Werk, das Gott ges<strong>ch</strong>affen hatte, um es zu ma<strong>ch</strong>en« (Vers 3) no<strong>ch</strong> gegenwärtig.<br />
Daher thematisieren die Verse 2 und 3 den Übergang vom geistigen zum<br />
himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en.<br />
Das Neue, das hinter dem S<strong>ch</strong>lusspunkt von Vers 1 zu erwarten ist, ist die Ruhe.<br />
Beim Übergang in den Zustand der Ruhe ers<strong>ch</strong>einen die vergangenen se<strong>ch</strong>s Tage<br />
als Arbeit oder »S<strong>ch</strong>ufterei«. Das hebräis<strong>ch</strong>e Mela<strong>ch</strong>a hat ins Deuts<strong>ch</strong>e als Malo<strong>ch</strong>e<br />
(s<strong>ch</strong>were Arbeit) Eingang gefunden. Au<strong>ch</strong> Swedenborg hört aus dem hebräis<strong>ch</strong>en<br />
Grundtext den Ton des S<strong>ch</strong>weren heraus, indem er feststellt, dass die se<strong>ch</strong>s<br />
Tage sol<strong>ch</strong>e »des Kampfes oder der Mühsal (pugnae seu laboris)« waren (HG 85).<br />
Demgegenüber ist das Neue des siebten Tags die Ruhe oder der Friede, der die<br />
Seele erfüllt wie ein himmlis<strong>ch</strong>er Duft.<br />
Für Verwirrung sorgte die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass Gott am siebten, also am Ruhetag (am<br />
S<strong>ch</strong>abbat), sein Werk vollendete. Müsste es ni<strong>ch</strong>t heißen: »Und Gott vollendete<br />
am se<strong>ch</strong>sten Tag sein Werk … und ruhte am siebten Tag«? Und tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> finden<br />
wir diese Lesart im samaritanis<strong>ch</strong>en Pentateu<strong>ch</strong>, in der Septuaginta und in der<br />
syris<strong>ch</strong>en Übersetzung (der sog. Pes<strong>ch</strong>itta). Do<strong>ch</strong> ruhen und vollenden widerspre-
Genesis 2 69<br />
<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t. Denn die Vollendung der S<strong>ch</strong>öpfung besteht gerade darin, dass<br />
Gott in ihr zur Ruhe kommt und sie von innen bis ganz na<strong>ch</strong> außen dur<strong>ch</strong>dringt<br />
und so dur<strong>ch</strong> und dur<strong>ch</strong> mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t. Ruhen ist ni<strong>ch</strong>t mit ni<strong>ch</strong>ts tun glei<strong>ch</strong>bedeutend.<br />
Gemeint ist vielmehr, dass das Eigene oder die Eigenbewegung des<br />
Mens<strong>ch</strong>en zur Ruhe kommt, so dass si<strong>ch</strong> der göttli<strong>ch</strong>e Geist ans<strong>ch</strong>ließend um so<br />
freier und tätiger im Mens<strong>ch</strong>en entfalten kann. Die gemeinte Ruhe ist die einer<br />
ruhigen Hand, die man brau<strong>ch</strong>t, um sauber s<strong>ch</strong>reiben oder zei<strong>ch</strong>nen zu können.<br />
Eine zittrige oder unruhige Hand verdirbt das Werk. Am siebten Tag hört ni<strong>ch</strong>t<br />
die Tätigkeit auf, sondern nur die s<strong>ch</strong>were, mühevolle Arbeit, weil mit der Herstellung<br />
des Bildes Gottes im Mens<strong>ch</strong>en das Gröbste getan ist.<br />
Zur Bedeutung von vollenden gibt uns Swedenborg den folgenden Hinweis:<br />
»›Vollenden‹ s<strong>ch</strong>ließt das Ende der Handlung in si<strong>ch</strong>, die vorhergeht, und den<br />
Anfang der Handlung, die folgt, somit das Element der Aufeinanderfolge.« (HG<br />
3093). Deswegen beginnen sowohl Vers 1 (Ende des Se<strong>ch</strong>stagewerks) als au<strong>ch</strong><br />
Vers 2 (Anfang des siebten Tags) mit dem Verb vollenden. In Vers 1 bedeutet<br />
»und sie wurden vollendet«, dass ein Ende oder Abs<strong>ch</strong>luss errei<strong>ch</strong>t ist. In Vers 2<br />
hingegen bedeutet »Und Gott vollendete«, dass das nunmehr vorhandene Werk<br />
seine abs<strong>ch</strong>ließende Vollendung erhält. Sie besteht darin, dass das Bild Gottes in<br />
der Ruhe des siebten Tags s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> den irdis<strong>ch</strong>en Tiermens<strong>ch</strong>en erfasst<br />
und zu einem gottähnli<strong>ch</strong>en und somit wahrhaft mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Staubgebilde<br />
formt. Swedenborg zufolge handelt der erste S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t (Genesis 1) vom<br />
geistigen Mens<strong>ch</strong>en, der zweite (Genesis 2) demgegenüber vom himmlis<strong>ch</strong>en<br />
Mens<strong>ch</strong>en (HG 81). Philon von Alexandrien, der jüdis<strong>ch</strong>e Religionsphilosoph und<br />
Zeitgenosse Jesu, meinte jedo<strong>ch</strong>: Der erste Beri<strong>ch</strong>t gebe die Ers<strong>ch</strong>affung des geistigen<br />
und der zweite die Bildung des sinnli<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en wieder. 118 Diese Si<strong>ch</strong>t<br />
ist interessant, denn tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> wird der Mens<strong>ch</strong> im zweiten S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t<br />
aus Staub vom Erdboden gebildet, so dass der Gedanke, es handle si<strong>ch</strong> hier um<br />
die Bildung des irdis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en, naheliegend ist. Wie verhält si<strong>ch</strong> diese Interpretation<br />
zu derjenigen Swedenborgs? Wenn der Mens<strong>ch</strong> ein himmlis<strong>ch</strong>er<br />
wird, wenn der Kampf aufhört und der Friede das ehemalige S<strong>ch</strong>la<strong>ch</strong>tfeld in ein<br />
Paradies verwandelt, dann errei<strong>ch</strong>t das Mens<strong>ch</strong>sein die fernsten Winkel der Welt,<br />
so dass sogar der Staub davon erfasst wird.<br />
Die Verben s<strong>ch</strong>affen (hebr. bara), ma<strong>ch</strong>en (hebr. asah) und bilden (hebr. jazar)<br />
begegnen uns in Genesis 1 und 2 in Verbindung mit Gott. Von s<strong>ch</strong>affen ist in<br />
Genesis 1,1.21.27 und 2,3.4 die Rede, von ma<strong>ch</strong>en in Genesis 1,7.16.25.26.31 und<br />
2,2.3.4.18 und von bilden in Genesis 2,7.8.19. S<strong>ch</strong>affen ist demna<strong>ch</strong> die Bezei<strong>ch</strong>nung<br />
für das Se<strong>ch</strong>stagewerk. In Genesis 2,3.4 wird s<strong>ch</strong>affen rückbezügli<strong>ch</strong> auf<br />
Genesis 1 verwendet. Bilden hingegen ist eindeutig die Bezei<strong>ch</strong>nung für das Tun<br />
von Jahwe Gott in Genesis 2. Ma<strong>ch</strong>en s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> ist ni<strong>ch</strong>t <strong>ch</strong>arakteristis<strong>ch</strong> für nur<br />
118<br />
Legum Allegoria I, §31; Werke, ed. L. Cohn, Band III, Seite 26. Na<strong>ch</strong>: Daniel Kro<strong>ch</strong>malnik,<br />
S<strong>ch</strong>riftauslegung: Das Bu<strong>ch</strong> Genesis im Judentum, 2001, Seite 50.
70 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
einen der beiden Beri<strong>ch</strong>te. Denn auf das Ganze von Genesis 1 zurückblickend<br />
heißt es in Vers 31: »Und Gott sah alles, was er gema<strong>ch</strong>t hatte«. Hier wird das<br />
Se<strong>ch</strong>stagewerk mit dem Verb ma<strong>ch</strong>en erfasst. In Genesis 2,3.4b ist ma<strong>ch</strong>en jedo<strong>ch</strong><br />
auf das Folgende zu beziehen. Wel<strong>ch</strong>e spezifis<strong>ch</strong>en Bedeutungen sind mit<br />
diesen drei Verben verbunden? Dazu Swedenborg: »Deutli<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>ieden werden<br />
die Worte ›s<strong>ch</strong>affen‹, ›bilden‹ und ›ma<strong>ch</strong>en‹ gebrau<strong>ch</strong>t.« (HG 88). »(In der<br />
heiligen S<strong>ch</strong>rift) heißt es ›s<strong>ch</strong>affen‹, ›bilden (oder formen)‹ und ›ma<strong>ch</strong>en‹, außerdem<br />
›S<strong>ch</strong>öpfer‹, ›Bildner‹ und ›Ma<strong>ch</strong>er‹. ›S<strong>ch</strong>affen‹ bezei<strong>ch</strong>net Neues (hervorbringen),<br />
das vorher ni<strong>ch</strong>t da war. ›Bilden (formen oder gestalten)‹ bedeutet eine (bestimmte)<br />
Bes<strong>ch</strong>affenheit (geben). Und ›ma<strong>ch</strong>en‹ (bezieht si<strong>ch</strong> auf) die Verwirkli<strong>ch</strong>ung.«<br />
119 (HG 10373). Form und Bes<strong>ch</strong>affenheit gehören für Swedenborg zusammen:<br />
»Wenn es ni<strong>ch</strong>t da ist (existat), dann ist das Sein kein Sein, weil es vor<br />
seinem Dasein keine Form hat. Ohne Form aber hat es au<strong>ch</strong> keine Bes<strong>ch</strong>affenheit,<br />
und was keine Bes<strong>ch</strong>affenheit hat, das ist kein Etwas.« (GLW 15). »S<strong>ch</strong>öpfung ist<br />
die Vorstellung von allem im göttli<strong>ch</strong>en Geist von Ewigkeit her. Dieser Vorstellung<br />
folgt notwendigerweise die Realisierung (des Vorgestellten) dur<strong>ch</strong> Mittel,<br />
zuerst dur<strong>ch</strong> göttli<strong>ch</strong>e und geistige, dann dur<strong>ch</strong> natürli<strong>ch</strong>e.« 120 (WE 17). S<strong>ch</strong>affen<br />
ist der rein geistige S<strong>ch</strong>öpfungsakt Gottes. Denn zum einen ist stets Gott das Subjekt<br />
der Aussage und zum anderen wird nie ein Stoff erwähnt, aus dem Gott etwas<br />
s<strong>ch</strong>afft (siehe THAT I,337f.). Ma<strong>ch</strong>en und bilden sind auf die Ausführung des<br />
geistig Ges<strong>ch</strong>affenen dur<strong>ch</strong> Mittel zu beziehen. »Das Wort ›s<strong>ch</strong>affen‹ bezieht si<strong>ch</strong><br />
eigentli<strong>ch</strong> auf den Mens<strong>ch</strong>en, wenn er von neuem ges<strong>ch</strong>affen oder wiedergeboren<br />
wird; und ›ma<strong>ch</strong>en‹, wenn er vollendet wird (perficitur). Deshalb wird im Wort<br />
genau zwis<strong>ch</strong>en ›s<strong>ch</strong>affen‹, ›bilden‹ und ›ma<strong>ch</strong>en‹ unters<strong>ch</strong>ieden, wie in Genesis<br />
2, wo vom geistigen Mens<strong>ch</strong>en, der himmlis<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t wurde, die Rede war:<br />
›Gott ruhte von seinem ganzen Werk, das er ges<strong>ch</strong>affen hat, indem er es ma<strong>ch</strong>te‹.<br />
Glei<strong>ch</strong>es gilt anderswo im Wort, wo si<strong>ch</strong> ›s<strong>ch</strong>affen‹ auf den geistigen Mens<strong>ch</strong>en<br />
und ›ma<strong>ch</strong>en‹, das heißt vollenden, auf den himmlis<strong>ch</strong>en bezieht.« (HG 472). Ma<strong>ch</strong>en<br />
kam jedo<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on in Genesis 1 mehrmals vor, so dass dieses Verb ni<strong>ch</strong>t<br />
auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> auf den himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en bezogen werden kann. Immerhin<br />
kann i<strong>ch</strong> aber aus dieser Äußerung Swedenborgs entnehmen, dass ma<strong>ch</strong>en in<br />
Genesis 2,3.4b die Rede vom Vollenden aufgreift. Ma<strong>ch</strong>en und vollenden haben<br />
die Bedeutung von vollständig verwirkli<strong>ch</strong>en. Alle diese Hinweise Swedenborgs<br />
fasse i<strong>ch</strong> so zusammen: S<strong>ch</strong>affen meint den rein geistigen Akt der S<strong>ch</strong>öpfertätigkeit<br />
Gottes. Bilden oder Formen meint die Umsetzung der Idee in einem Medium.<br />
In Genesis 2 ist es das Material der oberen Erds<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>t (Adama). Ma<strong>ch</strong>en bedeutet<br />
allgemein verwirkli<strong>ch</strong>en.<br />
119<br />
Der lateinis<strong>ch</strong>e Text: »dicitur ›creare‹, ›formare‹ et ›facere‹, ac alibi ›creator‹, ›formator‹ ac<br />
›factor‹, et per ›creare‹ significatur novum quod non prius, per ›formare‹ significatur quale, et<br />
per ›facere‹ effectus.« (HG 10373).<br />
120<br />
Der lateinis<strong>ch</strong>e Text: »Creatio est in divina mente ab aeterno omnium repraesentatio, quam<br />
necessario sequitur actus, per media primum Divina et Spiritualia, tum per naturalia.«
Genesis 2 71<br />
Die Toledotformel: Genesis 2,4a<br />
»Dies sind die Geburten (= Toledot) …« ist die erste Toledotformel der Genesis. Die<br />
weiteren stehen in Genesis 5,1 121 ; 6,9; 10,1; 11,10; 11,27; 25,12; 25,19; 36,1.9 122<br />
und 37,2. Die Toledotformeln bilden das Gliederungssystem der Genesis. 123 Thomas<br />
Hieke nennt die zehn Abs<strong>ch</strong>nitte »Kapitel«. 124 Friedri<strong>ch</strong> Weinreb führt uns<br />
no<strong>ch</strong> einen S<strong>ch</strong>ritt weiter, indem er darauf hinweist, dass von den zehn Toledotformeln<br />
vier ohne »und« (2,4; 6,9; 11,10; 37,2) und se<strong>ch</strong>s mit »und« gebildet werden.<br />
125 Die Formeln ohne das Verbindungswort »und« markieren einen größeren<br />
Eins<strong>ch</strong>nitt als die mit »und«. Demna<strong>ch</strong> besteht die Genesis aus einem Vorwort<br />
(Gen 1,1-2,3) und vier Kapiteln (Gen 2,4-6,8; 6,9-11,9; 11,10-37,1; 37,2-50,26).<br />
Das erste Kapitel behandelt (mit Swedenborg gespro<strong>ch</strong>en) die älteste Kir<strong>ch</strong>e, das<br />
zweite die alte Kir<strong>ch</strong>e, das dritte die Stammeltern der Kinder Israels, das vierte<br />
die Josefsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te.<br />
Die erste Toledotformel (Gen 2,4a) wird vielfa<strong>ch</strong> als S<strong>ch</strong>lussbemerkung zu Genesis<br />
1,1-2,3 angesehen. Do<strong>ch</strong> Swedenborg sah in ihr genauso eine Übers<strong>ch</strong>rift (siehe<br />
HG 89) wie in den anderen Toledotformeln. 126 Zur Unters<strong>ch</strong>rift wurde Genesis<br />
2,4a dur<strong>ch</strong> die historis<strong>ch</strong>-kritis<strong>ch</strong>en Arbeiten seit dem 18. Jahrhundert. Als Charakteristikum<br />
der Priesters<strong>ch</strong>rift musste Genesis 2,4a dem priesters<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>en<br />
S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t zuges<strong>ch</strong>lagen werden. 127 Thomas Hieke bestätigt die Ans<strong>ch</strong>auung<br />
Swedenborgs. Zu Genesis 2,4a s<strong>ch</strong>reibt er: »Die Toledot-Formel muss ni<strong>ch</strong>t<br />
als Abs<strong>ch</strong>luss von Gen 1,1-2,3 aufgefasst werden, wie das zumeist angenommen<br />
wird, sondern ist wie an allen anderen Stellen problemlos als Übers<strong>ch</strong>rift zum<br />
folgenden Abs<strong>ch</strong>nitt zu lesen«. 128<br />
121<br />
Statt »(und) dies sind die Geburten« steht dort: »Dies ist das Bu<strong>ch</strong> der Geburten«.<br />
122<br />
Die Formel »und dies sind die Geburten Esaus« steht sowohl in Genesis 36,1 als au<strong>ch</strong> in 36,9.<br />
Diese Wiederholung derselben Toledotformel führt dazu, dass man<strong>ch</strong>mal von zehn, man<strong>ch</strong>mal<br />
von elf Toledotformeln die Rede ist.<br />
123<br />
»Die Toledot-Formel … dient als Gliederungsmerkmal im Bu<strong>ch</strong> Genesis« (Thomas Hieke, Die<br />
Genealogien der Genesis, 2003, Seite 21).<br />
124<br />
Thomas Hieke, Die Genealogien der Genesis, 2003, Seite 243.<br />
125<br />
Friedri<strong>ch</strong> Weinreb, S<strong>ch</strong>öpfung im Wort: Die Struktur der Bibel in jüdis<strong>ch</strong>er Überlieferung,<br />
2002, Seite 138ff.<br />
126<br />
Dass Swedenborg alle Toledotformeln als Übers<strong>ch</strong>riften verstandt, zeigen seine Ausführungen<br />
in den Himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnissen. Zu bea<strong>ch</strong>ten sind Formulierungen wie die folgenden: »Die<br />
Bes<strong>ch</strong>reibung der ersten Kir<strong>ch</strong>e wird in glei<strong>ch</strong>er Weise eingeführt (incohatur), nämli<strong>ch</strong> mit<br />
den Worten: ›Dies sind die Geburten der Söhne Noahs‹ (Gen 10,1).« (HG 1330). »›Dies sind die<br />
Geburten Jakobs‹ (Gen 37,2), das bezieht si<strong>ch</strong> auf die folgende Erzählung (illa quae sequuntur).«<br />
(HG 4668). Toledot (Geburten) bezei<strong>ch</strong>net die Ursprünge (origines, HG 1330, 1360) und<br />
ihre Ableitungen (derivationes, HG 1145, 1330, 1360, 3263, 3279, 4641, 4646, 4668).<br />
127<br />
Thomas Hieke, Die Genealogien der Genesis, 2003, Seite 47f.<br />
128<br />
Thomas Hieke, Die Genealogien der Genesis, 2003, Seite 47. Interessant ist Hiekes Hinweis<br />
auf »mehrere ältere Rezeptionen des hebräis<strong>ch</strong>en Textes«. Sowohl die Septuaginta als au<strong>ch</strong><br />
»die masoretis<strong>ch</strong>e Aufbereitung des hebräis<strong>ch</strong>en Textes« verstanden Genesis 2,4a als Abs<strong>ch</strong>nittsbeginn.<br />
(a.a.O., Seite 49f.).
72 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Toledot ist von dem Verb jalad abgeleitet, das gebären (mit Bezug auf die Mutter)<br />
oder erzeugen (mit Bezug auf den Vater) bedeutet. Daher übersetzte Swedenborg<br />
es mit nativitates (Geburten oder Generationen). Do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t auf alle Toledotformeln<br />
folgen Geburtslisten (oder Genealogien). Man<strong>ch</strong>mal folgen einfa<strong>ch</strong> nur Erzählungen.<br />
So folgt auf »dies sind die Geburten Jakobs« (Gen 37,2) die Josefsnovelle.<br />
Swedenborg weist hier darauf hin, dass na<strong>ch</strong> dieser Toledotformel keine »Geburten<br />
genealogis<strong>ch</strong>er Art (nativitates genealogicae)« erwähnt werden (HG 4668).<br />
Daher bevorzugt er zur Erklärung dessen, was Toledot meint, den Begriff Ableitungen<br />
(derivationes). Es geht ganz allgemein um die Entfaltungen aus einem<br />
Ursprungsprinzip. Entspre<strong>ch</strong>end vielfältig sind die Übersetzungen von Toledot in<br />
den deuts<strong>ch</strong>en Bibeln. Wir finden dort Entstehungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terfolge,<br />
Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, Na<strong>ch</strong>kommen, Generationenfolge, Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t, Stammbaum, Zeugungen<br />
und Geburten.<br />
Die erste Toledotformel in Genesis 2,4a leitet »die Bildungen (formationes) des<br />
himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en« ein (HG 89). Die älteste oder adamitis<strong>ch</strong>e Kir<strong>ch</strong>e war<br />
mehr als alle späteren eine himmlis<strong>ch</strong>e Kir<strong>ch</strong>e (GV 313). Sie befand si<strong>ch</strong> in innerer<br />
Gemeins<strong>ch</strong>aft mit dem Himmel (communicatio interna cum caelo, HG 784).<br />
Zuglei<strong>ch</strong> aber deutet ihr Name Adam au<strong>ch</strong> auf die Sphäre des Irdis<strong>ch</strong>en, denn<br />
Adam (Mens<strong>ch</strong>) hängt mit Adama (Erdboden) zusammen. Daher s<strong>ch</strong>ildert das<br />
erste Toledotkapitel die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des Mens<strong>ch</strong>en im Spannungsfeld von Himmel<br />
(Gottesgemeins<strong>ch</strong>aft) und Erde (sinnli<strong>ch</strong>er Weltwahrnehmung).<br />
Ägyptis<strong>ch</strong>e Darstellungen zeigen Himmel<br />
(Nut) und Erde (Geb) als Frau und Mann<br />
(Abbildung 1). Bei den meisten Völkern ist<br />
zwar die Erde Mutter und der regenspendende,<br />
die Erde befru<strong>ch</strong>tende Himmel<br />
männli<strong>ch</strong>. Bei den Ägyptern hingegen ist<br />
der Himmel weibli<strong>ch</strong>. Man hat ihn als<br />
Abbildung 1<br />
mütterli<strong>ch</strong> bergenden Raum erfahren. Die<br />
Männli<strong>ch</strong>keit der Erde hängt vermutli<strong>ch</strong> damit zusammen, dass Ägypten ni<strong>ch</strong>t<br />
vom Himmel her, sondern dur<strong>ch</strong> den Nil befru<strong>ch</strong>tet wird. Gemeinsam mit allen<br />
anderen Völkern hat Ägypten aber, dass es die Welt als Komposition der polaren<br />
ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Kräfte sieht. Na<strong>ch</strong> einem der ägyptis<strong>ch</strong>en Hauptmythen sind die<br />
großen Königsgötter Osiris, Isis und Horus aus der Vereinigung des Gottes Geb<br />
(Erde) mit der Himmelsgöttin Nut hervorgegangen. 129 Im Alten Orient konnte man<br />
also von Geburten des Himmels und der Erde spre<strong>ch</strong>en.<br />
129<br />
Siehe: Othmar Keel, Die Welt der altorientalis<strong>ch</strong>en Bildsymbolik und das Alte Testament: Am<br />
Beispiel der Psalmen, 1996, Seite 25. Diesem Bu<strong>ch</strong> ist au<strong>ch</strong> die Abbildung entnommen.
Genesis 2 73<br />
Die Formung des Mens<strong>ch</strong>en: Genesis 2,4b-7<br />
Dieser Abs<strong>ch</strong>nitt ist eine hängende Konstruktion (Pendenskonstruktion). Das<br />
heißt: Genesis 2,4b erhält seine Fortsetzung erst in Genesis 2,7a. Die Verse 5 und<br />
6 sind als Eins<strong>ch</strong>ub (Parenthese) zu betra<strong>ch</strong>ten. Der Satz lautet ohne den Eins<strong>ch</strong>ub:<br />
»An dem Tag, als Jahwe Gott Erde und Himmel ma<strong>ch</strong>te …, bildete Jahwe<br />
Gott den Mens<strong>ch</strong>en aus Staub vom Erdboden und blies des Lebens Odem in seine<br />
Nase.« 130 Na<strong>ch</strong> der Übers<strong>ch</strong>rift von Genesis 2,4a ist die erste Tat Gottes die Bildung<br />
oder Formung des Mens<strong>ch</strong>en. Während er in Genesis 1 das letzte Werk war,<br />
ist er in Genesis 2 das erste.<br />
Zu Vers 4b: Zum ersten Mal tau<strong>ch</strong>t in der Genesis hier die Kombination »Jahwe<br />
Gott« auf. Na<strong>ch</strong> Horst Seebass ist sie »philologis<strong>ch</strong> merkwürdig - Gott als Apposition<br />
sollte den Artikel haben.« Bislang fehlt »eine dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>lagende Erklärung«. 131<br />
Swedenborg bietet jedo<strong>ch</strong> die folgende an: »Im allgemeinen wird, wenn vom<br />
Himmlis<strong>ch</strong>en der Liebe oder vom Guten die Rede ist, Jehovah gesagt; wenn aber<br />
vom Geistigen des Glaubens oder vom Wahren die Rede ist, dann heißt es Gott;<br />
und wenn von beiden zuglei<strong>ch</strong> die Rede ist, dann lesen wir Jehovah Gott.« (HG<br />
2921, siehe au<strong>ch</strong> HG 2001). »Jehovah wird er genannt, weil er allein ist oder lebt,<br />
somit aufgrund des Wesens (essentia); Gott heißt er, weil er alles vermag, somit<br />
aufgrund der Ma<strong>ch</strong>t (potentia).« (HG 300).<br />
Das Paar »Himmel und Erde« begegnete dem Leser der Genesis bisher nur in dieser<br />
Reihenfolge (siehe Gen 1,1; 2,1.4a). In Vers 4b geht nun aber die Erde (der<br />
äußere Mens<strong>ch</strong>) dem Himmel (dem inneren Mens<strong>ch</strong>en) voran. Dem entspri<strong>ch</strong>t,<br />
dass in Vers 7 Adam erst aus dem Staub der Erds<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>t geformt wird und ihm<br />
dann erst der Atem Gottes als der Himmel in ihm eingehau<strong>ch</strong>t wird. 132 In seinem<br />
130<br />
Swedenborg sah hier keine Pendenskonstruktion. Er übersetzte: »Hae nativitates caelorum et<br />
terrae, cum creavit illos, in die quo fecit Jehovah Deus terram et caelos (Das sind die Geburten<br />
der Himmel und der Erde, als er sie s<strong>ch</strong>uf, am Tage als Jehovah Gott Erde und Himmel ma<strong>ch</strong>te).«<br />
Himmel und Erde in der ersten Vershälfte bezieht Swedenborg auf den himmlis<strong>ch</strong>en<br />
Mens<strong>ch</strong>en (»›Nativitates caelorum et terrae‹ sunt formationes hominis caelestis.« HG 89). Erde<br />
und Himmel in der zweiten Vershälfte bezieht er hingegen auf den geistigen Mens<strong>ch</strong>en. Das<br />
geht aus seinen Ausführungen am Ende von HG 89 deutli<strong>ch</strong> hervor. Swedenborg hat Vers 4<br />
also so verstanden: Das sind die Geburten des himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en, als Gott ihn s<strong>ch</strong>uf,<br />
(und zwar) an dem Tag, als Jehovah Gott den geistigen Mens<strong>ch</strong>en ma<strong>ch</strong>te. Do<strong>ch</strong> diese Interpretation<br />
hinterlässt bei mir zwei unbeantwortete Fragen. Erstens: Wenn die Reihenfolge Erde<br />
und Himmel in der zweiten Vershälfte ein Hinweis auf den geistigen Mens<strong>ch</strong>en ist (siehe HG<br />
89), warum beginnt dann Genesis 1 mit Himmel und Erde (»Im Anfang s<strong>ch</strong>uf Gott den Himmel<br />
und die Erde«)? Zweitens: Jehovah Gott soll eine spezifis<strong>ch</strong>e Formel in Kontext der Rede<br />
von himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en sein (siehe HG 89). Warum begegnet sie dann aber in der zweiten<br />
Vershälfte in Verbindung mit Erde und Himmel, das heißt in Verbindung mit dem geistigen<br />
Mens<strong>ch</strong>en? Aus diesen und anderen Gründen finde i<strong>ch</strong> die Annahme, dass hier eine Pendenskonstruktion<br />
vorliegt, überzeugender.<br />
131<br />
Horst Seebass, Genesis I: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 104.<br />
132<br />
Siehe Friedri<strong>ch</strong> Weinreb: »Und wenn dann der Mens<strong>ch</strong> kommt … kommt erst sein Körper,<br />
und dana<strong>ch</strong> wird ihm von Gott die ›nes<strong>ch</strong>amah‹, die göttli<strong>ch</strong>e Seele, eingehau<strong>ch</strong>t.« (S<strong>ch</strong>öpfung<br />
im Wort, 2002, Seite 403).
74 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
exegetis<strong>ch</strong>en Frühwerk »Explicatio in Verbum Historicum Veteris Testamenti« 133<br />
setzt Swedenborg den Himmel von Vers 4b mit »Luft (aër)« (WE 21) glei<strong>ch</strong>. Und<br />
au<strong>ch</strong> unter dem Lebensodem von Vers 7 ist »die Luft« zu verstehen, »die in die<br />
geöffneten Lungenflügel Adams eingelassen wird, damit dur<strong>ch</strong> die auf diese Weise<br />
ermögli<strong>ch</strong>te Atmung sein körperli<strong>ch</strong>es Leben angefa<strong>ch</strong>t wird« (WE 22). Na<strong>ch</strong>dem<br />
in Genesis 1 das Bild Gottes im Mikrokosmos Mens<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>affen wurde, soll<br />
nun ein freies (atmendes) Erdenwesen geformt werden, das den Himmel als Seele<br />
(Innenleben) in si<strong>ch</strong> empfindet.<br />
Zu Vers 5: Vier 134 Gegebenheiten, die es no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t gibt, werden in einer bestimmten<br />
Ordnung genannt. Der erste Halbvers (5a) spri<strong>ch</strong>t vom No<strong>ch</strong>-ni<strong>ch</strong>t-<br />
Vorhandensein der Gewä<strong>ch</strong>se und der Pflanzen, wobei der Aufbau der ersten<br />
Hälfte des ersten Halbverses (5aa) und der zweiten Hälfte des ersten Halbverses<br />
(5ab) parallel ist. Der zweite Halbvers (5b) begründet das No<strong>ch</strong>-ni<strong>ch</strong>t-<br />
Vorhandensein der Gewä<strong>ch</strong>se und der Pflanzen mit dem Ni<strong>ch</strong>t-Dasein des Regens<br />
(5ba) und des Mens<strong>ch</strong>en (5bb).<br />
Während in Genesis 1 »Erde« (’äräz') die mit einer Ausnahme 135 auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong><br />
gebrau<strong>ch</strong>te Bezei<strong>ch</strong>nung für die materielle Lebensunterlage war, ist nun au<strong>ch</strong> von<br />
»Feld« (Sade) und »Acker« (Adama) die Rede. Swedenborg sah in diesem terminologis<strong>ch</strong>en<br />
We<strong>ch</strong>sel den Übergang vom geistigen zum himmlis<strong>ch</strong>en Zustand des<br />
äußeren Mens<strong>ch</strong>en: »›Erde‹ heißt der äußere Mens<strong>ch</strong>, solange er geistig war; ›Akker‹<br />
und ›Feld‹ hingegen heißt er, wenn er himmlis<strong>ch</strong> wird.« (HG 90). Denn Acker<br />
und Feld deuten die Fähigkeit an, Saat aufzunehmen: »Sobald der Mens<strong>ch</strong> wiedergeboren<br />
ist, heißt er ni<strong>ch</strong>t mehr Erde, sondern Acker, weil ihm himmlis<strong>ch</strong>e<br />
Samen eingepflanzt sind.« (HG 268). Der Acker bezei<strong>ch</strong>net den Mens<strong>ch</strong>en der<br />
Kir<strong>ch</strong>e, »der genau dann ›Acker‹ heißt, wenn ihm das Gute und Wahre des Glaubens<br />
eingepflanzt werden kann. Vorher wird er (ledigli<strong>ch</strong>) ›Erde‹ genannt wie in<br />
Genesis 1, wo ›Erde‹ von dem Mens<strong>ch</strong>en ausgesagt wird, der no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t himmlis<strong>ch</strong><br />
geworden ist. Sobald er aber himmlis<strong>ch</strong> geworden ist, was in Genesis 2 der<br />
Fall ist, wird er ›Acker‹ und ›Feld‹ genannt.« (HG 872). »›Acker‹ und ›Feld‹ sind<br />
Begriffe mit Bezug auf die Saat.« (HG 566). 136 Diese Deutungen von Erde (’äräz'),<br />
133<br />
Die Übersetzung des Titels lautet: Erklärung des historis<strong>ch</strong>en Wortes des Alten Testaments.<br />
134<br />
Die Zahl Vier ist für Genesis 2 von zentraler Bedeutung. Daher wird es kein Zufall sein, dass<br />
es genau vier Gegebenheiten der mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Erfahrungswelt sind, die hier aufgezählt werden.<br />
135<br />
In HG 89 behauptet Swedenborg, dass in Genesis 1 »nur ›Erde‹« vorkommt. Do<strong>ch</strong> ausnahmsweise<br />
tau<strong>ch</strong>t in Genesis 1,25 s<strong>ch</strong>on einmal »Erdboden« (Adama) auf.<br />
136<br />
Franz Delitzs<strong>ch</strong> (1813 - 1890) legte größten Wert auf die Erfassung des hebräis<strong>ch</strong>en Idioms.<br />
Daher ist mir sein Genesiskommentar immer eine wertvolle Hilfe. Zu Adama lesen wir bei<br />
ihm: Die Wurzel dm (dalet-mem) hat »den Grundbegriff des platt Deckenden (wov. arab. adim<br />
Decke, si<strong>ch</strong>tbare Außenseite), und wie arab. … [die Ums<strong>ch</strong>rift des Arabis<strong>ch</strong>en ist mir leider<br />
ni<strong>ch</strong>t mögli<strong>ch</strong>. TN] die si<strong>ch</strong> dem animalis<strong>ch</strong>en Körper ans<strong>ch</strong>ließende und platt über ihn ausgespannte<br />
Haut bed., so adamah die si<strong>ch</strong> dem Erdkörper wie seine Haut ans<strong>ch</strong>ließende und<br />
ihn fla<strong>ch</strong> überziehende Erddecke« (Commentar über die Genesis, Leipzig 1872, Seite 117).
Genesis 2 75<br />
Acker (Adama) und Feld (Sade) tragen ihrerseits zur Klärung des swedenborgs<strong>ch</strong>en<br />
Begriffs »homo caelestis« (Himmelsmens<strong>ch</strong>) bei. Offenbar ist damit au<strong>ch</strong><br />
die Vorstellung des Fru<strong>ch</strong>tbarwerdens im Äußeren verbunden. Während der »homo<br />
spiritualis« (Geistmens<strong>ch</strong>) von Genesis 1 no<strong>ch</strong> ein Glaubenstheoretiker ist,<br />
vollzieht si<strong>ch</strong> im »homo caelestis« von Genesis 2 der Dur<strong>ch</strong>bru<strong>ch</strong>, der nun au<strong>ch</strong><br />
die äußere Lebenssphäre ganz der Transformationskraft des Himmels unterstellt.<br />
Was bedeuten die vegetativen Lebensformen »Sia<strong>ch</strong>« (Gewä<strong>ch</strong>s, Swedenborg:<br />
virgultum) und »Eseb« (Kraut, Swedenborg: herba)? Eine Antwort gibt uns HG 75:<br />
Adams »Wissensaneignungen (scientificum) und seine geistigen Strukturbildungen<br />
(rationale) heißen hier Gewä<strong>ch</strong>s und Kraut aus der oberen, dur<strong>ch</strong> den Dunst<br />
feu<strong>ch</strong>t gewordenen Erds<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>t«. »Unter dem Grünbewu<strong>ch</strong>s des Feldes (herbam<br />
agri) ist ganz allgemein alles zu verstehen, was aus dem Feld hervorkommt« (HG<br />
7571). Gewä<strong>ch</strong>s (Sia<strong>ch</strong>) und Grünbewu<strong>ch</strong>s (Eseb) meinen demna<strong>ch</strong> Kognitives als<br />
Ausdruck von inneren, nunmehr an die Oberflä<strong>ch</strong>e dringenden Lebensprozessen.<br />
Das hebräis<strong>ch</strong>e Wörterbu<strong>ch</strong> von Gesenius 137 gibt uns zusätzli<strong>ch</strong> die folgenden<br />
Informationen: Das Nomen Sia<strong>ch</strong> könnte von einem Verb sia<strong>ch</strong> abgeleitet sein,<br />
das »na<strong>ch</strong>sinnen«, »zum Gegenstand der Rede ma<strong>ch</strong>en« usw. bedeutet. Der geistige<br />
Sinn s<strong>ch</strong>eint somit in diesem Fall au<strong>ch</strong> lexikalis<strong>ch</strong> erfassbar zu sein. Das ist<br />
ni<strong>ch</strong>t weiter verwunderli<strong>ch</strong>, denn die frühen Mens<strong>ch</strong>en verbanden ja mit den Sinneseindrücken<br />
geistige Vorstellungen, so dass für den heutigen Spra<strong>ch</strong>beoba<strong>ch</strong>ter<br />
beide Bedeutungsebenen mit ein und demselben Wort verbunden sein können.<br />
Man<strong>ch</strong>mal werden diese beiden Bedeutungen dann unter demselben Lexikoneintrag<br />
zusammengefasst (Beispiel Rua<strong>ch</strong> = Wind und Geist), man<strong>ch</strong>mal wählt der<br />
Lexikograph aber au<strong>ch</strong> zwei Einträge. Sia<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>eint hierfür ein Beispiel zu sein.<br />
Gesenius wählte zwei Einträge, vermutli<strong>ch</strong> weil er ni<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong>vollziehen konnte,<br />
dass Gewä<strong>ch</strong>s (Gesträu<strong>ch</strong>) und Gedankengefle<strong>ch</strong>t die berühmten zwei Seiten derselben<br />
Medaille sind. Geistig verstanden besagt Vers 5 also, dass es die Gesamtheit<br />
der Bedeutungsgebung (oder Bedeutungsüberwu<strong>ch</strong>erung) der weiten Weltwahrnehmung<br />
no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t gab, weil es den Mens<strong>ch</strong>en no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t gab, der als einziger<br />
allen Dingen einen Namen geben kann.<br />
Und zu Sade lesen wir: »Sadäh (v. sadah … in die Breite und Weite gehen) ist das weite und<br />
breite Gefilde, der weithin si<strong>ch</strong> erstreckende Plan der Erde, im Gegens. zur eingefriedigten<br />
Wohnung des Mens<strong>ch</strong>en.« (a.a.O., Seite 115). Swedenborgs Sinnenthüllungen von Adama und<br />
Sade sind demna<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> den Kontext von Genesis 2 bedingte, angepasste Konkretisierungen<br />
der an si<strong>ch</strong> viel weiteren Grundbedeutungen. In Genesis 2,5 heißt es: »und no<strong>ch</strong> war kein<br />
Mens<strong>ch</strong> da, um der Adama seinen Dienst zu erweisen«. Das heißt: Die Grundbedeutung von<br />
Adama (Erddecke, obere oder äußere Erds<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>t) muss der hier thematisierten landwirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />
bzw. kultivierenden Tätigkeit des Mens<strong>ch</strong>en angepasst werden. Daher bieten<br />
si<strong>ch</strong> Acker, Ackerland oder Ackerflä<strong>ch</strong>e als Übersetzungen von Adama im vorliegenden Kontext<br />
an.<br />
137<br />
Wilhelm Gesenius, Hebräis<strong>ch</strong>es und aramäis<strong>ch</strong>es Handwörterbu<strong>ch</strong> über das Alte Testament,<br />
bearbeitet von Dr. Frants Buhl, unveränderter Neudruck der 1915 ers<strong>ch</strong>ienenen 17. Auflage,<br />
1962.
76 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Der Regen hat hier die Bedeutung von »Friedensruhe (tranquilitas pacis)« (HG<br />
90). Das ist die dem Kontext angepasste Bedeutung. Von diesem erlösenden Regen<br />
ist nämli<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> der s<strong>ch</strong>weren Arbeit von Genesis 1 und der unmittelbar zuvor<br />
thematisierten Ruhe des siebten Tags die Rede. Die allgemeine Bedeutung von<br />
Regen ist Segen von oben (benedictio), Erlösung (salvatio) aus der Dürre des Todes,<br />
Einfluss (influxus) und Aufnahme (receptio) des Wahren und Guten (siehe<br />
HG 2445, 7553). Dieser Regen als die Lebensfeu<strong>ch</strong>te begegnet uns in Vers 6 als<br />
»Dunst«. Dass der Regen von oben herabfällt, der Dunst aber von der Erde aufsteigt,<br />
muss uns ni<strong>ch</strong>t irritieren, denn beide Bilder wollen die Dur<strong>ch</strong>tränkung des<br />
Trockenen (Gen 1,9.10) ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en, die von oben oder innen 138 erfolgt,<br />
was im inneren Sinn dasselbe ist. Der Symbolfors<strong>ch</strong>er Manfred Lurker (1928 -<br />
1990) kam zu ähnli<strong>ch</strong>en Ergebnissen. Der Regen war gerade in der Umwelt des<br />
israelitis<strong>ch</strong>en Volkes »Voraussetzung für Fru<strong>ch</strong>tbarkeit und Leben«. »Das Wasser<br />
des Himmels war ein Bild des göttli<strong>ch</strong>en Segens, so wenn Gott zum Volke Davids<br />
spri<strong>ch</strong>t: ›I<strong>ch</strong> spende ihnen rings um meinen Hügel Segen und lasse den Regen zur<br />
geeigneten Zeit herunterströmen; ein Regenguß mit Segen wird es sein‹ (Ez<br />
34,26).« 139<br />
Vor der Formung des Mens<strong>ch</strong>en aus dem Staub der oberen Erds<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>t (Gen 2,7)<br />
steht sein Daseinssinn fest: Er soll der Muttererde, der causa materialis seines<br />
Daseins, seinen Dienst erweisen. Swedenborg übersetzte das Verb in 5bb mit<br />
colere (bebauen, verehren). Von diesem Verb ist au<strong>ch</strong> cultus (Kult, Gottesdienst)<br />
abgeleitet. Interessanterweise wurde weder der Mens<strong>ch</strong> von Genesis 1 no<strong>ch</strong> der<br />
von Genesis 2 zum Gottesdienst berufen. Der Dienst des Erdlings gilt der Erde<br />
(dem äußeren Mens<strong>ch</strong>en). Der im Voraus feststehende Auftrag an den Mens<strong>ch</strong>en<br />
ist aber dur<strong>ch</strong>aus ambivalent. Gemeint ist die Kultivierung der äußeren Existenz<br />
dur<strong>ch</strong> die Aussaat des göttli<strong>ch</strong>en Geistes. Au<strong>ch</strong> Kain wird später ein »colens humum<br />
(Kne<strong>ch</strong>t des Ackers)« (Gen 4,2) genannt werden, do<strong>ch</strong> darin wird si<strong>ch</strong> in<br />
seinem Fall die Versklavung des Mens<strong>ch</strong>en dur<strong>ch</strong> die Sorge um das Irdis<strong>ch</strong>e ausdrücken.<br />
Der Adam (Erdling) soll zwar seiner äußeren Daseinsweise dienen, jedo<strong>ch</strong><br />
in einem hohen Sinne, im Sinne der Wiedergeburt. Er soll dem Irdis<strong>ch</strong>en<br />
dienen, ohne selbst irdis<strong>ch</strong> zu werden. Kain wird später die Verfallsform oder<br />
Degeneration dieses Dienstes darstellen.<br />
Zu Vers 6: Zu dem »Dunst« ist Wi<strong>ch</strong>tiges s<strong>ch</strong>on gesagt worden. Darüber hinaus<br />
besteht ein Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en Dunst und Mens<strong>ch</strong>, auf den Friedri<strong>ch</strong><br />
Weinreb hingewiesen hat. Die hebräis<strong>ch</strong>en Bu<strong>ch</strong>staben sind ihm zufolge »primär<br />
Zahlen« 140 . Das hebräis<strong>ch</strong>e Wort für Dunst (Aleph-Dalet) ist so gesehen 1-4; und<br />
das für Mens<strong>ch</strong> (Aleph-Dalet-Mem) ist 1-4-40. Aus dieser Ähnli<strong>ch</strong>keit s<strong>ch</strong>ließt<br />
138<br />
Dur<strong>ch</strong> den Dunst »wird der äußere Mens<strong>ch</strong> vom inneren her bewässert und dur<strong>ch</strong>strömt<br />
(perfunditur)« (HG 91).<br />
139<br />
Manfred Lurker, Wörterbu<strong>ch</strong> biblis<strong>ch</strong>er Bilder und Symbole, 1990, Seite 289f.<br />
140<br />
Friedri<strong>ch</strong> Weinreb, S<strong>ch</strong>öpfung im Wort: Die Struktur der Bibel in jüdis<strong>ch</strong>er Überlieferung,<br />
2002, Seite 69.
Genesis 2 77<br />
Weinreb, dass der Mens<strong>ch</strong> »die Konkretisierung« oder »Materialisierung« des<br />
Dunstes ist. 141<br />
Zu Vers 7: Das Verb jazar (formen,<br />
bilden, gestalten), von Swedenborg<br />
mit formare übersetzt, bezei<strong>ch</strong>net im<br />
Alten Testament au<strong>ch</strong> die Tätigkeit<br />
des Töpfers (Jes 29,16; 45,9; 64,7; Jer<br />
18,1-6). Daher würden wir in dem<br />
Gebilde von Vers 7 gern ein Gefäß<br />
sehen, denn dass der Mens<strong>ch</strong> ein<br />
»Gefäß des Lebens« (receptaculum<br />
vitae, WCR 470) ist, das ist ein<br />
Grundgedanke der swedenborgs<strong>ch</strong>en<br />
Abbildung 2<br />
Anthropologie. Allerdings ist zu bea<strong>ch</strong>ten,<br />
dass in Vers 7 die Formung des Mens<strong>ch</strong>en aus Staub erfolgt; bei einem<br />
Töpfer würde man demgegenüber (feu<strong>ch</strong>ten) Ton auf der Töpfers<strong>ch</strong>eibe erwarten.<br />
142 Nun ist freili<strong>ch</strong> unmittelbar zuvor die Feu<strong>ch</strong>tung der gesamten Erdoberflä<strong>ch</strong>e<br />
ges<strong>ch</strong>ildert worden (siehe Vers 6), so dass der Staub von daher ni<strong>ch</strong>t als<br />
staubtrocken geda<strong>ch</strong>t werden kann. Dur<strong>ch</strong> den Dunst bekommt der Staub den<br />
Zusammenhalt, der ihn formbar ma<strong>ch</strong>t. Den Charakter eines Gefäßes erhält das<br />
Erdgebilde Mens<strong>ch</strong> spätestens dadur<strong>ch</strong>, dass ihm der Odem des Lebens eingehau<strong>ch</strong>t<br />
wird. 143 Im alten Orient war das Motiv der Formung des Mens<strong>ch</strong>en aus<br />
Erde weit verbreitet. Abbildung 2 144 zeigt den Widdergott Chnum, der auf der<br />
Töpfers<strong>ch</strong>eibe den König und seinen Ka formt; Hathor rei<strong>ch</strong>t das Zei<strong>ch</strong>en des Lebens.<br />
Der Adam (Mens<strong>ch</strong>) von Genesis 1 ist mit dem hebräis<strong>ch</strong>en Wort Demut (Bild)<br />
verwandt, das von damah (ähnli<strong>ch</strong> sein) abgeleitet ist. Der Adam von Genesis 2<br />
hingegen ist mit Adama (Erdrei<strong>ch</strong>) verwandt. So ma<strong>ch</strong>t uns die doppelte Mens<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>öpfung<br />
auf die ganze Zwiespältigkeit Adams aufmerksam. Einerseits ist<br />
er das Bild Gottes, andererseits aber do<strong>ch</strong> nur ein Erdenwesen. Er steht zwis<strong>ch</strong>en<br />
dem Himmelsgott und den Erdmä<strong>ch</strong>ten, ist mit beiden verwandt und muss si<strong>ch</strong><br />
ents<strong>ch</strong>eiden.<br />
141<br />
Friedri<strong>ch</strong> Weinreb, S<strong>ch</strong>öpfung im Wort: Die Struktur der Bibel in jüdis<strong>ch</strong>er Überlieferung,<br />
2002, Seite 374.<br />
142<br />
»Daß Jahwe Gott den Mens<strong>ch</strong>en formte, deutet ni<strong>ch</strong>t notwenig auf den Töpfer, da Ton und<br />
ni<strong>ch</strong>t Staub auf die Töpfers<strong>ch</strong>eibe gehört.« (Horst Seebass, Genesis I: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26),<br />
1996, Seite 106).<br />
143<br />
Aus Genesis 2,7 entnimmt Swedenborg, »dass das Göttli<strong>ch</strong>e dem Mens<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t eigen,<br />
sondern ihm nur beigegeben ist (adjunctum).« (GLW 60).<br />
144<br />
Abbildung aus: Viktor Notter, Biblis<strong>ch</strong>er S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t und ägyptis<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>öpfungsmythen,<br />
1974, Seite 150.
78 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Das Wort »Staub« unterbri<strong>ch</strong>t den unmittelbaren Zusammenhang von Adam und<br />
Adama. Indem es so die Aufmerksamkeit auf si<strong>ch</strong> lenkt, hebt es einen bestimmten<br />
Gesi<strong>ch</strong>tspunkt besonders hervor, nämli<strong>ch</strong> den des Gehalt- und Wertlosen oder mit<br />
Swedenborg gespro<strong>ch</strong>en des Verdammten und Höllis<strong>ch</strong>en (HG 278; vgl. au<strong>ch</strong> HG<br />
2327). Der Mens<strong>ch</strong> ist na<strong>ch</strong> ihm »aus lauter Begierden und infolgedessen Fals<strong>ch</strong>heiten<br />
zusammengesetzt« (HG 59). Er »ist ni<strong>ch</strong>ts als böse, ein Haufen Bosheit,<br />
sein gesamtes Wollen ist nur böse« (HG 987). Diese Aussagen betreffen den Mens<strong>ch</strong>en<br />
an si<strong>ch</strong>, das heißt das Humanum ohne das Divinum. Die Formung aus dem<br />
Staub besagt also, dass die Formkraft des göttli<strong>ch</strong>en Geistes sogar das Alleräußerste<br />
der materiellen Ni<strong>ch</strong>tigkeit erfasst.<br />
Abbildung 3<br />
Na<strong>ch</strong> der Formung des Adam aus dem<br />
Staub der Adama wird ihm der Atem 145<br />
(Nes<strong>ch</strong>ama) des Lebens 146 eingehau<strong>ch</strong>t.<br />
Swedenborg übersetzte Nes<strong>ch</strong>ama<br />
in HG 94 mit spiraculum (abgeleitet<br />
von spirare = atmen), anderenorts<br />
wählte er anima (Seele: GLW<br />
383, OE 419). Da die Nes<strong>ch</strong>ama in die<br />
Nasenlö<strong>ch</strong>er geblasen wird, ist die<br />
bu<strong>ch</strong>stäbli<strong>ch</strong>e Bedeutung dieses Wortes<br />
»Wind des Atemholens (ventus<br />
respirationis)« (OE 419). Dur<strong>ch</strong> das<br />
Atmen (respiratio), das heißt dur<strong>ch</strong><br />
das Einatmen (inspiratio) und das<br />
Ausatmen (exspiratio), lebt der<br />
Mens<strong>ch</strong>. Auf einer höheren Ebene des<br />
Verstehens ist selbstverständli<strong>ch</strong> weniger<br />
das körperli<strong>ch</strong>e als vielmehr<br />
»das geistige Leben (vita spiritualis)«<br />
gemeint, das heißt »das Leben der<br />
Einsi<strong>ch</strong>t und der Weisheit dur<strong>ch</strong> das<br />
göttli<strong>ch</strong>e Wahre« (OE 419). Mit anderen<br />
Worten: Vers 7 handelt »vom neuen Leben Adams« (HG 8286). Interessanterweise<br />
ist bisher ni<strong>ch</strong>t vom Herzen als der Lebensquelle die Rede. 147 Seit Genesis 1<br />
steht der Lufthau<strong>ch</strong> oder Wind im Mittelpunkt (Rua<strong>ch</strong> bzw. Nes<strong>ch</strong>ama). Die Belebung<br />
des Mens<strong>ch</strong>en dur<strong>ch</strong> die Nase hat eine Parallele in der ägyptis<strong>ch</strong>en Mytho-<br />
145<br />
Dur<strong>ch</strong> Luthers Bibelübersetzung fand die Nebenform Odem Verbreitung. Atem ist mit altindis<strong>ch</strong><br />
Atman verwandt.<br />
146<br />
Im Hebräis<strong>ch</strong>en steht Leben im Plural. Für Swedenborg war das ein Hinweis auf die Urdualität<br />
von Liebe und Weisheit. Vgl. zu Genesis 2,7 HG 94.<br />
147<br />
Diese Beoba<strong>ch</strong>tung ist im Hinblick auf die Offenbarung dur<strong>ch</strong> Jakob Lorber bea<strong>ch</strong>tenswert.<br />
Dort ist nämli<strong>ch</strong> das Herz der Ursprungsort des Lebens (GEJ 8,56,5-7).
Genesis 2 79<br />
logie. Auf vers<strong>ch</strong>iedenen Darstellungen ist das Lebenszei<strong>ch</strong>en vor der Nase des<br />
Mens<strong>ch</strong>en zu sehen (Abbildung 3). 148<br />
Das biblis<strong>ch</strong>e Mens<strong>ch</strong>enbild ist tri<strong>ch</strong>otomis<strong>ch</strong> (dreigegliedert). Fritz Heidler kam<br />
na<strong>ch</strong> einer gründli<strong>ch</strong>en Untersu<strong>ch</strong>ung zu dem Ergebnis: »Es ist unbestreitbar: die<br />
Bibel kennt den Mens<strong>ch</strong>en als Geist, Seele und Leib.« 149 Na<strong>ch</strong> Heidler gibt es »in<br />
der Bibel zwei Stellen, die jeweils als locus classicus für eine biblis<strong>ch</strong>e Anthropologie<br />
na<strong>ch</strong> ihrer naturhaft-konstitutionellen Seite hin angesehen werden können.<br />
Das ist für das Alte Testament … Gen 2,7 (in Verbindung mit 1,26.27) und für das<br />
Neue Testament … 1 Thess 5,23.« 150 In unserem Zusammenhang wi<strong>ch</strong>tig ist die<br />
Erkenntnis, die Heidler ausführli<strong>ch</strong> begründet, »dass Lebensodem (nes<strong>ch</strong>amah)<br />
und Geist (rua<strong>ch</strong>, pneuma) synonyme Bedeutung haben« 151 . Der Geist Gottes (Rua<strong>ch</strong><br />
Elohim), der si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Genesis 1,2 no<strong>ch</strong> über den Wassern der Empfindungsseele<br />
bewegte, wird nun in Genesis 2,7 als Lebensodem (Nes<strong>ch</strong>ama) zu einem<br />
Element im Mens<strong>ch</strong>en, so dass von einer lebendigen Seele (oder Geistseele) gespro<strong>ch</strong>en<br />
werden kann. Während Rua<strong>ch</strong> und Nes<strong>ch</strong>ama synonym (sinnverwandt)<br />
sind, müssen andererseits Geist und Seele (Nephes<strong>ch</strong>) unters<strong>ch</strong>ieden werden.<br />
Dazu no<strong>ch</strong> einmal Heidler: »So eng au<strong>ch</strong> immer Geist und Seele miteinander verbunden<br />
sind und jeder dieser Begriffe allein für die Bezei<strong>ch</strong>nung des inneren<br />
Mens<strong>ch</strong>en stehen kann …: Geist und Seele werden in der S<strong>ch</strong>rift klar unters<strong>ch</strong>ieden.«<br />
152 Au<strong>ch</strong> Friedri<strong>ch</strong> Weinreb unters<strong>ch</strong>eidet Nes<strong>ch</strong>ama und Nephes<strong>ch</strong>. Für<br />
Nes<strong>ch</strong>ama bietet er die Übersetzung »göttli<strong>ch</strong>e Seele« und für Nephes<strong>ch</strong> »körperli<strong>ch</strong>e<br />
Seele« an. 153 In Vers 7 werden die drei Konstitutionselemente des Mens<strong>ch</strong>en<br />
genannt: »Und Jahwe Gott formte den Adam aus Staub von der Adama (die leibli<strong>ch</strong>e<br />
Ers<strong>ch</strong>einungsform), dann blies er in seine Nasenlö<strong>ch</strong>er das Atma des Lebens<br />
148<br />
Abbildung aus: Hans Bonnet, Reallexikon der ägyptis<strong>ch</strong>en Religionsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, 2000, Seite<br />
387.<br />
149<br />
Fritz Heidler, Die biblis<strong>ch</strong>e Lehre von der Unsterbli<strong>ch</strong>keit der Seele: Sterben, Tod, ewiges<br />
Leben im Aspekt lutheris<strong>ch</strong>er Anthropologie, 1983.<br />
150<br />
Fritz Heidler, a.a.O., Seite 30.<br />
151<br />
Fritz Heidler, a.a.O., Seite 42.<br />
152<br />
Fritz Heidler, a.a.O., Seite 69. So kommt Heidler s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> zu dem Ergebnis, dass das biblis<strong>ch</strong>e<br />
Mens<strong>ch</strong>enbild tri<strong>ch</strong>otomis<strong>ch</strong> ist. Au<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg und Jakob Lorber s<strong>ch</strong>lagen<br />
eine Dreigliederung vor. Bei Swedenborg finden wir die Modelle Corpus (Leib), Mens<br />
(mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Geist), Anima (Seele) bzw. Animus (Triebsphäre), Mens (mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Geist),<br />
Anima (Seele). Und bei Lorber dominiert das Modell Leib, Seele, göttli<strong>ch</strong>er Geist. Die S<strong>ch</strong>nitte<br />
dur<strong>ch</strong> das Ganze des Mens<strong>ch</strong>en sind bei Swedenborg und Lorber unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t.<br />
Man kann sie aber zu einem umfassenderen Ganzen vereinen. Dann kommt man zu dem Modell:<br />
Körper, Animus (körpernahe Triebsphäre), mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Geist (im Gehirn), Seele, göttli<strong>ch</strong>er<br />
Geist (im Herzen).<br />
153<br />
Friedri<strong>ch</strong> Weinreb, S<strong>ch</strong>öpfung im Wort: Die Struktur der Bibel in jüdis<strong>ch</strong>er Überlieferung,<br />
2002, Seite 79. Weinreb entdeckte auf der Zahlenebene einen Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en<br />
S<strong>ch</strong>lange (= 50-8-300), Fall (= 50-80-30) und animalis<strong>ch</strong>er Seele (= 50-80-300). Siehe a.a.O.,<br />
Seite 79. Die Nephes<strong>ch</strong> ist no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t voll aus der Sphäre des Sinnli<strong>ch</strong>en und des Geri<strong>ch</strong>ts erlöst.<br />
Zwis<strong>ch</strong>en Erde und Himmel stehend ist sie der Gefahr des Rückfalls in die tote Stoffli<strong>ch</strong>keit<br />
ausgesetzt.
80 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
(den göttli<strong>ch</strong>en Geist), und so wurde das Erdgebilde Adam zu einem lebendigen<br />
Seelenwesen (die geistinspirierte Seele).«<br />
Swedenborg übersetzte napha<strong>ch</strong> (blasen) in Vers 7 mit inspirare. In dem lateinis<strong>ch</strong>en<br />
Äquivalent ist au<strong>ch</strong> für unsere Wahrnehmung sowohl der natürli<strong>ch</strong>e als<br />
au<strong>ch</strong> der geistige Sinn deutli<strong>ch</strong> erkennbar. Denn inspirare bedeutet sowohl einhau<strong>ch</strong>en<br />
als au<strong>ch</strong> einflößen oder eingeben (inspirieren). Unter Inspiration versteht<br />
der Mediziner die Einatmung; zuglei<strong>ch</strong> bedeutet dieses Wort aber au<strong>ch</strong> Eingebung,<br />
Einfall, ja sogar Erleu<strong>ch</strong>tung. Wie s<strong>ch</strong>on für Wind und Geist in den theologis<strong>ch</strong>en<br />
Spra<strong>ch</strong>en ein gemeinsames Wort existierte, nämli<strong>ch</strong> im Hebräis<strong>ch</strong>en<br />
Rua<strong>ch</strong>, im Grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Pneuma und im Lateinis<strong>ch</strong>en Spiritus, so verwendeten<br />
die alten Spre<strong>ch</strong>er dieser Spra<strong>ch</strong>en au<strong>ch</strong> gemeinsame Wörter für den Akt der<br />
Wind- bzw. Geistaufnahme. Hinter dieser Beoba<strong>ch</strong>tung verbirgt si<strong>ch</strong> ein uraltes,<br />
auf die vorges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Zeit zurückgehendes Wissen um den Zusammenhang<br />
zwis<strong>ch</strong>en der Atmung und der Geistestätigkeit. Swedenborg, der selbst Atemübungen<br />
praktizierte, spri<strong>ch</strong>t von diesem Wissen andeutungsrei<strong>ch</strong> an mehreren<br />
Stellen in seinem Werk. Im Kontext seiner Auslegung von Vers 7 heißt es beispielsweise:<br />
»Dass das Leben (des Mens<strong>ch</strong>en) dur<strong>ch</strong> Einhau<strong>ch</strong>ung (per inspirationem)<br />
und Odem spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> dargestellt wurde, hatte au<strong>ch</strong> den Grund, dass die<br />
Mens<strong>ch</strong>en der ältesten Kir<strong>ch</strong>e die Zustände der Liebe und des Glaubens dur<strong>ch</strong> die<br />
(entspre<strong>ch</strong>enden) Zustände der Atmung (per status respirationis) innerli<strong>ch</strong><br />
wahrnahmen.« (HG 97). Die Inspiration oder Einhau<strong>ch</strong>ung des Geistes bewirkt<br />
eine innere Wahrnehmung des an si<strong>ch</strong> ungebundenen, frei wehenden Geistigen<br />
(Joh 3,8). Diese innere Wahrnehmung des allwaltenden Geistigen nannte Swedenborg<br />
perceptio (Tafels Innewerdung). Er s<strong>ch</strong>rieb: »Die Seele ist ni<strong>ch</strong>t selbst<br />
das Leben, sondern sie ist ein aufnehmendes Organ des Lebens von Gott, der das<br />
Leben selbst ist; und der gesamte Einfluss ist ein Einfluss des Lebens und somit<br />
von Gott kommend. Deswegen heißt es: ›Jehovah Gott hau<strong>ch</strong>te in die Nase des<br />
Mens<strong>ch</strong>en die Seele (oder das Wesen) des Lebens, und so wurde der Mens<strong>ch</strong> zu<br />
einer lebendigen Seele (oder einem lebendigen Wesen)‹ (Gen 2,7). Das Einhau<strong>ch</strong>en<br />
der lebendigen Seele in die Nase bedeutet das Einflößen einer inneren<br />
Wahrnehmung (perceptionem) des Guten und Wahren« (SK 8). Die Einhau<strong>ch</strong>ung<br />
des Odems in den aus Erde gebildeten Mens<strong>ch</strong>en ist daher auf seine Inspiration<br />
zu beziehen, auf die Empfängli<strong>ch</strong>keit seiner Physis für das Metaphysis<strong>ch</strong>e, das<br />
Swedenborg das Geistige nannte. Dadur<strong>ch</strong> wird das Erdgebilde in einen himmlis<strong>ch</strong>en<br />
Zustand versetzt, weswegen Swedenborg s<strong>ch</strong>rieb, in Genesis 2 sei vom<br />
himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en die Rede.<br />
Die neutestamentli<strong>ch</strong>e Parallele zu dieser Anhau<strong>ch</strong>ung ist der Beri<strong>ch</strong>t im Johannesevangelium:<br />
»Und na<strong>ch</strong>dem er (Jesus) dies gesagt hatte, hau<strong>ch</strong>te er sie an und<br />
spra<strong>ch</strong> zu ihnen: Empfangt den heiligen Geist!« (Joh 20,22). Wiederum ist von der<br />
Anhau<strong>ch</strong>ung und der Gabe des Geistes die Rede. Das Johannesevangelium s<strong>ch</strong>ildert<br />
in bewusster Aufnahme von Genesis 2,7 die neue S<strong>ch</strong>öpfung. S<strong>ch</strong>on der Prolog<br />
(Joh 1,1-18) war eine Wiederaufnahme von Genesis 1. Und die Apokalypse
Genesis 2 81<br />
wird dann den S<strong>ch</strong>öpfungsbogen der johanneis<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>riften vollenden, indem<br />
sie vom neuen Himmel und der neuen Erde spre<strong>ch</strong>en wird (Offb 21,1). Das himmlis<strong>ch</strong>e<br />
Jerusalem ist das Paradies der neuen S<strong>ch</strong>öpfung.<br />
Dur<strong>ch</strong> die Inspiration wird nun au<strong>ch</strong> Adam (der irdis<strong>ch</strong>e Mens<strong>ch</strong>) zu einer<br />
»Nephes<strong>ch</strong> <strong>ch</strong>ajja«, zu einer lebenden Seele. Bisher wurden nur die Tiere so genannt<br />
(Gen 1,20.21.24.30). Viellei<strong>ch</strong>t darf man sagen: Der Mens<strong>ch</strong> war bislang<br />
nur ein Bild. Das hebräis<strong>ch</strong>e Wort für Bild (Zelem) ist sowohl mit S<strong>ch</strong>atten (Zel)<br />
als au<strong>ch</strong> mir Rippe (Zela) verwandt. 154 Mögli<strong>ch</strong>erweise liegt daher im Begriff des<br />
Bildes no<strong>ch</strong> etwas verglei<strong>ch</strong>sweise Lebloses. Dur<strong>ch</strong> die Inspiration rückt nun au<strong>ch</strong><br />
der Mens<strong>ch</strong> in den Berei<strong>ch</strong> der lebendigen Wesen auf. Im Unters<strong>ch</strong>ied zu den<br />
Tieren ges<strong>ch</strong>ieht seine S<strong>ch</strong>öpfung in zwei Stufen. Erst wird in ihm das Bild Gottes<br />
angelegt, dann wird von dort aus au<strong>ch</strong> der Erdenstaub in eine mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Form<br />
gebra<strong>ch</strong>t.<br />
Der Garten: Genesis 2,8-17<br />
Für Genesis 2,8-17 wurde oben die Gliederung in die Verse 8-9, 10-14 und 15-<br />
17 vorges<strong>ch</strong>lagen. Sie beruht auf der Parallelität zwis<strong>ch</strong>en den Versen 8-9 und<br />
15-17. Die Hineinversetzung des Mens<strong>ch</strong>en in den Garten wird in den Versen 8<br />
und 15 erzählt, und in den Versen 9 und 16f. ist von den Bäumen die Rede. Man<br />
kann allerdings au<strong>ch</strong> anders gliedern und die Verse 8-14 und 15-17 als Einheiten<br />
betra<strong>ch</strong>ten. Dieser Vors<strong>ch</strong>lag hebt hervor, dass es zunä<strong>ch</strong>st um die Ausstattung<br />
des Gartens und dann um das Verhältnis des Mens<strong>ch</strong>en zu seiner Umgebung<br />
geht.<br />
Der Garten mit Adam und den Bäumen (8-9)<br />
Zu Vers 8: Zum Garten in Eden s<strong>ch</strong>reibt Swedenborg: »Der von Jehovah Gott gepflanzte<br />
Garten (hortus) in Eden von Osten ist im hö<strong>ch</strong>sten (supremo) Sinn der<br />
Herr selbst. Im innersten (intimo) Sinn, der au<strong>ch</strong> allgemeiner (universalis) Sinn<br />
heißt, ist er das Rei<strong>ch</strong> des Herrn und der Himmel, in den der Mens<strong>ch</strong> kommt,<br />
wenn er himmlis<strong>ch</strong> wird.« (HG 99). Im Neuen Testament bezei<strong>ch</strong>net »Paradies«<br />
den Aufenthaltsort der Seligen (Lk 23,43; 2. Kor 12,4; Offb 2,7). Was Swedenborg<br />
also als inneren Sinn des alttestamentli<strong>ch</strong>en Bildes enthüllt, das tritt im Neuen<br />
Testament offen zu Tage.<br />
Während Swedenborg das hebräis<strong>ch</strong>e Wort »gan« in HG 99 mit Garten (hortus)<br />
übersetzte, wählt er anderenorts, beispielsweise in HG 63, Paradies (paradisus).<br />
Obwohl Paradies nur eine andere, nämli<strong>ch</strong> die in der Septuaginta und Vulgata<br />
vorkommende Übersetzung von »gan« ist, s<strong>ch</strong>lägt Swedenborg die folgende Sinndifferenzierung<br />
vor: »Die Kir<strong>ch</strong>e heißt … Garten wegen der Einsi<strong>ch</strong>t (intelligentia)<br />
und Paradies wegen der Weisheit (sapientia).« (HG 9011). Dasselbe Urtextwort<br />
154<br />
Siehe Friedri<strong>ch</strong> Weinreb, S<strong>ch</strong>öpfung im Wort: Die Struktur der Bibel in jüdis<strong>ch</strong>er Überlieferung,<br />
2002, Seite 163.
82 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
hätte demna<strong>ch</strong> je na<strong>ch</strong> Übersetzung vers<strong>ch</strong>iedene Entspre<strong>ch</strong>ungen. An dieser<br />
Stelle ist eine kritis<strong>ch</strong>e Anfrage erlaubt. Ist der innere Sinn ni<strong>ch</strong>t primär im Urtext<br />
zu su<strong>ch</strong>en? Enthalten vers<strong>ch</strong>iedene Übersetzungen einen unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>en<br />
inneren Sinn?<br />
Eden ers<strong>ch</strong>eint dem Leser sowohl als Name der Gegend (»Garten in Eden«, Gen<br />
2,8) als au<strong>ch</strong> als Name des Gartens (»Garten Eden«, Gen 2,15; 3,23; 3,24). Das<br />
hebräis<strong>ch</strong>e Wort »Eden« bedeutet Wonne (vgl. au<strong>ch</strong> grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong> »hedone«). Daher<br />
lesen wir in der Vulgata »paradisus voluptatis« (Lustgarten). Na<strong>ch</strong> Swedenborg<br />
bezei<strong>ch</strong>net Eden die Liebe (HG 98).<br />
Jahwe Gott pflanzte den Garten in Eden »miqedem«, das heißt »von Osten« (Swedenborg:<br />
»ab oriente«). In den deuts<strong>ch</strong>en Übersetzungen wird die Ortsbestimmung<br />
in der Regel dem abendländis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>gefühl angepasst, so dass dort<br />
»im Osten« zu lesen ist. Na<strong>ch</strong> Swedenborg meint der Osten den Herrn (HG 101).<br />
Genauer dürfte wohl die Formulierung sein, dass die Sonne den Herrn meint. Sie<br />
aber geht im Osten auf, so dass diese Himmelsgegend für den Ursprung der Gotteserfahrung<br />
in der mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Erfahrungswelt steht. Von daher wird die Gebetsausri<strong>ch</strong>tung<br />
na<strong>ch</strong> Osten verständli<strong>ch</strong> (HG 101), von der s<strong>ch</strong>on der erste lateinis<strong>ch</strong>e<br />
Kir<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>riftsteller, Tertullian, in seinem Apologeticum (c 16) aus dem<br />
Jahre 197 ganz selbstverständli<strong>ch</strong> spri<strong>ch</strong>t 155 . Im Christentum ist die im Osten<br />
aufgehende Sonne mit dem Ostern auferstandenen Herrn identis<strong>ch</strong>. Ostern ist mit<br />
Osten spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> verwandt. Die Auferstehung ges<strong>ch</strong>ah am Tag der Sonne, am<br />
Sonntag. So ist der Osten der Ursprungsort der Gotteserfahrung, und es ist<br />
selbstverständli<strong>ch</strong>, dass der Betende na<strong>ch</strong> Oste(r)n s<strong>ch</strong>aut, dem Quellort des<br />
Heils. 156<br />
Zu Vers 9: Zwei Bäume beherrs<strong>ch</strong>en die Szene: der Baum des Lebens und der<br />
Baum der Erkenntnis. Mögli<strong>ch</strong>erweise deuten s<strong>ch</strong>on »begehrenswert anzusehen«<br />
und »gut zu essen« auf den Unters<strong>ch</strong>ied dieser beiden Bäume. Wolfgang Krets<strong>ch</strong>mer<br />
jedenfalls bra<strong>ch</strong>te »gut zu essen« mit dem Lebensbaum und »begeherenswert<br />
anzusehen« mit dem Baum der Erkenntnis in Verbindung. 157 Na<strong>ch</strong> Swedenborg<br />
155<br />
Tertullian: »Andere haben wenigstens eine mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>ere und wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>ere Ansi<strong>ch</strong>t von<br />
uns, sie glauben, die Sonne sei unser Gott. So werden wir am Ende wohl gar no<strong>ch</strong> zu den Persern<br />
gere<strong>ch</strong>net werden, obwohl wir keine auf Leinwand abgebildete Sonne anbeten, da wir sie<br />
selbst ja überall gegenwärtig haben an ihrem Himmelsrund. Um es kurz zu sagen, der Verda<strong>ch</strong>t<br />
rührt daher, weil es bekannt geworden, dass wir na<strong>ch</strong> Osten gewendet beten. Allein<br />
au<strong>ch</strong> sehr viele von eu<strong>ch</strong> bewegen na<strong>ch</strong> Sonnenaufgang hingewendet die Lippen, indem sie<br />
man<strong>ch</strong>mal das Verlangen haben, au<strong>ch</strong> himmlis<strong>ch</strong>e Dinge anzubeten.« (Apologeticum, Kapitel<br />
16).<br />
156<br />
Zur Gebetsausri<strong>ch</strong>tung na<strong>ch</strong> Osten und zur Ostung des Kir<strong>ch</strong>engebäudes vgl. Franz Joseph<br />
Dölger, Sol salutis. Gebet und Gesang im <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>en Altertum, 1920 (umgearb. u. verm.<br />
1925).<br />
157<br />
»Hier werden zwei Aspekte herausgehoben: das Ernähren (gut zu essen) wel<strong>ch</strong>es der Lebensbaum<br />
versinnbildli<strong>ch</strong>t. Der Fru<strong>ch</strong>tbaum erhält tieris<strong>ch</strong>es und mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es Leben. Und<br />
zum zweiten: das ästhetis<strong>ch</strong>e Erfreuen (lustig, angenehm, s<strong>ch</strong>ön anzusehen), wel<strong>ch</strong>es uns
Genesis 2 83<br />
bedeutet »›der Baum liebli<strong>ch</strong> anzusehen‹ das Innewerden des Wahren; ›der Baum<br />
gut zur Speise‹ das Innewerden des Guten«. (HG 102).<br />
In den deuts<strong>ch</strong>en Übersetzungen der Bibel steht »Baum des Lebens«. Im hebräis<strong>ch</strong>en<br />
Grundtext steht Leben jedo<strong>ch</strong> in der Mehrzahl, so dass »Baum der Leben«<br />
die wörtli<strong>ch</strong>ere Übersetzung wäre. Dazu Swedenborg: »Leben … wird in der Mehrzahl<br />
genannt, weil es zwei Lebensvermögen im Mens<strong>ch</strong>en gibt, nämli<strong>ch</strong> den<br />
Verstand, dem es um das Wahre geht, und den Willen, dem es um das Gute<br />
geht.« (HG 3623). Wie ist der Genitiv »des Lebens« bzw. »der Leben« zu verstehen?<br />
Er deutet auf das, was der Baum ist und gibt; er ist ein altorientalis<strong>ch</strong>es<br />
Lebenssymbol und verleiht Unsterbli<strong>ch</strong>keit bzw. ewiges Leben (Gen 3,22). Daher<br />
gibt es beispielsweise im Zweistromland viele Mythen und Sagen, die von der<br />
Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> dem Lebensbaum oder Lebenskraut zu beri<strong>ch</strong>ten wissen. Viellei<strong>ch</strong>t<br />
sind au<strong>ch</strong> der im alten Israel bezeugte Baumkult und der siebenarmige Leu<strong>ch</strong>ter<br />
(die Menora) auf den Lebensbaum zurückzuführen (THAT II,357f.). Die <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>e<br />
Exegese erblickte im Baum oder Holz des Lebens eine Präfiguration des Kreuzes<br />
Christi. 158 Swedenborg übernimmt diesen typologis<strong>ch</strong>en Bezug zwar ni<strong>ch</strong>t,<br />
aber au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> ihm weist der urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Lebensbaum auf Jesus Christus<br />
und das von ihm stammende Leben (WCR 466, WE 23). Na<strong>ch</strong> HG 103 bezei<strong>ch</strong>nen<br />
die Bäume in Genesis 2,9 »perceptiones«, das heißt Wahrnehmungen oder Innewerdungen.<br />
Speziell der Lebensbaum steht für »die Liebe und ihren Glauben« (HG<br />
105), die das Leben des göttli<strong>ch</strong>en Geistes in der Seele sind.<br />
Der Baum der Erkenntnis heißt in Swedenborgs lateinis<strong>ch</strong>er Übersetzung »arbor<br />
scientiae«, das heißt Baum des Wissens. Wissen hängt na<strong>ch</strong> Swedenborg mit den<br />
Sinnesorganen des Körpers zusammen. Daher tau<strong>ch</strong>t in der Auslegung dieses<br />
Baumes immer wieder der Begriff des Sinnli<strong>ch</strong>en auf (HG 102, 6952, OE 543b).<br />
Der Zusammenhang dieser Interpretation Swedenborgs mit dem Empirismus seiner<br />
Zeit ist auffallend und ein Hinweis darauf, dass au<strong>ch</strong> der innere Sinn ni<strong>ch</strong>t<br />
unabhängig von den Vorstellungen der Zeit ausformuliert werden kann.<br />
Der Baum des Wissens von Gut und Böse steht lose am Ende von Vers 9, so dass<br />
unklar bleibt, ob au<strong>ch</strong> er si<strong>ch</strong> in der Mitte des Gartens befindet. Na<strong>ch</strong> Ansi<strong>ch</strong>t der<br />
Frau befindet er si<strong>ch</strong> dort (siehe Gen 3,3). Bei Swedenborg beoba<strong>ch</strong>ten wir an<br />
dieser Stelle einen Widerspru<strong>ch</strong>. Na<strong>ch</strong> HG 200 steht der Baum des Wissens ni<strong>ch</strong>t<br />
in der Mitte des Gartens, na<strong>ch</strong> OE 739b aber steht er zusammen mit dem Lebensbaum<br />
dort.<br />
den Baum der Erkenntnis ahnen läßt.« (Wolfgang Krets<strong>ch</strong>mer, Psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e Weisheit der<br />
Bibel, 1955, Seite 137).<br />
158<br />
Hans Martin von Erffa, Ikonologie der Genesis, Band 1, 1989, Seite 109.
84 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Die Flüsse des Paradieses (10-14)<br />
Die Verse 10 bis 14: Die vier Flüsse des Paradieses werden im Folgenden ni<strong>ch</strong>t<br />
Vers für Vers, sondern zusammenhängend behandelt. Sie heißen Pis<strong>ch</strong>on, Gi<strong>ch</strong>on,<br />
Chiddekel (Tigris) und Eufrat.<br />
In seinem exegetis<strong>ch</strong>en Frühwerk »Explicatio in Verbum Historicum Veteris Testamenti«<br />
verglei<strong>ch</strong>t Swedenborg das Bewässerungssystem der Erde mit dem<br />
Gefäßsystem lebendiger Organismen: »Der ganze Erdkörper war mit seinen Flüssen<br />
und Strömen umgeben, unterteilt und bewässert wie der Leib von Lebewesen<br />
mit seinen größeren und kleineren Gefäßen.« (WE 25). Diesen s<strong>ch</strong>önen Verglei<strong>ch</strong><br />
finden wir in Swedenborgs Erklärungen zu den Flüssen des Paradieses. Später, in<br />
den »Himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnissen«, tritt uns eine abstraktere Auslegung entgegen.<br />
Die vier Flüsse des Gartens sind dort die Lebensadern des Wahren, denn<br />
»die ältesten Mens<strong>ch</strong>en … vergli<strong>ch</strong>en die Weisheit und was zu ihr gehört mit Flüssen«<br />
(HG 108). Swedenborg geht in seinem theosophis<strong>ch</strong>en System von einer<br />
Urdualität des Guten und Wahren aus. Darin symbolisieren die Flüsse (oder Einflüsse)<br />
die Versorgung des Geistes mit dem Wahren.<br />
Der von Eden ausgehende Fluss bezei<strong>ch</strong>net »die Weisheit aus der Liebe« (HG<br />
107). Von diesem Weisheitsstrom heißt es, dass er si<strong>ch</strong> in vier Flussarme auffä<strong>ch</strong>ert.<br />
So wird die göttli<strong>ch</strong>e Weisheit in der mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Welt in vierfa<strong>ch</strong>er Bre<strong>ch</strong>ung<br />
erfahrbar. Der Pis<strong>ch</strong>on bezei<strong>ch</strong>net »die Einsi<strong>ch</strong>t (intelligentiam) des Glaubens<br />
aus der Liebe« (HG 110), der Gi<strong>ch</strong>on »die Erkenntnis (cognitio) aller Dinge<br />
des Guten und Wahren oder der Liebe und des Glaubens« (HG 116), der Chiddekel<br />
oder Tigris »die Vernunft (ratio) bzw. den S<strong>ch</strong>arfsinn (perspicacia) der Vernunft«<br />
(HG 118) 159 und der Eufrat »das Wissen (scientia)« (HG 118) 160 . Na<strong>ch</strong> OE<br />
569 steht jedo<strong>ch</strong> der Eufrat für »das Vernünftige (rationale)«. Swedenborg erläutert<br />
das so: »Unter dem Vernünftigen wird das Denken und die Argumentation<br />
aus Wissensdingen und Wahrheiten (cogitatio et argumentatio ex scientiis et ex<br />
veris) verstanden.« (OE 569). Das Wissen tau<strong>ch</strong>t also au<strong>ch</strong> hier in Verbindung mit<br />
159<br />
Na<strong>ch</strong> Franz Delitzs<strong>ch</strong> klingt Chiddekel an <strong>ch</strong>edeq (aculeus = Sta<strong>ch</strong>el oder S<strong>ch</strong>ärfe) von <strong>ch</strong>adaq<br />
(dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>neiden) und zuglei<strong>ch</strong> an <strong>ch</strong>ad (acutus = s<strong>ch</strong>arf) und qal (celer = s<strong>ch</strong>nell) an. (Commentar<br />
über die Genesis, Leipzig 1872, Seite 122). Das passt gut zu Swedenborgs Deutung,<br />
wona<strong>ch</strong> der Chiddekel oder Tigris den »S<strong>ch</strong>arfsinn der Vernunft« bezei<strong>ch</strong>net.<br />
160<br />
Der Name des vierten Flusses hat die Bedeutung »der Fru<strong>ch</strong>tbringende« (Franz Delitzs<strong>ch</strong>,<br />
Commentar über die Genesis, Leipzig 1872, Seite 123). Perat, so der hebräis<strong>ch</strong>e Name des<br />
Eufrat, erinnert an peri, was Fru<strong>ch</strong>t bedeutet. Die Fru<strong>ch</strong>t ist das Hervorkommende, die letzte<br />
Äußerung eines Lebensprozesses. Swedenborg ers<strong>ch</strong>ließt si<strong>ch</strong> das Gemeinte von der Grenzfunktion<br />
des Eufrat: »Kanaan hatte mehrere Grenzen, im allgemeinen die zwei Flüsse Eufrat<br />
und Jordan sowie das Meer. Daher bildeten der Eufrat und der Jordan das Äußere vor.« (HG<br />
1585). »Weil der Eufrat eine Grenze war, bildete er das mit den Sinnen Wahrnehmbare und<br />
das Wissen (sensualia et scientifica) vor.« (HG 1585). Fru<strong>ch</strong>t und Grenze lassen si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong>aus<br />
zu einer Vorstellung verbinden, denn die Fru<strong>ch</strong>t ist die äußerste Grenze eines Lebensprozesses.
Genesis 2 85<br />
dem Eufrat auf, wennglei<strong>ch</strong> Tigris und Eufrat dur<strong>ch</strong> den Vernunftbegriff miteinander<br />
verbunden bleiben.<br />
Aus HG 121 geht hervor, dass die Flüsse im Sinne einer Stufung zu verstehen<br />
sind: »Wie die himmlis<strong>ch</strong>e Ordnung bes<strong>ch</strong>affen ist oder wie si<strong>ch</strong> das, was zum<br />
Leben gehört, der Reihe na<strong>ch</strong> entwickelt, kann man den Flüssen des Gartens<br />
Eden entnehmen. Denn vom Herrn, der der Osten ist, geht die Weisheit aus, von<br />
dieser die Einsi<strong>ch</strong>t (intelligentia), von dieser die Vernunft (ratio), und dur<strong>ch</strong> diese<br />
werden s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> die Wissensdinge (scientifica) des Gedä<strong>ch</strong>tnisses belebt.« In<br />
dieser gestuften Ordnung fehlt allerdings die Erkenntnis (cognitio), der Gi<strong>ch</strong>on.<br />
Dazu die folgende Überlegung: Erworbenes Wissen (scientifica) und Erkenntnisse<br />
(cognitiones) sind für Swedenborg »aufnehmende Gefäße« (HG 1469), man kann<br />
au<strong>ch</strong> sagen Objekte, die das Li<strong>ch</strong>t überhaupt erst si<strong>ch</strong>tbar und erfassbar ma<strong>ch</strong>en.<br />
In OE 420 heißt es: »Alle Einsi<strong>ch</strong>t (intelligentia) ri<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> den Erkenntnissen<br />
(cognitiones) und ihrer Wahrnehmung.« Und na<strong>ch</strong> HG 9945 sind »die Erkenntnisse<br />
(cognitiones) des Guten und Wahren« »inwendige Wissensdinge<br />
(scientifica interiora)«. Aus all dem ist die These ableitbar, dass si<strong>ch</strong> der Gi<strong>ch</strong>on<br />
(die Erkenntnis) zum Pis<strong>ch</strong>on (zur Einsi<strong>ch</strong>t) wie der Eufrat (das Wissen) zum Tigris<br />
(zur Vernunft) verhält. Die Quaternität der Flüsse besteht demna<strong>ch</strong> aus zwei<br />
Zweiergruppen. Zu diesem S<strong>ch</strong>luss führt uns au<strong>ch</strong> die folgende Beoba<strong>ch</strong>tung.<br />
Tigris und Eufrat bilden geographis<strong>ch</strong> ein Paar; sie ums<strong>ch</strong>ließen Mesopotamien,<br />
das alte Kulturland zwis<strong>ch</strong>en den beiden Strömen. Zuglei<strong>ch</strong> ragen mit ihnen<br />
»zwei urzeitli<strong>ch</strong>e Ströme in die Weltwirkli<strong>ch</strong>keit« hinein. 161 Und Pis<strong>ch</strong>on und Gi<strong>ch</strong>on<br />
sind »der spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Bildung na<strong>ch</strong> ebenfalls als Paar« geda<strong>ch</strong>t. 162 Die<br />
Vermutung legt si<strong>ch</strong> nahe, dass der Weg vom Pis<strong>ch</strong>on bis zum Eufrat der Weg<br />
von innen na<strong>ch</strong> außen ist. Daher s<strong>ch</strong>eint mir die vielfa<strong>ch</strong> geäußerte Annahme,<br />
dass die Flüsse von Osten na<strong>ch</strong> Westen gezählt werden, ni<strong>ch</strong>t abwegig zu sein.<br />
Zumindest für Tigris und Eufrat ist diese Reihenfolge offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>.<br />
Exkurs zur Eins-Vier-Struktur<br />
In Genesis 2 begegnet uns mehrmals das Zahlenverhältnis 1 zu 4. Am offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>sten<br />
ist es in Gestalt des einen Flusses und seiner vier Hauptarme. 163 Wenn<br />
man darüber hinaus die hebräis<strong>ch</strong>en Bu<strong>ch</strong>staben dur<strong>ch</strong> die entspre<strong>ch</strong>enden Zahlen<br />
ersetzt, dann entdeckt man es an weiteren Stellen. S<strong>ch</strong>on Adam, das hebräis<strong>ch</strong>e<br />
Wort für Mens<strong>ch</strong>, besteht aus den Zahlen 1-4-40. Und der geheimnisvolle<br />
161<br />
Horst Seebass, Genesis I: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 111.<br />
162<br />
Horst Seebass, Genesis I: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 109. Die Zahlenwerte von<br />
Pis<strong>ch</strong>on und Gi<strong>ch</strong>on zeigen die Zusammengehörigkeit besser als die Bu<strong>ch</strong>staben. Die Zahlen<br />
von Pis<strong>ch</strong>on sind 80-10-300-6-50 und die von Gi<strong>ch</strong>on sind 3-10-8-6-50. Neben den gemeinsamen<br />
Zahlen (= Bu<strong>ch</strong>staben) wird si<strong>ch</strong>tbar, dass au<strong>ch</strong> den vers<strong>ch</strong>iedenen Bu<strong>ch</strong>staben Zahlen<br />
mit 8 und 3 zugrunde liegen.<br />
163<br />
Die Zahlen der Namen der vier Flüsse ergeben die Summe 1345, wel<strong>ch</strong>e die Quersumme 4<br />
hat.
86 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Dunst (Vers 6), der der Formung des Mens<strong>ch</strong>en aus dem Staub der Adama (1-4-<br />
40-5) vorausgeht, besteht nur aus den Zahlen 1-4, so dass man ihn geradezu für<br />
die Urgestalt des 1-4-Prinzips halten muss. Friedri<strong>ch</strong> Weinreb, auf dessen Einsi<strong>ch</strong>ten<br />
i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> hier beziehe 164 , hat ferner darauf hingewiesen, dass si<strong>ch</strong> die<br />
Zahlensumme des Baumes des Lebens (233) zur Zahlensumme des Baumes der<br />
Erkenntnis des Guten und Bösen (932) wie 1 zu 4 verhält. Zwis<strong>ch</strong>en dem Mens<strong>ch</strong>en<br />
und den wesentli<strong>ch</strong>en Elementen seiner Umgebung besteht sona<strong>ch</strong> eine<br />
eigentümli<strong>ch</strong>e Entspre<strong>ch</strong>ung.<br />
Die Eins bezei<strong>ch</strong>net das Göttli<strong>ch</strong>e. Die Vier hingegen steht für das Weltli<strong>ch</strong>e bzw.<br />
die totale Verwirkli<strong>ch</strong>ung eines Prinzips in der Welt. Somit ist die Vier eine<br />
Ganzheitszahl, was si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> darin zeigt, dass die Summe der Zahlen von Eins<br />
bis Vier Zehn oder das Ganze ergibt. Viele Beispiele belegen, dass wir die Ganzheit<br />
in vier Aspekten erfahren. So ers<strong>ch</strong>ließt si<strong>ch</strong> uns die Ganzheit des Raumes<br />
dur<strong>ch</strong> die vier Himmelsri<strong>ch</strong>tungen und die Ganzheit der Zeit in den vier Tagesund<br />
Jahreszeiten. Die Ganzheit der Welt bildete si<strong>ch</strong> für die alten Weisen aus den<br />
vier Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde. Die Ganzheit des leibli<strong>ch</strong>en Mikrokosmos<br />
lässt si<strong>ch</strong> auf einen genetis<strong>ch</strong>en Code (DNA) zurückführen, in dem es<br />
vier Basen gibt: Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin. Und die Ganzheit des seelis<strong>ch</strong>en<br />
Mikrokosmos wird oft in einer vierfaltigen Typenlehre erfasst. Bekannt sie<br />
die vier Temperamente Sanguiniker, Choleriker, Phlegmatiker und Melan<strong>ch</strong>oliker<br />
oder Carl Gustav Jungs Typologie ebenfalls basierend auf der Vier. Na<strong>ch</strong> Swedenborg<br />
hat Vier die Bedeutung von »conjunctio« (Verbindung, HG 5313, 9493). Vier<br />
ist die Verdopplung der Urdualität des Guten und Wahren, die »die Universalien<br />
der S<strong>ch</strong>öpfung« (EL 85) sind. Die Verdopplung resultiert aus dem Mis<strong>ch</strong><strong>ch</strong>arakter<br />
der Welt, in der Göttli<strong>ch</strong>es und Widergöttli<strong>ch</strong>es im Streit liegen. Dementspre<strong>ch</strong>end<br />
müssen ni<strong>ch</strong>t nur das Gute und Wahre, sondern au<strong>ch</strong> die Pole Wärme und<br />
Kälte auf der einen und Li<strong>ch</strong>t und Finsternis auf der anderen Seite unters<strong>ch</strong>ieden<br />
werden. Das 1-4-Prinzip deutet auf die Einsenkung der göttli<strong>ch</strong>en oder transzendenten<br />
Eins in die materielle Weltwirkli<strong>ch</strong>keit hin. 165<br />
Die Versetzung des Mens<strong>ch</strong>en in den Garten und Gottes Gebot (15-17)<br />
Zu Vers 15: Gemeinsam ist den Versen 8 und 15 das Motiv der Hineinversetzung<br />
des Mens<strong>ch</strong>en in den Garten. Die S<strong>ch</strong>werpunkte sind jedo<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>. Ab<br />
Vers 8 steht der Garten im Mittelpunkt, und in diesem Zusammenhang wird zuerst<br />
seine Ausstattung mit dem Mens<strong>ch</strong>en erwähnt. Ab Vers 15 hingegen steht<br />
der Mens<strong>ch</strong> im Mittelpunkt, und in diesem Zusammenhang wird gesagt, dass er<br />
in den Garten gestellt wird. Die Verlagerung des S<strong>ch</strong>werpunktes der Aussage auf<br />
164<br />
Friedri<strong>ch</strong> Weinreb, S<strong>ch</strong>öpfung im Wort: Die Struktur der Bibel in jüdis<strong>ch</strong>er Überlieferung,<br />
2002.<br />
165<br />
Im Neuen Testament begegnet uns das 1-4-Prinzip beispielsweise in dem einen Logos und<br />
den vier Evangelien und in dem einen Untergewand und den vier Teilen der Kleider Jesu (Joh<br />
19,23f).
Genesis 2 87<br />
den Mens<strong>ch</strong>en zeigt si<strong>ch</strong> in Vers 15 au<strong>ch</strong> darin, dass seine Hineinversetzung in<br />
den Garten hier im Unters<strong>ch</strong>ied zu Vers 8 mit einer bestimmten Absi<strong>ch</strong>t verbunden<br />
ist. Den Garten von Vers 8 könnte man no<strong>ch</strong> für ein S<strong>ch</strong>laraffenland halten.<br />
In Vers 15 wird jedo<strong>ch</strong> klar, dass der Mens<strong>ch</strong> im Garten einen Auftrag zu erfüllen<br />
hat; er soll ihn bebauen und bewahren (oder bewa<strong>ch</strong>en).<br />
Zu colere bzw. bebauen ist das Wi<strong>ch</strong>tigste s<strong>ch</strong>on im Kommentar zu Vers 5 gesagt<br />
worden. Daher genügen an dieser Stelle einige Ausführungen zu »s<strong>ch</strong>amar«. Es<br />
bedeutet (be)hüten, bewa<strong>ch</strong>en und bewahren; Swedenborg übersetzte es mit<br />
custodire. Das Verb vermittelt die Vorstellung einer Bedrohung der paradiesis<strong>ch</strong>en<br />
Umwelt dur<strong>ch</strong> eine böse Ma<strong>ch</strong>t, die zwar no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t aufgetau<strong>ch</strong>t ist, aber<br />
im Auftrag des Bewa<strong>ch</strong>ens bereits vorausgesetzt ist. 166 Genesis 3 wird zeigen,<br />
wel<strong>ch</strong>er Gestalt diese Bedrohung ist und dass die älteste Kir<strong>ch</strong>e ihr ni<strong>ch</strong>t gewa<strong>ch</strong>sen<br />
war. Adam und Eva konnten den paradiesis<strong>ch</strong>en Zustand ihrer ursprüngli<strong>ch</strong>en<br />
Vollkommenheit ni<strong>ch</strong>t bewahren.<br />
Zu den Versen 16 und 17: Das erste Wort dieser Einheit, das Verb »ziwwa« (befehlen,<br />
gebieten), zeigt an, dass diese beiden Verse das Gebot von Jahwe Elohim<br />
an den Mens<strong>ch</strong>en beinhalten: »Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen,<br />
vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse aber, von dem darfst du ni<strong>ch</strong>t essen,<br />
denn an dem Tag, da du davon isst, musst du sterben.« Jahwe Elohim beginnt mit<br />
einer generellen Erlaubnis, was eine wi<strong>ch</strong>tige Beoba<strong>ch</strong>tung ist, besonders im<br />
Verglei<strong>ch</strong> mit der listigen, doppelzüngigen Frage der S<strong>ch</strong>lange an die Frau in<br />
Genesis 3,1. Die große Freigabe erfährt nur eine Eins<strong>ch</strong>ränkung. Vom Baum der<br />
Erkenntnis von Gut und Böse darf der Mens<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t essen, um ni<strong>ch</strong>t zu sterben.<br />
Was ma<strong>ch</strong>t diesen Baum so gefährli<strong>ch</strong>? Der Baum des Wissens steht für den<br />
Glauben an die unbegrenzte Leistungsfähigkeit des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Verstandes und<br />
somit im religiösen Kontext für den Versu<strong>ch</strong>, »dur<strong>ch</strong> Sinnli<strong>ch</strong>es und erworbenes<br />
Wissen die Geheimnisse des Glaubens zu erfors<strong>ch</strong>en« (HG 126). Das führt, weil<br />
man meint, auf Offenbarung ni<strong>ch</strong>t mehr angewiesen zu sein, zur Wahnidee, wie<br />
Gott zu sein (Gen 3,5), das heißt si<strong>ch</strong> selbst führen zu können (HG 204). So stirbt<br />
der himmlis<strong>ch</strong>e oder kindli<strong>ch</strong>e Zustand, Gott zieht si<strong>ch</strong> zurück und der Mens<strong>ch</strong><br />
wird si<strong>ch</strong> selbst übergeben. Außerhalb des Paradieses wird er erwa<strong>ch</strong>sen. Der<br />
jüdis<strong>ch</strong>e Religionspädagoge Daniel Kro<strong>ch</strong>malnik s<strong>ch</strong>reibt: »Ein Vers im fünften<br />
Bu<strong>ch</strong> Mose (Deuteronomium) führt zu einer ganz einfa<strong>ch</strong>en Erklärung für den<br />
Namen und die Bedeutung des Baumes. Dort heißt es von den kleinen Kindern<br />
und den jungen Söhnen des Volkes, dass sie no<strong>ch</strong> ›ni<strong>ch</strong>t wissen, was gut und<br />
böse‹ … ist (Dtn 1,39). Demna<strong>ch</strong> ist der Zustand vor dem Fall ein Zustand kindli-<br />
166<br />
Franz Delitzs<strong>ch</strong> bestätigt unser Verständnis von »s<strong>ch</strong>amar«: »Das ›Bewaren‹ erweckt den<br />
Gedanken der Gefahr und diese den Gedanken einer in die S<strong>ch</strong>öpfung eingedrungenen Gewalt<br />
des Argen, wel<strong>ch</strong>e ihren s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong> geordneten Bestand zu bes<strong>ch</strong>ädigen und zu verkehren,<br />
ihre Bestimmung zu vereiteln su<strong>ch</strong>t.« (Commentar über die Genesis, Leipzig 1872,<br />
Seite 126).
88 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
<strong>ch</strong>er Uns<strong>ch</strong>uld.« 167 Au<strong>ch</strong> Swedenborg bes<strong>ch</strong>reibt diesen Zustand als den der uranfängli<strong>ch</strong>en<br />
Uns<strong>ch</strong>uld (HG 165). Der Mens<strong>ch</strong> verlor ihn und su<strong>ch</strong>t ihn nun und<br />
damit das verlorene Paradies auf einem sehr langen Erfahrungsweg. Do<strong>ch</strong> das<br />
Ziel bleibt die Wiedererlangung der Kinds<strong>ch</strong>aft na<strong>ch</strong> den Worten Jesu: »Amen, i<strong>ch</strong><br />
sage eu<strong>ch</strong>, wenn ihr ni<strong>ch</strong>t umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr ni<strong>ch</strong>t<br />
ins Himmelrei<strong>ch</strong> hineinkommen.« (Mt 18,3).<br />
Die Frau: Genesis 2,18-25<br />
Der Auftakt: Es ist ni<strong>ch</strong>t gut … (18)<br />
Zu Vers 18: Na<strong>ch</strong>dem in Genesis 1 alles »gut«, ja sogar »sehr gut« war, ist nun auf<br />
einmal etwas »ni<strong>ch</strong>t gut«, nämli<strong>ch</strong> das Alleinsein des Mens<strong>ch</strong>en. Swedenborg<br />
entdeckte zuweilen Sinnpotentiale, die bislang übersehen wurden und der gesamten<br />
Deutung eines Textes eine neue Ri<strong>ch</strong>tung geben. Damit meine i<strong>ch</strong> hier ni<strong>ch</strong>t<br />
seine Enthüllungen des inneren Sinnes, sondern die Entdeckung von Deutungsmögli<strong>ch</strong>keiten<br />
aufgrund seiner Konkordanzarbeit. Die vorliegende Stelle ist ein<br />
Beispiel dafür. Die Exegese versteht das Alleinsein gewöhnli<strong>ch</strong> im Sinne von Einsamkeit,<br />
die unerträgli<strong>ch</strong> ist und aus der das mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Wesen dur<strong>ch</strong> Geselligkeit<br />
zu befreien ist. 168<br />
Swedenborg kommt jedo<strong>ch</strong>, gestützt auf die Verwendung von »allein« (hebr. badad)<br />
in Jeremia 49,31, Deuteronomium 33,28 und Numeri 23,9 (HG 139), zu einer<br />
anderen Interpretation. Die Bibelstellen lauten: »Ma<strong>ch</strong>t eu<strong>ch</strong> auf, zieht hinauf<br />
gegen eine sorglose Nation, die in Si<strong>ch</strong>erheit wohnt!, spri<strong>ch</strong>t der Herr. Sie hat<br />
weder Tore no<strong>ch</strong> Riegel, sie wohnen allein.« (Jer 49,31). »Und Israel wohnt si<strong>ch</strong>er,<br />
allein der Quell Jakobs, in einem Land von Korn und Most; au<strong>ch</strong> sein Himmel<br />
träufelt Tau.« (Dtn 33,28). »Denn vom Gipfel der Felsen sehe i<strong>ch</strong> es, und von den<br />
Höhen herab s<strong>ch</strong>aue i<strong>ch</strong> es; siehe, ein Volk, das allein wohnt und si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zu<br />
den Nationen re<strong>ch</strong>net.« (Num 23,9). Allein sein oder wohnen bezieht si<strong>ch</strong> in diesen<br />
Versen auf das Abgesondertsein vom Bösen in Gestalt götzendieneris<strong>ch</strong>er<br />
Nationen oder weltli<strong>ch</strong>er Mä<strong>ch</strong>te. Wer in diesem Sinne allein wohnt ist der Anfe<strong>ch</strong>tung<br />
ni<strong>ch</strong>t ausgesetzt. Swedenborg wendet diese Beoba<strong>ch</strong>tung ins Positive,<br />
indem er s<strong>ch</strong>reibt: »Seit alter Zeit hießen diejenigen allein wohnend, die vom<br />
Herrn geleitet wurden wie die himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en (der Urkir<strong>ch</strong>e), weil das<br />
Böse bzw. die bösen Geister sie ni<strong>ch</strong>t mehr anfo<strong>ch</strong>ten.« (HG 139). Diese exegetis<strong>ch</strong>e<br />
Einsi<strong>ch</strong>t überträgt Swedenborg auf Genesis 2,18. Gemeint ist dort demna<strong>ch</strong>,<br />
dass es ni<strong>ch</strong>t mehr gut ist, dass der Mens<strong>ch</strong> von der Anfe<strong>ch</strong>tung abgesondert bzw.<br />
167<br />
Daniel Kro<strong>ch</strong>malnik, S<strong>ch</strong>riftauslegung: Das Bu<strong>ch</strong> Genesis im Judentum, 2001, Seite 59.<br />
168<br />
Vgl. Gerhard von Rad: »Die Einsamkeit ›ist ni<strong>ch</strong>t gut‹; der Mens<strong>ch</strong> ist auf Geselligkeit hin<br />
angelegt; Gottes Freundli<strong>ch</strong>keit sieht, daß es dem Mens<strong>ch</strong>en wohltun würde, wenn ihm ein<br />
mithelfendes Wesen beigegeben wäre … ›Wieviel Ans<strong>ch</strong>auung und Erfahrung gelebten Lebens<br />
ist in diesem Satz verdi<strong>ch</strong>tet!‹« (Das erste Bu<strong>ch</strong> Mose: Genesis, 1987, Seite 57). Oder Horst<br />
Seebass: »Jahwe Gott beurteilt das Alleinsein des Mens<strong>ch</strong>en als ni<strong>ch</strong>t gut. Der Mens<strong>ch</strong> soll ein<br />
geselliges Wesen sein.« (Genesis I: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 115).
Genesis 2 89<br />
mit Jahwe Elohim allein ist. Denn im Mens<strong>ch</strong>en erwa<strong>ch</strong>te das Verlangen, si<strong>ch</strong><br />
selbst zu führen oder selbständig zu werden. Deswegen wurde ihm ein vom Gottesbewusstsein<br />
relativ unabhängiges und somit eigenständiges I<strong>ch</strong>bewusstsein<br />
gegeben.<br />
Im Urtext folgt in der zweiten Hälfte von Vers 18 »ezer kenegdo«. Swedenborg<br />
übersetzte das mit »auxilium tanquam apud illum« (eine Hilfe wie bei ihm). In<br />
seiner lateinis<strong>ch</strong>en Bibel von Sebastian S<strong>ch</strong>mid las er »auxilium pro ipso« (eine<br />
Hilfe für ihn). Swedenborg wi<strong>ch</strong> also von seiner Vorlage ab und gab den Urtext<br />
wörtli<strong>ch</strong> wieder. Denn er erspähte darin einen Sinn, den die Übersetzer gewöhnli<strong>ch</strong><br />
übersehen, weil sie mit der Vorstellung von Adam und Eva als Urehepaar an<br />
den Text herangehen. In der Elberfelder Bibel und der katholis<strong>ch</strong>en Einheitsübersetzung<br />
lesen wir: »I<strong>ch</strong> will ihm eine Hilfe ma<strong>ch</strong>en, die ihm entspri<strong>ch</strong>t.« In der<br />
Zür<strong>ch</strong>er Bibel 2007 heißt es: »I<strong>ch</strong> will ihm eine Hilfe ma<strong>ch</strong>en, ihm gemäss.« Und<br />
na<strong>ch</strong> der Lutherbibel von 1984 sagte Jahwe Elohim: »I<strong>ch</strong> will ihm eine Gehilfin<br />
ma<strong>ch</strong>en, die um ihn sei.« Obwohl »ezer« ein maskulines Nomen ist und in den<br />
unmittelbar ans<strong>ch</strong>ließenden Versen 19 und 20 erst einmal die Tiere als Hilfe in<br />
Betra<strong>ch</strong>t gezogen werden, s<strong>ch</strong>iebt uns Luther s<strong>ch</strong>on hier in Vers 18 die Eva unter,<br />
indem er »ezer« mit Gehilfin übersetzt. Au<strong>ch</strong> die anderen Übersetzer haben die<br />
Frau im Sinn, die dem Mann entspri<strong>ch</strong>t.<br />
Die wörtli<strong>ch</strong>e Übersetzung, in der das »wie« für Swedenborg wi<strong>ch</strong>tig ist, führt ihn<br />
zu der Einsi<strong>ch</strong>t, dass die Hilfe ni<strong>ch</strong>t in Wahrheit, sondern nur s<strong>ch</strong>einbar beim<br />
Mens<strong>ch</strong>en ist. Daher s<strong>ch</strong>lägt er vor, unter dieser Hilfe das Eigene (proprium) des<br />
Mens<strong>ch</strong>en zu verstehen, das heißt das I<strong>ch</strong>, mit dem er si<strong>ch</strong> identifiziert. Der<br />
S<strong>ch</strong>ein<strong>ch</strong>arakter des I<strong>ch</strong>komplexes besteht darin, dass eigentli<strong>ch</strong> nur Jahwe der<br />
»I<strong>ch</strong> bin« ist. Das I<strong>ch</strong>bewusstsein ist ledigli<strong>ch</strong> ein Reflex des Urli<strong>ch</strong>ts im Gehirn,<br />
der jedo<strong>ch</strong> so beeindruckend ist, dass der Mens<strong>ch</strong> nur allzu bereitwillig dieser<br />
süßen Spiegelung erliegt und mit ihr eins werden will. Warum heißt sie dann aber<br />
Hilfe? Sie ist do<strong>ch</strong> viel eher eine Versu<strong>ch</strong>ung, die uns das Uri<strong>ch</strong> Gottes vergessen<br />
lässt und in den süßen Traum hüllt, ein autonomes I<strong>ch</strong> zu sein. Der Mens<strong>ch</strong> kann<br />
mit diesem I<strong>ch</strong>gefühl seinen Traum verwirkli<strong>ch</strong>en, si<strong>ch</strong> selbst zu führen, weswegen<br />
es ihm eine Hilfe ist. Außerdem wird ihm, wie Genesis 2,21f. zeigen wird,<br />
das in si<strong>ch</strong> selbst Verliebtsein genommen und als Frau zur Seite gestellt. So wird<br />
die Liebe, obwohl sie no<strong>ch</strong> immer Selbstliebe ist, auf eine andere Person gelenkt<br />
und kann zu e<strong>ch</strong>ter, eheli<strong>ch</strong>er Liebe werden. Swedenborg stellt das ausführli<strong>ch</strong> in<br />
seinem Bu<strong>ch</strong> über die eheli<strong>ch</strong>e Liebe dar.<br />
Die Bildung und Benennung der Tiere (19-20)<br />
Zu den Versen 19 und 20: Die Tierszene wirkt wie ein Eins<strong>ch</strong>ub. Die in Vers 18<br />
angekündigte Hilfe wird erst in den Versen 21ff. dur<strong>ch</strong> die Auferbauung des Weibes<br />
aus der Rippe des Mens<strong>ch</strong>en realisiert. Zwar wird das Weib ni<strong>ch</strong>t ausdrückli<strong>ch</strong><br />
»Hilfe« genannt, aber das Motiv von Vers 18 ist in den Versen 21ff. in Form<br />
der Wesensverwandts<strong>ch</strong>aft des Weibes mit dem Mens<strong>ch</strong>en enthalten. Die auf
90 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Vers 18 unmittelbar folgende Tierszene nimmt der Auferbauung des Weibes allerdings<br />
den Charakter der Ursprüngli<strong>ch</strong>keit. Denn erst na<strong>ch</strong>dem der Mens<strong>ch</strong> in<br />
der primären Konfrontation mit den Tieren (»bringen« in Vers 19) die Hilfe ni<strong>ch</strong>t<br />
finden konnte, kommt es zur sekundären Konfrontation mit dem Weib (»bringen«<br />
in Vers 22), das der Mens<strong>ch</strong> freudig als das ihm gemäße Gegenüber begrüßt.<br />
Die »Tiere« sind im inneren Sinn auf »die himmlis<strong>ch</strong>en Regungen« (caelestes<br />
affectiones) und die »Vögel« auf »die geistigen« (spirituales) zu beziehen (HG<br />
142). Die der Auferbauung des Weibes vorges<strong>ch</strong>altete Konfrontation mit den Tieren<br />
ist daher ein Akt der Selbsterkenntnis, zumal Adam in der Lage ist, den Regungen<br />
seines Lebens einen ihnen entspre<strong>ch</strong>enden Namen zu geben, das heißt<br />
sie zu erkennen. Der Symbolfors<strong>ch</strong>er Manfred Lurker wies darauf hin, dass das<br />
Alter Ego (das andere I<strong>ch</strong>) bestimmter Naturvölker Tiere sind. 169 Do<strong>ch</strong> den Adam<br />
befriedigte diese Ans<strong>ch</strong>auung seiner Lebenssphäre in der Gestalt von Tieren<br />
ni<strong>ch</strong>t, er strebte na<strong>ch</strong> mehr, na<strong>ch</strong> einem Alter Ego, das ni<strong>ch</strong>t nur wie er aus der<br />
oberen Erds<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>t (adama) 170 , sondern aus ihm selbst genommen wird. Der Ents<strong>ch</strong>eidung<br />
für das I<strong>ch</strong>bewusstsein - Swedenborg nennt es das Eigene - geht demna<strong>ch</strong><br />
eine bewusste und willentli<strong>ch</strong>e Abkehr vom Naturzustand voraus, wobei<br />
dieser ni<strong>ch</strong>t der eines Primitiven war, sondern der einer unmittelbaren Formung<br />
aus der Hand Gottes.<br />
Während in Vers 19 Jahwe Elohim zuerst die Tiere des Feldes und dann erst die<br />
Vögel des Himmels bildet, ist in Vers 20, wo der Mens<strong>ch</strong> das Subjekt ist, die Reihenfolge<br />
eine andere. Zuerst erhält das Vieh, von dem in Vers 19 ni<strong>ch</strong>t die Rede<br />
war, Namen, dann die Vögel des Himmels und s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> die Tiere des Feldes.<br />
Die Reihenfolge ist also umgekehrt. Dass sol<strong>ch</strong>e Umstellungen bedeutsam sind,<br />
bestätigt uns Swedenborg bei ähnli<strong>ch</strong>en Ers<strong>ch</strong>einungen in Genesis 1 (siehe HG<br />
47).<br />
Die ursprüngli<strong>ch</strong>e Intelligenz, die dem Mens<strong>ch</strong>en im Zustand seiner Vollkommenheit<br />
im Garten Eden eigen war, zeigt si<strong>ch</strong> in seiner Fähigkeit allen Tieren<br />
einen ihnen entspre<strong>ch</strong>enden Namen zu geben: »Wie die Einsi<strong>ch</strong>t (intelligentia)<br />
und das daher stammende Wissen Adams im Zustand seines jugendli<strong>ch</strong>en Lebens<br />
bes<strong>ch</strong>affen war, zeigt si<strong>ch</strong> deutli<strong>ch</strong> daran, wie er es verstand, den Lebewesen, die<br />
169<br />
Manfred Lurker, Wörterbu<strong>ch</strong> der Symbolik, 1985, Seite 26f. Au<strong>ch</strong> im alten Israel gab es »Namen<br />
wie Ra<strong>ch</strong>el ›Mutters<strong>ch</strong>af‹, Lea ›Kuh‹, Chamor ›Esel‹, Kaleb ›Hund‹, A<strong>ch</strong>bor ›Maus‹, Jona<br />
›Taube‹ u. a. für angesehene Personen.« (Horst Seebass, Genesis I: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26),<br />
1996, Seite 116).<br />
170<br />
Bea<strong>ch</strong>tenswert ist die Ähnli<strong>ch</strong>keit zwis<strong>ch</strong>en den Versen 7 und 19: »Und Jahwe Gott bildete<br />
den Mens<strong>ch</strong>en aus Staub vom Erdboden« (Gen 2,7). »Und Jahwe Gott bildete vom Erdboden<br />
alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Himmels« (Gen 2,19). In beiden Versen wird das<br />
Verb »bilden« verwendet und in beiden Versen ist der Erdboden (adama) der Stoff, aus dem<br />
die Wesen geformt werden. Zu »Staub« siehe oden die Ausführungen zu Vers 7. »Und er bildete«<br />
wird in Vers 7 mit zwei Jod ges<strong>ch</strong>rieben, in Vers 19 aber nur mit einem Jod. Zur Diskussion<br />
darüber innerhalb des Judentums siehe: Daniel Kro<strong>ch</strong>malnik, S<strong>ch</strong>riftauslegung: Das<br />
Bu<strong>ch</strong> Genesis im Judentum, 2001, Seite 43ff.
Genesis 2 91<br />
er nur zu Gesi<strong>ch</strong>t bekam, Namen zu geben, die mit ihrer Natur übereinstimmen.«<br />
(WE 29). Au<strong>ch</strong> dem aus einer seiner Rippen erbauten Lebewesen wird er den passenden<br />
Namen »is<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>a« (Männin) geben, obwohl er do<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>lief, als das ges<strong>ch</strong>ah.<br />
Das ist ni<strong>ch</strong>t »das Wissen eines Zeugen, sondern eines Erkennenden« 171 .<br />
Man spürt das Interesse, mit dem Swedenborg dieser adamis<strong>ch</strong>en Geistesvollkommenheit<br />
in seinen vorvisionären S<strong>ch</strong>riften na<strong>ch</strong>geht; au<strong>ch</strong> dem Buddha des<br />
Nordens wird si<strong>ch</strong> später in geistiger S<strong>ch</strong>au das Wesen aller Wesen zeigen. Swedenborgs<br />
Spätwerk ist die Fru<strong>ch</strong>t einer Wesenss<strong>ch</strong>au, wie sie einst Adam zu Gebote<br />
stand. Im Zusammenhang seiner frühen Auslegung der Verse 19 und 20 in<br />
seiner »Explicatio« unters<strong>ch</strong>eidet Swedenborg zwei Wege des Erkennens: den<br />
unteren (inferior) und den oberen (superior) Weg (WE 29). Der untere Weg »führt<br />
von den Gegenständen der Welt dur<strong>ch</strong> die Pforten der Sinne na<strong>ch</strong> oben oder innen<br />
in den Verstand des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Geistes« (WE 29). Das ist der lange Weg des<br />
Empirikers. Auf dem oberen Weg dagegen fließt das innere Li<strong>ch</strong>t »dur<strong>ch</strong> die Seele<br />
vom Himmel her« ein (WE 29). Dieser Weg ers<strong>ch</strong>eint der gegenwärtigen Geistesverfassung<br />
als Phantasterei. So arm ist der Mens<strong>ch</strong> geworden, dass er keine Ahnung<br />
mehr davon hat, dass das Wesen aller Dinge in ihm als einem Mikrokosmos<br />
zu finden ist.<br />
Die Auferbauung des Weibes aus der Rippe (21-23)<br />
Zu Vers 21: »Tardema« ist ni<strong>ch</strong>t das übli<strong>ch</strong>e hebräis<strong>ch</strong>e Wort für S<strong>ch</strong>laf, das ist<br />
»s<strong>ch</strong>ena«. »Tardema« bedeutet tiefer S<strong>ch</strong>laf. 172 So versteht es au<strong>ch</strong> Swedenborg,<br />
denn er übersetzt es ni<strong>ch</strong>t mit somnus (S<strong>ch</strong>laf), sondern mit sopor (tiefer S<strong>ch</strong>laf,<br />
Betäubung, Todess<strong>ch</strong>laf). In HG 1072 und WCR 334 verbindet er sopor zur Hervorhebung<br />
der spezifis<strong>ch</strong>en Bedeutung mit altus (tief). Zudem hat »tardema« »etwas<br />
Gottgewirktes an si<strong>ch</strong>« 173 , weswegen es in Vers 21 heißt, dass Jahwe Elohim<br />
ihn (von oben herab) fallen ließ. So befiel also der tiefe S<strong>ch</strong>laf den Mens<strong>ch</strong>en als<br />
eine Gabe von oben. 174<br />
Gemeint ist das Versinken in eine tiefe Bewusstlosigkeit. Der Mens<strong>ch</strong> wollte ni<strong>ch</strong>t<br />
mehr mit Gott allein sein, sondern mit einem vom Uri<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong>sam getrennten I<strong>ch</strong><br />
umgeben werden. Um ihm diesen Wuns<strong>ch</strong> zu erfüllen, musste ihm sein Uri<strong>ch</strong> wie<br />
eine ferne Welt ents<strong>ch</strong>winden, von der am Ende ni<strong>ch</strong>t einmal mehr ein Li<strong>ch</strong>tpunkt<br />
übrig bleiben durfte. Adam musste ganz im Gefühl versinken »aus si<strong>ch</strong> selbst<br />
heraus« (HG 147) zu leben. Das ist der tiefe S<strong>ch</strong>laf, die totale Betäubung aller<br />
171<br />
Horst Seebass, Genesis I: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 118.<br />
172<br />
»Tardema« ist von einem Verb abgeleitet, dessen Grundbedeutung »verstopfen« sein könnte<br />
(Wilhelm Gesenius, Hebräis<strong>ch</strong>es und aramäis<strong>ch</strong>es Handwörterbu<strong>ch</strong> über das Alte Testament,<br />
bearbeitet von Dr. Frants Buhl, unveränderter Neudruck der 1915 ers<strong>ch</strong>ienenen 17. Auflage,<br />
1962, Seite 746).<br />
173<br />
Horst Seebass, Genesis I: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 117.<br />
174<br />
In der Septuaginta steht an Stelle von »tardema« in Genesis 2,21 und 15,12 »ekstasis«, das<br />
heißt »Ekstase« oder wörtli<strong>ch</strong> »Außer-si<strong>ch</strong>-sein«.
92 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
höheren Geistessinne. Swedenborg s<strong>ch</strong>reibt: »Der Zustand des Mens<strong>ch</strong>en, der<br />
si<strong>ch</strong> im Eigeni<strong>ch</strong> (in proprio) befindet oder meint, aus si<strong>ch</strong> heraus zu leben, wurde<br />
mit einem tiefen S<strong>ch</strong>laf vergli<strong>ch</strong>en, ja von den alten Weisen sogar so genannt.«<br />
(HG 150). Für uns, die wir in der Außenwelt leben, ist mit dem Eins<strong>ch</strong>lafen das<br />
Verlassen der sinnli<strong>ch</strong> erfahrbaren Welt verbunden. Do<strong>ch</strong> der Urmens<strong>ch</strong>, der si<strong>ch</strong><br />
in seinem Wa<strong>ch</strong>sein in einem himmlis<strong>ch</strong>en Zustand befand, fiel dur<strong>ch</strong> den S<strong>ch</strong>laf<br />
aus diesem Zustand und fand si<strong>ch</strong> im süßen Traum, ein eigenständiges I<strong>ch</strong> zu<br />
sein, wieder. Na<strong>ch</strong> Friedri<strong>ch</strong> Weinreb enthält »tardema« »spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> das<br />
Hinabsteigen«. 175 Und na<strong>ch</strong> Jakob Böhme s<strong>ch</strong>lief Adam in der englis<strong>ch</strong>en Welt ein<br />
und wa<strong>ch</strong>te in der äußeren Welt auf (MM 19,4). Im Christentum wurde Adams<br />
Tiefs<strong>ch</strong>laf mit dem Todess<strong>ch</strong>laf Christi in Verbindung gebra<strong>ch</strong>t. Der zweite Adam<br />
verblieb jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in diesem S<strong>ch</strong>laf, sondern wurde auferweckt. Dur<strong>ch</strong> seine<br />
Verherrli<strong>ch</strong>ung ma<strong>ch</strong>te er das verlorene Gottesbewusstsein der Mens<strong>ch</strong>heit wieder<br />
zugängli<strong>ch</strong>.<br />
Zur Rippe in den Versen 21 und 22: »Adams kesse Rippe« (Filmkomödie von<br />
1988) darf selbst bei mangelhafter Bibelkenntnis no<strong>ch</strong> immer als bekannt vorausgesetzt<br />
werden. Man ma<strong>ch</strong>t Witze über die naive Vorstellung und bezeugt<br />
damit nur seine eigene Unkenntnis über das viels<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tige und beziehungsrei<strong>ch</strong>e<br />
Bild. Die Rippe bezei<strong>ch</strong>net, weil sie als ein Kno<strong>ch</strong>en »kaum Leben« (HG 148) in<br />
si<strong>ch</strong> hat, das geistig leblose Eigenleben des Mens<strong>ch</strong>en, der ohne Gott ein Gerippe<br />
ist. Friedri<strong>ch</strong> Weinreb bringt »zela« (Rippe) mit »zel« (S<strong>ch</strong>atten) in Verbindung. 176<br />
Der S<strong>ch</strong>atten zei<strong>ch</strong>net si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> eine Abwesenheit aus, nämli<strong>ch</strong> die des Li<strong>ch</strong>tes.<br />
Im Falle der Rippe ist es die des Lebens. Die Offenbarungen dur<strong>ch</strong> Jakob Lorber<br />
heben die S<strong>ch</strong>utzfunktion der Rippen bzw. des Brustkorbs hervor: »Die Rippen<br />
sind ein äußerer, fester S<strong>ch</strong>utzs<strong>ch</strong>ild der zarten, inneren Lebensorgane.« (GEJ<br />
4,162,8). Adams Rippe ist demna<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t nur »kess«, sondern vor allem der<br />
S<strong>ch</strong>utz für Herz (Liebe) und Lunge (Weisheit). Die Bildausdrücke der Bibel sind<br />
äußerst komplex, so dass ihr Rei<strong>ch</strong>tum mit dem Verstand ebensowenig auss<strong>ch</strong>öpfbar<br />
ist wie der Ozean mit einem Teelöffel. Sagten wir soeben, dass die Rippe<br />
kaum Leben in si<strong>ch</strong> habe, so sei nun darauf hingewiesen, dass das Gegenteil<br />
au<strong>ch</strong> ri<strong>ch</strong>tig sein könnte. Mögli<strong>ch</strong>erweise steckt in der Rippe ein Wortspiel, »das<br />
im Hebräis<strong>ch</strong>en (und in den modernen Spra<strong>ch</strong>en) verlorengegangen ist, aber in<br />
der Urform der Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te enthalten war. In der sumeris<strong>ch</strong>en Keils<strong>ch</strong>rift ist nämli<strong>ch</strong><br />
das Zei<strong>ch</strong>en für ›Rippe‹ identis<strong>ch</strong> mit dem für ›Leben‹.« 177 Demna<strong>ch</strong> wird Eva<br />
aus dem Leben Adams genommen. In seinem Werk über die eheli<strong>ch</strong>e Liebe zeigt<br />
175<br />
Friedri<strong>ch</strong> Weinreb, S<strong>ch</strong>öpfung im Wort: Die Struktur der Bibel in jüdis<strong>ch</strong>er Überlieferung,<br />
2002, Seite 163. Weinreb bringt »tardema« offenbar mit »jarad« (hinabsteigen) in Verbindung.<br />
176<br />
Friedri<strong>ch</strong> Weinreb, S<strong>ch</strong>öpfung im Wort: Die Struktur der Bibel in jüdis<strong>ch</strong>er Überlieferung,<br />
2002, Seite 163.<br />
177<br />
Heinri<strong>ch</strong> Krauss, Max Kü<strong>ch</strong>ler, Erzählungen der Bibel: Das Bu<strong>ch</strong> Genesis in literaris<strong>ch</strong>er<br />
Perspektive: Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Gen 1-11), 2003, Seite 76.
Genesis 2 93<br />
Swedenborg, wie die Frau aus der Lebenssphäre ihres Mannes zur Ehefrau wird.<br />
Der Brustraum, dessen S<strong>ch</strong>utz die Rippen sind, steht für die lebenswi<strong>ch</strong>tigen<br />
Organe Herz und Lunge und somit für das Zusammenspiel von Liebe und Weisheit.<br />
Na<strong>ch</strong> Jakob Lorber bildete si<strong>ch</strong> die Seele Evas, die si<strong>ch</strong> in der Außenlebenssphäre<br />
Adams befand, »aus diesen ihr sehr liebli<strong>ch</strong>en Adamis<strong>ch</strong>en Außenlebensteilen<br />
oder aus dem rei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>sten Lebensdunste, wie es no<strong>ch</strong> heutzutage Seelen<br />
Verstorbener zu tun pflegen, wenn sie den Mens<strong>ch</strong>en auf einige Momente ers<strong>ch</strong>einen<br />
wollen, einen ihr entspre<strong>ch</strong>enden Leib« (GEJ 4,162,5). Eva bildete si<strong>ch</strong><br />
also aus dem Leben Adams.<br />
»Zela«, das wir bisher mit »Rippe« übersetzt haben, kann au<strong>ch</strong> »Seite« bedeuten.<br />
Swedenborg kennt diese Bedeutung, denn bei seiner Auslegung von Exodus 30,4<br />
geht er von ihr aus (HG 10189). Damit wird eine typologis<strong>ch</strong>e oder, wie Swedenborg<br />
sagen würde, vorbildende Verbindung von Genesis 2,21f. mit Johannes<br />
19,34 si<strong>ch</strong>tbar. Denn der Evangelist beri<strong>ch</strong>tet, dass die Seite Jesu von einem Soldaten<br />
mit einem Speer dur<strong>ch</strong>bohrt wurde und soglei<strong>ch</strong> Blut und Wasser herauskamen.<br />
Seit Tertullian ist die Öffnung von Adams Seite als alttestamentli<strong>ch</strong>er Typus<br />
für diesen Lanzensti<strong>ch</strong> angesehen worden: »Denn wenn Adam ein Vorbild<br />
Christi war, so war der S<strong>ch</strong>laf Adams der Tod Christi, der im Tode nur s<strong>ch</strong>lafen<br />
sollte, damit auf die glei<strong>ch</strong>e Weise aus der Verletzung seiner Seite die wahre Mutter<br />
der Lebenden, die Kir<strong>ch</strong>e, gebildet würde«. 178 S<strong>ch</strong>on der Epheserbrief bezog die<br />
Frau in Genesis 2,24 auf die Kir<strong>ch</strong>e: »Denn niemand hat jemals sein eigenes<br />
Fleis<strong>ch</strong> gehasst, sondern er nährt und pflegt es, wie au<strong>ch</strong> der Christus die Gemeinde.<br />
Denn wir sind Glieder seines Leibes. ›Deswegen wird ein Mens<strong>ch</strong> Vater<br />
und Mutter verlassen und seiner Frau anhängen, und die zwei werden ein Fleis<strong>ch</strong><br />
sein.‹ (Gen 2,24). Dieses Geheimnis ist groß, i<strong>ch</strong> aber deute es auf Christus und<br />
die Kir<strong>ch</strong>e.« (Eph 5,29-32). Na<strong>ch</strong> Swedenborg bezei<strong>ch</strong>net die Frau sowohl »das<br />
Eigene« (HG 152) als au<strong>ch</strong> »die Kir<strong>ch</strong>e« (HG 287), denn die Kir<strong>ch</strong>e ist das vom<br />
Herrn belebte Eigene. Johannes 19,34 interpretiert Swedenborg auf zwei völlig<br />
vers<strong>ch</strong>iedene Weisen. Einesteils bedeutet der Lanzensti<strong>ch</strong> die Zerstörung des<br />
Wahren dur<strong>ch</strong> das Fals<strong>ch</strong>e (EO 26). Andernteils ist er aber au<strong>ch</strong> auf die Verbindung<br />
des Herrn mit dem mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong> das göttli<strong>ch</strong>e Wahre<br />
(Blut und Wasser) zu beziehen (OE 329). Die Mens<strong>ch</strong>en hatten Böses im Sinn,<br />
Gott aber wendete es zum Guten (vgl. Gen 50,20). Er öffnete die Seite des zweiten<br />
Adam und ließ so am Kreuz die Kir<strong>ch</strong>e als »die Mutter aller Lebenden« (Gen 3,20)<br />
erstehen.<br />
Ungewöhnli<strong>ch</strong> ist, dass Jahwe Elohim das Weib weder s<strong>ch</strong>uf, no<strong>ch</strong> bildete, no<strong>ch</strong><br />
ma<strong>ch</strong>te, sondern baute. Na<strong>ch</strong> Swedenborg bedeutet bauen »aufbauen, was gefallen<br />
ist« (HG 153). S<strong>ch</strong>on vor dem sogenannten Sündenfall von Genesis 3 ist demna<strong>ch</strong><br />
die Thematik des Falles zumindest unters<strong>ch</strong>wellig gegenwärtig. Das Gefalle-<br />
178<br />
Zitiert na<strong>ch</strong>: Hans Martin von Erffa, Ikonologie der Genesis, Band 1, 1989, Seite 151. Dort im<br />
Abs<strong>ch</strong>nitt »Ers<strong>ch</strong>affung Evas« (Seiten 150 - 157) weiteres Material.
94 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
ne ist das selbstbezogene Eigene (»homo incurvatus in se ipsum«), das - darin die<br />
Erlösung von Ferne andeutend - zu einem Weib auferbaut wird. Vom Bauen Jahwes<br />
ist im Alten Testament an Stellen die Rede, bei denen es si<strong>ch</strong> um »Heilsaussagen<br />
im Hinblick auf die Zukunft« oder um den »Wiederaufbau na<strong>ch</strong> der Unheilszeit<br />
des Exils« handelt (THAT 1,326).<br />
Zu Vers 23: »Gebein von meinem Gebein und Fleis<strong>ch</strong> von meinem Fleis<strong>ch</strong>«, das<br />
ist die »Verwandts<strong>ch</strong>aftsformel« 179 . Swedenborg verweist auf Genesis 29,14; Ri<strong>ch</strong>ter<br />
9,1-3 und 2. Samuel 5,1. Die Benennung der Frau als »is<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>a« ist Ausdruck<br />
der adamis<strong>ch</strong>en Wesenserkenntnis, denn der Mens<strong>ch</strong> war ni<strong>ch</strong>t Zeuge ihrer Erbauung<br />
aus seiner Rippe, er s<strong>ch</strong>lief. Zuglei<strong>ch</strong> gibt si<strong>ch</strong> aber au<strong>ch</strong> der Mens<strong>ch</strong><br />
einen neuen Namen. Erstmals tau<strong>ch</strong>t in Vers 23 »is<strong>ch</strong>« (Mann) auf. Mann und<br />
Frau bilden also die beiden Pole der Ganzheit Mens<strong>ch</strong>. Sie sind verwandt und<br />
sollen in der eheli<strong>ch</strong>en Liebe wieder eins werden, ein Engel bestehend aus zwei<br />
Personen.<br />
Seinem Weibe anhangen (24)<br />
Unklar ist, ob Vers 24 no<strong>ch</strong> als »Fortsetzung des Ausrufs Adams« 180 oder als »ein<br />
abs<strong>ch</strong>ließendes, zusammenfassendes Wort des Erzählers« 181 aufzufassen ist. An<br />
der Ents<strong>ch</strong>eidung in dieser Frage hängt jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t viel. Interessanter ist s<strong>ch</strong>on<br />
die Beoba<strong>ch</strong>tung von Gerhard von Rad: »Merkwürdigerweise deckt si<strong>ch</strong> das Wort<br />
von dem Verlassen von Vater und Mutter ni<strong>ch</strong>t ganz mit den patriar<strong>ch</strong>alis<strong>ch</strong>en<br />
altisraelitis<strong>ch</strong>en Familienverhältnissen, denn viel mehr als der Mann löst si<strong>ch</strong> die<br />
Frau na<strong>ch</strong> der Vereheli<strong>ch</strong>ung von ihrer Familie.« 182 Sol<strong>ch</strong>e Abwei<strong>ch</strong>ungen von den<br />
historis<strong>ch</strong>en Gegebenheiten sind ein Hinweis darauf, dass von Anfang an etwas<br />
anderes gemeint war, nämli<strong>ch</strong> ein geistiger Sa<strong>ch</strong>verhalt. In HG 160 bringt Swedenborg<br />
Vater und Mutter mit dem inneren und die Ehefrau (uxor) mit dem äußeren<br />
Mens<strong>ch</strong>en in Verbindung. Er bezieht den Text also auf die innere Ehe, das<br />
heißt auf die zwis<strong>ch</strong>en dem Männli<strong>ch</strong>en und dem Weibli<strong>ch</strong>en im Mens<strong>ch</strong>en. Aber<br />
er hat au<strong>ch</strong> die äußere Ehe zwis<strong>ch</strong>en Mann und Frau im Blick. Na<strong>ch</strong> HG 3875<br />
drückt anhangen in Genesis 2,24 »die eheli<strong>ch</strong>e Liebe« aus. Und au<strong>ch</strong> in EL 112<br />
und 194 interpretiert Swedenborg Genesis 2,24 im Sinne der eheli<strong>ch</strong>en Liebe<br />
zwis<strong>ch</strong>en Mann und Frau. Wieder zeigt si<strong>ch</strong>, dass der innere Sinn mehrs<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tig<br />
ist.<br />
Die Nacktheit der Uns<strong>ch</strong>uld (25)<br />
Vers 25 stellt die Verbindung zu Genesis 3 her. Die Nacktheit bezei<strong>ch</strong>net den<br />
Zustand der Kindheit und der Uns<strong>ch</strong>uld. Das Eigene ist zwar s<strong>ch</strong>on dar, aber no<strong>ch</strong><br />
179<br />
Horst Seebass, Genesis I: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 118.<br />
180<br />
Franz Delitzs<strong>ch</strong>, Commentar über die Genesis, Leipzig 1872, Seite 133.<br />
181<br />
Gerhard von Rad, Das erste Bu<strong>ch</strong> Mose: Genesis, 1987, Seite 59.<br />
182<br />
Gerhard von Rad, Das erste Bu<strong>ch</strong> Mose: Genesis, 1987, Seite 60.
Genesis 2 95<br />
inaktiv, no<strong>ch</strong> herrs<strong>ch</strong>t die Uns<strong>ch</strong>uld vor. Ein Wortspiel verbindet den letzten Vers<br />
von Genesis 2 mit dem ersten Vers von Genesis 3. Denn das Wort für nackt lautet<br />
»arom«; das für klug und listig »arum«, ausgesagt wird es von der S<strong>ch</strong>lange.<br />
Abbildung 4: Die Wandmalerei aus Mari zeigt einen re<strong>ch</strong>teckigen, von einer Mauer (auf der Abb.<br />
ni<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>tbar) und einem Spiralband (auf der Abb. ni<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>tbar) umgebenen Raum, in dem si<strong>ch</strong><br />
eine Dattelpalme mit einer großen Taube in der Krone befindet. Der Hof rahmt zwei weitere, übereinanderliegende<br />
Re<strong>ch</strong>tecke ein, die von zwei Bäumen (oder baumähnli<strong>ch</strong>en Emblemen), vier<br />
Keruben und zwei Stieren flankiert sind. Die Stiere stemmen den einen Vorderfuß auf einen Berg.<br />
Die beiden Berge sollen wohl andeuten, dass si<strong>ch</strong> das Zentrum des Hofes auf einem Berg befindet.<br />
Zum doppelt dargestellten Berg passen die beiden Quellgottheiten im unteren der beiden kleineren<br />
Re<strong>ch</strong>tecke. Aus dem Gefäß, das sie halten, entspringt ein vierarmiger Strom. Eine stilisierte Pflanze<br />
wä<strong>ch</strong>st daraus hervor. Wir befinden uns an einem Ort, von dem alles Leben ausströmt. Im Zentrum<br />
dieses Berei<strong>ch</strong>s, im oberen Re<strong>ch</strong>teck, steht die Fru<strong>ch</strong>tbarkeits-, Liebes- und Kriegsgöttin Is<strong>ch</strong>tar.<br />
Die Palme ist ihr Baum und die Taube ihr Vogel. Ihr re<strong>ch</strong>ter Fuß ist einem Löwen aufgestemmt. Sie<br />
s<strong>ch</strong>eint dem König, der grüßend vor sie (resp. ihr Bild) tritt, Ring und Stab zu überrei<strong>ch</strong>en.<br />
Wir haben es bei diesem Bild mit der Darstellung einer vollständigen Tempelanlage mit allen ihren<br />
Teilen zu tun. Die Bildelemente <strong>ch</strong>arakterisieren den Tempel als Berei<strong>ch</strong> des Lebens. Wir finden<br />
sie fast ausnahmslos im salomonis<strong>ch</strong>en Tempel und bei der Bes<strong>ch</strong>reibung des Paradieses wieder:<br />
den Berg (Ez 28,13-16), die Ströme, die Bäume, die Keruben. Au<strong>ch</strong> die Stiere, die im Jerusalemer<br />
Tempel das Eherne Meer trugen (1. Kön 7,25) sind vorhanden.
96 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Beoba<strong>ch</strong>tungen zu Genesis 3<br />
Vorbemerkung<br />
Swedenborgs Auslegung von Genesis 3 ist in HG 190 bis 313 na<strong>ch</strong>zulesen. Die<br />
folgenden »Beoba<strong>ch</strong>tungen« können die Lektüre dieses Textes ni<strong>ch</strong>t ersetzen. Mir<br />
geht es hier nur um Folgendes: Swedenborgs Enthüllungen des inneren Sinnes<br />
sind sehr abstrakt. Er sagt das selbst mehrfa<strong>ch</strong>. 183 Sie tendieren dazu, alles in der<br />
Bibel auf das Gute und Wahre zu beziehen, weil das »die Universalien der S<strong>ch</strong>öpfung<br />
(universalia creationis)« (EL 84) sind. Das führt dazu, dass der Zusammenhang<br />
dieser hohen Abstraktionen mit dem Bu<strong>ch</strong>stabensinn ni<strong>ch</strong>t immer erkennbar<br />
ist. Daher mö<strong>ch</strong>te i<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en dem natürli<strong>ch</strong>en und dem geistigen Sinn Stufen<br />
einbauen, die näher am Text sind, aber glei<strong>ch</strong>wohl das geistige Verständnis<br />
im Auge haben. Die folgenden »Beoba<strong>ch</strong>tungen« sind jedo<strong>ch</strong> nur erste S<strong>ch</strong>ritte auf<br />
dem Weg zu diesem Ziel. I<strong>ch</strong> veröffentli<strong>ch</strong>e sie denno<strong>ch</strong> in der Hoffnung, dass sie<br />
für den einen oder anderen Leser Swedenborgs nützli<strong>ch</strong> sind und au<strong>ch</strong> um für das<br />
programmatis<strong>ch</strong>e Anliegen zu werben.<br />
Gliederung und Übersetzung von Genesis 3<br />
Swedenborg teilt den Text von Genesis 3 in drei Gruppen ein, nämli<strong>ch</strong> in die Verse<br />
1-13, 14-19 und 20-24 (siehe HG 190-313). I<strong>ch</strong> habe die erste Gruppe no<strong>ch</strong><br />
einmal, und zwar in die Verse 1-7 und 8-13 unterteilt. Die Verse 1-7 s<strong>ch</strong>ildern<br />
das Gesprä<strong>ch</strong> der S<strong>ch</strong>lange mit der Frau, das - obwohl die S<strong>ch</strong>lange ni<strong>ch</strong>t ausdrückli<strong>ch</strong><br />
dazu auffordert - dazu führt, dass die Frau und dann au<strong>ch</strong> der Mann<br />
vom Baum essen. Die Verse 8-13 s<strong>ch</strong>ildern das Verhör dur<strong>ch</strong> die Stimme Gottes.<br />
Der Mens<strong>ch</strong> und die Frau demonstrieren den auswei<strong>ch</strong>enden Umgang mit dem für<br />
sie peinli<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>uldbewusstsein. Die Verse 14-19 handeln von den Konsequenzen<br />
der Tat für die S<strong>ch</strong>lange, die Frau und den Mens<strong>ch</strong>en. Die Verse 20-24 fassen<br />
das fernere S<strong>ch</strong>icksal des Mens<strong>ch</strong>en und seiner Frau zusammen. Swedenborg<br />
s<strong>ch</strong>reibt zu diesem Block: »Diese Verse handeln summaris<strong>ch</strong> (in summa) von der<br />
ältesten Kir<strong>ch</strong>e und von denen, die si<strong>ch</strong> (s<strong>ch</strong>rittweise von ihr) entfernten; somit<br />
handeln diese Verse au<strong>ch</strong> von ihrer Na<strong>ch</strong>kommens<strong>ch</strong>aft bis zur Sintflut, wo sie<br />
ihren Geist aushau<strong>ch</strong>te.« (HG 280).<br />
Meine Übersetzung von Genesis 3: 1. Und die S<strong>ch</strong>lange 184 war klüger (od. listiger)<br />
185 als alles Wild 186 des Feldes, das Jahwe Gott gema<strong>ch</strong>t hatte, und sie spra<strong>ch</strong><br />
183<br />
Swedenborg selbst verwendet die Formulierung »abstrakter Sinn«. Was er darunter versteht<br />
ist aus HG 9125 ersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>: »I<strong>ch</strong> spre<strong>ch</strong>e vom abstrakten Sinn, weil die Engel … in ihrem<br />
Denken von den Personen abstrahieren (in sensu abstracto dicitur, quia angeli … cogitant abstracte<br />
a personis)«.<br />
184<br />
Vers 1: Die S<strong>ch</strong>lange ist im Hebräis<strong>ch</strong>en männli<strong>ch</strong>. Na<strong>ch</strong> Horst Seebass ist das für das Verständnis<br />
von Genesis 3 »grundlegend« (Genesis 1: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 100).<br />
Auf dem bekannten Bild Mi<strong>ch</strong>elangelos vom Sündenfall in der Sixtinis<strong>ch</strong>en Kapelle ist die<br />
S<strong>ch</strong>lange dagegen als weibli<strong>ch</strong>e Gestalt zu erkennen. Außerdem ist die S<strong>ch</strong>lange, obwohl sie<br />
hier das erste Mal in der Bibel auftau<strong>ch</strong>t, mit dem bestimmten Artikel verbunden.
Beoba<strong>ch</strong>tungen zu Genesis 3 97<br />
zum Weib: »Hat Gott wirkli<strong>ch</strong> gesagt 187 : Von allen Bäumen des Gartens dürft ihr ni<strong>ch</strong>t<br />
essen (oder: Ni<strong>ch</strong>t von allen Bäumen des Gartens dürft ihr essen) 188 ?« 2. Und das<br />
Weib spra<strong>ch</strong> zur S<strong>ch</strong>lange: »Von den Frü<strong>ch</strong>ten der Bäume im Garten dürfen wir essen.<br />
3. Aber von den Frü<strong>ch</strong>ten des Baumes in der Mitte des Gartens hat Gott gesagt:<br />
Ihr dürft ni<strong>ch</strong>t von ihnen essen und sie 189 ni<strong>ch</strong>t anrühren, damit ihr ni<strong>ch</strong>t sterbt.« 4.<br />
Und die S<strong>ch</strong>lange spra<strong>ch</strong> zum Weib: »Ihr werdet keineswegs sterben. 5. Sondern Gott<br />
weiß, dass eu<strong>ch</strong> die Augen aufgehen werden und ihr wie Gott sein und Gut und Böse<br />
erkennen werdet, sobald ihr davon esst (wörtli<strong>ch</strong>: an dem Tag, da ihr von ihnen<br />
esst).« 6. Und das Weib sah, dass der Baum gut zur Speise und dass er eine Lust<br />
für die Augen und dass der Baum begehrenswert war, Einsi<strong>ch</strong>t zu geben. Und sie<br />
nahm von seiner Fru<strong>ch</strong>t und aß. Und sie gab au<strong>ch</strong> ihrem Mann bei ihr, und er aß.<br />
7. Da gingen den beiden die Augen auf, und sie erkannten, dass sie nackt waren.<br />
Und sie flo<strong>ch</strong>ten Feigenblätter 190 und ma<strong>ch</strong>ten si<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>urze.<br />
8. Und sie hörten die Stimme 191 von Jahwe Gott, die 192 im Garten für si<strong>ch</strong> wandelte<br />
193 im Hau<strong>ch</strong> des Tages 194 . Da versteckten si<strong>ch</strong> der Mens<strong>ch</strong> 195 und seine Frau 196<br />
185<br />
Vers 1: Von den von mir berücksi<strong>ch</strong>tigten Verglei<strong>ch</strong>sübersetzungen der Bibel haben alle<br />
»listiger«, nur die Einheitsübersetzung hat »s<strong>ch</strong>lauer«. Au<strong>ch</strong> Paulus spri<strong>ch</strong>t in 2. Kor 11,3 von<br />
List (panourgia. Aquila und Symma<strong>ch</strong>us haben in Genesis 3,1 das Adjektiv panourgos). Das<br />
hebräis<strong>ch</strong>e »‘arum« (klug oder listig) klingt an »‘erom« (nackt) von Genesis 2,25 an.<br />
186<br />
Vers 1: Vom »Wild des Feldes« war in Genesis 2,19 im Zusammenhang mit einer »Hilfe« für<br />
den Mens<strong>ch</strong>en die Rede. Das hier mit »Wild« übersetzte Wort ist eigentli<strong>ch</strong> das Femininum<br />
des Adjektivs »<strong>ch</strong>aj« (lebendig), es meint also das Lebendige. Deswegen s<strong>ch</strong>reibt Swedenborg:<br />
»Dieses Wort bedeutet in der hebräis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>e au<strong>ch</strong> ein Lebewesen (animal), in dem eine<br />
lebende Seele (anima vivens) ist … denn es ist dasselbe Wort.« (HG 774). Die wildlebenden<br />
Tiere in Feld und Flur werden im Unters<strong>ch</strong>ied zum zahmen Vieh verwendet. Die Frau des<br />
Mens<strong>ch</strong>en wird in Vers 20 Eva genannt, wel<strong>ch</strong>es Wort ebenfalls mit »<strong>ch</strong>aj« in Verbindung gebra<strong>ch</strong>t<br />
wird (»Mutter allen Lebens«).<br />
187<br />
Vers 2: Na<strong>ch</strong> torahstudium.de formuliert die S<strong>ch</strong>lange hier keine Frage, denn es fehlt das<br />
Fragepronomen bzw. die Fragepartikel »ha« vor dem Aussagesatz. Die Zür<strong>ch</strong>er Bibel 1931<br />
übersetzte: »Gott hat wohl gar gesagt: …« Luther sagte: »I<strong>ch</strong> kann das Ebreis<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>t wohl<br />
geben, widder deuts<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> lateinis<strong>ch</strong>; es laut eben das Wort aphki als wenn einer die Nase<br />
rümpft und einen verla<strong>ch</strong>et und verspottet.« (zitiert na<strong>ch</strong>: Gerhard von Rad, Das erste Bu<strong>ch</strong><br />
Mose: Genesis, 1987, Seite 60). »Af« bedeutet au<strong>ch</strong> Nase und Zorn.<br />
188<br />
Vers 2: Der Sinn der Aussage variiert je na<strong>ch</strong> der Stellung des Wortes »ni<strong>ch</strong>t«.<br />
189<br />
Vers 3: Das Suffix in »mimmännu« kann auf den Baum oder die Fru<strong>ch</strong>t bezogen werden. In<br />
HG 202 verbindet Swedenborg »berühren« sowohl mit »Baum« als au<strong>ch</strong> mit »Fru<strong>ch</strong>t«. Die meisten<br />
Übersetzungen beziehen das Suffix auf die Fru<strong>ch</strong>t, nur LEO hat »ihn« (= den Baum).<br />
190<br />
Vers 7: Der Masoretis<strong>ch</strong>e Text formuliert im Singular, der hebräis<strong>ch</strong>e Pentateu<strong>ch</strong> der Samaritaner<br />
und die Septuaginta im Plural.<br />
191<br />
Vers 8: Andere Übersetzungen haben »die S<strong>ch</strong>ritte« (ZUR, ebenso Vers 10) bzw. »das Geräus<strong>ch</strong><br />
der S<strong>ch</strong>ritte« (MEN).<br />
192<br />
Vers 8: Swedenborg bezieht das hebräis<strong>ch</strong>e Partizip »mithalle<strong>ch</strong>« auf die Stimme (siehe HG<br />
220), ni<strong>ch</strong>t auf Jahwe Gott. Die Neukir<strong>ch</strong>enbibeln (LEO und LUD) lassen das Partizip stehen<br />
und fällen auf diese Weise keine Ents<strong>ch</strong>eidung. Die übrigen Übersetzungen beziehen es auf<br />
Jahwe Gott.<br />
193<br />
Vers 8: Swedenborg übersetzt das Hitpael von »gehen« reflexiv (= für si<strong>ch</strong> wandeln) und<br />
stützt darauf seine Auslegung (siehe HG 220).
98 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
vor dem Angesi<strong>ch</strong>t von Jahwe Gott unter den Bäumen des Gartens. 9. Und Jahwe<br />
Gott rief na<strong>ch</strong> dem Mens<strong>ch</strong>en und spra<strong>ch</strong> zu ihm: »Wo bist du?« 10. Und er spra<strong>ch</strong>:<br />
»Deine Stimme hörte i<strong>ch</strong> im Garten. Da für<strong>ch</strong>tete i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong>, weil i<strong>ch</strong> nackt bin, und<br />
versteckte mi<strong>ch</strong>.« 11. Und er spra<strong>ch</strong>: »Wer hat dir gesagt (higgid: si<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> sein lassen),<br />
dass du nackt bist? Du hast do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t etwa von dem Baum gegessen, von dem<br />
zu essen i<strong>ch</strong> dir verboten habe?« 12. Und der Mens<strong>ch</strong> spra<strong>ch</strong>: »Das Weib, das du mir<br />
beigesellt hast, das hat mir von dem Baum gegeben. Da habe i<strong>ch</strong> gegessen.« 13. Und<br />
Jahwe Gott spra<strong>ch</strong> zum Weib: »Warum hast du das getan?« 197 Und das Weib spra<strong>ch</strong>:<br />
»Die S<strong>ch</strong>lange hat mi<strong>ch</strong> verführt (oder getäus<strong>ch</strong>t). Da habe i<strong>ch</strong> gegessen.«<br />
14. Und Jahwe Gott spra<strong>ch</strong> zur S<strong>ch</strong>lange: »Weil du das getan hast, verflu<strong>ch</strong>t bist du<br />
vor allen Tieren und vor 198 allem Wild des Feldes. Auf deinem Bau<strong>ch</strong> sollst du krie<strong>ch</strong>en<br />
(wörtli<strong>ch</strong>: gehen), und Staub sollst du fressen alle Tage deines Lebens. 15. Und Feinds<strong>ch</strong>aft<br />
setze i<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en dir und dem Weib und zwis<strong>ch</strong>en deinem Samen (oder:<br />
Na<strong>ch</strong>wu<strong>ch</strong>s) und ihrem Samen. Er soll dir das Haupt zertreten und du wirst ihm die<br />
Ferse verletzen.« 16. Zum Weib spra<strong>ch</strong> er: »Vermehren, ja vermehren will i<strong>ch</strong> deine<br />
S<strong>ch</strong>merzen und dein Stöhnen (oder: und deine S<strong>ch</strong>wangers<strong>ch</strong>aft) 199 . Mit S<strong>ch</strong>merzen<br />
wirst du Söhne 200 gebären, und (do<strong>ch</strong>) wird dein Verlangen (Swedenborg: oboedientia<br />
= Gehorsam) 201 auf deinem Mann geri<strong>ch</strong>tet sein, und 202 er soll über di<strong>ch</strong> herrs<strong>ch</strong>en.«<br />
194<br />
Vers 8: Hebräis<strong>ch</strong> »lerua<strong>ch</strong> hajjom«. Swedenborg hat »ad auram diei« (= beim Hau<strong>ch</strong> des<br />
Tages). Die Bandbreite der Übersetzungen deutet auf Verständniss<strong>ch</strong>wierigkeiten: »in der<br />
Kühlung des Tages« (LEO, LUD), »bei der Kühle des Tages« (ELB), »in der Abendkühle« (MEN),<br />
»beim Abendwind« (ZUR), »gegen den Tagwind« (EIN).<br />
195<br />
Vers 8: Weil die Verbindung Mens<strong>ch</strong> und Frau ungewöhnli<strong>ch</strong> ist, tau<strong>ch</strong>en au<strong>ch</strong> die Übersetzungen<br />
»Mann« und »Adam« auf.<br />
196<br />
Vers 8: Swedenborg übersetzt »is<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ah« mit mulier (Weib) und uxor (Frau). I<strong>ch</strong> habe das in<br />
meiner Übersetzung kenntli<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t, indem i<strong>ch</strong> mulier mit Weib und uxor mit Frau wiedergegeben<br />
habe.<br />
197<br />
Vers 13: Oder: »Was hast du da getan?« Swedenborg hat: »Quare hoc fecisti? (Warum hast du<br />
das getan?)«.<br />
198<br />
Vers 14: Die hebräis<strong>ch</strong>e Präposition »min« kann au<strong>ch</strong> komparativis<strong>ch</strong> verstanden werden: »…<br />
verflu<strong>ch</strong>ter bist du als alle Tiere und alles Wild des Feldes«. Eine weitere Mögli<strong>ch</strong>keit s<strong>ch</strong>lägt<br />
Gesenius vor: »… verstoßen bist du von allem Getier und von allem Wild des Feldes« (Hebräis<strong>ch</strong>es<br />
und Aramäis<strong>ch</strong>es Handwörterbu<strong>ch</strong> über das Alte Testament, 1962, Seite 68).<br />
199<br />
Vers 16: Swedenborg hat »et conceptum tuum (und deine Empfängnis)«. Seebass meint jedo<strong>ch</strong>:<br />
»Die übli<strong>ch</strong> werdende Herleitung des ›heron‹ im MT von der Wurzel ›hrh‹ ›s<strong>ch</strong>wanger<br />
sein /werden‹ s<strong>ch</strong>eint mir verfehlt, vor allem weil neben ›S<strong>ch</strong>merzen‹ ein paralleles Wort nötig<br />
ist … Unter den alten Übersetzungen hat nur LXX [die Septuaginta] mit ›hägjonek‹ [dein<br />
Stöhnen] einen sinnvollen Text« (Genesis 1: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 100).<br />
200<br />
Vers 16: Die meisten Übersetzungen geben »banim« (Grundbedeutung: Söhne) mit »Kinder«<br />
wieder, um weibli<strong>ch</strong>e Na<strong>ch</strong>kommen ni<strong>ch</strong>t auszus<strong>ch</strong>ließen.<br />
201<br />
Vers 16: Swedenborg übersetzt »tes<strong>ch</strong>uqa« mit oboedientia (Gehorsam). Bei Sebastian<br />
S<strong>ch</strong>midt fand er desiderium (Verlangen). Gesenius gibt als Bedeutung dieses nur dreimal in<br />
der hebräis<strong>ch</strong>en Bibel vorkommenden Wortes an: »Trieb, bes. Zug des Weibes n. d. Manne«<br />
(Hebräis<strong>ch</strong>es und Aramäis<strong>ch</strong>es Handwörterbu<strong>ch</strong> über das Alte Testament, 1962, Seite 891).<br />
202<br />
Vers 16: Die Partikel »we« (und) kann hier eine folgernde Funktion haben (Wolfgang S<strong>ch</strong>neider,<br />
Grammatik des biblis<strong>ch</strong>en Hebräis<strong>ch</strong>, 1989, 53.1.3.2), so dass zu übersetzen wäre: »…<br />
und dein Verlangen wird auf deinem Mann geri<strong>ch</strong>tet sein, so dass er über di<strong>ch</strong> herrs<strong>ch</strong>en<br />
wird.«
Beoba<strong>ch</strong>tungen zu Genesis 3 99<br />
17. Und zum Mens<strong>ch</strong>en spra<strong>ch</strong> er: »Weil du auf die Stimme deiner Frau gehört und<br />
von dem Baum gegessen hast, von dem i<strong>ch</strong> dir geboten hatte: Du sollst ni<strong>ch</strong>t davon<br />
essen!: Verflu<strong>ch</strong>t ist das Erdrei<strong>ch</strong> um deinetwillen, mit S<strong>ch</strong>merzen 203 sollst du von ihm<br />
essen alle Tage deines Lebens. 18. Dornen und Disteln lässt er dir sprossen, und das<br />
Kraut des Feldes 204 wirst du essen. 19. Im S<strong>ch</strong>weiße deines Angesi<strong>ch</strong>ts wirst du (dein)<br />
Brot essen, bis zu deiner Rückkehr zum Erdrei<strong>ch</strong>, von dem du ja genommen wurdest,<br />
denn Staub bist du, und zum Staub wirst du zurückkehren.«<br />
20. Und der Mens<strong>ch</strong> nannte den Namen seiner Frau Eva 205 , denn sie wurde die<br />
Mutter allen Lebens. 21. Und Jahwe Gott ma<strong>ch</strong>te dem Mens<strong>ch</strong>en und seiner Frau<br />
Röcke aus Fell 206 und bekleidete sie. 22. Und Jahwe Gott spra<strong>ch</strong>: »Siehe, der Mens<strong>ch</strong><br />
ist geworden 207 wie einer von uns, indem er Gut und Böse erkennt. Dass er nun aber<br />
ni<strong>ch</strong>t seine Hand ausstrecke und au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> vom Baum des Lebens nehme und esse<br />
und ewig lebe! 208 « 23. Und Jahwe Gott s<strong>ch</strong>ickte ihn aus dem Garten Eden fort, um<br />
das Erdrei<strong>ch</strong> zu bebauen (oder: um dem Erdrei<strong>ch</strong> zu dienen), von dem er genommen<br />
war 209 . 24. Und er vertrieb den Mens<strong>ch</strong>en und ließ östli<strong>ch</strong> vom Garten Eden<br />
die Kerubim si<strong>ch</strong> lagern und die Flamme des si<strong>ch</strong> wendenden 210 S<strong>ch</strong>wertes, um<br />
den Weg zum Baum des Lebens zu bewa<strong>ch</strong>en.<br />
Die Auslegung der einzelnen Verse<br />
Vers 1: Und die S<strong>ch</strong>lange war klüger (od. listiger) als alles Wild des Feldes, das<br />
Jahwe Gott gema<strong>ch</strong>t hatte, und sie spra<strong>ch</strong> zum Weib: »Hat Gott wirkli<strong>ch</strong> gesagt: Von<br />
allen Bäumen des Gartens dürft ihr ni<strong>ch</strong>t essen (oder: Ni<strong>ch</strong>t von allen Bäumen des<br />
Gartens dürft ihr essen)?«<br />
203<br />
Vers 17: Swedenborg, der im allgemeinen zu einer Wort-für-Wort-Übersetzung neigt, gibt<br />
hier ein hebräis<strong>ch</strong>es Wort (‘iz'z'abon) mit zwei lateinis<strong>ch</strong>en wieder: »in magno dolore (in<br />
großen S<strong>ch</strong>merzen)«. Sonst ist »Mühsal« als Übersetzung übli<strong>ch</strong>.<br />
204<br />
Vers 18: In seiner Übersetzung hat Swedenborg »herba agri«. Gemäß HG 274 versteht er<br />
darunter »pabulum agreste« (Feldfutter).<br />
205<br />
Vers 20: Die Septuaginta (= LXX), das ist die altgrie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Übersetzung der hebräis<strong>ch</strong>en<br />
Bibel, hat »Zoe« (Leben).<br />
206<br />
Vers 21: Das hebräis<strong>ch</strong>e Wort für Fell (‘or) klingt wie das hebräis<strong>ch</strong>e Wort für Li<strong>ch</strong>t (’or), es<br />
wird aber anders ges<strong>ch</strong>rieben.<br />
207<br />
Vers 22: Die neukir<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Bibeln (LEO und LUD) haben »war«, wohl weil Swedenborg »fuit«<br />
hat. In der Auslegung HG 298 s<strong>ch</strong>reibt er jedo<strong>ch</strong>: »quod homo ›sciverit bonum et malum‹ significat<br />
quod caelestis factus (dass der Mens<strong>ch</strong> ›das Gute und das Böse‹ erkannt hat, bedeutet,<br />
dass er himmlis<strong>ch</strong> geworden ist)«.<br />
208<br />
Vers 22: Dass ist offenbar kein vollständiger Satz. Seebass hat: »Und nun: Damit er ni<strong>ch</strong>t<br />
seine Hand ausstreckt und au<strong>ch</strong> vom Baum des Lebens nimmt, ißt und für immer lebt …!«<br />
(Genesis 1: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 100).<br />
209<br />
Vers 23: »… um das Erdrei<strong>ch</strong> zu bebauen, von dem er genommen war«: Na<strong>ch</strong> Genesis 2,7<br />
wurde der Mens<strong>ch</strong> genau genommen »aus Staub vom Erdrei<strong>ch</strong>« gebildet.<br />
210<br />
Vers 24: Swedenborg hat »et flammam gladii vertentis se (und die Flamme des si<strong>ch</strong> wendenden<br />
S<strong>ch</strong>wertes)«. »Si<strong>ch</strong> wenden« wird bei Gesenius als Bedeutung des hebräis<strong>ch</strong>en Verbs angegeben<br />
(Hebräis<strong>ch</strong>es und Aramäis<strong>ch</strong>es Handwörterbu<strong>ch</strong> über das Alte Testament, 1962).<br />
Übli<strong>ch</strong> sind jedo<strong>ch</strong> die Übersetzungen »zuckend« (ELB, ZUR), »kreisend« (MEN), »blitzend«<br />
(LUT) oder »lodernd« (EIN).
100 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Genesis 3 muss vor dem Hintergrund des Herrs<strong>ch</strong>aftsauftrag von Genesis 1 gelesen<br />
werden. Dort heißt es: »Sie sollen herrs<strong>ch</strong>en über die Fis<strong>ch</strong>e des Meeres und<br />
über die Vögel des Himmels und über das Vieh und über die ganze Erde und über<br />
alle krie<strong>ch</strong>enden Tiere, die auf der Erde krie<strong>ch</strong>en!« (Genesis 1,26). »… und herrs<strong>ch</strong>t<br />
über die Fis<strong>ch</strong>e des Meeres und über die Vögel des Himmels und über alle Tiere,<br />
die auf der Erde krie<strong>ch</strong>en!« (Genesis 1,28). In diesen beiden Versen werden die<br />
krie<strong>ch</strong>enden Tiere in besonderer Weise hervorgehoben. Ist das ein Vorblick auf<br />
Genesis 3? Die S<strong>ch</strong>lange ist jedenfalls das erste Tier, das der Herrs<strong>ch</strong>aft dur<strong>ch</strong><br />
den Mens<strong>ch</strong>en entgleitet.<br />
Na<strong>ch</strong> Swedenborg ist die S<strong>ch</strong>lange ein Sinnbild für »das Sinnli<strong>ch</strong>e des Mens<strong>ch</strong>en<br />
(sensuale hominis)« (HG 194) 211 . »Denn wie die S<strong>ch</strong>langen der Erde am nä<strong>ch</strong>sten<br />
sind, so ist das Sinnli<strong>ch</strong>e dem Körper am nä<strong>ch</strong>sten« (HG 195). Den sinnli<strong>ch</strong>en<br />
Mens<strong>ch</strong>en <strong>ch</strong>arakterisiert Swedenborg so: »Ein sinnli<strong>ch</strong>er Mens<strong>ch</strong> heißt der, der<br />
nur aus dem denkt, was er im Gedä<strong>ch</strong>tnis aus der Welt hat, und der gegen das<br />
Inwendige hin ni<strong>ch</strong>t erhoben werden kann.« (HG 10236). Swedenborgs Deutung<br />
der S<strong>ch</strong>lange muss im Hinblick auf den Sensualismus bzw. Empirismus seiner<br />
Zeit gesehen werden. Die Nähe der S<strong>ch</strong>lange zur Erde ist im mythologis<strong>ch</strong>en<br />
Denken verbreitet. Bei den Ägyptern ist die Erde das Rei<strong>ch</strong> der S<strong>ch</strong>lange. »›Erdsohn‹<br />
ist darum eine weit verbreitete Bezei<strong>ch</strong>nung wirkli<strong>ch</strong>er wie göttli<strong>ch</strong>er<br />
S<strong>ch</strong>langen.« 212<br />
Bereits im Bu<strong>ch</strong> der Weisheit wird die S<strong>ch</strong>lange mit dem Teufel identifiziert:<br />
»Do<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt, und ihn erfahren alle,<br />
die ihm angehören.« (Weis 2,24). Demgegenüber verdient die Beoba<strong>ch</strong>tung Bea<strong>ch</strong>tung,<br />
dass die S<strong>ch</strong>lange wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> zu den von Gott ges<strong>ch</strong>affenen Tieren gehört,<br />
so sah es jedenfalls Gerhard von Rad: »Die S<strong>ch</strong>lange … ist als eines der von<br />
Gott ers<strong>ch</strong>affenen Tiere (2,19) bezei<strong>ch</strong>net; sie ist also im Sinne des Erzählers ni<strong>ch</strong>t<br />
die Symbolisierung einer ›dämonis<strong>ch</strong>en‹ Ma<strong>ch</strong>t und gewiß ni<strong>ch</strong>t des Satans.« 213<br />
I<strong>ch</strong> bin geneigt, mi<strong>ch</strong> dieser Meinung anzus<strong>ch</strong>ließen, au<strong>ch</strong> wenn der S<strong>ch</strong>luss, den<br />
von Rad aus Vers 1 zieht, ni<strong>ch</strong>t zwingend ist. 214 Festzuhalten ist aber, dass au<strong>ch</strong><br />
Swedenborg in der S<strong>ch</strong>lange von Genesis 3 ni<strong>ch</strong>t den Teufel, sondern das Sinnli<strong>ch</strong>e<br />
sah. Es ist an si<strong>ch</strong> ebensowenig böse wie das Feuer, obglei<strong>ch</strong> es dur<strong>ch</strong> fals<strong>ch</strong>e<br />
Handhabung eine verheerende Wirkung entfalten kann. Von bösen Mens<strong>ch</strong>en<br />
211<br />
Die Begriffe Sinn, Sinne und Sinnli<strong>ch</strong>keit bestehen aus den Konsonanten SNN, die eine<br />
S<strong>ch</strong>langen- bzw. Wellenform haben. Es gibt ein Verb »na<strong>ch</strong>as<strong>ch</strong>«, das »bes<strong>ch</strong>wören«, »Wahrsagerei<br />
treiben«, »als Omen nehmen« bedeutet. Hängt »S<strong>ch</strong>lange« (= na<strong>ch</strong>as<strong>ch</strong>) damit zusammen?<br />
212<br />
Hans Bonnet, Reallexikon der ägyptis<strong>ch</strong>en Religionsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, 2000, Seite 682. Vgl. au<strong>ch</strong><br />
Manfred Lurker: »Der Erde und den Erdgottheiten zugehörig, ist sie [die S<strong>ch</strong>lange] Gegenspieler<br />
des himmlis<strong>ch</strong>en Vogels« (Wörterbu<strong>ch</strong> der Symbolik, 1985, 601).<br />
213<br />
Gerhard von Rad, Das erste Bu<strong>ch</strong> Mose: Genesis, 1987, Seite 61.<br />
214<br />
Kann man aus Vers 1 wirkli<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong>er s<strong>ch</strong>ließen, dass die S<strong>ch</strong>lange zu den von Gott ges<strong>ch</strong>affenen<br />
Tieren gehört? Vers 1 könnte au<strong>ch</strong> besagen, dass die S<strong>ch</strong>lange klüger war als alle Tiere<br />
aus der Gruppe der von Gott ges<strong>ch</strong>affenen Tiere.
Beoba<strong>ch</strong>tungen zu Genesis 3 101<br />
und Lügnern heißt es in der Bibel: »Sie haben ihre Zunge (oder Spra<strong>ch</strong>e) ges<strong>ch</strong>ärft<br />
wie eine S<strong>ch</strong>lange. Viperngift ist unter ihren Lippen.« (Ps 140,4). »Gift haben sie<br />
glei<strong>ch</strong> dem Gift der S<strong>ch</strong>lange, wie eine taube Viper, die ihr Ohr vers<strong>ch</strong>ließt.« (Ps<br />
58,5).<br />
Die S<strong>ch</strong>lange hat in der Mythologie au<strong>ch</strong> eine gute Bedeutung. Das si<strong>ch</strong> häutende<br />
und regenerierende Tier verweist auf wieder gesundendes Leben (siehe das Arztsymbol)<br />
und auf Unsterbli<strong>ch</strong>keit 215 . Die Häutung oder die Fähigkeit, in eine neue<br />
Haut zu s<strong>ch</strong>lüpfen, ist ein Ausdruck von Wandlungsfähigkeit und Regeneration<br />
und hängt eng mit dem Sinnli<strong>ch</strong>en zusammen. Für den Übersetzer von Genesis 3<br />
stellt si<strong>ch</strong> die Frage: Soll ‘arum mit klug oder listig übersetzt werde? Jesus sah in<br />
der S<strong>ch</strong>lange offenbar ein Sinnbild für die Klugheit: »Siehe, i<strong>ch</strong> sende eu<strong>ch</strong> wie<br />
S<strong>ch</strong>afe mitten unter Wölfe; so seid nun klug wie die S<strong>ch</strong>langen und einfältig wie<br />
die Tauben.« (Mt 10,16). Als Personifikation der Klugheit steht sie in Beziehung<br />
zum Baum der Erkenntnis; Swedenborg nennt ihn »arbor scientiae«, das heißt<br />
Baum des Wissens. Im Bu<strong>ch</strong> der Spri<strong>ch</strong>wörter empfiehlt der Weise seinen S<strong>ch</strong>ülern<br />
Klugheit (Prov 12,16.23; 13,16; 14,8.15.18; 22,3 = 27,12). Aus dem Berei<strong>ch</strong><br />
der Mythologie ist die Uräuss<strong>ch</strong>lange bekannt. »Die alles Böse abwehrende glutspeiende<br />
S<strong>ch</strong>lange wird als feuriges Auge des Sonnengottes Re bezei<strong>ch</strong>net.« 216<br />
Viellei<strong>ch</strong>t sollte man daher in der S<strong>ch</strong>lange ni<strong>ch</strong>t sofort den Teufel und seine List<br />
sehen, sondern die mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Klugheit, die auf der sinnli<strong>ch</strong>en Welterfahrung<br />
beruht. Diese Klugheit ist allerdings ein Truggebilde; Swedenborg meint: »Eigene<br />
Klugheit gibt es gar ni<strong>ch</strong>t; es s<strong>ch</strong>eint nur so, als gebe es sie« (GV 191). Die eigene<br />
Klugheit ist ein s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter Berater, das zeigt Genesis 3. Das hebräis<strong>ch</strong>e Wort für<br />
klug (‘arum) klingt an das hebräis<strong>ch</strong>e Wort für nackt (‘erom) an. Denn die Klugheit<br />
ist die eigenmens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Erkenntnis aus der sinnli<strong>ch</strong>en Weltwahrnehmung.<br />
In seiner auf Empirie gegründeten Klugheit ist der Mens<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mit höherer<br />
Weisheit bekleidet. Er ist nackt, das heißt auf seine eigene Intelligenz reduziert.<br />
Die Stellung des Wört<strong>ch</strong>ens »ni<strong>ch</strong>t« ents<strong>ch</strong>eidet über den Sinn der Frage. Mögli<strong>ch</strong><br />
sind die Übersetzungen »von allen ni<strong>ch</strong>t«, dann ist ein totales Verbot gemeint,<br />
oder »ni<strong>ch</strong>t von allen«, dann ist nur ein teilweises Verbot gemeint 217 . Die Doppeldeutigkeit<br />
kann mit der Doppelzüngigkeit der S<strong>ch</strong>lange in Verbindung gebra<strong>ch</strong>t<br />
werden. Zum Wesen der S<strong>ch</strong>lange gehört die s<strong>ch</strong>einbar harmlose Infragestellung,<br />
das Erregen von Zweifel; in dem Wort »Zweifel« ist die Zahl Zwei enthalten. Swedenborg<br />
äußert si<strong>ch</strong> kritis<strong>ch</strong> zur Ob-Frage: »Solange man bei der Streitfrage, ob es<br />
sei und ob es so sei, stehen bleibt, kann man in der Weisheit keinerlei Forts<strong>ch</strong>ritte<br />
ma<strong>ch</strong>en. … Die heutige Bildung geht über diese Grenzen, nämli<strong>ch</strong> ob es sei und ob<br />
es so sei, kaum hinaus. Deswegen sind ihre Vertreter au<strong>ch</strong> von der Einsi<strong>ch</strong>t in das<br />
Wahre ausges<strong>ch</strong>lossen.« (HG 3428; vgl. au<strong>ch</strong> HH 183). Unabhängig von der Dop-<br />
215<br />
Manfred Lurker, Wörterbu<strong>ch</strong> der Symbolik, 1985, Seite 601.<br />
216<br />
Manfred Lurker, Lexikon der Götter und Symbole der alten Ägypter, 1998, Seite 219.<br />
217<br />
Horst Seebass, Genesis 1: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 120.
102 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
peldeutigkeit gibt die S<strong>ch</strong>lange den Worten Gottes die Bedeutung eines Verbots.<br />
In Genesis 2,16f liegt der Akzent jedo<strong>ch</strong> zunä<strong>ch</strong>st einmal auf der Erlaubnis. Die<br />
S<strong>ch</strong>lange beginnt mit der Infragestellung eines Sa<strong>ch</strong>verhalts, den das Weib ni<strong>ch</strong>t<br />
aus eigener, unmittelbarer Erfahrung kennt. Was vorher klar s<strong>ch</strong>ien, wird nun<br />
hinterfragt und somit zweifelhaft.<br />
Die Verse 2 und 3: 2. Und das Weib spra<strong>ch</strong> zur S<strong>ch</strong>lange: »Von den Frü<strong>ch</strong>ten der<br />
Bäume im Garten dürfen wir essen. 3. Aber von den Frü<strong>ch</strong>ten des Baumes in der Mitte<br />
des Gartens hat Gott gesagt: Ihr dürft ni<strong>ch</strong>t von ihnen essen und sie ni<strong>ch</strong>t anrühren,<br />
damit ihr ni<strong>ch</strong>t sterbt.«<br />
Unter dem Weib ist »das Eigene« (HG 194) zu verstehen, das heißt der Mens<strong>ch</strong><br />
im Bewusstsein seiner I<strong>ch</strong>haftigkeit, in der er besonders anfällig für das Vertrauen<br />
auf die eigene Klugheit ist. Somit stehen si<strong>ch</strong> mit S<strong>ch</strong>lange und Weib die ri<strong>ch</strong>tigen<br />
Gesprä<strong>ch</strong>spartner gegenüber. Friedri<strong>ch</strong> Weinreb hat darauf hingewiesen,<br />
dass die Zahlenwerte für S<strong>ch</strong>lange (300-8-50), Fall (50-80-30) und Seele (300-80-<br />
50) Gemeinsamkeiten aufweisen. 218 Daher könnte man unter dem Weib au<strong>ch</strong> das<br />
rein Seelis<strong>ch</strong>e des Mens<strong>ch</strong>en verstehen, das geneigt ist, den fünf Sinnen zu vertrauen,<br />
obwohl es do<strong>ch</strong> vom göttli<strong>ch</strong>en Geist dur<strong>ch</strong>drungen werden soll.<br />
Das Weib kennt das Gebot Gottes nur vom Hörensagen. Sie ist daher wie der sinnli<strong>ch</strong>e<br />
Mens<strong>ch</strong>, der aus dem Gedä<strong>ch</strong>tnis antworten muss, weil er ni<strong>ch</strong>t auf dem<br />
festen Boden der unmittelbaren Gotteserfahrung steht (vgl. HG 10236). Daher<br />
sind die Unters<strong>ch</strong>iede zum ursprüngli<strong>ch</strong>en Wortlaut der Worte Gottes eine Untersu<strong>ch</strong>ung<br />
wert. In Genesis 2,16f. sagte Jahwe Gott: »Von jedem Baum des Gartens<br />
darfst du essen; aber vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, davon<br />
darfst du ni<strong>ch</strong>t essen; denn an dem Tag, da du davon isst, musst du sterben!« Das<br />
Weib gibt das Gebot Gottes im Großen und Ganzen ri<strong>ch</strong>tig wieder, aber mit einigen<br />
<strong>ch</strong>arakteristis<strong>ch</strong>en Unters<strong>ch</strong>ieden. Es hebt die generelle Erlaubnis hervor und<br />
übernimmt somit ni<strong>ch</strong>t die Unterstellung des Verbots. Die wi<strong>ch</strong>tigsten Unters<strong>ch</strong>iede<br />
s<strong>ch</strong>einen mir die folgenden zu sein: 1.) Der Begriff »Frü<strong>ch</strong>te« tau<strong>ch</strong>t auf<br />
(das muss mit Vers 6 in Verbindung gebra<strong>ch</strong>t werden). 2.) Der Baum der Erkenntnis<br />
des Guten und Bösen ist in den Augen des Weibes der Baum in der Mitte<br />
des Gartens. Der Wortlaut von Genesis 2,9 ist ni<strong>ch</strong>t eindeutig. Es heißt: »und den<br />
Baum des Lebens in der Mitte des Gartens, und den Baum der Erkenntnis des<br />
Guten und Bösen.« Seebass 219 und von Rad 220 gehen davon aus, dass beide Bäume<br />
in der Mitte des Gartens stehen. Na<strong>ch</strong> Swedenborg HG 200 steht jedo<strong>ch</strong> in Gen<br />
2,9 nur der Baum des Lebens in der Mitte des Gartens, während in Gen 3,2 der<br />
Baum der Erkenntnis in den Mittelpunkt rückt. 3.) Das Weib verstärkt übereifrig<br />
das Verbot Gottes, indem es au<strong>ch</strong> das Anrühren auss<strong>ch</strong>ließt. Man hat den Ein-<br />
218<br />
Friedri<strong>ch</strong> Weinreb, S<strong>ch</strong>öpfung im Wort: Die Struktur der Bibel in jüdis<strong>ch</strong>er Überlieferung,<br />
2002, Seite 79.<br />
219<br />
Horst Seebass, Genesis 1: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 108.<br />
220<br />
Gerhard von Rad, Das erste Bu<strong>ch</strong> Mose: Genesis, 1987, Seite 54.
Beoba<strong>ch</strong>tungen zu Genesis 3 103<br />
druck, als wehre si<strong>ch</strong> das Weib gegen das Andrängen der S<strong>ch</strong>lange im ängstli<strong>ch</strong>en<br />
Wissen um seine Anfälligkeit und S<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>e, die in der Folge tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> offenbar<br />
wird.<br />
Die Verse 4 und 5: 4. Und die S<strong>ch</strong>lange spra<strong>ch</strong> zum Weib: »Ihr werdet keineswegs<br />
sterben. 5. Sondern Gott weiß, dass eu<strong>ch</strong> die Augen aufgehen werden und ihr wie Gott<br />
sein und Gut und Böse erkennen werdet, sobald ihr davon esst (wörtli<strong>ch</strong>: an dem Tag,<br />
da ihr von ihnen esst).«<br />
Mit »Ihr werdet keineswegs sterben« widerspri<strong>ch</strong>t die S<strong>ch</strong>lange dem Weib, das die<br />
Worte Gottes von Genesis 2,17 weitergegeben hat. Nun steht Aussage gegen Aussage.<br />
Do<strong>ch</strong> die S<strong>ch</strong>lange belässt es ni<strong>ch</strong>t beim Widerspru<strong>ch</strong>, sondern stellt eine<br />
Gegenthese auf. Der angebli<strong>ch</strong> wahre Sa<strong>ch</strong>verhalt ist folgender: Dem Mens<strong>ch</strong>enpaar<br />
werden die Augen aufgehen und sie werden sein wie Gott. Gott will also das<br />
Mens<strong>ch</strong>enpaar daran hindern zu werden wie er. Die Unterstellung von Neid untergräbt<br />
das Vertrauen in die Güte und Fürsorge Gottes.<br />
Ein Problem ergibt si<strong>ch</strong> in Verbindung mit Vers 22. Dort sagt Jahwe Gott: »Siehe,<br />
der Mens<strong>ch</strong> ist geworden wie einer von uns«. Jahwe Gott gibt der S<strong>ch</strong>lange demna<strong>ch</strong><br />
im Na<strong>ch</strong>hinein Re<strong>ch</strong>t. Na<strong>ch</strong> Genesis 1,26 soll der Mens<strong>ch</strong> Bild und Ähnli<strong>ch</strong>keit<br />
Gottes sein, und gemäß Vers 22 ist er wie Gott. Gönnt Gott dem Mens<strong>ch</strong>en<br />
nun also ni<strong>ch</strong>t mehr die Gottebenbildli<strong>ch</strong>keit? Na<strong>ch</strong> Genesis 1,26 zeigt si<strong>ch</strong> die<br />
Gottebenbildli<strong>ch</strong>keit in der Herrs<strong>ch</strong>aft über die Tiere (Lebenstriebe). Das Sein wie<br />
Gott in Genesis 2 verwirkli<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong>, indem eines der Tiere der Herrs<strong>ch</strong>aft<br />
des Mens<strong>ch</strong>en entgleitet.<br />
Das Gesprä<strong>ch</strong> der S<strong>ch</strong>lange mit dem Weib endet ni<strong>ch</strong>t mit der direkten Aufforderung,<br />
vom Baum der Erkenntnis zu essen. Do<strong>ch</strong> alles ist so arrangiert, dass das<br />
Weib zugreifen wird. Darin zeigt si<strong>ch</strong> die Suggestivkraft der sinnli<strong>ch</strong>en Selbstberedung.<br />
Sie erzeugt einen Sog, von der das I<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>lungen wird, obwohl der<br />
letzte S<strong>ch</strong>ritt dem I<strong>ch</strong> selbst überlassen bleibt.<br />
Vers 6: Und das Weib sah, dass der Baum gut zur Speise und dass er eine Lust für<br />
die Augen und dass der Baum begehrenswert war, Einsi<strong>ch</strong>t zu geben. Und sie<br />
nahm von seiner Fru<strong>ch</strong>t und aß. Und sie gab au<strong>ch</strong> ihrem Mann bei ihr, und er aß.<br />
Die Rede der S<strong>ch</strong>lange entfaltet nun wie ein Gift seine Wirkung in der Psy<strong>ch</strong>e des<br />
Weibes. Auf »Und das Weib sah« folgen zwei Dass-Sätze. Der erste Dass-Satz (»gut<br />
zur Speise«) ist eingliedrig und greift das Speisethema auf. Der zweite Dass-Satz<br />
ist zweigliedrig (»Lust für die Augen« und »begehrenswert«) und bes<strong>ch</strong>reibt die<br />
Steigerung bis zur Aktion. Der erste Dass-Satz spiegelt die Rede der S<strong>ch</strong>lange aus<br />
Vers 5. Der erste Teil des zweiten Dass-Satzes sagt aus, dass der Baum daher mit<br />
lüsternen Augen angesehen wird (es heißt ni<strong>ch</strong>t: Lust für die Zunge). Der zweite<br />
Teil des zweiten Dass-Satzes besagt: Das Verlangen na<strong>ch</strong> Einsi<strong>ch</strong>t lässt den Baum<br />
begehrenswert ers<strong>ch</strong>einen. Na<strong>ch</strong> Swedenborg HG 209 beziehen si<strong>ch</strong> die drei Aussagen<br />
(bona, appetibilis, desiderabilis) in den zwei Dass-Sätzen auf den Willen.
104 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Das Wallen der Gedanken reift zur Tat. Das Weib wird aktiv, s<strong>ch</strong>afft Tatsa<strong>ch</strong>en.<br />
Der Mann folgt ihr merkwürdig inaktiv na<strong>ch</strong>, wie eine Spielfigur in der Hand seiner<br />
Gebieterin. So verwirkli<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>, was in Genesis 2,24 angelegt war: »Darum<br />
wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhängen,<br />
und sie werden zu einem Fleis<strong>ch</strong> werden.« Die Anhängli<strong>ch</strong>keit oder das Kleben<br />
am Weib lässt dem Mann nur die Wahl, die Ents<strong>ch</strong>eidungen des Weibes<br />
glei<strong>ch</strong>sam willenlos na<strong>ch</strong>zuvollziehen. Unter dem Mann, der si<strong>ch</strong> so sehr unter<br />
die Obhut seines Eigenen begeben hat, ist na<strong>ch</strong> Swedenborg »das Vernünftige« zu<br />
verstehen (HG 207).<br />
In der <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>en Tradition denkt man beim Baum der Erkenntnis zumeist an<br />
einen Apfelbaum und bei der verbotenen Fru<strong>ch</strong>t an einen Apfel. Do<strong>ch</strong> älter sind<br />
die Ansi<strong>ch</strong>ten, dass es si<strong>ch</strong> um einen Feigenbaum (siehe Vers 7) oder um einen<br />
Weinstock (mit Blick auf Noahs Trunkenheit) gehandelt habe. Der Apfel ers<strong>ch</strong>eint<br />
als verbotene Fru<strong>ch</strong>t zuerst im 5. Jahrhundert in Gallien. Die Kenntnis der antiken<br />
Mythologie - konkret des Hesperidenmythos und des Erisapfels (des Zankapfels) -<br />
kann zu dieser Zeit zur Festigung der Vorstellung eines Apfels als der verbotenen<br />
Fru<strong>ch</strong>t beigetragen haben. Das Wortspiel mit der Affinität zwis<strong>ch</strong>en malum (Apfel)<br />
und malum (das Böse) ist jünger als das 5. Jahrhundert. 221<br />
Vers 7: Da gingen den beiden die Augen auf, und sie erkannten, dass sie nackt waren.<br />
Und sie flo<strong>ch</strong>ten Feigenblätter und ma<strong>ch</strong>ten si<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>urze.<br />
Es ist ni<strong>ch</strong>t anzunehmen, dass das Urpaar vorher ges<strong>ch</strong>lossene Augen hatte, denn<br />
in Vers 6 wird ja vom Weib gesagt, dass es sieht. Das Aufgehen oder die Öffnung<br />
der Augen ist im übertragenen Sinne zu verstehen als ein Akt der Bewusstwerdung<br />
einer vorher unbea<strong>ch</strong>teten Gegebenheit. Im Erzählzusammenhang geht es<br />
um die Bewusstwerdung der Nacktheit oder Blöße. Swedenborg weist darauf hin,<br />
dass die Augen im Wort für »den Verstand« und »eine innere Einspra<strong>ch</strong>e« stehen<br />
(HG 212).<br />
Wie verhält si<strong>ch</strong> das Ergebnis des Essens zur Verheißung der S<strong>ch</strong>lange? Die Augen<br />
gehen tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> auf. Aber wie ist die Erkenntnis der Nacktheit zu beurteilen?<br />
Steht sie in einem erkennbaren Zusammenhang mit dem Sein wie Gott? Vers<br />
22 rät dazu, einen sol<strong>ch</strong>en zu su<strong>ch</strong>en, denn Jahwe Gott sagt dort: »Siehe, der<br />
Mens<strong>ch</strong> ist geworden wie einer von uns, indem er Gut und Böse erkennt.« Als<br />
Wissender (oder Erwa<strong>ch</strong>sener) ist der Mens<strong>ch</strong> wie Gott, nur führt diese Entlassung<br />
in die Selbständigkeit im Falle des Mens<strong>ch</strong>en zur Erkenntnis der ges<strong>ch</strong>öpfli<strong>ch</strong>en<br />
Blöße, das heißt zur Erkenntnis der eigenen Unzulängli<strong>ch</strong>keit des Mens<strong>ch</strong>en<br />
ohne Gott und ohne Wiedergeburt. In seiner Nacktheit ist der Mens<strong>ch</strong> wie Gott,<br />
indem er nun wie Gott auf sein eigenes Sein gestellt ist.<br />
Zur Bedeutung von nackt und Nacktheit verweist Swedenborg in HG 213 auf aufs<strong>ch</strong>lussrei<strong>ch</strong>e<br />
Bibelstellen. In Eze<strong>ch</strong>iel 23,29 heißt es gegen Oholiba (Jerusalem):<br />
221<br />
Hans Martin von Erffa, Ikonologie der Genesis, Band 1, 1989, Seiten 119-123.
Beoba<strong>ch</strong>tungen zu Genesis 3 105<br />
»Und sie werden voller Hass mit dir verfahren und all dein Erworbenes wegnehmen<br />
und di<strong>ch</strong> nackt (‘erom) und bloß (‘ärja) zurücklassen. Da sollen deine hureris<strong>ch</strong>e<br />
Blöße (‘ärwa) und deine S<strong>ch</strong>andtat und deine Hurereien aufgedeckt werden.«<br />
Deuteronomium 24,1: »Wenn ein Mann eine Frau nimmt und sie heiratet und es<br />
ges<strong>ch</strong>ieht, dass sie keine Gunst in seinen Augen findet, weil er etwas Anstößiges<br />
(wörtli<strong>ch</strong>: die Blöße = ‘ärwa einer Sa<strong>ch</strong>e) an ihr gefunden hat und er ihr einen<br />
S<strong>ch</strong>eidebrief ges<strong>ch</strong>rieben, ihn in ihre Hand gegeben und sie aus seinem Haus<br />
entlassen hat, …« Das Wort »‘ärwa« bedeutet sowohl Blöße als au<strong>ch</strong> Hässli<strong>ch</strong>keit<br />
222 . In der Johannesoffenbarung findet man die Verbindung von Nacktheit und<br />
S<strong>ch</strong>ande: »… rate i<strong>ch</strong> dir, von mir im Feuer geläutertes Gold zu kaufen, damit du<br />
rei<strong>ch</strong> wirst; und weiße Kleider, damit du bekleidet wirst und die S<strong>ch</strong>ande deiner<br />
Blöße ni<strong>ch</strong>t offenbar werde« (Offb 3,18). »Siehe, i<strong>ch</strong> komme wie ein Dieb. Glückselig,<br />
der wa<strong>ch</strong>t und seine Kleider bewahrt, damit er ni<strong>ch</strong>t nackt umhergehe und<br />
man ni<strong>ch</strong>t seine S<strong>ch</strong>ande sehe!« (Offb 16,15). Die Nacktheit legt die S<strong>ch</strong>am bzw.<br />
das Bes<strong>ch</strong>ämende bloß. Der Wuns<strong>ch</strong>, si<strong>ch</strong> zu bekleiden, zeigt, dass die Nacktheit<br />
für den Mens<strong>ch</strong>en nunmehr bes<strong>ch</strong>ämend ist. Er mö<strong>ch</strong>te seine Blöße vor si<strong>ch</strong> und<br />
anderen verbergen (vgl. dagegen Gen 2,25).<br />
Vers 8: Und sie hörten die Stimme von Jahwe Gott, die im Garten für si<strong>ch</strong> wandelte<br />
im Hau<strong>ch</strong> des Tages. Da versteckten si<strong>ch</strong> der Mens<strong>ch</strong> und seine Frau vor dem Angesi<strong>ch</strong>t<br />
von Jahwe Gott unter den Bäumen des Gartens.<br />
Na<strong>ch</strong> Swedenborg hören sie »die Stimme«, unter der »die Einspra<strong>ch</strong>e (dictamen)«<br />
zu verstehen ist, die »ein Rest des (ursprüngli<strong>ch</strong>en) Innewerdens« ist (HG 218).<br />
Na<strong>ch</strong> anderen Übersetzungen hören sie »die S<strong>ch</strong>ritte« (ZUR) oder »das Geräus<strong>ch</strong><br />
der S<strong>ch</strong>ritte« (MEN). Außerdem bezieht Swedenborg das Wandeln auf die Stimme<br />
(siehe HG 220: »vocem sibi euntem«) und deutet das Ganze so: »Unter ›der für<br />
si<strong>ch</strong> gehenden Stimme‹ ist zu verstehen, dass wenig Innewerden übrig war, dass<br />
sie glei<strong>ch</strong>sam für si<strong>ch</strong> allein war und ni<strong>ch</strong>t gehört wurde« (HG 220). Den Rest<strong>ch</strong>arakter<br />
stützt Swedenborg hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> auf den hebräis<strong>ch</strong>en Hitpael (= Reflexivum<br />
zum Piel) von gehen. Na<strong>ch</strong> Gesenius kann man unter der Stimme Gottes<br />
au<strong>ch</strong> den Donner verstehen (Ps 29,3ff., von Swedenborg in HG 219 angeführt).<br />
Das Verstecken in Vers 8 ist Ausdruck von Fur<strong>ch</strong>t (siehe Vers 10).<br />
Swedenborg übersetzt »rua<strong>ch</strong>« hier mit »aura« (Hau<strong>ch</strong>, leises Wehen) und gibt<br />
damit zu erkennen, dass er aus dem hebräis<strong>ch</strong>en Wort das kaum Vorhandene<br />
heraushört. Interessant ist, dass au<strong>ch</strong> die Vorstellung des Abends hineinspielen<br />
könnte: »Die Wendung ›Tageswind‹ enthält keine genaue Festlegung der Tageszeit,<br />
sondern die bloße Annehmli<strong>ch</strong>keit in der Hitze des Orients … Es liegt aber<br />
sehr nahe, wegen Hld 2,17; 4,6 (wenn der Tag verweht) an die Abendzeit zu denken<br />
(so LXX, Tg), da man dann im hl. Land eine fris<strong>ch</strong>e Brise vom Meer her erwar-<br />
222<br />
Wilhelm Gesenius, Hebräis<strong>ch</strong>es und Aramäis<strong>ch</strong>es Handwörterbu<strong>ch</strong> über das Alte Testament,<br />
1962, Seite 618.
106 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
tet …« 223 Daher tau<strong>ch</strong>t in einige Übersetzungen der Abend auf: »in der Abendkühle«<br />
(MEN), »beim Abendwind« (ZUR), bzw. die Kühle des Tages (gegen Abend hin):<br />
»in der Kühlung des Tages« (LEO, LUD), »bei der Kühle des Tages« (ELB). Swedenborg<br />
hat »ad auram diei (beim Hau<strong>ch</strong> des Tages)«. Der Abend unterstützt die Interpretation<br />
Swedenborgs, dass hier etwas vergeht.<br />
Die Verse 9 und 10: 9. Und Jahwe Gott rief na<strong>ch</strong> dem Mens<strong>ch</strong>en und spra<strong>ch</strong> zu<br />
ihm: »Wo bist du?« 10. Und er spra<strong>ch</strong>: »Deine Stimme hörte i<strong>ch</strong> im Garten. Da für<strong>ch</strong>tete<br />
i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong>, weil i<strong>ch</strong> nackt bin, und versteckte mi<strong>ch</strong>.«<br />
Die innere Stimme spri<strong>ch</strong>t. Indem sie das Gesprä<strong>ch</strong> mit »Wo bist du?« beginnt,<br />
ma<strong>ch</strong>t sie klar, dass si<strong>ch</strong> der Mens<strong>ch</strong> vor Gott ni<strong>ch</strong>t verstecken kann. Er wird aus<br />
seinem Versteck gerufen und muss si<strong>ch</strong> vor Gott erklären. Man bea<strong>ch</strong>te jedo<strong>ch</strong>:<br />
Ni<strong>ch</strong>t die verbotene Tat als sol<strong>ch</strong>e (das Essen von Baum der Erkenntnis) löst die<br />
Fur<strong>ch</strong>t aus, sondern die Nacktheit. Sie steht für die Erkenntnis der ges<strong>ch</strong>öpfli<strong>ch</strong>en<br />
Blöße. Nacktheit ist hier ni<strong>ch</strong>t Ausdruck von Natürli<strong>ch</strong>keit, sondern eines Naturzustandes,<br />
der erst no<strong>ch</strong> vervollkommnet werden muss. Na<strong>ch</strong> Swedenborg ist der<br />
Mens<strong>ch</strong> an si<strong>ch</strong>, das heißt in seiner ges<strong>ch</strong>öpfli<strong>ch</strong>en Nacktheit, ni<strong>ch</strong>ts als böse. Die<br />
Beurteilung des Naturzustandes ist in der Philosophie umstritten. Herbert Marcuse<br />
propagierte das Lustprinzip und die freie Triebbefriedigung. Arno Plack wollte<br />
die ursprüngli<strong>ch</strong>e Natur des Mens<strong>ch</strong>en ungehindert zur Entfaltung bringen 224 .<br />
Während Thomas Hobbes in seinem »Leviathan« den Naturzustand als einen<br />
Krieg aller gegen alle darstellt, vertritt Jean-Jacques Rousseau in seinem »Emile«<br />
die These, dass die mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Natur ursprüngli<strong>ch</strong> gut sei. 225 Der »materialistis<strong>ch</strong>e<br />
Imperativ« lautet: »Handle deiner Natur gemäß (dann handelst du automatis<strong>ch</strong><br />
gut)! Das Prinzip dieser Natur ist das Selbstinteresse, der amour propre, der<br />
in der Moral sein re<strong>ch</strong>t fordert.« 226<br />
Vers 11: Und er spra<strong>ch</strong>: »Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Du hast do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />
etwa von dem Baum gegessen, von dem zu essen i<strong>ch</strong> dir verboten habe?«<br />
Die beiden Fragen setzten die Kenntnis des Sa<strong>ch</strong>verhalts bereits voraus. Der Fragende<br />
geht davon aus, dass ein »wer« die Erkenntnis der Nacktheit angestoßen<br />
hat. Der Fragende geht au<strong>ch</strong> davon aus, dass der Mens<strong>ch</strong> vom Baum gegessen hat.<br />
Die Fragen dienen also ni<strong>ch</strong>t der Rekonstruktion eines unbekannten Sa<strong>ch</strong>verhalts.<br />
Es geht um die peinli<strong>ch</strong>e Erinnerung an eine verbotene Tat.<br />
Vers 12: Und der Mens<strong>ch</strong> spra<strong>ch</strong>: »Das Weib, das du mir beigesellt hast, das hat mir<br />
von dem Baum gegeben. Da habe i<strong>ch</strong> gegessen.«<br />
Der Mens<strong>ch</strong> leugnet den Sa<strong>ch</strong>verhalt ni<strong>ch</strong>t. Er ist ohnehin bekannt. Er bekennt<br />
si<strong>ch</strong> aber au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zu seiner Verantwortung. Stattdessen greift er die Frage na<strong>ch</strong><br />
223<br />
Horst Seebass, Genesis 1: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 123.<br />
224<br />
Annemarie Pieper, Einführung in die Ethik, 2000, Seite 269f.<br />
225<br />
Annemarie Pieper, a.a.O., Seite 139.<br />
226<br />
Annemarie Pieper, a.a.O., Seite 279.
Beoba<strong>ch</strong>tungen zu Genesis 3 107<br />
dem Wer (Vers 11) auf und beantwortet sie mit dem Hinweis auf das Weib. Auf<br />
sie wälzt er seine S<strong>ch</strong>uld ab, und indirekt s<strong>ch</strong>iebt er sogar Gott die S<strong>ch</strong>uld in die<br />
S<strong>ch</strong>uhe, indem er darauf hinweist, dass Gott ihm das Weib beigesellt habe (vgl.<br />
Gen 2,18.20: eine Hilfe wie bei ihm). Der Mens<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>t Gott für das hereingebro<strong>ch</strong>ene<br />
Unheil verantwortli<strong>ch</strong>. Das ist ein typis<strong>ch</strong> mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>es Verhalten. S<strong>ch</strong>uld<br />
sind immer die anderen. Jesus thematisiert es in der Bergpredigt mit den Worten:<br />
»Was aber siehst du den Splitter, der in deines Bruders Auge ist, den Balken aber<br />
in deinem Auge nimmst du ni<strong>ch</strong>t wahr?« (Mt 7,3).<br />
Vers 13: Und Jahwe Gott spra<strong>ch</strong> zum Weib: »Warum hast du das getan?« Und das<br />
Weib spra<strong>ch</strong>: »Die S<strong>ch</strong>lange hat mi<strong>ch</strong> verführt (oder getäus<strong>ch</strong>t). Da habe i<strong>ch</strong> gegessen.«<br />
Interessanterweise folgt Gott der S<strong>ch</strong>uldabwälzung. Letztli<strong>ch</strong> wird er selbst am<br />
Kreuz die Verantwortung für seine S<strong>ch</strong>öpfung übernehmen. Die Abwälzung der<br />
Verantwortung geht weiter. Das Weib rei<strong>ch</strong>t sie an die S<strong>ch</strong>lange weiter. Aus der<br />
Si<strong>ch</strong>t des Weibes hat die S<strong>ch</strong>lange getäus<strong>ch</strong>t oder betrogen (so au<strong>ch</strong> Paulus 2. Kor<br />
11,3). Do<strong>ch</strong> mit dieser Bemerkung stellt si<strong>ch</strong> das Weib dem eigentli<strong>ch</strong>en Sa<strong>ch</strong>verhalt<br />
ni<strong>ch</strong>t. Denn es hätte gar ni<strong>ch</strong>t essen sollen. Im Vordergrund steht für das<br />
Weib gar ni<strong>ch</strong>t die Übertretung des Verbots, sondern wohl eher die Enttäus<strong>ch</strong>ung<br />
über das Ergebnis der Tat. Das Weib deutet das Tun der S<strong>ch</strong>lange nun als Betrug<br />
oder Verführung. Do<strong>ch</strong> das kann kritis<strong>ch</strong> hinterfragt werden. Denn die Verheißung<br />
der Öffnung der Augen (Vers 5) geht tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> in Erfüllung (Vers 7). Aus<br />
dem Sein wie Gott wird allerdings nur die Reduktion auf das Nacktsein. Darauf<br />
beruht die Enttäus<strong>ch</strong>ung des Weibes. Diese Nacktheit deutet jedo<strong>ch</strong> Vers 22 als<br />
Sein wie Gott. Demna<strong>ch</strong> wäre also das verspro<strong>ch</strong>ene Ergebnis eingetroffen, nur<br />
eben anders als erwartet. Gott ist nackt, indem er reines Sein und aller Dinge bloß<br />
ist. Der Mens<strong>ch</strong> ist nun au<strong>ch</strong> nackt. Do<strong>ch</strong> ihm gerei<strong>ch</strong>t seine Nacktheit zur S<strong>ch</strong>am.<br />
Man könnte also die These wagen: Die S<strong>ch</strong>lange hat ni<strong>ch</strong>t getäus<strong>ch</strong>t. Ledigli<strong>ch</strong> die<br />
Erwartungen des Weibes gingen in die fals<strong>ch</strong>e Ri<strong>ch</strong>tung.<br />
Die Verse 14 und 15: 14. Und Jahwe Gott spra<strong>ch</strong> zur S<strong>ch</strong>lange: »Weil du das getan<br />
hast, verflu<strong>ch</strong>t bist du vor allen Tieren und vor allem Wild des Feldes. Auf deinem<br />
Bau<strong>ch</strong> sollst du krie<strong>ch</strong>en (wörtli<strong>ch</strong>: gehen), und Staub sollst du fressen alle Tage deines<br />
Lebens. 15. Und Feinds<strong>ch</strong>aft setze i<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en dir und dem Weib und zwis<strong>ch</strong>en<br />
deinem Samen (oder: Na<strong>ch</strong>wu<strong>ch</strong>s) und ihrem Samen. Er soll dir das Haupt zertreten<br />
und du wirst ihm die Ferse verletzen.«<br />
Gott wendet si<strong>ch</strong> an die S<strong>ch</strong>lange, die allerdings ni<strong>ch</strong>t mehr verhört wird. Auf der<br />
Ebene des Bu<strong>ch</strong>stabens wird gesagt, dass Gott verflu<strong>ch</strong>t. Sol<strong>ch</strong>e Aussagen dürfen<br />
jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t zu einem Bestandteil der theologis<strong>ch</strong>en Lehre gema<strong>ch</strong>t werden, sie<br />
sollen uns vielmehr Anlass zum kritis<strong>ch</strong>en Umgang mit der Bibel sein. Denn der<br />
Bu<strong>ch</strong>stabensinn enthält zuweilen »S<strong>ch</strong>einbarkeiten des Wahren« (HG 1043), das<br />
heißt er spiegelt zeitgenössis<strong>ch</strong>e Vorstellungen. Swedenborg erklärt den Sa<strong>ch</strong>verhalt<br />
in HG 245. Worin die Verflu<strong>ch</strong>ung besteht, geht aus dem Kontext hervor: Die<br />
S<strong>ch</strong>lange soll auf dem Bau<strong>ch</strong> krie<strong>ch</strong>en und Staub fressen. Im inneren Sinn ist da-
108 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
mit die Abkehr des Sinnli<strong>ch</strong>en vom Himmlis<strong>ch</strong>en und die Hinwendung zum Körperli<strong>ch</strong>en<br />
gemeint (HG 245). Staub sind »die feinen, losen Bestandteile der Oberflä<strong>ch</strong>e<br />
der Erde« 227 . Daher steht Staub für das Zusammenhangslose, das vom Geist<br />
ni<strong>ch</strong>t Ergriffene. Staub fressen wird in Genesis 3,14 und Jesaja 65,25 von der<br />
S<strong>ch</strong>lange und Mi<strong>ch</strong>a 7,17 und Psalm 72,9 von den besiegten Feinden ausgesagt 228 .<br />
Für »zertreten« und »verletzen« steht im Urtext dasselbe Verb. Swedenborg<br />
s<strong>ch</strong>ließt si<strong>ch</strong> dem Verständnis von Genesis 3,15 als Protevangelium an: »Niemandem<br />
ist heutzutage unbekannt, dass dies die erste Weissagung von der Ankunft<br />
des Herrn in die Welt ist« (HG 250). »Der Vers Gn 3,15 ist s<strong>ch</strong>on von Justinus (†<br />
165), besonders aber von Irenäus († um 202) heilsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> interpretiert worden.<br />
Seit den Kir<strong>ch</strong>envätern des 4. Jh. wird er auf Christus und auf Maria bezogen.«<br />
229 S<strong>ch</strong>on Römer 16,20 ist wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> auf Genesis 3,15 zu beziehen.<br />
Neben der textgemäßen <strong>ch</strong>ristologis<strong>ch</strong>en Deutung existiert die mariologis<strong>ch</strong>e Deutung<br />
(die Vulgata hat in Gen 3,15 ipsa) 230 . Die Feinds<strong>ch</strong>aft besteht in einem Verni<strong>ch</strong>tungskampf<br />
zwis<strong>ch</strong>en der Kir<strong>ch</strong>e bzw. dem Wort als dem Samen der Kir<strong>ch</strong>e<br />
und der sinnli<strong>ch</strong>en Weltma<strong>ch</strong>t oder zwis<strong>ch</strong>en Geist und Materie. Zu bea<strong>ch</strong>ten ist<br />
der Gegensatz zwis<strong>ch</strong>en Haupt (oben) und Ferse (unten). Hört Israel aus der Ferse<br />
den Namen Jakob heraus? Martin Buber gibt »Jaakob« in Genesis 25,26 mit »Fersehalt«<br />
und in Genesis 27,36 mit »Fersens<strong>ch</strong>lei<strong>ch</strong>er« wieder. Die Ferse steht na<strong>ch</strong><br />
HG 259 für »das unterste Natürli<strong>ch</strong>e und das Leibli<strong>ch</strong>e«.<br />
Vers 16: Zum Weib spra<strong>ch</strong> er: »Vermehren, ja vermehren will i<strong>ch</strong> deine S<strong>ch</strong>merzen<br />
und dein Stöhnen. Mit S<strong>ch</strong>merzen wirst du Söhne gebären, und (do<strong>ch</strong>) wird dein Verlangen<br />
auf deinem Mann geri<strong>ch</strong>tet sein, und er soll über di<strong>ch</strong> herrs<strong>ch</strong>en.«<br />
Die spezifis<strong>ch</strong>en Tätigkeiten von Frau (Vers 16) und Mann (Vers 17) werden<br />
peinvoller. Wieso bringt das Essen vom Baum der Erkenntnis S<strong>ch</strong>merzen bei der<br />
S<strong>ch</strong>wangers<strong>ch</strong>aft hervor? Swedenborg bezieht die Geburten auf das Hervorbringen<br />
von Wahrheiten (HG 263). Neue Wahrheiten können si<strong>ch</strong> oft nur na<strong>ch</strong> heftigen<br />
Kämpfen dur<strong>ch</strong>setzen. Und do<strong>ch</strong> - trotz dieses s<strong>ch</strong>merzhaften Prozesses - ist<br />
das Verlangen des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Geistes auf die Befru<strong>ch</strong>tung dur<strong>ch</strong> das Wahre<br />
geri<strong>ch</strong>tet. Das Verhältnis von Mann (das Vernünftige) und Frau (der mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e<br />
Geist in seiner Empfängli<strong>ch</strong>keit) soll dur<strong>ch</strong> Unterordnung und Gehorsam gekennzei<strong>ch</strong>net<br />
sein.<br />
Die Verse 17 bis 19: 17. Und zum Mens<strong>ch</strong>en spra<strong>ch</strong> er: »Weil du auf die Stimme<br />
deiner Frau gehört und von dem Baum gegessen hast, von dem i<strong>ch</strong> dir geboten hatte:<br />
227<br />
Wilhelm Gesenius, Hebräis<strong>ch</strong>es und Aramäis<strong>ch</strong>es Handwörterbu<strong>ch</strong> über das Alte Testament,<br />
1962, Seite 608.<br />
228<br />
Wilhelm Gesenius, a.a.O., Seite 608. Siehe au<strong>ch</strong> HG 249.<br />
229<br />
Hans Martin von Erffa, Ikonologie der Genesis, Band 1, 1989, Seite 226.<br />
230<br />
In der Vulgata lautet Genesis 3,15 so: »inimicitias ponam inter te et mulierem et semen tuum<br />
et semen illius ipsa conteret caput tuum et tu insidiaberis calcaneo eius« (Feinds<strong>ch</strong>aft will i<strong>ch</strong><br />
setzen zwis<strong>ch</strong>en dir und dem Weib und deinem Samen und ihrem Samen. Sie soll dein Haupt<br />
zertreten, und du sollst ihrer Ferse na<strong>ch</strong>stellen).
Beoba<strong>ch</strong>tungen zu Genesis 3 109<br />
Du sollst ni<strong>ch</strong>t davon essen!: Verflu<strong>ch</strong>t ist das Erdrei<strong>ch</strong> um deinetwillen, mit S<strong>ch</strong>merzen<br />
sollst du von ihm essen alle Tage deines Lebens. 18. Dornen und Disteln lässt er<br />
dir sprossen, und das Kraut des Feldes wirst du essen. 19. Im S<strong>ch</strong>weiße deines Angesi<strong>ch</strong>ts<br />
wirst du (dein) Brot essen, bis zu deiner Rückkehr zum Erdrei<strong>ch</strong>, von dem du ja<br />
genommen wurdest, denn Staub bist du, und zum Staub wirst du zurückkehren.«<br />
Gott erinnert den Mens<strong>ch</strong>en zunä<strong>ch</strong>st an den Tatbestand: Er hat auf die Stimme<br />
seiner Frau gehört und ni<strong>ch</strong>t auf das Gebot Gottes von Genesis 2,16f. Er hat von<br />
dem Baum gegessen, von dem er eigentli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t essen sollte. Do<strong>ch</strong> wieso trifft<br />
der Flu<strong>ch</strong> den Erdboden und ni<strong>ch</strong>t den Mens<strong>ch</strong>en? Vorher waren die Angespro<strong>ch</strong>enen<br />
- die S<strong>ch</strong>lange und das Weib - unmittelbar betroffen. Mit Swedenborg wird<br />
das verständli<strong>ch</strong>, denn das Erdrei<strong>ch</strong> steht für den äußeren Mens<strong>ch</strong>en (HG 268).<br />
»Mit S<strong>ch</strong>merzen vom Erdrei<strong>ch</strong> essen« und zwar »alle Tage des Lebens«, das ist die<br />
Bes<strong>ch</strong>reibung eines elenden Lebenszustandes (HG 270). Die Bebauung des Erdbodens<br />
ist na<strong>ch</strong> Genesis 2,5 die Bestimmung des Mens<strong>ch</strong>en. Do<strong>ch</strong> nun wird diese<br />
Bestimmung, die Kultivierung des äußeren Lebens dur<strong>ch</strong> den Geist, eine äußerst<br />
mühselige Angelegenheit. Im Alten Testament besteht au<strong>ch</strong> sonst eine S<strong>ch</strong>icksalsgemeins<strong>ch</strong>aft<br />
zwis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong> und Erde. Man denke nur an das Volk und<br />
das Land Israel.<br />
Die Dornen und Disteln in Vers 18 können mit den S<strong>ch</strong>merzen von Vers 17 in<br />
Beziehung gebra<strong>ch</strong>t werden. Das Kraut tau<strong>ch</strong>te s<strong>ch</strong>on in Genesis 1,29 als Nahrung<br />
für den Mens<strong>ch</strong>en auf. Hier hat es jedo<strong>ch</strong> die Bedeutung von »Feldfutter«<br />
(pabulum agreste). Feldfutter essen bedeutet »leben wie ein wildes Tier« (HG 274).<br />
Seebass weist auf einen Zusammenhang des Spru<strong>ch</strong>es für den Mens<strong>ch</strong>en mit den<br />
Versen 5f. hin: »Man muß fragen, warum der Spru<strong>ch</strong> für den Mens<strong>ch</strong>en so auf das<br />
Wort ›essen‹ fixiert ers<strong>ch</strong>eint … Es s<strong>ch</strong>eint …, dass sol<strong>ch</strong>e Fixierung gemäß talio<br />
[glei<strong>ch</strong>e Wiedervergeltung] eine Anspielung an V5f beabsi<strong>ch</strong>tigt« 231 .<br />
»Im S<strong>ch</strong>weiße deines Angesi<strong>ch</strong>ts« (wörtli<strong>ch</strong>: im S<strong>ch</strong>weiße deiner Nasenlö<strong>ch</strong>er)<br />
wird in der Regel auf die Mühsal der Feldarbeit gedeutet. Swedenborg geht jedo<strong>ch</strong><br />
zunä<strong>ch</strong>st einmal von der »Abneigung (aversatio)« gegenüber dem Himmlis<strong>ch</strong>en<br />
(HG 276) aus. Die Mühsal ist die Folge dieser Abneigung. Der Mens<strong>ch</strong> wandte<br />
si<strong>ch</strong> dem <strong>ch</strong>ontis<strong>ch</strong>en Berei<strong>ch</strong> der S<strong>ch</strong>lange zu. Do<strong>ch</strong> die Befru<strong>ch</strong>tung der Erdmutter<br />
erfolgt dur<strong>ch</strong> den göttli<strong>ch</strong>en Geist. Das Erdrei<strong>ch</strong> ist ni<strong>ch</strong>t aus si<strong>ch</strong> heraus lebenss<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong>.<br />
Au<strong>ch</strong> der äußere Mens<strong>ch</strong> brau<strong>ch</strong>t Inspiration; ohne sie bleibt<br />
der Ertrag seiner Lebensleistung mager. Der Erdling (’adam) kann dem Erdrei<strong>ch</strong><br />
(’adama) aus eigener Kraft nur »Feldfutter« entlocken, und au<strong>ch</strong> das nur mit Mühe.<br />
Die Rückkehr zum Erdboden ist die Rückkehr zum Ursprung (Gen 2,7). Für Staub<br />
wird bei Gesenius 232 au<strong>ch</strong> die Bedeutung »Grab« angegeben (mit der Belegstelle<br />
231<br />
Horst Seebass, Genesis 1: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 128f.<br />
232<br />
Wilhelm Gesenius, Hebräis<strong>ch</strong>es und Aramäis<strong>ch</strong>es Handwörterbu<strong>ch</strong> über das Alte Testament,<br />
1962, Seite 608.
110 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Ps 22,30, die au<strong>ch</strong> Swedenborg in HG 278 anführt). Die Rückkehr zum Staub<br />
meint das Sterben bzw. den Tod. Sie meint ferner die Rückkehr zu dem, was der<br />
Mens<strong>ch</strong> vor seiner Geistbegabung (= Wiedergeburt) war. Daher kann Swedenborg<br />
Staub auf den Verdammten und den Höllis<strong>ch</strong>en beziehen (HG 278). Staub meint<br />
au<strong>ch</strong> den Stoff, aus dem die Mens<strong>ch</strong>en ges<strong>ch</strong>affen sind (Gesenius 233 mit der Belegstelle<br />
Ps 104,29, die Swedenborg ebenfalls in HG 278 nennt; außerdem natürli<strong>ch</strong><br />
Gen 2,7). Der Staub meint den Mens<strong>ch</strong>en in seiner puren Mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>keit (= Irdis<strong>ch</strong>keit)<br />
ohne alles Höhere, ohne den Atem Gottes.<br />
Vers 20: Und der Mens<strong>ch</strong> nannte den Namen seiner Frau Eva, denn sie wurde die<br />
Mutter allen Lebens.<br />
Die Fähigkeit des Mens<strong>ch</strong>en, den Wesen einen wesensgemäßen Namen zu geben,<br />
die uns s<strong>ch</strong>on von Genesis 2,20 her bekannt ist, setzt si<strong>ch</strong> fort. Überras<strong>ch</strong>end ist<br />
aber die Wende zum Positiven. Müsste das Weib ni<strong>ch</strong>t Verführerin heißen? Stattdessen<br />
bekommt sie einen Namen, der sie als Mutter allen Lebens ausweist. Der<br />
Mens<strong>ch</strong> greift aus Vers 16 offenbar ni<strong>ch</strong>t die S<strong>ch</strong>merzen der S<strong>ch</strong>wangers<strong>ch</strong>aft<br />
heraus, sondern die Fähigkeit des Weibes Leben zu gebären. Mutter wird na<strong>ch</strong><br />
Gesenius au<strong>ch</strong> »als Personifikation des Volkes im Gegensatz zu den Individuen« 234<br />
verwendet. Gesenius verweist auf Jesaja 50,1 und Jeremia 50,12. Swedenborg<br />
wertet diese Stellen in HG 289 als Belege dafür, dass Mutter die Bedeutung von<br />
Kir<strong>ch</strong>e hat. Das Volk bzw. die Glaubens- oder Kulturgemeins<strong>ch</strong>aft ist die Mutter<br />
des geistigen Lebens.<br />
Vers 21: Und Jahwe Gott ma<strong>ch</strong>te dem Mens<strong>ch</strong>en und seiner Frau Röcke aus Fell<br />
und bekleidete sie.<br />
Der Vers drückt Fürsorge aus. Jahwe Gott bedeckt die Blöße, vor der der Mens<strong>ch</strong><br />
si<strong>ch</strong> nun s<strong>ch</strong>ämt. Er hat etwas zu verbergen, und Gott sorgt dafür, dass das<br />
S<strong>ch</strong>ändli<strong>ch</strong>e seines unwiedergeborenen Naturzustands ni<strong>ch</strong>t offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> wird.<br />
Nun muss si<strong>ch</strong> der Mens<strong>ch</strong> vor Gott (und seinen Mitmens<strong>ch</strong>en) ni<strong>ch</strong>t mehr verstecken.<br />
Die Rückkehr in den Urzustand einer Nacktheit ohne S<strong>ch</strong>am, das heißt<br />
die Rückkehr in die kindli<strong>ch</strong>e Uns<strong>ch</strong>uld, ist zwar ni<strong>ch</strong>t mehr mögli<strong>ch</strong>, aber dem<br />
Mens<strong>ch</strong>en wird gewissermaßen eine neue Haut gegeben. Bis heute ma<strong>ch</strong>en Kleider<br />
Leute. Da die Felle dem Tierrei<strong>ch</strong> entnommen sind, könnte aber au<strong>ch</strong> die Tierähnli<strong>ch</strong>keit<br />
des Mens<strong>ch</strong>en gemeint sein. Na<strong>ch</strong> HG 297 deuten die Fellröcke auf<br />
die Leibli<strong>ch</strong>keit des Mens<strong>ch</strong>en.<br />
Vers 22: Und Jahwe Gott spra<strong>ch</strong>: »Siehe, der Mens<strong>ch</strong> ist geworden wie einer von uns,<br />
indem er Gut und Böse erkennt. Dass er nun aber ni<strong>ch</strong>t seine Hand ausstrecke und<br />
au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> vom Baum des Lebens nehme und esse und ewig lebe!«<br />
Zu wem spri<strong>ch</strong>t Jahwe Gott? Offenbar zu seiner Umgebung, denn er sagt: »wie<br />
einer von uns«. Na<strong>ch</strong> HG 299 meint »Jahwe Elohim« den Herrn, aber au<strong>ch</strong> den<br />
233<br />
Wilhelm Gesenius, a.a.O., Seite 608.<br />
234<br />
Wilhelm Gesenius, a.a.O., Seite 45.
Beoba<strong>ch</strong>tungen zu Genesis 3 111<br />
Himmel, das heißt die Gesamtheit der Engel (siehe au<strong>ch</strong> HG 298). Jahwe Gott<br />
bestätigt indirekt die Worte der S<strong>ch</strong>lange von Vers 5, indem er feststellt: »Der<br />
Mens<strong>ch</strong> ist geworden wie einer von uns«. Swedenborg sagt dazu Folgendes: »Dass<br />
der Mens<strong>ch</strong> nun ›das Gute und Böse weiß‹ bedeutet, dass er himmlis<strong>ch</strong> geworden<br />
ist, somit weise und verständig« (HG 298, siehe au<strong>ch</strong> HG 300). Das heißt: Er ist<br />
erwa<strong>ch</strong>sen geworden. Er hat den Zustand der kindli<strong>ch</strong>en Uns<strong>ch</strong>uld verlassen, und<br />
nimmt sein Leben nun selbst in die Hand. Den Anstoß dazu gab die Auseinandersetzung<br />
mit der sinnli<strong>ch</strong>en Welterfahrung. Die Erde ist die S<strong>ch</strong>ule der Kinder<br />
Gottes. Hier werden sie dur<strong>ch</strong> die Verwirkli<strong>ch</strong>ung ihrer Gedanken zu kleinen Göttern.<br />
Kann man Genesis 3 mit der Tradition die Erzählung vom Sündenfall nennen?<br />
Man kann es eigentli<strong>ch</strong> nur dann, wenn man jedes I<strong>ch</strong>erwa<strong>ch</strong>en in der Welt<br />
als einen Sündenfall versteht. Problematis<strong>ch</strong> ist dieses Werden wie ein kleiner<br />
Gott gewiss. Do<strong>ch</strong> in all den Verwicklungen, die si<strong>ch</strong> der Mens<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> einhandelt,<br />
dass er den Weg der eigenen Erfahrung gehen will, bleibt er ein von Gott<br />
ges<strong>ch</strong>ütztes Wesen. Denn er sorgt dafür, dass der Mens<strong>ch</strong> an den Baum des Lebens<br />
ni<strong>ch</strong>t Hand anlegen kann. Damit bleibt das Leben etwas Heiliges, etwas Unberührbares;<br />
und die mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Kämpfe und S<strong>ch</strong>icksalsverwicklungen nehmen<br />
auf diese Weise dann do<strong>ch</strong> wieder den Charakter der Spiele von Kindern an,<br />
die sie freili<strong>ch</strong> mit großem Ernst und leidens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er Verbissenheit betreiben.<br />
So kann der Mens<strong>ch</strong> zwar in entsetzli<strong>ch</strong>e Zustände geraten, aber offenbar das<br />
Allerheiligste des ihm von Gott ges<strong>ch</strong>enkten Lebens im Innersten seines Herzens<br />
ni<strong>ch</strong>t entweihen. Zur Problematik der Entweihung äußert si<strong>ch</strong> Swedenborg ausführli<strong>ch</strong><br />
in seinem Werk über die göttli<strong>ch</strong>e Vorsehung.<br />
Vers 23: Und Jahwe Gott s<strong>ch</strong>ickte ihn aus dem Garten Eden fort, um das Erdrei<strong>ch</strong><br />
zu bebauen (oder: um dem Erdrei<strong>ch</strong> zu dienen), von dem er genommen war.<br />
Vers 23 greift etwas modifiziert Vers 19 auf. Hieß es in Vers 19 »Im S<strong>ch</strong>weiße<br />
deines Angesi<strong>ch</strong>ts wirst du (dein) Brot essen« so ist in Vers 23 die dem zugrunde<br />
liegende Tätigkeit des s<strong>ch</strong>weißtreibenden Ackerbaus thematisiert. In beiden Versen<br />
wird gesagt, dass der Bezug zum Erdboden (’adama) der Bezug zu dem Ort ist,<br />
von dem der Mens<strong>ch</strong> (’adam) genommen wurde. Die Abkehr von Jahwe Elohim<br />
senkt den Blick des Mens<strong>ch</strong>en na<strong>ch</strong> unten zum Erdboden und bindet ihn daran.<br />
Im Bebauen des Erdbodens liegt eine Ambivalenz. An und für si<strong>ch</strong> gehört das<br />
Bebauen des Erdbodens na<strong>ch</strong> Genesis 2,5 zum S<strong>ch</strong>öpfungsauftrag des Mens<strong>ch</strong>en.<br />
Man kann darunter die Kulturtätigkeit des Mens<strong>ch</strong>en verstehen, die Kultivierung<br />
des Irdis<strong>ch</strong>en, und im hö<strong>ch</strong>sten Sinne die Wiedergeburt. Diese ist jedo<strong>ch</strong> nur kraft<br />
des Göttli<strong>ch</strong>en mögli<strong>ch</strong>. Im Vers 23 ers<strong>ch</strong>eint uns das Bebauen des Erdbodens als<br />
die Tätigkeit jenseits von Eden, die Tätigkeit na<strong>ch</strong> der Verstoßung aus dem Garten<br />
Eden. Und in Genesis 4,2 wird Kain »Kne<strong>ch</strong>t des Erdbodens« genannt, womit der<br />
Dienst am Irdis<strong>ch</strong>en und die Versklavung dur<strong>ch</strong> das Irdis<strong>ch</strong>e gemeint ist. Die Bearbeitung<br />
der irdis<strong>ch</strong>en Verhältnisse ist so gesehen zwar die Aufgabe des Mens<strong>ch</strong>en<br />
(Gen 2,5), aber in dieser Aufgabe liegt eben au<strong>ch</strong> die Gefahr dur<strong>ch</strong> das Irdis<strong>ch</strong>e<br />
bearbeitet bzw. versklavt zu werden, das heißt die Souveränität zu verlieren.
112 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Na<strong>ch</strong> Swedenborg meint der Ackerbau jenseits von Eden »fleis<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> werden (fieri<br />
corporeus)« (HG 305). Der Mens<strong>ch</strong> ist nun also dem Erdboden ausgeliefert.<br />
Vers 24: Und er vertrieb den Mens<strong>ch</strong>en und ließ östli<strong>ch</strong> vom Garten Eden die Kerubim<br />
si<strong>ch</strong> lagern und die Flamme des si<strong>ch</strong> wendenden S<strong>ch</strong>wertes, um den Weg<br />
zum Baum des Lebens zu bewa<strong>ch</strong>en.<br />
»Die Auffassung, dass der Zugang zu Geheiligtem dur<strong>ch</strong> mythis<strong>ch</strong>e Wesen bes<strong>ch</strong>ützt<br />
wurde, findet si<strong>ch</strong> überall auf der Welt« 235 . Na<strong>ch</strong> Gesenius kommen die<br />
Kerubim im Alten Testament als »Träger der Ers<strong>ch</strong>einung Gottes« 236 vor (mit dem<br />
Beleg Eze<strong>ch</strong>iel 9,3, der von Swedenborg als Beleg für die Bedeutung »Vorsehung«<br />
HG 308 genommen wird). Nimmt man das alles zusammen, so ergibt si<strong>ch</strong>: Gott als<br />
Inbegriff der Liebe und Weisheit in ma<strong>ch</strong>tvoller Wirkung kommt in seiner Vorsehung<br />
zur Ers<strong>ch</strong>einung und sorgt dafür, dass der Mens<strong>ch</strong> in seinem unheiligen<br />
Zustand ni<strong>ch</strong>t den Weg zum Baum des Lebens findet und si<strong>ch</strong> so der Entweihung<br />
s<strong>ch</strong>uldig ma<strong>ch</strong>e.<br />
Abbildung 5: Eine Goldlamelle (aus Enkomia-Alasia, Zypern; 1450-1350 v. Chr.) mit einem stilisierten<br />
Lebensbaum mit Palmblättern, der von zwei Keruben bewa<strong>ch</strong>t wird. Sie sind mit einem Raubtierleib,<br />
Adlerflügeln und einem Mens<strong>ch</strong>enkopf ausgestattet und dadur<strong>ch</strong> als Wesen von hö<strong>ch</strong>ster<br />
Kraft, S<strong>ch</strong>nelligkeit und Klugheit gekennzei<strong>ch</strong>net.<br />
235<br />
Horst Seebass, Genesis 1: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 133.<br />
236<br />
Wilhelm Gesenius, Hebräis<strong>ch</strong>es und Aramäis<strong>ch</strong>es Handwörterbu<strong>ch</strong> über das Alte Testament,<br />
1962, Seite 362.
Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 113<br />
Kain und Abel:<br />
Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16<br />
in der Tradition Swedenborgs<br />
Das exegetis<strong>ch</strong>e Programm<br />
Bei meiner Lektüre der »himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnisse« fiel mir vor Jahren die folgende<br />
Bemerkung Swedenborgs auf: »Es genügt, vom Allgemeinsten eine nur<br />
allgemeine Vorstellung zu geben.« (HG 771). Da i<strong>ch</strong> damals no<strong>ch</strong> der Meinung<br />
war, Swedenborg hätte den inneren Sinn ers<strong>ch</strong>öpfend ausgelegt, verhalf mir diese<br />
verglei<strong>ch</strong>sweise nebensä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Bemerkung zu der Einsi<strong>ch</strong>t, dass uns Swedenborg<br />
in den »Arcana caelestia« wohl einen Weg weist, aber ni<strong>ch</strong>t bis zum Ziel<br />
führt. An einem Wegweiser soll si<strong>ch</strong> der Wanderer ni<strong>ch</strong>t festklammern, vielmehr<br />
soll er si<strong>ch</strong> von ihm weg weisen lassen. Mit anderen Worten, der S<strong>ch</strong>üler Swedenborgs<br />
ehrt seinen Meister ni<strong>ch</strong>t, wenn er dessen Auslegung immer nur wiederkäut.<br />
Vielmehr soll er im Geiste seines Lehrers weiterdenken. Daraus entwickelte<br />
si<strong>ch</strong> im Laufe der Jahre das exegetis<strong>ch</strong>e Programm einer Auslegung in der Tradition<br />
Swedenborgs.<br />
Dieses Programm kann an dieser Stelle zwar ni<strong>ch</strong>t mit einem S<strong>ch</strong>lag verwirkli<strong>ch</strong>t<br />
werden. Aber erste S<strong>ch</strong>ritte sind immerhin mögli<strong>ch</strong>. Bei meiner Lektüre des hebräis<strong>ch</strong>en<br />
Urtextes von Genesis 4,1 bis 16 und der Auslegung in HG 338 bis 398<br />
ma<strong>ch</strong>te i<strong>ch</strong> zwei grundlegende Beoba<strong>ch</strong>tungen, die für die Entwicklung einer eigenständigen<br />
Auslegung im Geiste Swedenborgs von Bedeutung sind. Erstens:<br />
Swedenborg gilt als Offenbarer des inneren Sinnes. Do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t alles, was er zu<br />
Genesis 4,1 bis 16 zu sagen hat, dringt bis in die geistige Dimension vor. Viele<br />
Äußerungen können als Beiträge zu einer historis<strong>ch</strong>en Exegese angesehen werden,<br />
au<strong>ch</strong> wenn diese Form der Exegese und ihre Methoden damals erst im Entstehen<br />
waren. Der innere Sinn ist nur dann ein innerer, wenn er si<strong>ch</strong> innerhalb<br />
der Grenzen des äußeren Sinnes bewegt. Daher brau<strong>ch</strong>t die geistige Auslegung<br />
die natürli<strong>ch</strong>e oder historis<strong>ch</strong>e wie ein Haus den Boden. Swedenborg ist dementspre<strong>ch</strong>end<br />
au<strong>ch</strong> als »historis<strong>ch</strong>-kritis<strong>ch</strong>er« Exeget zu würdigen, und das seit dem<br />
18. Jahrhundert gewonnene historis<strong>ch</strong>e Wissen muss bei der Auslegung des geistigen<br />
Sinnes berücksi<strong>ch</strong>tigt werden. Swedenborg selbst spri<strong>ch</strong>t diese Einsi<strong>ch</strong>t mit<br />
den Worten aus: »Der bu<strong>ch</strong>stäbli<strong>ch</strong>e Sinn des Wortes ist die Grundlage (basis), die<br />
Hülle (continens) und die Stütze (firmamentum) seines geistigen und himmlis<strong>ch</strong>en<br />
Sinnes.« (LS 27-36). »Der bu<strong>ch</strong>stäbli<strong>ch</strong>e Sinn ist glei<strong>ch</strong>sam der Leib, und der<br />
innere Sinn ist glei<strong>ch</strong>sam die Seele dieses Leibes.« (NJ 260). Zweitens: Swedenborgs<br />
Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 liest si<strong>ch</strong> wie sein Kommentar zur altprotestantis<strong>ch</strong>en<br />
Orthodoxie, das heißt zur Problematik des Verhältnisses von Glaube<br />
(Kain) und Nä<strong>ch</strong>stenliebe (Abel). Swedenborgs Auslegung des inneren Sinnes<br />
bleibt also im Bezugssystem einer bestimmten Dogmatik bzw. dogmatis<strong>ch</strong>en Diskussion<br />
angesiedelt. I<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ließe daraus das Folgende: Wenn die im Grunde<br />
unauss<strong>ch</strong>öpfli<strong>ch</strong>en, göttli<strong>ch</strong>en Tiefen des inneren Sinnes in eine äußere Spra<strong>ch</strong>e
114 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
übertragen werden, dann ist damit unauswei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> eine Begrenzung verbunden.<br />
Das heißt, jeder Ausleger des inneren Sinnes muss si<strong>ch</strong> für eine Terminologie<br />
ents<strong>ch</strong>eiden 237 ; in diesem Wort ist das lateinis<strong>ch</strong>e Wort für Grenze (terminus)<br />
enthalten. Das terminologis<strong>ch</strong>e System ermögli<strong>ch</strong>t es dem Exegeten des inneren<br />
Sinnes die unendli<strong>ch</strong>e Fülle desselben in eine fassli<strong>ch</strong>e Gestalt zu bringen. Das<br />
bedeutet nun aber, dass au<strong>ch</strong> andere Terminologien mögli<strong>ch</strong> sind und entwickelt<br />
werden können. I<strong>ch</strong> werde dementspre<strong>ch</strong>end im Folgenden vereinzelt die gewohnte<br />
Spra<strong>ch</strong>e verlassen und den inneren Sinn in neue Begriffe gießen. Da i<strong>ch</strong><br />
aber no<strong>ch</strong> kein neues System entwickelt habe, kann das nur vereinzelt ges<strong>ch</strong>ehen.<br />
Die Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> den verborgenen S<strong>ch</strong>ätzen der himmlis<strong>ch</strong>en Weisheit beginnt mit<br />
einer Übersetzung von Genesis 4,1 bis 16. Sie ist eigentli<strong>ch</strong> ein Ergebnis der exegetis<strong>ch</strong>en<br />
Arbeit und müsste daher am Ende stehen. Denno<strong>ch</strong> ist es gere<strong>ch</strong>tfertigt,<br />
sie an den Anfang zu stellen. So kommt zum Ausdruck, dass der Text der<br />
Ausgangspunkt unserer Wahrnehmungen ist.<br />
Übersetzung von Genesis 4,1 bis 16<br />
1. Und der Mens<strong>ch</strong> erkannte Eva seine Frau, und sie empfing und gebar Kain und<br />
spra<strong>ch</strong>: »I<strong>ch</strong> habe einen Mann erworben, den Jahwe«. 2. Und sie fuhr fort, seinen<br />
Bruder Abel zu gebären. Und Abel wurde ein Hirt der Herde, Kain aber wurde ein<br />
Kne<strong>ch</strong>t des Bodens. 3. Und es ges<strong>ch</strong>ah am Ende der Tage, da bra<strong>ch</strong>te Kain von der<br />
Fru<strong>ch</strong>t des Bodens Jahwe eine Gabe dar. 4. Und au<strong>ch</strong> Abel bra<strong>ch</strong>te dar, - von den<br />
Erstgeburten seiner Herde und zwar von ihrem Fett. Und Jahwe s<strong>ch</strong>aute auf Abel<br />
und auf seine Gabe hin. 5. Aber auf Kain und seine Gabe s<strong>ch</strong>aute er ni<strong>ch</strong>t hin. Da<br />
entbrannte Kain sehr (im Zorn) und sein Angesi<strong>ch</strong>t senkte si<strong>ch</strong>. 6. Und Jahwe<br />
spra<strong>ch</strong> zu Kain: »Warum entbrennst du (im Zorn), und warum senkt si<strong>ch</strong> dein<br />
Angesi<strong>ch</strong>t? 7. Ist es ni<strong>ch</strong>t so?: Wenn du Gutes tust, so ges<strong>ch</strong>ieht Erhebung. Wenn<br />
du aber ni<strong>ch</strong>t Gutes tust, dann ist die Sünde ein lagernder (S<strong>ch</strong>langendämon) vor<br />
der Tür. Und na<strong>ch</strong> dir ist sein Verlangen, du aber sollst|willst über ihn (= den<br />
Dämon oder Abel?) herrs<strong>ch</strong>en.« 238 8. Und Kain spra<strong>ch</strong> zu seinem Bruder Abel:<br />
237<br />
Au<strong>ch</strong> die tiefenpsy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e Auslegung biblis<strong>ch</strong>er Texte vollzieht si<strong>ch</strong> im Rahmen einer<br />
Terminologie, oftmals ist es die von C. G. Jung. Aufgrund sol<strong>ch</strong>er Beoba<strong>ch</strong>tungen meine i<strong>ch</strong>,<br />
dass man ein bestimmtes terminologis<strong>ch</strong>es System ni<strong>ch</strong>t für das einzig ri<strong>ch</strong>tige halten darf.<br />
Das gilt au<strong>ch</strong> für die Spra<strong>ch</strong>e Swedenborgs. Sie kann dur<strong>ch</strong> ein anderes Begriffssystem abgelöst<br />
werden.<br />
238<br />
Dem Vers 4,7 geht der Ruf voraus, der dunkelste der Genesis zu sein (vgl. Seebass 152). In<br />
meiner Übersetzung spiegelt si<strong>ch</strong> daher in besonderer Weise mein Verständnis dieser Stelle.<br />
Aber selbst die (dem eigenen Verständnis angepasste) Übersetzung lässt no<strong>ch</strong> ein wenig die<br />
S<strong>ch</strong>wierigkeiten des hebräis<strong>ch</strong>en Textes erkennen. Daher zwei Erläuterungen: Erstens: »Die<br />
Sünde« ist im Hebräis<strong>ch</strong>en (wie im Deuts<strong>ch</strong>en) ein Femininum. »Der Lagernde« hingegen ist<br />
ein Maskulinum. Daher kann man ni<strong>ch</strong>t übersetzen: »Die Sünde lagert«. Andererseits ist »die<br />
S<strong>ch</strong>lange« von Genesis 3 im Hebräis<strong>ch</strong>en ein Maskulinum. Deswegen habe i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> für die<br />
Übersetzung »die Sünde ist ein lagernder S<strong>ch</strong>langendämon« ents<strong>ch</strong>ieden. Zweitens: Die maskulinen<br />
Suffixe in der zweiten Vershälfte können si<strong>ch</strong> nur auf den Lagernden oder auf Abel<br />
beziehen. I<strong>ch</strong> konnte mi<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en den beiden Mögli<strong>ch</strong>keiten ni<strong>ch</strong>t ents<strong>ch</strong>eiden, eventuell<br />
ist die Doppeldeutigkeit gewollt. Im ersten Fall ist zu lesen: »Und na<strong>ch</strong> dir (Kain) ist sein Ver-
Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 115<br />
»…« 239 Und es ges<strong>ch</strong>ah, als sie auf dem Feld waren, da erhob si<strong>ch</strong> Kain gegen seinen<br />
Bruder Abel und ers<strong>ch</strong>lug ihn. 9. Und Jahwe spra<strong>ch</strong> zu Kain: »Wo ist dein<br />
Bruder Abel?« Und er spra<strong>ch</strong>: »I<strong>ch</strong> weiß es ni<strong>ch</strong>t. Bin i<strong>ch</strong> der Hüter meines Bruders?«<br />
10. Und er spra<strong>ch</strong>: »Was hast du getan? Hor<strong>ch</strong>! Das (vergossene) Blut deines<br />
Bruders s<strong>ch</strong>reit zu mir vom Boden. 11. Und nun, verflu<strong>ch</strong>t bist du vom Boden,<br />
der sein Maul aufgerissen hat, um das Blut deines Bruders von deiner Hand zu<br />
nehmen. 12. Wenn du (nun) den Boden beackerst, wird er dir seine Kraft ni<strong>ch</strong>t<br />
mehr geben. Unstet und flü<strong>ch</strong>tig wirst du sein auf Erden.« 13. Und Kain spra<strong>ch</strong> zu<br />
Jahwe: »Zu groß ist meine Verkehrtheit, als dass sie aufgehoben werden könnte.<br />
14. Siehe, du vertreibst mi<strong>ch</strong> heute vom Angesi<strong>ch</strong>t des Bodens, und dein Angesi<strong>ch</strong>t<br />
wird mir verborgen sein. Unstet und flü<strong>ch</strong>tig werde i<strong>ch</strong> auf Erden sein, und<br />
es wird so kommen, dass jeder, der mi<strong>ch</strong> findet, mi<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>lagen will.« 15. Aber<br />
Jahwe spra<strong>ch</strong> zu ihm: »Ebendarum soll jeder, der Kain ers<strong>ch</strong>lägt, siebenfa<strong>ch</strong> Ra<strong>ch</strong>e<br />
erleiden.« Und Jahwe versah Kain mit einem Zei<strong>ch</strong>en, damit jeder, der ihn findet,<br />
ihn uners<strong>ch</strong>lagen lasse. 16. Dann zog Kain vom Angesi<strong>ch</strong>t Jahwes fort und wohnte<br />
im Lande Nod, östli<strong>ch</strong> von Eden.<br />
Die Einheit und ihr Thema<br />
Genesis 4,1 bis 16 wird hier als eine Einheit angesehen. Diese Si<strong>ch</strong>t ist jedo<strong>ch</strong><br />
umstritten, denn die Verse 1, 2 und 16 wurden ganz oder teilweise abgesondert<br />
und zur Kainitengenealogie der Verse 17 und 18 gezogen. 240 Für eine Exegese in<br />
der Tradition Swedenborgs s<strong>ch</strong>ließt si<strong>ch</strong> daran (und überhaupt an die Genealogien<br />
in der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te) eine grundsätzli<strong>ch</strong>e Frage an. Ist die Erzählung von Kain und<br />
Abel eine Einfügung in ein genealogis<strong>ch</strong>es Gerüst, das ursprüngli<strong>ch</strong>er als die (sekundäre)<br />
Erzählung ist? Oder sind die genealogis<strong>ch</strong>en Listen der heutigen Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />
nur das Überbleibsel einer ursprüngli<strong>ch</strong> viel umfangrei<strong>ch</strong>eren Erzählung?<br />
Swedenborg ging bekanntli<strong>ch</strong> von der Existenz eines Alten Wortes aus (siehe<br />
au<strong>ch</strong> Jakob Lorbers »Haushaltung Gottes«), aus denen die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten der<br />
Genesis entnommen wurden (WCR 279d). Wenn die swedenborgs<strong>ch</strong>e Exegese<br />
langen (= das Verlangen des lagernden S<strong>ch</strong>langendämons), du aber sollst herrs<strong>ch</strong>en über ihn<br />
(= über den lagernden S<strong>ch</strong>langendämon).« Im zweiten Fall ist zu lesen: »Und na<strong>ch</strong> dir (Kain)<br />
ist sein Verlagen (= Abels Verlangen), du aber willst herrs<strong>ch</strong>en über ihn (= über Abel).«<br />
239<br />
Was Kain zu Abel spra<strong>ch</strong>, ist im masoretis<strong>ch</strong>en Text (der in den Urtextausgaben abgedruckt<br />
wird) ni<strong>ch</strong>t überliefert. Der samaritanis<strong>ch</strong>e Pentateu<strong>ch</strong>, die (grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e) Septuaginta, die (syris<strong>ch</strong>e)<br />
Pes<strong>ch</strong>itta und die (lateinis<strong>ch</strong>e) Vulgata lesen hier jedo<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong>: Lass uns auf das Feld<br />
gehen!<br />
240<br />
Siehe Horst Seebass, Genesis I: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1 - 11,26), Neukir<strong>ch</strong>en-Vluyn 1996, Seite 144.<br />
Die Kainitengenealogie sähe dann so aus: »1. Und der Mens<strong>ch</strong> erkannte Eva seine Frau, und<br />
sie empfing und gebar Kain und spra<strong>ch</strong>: I<strong>ch</strong> habe einen Mann erworben, den Jahwe. 2. Und<br />
sie fuhr fort, seinen Bruder Abel zu gebären. Und Abel wurde ein Hirt der Herde, Kain aber<br />
wurde ein Kne<strong>ch</strong>t des Bodens. 16. Und Kain zog vom Angesi<strong>ch</strong>t Jahwes fort und wohnte im<br />
Lande Nod, östli<strong>ch</strong> von Eden. 17. Und Kain erkannte seine Frau, und sie empfing und gebar<br />
Heno<strong>ch</strong>. Und er wurde der Erbauer einer Stadt und nannte den Namen der Stadt na<strong>ch</strong> dem<br />
Namen seines Sohnes Heno<strong>ch</strong>. 18. Und dem Heno<strong>ch</strong> wurde Irad geboren, und Irad zeugte<br />
Mehujael, und Mehujael zeugte Metus<strong>ch</strong>ael, und Metus<strong>ch</strong>ael zeugte Lame<strong>ch</strong>.«
116 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
gewillt ist, diese Denkmögli<strong>ch</strong>keit aufzugreifen, dann dürfte die in der zweiten<br />
Frage enthaltene These die wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>ere sein. 241<br />
Na<strong>ch</strong> der äußeren Abgrenzung der Einheit wende i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> der inneren bzw. der<br />
Gliederung zu. Die Verse 1 und 2 bilden den Eingang (die Exposition). Die Verse 3<br />
bis 5 bes<strong>ch</strong>reiben den Kult oder das Gottesverhältnis von Kain und Abel. Die Verse<br />
6 und 7 enthalten eine zure<strong>ch</strong>tweisende Jahwerede (die Stimme des Gewissens).<br />
Der Vers 8 s<strong>ch</strong>ildert den Brudermord. Die Verse 9 bis 12 entfalten die<br />
s<strong>ch</strong>limmen Folgen der Tat. Die Verse 13 bis 15 handeln demgegenüber von der<br />
Bewahrung des Brudermörders. Der Vers 16 bildet den Ausgang (den S<strong>ch</strong>luss).<br />
Die Verse 6 bis 7 und 9 bis 15a sind Rede. Daher fallen die Handlungen in Vers 8<br />
(der Brudermord) und 15b (die Bezei<strong>ch</strong>nung Kains dur<strong>ch</strong> Jahwe) besonders auf.<br />
Das Zentrum der Erzählung ist der Brudermord (Vers 8). Das Ziel der Erzählung<br />
ist jedo<strong>ch</strong> die Bewahrung und Unantastbarkeit des Brudermörders (Vers 15b).<br />
Dem Thema von Genesis 4,1 bis 16 nähern wir uns an, indem wir die Stellung<br />
dieser Einheit im engeren Umfeld betra<strong>ch</strong>ten. Au<strong>ch</strong> Swedenborg wendet die Kontextanalyse<br />
an, was Bemerkungen wie »aus dem Vorhergehenden und dem Na<strong>ch</strong>folgenden<br />
wird ersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>« (HG 270) oder »aus der Sa<strong>ch</strong>folge (ex rerum serie)<br />
geht hervor« (HG 2816) belegen. Zuerst weise i<strong>ch</strong> auf gedankli<strong>ch</strong>e Verbindungen<br />
der Erzählung von Kain und Abel mit Genesis 2 und 3 hin, und dann auf Verbindungen<br />
mit Genesis 5.<br />
Adam und Eva ma<strong>ch</strong>en die Erfahrung des Guten und Bösen, für die sie si<strong>ch</strong> ents<strong>ch</strong>ieden<br />
hatten (Genesis 2,9 und 3,6), in den Gestalten von Kain (das Böse) und<br />
Abel (das Gute). Die Erzählung von Kain und Abel stellt sona<strong>ch</strong> die Entwicklung<br />
im Ans<strong>ch</strong>luss an die Ents<strong>ch</strong>eidung des Urelternpaares, vom Baum der Erkenntnis<br />
des Guten und Bösen zu essen, ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong> dar. Kam es bereits im Gottesgarten<br />
zum Bru<strong>ch</strong> im (vertikalen) Verhältnis zu Jahwe, so kommt es nun, jenseits von<br />
Eden zum Bru<strong>ch</strong> im (horizontalen) Verhältnis der Mens<strong>ch</strong>en untereinander. Erst<br />
zerbri<strong>ch</strong>t die Liebe zum himmlis<strong>ch</strong>en Vater, dann die ges<strong>ch</strong>wisterli<strong>ch</strong>e Liebe. Kain<br />
bringt den Tod in die mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Erfahrungswelt. Damit erfüllt si<strong>ch</strong> die Warnung<br />
von Genesis 2,17: »Do<strong>ch</strong> vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse sollst du<br />
ni<strong>ch</strong>t essen, denn an dem Tag, an dem du davon isst, wirst du (ab)sterben.« Adam<br />
241<br />
Damit begeben wir uns auf das Feld der Pentateu<strong>ch</strong>kritik (sie will das Werden der fünf Bü<strong>ch</strong>er<br />
Mose aufhellen). Bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts besaß das klassis<strong>ch</strong>e Wellhausen-Modell<br />
(na<strong>ch</strong> dem Theologen und Orientalisten Julius Wellhausen benannt) eine so<br />
allgemeine Gültigkeit, dass es wie selbstverständli<strong>ch</strong> sogar in die kir<strong>ch</strong>enamtli<strong>ch</strong>en Bibelausgaben<br />
aufgenommen wurde (siehe die Einheitsübersetzung oder die Stuttgarter Erklärungsbibel).<br />
Do<strong>ch</strong> heute befindet si<strong>ch</strong> die Pentateu<strong>ch</strong>fors<strong>ch</strong>ung in einer Totalrevision aller ihrer Hypothesen.<br />
Das eröffnet zumindest theoretis<strong>ch</strong> die Mögli<strong>ch</strong>keit, die spärli<strong>ch</strong>en Hinweise Swedenborgs<br />
zu einem umfassenden Erklärungsmodell weiterzuentwickeln, ohne soglei<strong>ch</strong> als hoffnungslos<br />
veraltet angesehen zu werden. Das Alte Wort Swedenborgs führt dann zu der Annahme,<br />
dass für die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten eine Quelle sui generis vorauszusetzen ist. Eine sol<strong>ch</strong>e<br />
Quelle kann man au<strong>ch</strong> aufgrund der altorientalis<strong>ch</strong>en Verglei<strong>ch</strong>stexte zu den biblis<strong>ch</strong>en Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten<br />
vermuten.
Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 117<br />
stellt die ursprüngli<strong>ch</strong>e, gottgewollte und somit unverdorbene seelis<strong>ch</strong>-geistige<br />
Bes<strong>ch</strong>affenheit des homo sapiens (des weisen Mens<strong>ch</strong>en) dar. Als aber dieses<br />
Geistesli<strong>ch</strong>t im Erdenkleid den Weg der Erfahrung dur<strong>ch</strong> die fünf Körpersinne<br />
betrat, da begann es abzusterben. Kain lös<strong>ch</strong>t Abel aus. Am Ende bleibt nur no<strong>ch</strong><br />
die Finsternis des nackten Weltbewusstseins übrig. Zu bea<strong>ch</strong>ten ist ferner, dass<br />
die Verflu<strong>ch</strong>ung der S<strong>ch</strong>olle vorans<strong>ch</strong>reitet. Dem Adam wurde gesagt: »… verflu<strong>ch</strong>t<br />
sei der Mutterboden deinetwegen. Mit S<strong>ch</strong>merzen sollst du von ihm essen 242 alle<br />
Tage deines Lebens, (denn) Dornen und Disteln lässt er dir wa<strong>ch</strong>sen und (do<strong>ch</strong>)<br />
musst du das Grünzeug des Feldes essen. Im S<strong>ch</strong>weiße deines Angesi<strong>ch</strong>tes sollst<br />
du dein Brot essen …« (Genesis 3,17-19). Do<strong>ch</strong> immerhin, dem Adam bra<strong>ch</strong>te die<br />
»adamah« no<strong>ch</strong> Fru<strong>ch</strong>t hervor. Dem Kain aber wurde gesagt: »… verflu<strong>ch</strong>t bist du<br />
vom Mutterboden, der sein Maul aufgerissen hat, um das Blut deines Bruders von<br />
deiner Hand zu nehmen. Wenn du (nun) den Mutterboden beackerst, wird er dir<br />
seine Kraft (seinen Ertrag) ni<strong>ch</strong>t mehr geben.« (Genesis 4,11-12). Die »adamah«<br />
wird unfru<strong>ch</strong>tbar, weil der befru<strong>ch</strong>tende Geist sie ni<strong>ch</strong>t mehr dur<strong>ch</strong>dringt, obwohl<br />
er (in der Gestalt des Blutes Abels) in ihr versickert. 243<br />
Die Erzählung von Kain und Abel mündet in dem Stammbaum Kains, das heißt in<br />
die ungesegnete Linie der »Kinder der Tiefe« (J. Lorber, HGt 1,57,43). Dem wird in<br />
Genesis 5 der Stammbaum Seths als ergänzender Gegensatz gegenüber gestellt.<br />
Von einer ergänzenden bzw. zusammengehörigen Gegenüberstellung spre<strong>ch</strong>e i<strong>ch</strong>,<br />
weil die sieben Namen von Genesis 4 in Genesis 5 ähnli<strong>ch</strong>- oder glei<strong>ch</strong>lautend<br />
enthalten sind. 244 Der Stammbaum in Genesis 5 stellt die gesegnete Linie der<br />
242<br />
Wörtli<strong>ch</strong>: »Mit S<strong>ch</strong>merzen soll du ihn (den Mutterboden) essen«. Do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> Swedenborg<br />
übersetzt: »in magno dolore edes de ea« (in großem S<strong>ch</strong>merz wirst du von ihm essen).<br />
243<br />
Auf weitere im wesentli<strong>ch</strong>en spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Zusammenhänge zwis<strong>ch</strong>en Genesis 2,4b bis 3,24<br />
und Genesis 4,1 bis 16 mö<strong>ch</strong>te i<strong>ch</strong> wenigstens in Form einer Fußnote hinweisen. In Genesis<br />
3,9 spri<strong>ch</strong>t Jahwe Elohim zum Mens<strong>ch</strong>en: »Wo bist du?«, in Genesis 4,9 spri<strong>ch</strong>t Jahwe zu Kain:<br />
»Wo ist dein Bruder Abel?«. In Genesis 3,13 spri<strong>ch</strong>t Jahwe Elohim zur Frau: »Was hast du da<br />
getan?«, in Genesis 4,10 spri<strong>ch</strong>t Jahwe zu Kain: »Was hast du getan?«. In Genesis 3,16 spri<strong>ch</strong>t<br />
Jahwe Elohim zur Frau: »Na<strong>ch</strong> deinem Mann wird dein Verlangen sein, er aber wird (will)<br />
über di<strong>ch</strong> herrs<strong>ch</strong>en«, in Genesis 4,7 spri<strong>ch</strong>t Jahwe zu Kain: »Na<strong>ch</strong> dir wird sein (gemeint ist<br />
der Dämon oder Abel) Verlangen sein, du aber sollst (oder willst) über ihn (gemeint ist der<br />
Dämon oder Abel) herrs<strong>ch</strong>en«. In Genesis 3,17 spri<strong>ch</strong>t Jahwe Elohim zu Adam: »der Boden sei<br />
verflu<strong>ch</strong>t um deinetwillen«, in Genesis 4,11 spri<strong>ch</strong>t Jahwe zu Kain: »verflu<strong>ch</strong>t bist du vom Boden«.<br />
Na<strong>ch</strong> Genesis 3,23 soll der Mens<strong>ch</strong> den Boden bebauen; genau diese Tätigkeit übt Kain<br />
aus, er ist »ein Bebauer des Bodens« (Genesis 4,2). In Genesis 3,24 heißt es: »Er trieb den<br />
Mens<strong>ch</strong>en aus«, in Genesis 4,14 spri<strong>ch</strong>t Kain zu Jahwe: »Du hast mi<strong>ch</strong> heute vom Angesi<strong>ch</strong>t<br />
des Bodens vertrieben«. In Genesis 3,24 sollen die Cherubim »östli<strong>ch</strong> (miqqädäm) vom Garten<br />
Eden« lagern, in Genesis 4,16 liegt das Land Nod »östli<strong>ch</strong> (qidmat) von Eden«.<br />
244<br />
Zum Stammbau von Genesis 4 gehören die sieben Glieder Adam, Kain, Heno<strong>ch</strong>, Irad, Mehujael,<br />
Metus<strong>ch</strong>ael, Lame<strong>ch</strong> (dana<strong>ch</strong> Aufspaltung in die Dreiheit Jabal, Jubal, Tubal-Kain). Zum<br />
Stammbaum von Genesis 5 gehören die zehn Glieder Adam, Set, Enos<strong>ch</strong>, Kenan, Mahalalel,<br />
Jered, Heno<strong>ch</strong>, Metus<strong>ch</strong>ela<strong>ch</strong>, Lame<strong>ch</strong>, Noah (dana<strong>ch</strong> Aufspaltung in die Dreiheit Sem, Ham,<br />
Jafet). Genesis 5 unters<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> dadur<strong>ch</strong> von Genesis 4, dass am Anfang Set und Enos<strong>ch</strong><br />
hinzugekommen sind, in der Mitte Mahalalel und Heno<strong>ch</strong> vertaus<strong>ch</strong>t sind (Heno<strong>ch</strong> wird dadur<strong>ch</strong><br />
zum 7. Glied) und am Ende zusätzli<strong>ch</strong> Noah ers<strong>ch</strong>eint (der Begründer der na<strong>ch</strong>sintflutli<strong>ch</strong>en<br />
Mens<strong>ch</strong>heit).
118 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
»Kinder der Höhe« (J. Lorber, HGt 1,147,2) dar. Der in Kain und Abel aufgebro<strong>ch</strong>ene<br />
Gegensatz des Bösen und des Guten zieht also in der Konsequenz zwei<br />
Na<strong>ch</strong>kommens<strong>ch</strong>aften und dementspre<strong>ch</strong>end zwei Welten na<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong>. Seitdem gibt<br />
es unten und oben oder den äußeren, weltzugewandten und den inneren, gottzugewandten<br />
Mens<strong>ch</strong>en.<br />
Das Motiv von Genesis 4,1 bis 16 ist der Brudermord. Es ist in der Literatur weit<br />
verbreitet. 245 Am bekanntesten ist die Sage von Romulus und Remus. Sie ähnelt<br />
au<strong>ch</strong> darin der Erzählung von Kain und Abel, dass Romulus na<strong>ch</strong> der Tötung seines<br />
Bruders zum Gründer einer Stadt (Rom) wurde. Au<strong>ch</strong> Kain erbaute na<strong>ch</strong> der<br />
Ermordung Abels eine Stadt (Hano<strong>ch</strong>). Na<strong>ch</strong> Swedenborg stellen Städte Lehren<br />
dar (HG 402). Sieht man in Kain eine (mythis<strong>ch</strong>e) Personifikation der objektbezogenen<br />
Verstandeskräfte und in Abel ein Personifikation der auf weniger Konkretes<br />
bezogenen Gefühlskräfte, dann sagt uns der Brudermord, dass die (äußeren)<br />
Verstandeskräfte nur dann Lehren, Philosophien, Ideologien, Weltans<strong>ch</strong>auungen<br />
oder allgemein gesagt Systeme konstruieren oder erbauen können, wenn sie es<br />
s<strong>ch</strong>affen, si<strong>ch</strong> aus der Dominanz der Gefühle zu lösen, so dass diese in der Sphäre<br />
des neuen Herrn zu einem Ni<strong>ch</strong>ts werden.<br />
Swedenborg formuliert in HG 337 so etwas wie einen Titel zu Genesis 4,1 bis 16:<br />
»Die Entartung (de degeneratione) der ältesten Kir<strong>ch</strong>e bzw. die Verfäls<strong>ch</strong>ung ihrer<br />
Lehre«. Der Urmens<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>lug aus der ursprüngli<strong>ch</strong>en Art, als er sein (primitives)<br />
Gegründetsein in der Gefühlwahrnehmung (Abel) verließ, um die Objektwahrnehmung<br />
(Kain) zu kultivieren. So verließ er die himmlis<strong>ch</strong>en und geistigen<br />
Sphären und wurde mehr und mehr ein Bürger der Raumzeitwelt. Da aber nur die<br />
Gefühlskräfte das Bewusstsein aus dem Ursprung unversehrt erhalten können,<br />
kam es, als Abels Blut im Boden dieser Welt versickerte, zur allmähli<strong>ch</strong>en Auflösung<br />
des Wissens um die hohe Herkunft des homo sapiens. Das nennt Swedenborg<br />
die Verfäls<strong>ch</strong>ung der Lehren oder Überlieferungen der Urkir<strong>ch</strong>e.<br />
Die Auslegung der einzelnen Verse<br />
Zu Genesis 4,1: In den deuts<strong>ch</strong>en Übersetzungen 246 der heiligen S<strong>ch</strong>rift ist »haadam«<br />
entweder mit »Adam« (als Eigenname) oder mit »der Mens<strong>ch</strong>« (gemeint ist<br />
245<br />
Belege findet man beispielsweise bei Eugen Drewermann, Strukturen des Bösen, 1988, Band<br />
1, Seiten 111ff., Band 2, Seiten 247ff.<br />
246<br />
Die folgenden deuts<strong>ch</strong>en Übersetzungen der heiligen S<strong>ch</strong>rift wurden herangezogen: 1. Übersetzungen<br />
in der Tradition Swedenborgs: 1.1. Die deuts<strong>ch</strong>e Übersetzung von ESL (siehe unten)<br />
in »himmlis<strong>ch</strong>e Geheimnisse«, Tübingen 1845ff. (ESD). 1.2. »Die Bibel oder die Heilige<br />
S<strong>ch</strong>rift des Alten und Neuen Testaments übersetzt … von Dr. Leonhard Tafel«, Frankfurt am<br />
Main 1880 (LEO). 1.3. »Die Bibel oder die Heilige S<strong>ch</strong>rift des Alten und Neuen Testaments<br />
übersetzt … von Dr. Leonhard Tafel, revidiert von Professor Ludwig H. Tafel«, Philadelphia<br />
1911 (LUD). 2. »Wörtli<strong>ch</strong>e« Übersetzungen (der S<strong>ch</strong>werpunkt bei diesem Übersetzungstyp<br />
ruht ganz bei der Urspra<strong>ch</strong>e): 2.1. »Elberfelder Bibel«, revidierte Fassung von 1991 (ELB). 3.<br />
»Mittlere« Übersetzungen (dieser Übersetzungstyp su<strong>ch</strong>t einen mittleren Weg zwis<strong>ch</strong>en Urspra<strong>ch</strong>e<br />
und Zielspra<strong>ch</strong>e bzw. einer wörtli<strong>ch</strong>en und einer verständli<strong>ch</strong>en Übersetzung): 3.1.
Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 119<br />
der erstges<strong>ch</strong>affene Mens<strong>ch</strong>) wiedergegeben. Von der Mögli<strong>ch</strong>keit, »ha-adam« mit<br />
»der Mann« zu übersetzen, ma<strong>ch</strong>t keine der herangezogenen deuts<strong>ch</strong>en Bibeln<br />
Gebrau<strong>ch</strong>, obwohl der Mann und seine Frau zum erwarteten Verständnis eines<br />
ersten Mens<strong>ch</strong>enpaares besser passt als der Mens<strong>ch</strong> und seine Frau. Swedenborg<br />
hat »homo« (der Mens<strong>ch</strong>) im Unters<strong>ch</strong>ied zu Sebastian S<strong>ch</strong>midt, dessen lateinis<strong>ch</strong>e<br />
Bibelübersetzung er immer vor si<strong>ch</strong> hatte und wo er »Adam« las.<br />
Der Mens<strong>ch</strong> und seine Frau versinnbildli<strong>ch</strong>en »die älteste Kir<strong>ch</strong>e« (HG 338). Dazu<br />
zwei Bemerkungen. Erstens: »Ha-adam« kann kollektiv (die Urmens<strong>ch</strong>heit) oder<br />
individuell (der Urmens<strong>ch</strong>) verstanden werden. Swedenborg hat si<strong>ch</strong> in seiner<br />
Auslegung der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te für das kollektive Verständnis der »Personennamen«<br />
ents<strong>ch</strong>ieden (siehe seine Bemerkung zu Noah in HG 1025). Zweitens: Das kollektive<br />
Verständnis Adams (»ha-adam« glei<strong>ch</strong> die älteste Kir<strong>ch</strong>e) hat aber no<strong>ch</strong> etwas<br />
von Raum und Zeit an si<strong>ch</strong> und steht somit in einer gewissen Spannung zu dem,<br />
was Swedenborg sonst zum inneren Sinn sagt: »Vor den Engeln, die im inneren<br />
Sinn sind, vers<strong>ch</strong>windet alles, was zur Materie, zu Raum und Zeit gehört.« (HG<br />
488, vgl. au<strong>ch</strong> 813, 3254). Das bedeutet, Swedenborgs Verständnis von »ha-adam«<br />
als Sinnbild für die Urkir<strong>ch</strong>e ist erst der Anfang der Enthüllung des inneren Sinnes.<br />
Oder, um es no<strong>ch</strong> einmal mit den Eingangsworten zu sagen: Swedenborg ist<br />
nur ein Wegweiser, der uns zwar den Weg weist, aber in seinen S<strong>ch</strong>riften das<br />
himmlis<strong>ch</strong>e Ziel no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t vollständig offenbart. So lädt er uns ein, eigene Forts<strong>ch</strong>ritte<br />
in der Erfors<strong>ch</strong>ung der geistigen Sinnwelten zu ma<strong>ch</strong>en. Dabei sollte uns<br />
allerdings bewusst sein, dass wir die Grenze des Sagbaren ni<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>nell und au<strong>ch</strong><br />
ni<strong>ch</strong>t beliebig weit vorans<strong>ch</strong>ieben können. Je weiter wir na<strong>ch</strong> innen vorstoßen,<br />
desto subtiler werden die S<strong>ch</strong>wingungen des inneren und innersten Sinnes. Bis in<br />
wel<strong>ch</strong>e Höhe kann unser Herz diese S<strong>ch</strong>wingungen no<strong>ch</strong> wahrnehmen? Und ab<br />
wann versagt uns die Spra<strong>ch</strong>e ihren Dienst am Heiligtum? Wir werden also nur<br />
behutsam vorgehen können.<br />
Auf dem Weg na<strong>ch</strong> innen streifen wir das Zeitli<strong>ch</strong>e ab und begeben uns mehr und<br />
mehr in die Beoba<strong>ch</strong>tung der Zustände. Swedenborg s<strong>ch</strong>reibt: »Wenn man die Vorstellung<br />
von Zeit entfernt, dann bleibt diejenige des Zustandes der Dinge, die zu<br />
jener Zeit waren.« (HG 488). In diesem Sinne meint die älteste Kir<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>t nur<br />
eine religionsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Epo<strong>ch</strong>e, sondern au<strong>ch</strong> den Zustand der Kindheit.<br />
Swedenborg <strong>ch</strong>arakterisiert die älteste Kir<strong>ch</strong>e oft als eine himmlis<strong>ch</strong>e (HG 281),<br />
»Die Bibel na<strong>ch</strong> der Übersetzung Martin Luthers«, revidierte Fassung von 1984 (LUT). 3.2. Die<br />
»Zür<strong>ch</strong>er Bibel« in der revidierten Fassung von 1931 (ZUR). 3.3. Die »Einheitsübersetzung«,<br />
Stuttgart 1980 (EIN). 3.4. »Die Heilige S<strong>ch</strong>rift des Alten und Neuen Testaments übersetzt von<br />
Hermann Menge«, Stuttgart 1949 (MEN). 4. »Freie« Übersetzungen (bei diesem Übersetzungstyp<br />
hat si<strong>ch</strong> das Interesse ganz auf die Zielspra<strong>ch</strong>e verlagert): 4.1. »Gute Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t Bibel«, revidierte<br />
Fassung 1997 der »Bibel in heutigem Deuts<strong>ch</strong>«, Stuttgart 2000 (GNB). 4.2. »Hoffnung<br />
für alle - die Bibel«, Basel 2002 (HFA). Außerdem wurden die folgenden lateinis<strong>ch</strong>en Übersetzungen<br />
berücksi<strong>ch</strong>tigt: 1. »Biblia Sacra sive Testamentum Vetus et Novum … a Sebastiano<br />
S<strong>ch</strong>midt«, Argentoratum (Straßburg) 1696 (SS<strong>ch</strong>m). 2. Emanuel Swedenborgs lateinis<strong>ch</strong>e<br />
Übersetzung der Bü<strong>ch</strong>er »Genesis« und »Exodus« in »Arcana Caelestia« (ESL).
120 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
wobei himmlis<strong>ch</strong> in seiner Terminologie auf die Liebe zum himmlis<strong>ch</strong>en Vater<br />
hindeutet (HG 1001). »Ha-adam« hat etwas mit dem naiven (das heißt kindli<strong>ch</strong>en)<br />
Urzustand des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Wesens zu tun. Soeben aus der göttli<strong>ch</strong>en Ma<strong>ch</strong>t in<br />
die Freiheit des eigenen Lebens entlassen, ist es no<strong>ch</strong> ganz im Urvertrauen geborgen<br />
und s<strong>ch</strong>aut do<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on mit großen Augen in die verlockende Weite der<br />
Welt hinaus. Sie wird ihn magis<strong>ch</strong> anziehen und nötigen, sein Wesen auf allen<br />
Ebenen zu gebären, ni<strong>ch</strong>t selten unter großen S<strong>ch</strong>merzen. »Ha-adam« kann uns<br />
sona<strong>ch</strong> die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des Individualgeistes auf dem Weg der Personwerdung<br />
erzählen. Die Geburten sind die stufenweisen Verwirkli<strong>ch</strong>ungen der aus der<br />
Ma<strong>ch</strong>t des Allmä<strong>ch</strong>tigen freigestellten Potenz. Während »ha-adam« und seine<br />
»<strong>ch</strong>awwah« (Eva) no<strong>ch</strong> aus der Hand Gottes hervorgingen, sie sind also ni<strong>ch</strong>t Geborene,<br />
sondern Ges<strong>ch</strong>affene, Kreationen des göttli<strong>ch</strong>en Geistes, beginnt nun mit<br />
Kain und Abel die Kette der Geburten. Was hat es zu bedeuten, dass glei<strong>ch</strong> mit<br />
dem Auftakt des eigenen Gebärens ein Gegensatz, eine Dualität erzeugt wird?<br />
Der Mens<strong>ch</strong> »erkannte« seine Frau. Wie sinnentstellend »freie« Bibelübersetzungen<br />
sein können, zeigt am Beispiel dieser Stelle die »Gute Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t Bibel«; dort<br />
heißt es: »Adam s<strong>ch</strong>lief mit seiner Frau« (Gen 4,1). »S<strong>ch</strong>lafen« (ni<strong>ch</strong>t wa<strong>ch</strong> sein) ist<br />
beinahe das Gegenteil von »erkennen« (hellwa<strong>ch</strong> sein). 247 Die ni<strong>ch</strong>t-wörtli<strong>ch</strong>en<br />
Bibelübersetzungen geloben zwar »die selbstverständli<strong>ch</strong>e Treue zum Original«<br />
(GNB 345), aber mit der Preisgabe der spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Form können diese Übersetzer<br />
immer nur den Sinn in die Zielspra<strong>ch</strong>e übertragen, den sie selbst im Kopf<br />
haben. Die Übersetzer der GNB denken an den Beis<strong>ch</strong>laf, aber indem sie mit dieser<br />
Vorstellung im Kopf das hebräis<strong>ch</strong>e »jada‘« mit »s<strong>ch</strong>lafen« verständli<strong>ch</strong>er wiedergeben<br />
wollen, ers<strong>ch</strong>weren sie dem Bibelleser den Weg in das innere Heiligtum<br />
des Wortes. Denn nun kann er beispielsweise ni<strong>ch</strong>t mehr so lei<strong>ch</strong>t den Zusammenhang<br />
zwis<strong>ch</strong>en dem Essen vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen<br />
und der Geburt vom Kain (das Böse) und Abel (das Gute) in Folge der Erkenntnis,<br />
die der Mens<strong>ch</strong> nun in seine Frau einbildet (oder einführt), entdecken. Das Aneignen<br />
(Essen) der einen Erkenntnis wirkt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> auf die andere, erzeugende Erkenntnis<br />
aus.<br />
Franz Delitzs<strong>ch</strong> (1813 - 1890) ma<strong>ch</strong>t darauf aufmerksam, dass »erkennen« im<br />
Sinne von Genesis 4,1 nie »von den Thieren« vorkommt, »denn was beim Thiere<br />
naturnothwendiger Instinct ist, das ist beim Mens<strong>ch</strong>en freies, sittli<strong>ch</strong> verantwortli<strong>ch</strong>es<br />
Thun«. 248 Das Erkennen seines weibli<strong>ch</strong>en Gegenübers ist als geistiger<br />
Akt der spezifis<strong>ch</strong> mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Akt des Erzeugens, denn der Mens<strong>ch</strong> ist der Fakkelträger<br />
des Geistes, der geistige Samen dur<strong>ch</strong> seine Natur ausgebären soll. Wir<br />
müssen uns von der Meinung des Sensualismus oder Empirismus ganz und gar<br />
befreien, wona<strong>ch</strong> der Erkennende nur aufnimmt, nämli<strong>ch</strong> Eindrücke dur<strong>ch</strong> die<br />
247<br />
I<strong>ch</strong> übersetze »jada‘« zwar ni<strong>ch</strong>t mit »s<strong>ch</strong>lafen«, aber natürli<strong>ch</strong> muss man hier an die Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />
des Mannes mit der Frau denken. Na<strong>ch</strong> HG 4914 (zu Gen 38,26) hat »erkennen« die<br />
Bedeutung »conjungi« (si<strong>ch</strong> verbinden bzw. verbunden werden; vgl. conjugium = Ehe).<br />
248<br />
Franz Delitzs<strong>ch</strong>, Commentar über die Genesis, Leipzig 1872, Seite 162.
Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 121<br />
Sinne. Wir können Genesis 4,1 nur verstehen, wenn wir sehen, dass das Erkennen<br />
ein Akt des Gebens ist. Das geht aus dem Dreiklang der Verben »erkennen«,<br />
»empfangen«, »gebären« deutli<strong>ch</strong> hervor. Da die Folge des Erkennens das Empfangen<br />
ist, muss das Erkennen selbst ein Geben sein. Von »ha-adam« geht demna<strong>ch</strong><br />
ein geistiger Impuls aus, der von seiner Frau empfangen und verwirkli<strong>ch</strong>t wird.<br />
»Ha-adam« (der geistbegabte Erdling) ist ein zwiespältiges Wesen. Gott und Welt,<br />
Geist und Materie stoßen in ihm zusammen. »Ha-adam« erkennt das, und diese Erkenntnis<br />
dur<strong>ch</strong>läuft wie eine S<strong>ch</strong>ockwelle seine Natur und erzeugt den ersten<br />
unversöhnli<strong>ch</strong>en, fundamentalen Konflikt, dargestellt dur<strong>ch</strong> Kain und Abel.<br />
Swedenborg übersetzt »is<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ah« mit »mulier« (Weib) oder »uxor« (das eheli<strong>ch</strong><br />
mit dem Mann verbundene Weib). 249 Geistig bedeutet »is<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ah« »das Eigene«<br />
(proprium) und »die Kir<strong>ch</strong>e« (ecclesia). Man kann si<strong>ch</strong> fragen, wel<strong>ch</strong>er Zusammenhang<br />
zwis<strong>ch</strong>en diesen beiden Begriffen besteht, zumal Swedenborg sagt: »Das<br />
Eigene ist ni<strong>ch</strong>ts als nur etwas Böses und Fals<strong>ch</strong>es.« (HG 215). Do<strong>ch</strong> die Antwort<br />
ist einfa<strong>ch</strong>. Das Eigene oder das I<strong>ch</strong>wesen des Mens<strong>ch</strong>en ist an und für si<strong>ch</strong> so<br />
etwas wie ein Spiegelbild Gottes, und in einem sol<strong>ch</strong>en Bild ist eben alles spiegelverkehrt.<br />
Also ist das Bild Gottes als sol<strong>ch</strong>es etwas dur<strong>ch</strong> und dur<strong>ch</strong> Verkehrtes.<br />
Alles weitere hängt nun davon ab, ob si<strong>ch</strong> der Mens<strong>ch</strong> in das Spiegelbild so sehr<br />
verliebt, dass er meint, es sei das Urwesen, oder ob er den S<strong>ch</strong>ein dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>auen<br />
und erkennen kann, dass sein I<strong>ch</strong>wesen nur ein Reflex des Urwesens im Bewusstsein<br />
des äußeren Mens<strong>ch</strong>en ist. Im ersten Fall wird das I<strong>ch</strong> zum Idol, zum<br />
Megastar der Diesseitsparty mit leider tödli<strong>ch</strong>em Ausgang. Im zweiten Fall bleibt<br />
das I<strong>ch</strong>wesen mit dem Urwesen verbunden und wird zur Kir<strong>ch</strong>e, das heißt zum<br />
Raum der Ruhe des siebten Tages. »Ha-adam« erkannte in »<strong>ch</strong>awwah« Kain (die<br />
Selbstverblendung) und Abel (den Atem Gottes), beide erkannte er in dem, was<br />
ihm eigen war. Und so nahmen sie dur<strong>ch</strong> »<strong>ch</strong>awwah« Gestalt an und wurden Geborene<br />
aus dem Samen der Erkenntnis des Adam.<br />
»Die Mutter aller Lebendigen« (Gen 3,20) bringt als erste Geburt den Todbringer<br />
Kain zur Welt, sie spra<strong>ch</strong>: »Qaniti - Erworben (oder ers<strong>ch</strong>affen) habe i<strong>ch</strong> einen<br />
Mann, den Jahwe.« »Qajin« (Kain), den Namen ihres Sohnes, bringt die Urmutter<br />
mit »qanah« in Verbindung. Das Verb bedeutet sowohl »erwerben« als au<strong>ch</strong> »ers<strong>ch</strong>affen«<br />
(Seebass 148). Swedenborg ents<strong>ch</strong>eidet si<strong>ch</strong> für »acquirere« (erwerben)<br />
und deutet den Freudenruf der »Mutter aller (geistig) Lebendigen«, also der Urkir<strong>ch</strong>e,<br />
dahingehend, dass einige anfingen, den Glauben (Kain) für »etwas Selbständiges<br />
(res per se)« zu halten (HG 340). Sie überließen si<strong>ch</strong> dem Eindruck, dass<br />
man dur<strong>ch</strong> das Glaubenswissen etwas zum Glaubensleben hinzuerwerben könne.<br />
»Qajin«, der oder das Erworbene, stellt die Sphäre des Habens dar oder die Verblendung<br />
des in die Eigenmä<strong>ch</strong>tigkeit entlassenen Mens<strong>ch</strong>en, der zuerst si<strong>ch</strong><br />
selbst und dann au<strong>ch</strong> alles Seiende besitzen will.<br />
249<br />
Eine Übersi<strong>ch</strong>t der Übersetzung von »is<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ah« in Genesis 1 bis 4,16 dur<strong>ch</strong> Swedenborg<br />
(siehe ESL): Er übersetzt »is<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ah« mit »mulier« in Genesis 2,22; 3,1.2.4.6.12.13.15.16. Mit<br />
»uxor« übersetzt er das Wort in Genesis 2,23.24.25; 3,8.17.20.21; 4,1.
122 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
In Genesis 14,19.22 bezei<strong>ch</strong>net das Partizip »qoneh« den S<strong>ch</strong>öpfergott. Wenn man<br />
von daher »qaniti« in Genesis 4,1 mit »i<strong>ch</strong> habe ers<strong>ch</strong>affen« übersetzt, dann bedeutet<br />
das, dass si<strong>ch</strong> die Urmutter, die zum allerersten Mal ein lebendiges Wesen<br />
geformt und geboren hat, als Göttin versteht. »Ihr werdet sein wie Gott« (Gen 3,5),<br />
»<strong>ch</strong>awwah« (Eva) ist zur Göttin geworden, denn sie hat Leben ers<strong>ch</strong>affen. Allerdings<br />
ist sie au<strong>ch</strong> einem Wahn verfallen. Das Werkzeug hält si<strong>ch</strong> nämli<strong>ch</strong> für die<br />
Ursa<strong>ch</strong>e. Das Organ erliegt der Täus<strong>ch</strong>ung, dass die s<strong>ch</strong>öpferis<strong>ch</strong>e Ma<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t<br />
nur in ihm wirksam, sondern ihm au<strong>ch</strong> eigen sei. Dazu Swedenborg: »Der Mens<strong>ch</strong><br />
empfindet es ni<strong>ch</strong>t anders, als dass er aus seinem eigenen Leben heraus lebt,<br />
denn das Werkzeugli<strong>ch</strong>e empfindet das Ursprüngli<strong>ch</strong>e als ihm eigen. Es vermag<br />
hier ni<strong>ch</strong>t zu unters<strong>ch</strong>eiden, denn die ursprüngli<strong>ch</strong>e Ursa<strong>ch</strong>e (causa principalis)<br />
und die werkzeugli<strong>ch</strong>e Ursa<strong>ch</strong>e (causa instrumentalis) wirken na<strong>ch</strong> einem in der<br />
gelehrten Welt bekannten Lehrsatz als eine Ursa<strong>ch</strong>e zusammen.« (WCR 473).<br />
Dementspre<strong>ch</strong>end wird si<strong>ch</strong> Kain als Herr gebärden.<br />
Swedenborg (siehe ESL) versteht »et-jahwe« als Akkusativ, so dass wir im Ans<strong>ch</strong>luss<br />
an Swedenborg übersetzt haben: »I<strong>ch</strong> habe einen Mann erworben, den<br />
Jahwe.« Ein Blick in die deuts<strong>ch</strong>en Bibeln zeigt jedo<strong>ch</strong>, dass wir damit von der<br />
übli<strong>ch</strong>en Praxis abwei<strong>ch</strong>en. In der Elberfelder Bibel heißt es: »I<strong>ch</strong> habe einen<br />
Mann hervorgebra<strong>ch</strong>t mit dem Herrn.« In der Lutherbibel heißt es: »I<strong>ch</strong> habe einen<br />
Mann gewonnen mit Hilfe des Herrn.« In der Zür<strong>ch</strong>er Bibel heißt es: »I<strong>ch</strong> habe<br />
einen Sohn bekommen mit des Herrn Hilfe.« Und in der (katholis<strong>ch</strong>en) Einheitsübersetzung<br />
heißt es: »I<strong>ch</strong> habe einen Mann vom Herrn erworben.« Das heißt, die<br />
gegenwärtig maßgebli<strong>ch</strong>en Interpreten sehen in »et« die Präposition »mit« (bzw.<br />
»mit Hilfe von«). Die Einheitsübersetzung glättet dieses Verständnis spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />
ein wenig und so wird dann aus »mit« »von«. Was spri<strong>ch</strong>t demgegenüber für unsere<br />
Übersetzung in der Tradition Swedenborgs? Erstens der spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Befund:<br />
Horst Seebass sagt klar, dass »die philologis<strong>ch</strong> einfa<strong>ch</strong>ste Auffassung die eines<br />
doppelten Akkusativs« ist (148). Und Franz Delitzs<strong>ch</strong> bemerkt: »… häufig findet<br />
si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> einem ersten Acc. ein zweiter näher bestimmender mit ›et‹ 6,10; 26,34;<br />
Jes 7,17, während ›et-jahve‹ als abverbialer Satztheil in der Bed. ›mit jahve‹ sonst<br />
ni<strong>ch</strong>t vorkommt …« (162). Der spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Befund weist demna<strong>ch</strong> ziemli<strong>ch</strong> deutli<strong>ch</strong><br />
auf Swedenborgs Übersetzung. Daher sollte man si<strong>ch</strong> für sie ents<strong>ch</strong>eiden,<br />
wenn man in ihr au<strong>ch</strong> einen Sinn entdecken kann, womit wir nun zweitens beim<br />
inhaltli<strong>ch</strong>en Befund sind. Delitzs<strong>ch</strong> weist auf einen interessanten Zusammenhang<br />
hin. Beim Verständnis von »et-jahwe« als Akkusativ würde Eva »das männli<strong>ch</strong>e<br />
Kind … für den Messias … oder den mens<strong>ch</strong>gewordenen Jahve halten« (162). Sie<br />
knüpft an ihn »die Hoffnung auf Erfüllung der Verheißung vom Weibessamen<br />
[siehe Genesis 3,15].« (163) 250 . Na<strong>ch</strong> Swedenborg ist Kain ein Sinnbild für »die<br />
250<br />
Diese Deutung fand i<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> bei Jakob Böhme: »Höre und besiehe das s<strong>ch</strong>öne Kind in Adams<br />
und Evas Willen, was ihr Begehren vor und na<strong>ch</strong> dem Falle war: Sie begehrten das irdis<strong>ch</strong>e<br />
Rei<strong>ch</strong>, als dann Eva dur<strong>ch</strong>aus nur irdis<strong>ch</strong> gesinnet war. Denn als sie Cain gebar, spra<strong>ch</strong> sie:<br />
›I<strong>ch</strong> habe den Mann, den Herrn‹, sie geda<strong>ch</strong>te, es wäre der S<strong>ch</strong>lagentreter, er würde das irdis<strong>ch</strong>e<br />
Rei<strong>ch</strong> einnehmen und den Teufel verjagen, sie da<strong>ch</strong>te ni<strong>ch</strong>t, daß sie sollte ihres fals<strong>ch</strong>en,
Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 123<br />
Lehre des von der Liebe getrennten Glaubens« (HG 325). Die Identifikation dieses<br />
Glaubens mit dem von einer Frau geborenen Jahwe, das heißt mit dem Messias,<br />
bedeutet so gesehen, dass der bloße Glaube als Erlöser verkündet wird. Swedenborg<br />
sieht allerdings no<strong>ch</strong> einen anderen Zusammenhang. Der Gottesname Jahwe<br />
wird in der hebräis<strong>ch</strong>en Bibel vom Verb »sein« her erhellt (Exodus 3,14). Demna<strong>ch</strong><br />
s<strong>ch</strong>älten si<strong>ch</strong> bereits in der Urkir<strong>ch</strong>e die Glaubenslehren als etwas selbständig<br />
Seiendes heraus (»res per se«, HG 340).<br />
Zu Genesis 4,2: Die Kir<strong>ch</strong>enväter sahen in Abel eine Vorbildung oder Präfiguration<br />
Christi. 251 Diese Deutung ist au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> beim Swedenborg der von J. F. I. Tafel<br />
sogenannten »Adversaria« 252 vorhanden, wo es heißt: »Die beiden erstgeborenen<br />
Söhne Adams bilden die beiden Fürsten oder Führer vor, Kain offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> den<br />
Fürsten der Welt mit seinem Haufen, Abel hingegen den Fürsten des Himmels<br />
bzw. den Messias ohne Na<strong>ch</strong>kommens<strong>ch</strong>aft.« (WE 90). 253 In den »himmlis<strong>ch</strong>en<br />
Geheimnissen« hat Swedenborg jedo<strong>ch</strong> die personale Hülle abgestreift und präsentiert<br />
uns ein abstraktes Verständnis (vgl. »in sensu abstracto« in HG 2232).<br />
Das geistige Verständnis ist beim Swedenborg der »himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnisse«<br />
zuglei<strong>ch</strong> ein abstraktes, das sagt er ausdrückli<strong>ch</strong>: »Im inneren Sinn wird alles von<br />
den Personen entfernt (in sensu interno abstrahuntur omnia a personis)« (HG<br />
5434; vgl. au<strong>ch</strong> EO 78). Und so wird aus Abel, der Präfiguration des Messias, die<br />
»tätige Liebe« (HG 341), denn die Person Christi ist geradezu die Verkörperung<br />
oder der Inbegriff dieser Liebe (vgl. Joh 13,34).<br />
irdis<strong>ch</strong>en, fleis<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Willens sterben, und in einem heiligen Willen geboren werden. Einen<br />
sol<strong>ch</strong>en Willen führte sie au<strong>ch</strong> in ihren Samen ein, desglei<strong>ch</strong>en au<strong>ch</strong> Adam.« (Mysterium Magnum<br />
26,23). Eva glaubte demna<strong>ch</strong>, den S<strong>ch</strong>lagentreter von Genesis 3,15 geboren zu haben.<br />
251<br />
Spuren des früh<strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>en Verständnisses Abels: Die Abel-Christus-Typologie ist von Ambrosius<br />
»in der S<strong>ch</strong>rift ›De Cain et Abel‹ zum erstenmal in voller Breite dargelegt worden. Ihm<br />
folgten … Augustinus, Leo d. Gr., Maximus von Turin, Paulinus von Nola, Gregor d. Gr., Isidor,<br />
Hrabanus Maurus, Rupert von Deutz und andere (siehe PL 219,243).« (Hans Martin von Erffa,<br />
Ikonologie der Genesis, Band 1, 1989, Seite 359). In einer ehemals Johannes Chrysostomus<br />
zuges<strong>ch</strong>riebenen S<strong>ch</strong>rift »De sacrificiis Caini, de donis Abelis« usw. heißt es: »weil Abel als erster<br />
für die Gere<strong>ch</strong>tigkeit gekämpft hat, war er als erster würdig, für seine Frömmigkeit zu<br />
leiden: so wurde er zu einem Vorbild Christi (imago Christi)«. Bei dem Benediktinermön<strong>ch</strong><br />
Radbert von Corbie (Pas<strong>ch</strong>asius Radbertus) liest man zusammenfassend: »Darum ist Abel der<br />
erste als Vorbild Christi (figura Christi) und sehr gere<strong>ch</strong>ter Prophet, zum Beispiel wenn man<br />
liest, er habe Gottvater ein Lamm dargebra<strong>ch</strong>t und geopfert; er zeigte ihm, daß er mit seinem<br />
Glauben und seinen Werken ein künftiges Lamm sei, das zum Heil der ganzen Welt Gottvater<br />
im liebli<strong>ch</strong>en Geru<strong>ch</strong> als S<strong>ch</strong>la<strong>ch</strong>topfer darzubringen sei. Darum ist au<strong>ch</strong> Abel, der im Glauben<br />
an Christus festblieb, so wie der Rebs<strong>ch</strong>oß an der Rebe, getötet worden als Vorbild (figura)<br />
jenes, und wurde zum Setzling aus der Rebe und zum treuen Zeugen« (Erffa 1,359f.).<br />
252<br />
Swedenborg gab diesem Werk den Titel »Explicatio in Verbum Historicum Vet. Test.«. In<br />
Ermangelung einer deuts<strong>ch</strong>en Übersetzung dieses umfangrei<strong>ch</strong>en Werkes verwende i<strong>ch</strong> das<br />
Sigel »WE« (na<strong>ch</strong> dem englis<strong>ch</strong>en Titel »The Word Explained«) und folge au<strong>ch</strong> der dortigen<br />
Nummerierung der Abs<strong>ch</strong>nitte.<br />
253<br />
Au<strong>ch</strong> bei Jakob Lorber ist Abel die erste Christusvorbildung (HGt 1,11.25).
124 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Abel war »ein Hirt der (Kleinvieh)herde« (Gen 4,2). Um zu einem hohen Verständnis<br />
dieser Tätigkeitsbes<strong>ch</strong>reibung aufsteigen zu können, darf man ni<strong>ch</strong>t bei<br />
Vorstellungen wie »Hirtenromantik« oder »S<strong>ch</strong>äferidylle« stehen bleiben. Denn der<br />
Hirte bezei<strong>ch</strong>nete in der altorientalis<strong>ch</strong>en Vorstellungswelt den (göttli<strong>ch</strong>en) König<br />
und Gott selbst: In »altorientalis<strong>ch</strong>en Königstitulaturen« ist »das Wort ›Hirte‹ eine<br />
der gebräu<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>sten Bezei<strong>ch</strong>nungen«. »Die Insignien der ägyptis<strong>ch</strong>en Könige, die<br />
sog. Geißel und das Zepter, waren ursprüngli<strong>ch</strong> die Abzei<strong>ch</strong>en des Hirten, nämli<strong>ch</strong><br />
Fliegenwedel und Hirtenstab. Au<strong>ch</strong> der grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Mythos weiß um die Wesensverwandts<strong>ch</strong>aft<br />
zwis<strong>ch</strong>en Hirt und König, wenn er den Königssohn Paris auf den<br />
Hängen des Ida seine Herde weiden lässt. Da na<strong>ch</strong> alter Vorstellung der König der<br />
irdis<strong>ch</strong>e Repräsentant Gottes ist, so wird au<strong>ch</strong> dieser im Bild des Hirten ges<strong>ch</strong>aut.<br />
In der mesopotamis<strong>ch</strong>en wie in der grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Kunst findet si<strong>ch</strong> das Bild des<br />
Hirten, der ein Lamm oder Kalb auf der S<strong>ch</strong>ulter trägt; so wurde au<strong>ch</strong> der grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e<br />
Gott Hermes als Kriophoros [S<strong>ch</strong>afträger] dargestellt.« 254 Au<strong>ch</strong> in der Heiligen<br />
S<strong>ch</strong>rift bezei<strong>ch</strong>net »weiden« das fürsorgli<strong>ch</strong>e Wirken des Regenten und wird<br />
von Jahwe, der das Volk hütet (Ps 23; Jes 40,11) und von Königen und Herrs<strong>ch</strong>ern<br />
ausgesagt (Ez 37,24). Und selbstverständli<strong>ch</strong> denken wir au<strong>ch</strong> an den Messias,<br />
den Christus; er ist der von Gott gesalbte König der Mens<strong>ch</strong>enherde. Er ist das<br />
Vollbild des guten Hirten (Joh 10), die es<strong>ch</strong>atologis<strong>ch</strong>e Verwirkli<strong>ch</strong>ung der alten<br />
Hoffnung auf einen sol<strong>ch</strong>en Hirten. Na<strong>ch</strong>dem dieser Mens<strong>ch</strong>heitshirte nun ers<strong>ch</strong>ienen<br />
ist, können alle anderen Hirtengestalten der Vergangenheit nur no<strong>ch</strong> als<br />
Präfigurationen des einen guten Hirten angesehen werden. Und so ist au<strong>ch</strong> Abel<br />
ein S<strong>ch</strong>attenbild des Christus und zum Herrs<strong>ch</strong>er bestimmt, zum »Hirten der Herde«.<br />
Die hohe, geistige Bedeutung Abels steht nun im Gegensatz zur Bedeutung seines<br />
Namens. Denn »hebel« - so müsste sein Name eigentli<strong>ch</strong> in der Ums<strong>ch</strong>rift lauten -<br />
bedeutet »Hau<strong>ch</strong>«, »ein Ni<strong>ch</strong>ts«, »Täus<strong>ch</strong>ung«, »Wahn«. 255 Wir können uns einen<br />
Zugang zum Verständnis dieses merkwürdigen Missverhältnisses bahnen, wenn<br />
wir uns daran erinnern, dass au<strong>ch</strong> heute ein großer Streit darüber herrs<strong>ch</strong>t, ob das<br />
Seelis<strong>ch</strong>e eine Ausdünstung des Gehirns oder do<strong>ch</strong> eine andere, immaterielle<br />
Entität sei. Ist die Seele also »ein Ni<strong>ch</strong>ts«? Ist die Rede von einer Seele eine »Täus<strong>ch</strong>ung«,<br />
ein »Wahn«? Dass die zweite Geburt Evas den Namen »hebel« bekommt,<br />
bedeutet, dass die Seele im Bewusstsein der gefallenen Mens<strong>ch</strong>heit an Substanz<br />
verliert. Denn die Wirkli<strong>ch</strong>keit der S<strong>ch</strong>lange, die physikalis<strong>ch</strong>en Wellen und<br />
S<strong>ch</strong>wingungen drängen si<strong>ch</strong> in den Vordergrund, so dass die Seele und ihre Wirkli<strong>ch</strong>keit<br />
mehr und mehr zu einem Ni<strong>ch</strong>ts wird. Und tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> stehen in der Er-<br />
254<br />
Manfred Lurker, Wörterbu<strong>ch</strong> biblis<strong>ch</strong>er Bilder und Symbole, 1990, Seite 173. Siehe au<strong>ch</strong> den<br />
Begriff des Hirtenkönigs in Bezug auf Ägypten bei Jakob Lorber (GEJ IV,202,16; 204,9,<br />
206,14).<br />
255<br />
So lesen wir zum Beispiel im Psalm 39,6: »Siehe, nur handbreit hast du meine Tage gema<strong>ch</strong>t,<br />
wie ni<strong>ch</strong>ts ist meine Lebenszeit vor dir. Nur ein Hau<strong>ch</strong> (hebel) ist der Mens<strong>ch</strong>.« Und in Kapitel<br />
7,16 sagt Hiob: »I<strong>ch</strong> mag ni<strong>ch</strong>t mehr - ni<strong>ch</strong>t ewig will i<strong>ch</strong> leben! Lass ab von mir! Meine Tage<br />
sind nur no<strong>ch</strong> ein Hau<strong>ch</strong> (hebel).«
Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 125<br />
zählung von Kain und Abel auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> Kain und seine Si<strong>ch</strong>tweise im Mittelpunkt.<br />
Abel kommt ni<strong>ch</strong>t zu Wort, nur Kain spri<strong>ch</strong>t in Genesis 4,1 bis 16. Außerdem<br />
ist die Verwendung von »Bruder« in Genesis 4,1 bis 16 aufs<strong>ch</strong>lussrei<strong>ch</strong>, denn<br />
damit ist immer nur Abel gemeint, nie Kain. Das heißt, dass die Bezugsperson, die<br />
im Mittelpunkt steht und das Umfeld determiniert, Kain ist. Für Kain ist Abel, das<br />
heißt die Herrs<strong>ch</strong>aft des Geistes über die Materie, ein leeres Ges<strong>ch</strong>wätz, und zwar<br />
einfa<strong>ch</strong> deswegen, weil es den Geist als ein selbständiges Wesen in seinen Augen<br />
gar ni<strong>ch</strong>t gibt. 256<br />
Kain war »ein Bearbeiter des Bodens« (»obed adamah«, Gen 4,2). Swedenborg<br />
übersetzte die hebräis<strong>ch</strong>e Wendung »obed adamah« mit »colens humum«. Das<br />
Verb »colere« und das dazugehörige Substantiv »cultus« (Kult) gehören in den<br />
gottesdienstli<strong>ch</strong>en Zusammenhang (siehe beispielsweise »colere Dominum« in HG<br />
7724). Au<strong>ch</strong> das hebräis<strong>ch</strong>e Verb »abad«, das im »obed adamah« enthalten ist,<br />
bedeutet einesteils »arbeiten« und »dienen«; andernteils aber, auf Gott bezogen, ist<br />
es die Bezei<strong>ch</strong>nung für das Gottesverhältnis und für den Kult oder den Dienst an<br />
einem Heiligtum. Daher kann mit »obed adamah« zwar einesteils<br />
»ein Ackerbauer« gemeint sein (siehe »agricola« in der Vulgata), andernteils kann<br />
im »obed adamah« aber au<strong>ch</strong> die Bedeutung »Anbeter des Irdis<strong>ch</strong>en« mits<strong>ch</strong>wingen.<br />
Die »adamah« wird so gesehen zu einem Kultobjekt, das heißt zum Gegenstand<br />
einer Verehrung, die eigentli<strong>ch</strong> nur Gott zukommen soll. Kain ist dann ni<strong>ch</strong>t<br />
nur ein Bebauer, sondern ein Diener der »adamah«. Und indem er si<strong>ch</strong> immer<br />
mehr der Ma<strong>ch</strong>tsphäre des Erdrei<strong>ch</strong>es (»adamah«) ausliefert, wird er am Ende<br />
ganz und gar zu einem Kne<strong>ch</strong>t und Sklaven des irdis<strong>ch</strong>en Rei<strong>ch</strong>es. 257 Wer also bei<br />
seinen Meditationen der heiligen S<strong>ch</strong>rift auf den »sensus spiritualis« (das geistige<br />
Empfinden) a<strong>ch</strong>tet, der wird im »obed adamah« ni<strong>ch</strong>t nur den Dienst am Boden,<br />
sondern au<strong>ch</strong> die Verkne<strong>ch</strong>tung dur<strong>ch</strong> den Boden oder das Irdis<strong>ch</strong>e wahrnehmen.<br />
Daher s<strong>ch</strong>rieb Swedenborg: »Von denen, die auf das Leibli<strong>ch</strong>e und Irdis<strong>ch</strong>e sehen,<br />
sagte man (einst), dass sie den Boden beackern« (HG 345). In der Na<strong>ch</strong>kommens<strong>ch</strong>aft<br />
Kains wird der kulturelle oder äußerli<strong>ch</strong>e Forts<strong>ch</strong>ritt der Mens<strong>ch</strong>heit zur<br />
Spra<strong>ch</strong>e kommen (siehe Genesis 4,20 bis 22).<br />
Der innere Sinn ist nuancenrei<strong>ch</strong>. Im »obed adamah« können wir au<strong>ch</strong> den Bibelausleger<br />
erkennen, der auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> die bu<strong>ch</strong>stäbli<strong>ch</strong>e Grundlage der heiligen<br />
S<strong>ch</strong>rift bearbeitet und dem der Geisthau<strong>ch</strong> des Wortes (Abel) als leeres Ges<strong>ch</strong>wätz<br />
ers<strong>ch</strong>eint, als das Gerede der S<strong>ch</strong>wärmer. Sol<strong>ch</strong>e Leute sind Grundlagenverehrer<br />
oder sogar Fundamentalisten. Sie ers<strong>ch</strong>lagen mit ihren Worten die Seele des Wortes<br />
(Abel). Daher sieht Swedenborg in Kain den bloßen Glauben, der si<strong>ch</strong> von der<br />
256<br />
Viktor Mohr bringt Abel mit »ahab« (lieben) in Verbindung. Siehe H. E. Sponder, Haushaltung<br />
Gottes dur<strong>ch</strong> Jakob Lorber, Lexikaler Anhang, 1979, Seite 36.<br />
257<br />
Kain übt eine Arbeit aus, die ni<strong>ch</strong>t ihn frei ma<strong>ch</strong>t, sondern versklavt. Je mehr der Mens<strong>ch</strong><br />
dem Irdis<strong>ch</strong>en dient, je mehr er si<strong>ch</strong> von der Sorge um das Irdis<strong>ch</strong>e beherrs<strong>ch</strong>en lässt, desto<br />
unfreier wird er, desto mehr wird er vom Irdis<strong>ch</strong>en beherrs<strong>ch</strong>t. Daher kann Jesus sagen: »Wer<br />
die Sünde tut, ist Sklave der Sünde.« (Joh 8,34).
126 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
ges<strong>ch</strong>wisterli<strong>ch</strong>en Liebe verabs<strong>ch</strong>iedet hat (die Orthodoxie). Kain ist die sterile<br />
Glaubenswissens<strong>ch</strong>aft, die nur no<strong>ch</strong> die historis<strong>ch</strong>en Zusammenhänge beackert<br />
und die Seele des Wortes auf dem Feld ihrer theologis<strong>ch</strong>en Wissens<strong>ch</strong>aft erwürgt.<br />
Aber au<strong>ch</strong> Kain darf am Leben bleiben, und für Abel wird ein Ersatz (Set) gefunden,<br />
aus dem s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> das lebendige Wort (Jesus Christus) hervorgehen wird.<br />
Während die Tätigkeit Abels in der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te bisher keine Rolle spielte, hat<br />
die Tätigkeit Kains dort bereits eine Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te. Am Anfang des sogenannten<br />
zweiten S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>ts heißt es: »und (no<strong>ch</strong>) gab es keinen Mens<strong>ch</strong>en, um<br />
den Boden zu bebauen« (Gen 2,5). Die Bestimmung des Mens<strong>ch</strong>en besteht darin,<br />
dem Boden bzw. der Grundlage seines Daseins einen Dienst zu erweisen, nämli<strong>ch</strong><br />
den Dienst der Verbindung des äußeren Mens<strong>ch</strong>en mit dem inneren und innersten.<br />
Diesem Sinn seines Daseins darf der »adam« zunä<strong>ch</strong>st im Garten Eden na<strong>ch</strong>kommen,<br />
das heißt im Wonneland seiner kindli<strong>ch</strong>en Liebe zu seinem himmlis<strong>ch</strong>en<br />
Vater. Denn weiter heißt es: »Und Jahwe Elohim nahm den Mens<strong>ch</strong>en und<br />
setzte ihn in den Garten Eden, um ihn zu bebauen und ihn zu behüten.« (Gen<br />
2,15). Do<strong>ch</strong> der Mens<strong>ch</strong> konnte si<strong>ch</strong> in diesem Zustand der vollkommenen Geborgenheit<br />
in Jahwe Elohim (in der göttli<strong>ch</strong>en Liebe und Weisheit) ni<strong>ch</strong>t halten, deswegen<br />
muss er seinen Auftrag nun jenseits von Eden verwirkli<strong>ch</strong>en (im sog. Diesseits).<br />
»Und Jahwe Elohim ließ ihn aus dem Garten Eden gehen, um die S<strong>ch</strong>olle zu<br />
beackern, von der er genommen war.« (Gen 3,23). Kain ist dieser Ackermann jenseits<br />
von Eden, der den Staub kultivieren und dem Hö<strong>ch</strong>sten von daher etwas<br />
darbringen will.<br />
Zu Genesis 4,3: »Und es ges<strong>ch</strong>ah am Ende der Tage (miqqez jamim)«, so habe i<strong>ch</strong><br />
den Grundtext in Übereinstimmung mit der neukir<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Tradition übersetzt.<br />
Ni<strong>ch</strong>t unbeabsi<strong>ch</strong>tigt weckt diese Verdeuts<strong>ch</strong>ung die Vorstellung einer Endzeit,<br />
»es ges<strong>ch</strong>ah in der Endzeit (am Ende der Tage)«. Die hebräis<strong>ch</strong>e Wendung »miqqez<br />
jamim« wird von Swedenborg jedo<strong>ch</strong> ganz wörtli<strong>ch</strong> mit »a fine dierum« übersetzt.<br />
Die mögli<strong>ch</strong>st wörtli<strong>ch</strong>e deuts<strong>ch</strong>e Übersetzung lautet »vom Ende von Tagen«.<br />
Diese für unsere Ohren etwas fremde Formulierung meint einfa<strong>ch</strong> nur »na<strong>ch</strong><br />
dem Verlauf einer geraumen Zeit« 258 . Au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Swedenborg meint die hebräis<strong>ch</strong>e<br />
Wendung »ein Forts<strong>ch</strong>reiten in der Zeit« (»progressus temporis«, HG 347).<br />
Swedenborg enthüllt hier also ni<strong>ch</strong>t den inneren Sinn, sondern bes<strong>ch</strong>reibt einfa<strong>ch</strong><br />
nur den natürli<strong>ch</strong>en Wortsinn. Sol<strong>ch</strong>e Beoba<strong>ch</strong>tungen ma<strong>ch</strong>en wir bei der aufmerksamen<br />
Lektüre der »himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnisse« oft. Der Enthüller des inneren<br />
Sinnes ist oft nur ein guter Kenner der hebräis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>e.<br />
Das Wesen Kains brau<strong>ch</strong>t eine gewisse Zeit, um si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> außen hin so darstellen<br />
zu können, wie es innerli<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>affen ist. Zeiten bezei<strong>ch</strong>nen Zustände,<br />
die dur<strong>ch</strong>lebt werden müssen, um das Wesen vollständig zu verwirkli<strong>ch</strong>en oder<br />
258<br />
Na<strong>ch</strong> Delitzs<strong>ch</strong> meint die hebräis<strong>ch</strong>e Wendung »na<strong>ch</strong> Verlauf geraumer Zeit« (163). Na<strong>ch</strong><br />
Gesenius bedeutet »miqqez« »m. folg. Zeitbestimmung: n. Verlauf von« (719). Der Plural »jamim«<br />
kann au<strong>ch</strong> »einige Zeit« bedeuten (Gesenius 294).
Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 127<br />
um alles, was nur potentiell ist endli<strong>ch</strong> aktuell in Ers<strong>ch</strong>einung treten zu lassen.<br />
Die Endzeit ist so gesehen die Zeit der Vollendung, das heißt der vollendeten Darstellung<br />
des verborgenen Wesens auf der Ebene der äußeren Handlungen. Die<br />
Endzeit ist die Zeit der Apokalypsis bzw. der Enthüllung (des bis dato verborgenen<br />
Wesens). Den Gedanken eines »Forts<strong>ch</strong>reitens in der Zeit«, das zur sukzessiven<br />
Enthüllung des bösartigen Antriebs führt, äußert Swedenborg au<strong>ch</strong> im<br />
es<strong>ch</strong>atologis<strong>ch</strong>en Kapitel der »Wahren Christli<strong>ch</strong>en Religion«: »Es hat auf der Erde<br />
mehrere Kir<strong>ch</strong>en gegeben, und sie alle sind im Verlauf der Zeit (successu temporis)<br />
zu ihrem Ende gelangt (consummatae sunt).« (WCR 753). So brau<strong>ch</strong>t es also<br />
eine gewisse Zeit bis das bloße Fürwahrhalten oder die religiöse Re<strong>ch</strong>thaberei ihr<br />
wahres Gesi<strong>ch</strong>t vor aller Welt enthüllt. Der Bu<strong>ch</strong>stabenglaube oder der Fundamentalismus<br />
ist der Vater des Fanatismus und der Glaubenskriege. Glei<strong>ch</strong>es gilt<br />
für die säkularen Verwandten, die Ideologien. Sie würgen skrupellos die zarte<br />
Stimme des Gewissens im Dienste der hemmungslosen Selbstverwirkli<strong>ch</strong>ung<br />
ihrer eigenen Interessen ab.<br />
Frü<strong>ch</strong>te stehen in der Bilderspra<strong>ch</strong>e der heiligen S<strong>ch</strong>rift für die Hervorbringungen<br />
oder Produkte des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Geistes. Frü<strong>ch</strong>te stehen für seine Werke.<br />
Psalm 1 ist die Seligpreisung des Mannes, dessen Freude die Tora (Weisung)<br />
Jahwes ist. Dieser Mann »ist wie ein Baum, gepflanzt an Wasserbä<strong>ch</strong>en (Einflüsse<br />
aus der Gnadenquelle des göttli<strong>ch</strong>en Li<strong>ch</strong>tes), der seine Fru<strong>ch</strong>t bringt (seine Werke<br />
hervorbringt) zu seiner Zeit (in den dafür vorgesehenen Zuständen seines äußeren<br />
Lebens)« (Ps 1,3). Na<strong>ch</strong> Jesus zeigt si<strong>ch</strong> im (äußeren) Wirken das (innere)<br />
Wesen: »So bringt jeder gute Baum gute Frü<strong>ch</strong>te, der faule Baum aber bringt<br />
s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>te Frü<strong>ch</strong>te … Darum sollt ihr sie an ihren Frü<strong>ch</strong>ten erkennen.« (Mt<br />
7,17.20). Die Verbindung von »Fru<strong>ch</strong>t« und »Boden« in Genesis 4,3 lenkt unsere<br />
Betra<strong>ch</strong>tungen auf die Tatsa<strong>ch</strong>e, dass Werke immer nur auf der Grundlage von<br />
Bedingungen, Umständen und Situationen verwirkli<strong>ch</strong>t werden können. Es besteht<br />
ein Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en Werken und empiris<strong>ch</strong>en Gegebenheiten. Im<br />
Falle Kains wird das irdis<strong>ch</strong>e Ges<strong>ch</strong>äft von der Ho<strong>ch</strong>ma<strong>ch</strong>t des Geistes allerdings<br />
ni<strong>ch</strong>t dur<strong>ch</strong>drungen, denn Kain stellt die Eigenmä<strong>ch</strong>tigkeit des Mens<strong>ch</strong>en dar. Die<br />
Frü<strong>ch</strong>te seines Bodens sind auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> Produkte seiner eigenen Klugheit, leblose<br />
Konstrukte, leeres Stroh. Na<strong>ch</strong> Swedenborg sind es »Werke des Glaubens<br />
ohne Liebe« (HG 348). Sol<strong>ch</strong>e Werke heißen zwar au<strong>ch</strong> Frü<strong>ch</strong>te, im Gegensatz zu<br />
den Frü<strong>ch</strong>ten von oben fehlt ihnen aber der Saft aus der Wärme und dem Li<strong>ch</strong>t<br />
der Sonne. 259 Daher s<strong>ch</strong>rieb Swedenborg: »Frü<strong>ch</strong>te des Glaubens ist (eigentli<strong>ch</strong>)<br />
eine leere und sinnlose Redensart.« (KD 49). Zwar ist mit Abel die Bedeutung von<br />
Hau<strong>ch</strong> und Ni<strong>ch</strong>tigkeit verbunden, do<strong>ch</strong> im Grunde sind die »Werke des Glaubens<br />
ohne Liebe« null und ni<strong>ch</strong>tig.<br />
259<br />
Manfred Lurker sieht in der Fru<strong>ch</strong>t eine Verbindung von innen (Sonne) und außen (Erde):<br />
»Als Symbiose aus Erdtiefe und Li<strong>ch</strong>thöhe ist die Fru<strong>ch</strong>t das Produkt irdis<strong>ch</strong>en Gedeihens und<br />
si<strong>ch</strong>tbares Zei<strong>ch</strong>en göttli<strong>ch</strong>en Segens.« (Wörterbu<strong>ch</strong> biblis<strong>ch</strong>er Bilder und Symbole, 1990, Seite<br />
130).
128 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Swedenborg übersetzt »min<strong>ch</strong>ah« hier in Genesis 4,3 mit »munus« (»Gabe«, siehe<br />
Swedenborgs Übersetzung zwis<strong>ch</strong>en HG 323 und 324). 260 Oft übersetzt er das<br />
hebräis<strong>ch</strong>e Wort aber au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, so dass wir im lateinis<strong>ch</strong>en Text entweder »min<strong>ch</strong>a«<br />
oder »min<strong>ch</strong>ah« finden. 261 Einen Grund für diese uneinheitli<strong>ch</strong>e Praxis konnte<br />
i<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t entdecken. »Min<strong>ch</strong>a« bedeutet na<strong>ch</strong> Swedenborg »Gabe« (»munus«, HG<br />
4262), gemeint ist die vegetabilis<strong>ch</strong>e Opfergabe, das Speiseopfer. Daher findet der<br />
Leser der deuts<strong>ch</strong>en Übersetzung der »himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnisse« hinter »min<strong>ch</strong>a«<br />
man<strong>ch</strong>mal in Klammern »Speisopfer« 262 .<br />
Die Opfergabe (»munus«) ist ein Bestandteil der Kultfeier (»cultus«). Daher bezei<strong>ch</strong>net<br />
sie Pars pro toto den Kult oder das Gottesverhältnis Kains (HG 349).<br />
Au<strong>ch</strong> diese Deutung Swedenborgs ist keine Enthüllung des inneren Sinnes, sondern<br />
einfa<strong>ch</strong> nur ein S<strong>ch</strong>luss vom Teil auf das Ganze.<br />
Die Erzählung von Kain und Abel und ihren Opfergaben spielt in der Zeit der Ältesten<br />
Kir<strong>ch</strong>e. Do<strong>ch</strong> von dieser Kir<strong>ch</strong>e sagt Swedenborg: Sie »wusste ni<strong>ch</strong>ts von<br />
Opfern (de sacrificiis)« (HG 2180). 263 Dieser Widerspru<strong>ch</strong> lässt si<strong>ch</strong> meines Era<strong>ch</strong>tens<br />
wie folgt auflösen. Die Erzählung vom Brudermord aus der Zeit der Ältesten<br />
Kir<strong>ch</strong>e ist mit Vorstellungen gestaltet, die aus einer späteren Zeit stammen.<br />
Zu Genesis 4,4: Abel bra<strong>ch</strong>te »von den Erstgeburten 264 seiner Herde« dar. Manfred<br />
Lurker weist auf die weite Verbreitung des Erstlingsopfers hin: »Der Brau<strong>ch</strong> eines<br />
Primitialopfers ist von vielen Naturvölkern her bekannt. Jägerstämme opfern das<br />
erste erlegte Wild oder einen Teil von ihm zu Beginn der Jagdsaison … In Ägypten<br />
wurde die erste, vom König selbst ges<strong>ch</strong>nittene Ähre dem Fru<strong>ch</strong>tbarkeitsgott Min<br />
geweiht … Die vorislamis<strong>ch</strong>en Araber haben während des Frühlingsfestes Erstlinge<br />
der Herden geopfert. Das grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e apar<strong>ch</strong>ae (Erstling, Erstlingsopfer) lässt<br />
erkennen, dass au<strong>ch</strong> im ägäis<strong>ch</strong>en Raum der Brau<strong>ch</strong> bekannt war, dur<strong>ch</strong> die<br />
Darbringung eines Teiles das Ganze zu weihen. Der Philosoph Aristoteles vertrat<br />
in seiner ›Nikoma<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Ethik‹ die Auffassung, dass das Primitialopfer die älte-<br />
260<br />
»Munus« als Übersetzung für »min<strong>ch</strong>ah« konnte i<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> in HG 3079 (für Jesaja 66,20), HG<br />
9293 (für Malea<strong>ch</strong>i 3,3.4), HG 2906 (für Malea<strong>ch</strong>i 3,4) und in HG 9293 (für Psalm 72,10) entdecken.<br />
261<br />
Siehe »min<strong>ch</strong>a« in HG 440, 1462, 2177, 2276, 2280, 2342, 2588, 3654, 3881, 4262, 5620,<br />
7356, 7602, 7978, 8159, 8540, 9207, 9295, 9298, 9475, 9993, 9995, 10079, 10137, 10140,<br />
10176, 10177, 10206, 10248, 10262, 10300, 10603. Siehe »min<strong>ch</strong>ah« in HG 4581, 5144,<br />
6280, 6377, 7356, 7602, 7906, 7978, 8159, 9475, 9992, 10129.<br />
262<br />
Siehe HG 2276, 3654, 7356, 7602, 9207, 9295, 9298, 9475, 10176, 10177, 10206 (Himmlis<strong>ch</strong>e<br />
Geheimnisse, orthographis<strong>ch</strong> und typographis<strong>ch</strong> revidierter Na<strong>ch</strong>druck der Basler Ausgabe<br />
von 1867-69, Züri<strong>ch</strong> 2000).<br />
263<br />
»Die Alten (antiqui) vor Eber wussten ni<strong>ch</strong>ts von Opfern (de sacrificiis)« (HG 10042). Na<strong>ch</strong> HG<br />
349 wurden im Judentum (Ecclesia Judaica) »Opfer (sacrificia) aller Art« »Gaben (munera)«<br />
genannt. Demna<strong>ch</strong> wäre »Gabe« der Oberbegriff, jedes Opfer wäre als Gabe zu verstehen.<br />
264<br />
Es besteht ein Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en »erstgeboren« und »segnen«. »Bekor« (Konsonantenfolge<br />
»bkr«) bedeutet »erstgeboren«, »berak« hingegen (Konsonantenfolge »brk«) bedeutet<br />
»segnen«. Beide Worte werden im Hebräis<strong>ch</strong>en aus denselben Konsonanten gebildet.
Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 129<br />
ste Form des Opfers überhaupt sei.« 265 Von Swedenborg erfahren wir: »Na<strong>ch</strong> den<br />
Ordnungen der alten Kir<strong>ch</strong>e sollten die Erstgeborenen Gott geheiligt werden.« (HG<br />
8080). Heute glauben viele Mens<strong>ch</strong>en an die glückbringende Eigens<strong>ch</strong>aft des Geldes.<br />
Daher nimmt der ar<strong>ch</strong>ais<strong>ch</strong>e Glaube an die Besonderheit des Erstgeborenen<br />
eine dieser Vorstellungswelt entspre<strong>ch</strong>ende Gestalt an. Das Symbol dieses Kultes<br />
ist der Bankier Dagobert Duck, der seinen sagenhaften Rei<strong>ch</strong>tum auf seinen ersten<br />
selbstverdienten Taler gründet und ihm magis<strong>ch</strong>e Kräfte zuspri<strong>ch</strong>t (das Motiv<br />
des Glückstalers). Im Glauben der alten Kir<strong>ch</strong>e stellte die Erstgeburt den Herrn<br />
und die Mä<strong>ch</strong>te seiner unmittelbaren Umgebung dar (HG 352). Indem Abel die<br />
Erstgeburten seines Rei<strong>ch</strong>tums dem Herrn darbringt, weiht er das Ganze dem<br />
Herrn, denn das Erste ist der Inbegriff des Ganzen. Abel gehört als Ganzer dem<br />
Herrn, weil er seine Habe im Prinzip (= in Gestalt des Ersten) dem Herrn übergeben<br />
hat. So wird Abel zur ersten Vorbildung Christi, der si<strong>ch</strong> als Ganzer der Urma<strong>ch</strong>t<br />
seines Vaters darbra<strong>ch</strong>te, indem er seinen mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Eigenwillen ganz<br />
und gar Gott übergab. So wurde Christus »der Erstgeborene von den Toten« (Offb<br />
1,5), wobei die Toten diejenigen sind, die im Ma<strong>ch</strong>tberei<strong>ch</strong> des Eigenwillens gefangen<br />
und erstarrt sind.<br />
Kain ist zwar der Erstgeborene von Adam und Eva (HG 338) und au<strong>ch</strong> derjenige,<br />
der zuerst seine Gabe darbringt, aber Abel ist der Darbringer des Erstgeborenen.<br />
Daher entbrennt ein Rangstreit, denn beide sind irgendwie Erste. Swedenborg sah<br />
darin die Rivalität von Glaube (Dogmatik) und Liebe (Ethik) in der Kir<strong>ch</strong>e: »Der<br />
Glaube … ist zwar das Erste der Zeit na<strong>ch</strong>, die Liebe aber … ist es dem Endzweck<br />
na<strong>ch</strong>. Sie ist also das Vorzügli<strong>ch</strong>ere und damit in Wirkli<strong>ch</strong>keit das Erste und Erstgeborene.<br />
Was nur zeitli<strong>ch</strong> vorhergeht, ist bloß dem S<strong>ch</strong>ein na<strong>ch</strong> das Erste, ni<strong>ch</strong>t<br />
aber in Wirkli<strong>ch</strong>keit.« (WCR 336). Ebenso ist die irdis<strong>ch</strong>e Geburt zwar zeitli<strong>ch</strong> die<br />
erste, aber die zweite Geburt oder die Wiedergeburt ist in Wahrheit die erste,<br />
denn sie ist die beabsi<strong>ch</strong>tigte. Ebenso war das Volk Israel zwar zeitli<strong>ch</strong> das erste<br />
Volk Gottes, aber zuglei<strong>ch</strong> war es eine Vorbildung des neuen Gottesvolkes, das<br />
si<strong>ch</strong> um den Messias sammelte. Die Blüte ist das Erste im zeitli<strong>ch</strong>en Entwicklungsgang,<br />
aber die Fru<strong>ch</strong>t ist das Ziel und somit das Erste in der Absi<strong>ch</strong>t. Die<br />
Blüte sollte anerkennen, dass sie um der Fru<strong>ch</strong>t willen da ist, wenn sie das ni<strong>ch</strong>t<br />
tut, dann wird die s<strong>ch</strong>öne Blüte zum Brudermörder.<br />
»Von den Erstgeburten seiner Herde« bra<strong>ch</strong>te Abel »die fetten Stücke« dar. Unser<br />
Blick wird vom Allgemeinen (die Erstgeburten) auf das Besondere (die fetten<br />
Stücke der Erstgeburten) gelenkt. Diesen Sinn s<strong>ch</strong>eint hier die hebräis<strong>ch</strong>e Kopula<br />
»we« zu haben, die wir deswegen mit »und zwar« übersetzt haben. 266 Eine Auswirkung<br />
auf die Übersetzung hat au<strong>ch</strong> die eigentümli<strong>ch</strong>e Punktation (= Vokalisation)<br />
von »<strong>ch</strong>eleb« (»Fett«) im masoretis<strong>ch</strong>en Text. Sie setzt »<strong>ch</strong>eleb« in den Plural.<br />
265<br />
Manfred Lurker, Wörterbu<strong>ch</strong> der biblis<strong>ch</strong>en Bilder und Symbole, 1990, Seite 97f.<br />
266<br />
Wir folgen damit Franz Delitzs<strong>ch</strong>, der hier ein »we« »der erklärenden Anknüpfung des Besonderen<br />
an das Allgemeine« sieht (163).
130 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Daher »stritt bereits der Talmud darüber, ob es si<strong>ch</strong> um Fettstücke … oder um fette<br />
Tiere … handelte.« (Seebass 151). Swedenborg übersieht den Plural oder trennt<br />
si<strong>ch</strong> bewusst von den Punktatoren und interpretiert die Konsonantenfolge »<strong>ch</strong>lb«<br />
als Singular, so dass wir bei ihm lesen: »et de pinguedine eorum« (= und vom Fett<br />
der Erstgeborenen). Wir halten den Plural jedo<strong>ch</strong> für die bessere Lesart, zuglei<strong>ch</strong><br />
aber folgen wir Swedenborg darin, dass hier das fettrei<strong>ch</strong>e Gewebe gemeint ist,<br />
ni<strong>ch</strong>t die fetten Tiere. Diese Vorüberlegungen führen dann zu der folgenden Übersetzung:<br />
»Au<strong>ch</strong> Abel, (ja) au<strong>ch</strong> er, bra<strong>ch</strong>te (Jahwe eine Gabe) dar, (eine Gabe) von<br />
den Erstgeburten seiner Herde und zwar von ihrem Fett.« Um den Plural von »<strong>ch</strong>eleb«<br />
in der deuts<strong>ch</strong>en Übersetzung auftau<strong>ch</strong>en zu lassen, könnte man statt »von<br />
ihrem Fett« »von ihren fetten Stücken« wählen.<br />
Soweit zur Übersetzung. Sie ist wi<strong>ch</strong>tig, aber nur ein erster S<strong>ch</strong>ritt. Das Ziel sind<br />
die Gipfelerlebnisse der Innensinnerfassung. Sie werden dem, der geduldig das<br />
Gebirge der göttli<strong>ch</strong>en Wortoffenbarung besteigt, am Ende gegeben. Die große<br />
Synthese des geistigen Verständnisses lässt si<strong>ch</strong> mit Worten der äußeren Spra<strong>ch</strong>e<br />
ni<strong>ch</strong>t mehr mitteilen. So können die Eingeweihten die »Arcana Caelestia« ni<strong>ch</strong>t<br />
verraten. Aber bis zu einem gewissen Grade können wir uns verbal austaus<strong>ch</strong>en<br />
und gegenseitig ein Stück weit mitnehmen. In diesem Sinne weise i<strong>ch</strong> darauf hin,<br />
dass uns ni<strong>ch</strong>t selten bereits ein Blick in ein umfangrei<strong>ch</strong>eres hebräis<strong>ch</strong>es Lexikon<br />
wi<strong>ch</strong>tige Winke gibt, die wir dankbar aufgreifen können. Vom Hebraisten<br />
Wilhelm Gesenius (1786 - 1842) erfahren wir in seinem Wörterbu<strong>ch</strong> das Folgende:<br />
»Cheleb« bedeutet »eigentli<strong>ch</strong> das fettrei<strong>ch</strong>e, die Eingeweide bedeckende<br />
Netz«, dann »Fett« und s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> »bildli<strong>ch</strong> das Beste, Vorzügli<strong>ch</strong>ste« 267 . Insbesondere<br />
die in »<strong>ch</strong>eleb« enthaltene Bedeutung »das Beste« lässt uns aufhor<strong>ch</strong>en.<br />
Demna<strong>ch</strong> gibt Abel das Beste von den Erstgeburten seiner Herde. Wenn wir bedenken,<br />
dass s<strong>ch</strong>on die Erstgeburten etwas Besonderes sind, dann sehen wir<br />
au<strong>ch</strong>, dass Abel das Beste vom Besten gibt, gewissermaßen »die Creme de la Creme«.<br />
Do<strong>ch</strong> damit sind die Zugänge zu einem tieferen Verständnis, die uns allein<br />
s<strong>ch</strong>on ein gutes Wörterbu<strong>ch</strong> eröffnet, no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ers<strong>ch</strong>öpft. Mit Gesenius kommen<br />
wir zumindest im vorliegenden Fall fast so weit wie mit Swedenborg. Denn wir<br />
erfahren, dass »na<strong>ch</strong> den Arabern« 268 »<strong>ch</strong>eleb« der »Sitz der Gefühle« ist. Deshalb<br />
heißt es in Psalm 17,10: »Sie vers<strong>ch</strong>ließen ihr <strong>ch</strong>eleb«, das heißt sie »sind fühllos«<br />
(siehe Gesenius 231). Hier hat »<strong>ch</strong>eleb« beinahe die Bedeutung von Herz (das<br />
Herz als »Sitz der Gefühle«), und dementspre<strong>ch</strong>end finden wir in der Zür<strong>ch</strong>er Bibel<br />
die Übersetzung: »Ihr Herz haben sie vers<strong>ch</strong>lossen«. Einmal auf diese Fährte<br />
gebra<strong>ch</strong>t, entdecken wir dann au<strong>ch</strong>, dass »<strong>ch</strong>-lb« die Konsonanten des hebräis<strong>ch</strong>en<br />
267<br />
Wilhelm Gesenius' hebräis<strong>ch</strong>es und aramäis<strong>ch</strong>es Handwörterbu<strong>ch</strong> über das Alte Testament,<br />
bearbeitet von Frants Buhl, unveränderter Neudruck der 1915 ers<strong>ch</strong>ienenen 17. Auflage, Berlin,<br />
Göttingen, Heidelberg 1962, Seite 231. Die Abkürzungen wurden im Interesse der lei<strong>ch</strong>teren<br />
Lesbarkeit dur<strong>ch</strong> die Vollform ersetzt.<br />
268<br />
Arabis<strong>ch</strong> ist ebenso wie Hebräis<strong>ch</strong> eine semitis<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e.
Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 131<br />
Wortes für »Herz« enthält, nämli<strong>ch</strong> »lb«. 269 Diese Gedanken bringen uns ganz in<br />
die Nähe von Swedenborg, denn na<strong>ch</strong> ihm bezei<strong>ch</strong>net Fett »das Himmlis<strong>ch</strong>e«,<br />
wobei »das Himmlis<strong>ch</strong>e« in seiner Terminologie alles bezei<strong>ch</strong>net, »was zur Liebe<br />
gehört« (»caeleste est omne quod est amoris«, HG 353). Abel ist also derjenige, der<br />
das darbringt, was im Mens<strong>ch</strong>en dem Herrn gehört (das sind die Erstgeburten),<br />
nämli<strong>ch</strong> die Kraft des Herzens oder die Ma<strong>ch</strong>t der Liebe (das ist das Fettrei<strong>ch</strong>e).<br />
Abel ist sona<strong>ch</strong> derjenige, der si<strong>ch</strong> mit ganzer Liebe dem Herrn hingibt.<br />
Daher wundern wir uns nun ni<strong>ch</strong>t mehr, wenn es im Folgenden heißt: »Und Jahwe<br />
s<strong>ch</strong>aute auf Abel und auf seine Gabe hin. Aber auf Kain und seine Gabe s<strong>ch</strong>aute er<br />
ni<strong>ch</strong>t hin.« (Gen 4,4.5). Den Exegeten des äußeren oder historis<strong>ch</strong>en Sinnes muss<br />
die Annahme des einen und die Ablehnung des anderen Opfers als reine Willkür<br />
Jahwes ers<strong>ch</strong>einen. Denn ein Grund ist auf der Ebene des Bu<strong>ch</strong>stabens ni<strong>ch</strong>t erkennbar.<br />
Horst Seebass s<strong>ch</strong>reibt: »Wenn man bedenkt, dass no<strong>ch</strong> keine Opferanordnung<br />
ergangen war, kann man zwar Unters<strong>ch</strong>iede zwis<strong>ch</strong>en den Opfern Kains<br />
und Hebels, aber keine hinrei<strong>ch</strong>ende Begründung für die Ablehnung des Opfers<br />
finden« (151). Der Bu<strong>ch</strong>stabe ist der S<strong>ch</strong>atten des Wortes, und als sol<strong>ch</strong>er zeigt er<br />
uns die Wahrheit nur in einem dunklen, allgemeinen Umriss. »Der innere Sinn«<br />
hingegen ist »das Li<strong>ch</strong>t des Himmels« (HG 3438, 4783), und als sol<strong>ch</strong>er führt eben<br />
nur er uns in die geistige Organik des Wortes ein und lässt uns Zusammenhänge<br />
erkennen, die bei der auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> bu<strong>ch</strong>stäbli<strong>ch</strong>en Untersu<strong>ch</strong>ung des Wortes im<br />
Dunkeln bleiben. Der Erfors<strong>ch</strong>er der geistigen Organik des Wortes kann si<strong>ch</strong> die<br />
Annahme der einen und die Ablehnung der anderen Gabe aus vielen Hinweisen,<br />
die wir bespro<strong>ch</strong>en haben, verständli<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en. Dazu gehören die Bedeutungen<br />
der Namen »Kain« und »Abel«, der Akkusativ Jahwe (Gen 4,1), die Tätigkeiten<br />
Abels als »Hirt der Herde« und Kains als »Kne<strong>ch</strong>t des Bodens« (Gen 4,2) und die<br />
»Erstgeburten« oder genauer ihr »Fett« (Gen 4,4).<br />
Zu Genesis 4,5: »Und es entbrannte dem Kain (der Zorn) sehr«. Swedenborgs lateinis<strong>ch</strong>e<br />
Übersetzung der Genesis ist eine sehr wörtli<strong>ch</strong>e. Er übersetzt jedes hebräis<strong>ch</strong>e<br />
Wort eins zu eins, das heißt für ein hebräis<strong>ch</strong>es Wort steht in der lateinis<strong>ch</strong>en<br />
Übersetzung au<strong>ch</strong> nur ein lateinis<strong>ch</strong>es Wort. Das jedenfalls ist die Regel<br />
oder die allgemeine Tendenz. Hier aber übersetzt Swedenborg die Verbform »wajji<strong>ch</strong>ar«<br />
mit »et accensa est ira« (und der Zorn ist entzündet worden), das heißt mit<br />
einer Verbform und zusätzli<strong>ch</strong> einem Nomen. Diese Ausnahme von der Regel ist<br />
269<br />
Vgl. die Ausführungen von M. Kahir zum Wortstamm »Keleb«: »Nimmt man … K als Vorsatzlaut<br />
und leb als Wurzel, ergibt si<strong>ch</strong> die Bedeutung: k = die Kraft, leb = des Herzens, der Liebe!<br />
Und das ist wieder das göttli<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>öpfungswort, dem alles Ges<strong>ch</strong>affene das Leben verdankt.<br />
Findet si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> diese Lautverbindung im Hebräis<strong>ch</strong>en vor? Ja, und zwar als das aspiriert gespro<strong>ch</strong>ene<br />
›<strong>ch</strong>eleb‹ = das Beste, Vorzügli<strong>ch</strong>ste! Wir sehen damit, daß die alten Wortbildner<br />
<strong>ch</strong>aleb, die Kraft der Liebe, wirkli<strong>ch</strong> als das Beste und den hö<strong>ch</strong>sten Aspekt der Gottheit auffaßten.<br />
Wie jedes ursprüngli<strong>ch</strong> geistige Wort erhielt au<strong>ch</strong> <strong>ch</strong>eleb später von den ›Kindern der<br />
Fleis<strong>ch</strong>töpfe Ägyptens‹ einen rein materiellen Sinn unterlegt. Das Wort nahm die Bedeutung<br />
›das Fetteste, das Beste vom Eingeweidefett‹ an und der einstige Sinn verlor si<strong>ch</strong> gänzli<strong>ch</strong>.«<br />
(Das verlorene Wort, 1960, Seite 277).
132 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
gut begründet, denn das hebräis<strong>ch</strong>e Verb »<strong>ch</strong>arah«, das ursprüngli<strong>ch</strong> wohl »brennen«<br />
bedeutete, wird im Alten Testament nur vom Zorn ausgesagt (siehe Gesenius<br />
258). Der Zusatz »ira« (Zorn) hebt also nur das hervor, was im Verb s<strong>ch</strong>on enthalten<br />
ist. Die auf diese Übersetzung folgende Auslegung des inneren Sinnes ist vor<br />
diesem Hintergrund nur eine Auss<strong>ch</strong>öpfung des den Worten bereits innewohnenden<br />
Sinnes. Wo der Zorn entbrennt, da wei<strong>ch</strong>t die Liebe zurück (siehe HG 357).<br />
Dass die Lieblosigkeit das Regiment übernimmt, wird au<strong>ch</strong> der Fortgang der Erzählung<br />
zeigen, nämli<strong>ch</strong> der Brudermord (siehe HG 357). Die Auslegung des inneren<br />
Sinnes ergibt si<strong>ch</strong> wieder einmal ganz zwanglos aus der genauen Erfassung<br />
des Textes.<br />
Infolge des Zornes senkte si<strong>ch</strong> Kains Angesi<strong>ch</strong>t. Swedenborg sagt: »Das Angesi<strong>ch</strong>t<br />
bezei<strong>ch</strong>nete bei den Alten das Innere, weil dur<strong>ch</strong> das Angesi<strong>ch</strong>t das Innere hervorleu<strong>ch</strong>tet.«<br />
(HG 358). Das Hebräis<strong>ch</strong>e belegt diese Interpretation. »Panim« ist<br />
das hebräis<strong>ch</strong>e Wort für »Angesi<strong>ch</strong>t«. Nominale Weiterbildungen der Wurzel sind<br />
»penimah« mit der Bedeutung »inwendig« und »penimi« mit der Bedeutung »innerer«.<br />
Das Angesi<strong>ch</strong>t meint demna<strong>ch</strong> »das Innere«, allerdings nur insoweit es si<strong>ch</strong><br />
äußert bzw. dem Äußeren zuwendet. Denn das Verb »panah« bedeutet »si<strong>ch</strong> zuwenden«.<br />
270 Man<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>fors<strong>ch</strong>er leiten »panim« (Angesi<strong>ch</strong>t) überdies von<br />
»Peh«, das »Mund« bedeutet, her (THAT II,436). Sollte diese (unsi<strong>ch</strong>ere) Herleitung<br />
stimmen, dann würde sie ihrerseits zeigen, dass das Angesi<strong>ch</strong>t ein Ort der<br />
Äußerung des Inneren ist. Auf dem Angesi<strong>ch</strong>t kommt das Innere zum Vors<strong>ch</strong>ein,<br />
weswegen es s<strong>ch</strong>on den alten Weisen als »Spiegel der Seele« galt (vgl. Sira<strong>ch</strong><br />
13,25).<br />
Kains Angesi<strong>ch</strong>t »fiel« oder »senkte si<strong>ch</strong>«. Die Übersetzung von Seebass »und sein<br />
Angesi<strong>ch</strong>t verfiel« (143) wirkt wie eine Verlegenheitslösung. Einerseits soll der<br />
Sinn des hebräis<strong>ch</strong>en Verbs »napal« (fallen) mögli<strong>ch</strong>st direkt wiedergegeben werden,<br />
andererseits erfasst Seebass den Sinn offenbar ni<strong>ch</strong>t, sondern vers<strong>ch</strong>leiert<br />
ihn eher. Dabei ist die Aussage lei<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong>vollziehbar. Denn der si<strong>ch</strong> senkende<br />
Blick unterbri<strong>ch</strong>t die zwis<strong>ch</strong>enmens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Verbindung (den Blickkontakt). Wenn<br />
wir nun no<strong>ch</strong> den Kontext bedenken, wona<strong>ch</strong> vom fallenden Gesi<strong>ch</strong>t im Ans<strong>ch</strong>luss<br />
an den entbrennenden Zorn die Rede ist, dann sind wir bei Swedenborgs Deutung.<br />
Der gesenkte Blick stellt die Lieblosigkeit oder die zwis<strong>ch</strong>enmens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Kälte<br />
sehr ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong> dar. (HG 358). Wenn wir die Grundbedeutung von »napal«, nämli<strong>ch</strong><br />
»fallen«, no<strong>ch</strong> offenkundiger in unsere Überlegungen einbeziehen wollen,<br />
dann können wir sagen: Kain wird gewissermaßen von der S<strong>ch</strong>werkraft seines<br />
eigenen Wesens angezogen. Er fällt in den Abgrund seiner unwiedergeborenen<br />
Natur. Er verfällt dem todbringenden Hass.<br />
Zu Genesis 4,6: Jahwes Spre<strong>ch</strong>en bezieht Swedenborg auf »das Gewissen« (HG<br />
359), das na<strong>ch</strong> seinem Verständnis »eine innere Stimme« (dictamen internum, NJ<br />
139) ist. Damit stimmt er mit der <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>en Tradition und Kant überein, die das<br />
270<br />
Das deuts<strong>ch</strong>e Wort »Antlitz« bedeutet »das Entgegenblickende«.
Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 133<br />
Gewissen als Stimme Gottes im Mens<strong>ch</strong>en gedeutet haben. Swedenborg spri<strong>ch</strong>t<br />
hier im Zusammenhang der ältesten Kir<strong>ch</strong>e von »Gewissen«. Darin kann man eine<br />
spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Inkonsequenz erblicken, denn andernorts sagt er, dass die älteste<br />
Kir<strong>ch</strong>e kein »Gewissen«, sondern ein »Innewerden« oder eine »innere Wahrnehmung«<br />
(perceptio) hatte (HG 597, 393). Do<strong>ch</strong> abgesehen von dieser terminologis<strong>ch</strong>en<br />
Inkonsequenz steht fest, dass si<strong>ch</strong> Jahwe in Kain no<strong>ch</strong> immer bemerkbar<br />
ma<strong>ch</strong>en kann, und zwar um eine »Selbstbesinnung über seinen Zustand«<br />
271 herbeizuführen. Das zweimalige »Warum« in Vers 6 greift das in Vers 5<br />
ges<strong>ch</strong>ilderte Ges<strong>ch</strong>ehen auf. Kain wird damit die Mögli<strong>ch</strong>keit gegeben, die Vorgänge,<br />
die si<strong>ch</strong> in und an ihm ereignen, zu betra<strong>ch</strong>ten und zu bewerten. Kain<br />
steht in der Gefahr, von den in ihm wirkenden Affekten ergriffen und fortgerissen<br />
zu werden. Jahwes Einspra<strong>ch</strong>e eröffnet ihm demgegenüber die Chance, do<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong><br />
den Affekten zu entkommen, die ihn zu ihrem Spielball ma<strong>ch</strong>en wollen. Jahwe als<br />
der Seiende will, dass au<strong>ch</strong> Kain ein freies Subjekt wird.<br />
Zu Genesis 4,7: Diesem Vers geht der Ruf voraus, der dunkelste der Genesis zu<br />
sein (Seebass 152). Bes<strong>ch</strong>ränken wir uns zunä<strong>ch</strong>st auf die erste Vershälfte. Ein<br />
Blick in einige deuts<strong>ch</strong>e Bibeln zeigt, dass unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Übersetzungen mögli<strong>ch</strong><br />
sind. Die Elberfelder Bibel hat den folgenden Text: »Ist es ni<strong>ch</strong>t (so), wenn du<br />
re<strong>ch</strong>t tust, erhebt es si<strong>ch</strong>? Wenn du aber ni<strong>ch</strong>t re<strong>ch</strong>t tust, lagert die Sünde vor der<br />
Tür.« Das Pronomen »es« steht für »Gesi<strong>ch</strong>t«. Aber erhebt si<strong>ch</strong> das Gesi<strong>ch</strong>t Jahwes<br />
272 oder Kains? Ganz anders versteht Hermann Menge den Urtext, denn in<br />
seiner Übersetzung lesen wir: »Wird ni<strong>ch</strong>t, wenn du re<strong>ch</strong>t handelst, dein Opfer<br />
angenommen? lagert (oder: lauert) ni<strong>ch</strong>t, wenn du böse handelst, die Sünde vor<br />
der Tür«. Von der Erhebung eines Gesi<strong>ch</strong>tes ist hier gar ni<strong>ch</strong>t die Rede. Stattdessen<br />
soll es um die Annahme des Opfers von Kain gehen. Wiederum eine ganz<br />
andere Variante fand Swedenborg in der lateinis<strong>ch</strong>en Bibel von Sebastian<br />
S<strong>ch</strong>midt. Dort las er: »Nonne si bene feceris (munus tuum pro peccato,) erit remissio<br />
: si vero non bene feceris, ad ostium peccatum est cubans quis?« Die deuts<strong>ch</strong>e<br />
Übersetzung dieser Lesart lautet: »Ist es ni<strong>ch</strong>t so, wenn du sie (= deine Gabe für<br />
die Sünde) gut darbringst, dann wird Vergebung erfolgen? Wenn du sie aber ni<strong>ch</strong>t<br />
gut darbringst, ist dann ni<strong>ch</strong>t die Sünde eine Lagernde vor der Tür?« Na<strong>ch</strong><br />
S<strong>ch</strong>midt geht es also um »Vergebung«. Der Grund für diese Vielfalt ist die Mehrdeutigkeit<br />
des hebräis<strong>ch</strong>en Wortes »se’et«, das Erhebung, Annahme oder Vergebung<br />
bedeuten kann. Eine weitere S<strong>ch</strong>wierigkeit in der ersten Vershälfte besteht<br />
darin, dass das weibli<strong>ch</strong>e Substantiv »Sünde« mit dem männli<strong>ch</strong>en Partizip »robez«<br />
(der Lagernde) verbunden ist. Daher kann man ni<strong>ch</strong>t übersetzen: »die Sünde<br />
lagert«. Zwei Hinweise können zur Lösung des Problems beitragen. Erstens ist im<br />
271<br />
August Dillmann, Die Genesis, 1886, Seite 93.<br />
272<br />
So zum Beispiel im aaronitis<strong>ch</strong>en Segen: »Jahwe erhebe sein Angesi<strong>ch</strong>t auf di<strong>ch</strong> und gebe dir<br />
Frieden!« (Numeri 6,26).
134 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Akkadis<strong>ch</strong>en »rabisum« als Wort für einen Dämon belegt. 273 Zweitens ist »na<strong>ch</strong>as<strong>ch</strong>«,<br />
die »S<strong>ch</strong>lange« von Genesis 3, ein männli<strong>ch</strong>es Substantiv. Daher könnte<br />
Genesis 4,7 Genesis 3 aufnehmen, so dass si<strong>ch</strong> die folgende Übersetzung ergäbe:<br />
»Wenn du aber ni<strong>ch</strong>t Gutes tust, dann ist die Sünde ein lauernder S<strong>ch</strong>langendämon<br />
vor der Tür.« Betra<strong>ch</strong>ten wir nun die zweite Vershälfte. Der hebräis<strong>ch</strong>e Text<br />
ist zweideutig. Denn die männli<strong>ch</strong>en Suffixe (= die Personalendungen) sind sowohl<br />
auf den Lagernden (»robez«) als au<strong>ch</strong> auf Abel beziehbar. Daher ist im ersten<br />
Fall zu lesen: »… und na<strong>ch</strong> dir (Kain) ist sein Verlangen (das Verlangen des lagernden<br />
Dämons), du (Kain) aber sollst ihn (den Dämon) beherrs<strong>ch</strong>en.« Im zweiten<br />
Fall hingegen ist zu lesen: »… und na<strong>ch</strong> dir (Kain) ist sein (Abels) Verlangen,<br />
du (Kain) aber willst Herr über ihn (Abel) sein.«<br />
Ein so wenig eindeutiger Vers lenkt unsere Aufmerksamkeit ganz besonders auf<br />
die Ents<strong>ch</strong>eidungen, die Swedenborg als Übersetzer und Ausleger der Genesis<br />
getroffen hat. Swedenborg wurde bereits als Student in Uppsala in die hebräis<strong>ch</strong>e<br />
Spra<strong>ch</strong>e eingeführt. Und bevor er »die himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnisse« s<strong>ch</strong>rieb, nahm<br />
er das Studium dieser Spra<strong>ch</strong>e wieder auf und vertiefte seine Kenntnisse. Swedenborg<br />
besaß mehrere hebräis<strong>ch</strong>e Bibeln und lateinis<strong>ch</strong>e Übersetzungen derselben,<br />
außerdem hebräis<strong>ch</strong>e Wörterbü<strong>ch</strong>er, wenigstens eine hebräis<strong>ch</strong>e Grammatik<br />
und sonstige Literatur zum Alten Testament. Mit diesen Hilfsmitteln erarbeitete er<br />
si<strong>ch</strong>, soweit es der Fors<strong>ch</strong>ungsstand seiner Zeit erlaubte, eine klare Vorstellung<br />
vom Bu<strong>ch</strong>stabensinn, den wir heute den historis<strong>ch</strong>en Sinn nennen. 274 Hinzu<br />
kommt bei jedem Übersetzer das Gespür für das Gemeinte. Dieses Gespür wird<br />
besonders dann ents<strong>ch</strong>eidend, wenn der Urtext mehrdeutig ist. Dieser hier nur<br />
angedeutete kenntnisrei<strong>ch</strong>e Hintergrund, über den Swedenborg verfügte, führte<br />
im vorliegenden Fall zu der folgenden Übersetzung: »Annon si benefacis, elevatio?<br />
et si non benefacis, ad januam peccatum cubans; et ad te desiderium ejus, et tu<br />
dominaris ei.« (Tafels Übersetzung dieser Übersetzung Swedenborgs: »Ni<strong>ch</strong>t<br />
wahr? wenn du Gutes thust, so ist Erhebung; und wenn du ni<strong>ch</strong>t Gutes thust, so<br />
liegt die Sünde vor der Thür, und zu dir ist sein Verlangen, und du herrs<strong>ch</strong>est<br />
über dasselbe.« 275 ). Aus dieser Übersetzung und der Auslegung von Vers 7 in HG<br />
361 bis 365 können wir nun Swedenborgs Verständnis des berü<strong>ch</strong>tigten dunkelsten<br />
Verses der gesamten Genesis entnehmen.<br />
Demna<strong>ch</strong> meint »se’et« hier »Erhebung« (elevatio). Swedenborg übernahm ni<strong>ch</strong>t<br />
die Übersetzung »Vergebung« (remissio), die er bei Sebastian S<strong>ch</strong>midt vorfand.<br />
Die »Erhebung« ist auf das Gesi<strong>ch</strong>t Kains zu beziehen. Das geht hinrei<strong>ch</strong>end deutli<strong>ch</strong><br />
aus HG 363 hervor. Der biblis<strong>ch</strong>e Autor will dem Senken oder dem Fall des<br />
273<br />
Seebass zitiert Speiser mit den Worten: »… well known in Akkadian as rabisum, a term for<br />
›demon‹. These beings were depicted both as benevolent, often lurking at the entrance of a<br />
Building to protect or threaten the occupants.« (Seebass 144).<br />
274<br />
Einzelheiten bei Alfred Acton, An Introduction to the Word Explained, 1927, 124 - 125.<br />
275<br />
Diese Übersetzung ist dem ersten Band der Übersetzung der himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnisse von<br />
Immanuel Tafel entnommen, die in Tübingen 1845 ers<strong>ch</strong>ienen ist.
Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 135<br />
Gesi<strong>ch</strong>tes (= des Inneren) die Erhebung desselben gegenüberstellen. Bevor der<br />
Erzähler zum Brudermord kommt, s<strong>ch</strong>altet er einen Augenblick der Besinnung<br />
ein. Dadur<strong>ch</strong> nimmt er dem Ges<strong>ch</strong>ehen das Unauswei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e. Kain war seiner<br />
Natur (= der Bes<strong>ch</strong>affenheit seiner Geburt) ni<strong>ch</strong>t zwingend ausgeliefert. Er hatte<br />
no<strong>ch</strong> immer das »liberum arbitrium«, das heißt die »freie Wahl« zwis<strong>ch</strong>en der<br />
Sünde vor seiner Tür und der Stimme Gottes. Obwohl si<strong>ch</strong> sein Inneres s<strong>ch</strong>on<br />
bedrohli<strong>ch</strong> gesenkt oder verfinstert hatte, stand ihm no<strong>ch</strong> immer die Mögli<strong>ch</strong>keit<br />
offen, sein Gesi<strong>ch</strong>t wieder zu erheben.<br />
Die Sünde ist ni<strong>ch</strong>t nur ein persönli<strong>ch</strong>es Fehlverhalten, das jederzeit korrigierbar<br />
ist, sondern eine überindividuelle Ma<strong>ch</strong>t, die um so größer und unbeherrs<strong>ch</strong>barer<br />
wird, je mehr wir ihr na<strong>ch</strong>geben. Wir sahen bereits: Die hier vorliegende hebräis<strong>ch</strong>e<br />
Konstruktion soll uns wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> die Sünde als einen Dämon oder als die<br />
S<strong>ch</strong>lange von Genesis 3 ansi<strong>ch</strong>tig werden lassen. Ob au<strong>ch</strong> Swedenborg diese Verständnismögli<strong>ch</strong>keit<br />
gesehen hat, ist aufgrund seiner Übersetzung ni<strong>ch</strong>t ents<strong>ch</strong>eidbar,<br />
weil das Lateinis<strong>ch</strong>e das männli<strong>ch</strong>e und das weibli<strong>ch</strong>e Partizip ni<strong>ch</strong>t<br />
unters<strong>ch</strong>eidet. Einen s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en Hinweis darauf, dass Swedenborgs Feinsinn hier<br />
die Komponente »Dämon« wahrgenommen haben könnte, liefert uns seine Aussage<br />
in HG 364, dass »Sünde« in der Spra<strong>ch</strong>e der Bibel »für den Teufel« stehen kann.<br />
Bleibt no<strong>ch</strong> die Frage, auf wen die Suffixe in der zweiten Vershälfte zu beziehen<br />
sind. Aus Swedenborgs Auslegung geht hervor, dass er die zweite der oben genannten<br />
Lesarten für die ri<strong>ch</strong>tige hielt (siehe HG 361, 370, 372). In der Tradition<br />
Swedenborgs müssen wir also unter Zuhilfenahme von verdeutli<strong>ch</strong>enden Eins<strong>ch</strong>üben<br />
in Klammern übersetzen: »… und na<strong>ch</strong> dir (Kain) ist sein (Abels) Verlangen,<br />
du (Kain) aber willst über ihn (Abel) herrs<strong>ch</strong>en.« Man muss »die himmlis<strong>ch</strong>en<br />
Geheimnisse« allerdings s<strong>ch</strong>on sehr genau lesen, um erkennen zu können, dass<br />
das das Verständnis Swedenborgs vom Urtext war. Daher ist es verzeihli<strong>ch</strong>, dass<br />
selbst der Übersetzer und der Revisor der Neukir<strong>ch</strong>enbibel den Vers 7 gemessen<br />
an Swedenborgs Ents<strong>ch</strong>eidungen ni<strong>ch</strong>t vollkommen ri<strong>ch</strong>tig ins Deuts<strong>ch</strong>e übertragen<br />
haben. Bei Leonhard Tafel lesen wir: »Wenn du aber ni<strong>ch</strong>t Gutes thust, lauert<br />
die Sünde vor der Thür und begehrt na<strong>ch</strong> dir, aber du sollst darüber herrs<strong>ch</strong>en.«<br />
Und bei Ludwig H. Tafel lesen wir: »Wenn du aber ni<strong>ch</strong>t Gutes tust, lagert die<br />
Sünde vor der Tür, und verlanget na<strong>ch</strong> dir aber du sollst darüber herrs<strong>ch</strong>en.« Beide<br />
Swedenborgianer geben also hier gegen Swedenborg der ersten Lesart den<br />
Vorzug. Der Vers 7 des 4. Kapitels der Genesis ist offenbar wirkli<strong>ch</strong> der dunkelste<br />
dieses Bu<strong>ch</strong>es und als sol<strong>ch</strong>er voller Tücken. Do<strong>ch</strong> was ist vermutli<strong>ch</strong> gemeint?<br />
I<strong>ch</strong> kann ni<strong>ch</strong>t auss<strong>ch</strong>ließen, dass die Doppeldeutigkeit gewollt ist, aber im komplexen<br />
Gewirr der Bedeutungsfäden mö<strong>ch</strong>te i<strong>ch</strong> an dieser Stelle das Verständnis<br />
Swedenborgs verdeutli<strong>ch</strong>en. Na<strong>ch</strong> ihm handelt die Erzählung von einem Herrs<strong>ch</strong>aftskonflikt.<br />
Wir sahen bereits, dass mit Abel als »Hirte« die Vorstellung von<br />
einem Herrs<strong>ch</strong>er verbunden ist. Do<strong>ch</strong> Kain will si<strong>ch</strong> von Abel ni<strong>ch</strong>t beherrs<strong>ch</strong>en<br />
lassen. Deswegen wird ihm entgegen gehalten: »Na<strong>ch</strong> dir (Kain) ist sein (nämli<strong>ch</strong><br />
Abels) Verlangen, du aber willst Herr über ihn sein.« Und deswegen wird Kain
136 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
na<strong>ch</strong> dem Mord unwillig ausrufen. I<strong>ch</strong> paraphrasiere: »Bin i<strong>ch</strong> etwa der Hüter<br />
meines Brüders? Der erhebt do<strong>ch</strong> selbst den Anspru<strong>ch</strong> ein Herrs<strong>ch</strong>er zu sein!<br />
Warum also sollte ausgere<strong>ch</strong>net i<strong>ch</strong> den behüten, der selbst das wa<strong>ch</strong>same Auge<br />
des Herrs<strong>ch</strong>ers (= der Hirt) sein will?«<br />
Wer ist in Wahrheit in der Kir<strong>ch</strong>e zum Herrs<strong>ch</strong>er berufen? Die Dogmatik (= der<br />
Glaube) oder die Ethik (= die ges<strong>ch</strong>wisterli<strong>ch</strong>e Liebe)? Das Gerangel um die Vorherrs<strong>ch</strong>aft<br />
ist in der Kir<strong>ch</strong>en- und Theologieges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te allenthalben zu beoba<strong>ch</strong>ten.<br />
Au<strong>ch</strong> in den Körpers<strong>ch</strong>aften der Neuen Kir<strong>ch</strong>e, die si<strong>ch</strong> im Ans<strong>ch</strong>luss an<br />
Swedenborg gebildet haben, ist die Orthodoxie (= die re<strong>ch</strong>te swedenborgs<strong>ch</strong>e Lehre)<br />
zum dominierenden Prinzip geworden. Und dementspre<strong>ch</strong>end ist au<strong>ch</strong> in der<br />
Neuen Kir<strong>ch</strong>e der Stein der eigenen Wahrheit re<strong>ch</strong>thaberis<strong>ch</strong> erhoben worden.<br />
Auf der Strecke ist Abel geblieben, blutüberströmt, ers<strong>ch</strong>lagen mit tausend Worten.<br />
Wie sähe eine Kir<strong>ch</strong>e aus, in der Abel der gute Hirte sein kann, in der er das<br />
Hirtenamt ausüben kann? Kains Mund bringt Einwände über Einwände gegen die<br />
Gemeinde der ges<strong>ch</strong>wisterli<strong>ch</strong>en Liebe hervor: In einer Kir<strong>ch</strong>e muss do<strong>ch</strong> Ordnung<br />
herrs<strong>ch</strong>en! Wo soll das hinführen, wenn jedes S<strong>ch</strong>af seine eigene Glaubenswahrheit<br />
su<strong>ch</strong>en und womögli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> finden darf? Do<strong>ch</strong> Abels Kir<strong>ch</strong>e würde<br />
die Vielfalt der Glaubensmeinungen ni<strong>ch</strong>t als ein Zei<strong>ch</strong>en des Zerfalls der Einheit<br />
für<strong>ch</strong>ten, sondern si<strong>ch</strong> an dieser bunten Blumenwiese erfreuen, denn sie zeigt den<br />
Frühling des geistigen Lebens an. Aber Abel wird von Kain mundtot gema<strong>ch</strong>t, sein<br />
Blut versickert no<strong>ch</strong> immer im Boden und s<strong>ch</strong>reit zu Gott.<br />
Zu Genesis 4,8: »Und Kain spra<strong>ch</strong> zu seinem Bruder Abel: ›…‹«. Was Kain zu Abel<br />
sagte, ist im masoretis<strong>ch</strong>en Text (dem sogenannten »Urtext«) ni<strong>ch</strong>t überliefert.<br />
Eine Reihe alter Textüberlieferungen - nämli<strong>ch</strong> der samaritanis<strong>ch</strong>e Pentateu<strong>ch</strong>, die<br />
Septuaginta, die Pes<strong>ch</strong>itta und die Vulgata - haben jedo<strong>ch</strong>: »Lass uns auf das Feld<br />
gehen!« Swedenborg hält si<strong>ch</strong> an den masoretis<strong>ch</strong>en Text. Die Formel »A sagte zu<br />
B«, die eigentli<strong>ch</strong> eine direkte Rede erwarten lässt, meint na<strong>ch</strong> ihm hier »den Zug<br />
der Zeit« (tractus temporis, HG 366). Swedenborg führt diesen Gedanken ni<strong>ch</strong>t<br />
weiter aus, aber vermutli<strong>ch</strong> meint er: Kain, der ja die si<strong>ch</strong> verselbständigende<br />
Glaubenslehre (Dogmatik) verkörpert, verwickelt Abel mit der Zeit immer mehr in<br />
das theologis<strong>ch</strong>e Streitgesprä<strong>ch</strong>. Kain zieht Abel also gewissermaßen auf sein<br />
»Feld«, das heißt auf das Feld der dogmatis<strong>ch</strong>en Auseinandersetzungen. Die Folge<br />
ist der Brudermord. Denn Abel oder das Tat<strong>ch</strong>ristentum ist, indem es si<strong>ch</strong> »im<br />
Verlauf der Zeit« ganz und gar auf das Feld Kains ziehen lässt, s<strong>ch</strong>on verloren,<br />
weil es dur<strong>ch</strong> die Totalisierung des Diskutierens ni<strong>ch</strong>t mehr zu si<strong>ch</strong> selbst kommen<br />
kann.<br />
Deswegen heißt es weiter: »Es ges<strong>ch</strong>ah bei ihrem Sein auf dem Feld«. Wo sonst<br />
kann der Brudermord ges<strong>ch</strong>ehen? Abel kann nur auf dem Feld Kains, in der Domäne<br />
des »obed adamah« ers<strong>ch</strong>lagen werden, und zwar mit harten Fakten und<br />
spitzen Argumenten. Das Feld bezei<strong>ch</strong>net »die Lehre« und somit au<strong>ch</strong> die Diskussionen<br />
auf dem Feld von Fors<strong>ch</strong>ung und Lehre (HG 368). »Adam« (Mens<strong>ch</strong>) und<br />
»adamah« (Erdrei<strong>ch</strong>) hängen in der Bilderspra<strong>ch</strong>e der Bibel eng zusammen. Au<strong>ch</strong>
Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 137<br />
im Lateinis<strong>ch</strong>en finden wir diesen Zusammenhang von »Homo« (Mens<strong>ch</strong>) und<br />
»Humus« (Erdrei<strong>ch</strong>). Die Aufgabe des »Erdlings« (= des Mens<strong>ch</strong>en) ist die Kultivierung<br />
der Erde, ihre Vergeistigung. Der Mens<strong>ch</strong> ist das Nadelöhr, dur<strong>ch</strong> das alles<br />
aus dem Erdrei<strong>ch</strong> hindur<strong>ch</strong> muss, um in das Himmelrei<strong>ch</strong> zu kommen. Der Begriff<br />
»Feld« ist im Zusammenhang dieser Kulturtätigkeit des geistbegabten Erdlings zu<br />
sehen. In der Bibel begegnen uns die Begriffe »Erde« (»’äräz'«), »Erdrei<strong>ch</strong>« (»adamah«)<br />
und »Feld« (»sadeh«). Swedenborg gibt einige Hinweise zum tieferen Verständnis<br />
dieses Trios. Er s<strong>ch</strong>reibt: »Die Erde ist die Grundlage (wörtli<strong>ch</strong>: das Enthaltende)<br />
des Erdrei<strong>ch</strong>s, und das Erdrei<strong>ch</strong> ist die Grundlage des Feldes (oder des<br />
Ackers)« (»terra est continens humi, et humus est continens agri«, HG 620, vgl.<br />
au<strong>ch</strong> HG 377). Die drei Begriffe bauen also im Sinne der erwähnten Kulturtätigkeit<br />
aufeinander auf: Ohne die Erde kein Erdrei<strong>ch</strong>, und ohne das Erdrei<strong>ch</strong><br />
kein Feld (= kein kultiviertes Erdrei<strong>ch</strong>). Im geistigen Verständnis ist »das Erdrei<strong>ch</strong>«<br />
ein Bild für die Empirie, das heißt für die Erfahrung des Irdis<strong>ch</strong>en dur<strong>ch</strong> die<br />
fünf Sinne. Die Empirie oder das Bild der Erde im Bewusstsein des äußeren Mens<strong>ch</strong>en<br />
ist die Grundlage für die Tätigkeit des Geistes. Der kann nämli<strong>ch</strong> die Empirie<br />
mit der Saat seiner Gedanken befru<strong>ch</strong>ten; und wenn das ges<strong>ch</strong>ieht, dann wird<br />
aus dem Erdrei<strong>ch</strong> ein Acker, auf dem die Frü<strong>ch</strong>te von Himmel und Erde heranreifen<br />
können. Im Trio »Erde«, »Erdrei<strong>ch</strong>« und »Feld« sind »Feld« bzw. »Acker« am<br />
engsten mit dem Samen oder der Saat verbunden. 276<br />
Diese gedankli<strong>ch</strong>e Verknüpfung dürfen wir ni<strong>ch</strong>t aus den Augen verlieren, wenn<br />
wir das Folgende verstehen wollen: »Da erhob si<strong>ch</strong> Kain gegen seinen Bruder Abel<br />
und ers<strong>ch</strong>lug ihn.« Abel wird ausgere<strong>ch</strong>net dort ers<strong>ch</strong>lagen, wo die Erde zum Leben<br />
erweckt werden soll, auf dem Acker, der nun jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t die Samenkörner<br />
Kains, sondern die Blutstropfen Abels aufnehmen wird. A<strong>ch</strong>ten wir auf die Feinheiten<br />
der Spra<strong>ch</strong>e! »Kain erhob si<strong>ch</strong>«. So wird der Aufstand Kains, seine Überhebli<strong>ch</strong>keit<br />
dargestellt, als ein Akt des si<strong>ch</strong> Erhebens. Zuglei<strong>ch</strong> bedeutet das Verb<br />
»qum« aber au<strong>ch</strong> »zustande kommen«, »Bestand haben« und »gelten«. Die Seele<br />
der Glaubenswissens<strong>ch</strong>aft (Kain) ist die Glaubenspraxis (Abel). Theologie ist Denken<br />
aus Glauben, das heißt sie muss das Glaubensleben (Abel) voraussetzen. Sie<br />
kann den Glauben, insofern er eine innere Festigkeit, ein Gegründetsein in der<br />
Erfahrung des lebendigen Gottes ist, ni<strong>ch</strong>t erzeugen. Sie kann nur über die vorgegebene<br />
Wirkli<strong>ch</strong>keit des Glaubens na<strong>ch</strong>denken. Den Brudermord kann man als<br />
die Befreiung der Glaubenswissens<strong>ch</strong>aft (Kain) aus der Abhängigkeit vom Glaubensleben<br />
der Kir<strong>ch</strong>e (Abel) interpretieren. Dur<strong>ch</strong> diesen Akt der Erhebung mag<br />
si<strong>ch</strong> die Theologie als etwas Selbständiges geltend ma<strong>ch</strong>en, aber wel<strong>ch</strong>en Preis<br />
276<br />
Einige Stellen zur Verbindung von Acker und Saat bei Swedenborg: »Die Lehre heißt Acker,<br />
weil er (wie die Lehre) den Samen aufnimmt« (»doctrina vocatur ›ager‹ ex semine«, HG 368).<br />
»›Acker‹ bedeutet Kir<strong>ch</strong>e, weil sie wie ein Acker die Samen des Guten und Wahren aufnimmt«<br />
(HG 3766). »›Erdrei<strong>ch</strong>‹ (humus) bezei<strong>ch</strong>net die Kir<strong>ch</strong>e aus einem ähnli<strong>ch</strong>en Grund wie ›Acker‹<br />
(ager), nämli<strong>ch</strong> wegen der Aufnahme vers<strong>ch</strong>iedener Samen, ihrem Wa<strong>ch</strong>stum und Ertrag«<br />
(HG 10570). Wegen der Empfängli<strong>ch</strong>keit für die Aussaat ist »Acker« glei<strong>ch</strong>bedeutend mit »gutes<br />
Erdrei<strong>ch</strong>« (HG 3577).
138 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
muss sie dafür bezahlen? I<strong>ch</strong> will denselben Gedanken no<strong>ch</strong> einmal etwas handgreifli<strong>ch</strong>er<br />
formulieren. Die Glaubenswissens<strong>ch</strong>aft kann natürli<strong>ch</strong> im Interesse<br />
ihrer Wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>keit die Auferstehung Jesu in Frage stellen oder au<strong>ch</strong> leugnen.<br />
Denn die wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> saubere Exegese des Neuen Testaments liefert<br />
keinen wirkli<strong>ch</strong> hieb- und sti<strong>ch</strong>festen Beweis für diesen unerhörten Vorgang, der<br />
das Fundament der Kir<strong>ch</strong>e und das Wesentli<strong>ch</strong>e des Glaubens ist. Aber wenn die<br />
Theologie der Kir<strong>ch</strong>e auf diese Weise wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> korrekt ins Gesi<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>lägt,<br />
dann s<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>t das zwar das Glaubensleben, viellei<strong>ch</strong>t stirbt es sogar, zuglei<strong>ch</strong><br />
aber wird dadur<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> die theologis<strong>ch</strong>e Arbeit unfru<strong>ch</strong>tbar. Der Boden, der das<br />
Blut Abels vers<strong>ch</strong>luckt, wird am Ende au<strong>ch</strong> den Brudermörder entkräftet zurücklassen,<br />
weil er (= der Boden des Wortes) ihm (= dem Exegeten) seine Kraft ni<strong>ch</strong>t<br />
mehr geben wird. Die wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Exegese wird unfru<strong>ch</strong>tbar, wenn sie si<strong>ch</strong><br />
ni<strong>ch</strong>t in den Dienst der Kir<strong>ch</strong>e stellt, wenn sie si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t dem guten Hirten unterordnet.<br />
Eine Theologie, die irgendwo jenseits des Glaubens Bestand haben will,<br />
wird am Ende nur eins sein: »unstet und flü<strong>ch</strong>tig«.<br />
Zweimal werden wir in Vers 8 daran erinnert, dass Abel der Bruder Kains ist.<br />
Dadur<strong>ch</strong> kommt die Ungeheuerli<strong>ch</strong>keit um so krasser zu Vors<strong>ch</strong>ein, dass si<strong>ch</strong> die<br />
Glaubenswissens<strong>ch</strong>aft gegen das Glaubensleben erhebt. Beide Glaubensgestalten<br />
sind do<strong>ch</strong> Brüder!<br />
Das Wesen des Brudermords haben wir uns ein wenig verdeutli<strong>ch</strong>t. Unklar bleibt<br />
allerdings das Wie. Das hebräis<strong>ch</strong>e Verb »harag« bedeutet ans<strong>ch</strong>einend nur hö<strong>ch</strong>st<br />
allgemein »töten« (Gesenius 187), so dass die Phantasie des Bibelinterpreten die<br />
Einzelheiten ergänzen kann und sogar muss, wenn das Bild ans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong> werden<br />
soll. Die deuts<strong>ch</strong>en Bibelübersetzungen bevorzugen »s<strong>ch</strong>lagen«, entweder in Form<br />
von »tots<strong>ch</strong>lagen« oder »ers<strong>ch</strong>lagen«. 277 Au<strong>ch</strong> der Swedenborgianer Leonhard Tafel<br />
wählte »ers<strong>ch</strong>lagen«, während si<strong>ch</strong> der Revisor seiner Neukir<strong>ch</strong>enbibel Ludwig H.<br />
Tafel für »erwürgen« ents<strong>ch</strong>ied und damit aus der Reihe fällt. Swedenborg hat<br />
»occidere«. Das kann »tots<strong>ch</strong>lagen« bedeuten, wird aber von ihm wohl einfa<strong>ch</strong> nur<br />
im Sinne von »töten« verwendet, denn das 5. Gebot (»Du sollst ni<strong>ch</strong>t töten«) übersetzt<br />
er mit »Non occides« (WCR 309). Eine Besonderheit beoba<strong>ch</strong>ten wir beim<br />
Verfasser des 1. Johannesbriefes, na<strong>ch</strong> dem Kain seinen Bruder »s<strong>ch</strong>la<strong>ch</strong>tete« (1.<br />
Joh 3,12). Dieses Wort finden wir in der Johannesoffenbarung in Verbindung mit<br />
»Lamm« (5,6.12; 13,8). Sieht der Verfasser dieses neutestamentli<strong>ch</strong>en Briefes also<br />
in Abel bereits eine Präfiguration Christi, des Lammes Gottes? Wir haben uns für<br />
»ers<strong>ch</strong>lagen« ents<strong>ch</strong>ieden, weil wir in der Tradition Swedenborgs in Kain eine<br />
Personifikation des re<strong>ch</strong>ten Glaubens der Orthodoxie sehen, wo man si<strong>ch</strong> mit<br />
Worten zu ers<strong>ch</strong>lagen pflegt. S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> ein Blick auf die Ikonographie. Anna<br />
Ulri<strong>ch</strong> weist auf »die Vielfalt der Werkzeuge« hin: »Betra<strong>ch</strong>tet man die Dar-<br />
277<br />
»Tots<strong>ch</strong>lagen« finden wir in der Zür<strong>ch</strong>er Bibel (1931), in der Lutherbibel (1984), in der »Gute(n)<br />
Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t Bibel« (1997), in der »Hoffnung für alle« (2002) und in der Bibelübersetzung<br />
von Hermann Menge. »Ers<strong>ch</strong>lagen« finden wir in der Elberfelder Bibel (1991) und in der katholis<strong>ch</strong>en<br />
Einheitsübersetzung.
Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 139<br />
stellungen der Tötung Abels, so fällt die Vielfalt der Werkzeuge auf, die Kain benutzt:<br />
vom Stein über die Keule bis zu Ackergeräten; vom Messer bis zum Eselskinnbacken.<br />
Es gibt Darstellungen, auf denen Kain mit Abel ringt, ihn erwürgt<br />
oder dur<strong>ch</strong> einen Biß tötet.« 278<br />
Zu Genesis 4,9: »Wo ist dein Bruder Abel?« Eine harmlose Frage. Jahwe erkundigt<br />
si<strong>ch</strong> einfa<strong>ch</strong> nur na<strong>ch</strong> dem Aufenthaltsort des Bruders von Kain. Au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> dem<br />
Sündenfall stellte Jahwe eine sol<strong>ch</strong>e Frage, damals an Adam: »Wo bist du?« (Gen<br />
3,9). Do<strong>ch</strong> die harmlose Wo-Frage hat es in si<strong>ch</strong>. Sie deckt nämli<strong>ch</strong> den Zustand<br />
desjenigen auf, der nun eine Antwort geben muss. Gerhard von Rad (1901 - 1971)<br />
weist auf einen Unters<strong>ch</strong>ied dieser beiden Wo-Fragen hin: »… die Frage Gottes an<br />
den Mens<strong>ch</strong>en lautet jetzt ni<strong>ch</strong>t ›Wo bist du?‹, sondern ›Wo ist dein Bruder?‹. Die<br />
Verantwortung vor Gott ist die Verantwortung für den Bruder; ›die Gottesfrage<br />
stellt si<strong>ch</strong> jetzt als soziale Frage‹.« 279 In Genesis 3 kam es zum Bru<strong>ch</strong> im Verhältnis<br />
des Mens<strong>ch</strong>en zu Gott (= im vertikalen Verhältnis), in Genesis 4 ist es nun<br />
zum Bru<strong>ch</strong> im zwis<strong>ch</strong>enmens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Verhältnis (= im horizontalen Verhältnis)<br />
gekommen. Kain muss vor Gott nun das verantworten, was er seinem Bruder<br />
(an)getan hat. Das erinnert an die S<strong>ch</strong>ilderung des Geri<strong>ch</strong>tes im Matthäusevangelium<br />
(25,31-46). Die Szene mündet in die Worte: »Wahrli<strong>ch</strong>, i<strong>ch</strong> sage eu<strong>ch</strong>, was ihr<br />
einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, habt ihr mir getan.« Und: »…<br />
was ihr einem dieser Geringsten ni<strong>ch</strong>t getan habt, habt ihr au<strong>ch</strong> mir ni<strong>ch</strong>t getan.«<br />
Kain hat somit im Grunde Gott oder das Göttli<strong>ch</strong>e in si<strong>ch</strong> (ab)getötet. Und tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong><br />
wird die kainitis<strong>ch</strong>e Mens<strong>ch</strong>heit au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> den töten, den Abel nur im voraus,<br />
s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong> darstellte, nämli<strong>ch</strong> Jesus Christus, den Sohn Gottes.<br />
Kain will si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> seine Antwort ni<strong>ch</strong>t verraten. Auf die Frage: »Wo ist dein<br />
Bruder?« erwidert er: »I<strong>ch</strong> weiß es ni<strong>ch</strong>t.« Das ist eine unverdä<strong>ch</strong>tige Reaktion.<br />
Aber es ist au<strong>ch</strong> eine fre<strong>ch</strong>e Lüge. Franz Delitzs<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>rieb: »Wel<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>auriger<br />
Forts<strong>ch</strong>ritt von der s<strong>ch</strong>amhaft ängstli<strong>ch</strong>en Flu<strong>ch</strong>t und Ents<strong>ch</strong>uldigung der Ureltern<br />
na<strong>ch</strong> ihrem Falle zu diesem fre<strong>ch</strong>en Trotze, dieser unvers<strong>ch</strong>ämten Verleugnung,<br />
dieser lieblosen Rohheit!« (167). Dieses verdorbene Wesen Kains bri<strong>ch</strong>t im zweiten<br />
Teil seiner Antwort hervor.<br />
»Bin i<strong>ch</strong> der Hüter (oder Bewa<strong>ch</strong>er) meines Bruders?« Kain verrät si<strong>ch</strong> nun do<strong>ch</strong>.<br />
Denn diese heftige Gegenwehr zeigt, dass er aus seinem argen Bewusstsein in die<br />
»arglose Alltagsfrage« (Seebass 154) etwas Arges hineinspiegelt. Er spri<strong>ch</strong>t nämli<strong>ch</strong>,<br />
ohne dass das irgendeinen Grund in der Wo-Frage hat, plötzli<strong>ch</strong> von hüten<br />
oder bewa<strong>ch</strong>en. Damit gibt er zu erkennen: I<strong>ch</strong> weiß, dass Abel etwas Böses widerfahren<br />
ist (denn i<strong>ch</strong> habe ihn ja selbst umgebra<strong>ch</strong>t). Der Ausruf »Bin i<strong>ch</strong> der<br />
Hüter meines Bruders?« bringt die ganze Gerings<strong>ch</strong>ätzung und Vera<strong>ch</strong>tung zum<br />
Vors<strong>ch</strong>ein, die Kain gegenüber Abel empfindet. Na<strong>ch</strong> Swedenborg bedeutet er,<br />
278<br />
Anna Ulri<strong>ch</strong>, Kain und Abel in der Kunst: Untersu<strong>ch</strong>ungen zur Ikonographie und Auslegungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te,<br />
1981, Seite 137.<br />
279<br />
Gerhard von Rad, Das erste Bu<strong>ch</strong> Mose: Genesis, Göttingen und Züri<strong>ch</strong> 1987, Seite 77.
140 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
dass Kain seinen Bruder Abel »für ni<strong>ch</strong>ts hielt« (nihili faceret, HG 370). Abel ist<br />
etwas so Ni<strong>ch</strong>tswürdiges, dass man es ni<strong>ch</strong>t wie ein kostbares Kleinod sorgsam<br />
behüten muss.<br />
Der »Hüter« spielt auf den Beruf Abels an (Hirt = Hüter der Herde). Daher können<br />
wir Kains dreiste Antwort so ums<strong>ch</strong>reiben: »Soll i<strong>ch</strong>, der Ackerbauer, der Hüter<br />
eines Hirten sein, dessen Tätigkeit nun einmal von Natur aus voller Gefahren ist,<br />
auf die er si<strong>ch</strong> mit seiner Berufswahl eingelassen hat.« (siehe Seebass 154). Abel<br />
ist also selbst s<strong>ch</strong>uld, wenn ihm etwas zustößt. Der Zusammenhang von Hirt<br />
(»ro‘eh«) und Hüter (»s<strong>ch</strong>omer«) ist im Alten Testament gut bezeugt: »Der Israel<br />
zerstreut hat, wird es (wieder) sammeln und wird es hüten (us<strong>ch</strong>emaro) wie ein<br />
Hirt (kero‘eh) seine Herde!« (Jer 31,10). »Und Jakob sagte: Du sollst mir gar ni<strong>ch</strong>ts<br />
geben; wenn du mir diese (eine) Sa<strong>ch</strong>e zugestehst, dann will i<strong>ch</strong> wieder deine<br />
S<strong>ch</strong>afe weiden (er‘eh) (und) hüten (es<strong>ch</strong>mor).« (Gen 30,31; vgl. Hos 12,13). In 1.<br />
Samuel 17,20 steht das Partizip Wä<strong>ch</strong>ter, Hüter für den Hirten: »Da ma<strong>ch</strong>te si<strong>ch</strong><br />
David des Morgens früh auf und überließ die S<strong>ch</strong>afe einem Hüter (s<strong>ch</strong>omer).« Und<br />
im Neuen Testament lesen wir: »Und Hirten (poimenes) waren in derselben Gegend<br />
im Freien und hüteten (phylassontes phylakas = hielten Wa<strong>ch</strong>e) des Na<strong>ch</strong>ts<br />
bei ihrer Herde.« (Lk 2,8).<br />
Na<strong>ch</strong> Swedenborg drückt si<strong>ch</strong> in dem unwilligen Ausruf: »Bin i<strong>ch</strong> der Hüter meines<br />
Bruders?«, no<strong>ch</strong> einmal die Rebellion Kains gegen den Dienst, das heißt gegen<br />
die Unterordnung unter Abel aus. Diesen Dienst verglei<strong>ch</strong>t er mit dem der Türhüter<br />
(»s<strong>ch</strong>o‘arim«) und der Hüter der S<strong>ch</strong>welle (»s<strong>ch</strong>omere hasaf«) 280 : »›Hüter sein‹<br />
bedeutet dienen, glei<strong>ch</strong>sam wie die Türhüter und die Hüter der S<strong>ch</strong>welle in der<br />
jüdis<strong>ch</strong>en Gemeinde« (HG 372). Was könnte Swedenborg mit dieser ungewöhnli<strong>ch</strong>en<br />
gedankli<strong>ch</strong>en Verbindung meinen? Der Glaube (Kain) als S<strong>ch</strong>wellenwä<strong>ch</strong>ter<br />
hat die Aufgabe darauf zu a<strong>ch</strong>ten, dass nur diejenigen Gedanken in das Innere<br />
hineingelassen werden, die der freien Tatentfaltung des Geistes in seiner Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />
dienen. Der Hüter der S<strong>ch</strong>welle weist die Fremden zurück, nur die Freunde<br />
des Hausherrn, die mit seinem Leben innigli<strong>ch</strong> verbunden sind, lässt er hinein.<br />
Diesen unter- oder vorgeordneten Dienst soll der Glaube dem geistigen Leben<br />
leisten. Stattdessen aber s<strong>ch</strong>wingt er si<strong>ch</strong> zum Herrn auf und würgt das innere<br />
Leben dur<strong>ch</strong> seine re<strong>ch</strong>thaberis<strong>ch</strong>e Tyrannei ab.<br />
»S<strong>ch</strong>amar«, das wir bisher immer mit »hüten« übersetzt haben, kann au<strong>ch</strong> »beoba<strong>ch</strong>ten«,<br />
»A<strong>ch</strong>t geben«, (den Bund oder die Gebote Gottes) »halten« und »verehren«<br />
bedeuten. Wenn der Glaube seine Position als S<strong>ch</strong>wellenwä<strong>ch</strong>ter willig annimmt,<br />
dann ri<strong>ch</strong>tet er si<strong>ch</strong> innerli<strong>ch</strong> auf seinen Herrn aus. Er beoba<strong>ch</strong>tet ihn. Er<br />
gibt A<strong>ch</strong>t auf seine Winke. Er hält si<strong>ch</strong> an die Weisungen seines Herrn. Mit einem<br />
Wort: Er verehrt ihn. Do<strong>ch</strong> der selbstherrli<strong>ch</strong>e Glaube ruft empört aus: Bin i<strong>ch</strong> der<br />
Verehrer meines Bruders?<br />
280<br />
Biblis<strong>ch</strong>e Belegstellen zu Torhüter (»s<strong>ch</strong>o‘er«) bei Gesenius 815 und zu »Hüter der S<strong>ch</strong>welle«<br />
(»s<strong>ch</strong>omere hasaf«) bei Gesenius 549.
Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 141<br />
Zu Genesis 4,10: Die zweite Frage Jahwes oder die zweite Äußerung des Gewissens<br />
na<strong>ch</strong> der s<strong>ch</strong>reckli<strong>ch</strong>en Tat lautet: »Was hast du getan?« Swedenborg legt sie<br />
hier ni<strong>ch</strong>t aus. Aber dieselbe Frage kommt au<strong>ch</strong> in Genesis 20,9 und 31,26 vor,<br />
und dort geht er bei seiner Auslegung von den Affekten oder Emotionen aus, die<br />
glei<strong>ch</strong>sam das Leben dieser Worte sind (siehe HG 2546 und 4132). Daher a<strong>ch</strong>ten<br />
wir besonders auf die Exegeten, die ebenfalls vom affektiven Gehalt ausgehen.<br />
Na<strong>ch</strong> August Dillmann (1823 - 1894) ist »Was hast du getan?« in Genesis 4,10<br />
»eine Frage des Entsetzens«. 281 Und au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Gerhard von Rad bringt der Ausruf<br />
»Gottes Entsetzen über diese Tat« zum Ausdruck (77). Aus der »Was hast du getan?«<br />
Frage von Genesis 31,26 hört Swedenborg den Stimmungston der »Entrüstung«<br />
heraus (HG 4132). Ein anderer Ansatzpunkt für die Deutung von Spra<strong>ch</strong>e<br />
ist die Su<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> einem »Sitz im Leben«, das heißt na<strong>ch</strong> einer Situation, in der<br />
typis<strong>ch</strong>erweise so und ni<strong>ch</strong>t anders gespro<strong>ch</strong>en wird. In diesem Sinne erkennt<br />
Horst Seebass in den Versen 10 bis 12 »eine Reihe juristis<strong>ch</strong>er Vorstellungen«. So<br />
sei »Was hast du getan?« eine »Formel«, die man vor einem »Geri<strong>ch</strong>tsverfahren zur<br />
Behaftung des Täters« verwandte (155). Kains Tat ers<strong>ch</strong>eint nun im Li<strong>ch</strong>te der<br />
göttli<strong>ch</strong>en Wahrheit als das, was sie ist, nämli<strong>ch</strong> als ein himmels<strong>ch</strong>reiendes Unre<strong>ch</strong>t.<br />
Und sie wird ans<strong>ch</strong>ließend mit den Folgen konfrontiert, in die sie verwickelt<br />
wird. In diesem Sinne wird Kain geri<strong>ch</strong>tet. Die Frage »Was hast du getan?« kann<br />
man au<strong>ch</strong> auf der Subjektstufe deuten. Dann lautet sie: »(Mein Gott), was habe i<strong>ch</strong><br />
getan?« Die Frage leitet die Bewusstwerdung der Tatfolgen ein. Die Deutung auf<br />
der Subjektstufe ist au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Swedenborg angemessen, weil er das Spre<strong>ch</strong>en<br />
Jahwes mit dem Gewissen in Verbindung bringt und das Gewissen die innere<br />
Stimme Gottes ist. Hier spri<strong>ch</strong>t also die höhere Ebene im Subjekt zu der niederen<br />
Ebene im Subjekt.<br />
»Hor<strong>ch</strong>! Das vergossene Blut deines Bruders s<strong>ch</strong>reit zu mir vom Boden.« So haben<br />
wir die zweite Vershälfte übersetzt. Das hebräis<strong>ch</strong>e Wort »qol« bedeutet zwar eigentli<strong>ch</strong><br />
»Stimme«, so übersetzt es Swedenborg. Aber im Alten Testament ist au<strong>ch</strong><br />
der Gebrau<strong>ch</strong> von »qol« als Interjektion belegt (Gesenius 707), und dann bedeutet<br />
es »hor<strong>ch</strong>!«. Wir haben uns hier gegen Swedenborg für »hor<strong>ch</strong>!« ents<strong>ch</strong>ieden, weil<br />
für »s<strong>ch</strong>reien« im Urtext eine Pluralform steht, die si<strong>ch</strong> nur auf den Plural »Blut«<br />
beziehen kann, ni<strong>ch</strong>t aber auf den Singular »Stimme«.<br />
Damit ist s<strong>ch</strong>on die nä<strong>ch</strong>ste Beoba<strong>ch</strong>tung genannt: »Blut« steht im Urtext im Plural.<br />
Na<strong>ch</strong> Franz Delitzs<strong>ch</strong> ist das der »Pl(ural) des Products«. Er bedeutet »als sol<strong>ch</strong>er<br />
das aus dem Innern des Leibes, wo es heimis<strong>ch</strong> ist, tropfen- oder flußweise<br />
zur Ers<strong>ch</strong>einung kommende Blut und zwar immer gewaltsam verströmtes Mens<strong>ch</strong>enblut«,<br />
das ist »ein fester Spra<strong>ch</strong>gebrau<strong>ch</strong>« (167) 282 . Au<strong>ch</strong> Swedenborg gibt<br />
eine Erklärung für den Plural von »Blut«: »Blut im Plural heißt es, weil die Ge-<br />
281<br />
August Dillmann, Die Genesis, Leipzig 1886, Seite 95.<br />
282<br />
Vgl. au<strong>ch</strong> Horst Seebass: »Der Pl. von dam ›Blut‹ steht nur für vergossenes Blut und ganz<br />
überwiegend für die Bluts<strong>ch</strong>uld (KBL 3 ).« (155).
142 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
samtheit des Ungere<strong>ch</strong>ten und Abs<strong>ch</strong>euli<strong>ch</strong>en aus dem Hass entspringt, wie die<br />
Gesamtheit des Guten und Heiligen aus der Liebe« (HG 374). Das Blut steht sona<strong>ch</strong><br />
für das gewaltsam produzierte (Plural des Produkts), das heißt für das vergossene<br />
Blut. Oder, um Swedenborg aufzugreifen: Abels Blutla<strong>ch</strong>e steht für alle<br />
Gewalttaten, die si<strong>ch</strong> die Mens<strong>ch</strong>en gegenseitig zufügen. Das Blut steht für die<br />
Bluttat oder, wenn wir von der Tat auf die Gesinnung s<strong>ch</strong>auen, für den »Hass« (HG<br />
374). Na<strong>ch</strong> diesen Überlegungen könnten wir den Vers au<strong>ch</strong> so übersetzen: »Was<br />
hast du (nur) getan? Hor<strong>ch</strong>! Die Bluttat an deinem Bruder, sie s<strong>ch</strong>reit zu mir vom<br />
Boden (empor).«<br />
Das Ges<strong>ch</strong>rei der zahllosen Blutstropfen klagt Kain vor Gott an (siehe »anklagen«<br />
in HG 374 und 375). So wird er zu einem Angeklagten. Dur<strong>ch</strong> das Jammerges<strong>ch</strong>rei<br />
wird er in den Zustand eines Bes<strong>ch</strong>uldigten versetzt, denn jede Tat begründet<br />
einen Zustand. Das Ges<strong>ch</strong>rei der Blutla<strong>ch</strong>e ist also ein ar<strong>ch</strong>ais<strong>ch</strong>es Bild für diesen<br />
»S<strong>ch</strong>uldzustand« (HG 376) Kains.<br />
Das Blut sickert in den Boden ein. Die Bluttat dur<strong>ch</strong>tränkt und dur<strong>ch</strong>dringt ihn,<br />
sie erfüllt ihn ganz und gar. Dadur<strong>ch</strong> wird die Gewalt ein Teil dieses Bodens, ein<br />
Bestandteil seines Wesens. Glei<strong>ch</strong>es gilt für die S<strong>ch</strong>uld. Denn mit dem Blut dringt<br />
au<strong>ch</strong> sie in den Boden ein. Er ist nun als der Boden des Brudermörders wie dieser<br />
s<strong>ch</strong>uldbeladen. So waren die Erzählungen der Alten bes<strong>ch</strong>affen. An dem für unser<br />
Empfinden uns<strong>ch</strong>uldigen Boden klebt nun das Blut Abels und damit die S<strong>ch</strong>uld<br />
Kains. Daher klagt der Boden seinen Herrn, gemeint ist Kain, vor Gott an, denn<br />
aus allen seinen Fur<strong>ch</strong>en dringt das Gejammer des uns<strong>ch</strong>uldig vergossenen Blutes<br />
zu Gott empor. Im geistigen Sinn meint der Boden den geistigen Boden oder die<br />
geistige Grundlage Kains, das heißt dasjenige gedankli<strong>ch</strong>e System, das seiner Gedankenproduktion<br />
oder seiner geistigen Fru<strong>ch</strong>tbarkeit zugrunde liegt. Dieser fundamentaltheoretis<strong>ch</strong>e<br />
Boden ist im Falle Kains »eine Abspaltung« (s<strong>ch</strong>isma) oder<br />
»eine von der Kir<strong>ch</strong>e abwei<strong>ch</strong>ende Lehre« (haeresis) (HG 377). Konkret denkt Swedenborg<br />
an die Lehre von der Re<strong>ch</strong>tfertigung allein aus dem Glauben. Diese Lehre<br />
hat das geistige Leben (Abel) in der Kir<strong>ch</strong>e im Grundsatz ausgelös<strong>ch</strong>t. Denn wo<br />
sind die <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>en Meister, die den Weg der geistigen Wiedergeburt gegangen<br />
sind und S<strong>ch</strong>üler aufnehmen können? Kains Acker ist ein Friedhof geworden, aber<br />
ans<strong>ch</strong>einend hört nur Gott das Stöhnen Abels, das s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>e, das aus diesem<br />
Blutacker emporsteigt.<br />
Zu Genesis 4,11: »Und nun« leitet die S<strong>ch</strong>ilderung der Folgen ein. »Verflu<strong>ch</strong>t bist<br />
du vom (min) Boden«. Die Präposition »min« ermögli<strong>ch</strong>t vers<strong>ch</strong>iedene Übersetzungen.<br />
Erstens: »Verflu<strong>ch</strong>t bist du vom Boden (her)«. So verstanden vollzieht der<br />
Boden selbst die Verflu<strong>ch</strong>ung. Das passt zu Vers 10, wo das Blut vom Boden her<br />
zu Jahwe s<strong>ch</strong>reit. Zweitens: »Verflu<strong>ch</strong>t bist du wegen des Bodens«. So verstanden<br />
vollzieht zwar Jahwe die Verflu<strong>ch</strong>ung (siehe die direkte Anrede), aber »wegen«<br />
oder »infolge« des Bodens. Drittens: »Verflu<strong>ch</strong>t bist du vom Boden weg«. So verstanden<br />
wird Kain vom Boden weggetrieben oder verbannt. Das passt zu seinen<br />
Worten in Vers 14: »Siehe, du vertreibst mi<strong>ch</strong> heute von den Angesi<strong>ch</strong>ten des
Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 143<br />
Bodens«. Und viertens ermögli<strong>ch</strong>t der komparativis<strong>ch</strong>e Gebrau<strong>ch</strong> von »min« die<br />
Übersetzung: »Verflu<strong>ch</strong>ter bist du als der Boden«. In den deuts<strong>ch</strong>en Bibeln überwiegt<br />
die dritte Variante. 283 Die Swedenborgianer Leonhard Tafel und Ludwig H.<br />
Tafel sind jedo<strong>ch</strong> zurückhaltender. Sie übersetzen »min« mögli<strong>ch</strong>st neutral mit<br />
»von« und greifen somit kaum sinnklärend in den Text ein. In der Tradition Swedenborgs<br />
muss man der zweiten Variante den Vorzug geben: »Verflu<strong>ch</strong>t bist du<br />
wegen (oder infolge) des Bodens« 284 . Au<strong>ch</strong> die erste kann man gelten lassen. Do<strong>ch</strong><br />
die so beliebte dritte und erst re<strong>ch</strong>t die vierte s<strong>ch</strong>eiden aus. Zur Begründung diene<br />
das Folgende: In Genesis 3,17 wurde der Boden verflu<strong>ch</strong>t. Als »Kne<strong>ch</strong>t des Bodens«<br />
(Genesis 4,2) ist Kain demna<strong>ch</strong> in der Sphäre des Verflu<strong>ch</strong>ten tätig. Somit<br />
steht er vor der Ents<strong>ch</strong>eidung: Wird er den Flu<strong>ch</strong> überwinden und aufheben können?<br />
Oder wird ihn die verflu<strong>ch</strong>te »adamah« na<strong>ch</strong> unten ziehen? Die Antwort:<br />
Kains Angesi<strong>ch</strong>t fällt na<strong>ch</strong> unten und wendet si<strong>ch</strong> von oben ab. Kain kann den<br />
Flu<strong>ch</strong> also ni<strong>ch</strong>t aufheben. Stattdessen wird er nun selbst ein Verflu<strong>ch</strong>ter, einer,<br />
der si<strong>ch</strong> von oben, wo Jahwe ist, abgewendet hat und na<strong>ch</strong> unten auf das Irdis<strong>ch</strong>e<br />
blickt (siehe »aversus« in HG 378 und »deorsum spectare« in HG 379) 285 . Diese<br />
Verflu<strong>ch</strong>ung Kains ges<strong>ch</strong>ieht »wegen« oder »infolge« des Bodens, in dessen<br />
Ma<strong>ch</strong>tberei<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong> Kain befindet. Außerdem spri<strong>ch</strong>t für die zweite Variante der<br />
innere Sinn. Denn der Boden meint die geistige Grundlage, das heißt im Falle<br />
Kains die s<strong>ch</strong>ismatis<strong>ch</strong>e oder häretis<strong>ch</strong>e Lehre der Gere<strong>ch</strong>tma<strong>ch</strong>ung des Mens<strong>ch</strong>en<br />
dur<strong>ch</strong> den Glauben allein (HG 377). Kain ist demna<strong>ch</strong> wegen dieser Irrlehre<br />
ein Verflu<strong>ch</strong>ter.<br />
Der Boden »hat sein Maul aufgerissen«. Das Verb »pazah« ist ni<strong>ch</strong>t das gewöhnli<strong>ch</strong>e<br />
Wort für »öffnen«. Das ist »pata<strong>ch</strong>«, das in der hebräis<strong>ch</strong>en Bibel au<strong>ch</strong> in Verbindung<br />
mit Mund belegt ist (Gesenius 667), so dass man si<strong>ch</strong> fragen kann, warum<br />
in Genesis 4,11 »aufreißen« (pazah) und ni<strong>ch</strong>t »öffnen« (pata<strong>ch</strong>) steht. Die<br />
Antwort besteht mögli<strong>ch</strong>erweise darin, dass si<strong>ch</strong> mit »pazah« die Nebenbedeutung<br />
283<br />
Eindeutig der dritten Variante zuzuordnen sind die folgenden Übersetzungen. Die Einheitsübersetzung:<br />
»So bist du verflu<strong>ch</strong>t, verbannt vom Ackerboden«. Die Zür<strong>ch</strong>er Bibel: »Und nun -<br />
verflu<strong>ch</strong>t bist du, verbannt vom Ackerland«. Die Übersetzung von Hermann Menge: »Und nun<br />
- verflu<strong>ch</strong>t sollst du sein, (hinweggetrieben) vom Ackerboden«. Die Elberfelder Bibel: »Und<br />
nun, verflu<strong>ch</strong>t seist du von dem Ackerboden hinweg«. Die Verdeuts<strong>ch</strong>ung von Buber und Rosenzweig:<br />
»Und nun, verflu<strong>ch</strong>t seist du hinweg vom Acker«. Die Gute Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t Bibel: »Du<br />
hast den Acker mit dem Blut deines Bruders getränkt, deshalb stehst du unter einem Flu<strong>ch</strong><br />
und musst das fru<strong>ch</strong>tbare Ackerland verlassen.« Die Übersetzung »Hoffnung für alle«: Darum<br />
bist du von nun an verflu<strong>ch</strong>t: Weil du in diesem Land einen Mord begangen hast, musst du<br />
von hier fort.« Nur die Lutherbibel ist ni<strong>ch</strong>t eindeutig der dritten Variante zuzuordnen. Dort<br />
lesen wir: »Und nun: Verflu<strong>ch</strong>t seist du auf der Erde«. Die Übersetzung von »min« mit »auf« ist<br />
spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t korrekt, weswegen wir die Lutherbibel keiner der oben genannten Lesarten<br />
zuordnen können.<br />
284<br />
Einen ersten Hinweis gibt viellei<strong>ch</strong>t s<strong>ch</strong>on Swedenborgs Übersetzung. Sie lautet: »maledictus<br />
tu de humo«. Warum hat er »min« ni<strong>ch</strong>t mit »ab« (von) übersetzt? Die Präposition »de« bedeutet<br />
jedenfalls au<strong>ch</strong> »wegen«.<br />
285<br />
»Arur« (verflu<strong>ch</strong>t) ist das Gegenteil von »baruk« (gesegnet). Diese beiden Begriffe bilden im<br />
Hebräis<strong>ch</strong>en ein Gegensatzpaar (siehe THAT 1,236-240).
144 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
von »töri<strong>ch</strong>ter, übereilter Rede« verbindet (Gesenius 653). Diese Beoba<strong>ch</strong>tung<br />
passt jedenfalls gut mit Swedenborgs Auslegung zusammen, wona<strong>ch</strong> der Boden<br />
hier die töri<strong>ch</strong>te Lehre von der Re<strong>ch</strong>tfertigung dur<strong>ch</strong> den Glauben allein meinen<br />
soll. Das Aufreißen bedeutet das Lehren dieser Häresie (HG 378). Dadur<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>windet<br />
das Blut Abels, weswegen es heißt, dass der Boden sein Maul aufriss,<br />
um das Blut Abels zu nehmen oder zu vers<strong>ch</strong>lucken. So lös<strong>ch</strong>t die Lehrtätigkeit<br />
die Liebtätigkeit aus (HG 378).<br />
Zu Genesis 4,12: »Wenn du den Boden bebaust, wird er dir seine Kraft ni<strong>ch</strong>t mehr<br />
geben.« Das heißt, die Lehre von der Gere<strong>ch</strong>tspre<strong>ch</strong>ung des Mens<strong>ch</strong>en, der bestimmte<br />
dogmatis<strong>ch</strong>e Satzwahrheiten für wahr hält, erzeugt kein geistli<strong>ch</strong>es oder<br />
spirituelles Leben. Die Kultivierung (»excolere«, HG 380) dieses theologis<strong>ch</strong>en<br />
Grundsatzes erweist si<strong>ch</strong> für das Leben der Kir<strong>ch</strong>e als unfru<strong>ch</strong>tbar. In den Ohren<br />
e<strong>ch</strong>ter Kainiten ist dieser Satz selbstverständli<strong>ch</strong> eine Ungeheuerli<strong>ch</strong>keit. Denn<br />
die Re<strong>ch</strong>tfertigungslehre gilt diesen Brudermördern als »articulus stantis et cadentis<br />
ecclesiae«, das heißt als »der Glaubensartikel, mit dem die Kir<strong>ch</strong>e steht und<br />
fällt«. Do<strong>ch</strong> der Absolutismus dieser töri<strong>ch</strong>ten Lehre leert die Kir<strong>ch</strong>en. Die Mens<strong>ch</strong>en<br />
su<strong>ch</strong>en Spiritualität, do<strong>ch</strong> geboten wird ihnen von den S<strong>ch</strong>warzröcken nur<br />
das leere Stroh einer fals<strong>ch</strong>en Kreuzestheologie. Und so wandert das Glaubensvolk<br />
aus und su<strong>ch</strong>t woanders die Quelle des Lebens.<br />
»Koa<strong>ch</strong>« bedeutet Kraft, hier die Kraft des Erdrei<strong>ch</strong>s, die es ni<strong>ch</strong>t aus si<strong>ch</strong> heraus<br />
hat, sondern aus dem Saatgut des göttli<strong>ch</strong>en Geistes, der im Erdrei<strong>ch</strong> die Materie<br />
oder den mütterli<strong>ch</strong>er Stoff vorfindet, um daraus die ihm entspre<strong>ch</strong>ende Leibli<strong>ch</strong>keit<br />
zu formen. »Koa<strong>ch</strong>« ist hier die mütterli<strong>ch</strong>e oder seelis<strong>ch</strong>e Kraft, etwas aus<br />
etwas zu gestalten. »Koa<strong>ch</strong>« ist die Erzeugungsfähigkeit und dann au<strong>ch</strong> der Ertrag<br />
dieser ausformenden und gebärenden Kraft. Die Mutter Erde wird unfru<strong>ch</strong>tbar.<br />
Was für ein Forts<strong>ch</strong>ritt! In Genesis 3,17-18 hieß es demgegenüber nur: »… so sei<br />
der Erdboden verflu<strong>ch</strong>t um deinetwillen. Mit Mühsal sollst du davon essen alle<br />
Tage deines Lebens, Dornen und Disteln wird er dir sprossen lassen, und du wirst<br />
das Kraut des Feldes essen!« Immerhin, die »adamah« bra<strong>ch</strong>te damals no<strong>ch</strong> etwas<br />
hervor. Nun aber wird sie unfru<strong>ch</strong>tbar (»sterilis«, HG 380). Denn sie hat das Blut<br />
Abels aufgenommen. Das Blut gilt als der Sitz des Lebens (Num 17,11). Do<strong>ch</strong> der<br />
Lebenssaft Abels befru<strong>ch</strong>tet die »adamah« des Brudermörders ni<strong>ch</strong>t. Denn er ist<br />
das Blut einer Bluttat. Und indem dieses Blut den Boden dur<strong>ch</strong>tränkt, wird die<br />
Gewalttat die Seele oder das Wesen der »adamah« Kains. Sein Studium der S<strong>ch</strong>riften<br />
kann fortan nur no<strong>ch</strong> den Tod gebären. Sein Studium der S<strong>ch</strong>riften bleibt unfru<strong>ch</strong>tbar,<br />
weil es keine Werke hervorbringen will und daher au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t kann.<br />
Werke sind aber die Frü<strong>ch</strong>te des Studiums der alten, heiligen Texte. Steril wird<br />
dieses Studium, wenn es nur no<strong>ch</strong> um historis<strong>ch</strong>e Fragen geht und dabei vergessen<br />
wird, dass die biblis<strong>ch</strong>e Exegese keine reine Wissens<strong>ch</strong>aft sein, sondern dem<br />
kir<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Leben dienen soll. Mit dem Mord an seinem Bruder hat Kain seinen<br />
eigenen Glaubensboden unfru<strong>ch</strong>tbar gema<strong>ch</strong>t. Der Glaube hat den Liebeshau<strong>ch</strong>
Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 145<br />
verni<strong>ch</strong>tet, so dass nun au<strong>ch</strong> die Glaubensgrundlagen ni<strong>ch</strong>t mehr fru<strong>ch</strong>tbar werden<br />
können.<br />
Die stabreimartige Verbindung »na‘ wanod« (»unstet und flü<strong>ch</strong>tig«) 286 kommt im<br />
gesamten Alten Testament nur hier vor. Swedenborg bringt in HG 382 zwar einige<br />
Verglei<strong>ch</strong>sstellen, sie enthalten aber ni<strong>ch</strong>t die oben genannte Verbindung und<br />
teilweise au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t die darin verborgenen Verben, sondern nur sinnverwandte.<br />
Denno<strong>ch</strong> kann Swedenborg den folgenden Sinn ermitteln: Unstet und flü<strong>ch</strong>tig sein<br />
bedeutet »ni<strong>ch</strong>t wissen, was wahr und gut ist«. Kain gerät demna<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> den<br />
Brudermord in geistige Orientierungslosigkeit. Das Verb »nua‘« bedeutet<br />
»(s<strong>ch</strong>)wanken«, »haltlos« bzw. »heimatlos sein«. Und das Verb »nud« hat eine ähnli<strong>ch</strong>e<br />
Bedeutung, denn es bedeutet »(s<strong>ch</strong>)wanken«, »ziellos« bzw. »heimatlos sein«.<br />
Die Glaubenswissens<strong>ch</strong>aft ist na<strong>ch</strong> dem Brudermord ni<strong>ch</strong>t mehr im Glaubensleben<br />
verankert. Daher verliert Kain den Boden unter den Füßen und gerät ins<br />
Wanken, das heißt er wird in seiner s<strong>ch</strong>einbar festgefügten Meinung unsi<strong>ch</strong>er.<br />
Die stabreimartige Wiederholung zeigt an, dass si<strong>ch</strong> diese Verunsi<strong>ch</strong>erung sowohl<br />
auf den Standpunkt (das Wahre) als au<strong>ch</strong> auf den Zielpunkt (das Gute) auswirkt.<br />
»Flü<strong>ch</strong>tig« wird die Glaubenswissens<strong>ch</strong>aft, weil sie na<strong>ch</strong> dem Brudermord ihren<br />
Halt im kir<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>-spirituellen Leben verliert und nun den Angriffen von außen<br />
ausgeliefert ist und ihnen entgehen mö<strong>ch</strong>te. So befindet si<strong>ch</strong> die Glaubenswissens<strong>ch</strong>aft<br />
ständig auf der Flu<strong>ch</strong>t vor glaubensfremden Argumenten in der Angst, von<br />
ihnen ers<strong>ch</strong>lagen zu werden.<br />
Zu Genesis 4,13: »Da sagte Kain zu Jahwe: ›Zu groß ist meine Verkehrtheit, als<br />
dass sie aufgehoben werden könnte.‹« Für das hebräis<strong>ch</strong>e »awon« steht in den<br />
deuts<strong>ch</strong>en Bibeln meist »Strafe«. 287 Die katholis<strong>ch</strong>e Einheitsübersetzung hat<br />
»S<strong>ch</strong>uld«. Und Leonhard und Ludwig Tafel haben »Misset(h)at«. Die deuts<strong>ch</strong>en<br />
Interpreten der hebräis<strong>ch</strong>en Partitur betonen demna<strong>ch</strong> mehrheitli<strong>ch</strong> den Ans<strong>ch</strong>luss<br />
an Vers 12. Dort war von der Straffolge die Rede, und darauf reagiert Kain<br />
nun mit den Worten: »Zu groß ist meine Strafe, als dass i<strong>ch</strong> sie tragen könnte.«<br />
(Elberfelder Bibel). Werfen wir einen Blick auf Swedenborg! In der lateinis<strong>ch</strong>en<br />
Bibel von Sebastian S<strong>ch</strong>midt fand er »delictum« (Vergehen) vor. Er selbst wählte<br />
aber »iniquitas« (Unebenheit, Ungere<strong>ch</strong>tigkeit).<br />
Das hebräis<strong>ch</strong>e »awon« meint den ganzen Zusammenhang vom Vergehen über die<br />
S<strong>ch</strong>uld bis zur Strafe. Denn na<strong>ch</strong> Rolf Knierim wurzelt der Begriff »im dynamistis<strong>ch</strong>en<br />
Ganzheitsdenken«. Zur gängigen Übersetzungspraxis s<strong>ch</strong>reibt er: »Angesi<strong>ch</strong>ts<br />
der dur<strong>ch</strong> das Ganzheitsdenken bestimmten einheitli<strong>ch</strong>en Verwendung<br />
des Begriffs ›awon‹ für die vers<strong>ch</strong>iedenen Stadien eines Untat-Ges<strong>ch</strong>ehensablaufes<br />
286<br />
Die Verdeuts<strong>ch</strong>ung von Buber und Rosenzweig ahmt den Stabreim mit den Worten »s<strong>ch</strong>wank<br />
und s<strong>ch</strong>weifend« na<strong>ch</strong>.<br />
287<br />
»Strafe« steht in der Elberfelder Bibel (in der Anmerkung wird auf die Alternative »S<strong>ch</strong>uld«<br />
hingewiesen), in der Lutherbibel (1984), in der Zür<strong>ch</strong>er Bibel (1931), in der Übersetzung von<br />
Hermann Menge (in Klammern steht »oder: Sündens<strong>ch</strong>uld), in der Gute Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t Bibel<br />
(1997) und in der Hoffnung für alle (2002).
146 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
(Tat - Folgesituation - Vollendung) wird die herkömmli<strong>ch</strong>e, au<strong>ch</strong> lexikographis<strong>ch</strong>e<br />
Übersetzungspraxis problematis<strong>ch</strong>. Sie übersetzt ›awon‹ je na<strong>ch</strong> dem Kontext mit<br />
›Vergehen‹ - ›S<strong>ch</strong>uld‹ - ›Strafe‹. Zunä<strong>ch</strong>st einmal können ›S<strong>ch</strong>uld‹ und ›Strafe‹ nur<br />
no<strong>ch</strong> als freie Interpretationen der Grundbedeutung angesehen werden. Darüber<br />
hinaus drohen die Implikationen der Einheitli<strong>ch</strong>keit eines Ges<strong>ch</strong>ehensablaufes<br />
und die Einheitli<strong>ch</strong>keit desselben hebr. Begriffes in vers<strong>ch</strong>iedenen Kontexten<br />
dur<strong>ch</strong> die Vers<strong>ch</strong>iedenheit der Übersetzung verlorenzugehen.« (THAT II,245). Die<br />
hier angespro<strong>ch</strong>ene Grundbedeutung des Verbums »awah«, von dem »awon« abgeleitet<br />
ist, ist »beugen«, »krümmen«, »verkehren«, »verdrehen«. Daher haben wir<br />
uns, einem Vors<strong>ch</strong>lag von Rolf Knierim folgend, für »Verkehrtheit« als Übersetzung<br />
von »awon« ents<strong>ch</strong>ieden.<br />
Bevor wir diese Überlegungen abrunden können, müssen wir no<strong>ch</strong> etwas zum<br />
Verb »nasa’« sagen. Wieder ist nämli<strong>ch</strong> eine Vorliebe in den deuts<strong>ch</strong>en Bibeln zu<br />
beoba<strong>ch</strong>ten. Dort steht mehrheitli<strong>ch</strong> »tragen«. 288 Swedenborg ents<strong>ch</strong>ied si<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong><br />
für »auferre« (wegtragen). Daher finden wir in den neukir<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Bibeln von<br />
Leonhard Tafel und Ludwig Tafel »wegnehmen«. Au<strong>ch</strong> das Verb »nasa’« deckt<br />
einen ganzen Zusammenhang ab. Es bedeutet »aufheben«, »tragen« und »wegtragen«.<br />
In Verbindung mit Sünde kann es au<strong>ch</strong> »vergeben« bedeuten. Der Übersetzer,<br />
der in seiner Zielspra<strong>ch</strong>e keine Worte vorfindet, die alle Aspekte in si<strong>ch</strong> vereinen,<br />
muss wohl oder übel einen Aspekt herausgreifen und dadur<strong>ch</strong> beim Leser<br />
den Eindruck erwecken, dieser eine Gesi<strong>ch</strong>tspunkt sei der ri<strong>ch</strong>tige.<br />
In diesem Sinne haben wir in der Tradition Swedenborgs eine bestimmte Teilbedeutung<br />
hervorgehoben. Wir hören aus den Worten Kains Resignation oder Verzweiflung<br />
(»desperatio«, HG 383) heraus, die er in die Worte kleidet: »Meine Verkehrtheit<br />
ausgehend von dem, was i<strong>ch</strong> getan habe, bis zu den letzten Tatsa<strong>ch</strong>en,<br />
die si<strong>ch</strong> daraus ergeben werden, ist einfa<strong>ch</strong> viel zu groß, als dass das je wieder<br />
aufgehoben oder rückgängig gema<strong>ch</strong>t werden könnte.« Kain s<strong>ch</strong>afft eine neue<br />
Wirkli<strong>ch</strong>keit, der die Mens<strong>ch</strong>heit fortan ni<strong>ch</strong>t mehr wird entkommen können. So<br />
groß, so umfassend ist diese neue, kainitis<strong>ch</strong>e Wirkli<strong>ch</strong>keit. Au<strong>ch</strong> Jahwe muss sie<br />
respektieren.<br />
Zu Genesis 4,14: Mit Swedenborg zerlegen wir den Vers in vier Abs<strong>ch</strong>nitte. Erstens:<br />
»Siehe, du vertreibst mi<strong>ch</strong> heute vom Angesi<strong>ch</strong>t (von der Oberflä<strong>ch</strong>e) des<br />
Bodens«. Zweitens: »Und vor deinem Angesi<strong>ch</strong>t werde i<strong>ch</strong> verborgen sein«. Oder:<br />
»Und vor deinem Angesi<strong>ch</strong>t muss i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> verbergen«. Mit Swedenborg bevorzugen<br />
wir die erste Übersetzung. 289 Drittens: »So dass i<strong>ch</strong> unstet und flü<strong>ch</strong>tig sein<br />
288<br />
»Tragen« steht in der Elberfelder Bibel (1991), in der Lutherbibel (1984), in der Zür<strong>ch</strong>er Bibel<br />
(1931), in der Übersetzung von Hermann Menge und in der Einheitsübersetzung. Die Hoffnung<br />
für alle (2002) hat »ertragen«.<br />
289<br />
Bei Sebastian S<strong>ch</strong>midt fand Swedenborg »me abscondere cogar« (i<strong>ch</strong> muss mi<strong>ch</strong> verbergen)<br />
vor. Er selbst übersetzte aber die hebräis<strong>ch</strong>e Verbform mit »abscondar« (i<strong>ch</strong> werde verborgen).<br />
Das Verb »nistar« bedeutet »si<strong>ch</strong> verbergen« und »verborgen sein« (Gesenius 553). Horst Seebass<br />
übersetzt es in Genesis 4,14 mit »werde i<strong>ch</strong> … verborgen sein« und kommentiert diese
Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 147<br />
werde auf Erden«. Viertens: »Und dann wird es ges<strong>ch</strong>ehen, dass jeder, der mi<strong>ch</strong><br />
findet, mi<strong>ch</strong> tots<strong>ch</strong>lagen wird«. Diese vier Abs<strong>ch</strong>nitte lassen si<strong>ch</strong> zu zwei Gruppen<br />
vereinen. Denn die ersten zwei Abs<strong>ch</strong>nitte enthalten Verben der Trennung (vertreiben<br />
und verbergen). Und die zweiten zwei Abs<strong>ch</strong>nitte beginnen mit einem<br />
Perfekt consecutivum, das heißt mit einer hebräis<strong>ch</strong>en Verbform, die eine folgernde<br />
Funktion hat. Hier bringen diese Verbformen die Folgen der zuvor genannten<br />
Trennungen (»separari«, HG 385) zum Ausdruck.<br />
Die erste Trennung bezieht Swedenborg auf das Wahre (HG 386), die zweite auf<br />
das Gute (HG 387). Zur Vertreibung vom Boden sei erläuternd gesagt: Kain wird<br />
von seiner Glaubensgrundlage ges<strong>ch</strong>ieden. Denn das Verweilen bei einem Glauben<br />
ist weniger eine Sa<strong>ch</strong>e des Denkens; gedankli<strong>ch</strong> lässt si<strong>ch</strong> nämli<strong>ch</strong> sehr viel<br />
begründen und plausibel ma<strong>ch</strong>en. Die Bindung an einen Glauben ist vielmehr<br />
eine Sa<strong>ch</strong>e des Gefühls oder jenes Hau<strong>ch</strong>es, den Abel darstellt. Na<strong>ch</strong> der Auslös<strong>ch</strong>ung<br />
Abels wird au<strong>ch</strong> die innere Verbundenheit mit dem bis dahin Geglaubten<br />
s<strong>ch</strong>wä<strong>ch</strong>er und vers<strong>ch</strong>windet s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> ganz und gar. Und die zweite Trennung,<br />
das Verbergen des Angesi<strong>ch</strong>tes ist ein Zei<strong>ch</strong>en dafür, dass der veräußerli<strong>ch</strong>te<br />
Glaube den Zugang zum Inneren oder den eigentli<strong>ch</strong>en Lebensgeheimnissen total<br />
verloren hat. Der kainitis<strong>ch</strong>e Glaube empfindet tiefe Abs<strong>ch</strong>eu und einen unausspre<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />
Widerwillen gegenüber dem Guten des Lebens. Daher ist ihm das<br />
Angesi<strong>ch</strong>t Jahwes unerträgli<strong>ch</strong>. Swedenborg s<strong>ch</strong>reibt: »Man<strong>ch</strong>e sind der Meinung,<br />
dass Gott sein Angesi<strong>ch</strong>t vom Mens<strong>ch</strong>en abwende« (HH 545), do<strong>ch</strong> der Mens<strong>ch</strong><br />
wendet si<strong>ch</strong> selbst vom Herrn ab »und wendet sein Gesi<strong>ch</strong>t jener Hölle zu, mit der<br />
er in der Welt verbunden gewesen war« (HH 548). In Vers 5 war davon die Rede,<br />
dass si<strong>ch</strong> Kains Angesi<strong>ch</strong>t senkte. Zwis<strong>ch</strong>en dieser Fallbewegung und dem Verbergen<br />
des Angesi<strong>ch</strong>tes Jahwes besteht ein innerer Zusammenhang. Denn wenn<br />
wir uns unter dem Angesi<strong>ch</strong>t Jahwes die Sonne vorstellen, dann vers<strong>ch</strong>wand es<br />
s<strong>ch</strong>on, als Kain seinen Blick senkte und nur no<strong>ch</strong> den Boden anstarrte. Für den<br />
kainitis<strong>ch</strong>en Glauben ist Gott ein »Deus absconditus«, ein verborgener Gott.<br />
S<strong>ch</strong>auen wir auf die Folgen der beiden Trennungen. Die erste Konsequenz ist die<br />
Orientierungslosigkeit oder die Unwissenheit in Bezug auf das Wahre und Gute<br />
(HG 388). Und die zweite ist die Anfälligkeit für alles Böse und Fals<strong>ch</strong>e (HG<br />
389). 290<br />
Übersetzung mit den Worten: »str impf. ni. heißt zwar überwiegend ›si<strong>ch</strong> verbergen‹, aber das<br />
gibt hier keinen Sinn.« (144). Das bestätigt Swedenborgs Übersetzung. Die meisten deuts<strong>ch</strong>en<br />
Bibeln haben jedo<strong>ch</strong> »i<strong>ch</strong> muss mi<strong>ch</strong> verbergen« (siehe die neukir<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Bibeln von Leonhard<br />
und Ludwig Tafel, die Lutherbibel, die Zür<strong>ch</strong>er Bibel, die Einheitsübersetzung, die Übersetzung<br />
von Hermann Menge und die Elberfelder Bibel).<br />
290<br />
Zu den Merkwürdigkeiten der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te gehört, dass sie zuweilen mehr Mens<strong>ch</strong>en voraussetzt<br />
als vorhanden sein können. Na<strong>ch</strong> dem Brudermord gibt es nur drei Mens<strong>ch</strong>en auf<br />
Erden: Adam, Eva und Kain. Denno<strong>ch</strong> sagt Kain: »Und es wird ges<strong>ch</strong>ehen, dass jeder, der<br />
mi<strong>ch</strong> findet, mi<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>lagen wird.« Vor wel<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en für<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> Kain eigentli<strong>ch</strong>?<br />
Swedenborg verstand die Personen der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te ni<strong>ch</strong>t als Individuen, sondern als Kollektive.
148 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Zu Genesis 4,15: »Aber Jahwe spra<strong>ch</strong> zu ihn: ›Ebendeswegen 291 soll jeder, der Kain<br />
ers<strong>ch</strong>lägt, siebenfa<strong>ch</strong> Ra<strong>ch</strong>e erleiden.‹« Hier ist besonders »das Erstaunli<strong>ch</strong>e zu<br />
würdigen, dass Jahwe si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> seinem eindeutigen Urteil über Kains Tat so außerordentli<strong>ch</strong><br />
für Kain einsetzen kann.« (Seebass 159). Do<strong>ch</strong> Swedenborg gibt<br />
eine sehr einleu<strong>ch</strong>tende Erklärung. Sie ergibt si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> all dem Gesagten beinahe<br />
von selbst aus seiner Interpretation Kains. Kain oder »der isolierte Glaube« (»fides<br />
separata«, HG 394) darf um des Heils des Mens<strong>ch</strong>enges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tes willen ni<strong>ch</strong>t<br />
au<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> zerstört werden. Daher fügt Jahwe es so, dass die Überlieferungen des<br />
Glaubens sakrosankt werden (»sacrosanctum«, HG 395). Und dann dürfen sie als<br />
geheiligte oder ho<strong>ch</strong>heilige Überlieferungen ni<strong>ch</strong>t mehr angetastet werden. Die<br />
Sieben weist auf etwas Ho<strong>ch</strong>heiliges hin (HG 395). Daher meint »siebenfa<strong>ch</strong>e Ra<strong>ch</strong>e«:<br />
Wer die dem profanen oder mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Zugriff entzogenen und dadur<strong>ch</strong><br />
geheiligten Glaubenslehren der Kritik und den Manipulationen des Intellekts oder<br />
der eigenen Klugheit unterwirft, der handelt si<strong>ch</strong> damit die Strafe eines S<strong>ch</strong>änders<br />
heiliger Dinge ein. Denn der äußere Verstand erhebt si<strong>ch</strong> über alles sogenannte<br />
Heilige, verliert je länger er am Werk ist um so mehr jegli<strong>ch</strong>e A<strong>ch</strong>tung gegenüber<br />
den Traditionen der Väter und Mütter des Glaubens und am Ende hat er das ganze<br />
Erbe aufgelöst und steht vor dem Ni<strong>ch</strong>ts seiner s<strong>ch</strong>ändli<strong>ch</strong>en Leistung. Deswegen<br />
will Jahwe, dass Kain ni<strong>ch</strong>t dem mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Geri<strong>ch</strong>t und dem mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Urteil<br />
ausgeliefert wird, obwohl er ein Brudermörder ist und au<strong>ch</strong> bleibt. Der<br />
Verstand hat s<strong>ch</strong>on Re<strong>ch</strong>t, wenn er vermutet, dass mit den »heiligen« Texten etwas<br />
ni<strong>ch</strong>t stimmt, aber das gibt ihm denno<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t das Re<strong>ch</strong>t, diese alten Zeugen<br />
einer großen Wahrheit vor das Geri<strong>ch</strong>t seiner eigenen Be- und Verurteilung zu<br />
zerren. Die Heiligung oder Tabuisierung bestimmter Traditionen ist die Folge eines<br />
Urfrevels. Na<strong>ch</strong> dem Verlust der lebendigen Gottesbeziehung (Abel) musste<br />
eine Ersatzstabilisierung gefunden werden. Und das ist die Heiligung des Brudermörders.<br />
Do<strong>ch</strong> aufgrund seiner Herkunft neigt der sol<strong>ch</strong>erart Geheiligte zur Verhärtung,<br />
Dogmatismus genannt. Diese Sklerose erinnert ihn an den einstigen<br />
Mord, an die Auslös<strong>ch</strong>ung des Lebens, der er seinen Aufstieg verdankt.<br />
Die zweite Hälfte des Verses lautet in einer mögli<strong>ch</strong>st wörtli<strong>ch</strong>en Übersetzung:<br />
»Und Jahwe setzte dem Kain ein Zei<strong>ch</strong>en, damit jeder, der ihn findet, ihn ni<strong>ch</strong>t<br />
tots<strong>ch</strong>lage.« Für das hebräis<strong>ch</strong>e »ot« (»Zei<strong>ch</strong>en«) fand Swedenborg bei Sebastian<br />
S<strong>ch</strong>midt »miraculum« (Wunder) vor. Denn »setzen« in Verbindung mit »ot« und<br />
Jahwe als Subjekt »wird nur in poetis<strong>ch</strong>en Texten und so verwandt, dass die Zei<strong>ch</strong>en<br />
entweder in der Zukunft oder in der Vergangenheit liegen.« So meinen Ex<br />
10,2, Ps 78,43, Jer 32,20 und Ps 105,27 rückblickend die den Exodus begleitenden<br />
Wunder; Jes 66,19 hingegen meint ein zukünftiges (siehe Seebass 159). Daher<br />
könnte au<strong>ch</strong> hier ein Jahwes Zusage beglaubigendes Wunder (»miraculum«)<br />
gemeint sein. Swedenborg ents<strong>ch</strong>ied si<strong>ch</strong> aber gegen die Übersetzung von<br />
S<strong>ch</strong>midt für »signum« (Zei<strong>ch</strong>en). Allerdings interessiert ihn ni<strong>ch</strong>t so sehr die Art<br />
291<br />
Der masoretis<strong>ch</strong>e Text hat »laken« (daher, fürwahr). Einige alte Übersetzungen setzen hingegen<br />
»lo ken« (ni<strong>ch</strong>t so) voraus.
Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 149<br />
des Zei<strong>ch</strong>ens, sondern dessen Funktion. Es dient nämli<strong>ch</strong> der Unters<strong>ch</strong>eidung<br />
(distinguere, HG 396) und infolgedessen der Erhaltung (conservare, HG 396) des<br />
Glaubens. Es ist also ein Zei<strong>ch</strong>en des S<strong>ch</strong>utzes. Die Glaubensüberlieferungen werden<br />
von den übrigen unters<strong>ch</strong>ieden, indem sie mit einer Aura des Heiligen umgeben<br />
werden. Das dient ihrer mögli<strong>ch</strong>st unversehrten Bewahrung dur<strong>ch</strong> die Zeiten<br />
hindur<strong>ch</strong>.<br />
Zu Genesis 4,16: »Und Kain ging vom Angesi<strong>ch</strong>t Jahwes weg«. Damit vollzieht er<br />
die Ankündigung von Vers 14: »Vor deinem Angesi<strong>ch</strong>t werde i<strong>ch</strong> verborgen sein«.<br />
Er trennt si<strong>ch</strong> also nun wirkli<strong>ch</strong> »vom Guten des Glaubens der Liebe« (HG 398). Zu<br />
bea<strong>ch</strong>ten ist, dass si<strong>ch</strong> Kain von Jahwe trennt, ni<strong>ch</strong>t Jahwe von Kain. Denn der<br />
Mens<strong>ch</strong> ist es, der in seiner Verfinsterung die Nähe seines Gottes ni<strong>ch</strong>t mehr ertragen<br />
kann und das Weite su<strong>ch</strong>t. Diese Flu<strong>ch</strong>t vor der zu großen Nähe Gottes<br />
beinhaltet aber au<strong>ch</strong> einen Neuanfang. Das Verb »jaza’« deutet das insofern an, als<br />
es au<strong>ch</strong> den Ausgangspunkt einer neuen Entwicklung anzeigen kann. 292 Diesen<br />
Aspekt hervorhebend, können wir das Versstück so übersetzen: »Kain zog vom<br />
Angesi<strong>ch</strong>t Jahwes aus«. Oder: »Kain ging vom Angesi<strong>ch</strong>t Jahwes hervor«. Und<br />
tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> wird Kain dur<strong>ch</strong> seinen Auszug aus dem Angesi<strong>ch</strong>t (= dem Inneren)<br />
Jahwes zum Begründer der äußeren Kultur (Genesis 4,20-22).<br />
»Und er ließ si<strong>ch</strong> im Land Nod nieder, östli<strong>ch</strong> von Eden«. Wie lässt si<strong>ch</strong> das unstete<br />
und flü<strong>ch</strong>tige Dasein Kains mit seinem neuen, festen Wohnsitz »im Land Nod«<br />
vereinbaren? Die Antwort ist einfa<strong>ch</strong>. Das Land Nod ist nämli<strong>ch</strong> in der Bilderspra<strong>ch</strong>e<br />
der Bibel genau dieser neue Zustand des geistigen Elends und der Heimatlosigkeit<br />
(Gesenius 491), es ist »das Land der Ruhelosigkeit« (v. Rad 78). »Nod«<br />
greift »na wa-nod« (unstet und flü<strong>ch</strong>tig) auf (HG 398). Dieser elende Zustand des<br />
Mens<strong>ch</strong>en, der seine Heimat bei Gott verloren hat, erinnert mi<strong>ch</strong> an das berühmte<br />
Wort Augustins: »… denn du hast uns auf di<strong>ch</strong> hin ers<strong>ch</strong>affen, und ruhelos ist unser<br />
Herz, bis es ruht in dir« (»… quia fecisti nos ad te et inquietum est cor nostrum,<br />
donec requiescat in te«, Confessiones I,1,1).<br />
Das Land Nod liegt »östli<strong>ch</strong> von Eden«. Eden, der Wonnegau der Liebe, liegt demna<strong>ch</strong><br />
von Nod (bzw. Kain) aus gesehen im Westen und somit in der Gegend des<br />
Sonnenuntergangs. Na<strong>ch</strong> Gesenius bedeutet »qidmah« neben »östli<strong>ch</strong> von« au<strong>ch</strong><br />
»gegenüber« (701). Das wirft ein Li<strong>ch</strong>t auf Swedenborgs Interpretation. Er übersetzt<br />
nämli<strong>ch</strong>: »gegen den Osten Edens hin« (versus orientem Edenis). Und das<br />
bedeutet: Kain wohnte »di<strong>ch</strong>t neben (juxta) dem verständigen Gemüt, wo früher<br />
die Liebe herrs<strong>ch</strong>te« (HG 398). Das heißt: Der Glaube ist nun zwar separiert oder<br />
als etwas Besonderes von der Liebe unters<strong>ch</strong>ieden, aber er ist immer no<strong>ch</strong> »gegenüber«<br />
dem ursprüngli<strong>ch</strong>en Wonnegau vor der Entzweiung angesiedelt. »Juxta«<br />
(di<strong>ch</strong>t neben) ist mit »jungere« (Verbinden) verwandt. Für Swedenborg s<strong>ch</strong>eint<br />
292<br />
Darauf lassen die folgenden Verwendungen s<strong>ch</strong>ließen: »v. d. neugeborenen Kinde«, »si<strong>ch</strong>tbar<br />
w.«, »v. d. Sonne u. d. Gestirnen: aufgehn«, »v. Pflanzen: aus der Erde kommen«, »entspringen<br />
(v. Flusse)« (Gesenius 310f.).
150 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
hier also no<strong>ch</strong> eine gewisse Verbindung zwis<strong>ch</strong>en dem Land Nod und dem »Osten<br />
Edens« zu bestehen. Im Fortgang der Urerzählungen der Bibel (Genesis 1 bis 11)<br />
wird die Entfernung vom Osten (»qedem«) oder von der Urzeit (ebenfalls »qedem«)<br />
immer größer werden. Die Erzählung von Babel und seinem Turm leitet das Ges<strong>ch</strong>ehen<br />
mit den Worten ein: »Und es ges<strong>ch</strong>ah bei ihrem Aufbru<strong>ch</strong> von Osten«<br />
(Genesis 11,2). Dort wird der Absturz in das rein analytis<strong>ch</strong>-zerlegende Denken<br />
erzählt. So weit unten ist Kain no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t angekommen. Er wohnt no<strong>ch</strong> in einem<br />
Land, das »östli<strong>ch</strong> von Eden« liegt.<br />
Eine Synthese des inneren Sinnes<br />
Wir haben Genesis 4,1 bis 16 Vers für Vers bespro<strong>ch</strong>en und ni<strong>ch</strong>t selten sogar<br />
den Sinngehalt einzelner Worte untersu<strong>ch</strong>t. Nun wollen wir das Ganze zusammenfassen,<br />
indem wir den inneren Sinn als eine Art Übersetzung von Genesis 4,1<br />
bis 16 darbieten. Dieses Vorgehen ist ni<strong>ch</strong>t unproblematis<strong>ch</strong>, denn es erweckt den<br />
Eindruck als ließen si<strong>ch</strong> die Korrespondenzen so einfa<strong>ch</strong> in einen äußeren Wortlaut<br />
umgießen. Denno<strong>ch</strong> wollen wir dem Leser, der uns bis hierhin gefolgt ist, mit<br />
dieser Übersetzung die eigenständige Synthese oder Zusammens<strong>ch</strong>au des inneren<br />
Sinnes ein wenig erlei<strong>ch</strong>tern.<br />
1. Die älteste Kir<strong>ch</strong>e bra<strong>ch</strong>te eine Glaubenslehre hervor und meinte, damit etwas<br />
selbständig Seiendes kreiert zu haben. 2. Außerdem bra<strong>ch</strong>te sie die Nä<strong>ch</strong>stenliebe<br />
hervor. Diese leitete die Mens<strong>ch</strong>en zum ges<strong>ch</strong>wisterli<strong>ch</strong>en Verhalten in der Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />
an. Die Glaubenslehre hingegen bes<strong>ch</strong>äftigte si<strong>ch</strong> nur mit den theoretis<strong>ch</strong>en<br />
Grundlagen. 3. Beide Tätigkeiten galten als gottesdienstli<strong>ch</strong>. Und so<br />
bra<strong>ch</strong>te die Dogmatik dem Gottesleben ihre Lehrsätze dar. 4. Die Nä<strong>ch</strong>stenliebe<br />
aber bra<strong>ch</strong>te ihm das Heilige und Himmlis<strong>ch</strong>e dar. Diese Gaben waren dem Gottesleben<br />
angenehm. 5. Aber das bloße Glaubenswissen konnte ihm ni<strong>ch</strong>t angenehm<br />
sein. Do<strong>ch</strong> das erregte den Zorn der Glaubenswissens<strong>ch</strong>aft, die si<strong>ch</strong> daraufhin<br />
si<strong>ch</strong> selbst zuwandte und vom Gottesleben abkehrte. 6. Da meldete si<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong><br />
die Stimme des Gewissens und sagte: »Warum erregt das deinen Zorn? Und<br />
warum wendet si<strong>ch</strong> dein Inneres von mir ab? 7. Ist es ni<strong>ch</strong>t so? Wenn du di<strong>ch</strong> zum<br />
Guten dur<strong>ch</strong>ringen könntest, dann würde si<strong>ch</strong> dein Inneres wieder erheben. Wenn<br />
du di<strong>ch</strong> aber gegen das Gute ents<strong>ch</strong>eidest, dann lauert die Sünde wie ein Dämon<br />
vor der Tür deines Willens. Bedenke do<strong>ch</strong>! Die Nä<strong>ch</strong>stenliebe hat ein inniges Verlangen<br />
na<strong>ch</strong> dir, du aber willst sie beherrs<strong>ch</strong>en und ni<strong>ch</strong>t anerkennen, dass sie<br />
deine Seele ist und di<strong>ch</strong> lenken und leiten will.« 8. Aber der Glaube hörte ni<strong>ch</strong>t auf<br />
die Stimme des Gewissens, sondern verwickelte die Nä<strong>ch</strong>stenliebe in dogmatis<strong>ch</strong>e<br />
Streitgesprä<strong>ch</strong>e. Und auf diesem Feld des Disputs erhob er si<strong>ch</strong> dann über sie und<br />
s<strong>ch</strong>lug sie brutal mit theologis<strong>ch</strong>en Argumenten tot. 9. Do<strong>ch</strong> sofort meldete si<strong>ch</strong><br />
wieder die Stimme des Gewissens und fragte: »Wo ist denn die Nä<strong>ch</strong>stenliebe<br />
geblieben?« Der Glaube aber reagierte unwillig, indem er spra<strong>ch</strong>: »Das weiß i<strong>ch</strong><br />
do<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t. Bin i<strong>ch</strong> etwa der Aufpasser meines Bruders?« 10. Do<strong>ch</strong> die innere<br />
Stimme ließ si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> diese dreiste Antwort ni<strong>ch</strong>t zum S<strong>ch</strong>weigen bringen. Und
Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs 151<br />
so wurde der Dogmatik der ganze Umfang ihrer mörderis<strong>ch</strong>en Überhebli<strong>ch</strong>keit<br />
bewusst: »Mein Gott, was habe i<strong>ch</strong> da angeri<strong>ch</strong>tet! Mein eigener Grund und Boden<br />
ist von einer Bluttat dur<strong>ch</strong>tränkt, von einem himmels<strong>ch</strong>reienden Unre<strong>ch</strong>t. 11.<br />
Bereits die Grundlage meiner Wissens<strong>ch</strong>aft stellt eine Abkehr von Gott dar. 12.<br />
Damit ist mein ganzes Tun unfru<strong>ch</strong>tbar geworden. Denn wenn i<strong>ch</strong> nun die heiligen<br />
Texte bearbeiten werde, dann wird daraus keine Nahrung für das Gottesleben<br />
in der Seele hervorgehen. Vollkommen orientierungslos werde i<strong>ch</strong> umherirren.«<br />
13. Verzweifelt spra<strong>ch</strong> der Glaube zum Herrn des Lebens: »Zu groß ist meine Verkehrtheit,<br />
als dass sie je wieder aufgehoben werden könnte. 14. Nun werde i<strong>ch</strong><br />
von allem Wahren und Guten der Kir<strong>ch</strong>e für immer getrennt sein. Orientierungslos<br />
werde i<strong>ch</strong> umhers<strong>ch</strong>weifen und allen Angriffen s<strong>ch</strong>utzlos ausgeliefert sein.«<br />
15. Do<strong>ch</strong> die innere Stimme sagte: »Nein! Deine Angst geht mit dir dur<strong>ch</strong>. Du bist<br />
zwar nun, weil du den inneren Lebenshau<strong>ch</strong> ausgelös<strong>ch</strong>t hast, eine äußere Wissens<strong>ch</strong>aft<br />
geworden. Aber selbst in dieser Verkehrtheit bewahrst du immerhin<br />
no<strong>ch</strong> ein göttli<strong>ch</strong>es Urwissen auf. Deswegen soll jeder, der di<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>lägt, meine<br />
göttli<strong>ch</strong>e Hand zu spüren bekommen.« Und so zei<strong>ch</strong>nete Jahwe das Glaubenswissen<br />
als etwas Besonderes aus, damit die Mens<strong>ch</strong>en dieses Erbe unangetastet lassen.<br />
16. Dana<strong>ch</strong> entfernte si<strong>ch</strong> der Glaube von der Wahrnehmung des inneres<br />
Wesens Jahwes und ließ si<strong>ch</strong> in der Ruhelosigkeit des äußeren Weltwissens nieder,<br />
blieb aber immerhin no<strong>ch</strong> auf das innere Leben bezogen, denn davon handeln<br />
ja, zumindest theoretis<strong>ch</strong> die Glaubenslehren.
152 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Die Sintflut: Zusammens<strong>ch</strong>au ihres inneren Sinnes<br />
Die Bibelkenntnisse gehen heute in der Flut der Bü<strong>ch</strong>er unter. Do<strong>ch</strong> die Erzählungen<br />
von der Sintflut sind meist no<strong>ch</strong> vorhanden. In keiner Kinderbibel fehlen sie.<br />
Die folgende Zusammens<strong>ch</strong>au enthält Vers für Vers die biblis<strong>ch</strong>e Erzählung von<br />
der großen Flut. Auf jedem Vers folgt ans<strong>ch</strong>ließend eine mögli<strong>ch</strong>st kurze Formulierung<br />
des inneren Sinnes. Dabei habe i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> an Swedenborgs Auslegung in<br />
den Himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnissen orientiert, aber hier und da au<strong>ch</strong> freiere Formulierungen<br />
gewagt, die meinem Empfinden des inneren Sinnes entspringen,<br />
denn der geistige Sinn ist kein totes Gebilde, sondern lebendiges Gewebe.<br />
Die Phantasien der Selbstliebe<br />
Genesis 6,1. Und es ges<strong>ch</strong>ah, dass der Mens<strong>ch</strong> anfing si<strong>ch</strong> zu mehren auf dem<br />
Angesi<strong>ch</strong>te des Bodens und Tö<strong>ch</strong>ter ihnen geboren wurden.<br />
Bei den Mens<strong>ch</strong>en vor der Sündflut nahmen die Begierden überhand.<br />
6,2. Und die Söhne Gottes sahen die Tö<strong>ch</strong>ter des Mens<strong>ch</strong>en, dass sie gut wären<br />
und nahmen si<strong>ch</strong> Frauen von allen, die sie erwählten.<br />
Die Wahrheiten, die diese Mens<strong>ch</strong>en no<strong>ch</strong> aus der ältesten von Gott stammenden<br />
Überlieferung kannten, verbanden si<strong>ch</strong> mit allen mögli<strong>ch</strong>en Begierden.<br />
6,3. Und der Herr spra<strong>ch</strong>: Mein Geist wird ni<strong>ch</strong>t ewigli<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>ten mit dem Mens<strong>ch</strong>en;<br />
denn er ist Fleis<strong>ch</strong>, und seine Tage werden sein hundertundzwanzig Jahre!<br />
Die Folge davon war, dass si<strong>ch</strong> die Mens<strong>ch</strong>en vom Geist des Herrn ni<strong>ch</strong>t mehr leiten<br />
ließen, denn sie waren körperli<strong>ch</strong> geworden. Um wiedergeboren werden zu können<br />
muss der Mens<strong>ch</strong> aber Überreste des Glaubens haben.<br />
6,4. In denselben Tagen waren die Nephilim auf der Erde, und au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong>her, da<br />
die Söhne Gottes zu den Tö<strong>ch</strong>tern des Mens<strong>ch</strong>en eingingen, und diese ihnen gebaren.<br />
Dieselben wurden die Mä<strong>ch</strong>tigen von Alters her, Männer von Namen.<br />
So entstanden jene maßlosen Einbildungen der Selbstliebe, die alles Heilige und Wahre<br />
völlig vera<strong>ch</strong>teten.<br />
Die Bosheit des Urmens<strong>ch</strong>en und die S<strong>ch</strong>öpfung eines neuen Mens<strong>ch</strong>entyps<br />
6,5. Und der Herr sah, dass des Bösen des Mens<strong>ch</strong>en viel ward auf Erden, und<br />
dass alles Bilden der Gedanken seines Herzens nur böse war den ganzen Tag.<br />
Der Wille zum Guten begann aufzuhören, so dass es keine innere Wahrnehmung des<br />
Guten und Wahren mehr gab.<br />
6,6. Und es reute den Herrn, dass Er den Mens<strong>ch</strong>en auf Erden gema<strong>ch</strong>t hatte, und<br />
es s<strong>ch</strong>merzte Ihn in Seinem Herzen.<br />
Da erbarmte si<strong>ch</strong> der Herr des Mens<strong>ch</strong>en.
Die Sintflut: Zusammens<strong>ch</strong>au ihres inneren Sinnes 153<br />
6,7. Und der Herr spra<strong>ch</strong>: I<strong>ch</strong> will vertilgen den Mens<strong>ch</strong>en, den I<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>affen,<br />
von dem Boden vom Mens<strong>ch</strong>en bis zum Vieh, bis zum Krie<strong>ch</strong>tier und bis zum<br />
Gevögel der Himmel, denn es reut Mi<strong>ch</strong>, dass I<strong>ch</strong> sie ma<strong>ch</strong>te.<br />
Denn der Mens<strong>ch</strong> ri<strong>ch</strong>tete si<strong>ch</strong> selbst zugrunde, und zwar in allen seinen Lebensberei<strong>ch</strong>en,<br />
das heißt in Wille und Verstand. Deswegen erbarmte si<strong>ch</strong> der Herr des Mens<strong>ch</strong>en<br />
…<br />
6,8. Aber Noah fand Gnade in den Augen des Herrn.<br />
… indem Er einen neuen Weg der Wiedergeburt eröffnete.<br />
Das Noahprinzip<br />
oder die Wiedergeburt unter den Bedingungen der Sünde<br />
6,9. Dies sind die Geburten Noahs. Noah war ein gere<strong>ch</strong>ter Mann und untadelig in<br />
seinen Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tern. Noah erging si<strong>ch</strong> mit Gott.<br />
Dies ist die Wiedergeburt des Mens<strong>ch</strong>en, der die Liebe zum Herrn ni<strong>ch</strong>t mehr empfinden<br />
kann (Noah bedeutet Trost), aber denno<strong>ch</strong> in seiner äußeren Lebenstätigkeit mit<br />
dem Guten und Wahren erfüllt werden soll, weil er na<strong>ch</strong> den göttli<strong>ch</strong>en Lehren handelt.<br />
6,10. Und Noah zeugte drei Söhne, Sem, Ham und Jafet.<br />
Diese neue Geburt lässt drei Lehr- und somit Religionstypen zu.<br />
Der Untergang des Urmens<strong>ch</strong>en<br />
6,11. Und die Erde war verdorben vor Gott; und die Erde war erfüllt mit Gewalttat.<br />
Die ursprüngli<strong>ch</strong>e Weise, Mens<strong>ch</strong> zu sein aus der Unmittelbarkeit des Herzens, war<br />
ganz und gar verloren gegangen.<br />
6,12. Und Gott sah die Erde, und siehe, sie war verdorben, weil alles Fleis<strong>ch</strong> seinen<br />
Weg verderbt hatte auf Erden.<br />
Das Verständnis des Wahren erlos<strong>ch</strong>, weil der Mens<strong>ch</strong> nur no<strong>ch</strong> die leibli<strong>ch</strong>en Bedürfnisse<br />
befriedigte.<br />
6,13. Und Gott spra<strong>ch</strong> zu Noah: Das Ende alles Fleis<strong>ch</strong>es ist vor Mi<strong>ch</strong> gekommen,<br />
denn die Erde ist erfüllt mit Gewalttat dur<strong>ch</strong> sie. Und siehe, i<strong>ch</strong> will sie verderben<br />
mit der Erde.<br />
Damit war der Untergang des Mens<strong>ch</strong>en besiegelt, denn das Leibli<strong>ch</strong>e kennt keine<br />
Werte, das heißt in ihm wohnt kein Wille zum Guten.
154 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Der neue Mens<strong>ch</strong>entyp<br />
a) die Form seines Geistes (Verstandesseite)<br />
6,14. Ma<strong>ch</strong>e dir eine Ar<strong>ch</strong>e von Gopherholz. Mit Kammern ma<strong>ch</strong>e die Ar<strong>ch</strong>e und<br />
verpi<strong>ch</strong>e sie von innen und außen mit Pe<strong>ch</strong>.<br />
Der neue Mens<strong>ch</strong>entyp besteht aus Lüsten (lei<strong>ch</strong>t entflammbaren Leidens<strong>ch</strong>aften),<br />
was die ganz natürli<strong>ch</strong>e Folge seiner bisherigen Biographie ist (Sündenfall und Brudermord).<br />
Aber er kann gerettet werden, weil sein Geist - anders als der des Urmens<strong>ch</strong>en<br />
- deutli<strong>ch</strong> in vers<strong>ch</strong>iedene Berei<strong>ch</strong>e abgetrennt ist, so dass die Begierden ihn<br />
ni<strong>ch</strong>t übers<strong>ch</strong>wemmen können.<br />
6,15. Und also sollst du sie ma<strong>ch</strong>en: Dreihundert Ellen sei die Länge der Ar<strong>ch</strong>e,<br />
fünfzig Ellen ihre Breite und dreißig Ellen ihre Höhe.<br />
Jedo<strong>ch</strong> sind die Dimensionen seines inneren Lebens - die Tiefe der Erfahrung des Heiligen,<br />
die Wahrheitserkenntnis und die Güte seines Lebens - auf einen engen Raum<br />
bes<strong>ch</strong>ränkt.<br />
6,16. Ein Fenster sollst du ma<strong>ch</strong>en der Ar<strong>ch</strong>e und es oben vollenden bis zu einer<br />
Elle. Und den Eingang der Ar<strong>ch</strong>e sollst du an die Seite setzen. Ein unterstes, zweites<br />
und drittes Stockwerk sollst du ma<strong>ch</strong>en.<br />
Aufgrund der Belastung dur<strong>ch</strong> die Sünde (infolge seiner Biographie) ist dieser Mens<strong>ch</strong>entyp<br />
nur dur<strong>ch</strong> das Verständnis der höheren Dinge und das Hören des Wortes<br />
zugängli<strong>ch</strong>. Aufgrund dieser Einflüsse (Öffnungen), kann er Wissen erwerben, es<br />
geistig dur<strong>ch</strong>dringen und s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> zu einem glei<strong>ch</strong>sam inneren Verständnis der<br />
Wahrheit gelangen.<br />
6,17. Und I<strong>ch</strong>, siehe, I<strong>ch</strong> bringe die Flut von Wassern über die Erde, zu verderben<br />
alles Fleis<strong>ch</strong> unter den Himmeln, in dem der Geist des Lebens ist. Alles, was auf<br />
Erden ist soll vers<strong>ch</strong>eiden.<br />
In der Übers<strong>ch</strong>wemmung des Bösen und Fals<strong>ch</strong>en wird alles Ursprüngli<strong>ch</strong>e, das aber<br />
verdorben ist, untergehen und somit der Erfahrbarkeit ni<strong>ch</strong>t mehr zugängli<strong>ch</strong> sein.<br />
6,18. Aber mit dir will I<strong>ch</strong> einen Bund aufri<strong>ch</strong>ten. Und du sollst in die Ar<strong>ch</strong>e eingehen,<br />
du und deine Söhne und dein Weib und deiner Söhne Weiber mit dir.<br />
Du aber und dein Anhang sollst gerettet werden und neues Leben empfangen (mit<br />
dem Ursprung verbunden werden).<br />
6,19. Und von allem Lebendigen, von allem Fleis<strong>ch</strong>e sollst du je zwei von allem in<br />
die Ar<strong>ch</strong>e einbringen, auf dass sie mit dir am Leben bleiben, ein Männli<strong>ch</strong>es und<br />
ein Weibli<strong>ch</strong>es sollen sie sein.<br />
Deswegen soll das, was bei dir no<strong>ch</strong> lebendig oder intakt ist, das Vermögen zu verstehen,<br />
gerettet werden. Desglei<strong>ch</strong>en aber au<strong>ch</strong> dein Wille, denn nur im Zusammenspiel<br />
von Verstehen und Verwirkli<strong>ch</strong>en kann si<strong>ch</strong> dein Leben neu entfalten.
Die Sintflut: Zusammens<strong>ch</strong>au ihres inneren Sinnes 155<br />
6,20. Von dem Gevögel na<strong>ch</strong> seiner Art, und vom Vieh na<strong>ch</strong> seiner Art, von allem<br />
Krie<strong>ch</strong>tier des Bodens na<strong>ch</strong> seiner Art, sollen je zwei von allen zu dir herein<br />
kommen, auf dass sie am Leben bleiben.<br />
Daher will i<strong>ch</strong> dein Denken und Wollen bewahren, au<strong>ch</strong> deine niedrigsten Triebe und<br />
Absi<strong>ch</strong>ten. Die Mögli<strong>ch</strong>keit, dass si<strong>ch</strong> aus all dem neues Leben entfaltet, soll erhalten<br />
bleiben.<br />
6,21. Und du, nimm dir von jegli<strong>ch</strong>er Speise, die gegessen wird, und sammle sie<br />
dir, auf dass sie dir und ihnen zur Speise seien.<br />
Und weil i<strong>ch</strong> di<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t untergehen lassen, sondern bewahren will, so rüste di<strong>ch</strong> mit<br />
dem Lebensnotwendigen aus. Das Gute werde dir zur Lust und das Wahre eine Berei<strong>ch</strong>erung<br />
deines Geistes.<br />
6,22. Und Noah tat es. Na<strong>ch</strong> allem, wie ihm Gott geboten hatte, so tat er.<br />
Dies ist der Weg, in der Not seines Geistes die Rettung zu erfahren. Wer ihn erkennt,<br />
verwirkli<strong>ch</strong>t ihn.<br />
b) die Lebendigkeit seines Geistes (Willensseite)<br />
Genesis 7,1. Und der Herr spra<strong>ch</strong> zu Noah: Geh ein, du und all dein Haus, zur<br />
Ar<strong>ch</strong>e; denn di<strong>ch</strong> habe I<strong>ch</strong> gere<strong>ch</strong>t vor Mir gesehen in diesem Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>te.<br />
Der Wille wird für die Wiedergeburt dur<strong>ch</strong> das dort befindli<strong>ch</strong>e Gute vorbereitet.<br />
7,2. Von allem reinen Vieh nimm dir sieben und sieben, ein Männ<strong>ch</strong>en und sein<br />
Weib<strong>ch</strong>en, und von dem Vieh, das ni<strong>ch</strong>t rein ist, je zwei, ein Männ<strong>ch</strong>en und sein<br />
Weib<strong>ch</strong>en.<br />
Wiedergeboren werden die heiligen Triebe zum Guten und das mit ihnen verbundene<br />
Wahre. Ebenso aber au<strong>ch</strong> die unheiligen Triebe zum Bösen und das damit verbundene<br />
Fals<strong>ch</strong>e.<br />
7,3. Au<strong>ch</strong> von dem Gevögel der Himmel sieben und sieben, ein Männli<strong>ch</strong>es und<br />
ein Weibli<strong>ch</strong>es, auf dass Samen auf der ganzen Erde erhalten werde.<br />
S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> wird au<strong>ch</strong> das Vermögen zu verstehen wiedergeboren, damit der äußere<br />
Mens<strong>ch</strong>en glauben kann. Dieses Vermögen ist heilig, weil es si<strong>ch</strong> aus der Bereits<strong>ch</strong>aft<br />
Gutes zum tun bildet.<br />
7,4. Denn in no<strong>ch</strong> sieben Tagen lasse I<strong>ch</strong> regnen auf Erden vierzig Tage und vierzig<br />
Nä<strong>ch</strong>te, und vertilge jegli<strong>ch</strong>es Ges<strong>ch</strong>öpf, das i<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>t habe, von dem Boden.<br />
Die Versu<strong>ch</strong>ung selbst wird dur<strong>ch</strong> das intensivere Einwirken des Herrn ausgelöst. Die<br />
Versu<strong>ch</strong>ungen bewirken, dass das Eigene des Mens<strong>ch</strong>en glei<strong>ch</strong>sam vertilgt wird.<br />
7,5. Und Noah tat na<strong>ch</strong> allem, das der Herr geboten hatte.<br />
So ges<strong>ch</strong>ah es.
156 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Die Versu<strong>ch</strong>ung des Verstandes<br />
7,6. Und Noah war se<strong>ch</strong>shundert Jahre alt und die Flut der Wasser war auf der<br />
Erde.<br />
Die Anfe<strong>ch</strong>tungen im Berei<strong>ch</strong> des Verstandes fangen an.<br />
7,7. Und Noah und seine Söhne und sein Weib und die Weiber seiner Söhne mit<br />
ihm gingen ein in die Ar<strong>ch</strong>e vor den Wassern der Flut.<br />
Der Mens<strong>ch</strong>, der wiedergeboren werden kann, aber - aufgrund des Bösen in ihm -<br />
Versu<strong>ch</strong>ungen ausgesetzt ist, wird bes<strong>ch</strong>ützt, weil er Wahres und Gutes und Wahres,<br />
das mit Gutem verbunden ist, hat.<br />
7,8. Von dem reinen Vieh und von dem Vieh, das ni<strong>ch</strong>t rein war, und von dem<br />
Gevögel und von allem, das auf dem Boden kreu<strong>ch</strong>t,<br />
Die guten Triebe, aber au<strong>ch</strong> die Begierden, die Gedanken und alles Vergnügli<strong>ch</strong>e aus<br />
dem Sinnli<strong>ch</strong>en …<br />
7,9. kamen hinein zwei und zwei zu Noah zur Ar<strong>ch</strong>e, ein Männli<strong>ch</strong>es und ein<br />
Weibli<strong>ch</strong>es, wie Gott dem Noah geboten hatte.<br />
… wird bes<strong>ch</strong>ützt und somit bewahrt, und zwar in seiner paarweisen Ausprägung als<br />
Form (Wahres) und Inhalt (Gutes).<br />
7,10. Und es ges<strong>ch</strong>ah, dass in sieben Tagen die Wasser der Flut auf der Erde waren.<br />
Dies, nämli<strong>ch</strong> die Versu<strong>ch</strong>ung des Verständigen, ist der Anfang der Versu<strong>ch</strong>ungen.<br />
Die Versu<strong>ch</strong>ung des Willens<br />
7,11. Im se<strong>ch</strong>shundertsten Jahre des Lebens Noahs im zweiten Monat, am siebzehnten<br />
Tage des Monats, an diesem Tage war es, dass alle Brunnquellen des<br />
großen Abgrundes si<strong>ch</strong> zerspalteten, und alle Fenster des Himmels geöffnet wurden.<br />
Der andere Zustand der Versu<strong>ch</strong>ung betrifft den Willen und ist weitaus s<strong>ch</strong>werer als<br />
der den Verstand betreffende. Zuglei<strong>ch</strong> ist er von der Versu<strong>ch</strong>ung des Verstandes ni<strong>ch</strong>t<br />
zu trennen.<br />
7,12. Und vierzig Tage und vierzig Nä<strong>ch</strong>te war der Regen auf der Erde.<br />
Die Dauer der Versu<strong>ch</strong>ung.<br />
Der Zweck der Versu<strong>ch</strong>ung (Wiedergeburt)<br />
7,13. An diesem selbigen Tage ging Noah, und Sem und Ham und Jafet, die Söhne<br />
Noahs und Noahs Weib und die drei Weiber seiner Söhne mit ihnen ein in die<br />
Ar<strong>ch</strong>e.
Die Sintflut: Zusammens<strong>ch</strong>au ihres inneren Sinnes 157<br />
Der geistige (das heißt in si<strong>ch</strong> gespaltene) Mens<strong>ch</strong> wird in den Versu<strong>ch</strong>ungen wiedergeboren.<br />
Ebenso alles, was zu ihm gehört: seine drei Daseinsberei<strong>ch</strong>e, seine Verbindung<br />
mit Gott im allgemeinen und besonderen.<br />
7,14. Sie und alles Wild na<strong>ch</strong> seiner Art und alles Vieh na<strong>ch</strong> seiner Art und alles<br />
Krie<strong>ch</strong>tier, das auf der Erde krie<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> seiner Art und alles Gevögel na<strong>ch</strong> seiner<br />
Art, jeder Vogel, alles Geflügelte.<br />
Alles, was diesem Mens<strong>ch</strong>en angehört, wird gerettet: alles geistig Gute, alles natürli<strong>ch</strong><br />
Gute, alles sinnli<strong>ch</strong> und körperli<strong>ch</strong> Gute, alles geistig Wahre, alles natürli<strong>ch</strong> Wahre<br />
und alles sinnli<strong>ch</strong> Wahre.<br />
7,15. Und sie gingen ein zu Noah zur Ar<strong>ch</strong>e zwei und zwei, von allem Fleis<strong>ch</strong>, in<br />
wel<strong>ch</strong>em der Geist des Lebens war.<br />
Das alles wird gerettet - und zwar na<strong>ch</strong> Form und Inhalt -, weil es neues Leben vom<br />
Herrn empfängt.<br />
Der Zustand des geistigen Mens<strong>ch</strong>en<br />
7,16. Und die hinein gingen, Männli<strong>ch</strong>e und Weibli<strong>ch</strong>e, von allem Fleis<strong>ch</strong> gingen<br />
sie hinein, wie Gott ihm geboten hatte, und der Herr s<strong>ch</strong>loss hinter ihm zu.<br />
Die ganze Lebendigkeit des geistigen Mens<strong>ch</strong>en wird gerettet, do<strong>ch</strong> der Himmel wird<br />
vers<strong>ch</strong>lossen.<br />
7,17. Und die Flut war vierzig Tage auf der Erde, und die Wasser mehrten si<strong>ch</strong><br />
und hoben die Ar<strong>ch</strong>e auf und sie ward emporgehoben über die Erde.<br />
Infolge der Übers<strong>ch</strong>wemmung dur<strong>ch</strong> das Fals<strong>ch</strong>e ist der geistige Mens<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>wankungen<br />
zwis<strong>ch</strong>en dem Wahren und Fals<strong>ch</strong>en ausgesetzt.<br />
7,18. Und es wurden mä<strong>ch</strong>tig die Wasser und mehrten si<strong>ch</strong> sehr auf der Erde, und<br />
die Ar<strong>ch</strong>e ging über die Wasser dahin.<br />
Diese S<strong>ch</strong>wankungen nehmen zu.<br />
Der Untergang des Urmens<strong>ch</strong>en<br />
7,19. Und die Wasser wurden sehr, sehr mä<strong>ch</strong>tig auf Erden, und es wurden alle<br />
hohen Berge unter dem ganzen Himmel bedeckt.<br />
Die fals<strong>ch</strong>en Vorstellungen wa<strong>ch</strong>sen an und überdecken alles Gute des Himmels, …<br />
7,20. Fünfzehn Ellen darüber wurden die Wasser mä<strong>ch</strong>tig und sie bedeckten die<br />
Berge.<br />
… so dass praktis<strong>ch</strong> keine tätige Liebe mehr da war.<br />
7,21. Und alles Fleis<strong>ch</strong> vers<strong>ch</strong>ied, das auf Erden krie<strong>ch</strong>t, an Gevögel und an Vieh<br />
und an Wild und an allem Gewürm, das auf Erden wimmelt, und aller Mens<strong>ch</strong>.
158 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Der entartete Urmens<strong>ch</strong> geht unter und mit ihm all seine Einbildungen: seine Neigungen<br />
zum Fals<strong>ch</strong>en, seine Begierden, seine Lüste und sein Körperli<strong>ch</strong>es und Irdis<strong>ch</strong>es.<br />
All das geht unter.<br />
7,22. Alles, was den Odem des Geistes des Lebens in seiner Nase hatte von allem,<br />
das im Trocknen war, starb.<br />
Die gesamte Na<strong>ch</strong>kommens<strong>ch</strong>aft, die den Geist des Urmens<strong>ch</strong>en geatmet hat, vers<strong>ch</strong>eidet,<br />
weil ihr die innere Lebensfris<strong>ch</strong>e abhanden gekommen und sie nun ausgemergelt<br />
ist.<br />
7,23. Und er vertilgte jegli<strong>ch</strong>es Ges<strong>ch</strong>öpf, das auf dem Boden war, vom Mens<strong>ch</strong>en<br />
bis zum Vieh, zum Krie<strong>ch</strong>tier, und zum Gevögel des Himmels. Und sie wurden<br />
vertilgt von der Erde, und nur Noah verblieb, und was mit ihm in der Ar<strong>ch</strong>e war.<br />
So geht der entartete Urmens<strong>ch</strong> mitsamt seiner bösen Natur, seinen Begierden, Lüsten<br />
und fals<strong>ch</strong>en Überzeugungen unter. Was bleibt ist der geistige Mens<strong>ch</strong> und sein Lebensinhalt.<br />
7,24. Und die Wasser waren mä<strong>ch</strong>tig auf Erden hundertundfünfzig Tage.<br />
Das völlige Ende der ursprüngli<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>öpfung des Mens<strong>ch</strong>en.<br />
Erster Zustand na<strong>ch</strong> der Versu<strong>ch</strong>ung<br />
Vom Aufhören der Versu<strong>ch</strong>ungen<br />
Genesis 8,1. Da geda<strong>ch</strong>te Gott an Noah und an alles wilde Getier und an alles<br />
Vieh, das mit ihm in der Ar<strong>ch</strong>e war, und ließ Wind auf Erden kommen, und die<br />
Wasser fielen.<br />
Der Mens<strong>ch</strong> empfindet nun, da die Versu<strong>ch</strong>ung abebbt, dass der Herr seiner wieder<br />
gedenkt. Zwar sieht es im Gemüt des Mens<strong>ch</strong>en no<strong>ch</strong> re<strong>ch</strong>t verworren aus: Gedanken<br />
der Hoffnung und des Glaubens werden von Sorgen, Beängstigungen und fals<strong>ch</strong>en<br />
Vorstellungen dur<strong>ch</strong>kreuzt; aber s<strong>ch</strong>on ma<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong> ein Einfluss bemerkbar, der die<br />
Überflutung des Geistes mit negativen Gedanken und Gefühlen vermindert.<br />
8,2. Und die Brunnen der Tiefe wurden verstopft samt den Fenstern des Himmels,<br />
und dem Regen vom Himmel wurde gewehrt.<br />
Das Böse der Triebhaftigkeit quillt ni<strong>ch</strong>t mehr empor und das Fals<strong>ch</strong>e des Verstandes<br />
übers<strong>ch</strong>üttet den Mens<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t mehr, womit die Versu<strong>ch</strong>ung im allgemeinen aufhört.<br />
8,3. Da verliefen si<strong>ch</strong> die Wasser von der Erde, gehend und zurückkehrend, und<br />
nahmen ab na<strong>ch</strong> hundertundfünfzig Tagen.<br />
Aber der Mens<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>wankt no<strong>ch</strong> eine Zeitlang zwis<strong>ch</strong>en dem Wahren und Fals<strong>ch</strong>en<br />
hin und her;<br />
8,4. Am siebzehnten Tage des siebenten Monats ließ si<strong>ch</strong> die Ar<strong>ch</strong>e nieder auf das<br />
Gebirge Ararat.
Die Sintflut: Zusammens<strong>ch</strong>au ihres inneren Sinnes 159<br />
kommt dann aber innerli<strong>ch</strong> zur Ruhe, das heißt wird wiedergeboren aus dem neuen<br />
Li<strong>ch</strong>t der Liebtätigkeit.<br />
8,5. Es nahmen aber die Wasser immer mehr ab bis auf den zehnten Monat. Am<br />
ersten Tage des zehnten Monats sahen die Spitzen der Berge hervor.<br />
S<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> lassen die S<strong>ch</strong>wankungen ganz na<strong>ch</strong>, denn das Fals<strong>ch</strong>e vers<strong>ch</strong>windet, und<br />
die ersten großen Glaubenswahrheiten werden si<strong>ch</strong>tbar. Es sind Wahrheiten aus den<br />
religiösen Urerfahrungen im Mens<strong>ch</strong>en, die si<strong>ch</strong> nun in ihrer majestätis<strong>ch</strong>en Erhabenheit<br />
zeigen.<br />
Zweiter Zustand na<strong>ch</strong> der Versu<strong>ch</strong>ung, in si<strong>ch</strong> dreiteilig<br />
Dreimaliges Aussenden der Taube<br />
8,6. Na<strong>ch</strong> vierzig Tagen tat Noah an der Ar<strong>ch</strong>e das Fenster auf, das er gema<strong>ch</strong>t<br />
hatte,<br />
Na<strong>ch</strong> den Versu<strong>ch</strong>ungen werden nun erstmals die Wahrheiten des Glaubens si<strong>ch</strong>tbar.<br />
8,7. und ließ einen Raben ausfliegen; der flog immer hin und her, bis die Wasser<br />
vertrockneten auf Erden.<br />
Do<strong>ch</strong> dunkle Gedanken flattern no<strong>ch</strong> im Gemüt umher und trüben die Einsi<strong>ch</strong>t in das<br />
Wahre solange, bis das Meer der fals<strong>ch</strong>en Vorstellungen ausgetrocknet und dem Augens<strong>ch</strong>ein<br />
ents<strong>ch</strong>wunden ist.<br />
8,8. Dana<strong>ch</strong> ließ er eine Taube von si<strong>ch</strong> ausfliegen, um zu erfahren, ob die Wasser<br />
si<strong>ch</strong> verlaufen hatten auf Erden.<br />
Andererseits erkundet au<strong>ch</strong> das Gute und Wahre die Situation, um herauszufinden,<br />
ob der Mens<strong>ch</strong> seine fals<strong>ch</strong>en Ansi<strong>ch</strong>ten bereits aufgegeben hat.<br />
8,9. Da aber die Taube ni<strong>ch</strong>ts fand, wo ihr Fuß ruhen konnte, kam sie wieder zu<br />
ihm in die Ar<strong>ch</strong>e; denn no<strong>ch</strong> war Wasser auf dem ganzen Erdboden. Da tat er die<br />
Hand heraus und nahm sie zu si<strong>ch</strong> in die Ar<strong>ch</strong>e.<br />
Aber es kann no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t Fuß fassen, denn das Fals<strong>ch</strong>e ist no<strong>ch</strong> im Überfluss vorhanden.<br />
Der Mens<strong>ch</strong> glaubt nämli<strong>ch</strong> immer no<strong>ch</strong>, das Gute und Wahre aus eigener Ma<strong>ch</strong>t<br />
verwirkli<strong>ch</strong>en zu können.<br />
8,10. Da harrte er no<strong>ch</strong> weitere sieben Tage und ließ abermals eine Taube fliegen<br />
aus der Ar<strong>ch</strong>e.<br />
In einer zweiten Phase der Aufnahme des Guten und Wahren kommt die e<strong>ch</strong>te Liebesgesinnung<br />
zum Vors<strong>ch</strong>ein, weswegen dieser Abs<strong>ch</strong>nitt heiliger ist als der vorangehende.<br />
8,11. Die kam zu ihm um die Abendzeit, und siehe, ein Ölblatt hatte sie abgebro<strong>ch</strong>en<br />
und trug's in ihrem S<strong>ch</strong>nabel. Da merkte Noah, dass die Wasser si<strong>ch</strong> verlaufen<br />
hätten auf Erden.
160 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Der Mens<strong>ch</strong> befindet si<strong>ch</strong> zwar, was die Vorgänge in seiner Seele angeht, no<strong>ch</strong> in<br />
einem Dämmerli<strong>ch</strong>t, aber denno<strong>ch</strong> ers<strong>ch</strong>eint ihm bereits ein wenig Wahres, das aus<br />
dem e<strong>ch</strong>ten Glaubensbewusstsein der spirituellen Liebe herrührt. Das fals<strong>ch</strong>e Denken<br />
ist nämli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr so gemütsbewegend, dass es hindern könnte.<br />
8,12. Aber er harrte no<strong>ch</strong> weitere sieben Tage und ließ eine Taube ausfliegen; die<br />
kam ni<strong>ch</strong>t wieder zu ihm.<br />
In einer dritten, ebenfalls heiligen Phase nimmt der Mens<strong>ch</strong> das Gute und Wahre<br />
s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> ohne I<strong>ch</strong>bindung auf; er ist also innerli<strong>ch</strong> frei, den himmlis<strong>ch</strong>en Einfluss<br />
ohne Selbstbezug herrs<strong>ch</strong>en zu lassen.<br />
8,13. Im se<strong>ch</strong>shundertundersten Lebensjahr Noahs am ersten Tage des ersten<br />
Monats waren die Wasser vertrocknet auf Erden. Da tat Noah das Da<strong>ch</strong> von der<br />
Ar<strong>ch</strong>e und sah, dass der Erdboden trocken war.<br />
Damit ist die Zeit der Versu<strong>ch</strong>ung vorbei; ein neuer Zustand kann beginnen. Die fals<strong>ch</strong>en<br />
Vorstellungen haben ihre Ma<strong>ch</strong>t über den Mens<strong>ch</strong>en verloren, folgli<strong>ch</strong> kann<br />
das Li<strong>ch</strong>t der Glaubenswahrheiten kraftvoll aufs<strong>ch</strong>einen. Der Mens<strong>ch</strong> anerkennt dieses<br />
Li<strong>ch</strong>t nun und glaubt daran, ist also wiedergeboren.<br />
8,14. Und am siebenundzwanzigsten Tage des zweiten Monats war die Erde ganz<br />
trocken.<br />
Auf den Zustand der Versu<strong>ch</strong>ungskampfe folgt ein heiliger Zustand der Ruhe: die<br />
Wiedergeburt.<br />
Dritter Zustand na<strong>ch</strong> der Versu<strong>ch</strong>ung,<br />
glei<strong>ch</strong>: erster Zustand der Wiedergeburt<br />
Auszug aus der Ar<strong>ch</strong>e<br />
8,15. Da redete Gott mit Noah und spra<strong>ch</strong>:<br />
Da der Herr beim wiedergeborenen Mens<strong>ch</strong>en gegenwärtig ist,<br />
8,16. Geh aus der Ar<strong>ch</strong>e, du und deine Frau, deine Söhne und die Frauen deiner<br />
Sohne mit dir.<br />
kann dieser nun den Zustand der Bedrängnis verlassen. Alles Lebendige im Mens<strong>ch</strong>en,<br />
seine Liebe, die Wahrheiten und die guten Bestrebungen aus dem Wahren<br />
können si<strong>ch</strong> nun frei auswirken.<br />
8,17. Alles Getier, das bei dir ist, von allem Fleis<strong>ch</strong>, an Vögeln, an Vieh und allem<br />
Gewürm, das auf Erden krie<strong>ch</strong>t, das gehe heraus mit dir, dass sie si<strong>ch</strong> regen auf<br />
Erden und fru<strong>ch</strong>tbar seien und si<strong>ch</strong> mehren auf Erden.<br />
Ebenso tritt alles Belebte in den Zustand der Freiheit: das Verständige und das Wollende<br />
des inneren Mens<strong>ch</strong>en und das Entspre<strong>ch</strong>ende beim äußeren Mens<strong>ch</strong>en. Da der<br />
innere Mens<strong>ch</strong> jetzt auf den äußeren einwirkt, wä<strong>ch</strong>st das Gute und Wahre beim äußeren<br />
Mens<strong>ch</strong>en.
Die Sintflut: Zusammens<strong>ch</strong>au ihres inneren Sinnes 161<br />
8,18. So ging Noah heraus mit seinen Söhnen und mit seiner Frau und den Frauen<br />
seiner Söhne,<br />
Tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> wird der Mens<strong>ch</strong> und alles, was in ihm auf Gott ausgeri<strong>ch</strong>tet ist, nun<br />
wahrhaft frei.<br />
8,19. dazu alle wilden Tiere, alles Vieh, alle Vögel und alles Gewürm, das auf Erden<br />
krie<strong>ch</strong>t; das ging aus der Ar<strong>ch</strong>e, ein jedes mit seinesglei<strong>ch</strong>en.<br />
Ebenso das Gute und Wahre des inneren und äußeren Mens<strong>ch</strong>en. Die Freiheit besteht<br />
darin, dass der geistige Mens<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mehr vom Bösen und Fals<strong>ch</strong>en seiner Begierden<br />
getrieben wird, sondern aus dem Gewissen (oder Bewusstsein) des Guten und Wahren<br />
handeln kann.<br />
Vierter Zustand na<strong>ch</strong> der Versu<strong>ch</strong>ung,<br />
glei<strong>ch</strong>: zweiter Zustand der Wiedergeburt<br />
Die Gottesverehrung<br />
8,20. Noah aber baute dem Herrn einen Altar und nahm von allem reinen Vieh<br />
und von allen reinen Vögeln und opferte Brandopfer auf dem Altar.<br />
Der geistig wiedergeborene Mens<strong>ch</strong> verehrt den Herrn, indem er aus dem Guten der<br />
Liebe und dem Wahren des Glaubens tätig ist.<br />
8,21. Und der Herrn ro<strong>ch</strong> den liebli<strong>ch</strong>en Geru<strong>ch</strong> und spra<strong>ch</strong> in seinem Herzen: I<strong>ch</strong><br />
will hinfort ni<strong>ch</strong>t mehr die Erde verflu<strong>ch</strong>en um des Mens<strong>ch</strong>en willen; denn das<br />
Di<strong>ch</strong>ten und Tra<strong>ch</strong>ten des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Herzens ist böse von Jugend auf. Und i<strong>ch</strong><br />
will hinfort ni<strong>ch</strong>t mehr s<strong>ch</strong>lagen alles, was da lebt, wie i<strong>ch</strong> getan habe.<br />
Diese Verehrung ist dem Herrn angenehm. Der geistige Mens<strong>ch</strong>entyp kann si<strong>ch</strong> vom<br />
Herrn ni<strong>ch</strong>t mehr dermaßen abwenden wie die Na<strong>ch</strong>kommens<strong>ch</strong>aft des ursprüngli<strong>ch</strong>en,<br />
himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>entyps. Denn obwohl das Wollen des Mens<strong>ch</strong>en dur<strong>ch</strong> und<br />
dur<strong>ch</strong> böse ist, ist nunmehr denno<strong>ch</strong> im verständigen Teil des Gemüts ein neuer Wille<br />
aufgeri<strong>ch</strong>tet, das sogenannte Gewissen. Dadur<strong>ch</strong> wird der Mens<strong>ch</strong> vom Herrn geleitet<br />
und kann ni<strong>ch</strong>t mehr so vollständig verderben.<br />
8,22. Solange die Erde steht, soll ni<strong>ch</strong>t aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze,<br />
Sommer und Winter, Tag und Na<strong>ch</strong>t.<br />
Die Zustände des äußeren Mens<strong>ch</strong>en werden hinfort sein: Das Wort Gottes wird er<br />
hören und reifen lassen. Glaube und Liebtätigkeit werden einmal ni<strong>ch</strong>t vorhanden<br />
und einmal vorhanden sein. Au<strong>ch</strong> der wiedergeborene Mens<strong>ch</strong> wird einmal liebtätig,<br />
einmal ni<strong>ch</strong>t liebtätig; einmal verständig, einmal ni<strong>ch</strong>t verständig sein.<br />
Der äußere Mens<strong>ch</strong> dient dem inneren Mens<strong>ch</strong>en<br />
Genesis 9,1. Und Gott segnete Noah und seine Söhne und spra<strong>ch</strong>: Seid fru<strong>ch</strong>tbar<br />
und mehret eu<strong>ch</strong> und füllet die Erde.
162 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Au<strong>ch</strong> dem geistigen, das heißt aus Wahrheiten wiedergeborenen Mens<strong>ch</strong>en ist der<br />
Herr nahe und bewirkt, dass beim äußeren Mens<strong>ch</strong>en das Gute der Nä<strong>ch</strong>stenliebe<br />
fru<strong>ch</strong>tbar und das Wahre des Glaubens vermehrt wird.<br />
9,2. Fru<strong>ch</strong>t und S<strong>ch</strong>recken vor eu<strong>ch</strong> sei über allen Tieren auf Erden und über allen<br />
Vögeln unter dem Himmel, über allem, was auf dem Erdboden wimmelt, und über<br />
allen Fis<strong>ch</strong>en im Meer; in eure Hände seien sie gegeben.<br />
Dadur<strong>ch</strong> herrs<strong>ch</strong>t der innere Mens<strong>ch</strong> über den äußeren, was zur Folge hat, dass si<strong>ch</strong><br />
der äußere Mens<strong>ch</strong> vor dem Bösen seiner Begierden für<strong>ch</strong>tet und vor dem Fals<strong>ch</strong>en<br />
seiner Gedanken ers<strong>ch</strong>rickt. Jedo<strong>ch</strong> ist das Gute und Wahre, das der äußere Mens<strong>ch</strong><br />
ans<strong>ch</strong>einend selbständig hervorbringt, der Besitz des inneren Mens<strong>ch</strong>en beim äußeren.<br />
9,3. Alles, was si<strong>ch</strong> regt und lebt, das sei eure Speise; wie das grüne Kraut habe<br />
i<strong>ch</strong> es eu<strong>ch</strong> alles gegeben.<br />
Alle Lustgefühle, in denen etwas Gutes und somit Lebendiges enthalten ist, dürfen<br />
genossen werden. Sie sind eine Stärkung für die Seele. Au<strong>ch</strong> die ganz geringen, weltli<strong>ch</strong>en<br />
und körperli<strong>ch</strong>en Freuden sind dem Mens<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t verwehrt, denn au<strong>ch</strong> sie<br />
s<strong>ch</strong>affen einen Nutzen.<br />
Die Gefahr der Entweihung<br />
9,4. Allein esset das Fleis<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t mit seinem Blut, in dem sein Leben ist!<br />
Der Eigenwille des Mens<strong>ch</strong>en soll mit dem neuen Willen aus dem Herrn, dem Willen,<br />
Nä<strong>ch</strong>stenliebe zu praktizieren, ni<strong>ch</strong>t vermis<strong>ch</strong>t werden. Unheiliges soll si<strong>ch</strong> also ni<strong>ch</strong>t<br />
mit Heiligem verbinden, weil das eine Entweihung des Heiligen dur<strong>ch</strong> Unheiliges ist.<br />
9,5. Au<strong>ch</strong> will i<strong>ch</strong> euer eigen Blut, das ist das Leben eines Jeden unter eu<strong>ch</strong>, rä<strong>ch</strong>en<br />
und will es von allen Tieren fordern und will des Mens<strong>ch</strong>en Leben fordern<br />
von einem jeden Mens<strong>ch</strong>en.<br />
Die Auslös<strong>ch</strong>ung der Nä<strong>ch</strong>stenliebe dur<strong>ch</strong> Hass, Ra<strong>ch</strong>e und Grausamkeit rä<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>,<br />
indem das Wesen eines sol<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en gewalttätig wird, das heißt das Wollen<br />
verhärtet und das Denken verbittert. So straft si<strong>ch</strong> die Entweihung selbst.<br />
9,6. Wer Mens<strong>ch</strong>enblut vergießt, dessen Blut soll au<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> Mens<strong>ch</strong>en vergossen<br />
werden; denn Gott hat den Mens<strong>ch</strong>en zu seinem Bilde gema<strong>ch</strong>t.<br />
Wer die Nä<strong>ch</strong>stenliebe bei si<strong>ch</strong> auslös<strong>ch</strong>t, indem er aus Hass- und Ra<strong>ch</strong>egefühlen<br />
handelt, tötet si<strong>ch</strong> selbst, denn er wird seinem eigenen, unwiedergeborenen Willen<br />
ausgeliefert und zerstört das Bild Gottes in si<strong>ch</strong>, nämli<strong>ch</strong> die Nä<strong>ch</strong>stenliebe.<br />
9,7. Seid fru<strong>ch</strong>tbar und mehret eu<strong>ch</strong> und reget eu<strong>ch</strong> auf Erden, dass eurer viel<br />
darauf werden.
Die Sintflut: Zusammens<strong>ch</strong>au ihres inneren Sinnes 163<br />
Wenn der geistige Mens<strong>ch</strong> diese Gefahren meidet und tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> aus dem neuen<br />
Liebeswillen tätig ist, dann wird das Gute und Wahre im inneren und im äußeren<br />
Mens<strong>ch</strong>en zunehmen.<br />
Der Zustand des geistigen Mens<strong>ch</strong>en<br />
9,8. Und Gott sagte zu Noah und seinen Söhnen mit ihm:<br />
Das Wesen des geistigen (= aus Wahrheiten wiedergeborenen) Mens<strong>ch</strong>en ist folgendes:<br />
9,9. Siehe, i<strong>ch</strong> ri<strong>ch</strong>te mit eu<strong>ch</strong> einen Bund auf und mit euren Na<strong>ch</strong>kommen<br />
Der Herr verbindet si<strong>ch</strong> mit diesem Mens<strong>ch</strong>en und allem, was bei ihm ist, dur<strong>ch</strong> die<br />
Nä<strong>ch</strong>stenliebe.<br />
9,10. und mit allem lebendigen Getier bei eu<strong>ch</strong>, an Vögeln, an Vieh und an allen<br />
Tieren des Feldes bei eu<strong>ch</strong>, von allem, was aus der Ar<strong>ch</strong>e gegangen ist, was für<br />
Tiere es sind auf Erden.<br />
Und ist in allem gegenwärtig, was bei diesem Mens<strong>ch</strong>en wiedergeboren ist: in der<br />
Sphäre des Verstehens und des Wollens, im äußeren Gedä<strong>ch</strong>tniswissen und den Körperfreuden.<br />
Ni<strong>ch</strong>t nur bei den Mens<strong>ch</strong>en innerhalb der Kir<strong>ch</strong>e, sondern au<strong>ch</strong> bei denen<br />
außerhalb ist er gegenwärtig.<br />
9,11. Und i<strong>ch</strong> ri<strong>ch</strong>te meinen Bund so mit eu<strong>ch</strong> auf, dass hinfort ni<strong>ch</strong>t mehr alles<br />
Fleis<strong>ch</strong> verderbt werden soll dur<strong>ch</strong> die Wasser der Sintflut und hinfort keine Sintflut<br />
mehr kommen soll, die die Erde verderbe.<br />
Der Herr verbindet si<strong>ch</strong> mit allen Mens<strong>ch</strong>en, die Liebe praktizieren. Der geistige Mens<strong>ch</strong>entyp<br />
kann ni<strong>ch</strong>t mehr zugrunde gehen wie der himmlis<strong>ch</strong>e Mens<strong>ch</strong>entyp, dessen<br />
Denken gänzli<strong>ch</strong> von seinem Wollen abhängig war und der deswegen, als er vom<br />
Herrn abfiel, in einen todbringenden und alles Leben abwürgenden Wahn geriet.<br />
Das Bundeszei<strong>ch</strong>en<br />
9,12. Und Gott spra<strong>ch</strong>: Das ist das Zei<strong>ch</strong>en des Bundes, den i<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>lossen habe<br />
zwis<strong>ch</strong>en mir und eu<strong>ch</strong> und allem lebendigen Getier bei eu<strong>ch</strong> auf ewig:<br />
Dies ist die si<strong>ch</strong>tbare Seite der Verbindung des Herrn mit dem liebtätigen Mens<strong>ch</strong>en<br />
und mit allem, was bei ihm wiedergeboren ist und lebt. Es gilt fortwährend für alle<br />
Mens<strong>ch</strong>en, die (geistig) neu ges<strong>ch</strong>affen werden.<br />
9,13. Meinen Bogen habe i<strong>ch</strong> in die Wolken gesetzt; der soll das Zei<strong>ch</strong>en sein des<br />
Bundes zwis<strong>ch</strong>en mir und der Erde.<br />
Der Zustand des wiedergeborenen geistigen Mens<strong>ch</strong>en glei<strong>ch</strong>t der Naturers<strong>ch</strong>einung<br />
des Regenbogens: Das geistige Li<strong>ch</strong>t des Herrn wird dur<strong>ch</strong> das eigene Verstehen (wel<strong>ch</strong>es<br />
an si<strong>ch</strong> fals<strong>ch</strong> ist) und dur<strong>ch</strong> das eigene Wollen (wel<strong>ch</strong>es an si<strong>ch</strong> böse ist) modifiziert<br />
und somit bunt (vielfältig) gebro<strong>ch</strong>en. Daher ist das Li<strong>ch</strong>t (Verständnis) des
164 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
geistigen Mens<strong>ch</strong>en dunkel, verglei<strong>ch</strong>t man es mit dem Li<strong>ch</strong>t des himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en,<br />
denn dem Verstehen des geistigen Mens<strong>ch</strong>en ist Fals<strong>ch</strong>es und Böses beigemis<strong>ch</strong>t.<br />
Und denno<strong>ch</strong> ist das buntgefä<strong>ch</strong>erte Verständnis des geistigen Mens<strong>ch</strong>en das<br />
si<strong>ch</strong>tbare Zei<strong>ch</strong>en der Gegenwart des Herrn.<br />
9,14. Und wenn es kommt, dass i<strong>ch</strong> Wetterwolken über die Erde führe, so soll<br />
man meinen Bogen sehen in den Wolken.<br />
Wenn wegen des Eigenwillens des Mens<strong>ch</strong>en der Glaube der Nä<strong>ch</strong>stenliebe, das heißt<br />
das geistige Li<strong>ch</strong>t, ni<strong>ch</strong>t ers<strong>ch</strong>eint, was ni<strong>ch</strong>t bedeutet, dass der Mens<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t wiedergeboren<br />
werden kann -,<br />
9,15. Alsdann will i<strong>ch</strong> gedenken an meinen Bund zwis<strong>ch</strong>en mir und eu<strong>ch</strong> und<br />
allem lebendigen Getier unter allem Fleis<strong>ch</strong>, dass hinfort keine Sintflut mehr<br />
komme, die alles Fleis<strong>ch</strong> verderbe.<br />
dann wird si<strong>ch</strong> der Herr denno<strong>ch</strong> erbarmen, in erster Linie natürli<strong>ch</strong> gegenüber denen,<br />
die wiedergeboren sind oder si<strong>ch</strong> wiedergebären lassen, aber au<strong>ch</strong> gegenüber<br />
dem gesamten Mens<strong>ch</strong>enges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t. Der Mens<strong>ch</strong> ist nun einmal in seiner Willenssphäre<br />
verdorben, aber das Verständnisvermögen kann den Mens<strong>ch</strong>en nun ni<strong>ch</strong>t<br />
mehr mit derart aberwitzigen Wahnideen übers<strong>ch</strong>wemmen, dass er zugrunde geht wie<br />
der ursprüngli<strong>ch</strong>e, himmlis<strong>ch</strong>e Mens<strong>ch</strong>entyp. Das gilt ganz allgemein für jeden Mens<strong>ch</strong>en.<br />
9,16. Darum soll mein Bogen in den Wolken sein, dass i<strong>ch</strong> ihn ansehe und gedenke<br />
an den ewigen Bund zwis<strong>ch</strong>en Gott und allem lebendigen Getier unter allem<br />
Fleis<strong>ch</strong>, das auf Erden ist.<br />
Wenn si<strong>ch</strong> das Himmelsli<strong>ch</strong>t in der Sphäre (Aura) eines Mens<strong>ch</strong>en in bunter Vielfalt<br />
(je na<strong>ch</strong> der Bes<strong>ch</strong>affenheit eines jeden) darstellt, dann kann dieser Mens<strong>ch</strong> wiedergeboren<br />
werden, so dass der Herr bei ihm dur<strong>ch</strong> das Medium der Nä<strong>ch</strong>stenliebe gegenwärtig<br />
sein kann.<br />
9,17. Und Gott sagte zu Noah: Das sei das Zei<strong>ch</strong>en des Bundes, den i<strong>ch</strong> aufgeri<strong>ch</strong>tet<br />
habe zwis<strong>ch</strong>en mir und allem Fleis<strong>ch</strong> auf Erden.<br />
Der Mens<strong>ch</strong> der Kir<strong>ch</strong>e soll wissen, dass der Herr ni<strong>ch</strong>t nur bei den Mens<strong>ch</strong>en innerhalb<br />
der Kir<strong>ch</strong>e, sondern au<strong>ch</strong> bei denen außerhalb der Kir<strong>ch</strong>e gegenwärtig ist, sofern<br />
sie Nä<strong>ch</strong>stenliebe praktizieren.<br />
Die drei Mögli<strong>ch</strong>keiten,<br />
das Prinzip »geistige Wiedergeburt« zu verwirkli<strong>ch</strong>en<br />
9,18. Die Söhne Noahs, die aus der Ar<strong>ch</strong>e gingen, sind diese: Sem, Ham und Jafet.<br />
Ham aber ist der Vater Kanaans.<br />
Das Prinzip »geistige Wiedergeburt« lässt drei Verwirkli<strong>ch</strong>ungen zu: die Nä<strong>ch</strong>stenliebe<br />
(innere Kir<strong>ch</strong>e), den bloßen Glauben (verdorbene Kir<strong>ch</strong>e) und die rituellen Handlungen<br />
(äußere Kir<strong>ch</strong>e). Aus dem überwiegenden Interesse an den reinen Glaubenswahr-
Die Sintflut: Zusammens<strong>ch</strong>au ihres inneren Sinnes 165<br />
heiten ist der Zeremoniengottesdienst entstanden, dem keine religiöse Erfahrung innewohnt<br />
und der daher sinnentleert ist.<br />
9,19. Das sind die drei Söhne Noahs; von ihnen kommen her alle Mens<strong>ch</strong>en auf<br />
Erden.<br />
Dies sind die drei Ausprägungen des geistigen Mens<strong>ch</strong>en. Aus diesen Grundtypen<br />
haben si<strong>ch</strong> alle besonderen Lehren entwickelt, die wahren ebenso wie die fals<strong>ch</strong>en.<br />
Der Wissensraus<strong>ch</strong>,<br />
oder: Die Gefahr des geistigen Mens<strong>ch</strong>en<br />
9,20. Noah aber, der Ackermann, pflanzte als erster einen Weinberg.<br />
Der geistige Mens<strong>ch</strong> wird zunä<strong>ch</strong>st in den Lehren seiner Religion unterwiesen; das ist<br />
der Anfang seines Weges. Dadur<strong>ch</strong> entsteht bei ihm die geistige (= auf Wahrheiten<br />
gegründete) Kir<strong>ch</strong>e.<br />
9,21. Und da er von dem Wein trank, ward er trunken und lag im Zelt aufgedeckt.<br />
Wenn er jedo<strong>ch</strong> die Wahrheiten des ihm vermittelten Glaubens ausgrübeln will, dann<br />
verfällt er Irrtümern, beraubt si<strong>ch</strong> der Glaubenswahrheiten, und verkehrte Ansi<strong>ch</strong>ten<br />
gerade in den zentralen Gegenständen des Glaubens sind die Folge.<br />
9,22. Als nun Ham, Kanaans Vater, seines Vaters Blöße sah, sagte er es seinen<br />
beiden Brüdern draußen.<br />
Diejenigen, deren Hauptaugenmerk auf die bloße Glaubenslehre geri<strong>ch</strong>tet ist (die<br />
verdorbene Kir<strong>ch</strong>e) und die daher der Ursprung der si<strong>ch</strong> in Riten ers<strong>ch</strong>öpfenden Kir<strong>ch</strong>e<br />
sind, bemerken die Irrtümer und verkehrten Ansi<strong>ch</strong>ten und spotten darüber.<br />
9,23. Da nahmen Sem und Jafet ein Kleid und legten es auf ihrer beider S<strong>ch</strong>ultern<br />
und gingen rückwärts hinzu und deckten ihres Vaters Blöße zu; und ihr Angesi<strong>ch</strong>t<br />
war abgewandt, damit sie ihres Vaters Blöße ni<strong>ch</strong>t sähen.<br />
Diejenigen hingegen, denen die Nä<strong>ch</strong>stenliebe das Wi<strong>ch</strong>tigste ist (die innere Kir<strong>ch</strong>e)<br />
und die si<strong>ch</strong> dementspre<strong>ch</strong>end verhalten (die entspre<strong>ch</strong>ende äußere Kir<strong>ch</strong>e), legen die<br />
Irrtümer und verkehrten Ansi<strong>ch</strong>ten mit aller Ma<strong>ch</strong>t zum Guten aus. Ja, sie a<strong>ch</strong>ten<br />
ni<strong>ch</strong>t einmal auf die Irrtümer und verkehrten Ansi<strong>ch</strong>ten, sondern ents<strong>ch</strong>uldigen sie.<br />
So soll man si<strong>ch</strong> verhalten: Auf die Irrtümer und Fehler anderer, die aus Vernünfteleien<br />
entstehen, soll man ni<strong>ch</strong>t a<strong>ch</strong>ten.<br />
9,24. Als nun Noah erwa<strong>ch</strong>te von seinem Raus<strong>ch</strong> und erfuhr, was ihm sein jüngster<br />
Sohn angetan hatte,<br />
Wenn der geistige Mens<strong>ch</strong> eines besseren belehrt wird, dann erkennt er, dass das<br />
alleräußerste Religionswissen und -handeln von Haus aus ein Spötter und wenig hilfrei<strong>ch</strong><br />
ist.<br />
9,25. spra<strong>ch</strong> er: Verflu<strong>ch</strong>t sei Kanaan und sei seinen Brüdern ein Kne<strong>ch</strong>t aller<br />
Kne<strong>ch</strong>te!
166 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Der nur äußere Religionsbetrieb ist an und für si<strong>ch</strong> dem göttli<strong>ch</strong>en Einfluss gegenüber<br />
ni<strong>ch</strong>t aufges<strong>ch</strong>lossen, kann aber geringe Dienste leisten, wenn das eigentli<strong>ch</strong>e Wesen<br />
der Religion, nämli<strong>ch</strong> der Prozess der Wiedergeburt, ni<strong>ch</strong>t aus den Augen verloren<br />
wird.<br />
9,26. Und spra<strong>ch</strong> weiter: Gelobt sei der Herr, der Gott Sems, und Kanaan sei sein<br />
Kne<strong>ch</strong>t!<br />
Diejenigen hingegen, die den Herrn dur<strong>ch</strong> die Verwirkli<strong>ch</strong>ung der Nä<strong>ch</strong>stenliebe preisen,<br />
werden mit dem Guten erfüllt. Der äußere Gottesdienst kann ihnen als Ausdrucksmittel<br />
dienen.<br />
9,27. Gott breite Jafet aus und lasse ihn wohnen in den Zelten Sems, und Kanaan<br />
sei sein Kne<strong>ch</strong>t!<br />
Au<strong>ch</strong> diejenigen, die die Lehren der Kir<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>t kennen, aber denno<strong>ch</strong> Nä<strong>ch</strong>stenliebe<br />
praktizieren, sollen erleu<strong>ch</strong>tet werden und die Begrenztheit ihrer Ansi<strong>ch</strong>ten überwinden.<br />
Sie werden in das Heiligtum der Liebe aufgenommen werden. Au<strong>ch</strong> ihnen kann<br />
der äußere Gottesdienst als Ausdrucksmittel dienen.<br />
9,28. Noah aber lebte na<strong>ch</strong> der Sintflut dreihundertundfünfzig Jahre,<br />
9,29. dass sein ganzes Alter ward neunhundertundfünfzig Jahre, und starb.<br />
Die Dauer und der Zustand der alten Kir<strong>ch</strong>e.
Neuanfang mit Noah 167<br />
Neuanfang mit Noah<br />
Die These der Fors<strong>ch</strong>ung<br />
Vor der Sintflut heißt es: »Und der Herr sah, dass die Bosheit des Mens<strong>ch</strong>en auf<br />
der Erde groß war und alles Sinnen der Gedanken seines Herzens nur böse den<br />
ganzen Tag. Und es reute den Herrn, dass er den Mens<strong>ch</strong>en auf der Erde gema<strong>ch</strong>t<br />
hatte, und es bekümmerte ihn in sein Herz hinein. Und der Herr spra<strong>ch</strong>: I<strong>ch</strong> will<br />
den Mens<strong>ch</strong>en, den i<strong>ch</strong> ges<strong>ch</strong>affen habe, von der Flä<strong>ch</strong>e des Erdbodens auslös<strong>ch</strong>en,<br />
vom Mens<strong>ch</strong>en bis zum Vieh, bis zu den krie<strong>ch</strong>enden Tieren und bis zu<br />
den Vögeln des Himmels; denn es reut mi<strong>ch</strong>, dass i<strong>ch</strong> sie gema<strong>ch</strong>t habe. Noah<br />
aber fand Gunst in den Augen des Herrn.« (Gen 6,5-8). Und na<strong>ch</strong> der Sintflut heißt<br />
es: »Und Noah baute dem Herrn einen Altar; und er nahm von allem reinen Vieh<br />
und von allen reinen Vögeln und opferte Brandopfer auf dem Altar. Und der Herr<br />
ro<strong>ch</strong> den wohlgefälligen Geru<strong>ch</strong>, und der Herr spra<strong>ch</strong> in seinem Herzen: Ni<strong>ch</strong>t<br />
no<strong>ch</strong> einmal will i<strong>ch</strong> den Erdboden verflu<strong>ch</strong>en um des Mens<strong>ch</strong>en willen; denn das<br />
Sinnen des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Herzens ist böse von seiner Jugend an; und ni<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong><br />
einmal will i<strong>ch</strong> alles Lebendige s<strong>ch</strong>lagen, wie i<strong>ch</strong> getan habe. Von nun an, alle<br />
Tage der Erde, sollen ni<strong>ch</strong>t aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und<br />
Winter, Tag und Na<strong>ch</strong>t.« (Gen 8,20-22).<br />
Der Verglei<strong>ch</strong> der beiden Texte führt zu einem überras<strong>ch</strong>enden Ergebnis. Der<br />
Mens<strong>ch</strong> ist na<strong>ch</strong> der Sintflut genauso böse wie vor ihr. Denn vor der Flut sah der<br />
Herr, »dass die Bosheit des Mens<strong>ch</strong>en auf der Erde groß war und alles Sinnen der<br />
Gedanken seines Herzens nur böse den ganzen Tag.« (Gen 6,5). Und na<strong>ch</strong> der Flut<br />
stellt er fest: »das Sinnen des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Herzens ist böse von seiner Jugend<br />
an« (Gen 8,21). Gott hingegen s<strong>ch</strong>eint einen Gesinnungswandel vollzogen zu haben.<br />
Denn vor der Flut »reute« es den Herrn, »dass er den Mens<strong>ch</strong>en auf der Erde<br />
gema<strong>ch</strong>t hatte, und es bekümmerte ihn in sein Herz hinein.« (Gen 6,6). Aber na<strong>ch</strong><br />
der Flut spra<strong>ch</strong> er »in seinem Herzen: Ni<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong> einmal will i<strong>ch</strong> den Erdboden<br />
verflu<strong>ch</strong>en um des Mens<strong>ch</strong>en willen … und ni<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong> einmal will i<strong>ch</strong> alles Lebendige<br />
s<strong>ch</strong>lagen, wie i<strong>ch</strong> getan habe.« (Gen 8,21). Das zweimalige »ni<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong><br />
einmal« s<strong>ch</strong>eint anzudeuten, dass Gott einen Gesinnungswandel vollzogen hat.<br />
Daher behauptet die gegenwärtige Fors<strong>ch</strong>ung: »So kurios es klingt: Für die Bibel<br />
hat Gott während der Flut eine Umkehr vollzogen.« 293<br />
Diese These ist dur<strong>ch</strong>aus na<strong>ch</strong>vollziehbar und einleu<strong>ch</strong>tend, denno<strong>ch</strong> komme i<strong>ch</strong><br />
mit Emanuel Swedenborg und der Sensibilisierung für einen inneren Sinn zu einem<br />
etwas anderen Ergebnis. Denn entgegen dem bu<strong>ch</strong>stäbli<strong>ch</strong>en Ans<strong>ch</strong>ein han-<br />
293<br />
Norbert Clemens Baumgart, Zuversi<strong>ch</strong>t und Hoffnung in Verbindung mit der biblis<strong>ch</strong>en Fluterzählung,<br />
in: »Na<strong>ch</strong> uns die Sintflut – oder sind wir s<strong>ch</strong>on mittendrin?« Eine ni<strong>ch</strong>t nur biblis<strong>ch</strong>e<br />
Erzählung für S<strong>ch</strong>ule und Bildungsstätten (in Zusammenarbeit mit P. Höffken und G.<br />
Ringshausen), KFW 2002, Seite 40. Siehe au<strong>ch</strong> Lothar Perlitt, 1. Mose 8,15-22, GPM (Göttinger<br />
Predigtmeditationen) 24 (1970) Seite 392: »Die Flut hat offenbar ni<strong>ch</strong>t den Mens<strong>ch</strong>en<br />
verwandelt, sondern Gott!«
168 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
delt die Erzählung von der großen Flut und der Bewahrung Noahs eben do<strong>ch</strong> von<br />
der S<strong>ch</strong>öpfung eines neuen Mens<strong>ch</strong>entyps. Aus Adam wird Noah. Das mö<strong>ch</strong>te i<strong>ch</strong><br />
im Folgenden begründen.<br />
Gemeinsamkeiten zwis<strong>ch</strong>en Sintfluterzählung und S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t<br />
Die Sintfluterzählung hat man<strong>ch</strong>erlei Ähnli<strong>ch</strong>keiten mit dem S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t<br />
des ersten Kapitels der Genesis. Sie ist daher in ihrer Art eine S<strong>ch</strong>öpfungserzählung.<br />
S<strong>ch</strong>auen wir uns das etwas genauer an. 294<br />
Unser Augenmerk ri<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> auf die Ar<strong>ch</strong>e. Die Bes<strong>ch</strong>reibung derselben in Genesis<br />
6,9-22 weist Übereinstimmungen mit der Darstellung der S<strong>ch</strong>öpfung na<strong>ch</strong><br />
Genesis 1,1-2,4 auf. In beiden Fällen werden Lebensräume ges<strong>ch</strong>affen. Der S<strong>ch</strong>öpfungsraum<br />
von Genesis 1 ers<strong>ch</strong>eint vor unserem geistigen Auge als eine Lebensoder<br />
Luftblase, die allseitig, oben und unten, von Chaoswasser umgeben ist. Ganz<br />
ähnli<strong>ch</strong> verhält es si<strong>ch</strong> mit dem Lebensraum Ar<strong>ch</strong>e. Au<strong>ch</strong> er ist allseitig von Wassermassen<br />
umgeben, wobei die Verpi<strong>ch</strong>ung mit Pe<strong>ch</strong> (Gen 6,14) no<strong>ch</strong> einmal eigens<br />
unsere Aufmerksamkeit darauf ri<strong>ch</strong>tet, dass das lebensbedrohli<strong>ch</strong>e Element<br />
in diesen Raum der Lebensbewahrung ni<strong>ch</strong>t eindringen soll. S<strong>ch</strong>öpfung und Ar<strong>ch</strong>e<br />
sind also als Lebensräume in einer lebensfeindli<strong>ch</strong>en Umgebung konzipiert.<br />
Au<strong>ch</strong> in der Abfolge der Themen ähneln si<strong>ch</strong> die Sintfluterzählung und der S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t.<br />
Beide Texte beginnen mit der S<strong>ch</strong>ilderung des Chaos. Vor den<br />
S<strong>ch</strong>öpfungswerken herrs<strong>ch</strong>te in Genesis 1,2 das Chaos (tohuwabohu) in Gestalt<br />
des wilds<strong>ch</strong>äumenden Urmeeres (tehom). Damit verglei<strong>ch</strong>bar ist, dass vor der<br />
Bauanweisung für den neuen S<strong>ch</strong>öpfungsraum der Ar<strong>ch</strong>e (Gen 6,14-16) ein Gewalt<strong>ch</strong>aos<br />
auf Erden wütete (<strong>ch</strong>amas = Gewalttat in Gen 6,11-13). Zweitens: Beide<br />
Räume, der der S<strong>ch</strong>öpfung und der der Ar<strong>ch</strong>e, wurden na<strong>ch</strong> ihrer Ers<strong>ch</strong>affung zu<br />
Lebensräumen für Tier und Mens<strong>ch</strong> (vgl. Gen 1,20-31 mit Gen 6,18-20). Drittens:<br />
Bei der S<strong>ch</strong>öpfung bestand Gottes letzte Handlung vor der Ruhe des siebenten<br />
Tages darin, dem Mens<strong>ch</strong>en und den Tieren die Nahrung zu geben (Gen 1,29f).<br />
Ebenso bezieht si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> Gottes letzte Weisung an Noah darauf, Nahrung in die<br />
Ar<strong>ch</strong>e zu s<strong>ch</strong>affen (Gen 6,21).<br />
Die strukturellen Parallelen zwis<strong>ch</strong>en dem S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t und der Sintfluterzählung<br />
sind ein erster Hinweis darauf, dass es in Genesis 6 bis 9 um eine neue<br />
S<strong>ch</strong>öpfung oder wie Swedenborg sagt um »eine neue Kir<strong>ch</strong>e« (HG 467) geht. In<br />
beiden Fällen werden Räume gestaltet, in denen si<strong>ch</strong> geistiges Leben inmitten der<br />
Chaosmä<strong>ch</strong>te des Bösen und Fals<strong>ch</strong>en entfalten kann.<br />
294<br />
Die folgenden Beoba<strong>ch</strong>tungen übernehme i<strong>ch</strong> dankbar von Norbert Clemens Baumgart, Die<br />
große Flut und die Ar<strong>ch</strong>e, in: Bibel und Kir<strong>ch</strong>e 1 (2003) 30-36.
Neuanfang mit Noah 169<br />
S<strong>ch</strong>öpfung und Neus<strong>ch</strong>öpfung des Mens<strong>ch</strong>en<br />
Ähnli<strong>ch</strong>keiten zwis<strong>ch</strong>en dem S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t und der Sintfluterzählung zeigen<br />
si<strong>ch</strong> uns au<strong>ch</strong> im Verglei<strong>ch</strong> von Genesis 1,26-31 mit 9,1-7. Die sogenannten noa<strong>ch</strong>itis<strong>ch</strong>en<br />
Gebote von Genesis 9,1-7 thematisieren die Neuordnung oder Neus<strong>ch</strong>öpfung<br />
des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Dasein na<strong>ch</strong> der großen Flut.<br />
In beiden Texten geht es um die Herrs<strong>ch</strong>aft des Mens<strong>ch</strong>en (= des Geistbewusstseins)<br />
über die Tiere (= die Triebsphäre oder das Triebhafte), um den Segen bzw.<br />
die Erneuerung des S<strong>ch</strong>öpfungssegens und um die dem jeweiligen Mens<strong>ch</strong>entyp<br />
entspre<strong>ch</strong>ende Nahrung. S<strong>ch</strong>auen wir uns das anhand der Texte an! Der Herrs<strong>ch</strong>aftsauftrag<br />
wird in Genesis 1,26.28 und 9,2 thematisiert: »Sie sollen herrs<strong>ch</strong>en<br />
über die Fis<strong>ch</strong>e des Meeres und über die Vögel des Himmels und über das Vieh<br />
und über die ganze Erde und über alle krie<strong>ch</strong>enden Tiere, die auf der Erde krie<strong>ch</strong>en!«<br />
(Gen 1,26). »und ma<strong>ch</strong>t sie (eu<strong>ch</strong>) untertan; und herrs<strong>ch</strong>t über die Fis<strong>ch</strong>e<br />
des Meeres und über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die si<strong>ch</strong> auf der<br />
Erde regen!« (Gen 1,28). »Und Fur<strong>ch</strong>t und S<strong>ch</strong>recken vor eu<strong>ch</strong> sei auf allen Tieren<br />
der Erde und auf allen Vögeln des Himmels! Mit allem, was si<strong>ch</strong> auf dem Erdboden<br />
regt, mit allen Fis<strong>ch</strong>en des Meeres sind sie in eure Hände gegeben.« (Gen<br />
9,2). Der S<strong>ch</strong>öpfungssegen wird in Genesis 1,28 und 9,1.7 thematisiert: »Und Gott<br />
segnete sie, und Gott spra<strong>ch</strong> zu ihnen: Seid fru<strong>ch</strong>tbar und vermehrt eu<strong>ch</strong>, und<br />
füllt die Erde« (Gen 1,28). »Und Gott segnete Noah und seine Söhne und spra<strong>ch</strong> zu<br />
ihnen: Seid fru<strong>ch</strong>tbar, und vermehrt eu<strong>ch</strong>, und füllt die Erde!« (Gen 9,1). »Ihr nun,<br />
seid fru<strong>ch</strong>tbar, und vermehrt eu<strong>ch</strong>, wimmelt auf der Erde, und vermehrt eu<strong>ch</strong> auf<br />
ihr!« (Gen 9,7). Die dem jeweiligen Mens<strong>ch</strong>entyp (Adam oder Noah) entspre<strong>ch</strong>ende<br />
Nahrung s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> wird in Genesis 1,29 und 9,3f. thematisiert: »Und Gott<br />
spra<strong>ch</strong>: Siehe, i<strong>ch</strong> habe eu<strong>ch</strong> alles samentragende Kraut gegeben, das auf der Flä<strong>ch</strong>e<br />
der ganzen Erde ist, und jeden Baum, an dem samentragende Baumfru<strong>ch</strong>t ist:<br />
es soll eu<strong>ch</strong> zur Nahrung dienen« (Gen 1,29). »Alles Krie<strong>ch</strong>getier, das lebendig ist,<br />
soll eu<strong>ch</strong> zur Speise sein; wie das grüne Kraut habe i<strong>ch</strong> es eu<strong>ch</strong> alles gegeben.<br />
Nur Fleis<strong>ch</strong> (vermis<strong>ch</strong>t) mit seiner Seele, seinem Blut, sollt ihr ni<strong>ch</strong>t essen!« (Gen<br />
9,3f.).<br />
Dass Genesis 9,1-7 die na<strong>ch</strong>sintflutli<strong>ch</strong>e Aktualisierung der ursprüngli<strong>ch</strong>en<br />
S<strong>ch</strong>öpfungsordnung darstellt, ist aufgrund der Wiederaufnahmen der Themen von<br />
Genesis 1,26-31 offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>. Wenn man diese Verbindungen erst einmal entdeckt<br />
hat, dann werden aber gerade au<strong>ch</strong> die Unters<strong>ch</strong>iede in den beiden Texten<br />
interessant, weil sie einen Einblick in die Andersartigkeit des neuen Mens<strong>ch</strong>en<br />
(Noah) gegenüber dem Urmens<strong>ch</strong>en (Adam) gewähren. Genesis 9,1-7 tönt gewalttätiger.<br />
So ist von »Fur<strong>ch</strong>t und S<strong>ch</strong>recken« die Rede und vor allem ist nun die<br />
Tötung von Tieren und der Fleis<strong>ch</strong>genuss erlaubt, was ein Entgegenkommen gegenüber<br />
der nunmehr tieris<strong>ch</strong>en (= triebhaften) Natur des Mens<strong>ch</strong>en (Gen 8,21)<br />
ist (siehe HG 1002). Die Unters<strong>ch</strong>iede hängen also mit der Integration des Gewaltpotentials<br />
in die neue S<strong>ch</strong>öpfungs- oder Wiedergeburtsordnung zusammen.
170 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Die Entspre<strong>ch</strong>ungsformel von Genesis 1 und Noahs Gehorsam<br />
Die letzte Parallele zwis<strong>ch</strong>en dem S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t und der Sintfluterzählung,<br />
auf die i<strong>ch</strong> hinweisen mö<strong>ch</strong>te, ist die zwis<strong>ch</strong>en den Entspre<strong>ch</strong>ungsformeln von<br />
Genesis 1 und den Aussagen über den Gehorsam Noahs. Im S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t<br />
steht meist zwis<strong>ch</strong>en dem Wortberi<strong>ch</strong>t (»Und Gott spra<strong>ch</strong> …«) und dem Tatberi<strong>ch</strong>t<br />
die Formel: »und dementspre<strong>ch</strong>end ges<strong>ch</strong>ah es« (Gen 1,7.9.11.15.24.30). Sie<br />
bringt zum Ausdruck, dass die Tat (weitgehend) dem Wort oder der Absi<strong>ch</strong>t entspri<strong>ch</strong>t,<br />
weswegen man sie Entspre<strong>ch</strong>ungsformel nennt. In der Sintfluterzählung<br />
wird zweimal Noahs Gehorsam ausdrückli<strong>ch</strong> festgestellt: »Und Noah tat es. Na<strong>ch</strong><br />
allem, wie ihm Gott (Elohim) geboten hatte, so tat er.« (Gen 6,22). »Und Noah tat<br />
na<strong>ch</strong> allem, das Jahwe geboten hatte.« (Gen 7,5). Diese Gehorsamsformeln sind<br />
Neuauflagen der Entspre<strong>ch</strong>ungsformeln des S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>ts. Noah wird in<br />
Genesis 6,18-20 im Rahmen einer Elohimrede und in Genesis 7,1-3 im Rahmen<br />
einer Jahwerede zunä<strong>ch</strong>st dur<strong>ch</strong> das Wort aufgefordert, die Ar<strong>ch</strong>e zu besteigen<br />
(das entspri<strong>ch</strong>t den Wortberi<strong>ch</strong>ten von Genesis 1), um dann na<strong>ch</strong> den Gehorsamsformeln<br />
diese au<strong>ch</strong> tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> in Genesis 7,7 und 7,13 zu besteigen (das entspri<strong>ch</strong>t<br />
den Tatberi<strong>ch</strong>ten von Genesis 1).<br />
Es besteht allerdings an dieser Stelle ein Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en dem S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t<br />
und der Sintfluterzählung. In Genesis 1 ist Gott der Gebietende (Wortberi<strong>ch</strong>t)<br />
und der Vollziehende (Tatberi<strong>ch</strong>t). In der Fluterzählung hingegen ist Gott<br />
bzw. Jahwe zwar immer no<strong>ch</strong> der Gebietende, aber ni<strong>ch</strong>t mehr der Vollziehende,<br />
der heißt nun Noah. Die Gehorsamsformel markiert zwar den na<strong>ch</strong> wie vor bestehenden<br />
Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en Wort und Tat, aber Gott verwirkli<strong>ch</strong>t sein Wort<br />
ni<strong>ch</strong>t mehr selbst. Noah ist Mits<strong>ch</strong>öpfer, er baut die Ar<strong>ch</strong>e, die wir als S<strong>ch</strong>öpfungsraum<br />
erkannt haben, und füllt diesen Raum mit Leben. Die erste S<strong>ch</strong>öpfung<br />
ging aus der Hand Gottes hervor, die zweite, die Ar<strong>ch</strong>e, aber aus der Hand Noahs.<br />
Das wiederholt si<strong>ch</strong> später bei den steinernen Tafeln. Die ersten wurden von Jahwe<br />
gema<strong>ch</strong>t, die zweiten von Mose (siehe HG 10603). Das deutet an, dass die<br />
Unmittelbarkeit der Gottesbeziehung beim na<strong>ch</strong>sintflutli<strong>ch</strong>en, das heißt ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en<br />
Mens<strong>ch</strong>en verloren gegangen ist. Na<strong>ch</strong> Swedenborg bestand die<br />
Unmittelbarkeit des vorges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Urmens<strong>ch</strong>en im Innewerden des Göttli<strong>ch</strong>en<br />
(perceptio), während die Mittelbarkeit des ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en, altorientalis<strong>ch</strong>en<br />
Mens<strong>ch</strong>en in der Ausbildung eines Gottesbewusstseins (conscientia) auf der<br />
Grundlage nunmehr s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>er Überlieferungen göttli<strong>ch</strong>er Selbstmitteilungen<br />
bestand.<br />
Der Bauplan der Ar<strong>ch</strong>e<br />
Die Verbindungslinien zwis<strong>ch</strong>en dem S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t und der Sintfluterzählung<br />
ließen diese als eine Art S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te ers<strong>ch</strong>einen. Do<strong>ch</strong> nun müssen<br />
wir no<strong>ch</strong> einen S<strong>ch</strong>ritt weiter gehen und zeigen, dass die Bewahrung der a<strong>ch</strong>t<br />
Mens<strong>ch</strong>en in der Ar<strong>ch</strong>e ein Bild für die »Wiedergeburt« (HG 606), das heißt für die<br />
Herausbildung eines neuen Mens<strong>ch</strong>entyps ist. Unsere Aufmerksamkeit ri<strong>ch</strong>tet
Neuanfang mit Noah 171<br />
si<strong>ch</strong> hierbei auf den Bauplan der Ar<strong>ch</strong>e (Gen 6,14-16). Denn na<strong>ch</strong> Swedenborg<br />
wurde dur<strong>ch</strong> sie im mythis<strong>ch</strong>en Bilddenken der damaligen Zeit »der Mens<strong>ch</strong> der<br />
alten Kir<strong>ch</strong>e« (HG 896; siehe au<strong>ch</strong> HG 639) dargestellt. Und da Mens<strong>ch</strong> und Kir<strong>ch</strong>e<br />
im Denken Swedenborgs austaus<strong>ch</strong>bare Begriffe sind, konnte er au<strong>ch</strong> sagen,<br />
dass die Ar<strong>ch</strong>e »die (noa<strong>ch</strong>itis<strong>ch</strong>e) Kir<strong>ch</strong>e« (HG 639, 4334) oder das Wesen der<br />
altorientalis<strong>ch</strong>en Religionen abbildete.<br />
Diese Deutungen sind ni<strong>ch</strong>t vollkommen neu. S<strong>ch</strong>on die Kir<strong>ch</strong>enväter verstanden<br />
die Ar<strong>ch</strong>e als Symbol der Kir<strong>ch</strong>e und Bild des Mens<strong>ch</strong>en. Seit Justinus (gest. na<strong>ch</strong><br />
165), Tertullian (gest. um 202), Hippolyt (gest. na<strong>ch</strong> 235), Origenes (gest. um 253)<br />
und Cyprian (gest. 258) »sah man die Ar<strong>ch</strong>e in der Sintflut an als ein S<strong>ch</strong>iff auf<br />
dem Meer und damit als die augenfälligste Präfiguration des S<strong>ch</strong>iffs der Kir<strong>ch</strong>e im<br />
Meer der Welt, die das Alte Testament der typologis<strong>ch</strong>en Interpretation bot.« 295<br />
Einen neutestamentli<strong>ch</strong>en Anknüpfungspunkt bot besonders 1. Petrus 3,20f. Der<br />
Verfasser dieses Briefes sah in der Taufe der Kir<strong>ch</strong>e das Gegenbild (grie<strong>ch</strong>. antitypos)<br />
der seinerzeitigen Rettung der a<strong>ch</strong>t Seelen »dur<strong>ch</strong>s Wasser hindur<strong>ch</strong>«. 296 Die<br />
Ar<strong>ch</strong>e wurde aber au<strong>ch</strong> antropomorph als imago hominis, als Abbild des Mens<strong>ch</strong>en<br />
verstanden, so vor allem von Ambrosius in seiner S<strong>ch</strong>rift »De Noe et arca«,<br />
die si<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> einem Urteil von Hugo Rahner »fast auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> an Philo ans<strong>ch</strong>ließt«.<br />
Philo von Alexandrien (gest. um 45/50 na<strong>ch</strong> Chr.) hat die Ar<strong>ch</strong>e als Bild<br />
des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Körpers aufgefaßt: »Wer die Ar<strong>ch</strong>e lieber hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ihrer natürli<strong>ch</strong>en<br />
Bes<strong>ch</strong>affenheit (oder Bauweise) untersu<strong>ch</strong>en will, der findet in ihr die<br />
Einri<strong>ch</strong>tung des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Körpers«. 297 Au<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong> Ambrosius »findet man im<br />
Aufbau der Ar<strong>ch</strong>e die Gestalt des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Körpers bes<strong>ch</strong>rieben«. 298<br />
Swedenborgs Interpretation des Bauplans der Ar<strong>ch</strong>e als ein dem altorientalis<strong>ch</strong>en<br />
Denken entspre<strong>ch</strong>endes Bild für die geistige Anatomie des neuen Mens<strong>ch</strong>entyps<br />
na<strong>ch</strong> der Sintflut steht also dur<strong>ch</strong>aus in Verbindung mit früh<strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>en Auslegungen,<br />
wennglei<strong>ch</strong> Swedenborg diese keineswegs einfa<strong>ch</strong> übernimmt, sondern<br />
eigene Akzente setzt. Unter dieser Voraussetzung, dass die Ar<strong>ch</strong>e den neuen<br />
295<br />
Hans Martin von Erffa, Ikonologie der Genesis, Band 1, 1989, Seite 451. Siehe au<strong>ch</strong> Hartmut<br />
Boblitz, Die Allegorese der Ar<strong>ch</strong>e Noahs in der frühen Bibelauslegung, in: Frühmittelalterli<strong>ch</strong>e<br />
Studien 6 (1972) Seite 159-170. Tertullian konstatiert in »De baptismo« (VIII,4): »ecclesia est<br />
arcae figura« (die Kir<strong>ch</strong>e ist die Gestalt der Ar<strong>ch</strong>e); oder in »De idolatria« (XXIV,4): »Quod in<br />
arca non fuit, in ecclesia non sit« (Was in der Ar<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>t gewesen ist, sei au<strong>ch</strong> in der Kir<strong>ch</strong>e<br />
ni<strong>ch</strong>t). Eine die Einzelheiten des knappen Bibeltextes aufgreifende und für die Folgezeit<br />
grundlegende Auslegung der Ar<strong>ch</strong>e als Symbol der Kir<strong>ch</strong>e s<strong>ch</strong>uf Origenes in seiner zweiten<br />
Homilie zum Hexateu<strong>ch</strong>.<br />
296<br />
Einen Zusammenhang mit der Taufe deutet au<strong>ch</strong> die Zahl A<strong>ch</strong>t an. A<strong>ch</strong>t Mens<strong>ch</strong>en sind in der<br />
Ar<strong>ch</strong>e. Am a<strong>ch</strong>ten Tag erfolgte die Bes<strong>ch</strong>neidung (Gen 17,12), die das alttestamentli<strong>ch</strong>e Pendant<br />
der Taufe war. Die <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>en Baptisterien und Taufbecken sind oft a<strong>ch</strong>teckig.<br />
297<br />
Der lateinis<strong>ch</strong>e Originaltext na<strong>ch</strong> Boblitz, Seite 166: »Arcam istam si quis velit magis naturaliter<br />
in examen vocare, inveniet humani corporis apparatum« (Quaestiones et solutiones in Genesim).<br />
298<br />
Der lateinis<strong>ch</strong>e Originaltext aus der S<strong>ch</strong>rift »De Noe et arca« lautet: »inueniet in eius exaedificatione<br />
discriptam humani figuram corporis« (na<strong>ch</strong> Boblitz, Seite 166).
172 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Mens<strong>ch</strong>en darstellt, enthalten die Einzelheiten ihres Baus die Informationen zur<br />
Ausgestaltung dieser Grundannahme.<br />
Genesis 6,14 lautet: »Ma<strong>ch</strong>e dir eine Ar<strong>ch</strong>e aus Gopherholz. Mit Kammern ma<strong>ch</strong>e<br />
die Ar<strong>ch</strong>e und verpi<strong>ch</strong>e sie von innen und von außen mit Pe<strong>ch</strong>.« Gopherholz ist<br />
die Substanz der Ar<strong>ch</strong>e. Es bezei<strong>ch</strong>net das lüsterne, triebhafte Wesen des wiederzugebärenden<br />
Mens<strong>ch</strong>en (siehe »concupiscentiae« in HG 640). Diese Bedeutung<br />
ergibt si<strong>ch</strong> aus der Verwandts<strong>ch</strong>aft von »gopher« mit »gaphrit« (S<strong>ch</strong>wefel). Daher<br />
s<strong>ch</strong>reibt Swedenborg: »Gopherholz ist ein Holz, das rei<strong>ch</strong> an S<strong>ch</strong>wefel ist wie die<br />
Tanne und andere derartige Hölzer. Aufgrund des S<strong>ch</strong>wefels bezei<strong>ch</strong>net es die<br />
Lüste (oder Begierden), weil es lei<strong>ch</strong>t Feuer fängt.« (HG 643). Gopher ist aber au<strong>ch</strong><br />
mit Pe<strong>ch</strong> (»kopher«) spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> verwandt. 299 »Kopher« (Pe<strong>ch</strong>) und »gopher« sind<br />
also gewissermaßen »zwei wie Pe<strong>ch</strong> und S<strong>ch</strong>wefel«, die unzertrennli<strong>ch</strong> sind. Während<br />
nun aber das S<strong>ch</strong>wefelholz die Anfälligkeit des erst no<strong>ch</strong> wiederzugebärenden<br />
Mens<strong>ch</strong>en für die lüsterne Übermä<strong>ch</strong>tigung zum Ausdruck bringt, ist mit<br />
dem semantis<strong>ch</strong>en Bild des Pe<strong>ch</strong>s die komplementäre Funktion des S<strong>ch</strong>utzes vor<br />
der drohenden, triebhaften Übers<strong>ch</strong>wemmung gegeben. Pe<strong>ch</strong> (kopher) ist von<br />
dem Verb »kaphar« abgeleitet, dessen Grundbedeutung »überdecken« und »überstrei<strong>ch</strong>en«<br />
ist 300 und in der priesterli<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>e »sühnen« (Sünden überdecken)<br />
bedeutet. Deswegen s<strong>ch</strong>reibt Swedenborg: »Im Grundtext liest man jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t,<br />
dass sie (die Ar<strong>ch</strong>e) mit Pe<strong>ch</strong> verpi<strong>ch</strong>t wurde, sondern es wird ein Wort gebrau<strong>ch</strong>t,<br />
das auf eine Bes<strong>ch</strong>irmung (protectionem) hindeutet und von sühnen (expiare)<br />
oder versöhnen (propitiare) abgeleitet ist, weswegen es Ähnli<strong>ch</strong>es in si<strong>ch</strong><br />
s<strong>ch</strong>ließt.« (HG 645). Die mit Pe<strong>ch</strong> abgedi<strong>ch</strong>tete Ar<strong>ch</strong>e aus Gopherholz (S<strong>ch</strong>wefelholz)<br />
ist also ein kunstvolles Bild des seiner eigenen Triebhaftigkeit verfallenen<br />
Mens<strong>ch</strong>en, der vor si<strong>ch</strong> selbst ges<strong>ch</strong>ützt werden muss, um die Übers<strong>ch</strong>wemmung<br />
des I<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> das unbewusste Es zu verhindern.<br />
Die Bewahrung des Mens<strong>ch</strong>en auf der Grundlage einer Neueinri<strong>ch</strong>tung seines<br />
Geistes (mens) drückte das altorientalis<strong>ch</strong>e Bilddenken mit den Kammern der<br />
Ar<strong>ch</strong>e aus. Swedenborg bezog sie auf die Areale des Großhirns, die am Ende die<br />
beiden Hemisphären bilden. Sie waren für ihn die physis<strong>ch</strong>e Ausprägung der<br />
Zweiteilung des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Geistes in Wille in der re<strong>ch</strong>ten und Verstand in der<br />
linken Gehirnhälfte (HG 641, 644). 301 Die relative Autonomie des Verstandes gegenüber<br />
der Triebsphäre ist na<strong>ch</strong> Swedenborg die Voraussetzung für die Ausbildung<br />
eines neuen (wiedergeborenen) Willens auf der Grundlage eines spirituellen<br />
299<br />
Zur Verwandts<strong>ch</strong>aft von »gopher« mit »gaphrit« (S<strong>ch</strong>wefel) und »kopher« (Pe<strong>ch</strong>) siehe au<strong>ch</strong><br />
Franz Delitzs<strong>ch</strong>, Commentar über die Genesis, 1872, Seite 207.<br />
300<br />
Siehe Franz Delitzs<strong>ch</strong>, Commentar über die Genesis, 1872, Seite 207.<br />
301<br />
Der gegenwärtige Wissensstand kennt »die extreme Spezialisierung der re<strong>ch</strong>ten Hemisphäre<br />
für räumli<strong>ch</strong>-analoge und der linken Hemisphäre für zeitli<strong>ch</strong>-sequentielle Aufgaben« (Niels<br />
Birbaumer, Stephanie Töpfer, Hirnhemisphären und Verhalten, in: Deuts<strong>ch</strong>es Ärzteblatt 1998;<br />
95: A-2844-2848 [Heft 45]). Na<strong>ch</strong> GLW 70 korrespondieren der Raum mit der Liebe und die<br />
Zeit mit der Weisheit.
Neuanfang mit Noah 173<br />
Bewusstseins (conscientia). Der noa<strong>ch</strong>itis<strong>ch</strong>e Mens<strong>ch</strong> ist daher viel intellektueller<br />
und s<strong>ch</strong>riftbezogener als der vorges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Urmens<strong>ch</strong>.<br />
Genesis 6,15 lautet: »Und so sollst du sie ma<strong>ch</strong>en: Dreihundert Ellen die Länge<br />
der Ar<strong>ch</strong>e, fünfzig Ellen ihre Breite und dreißig Ellen ihre Höhe.« Die Zahlen erzählen<br />
uns, was es mit der Ar<strong>ch</strong>e auf si<strong>ch</strong> hat. Dieser Kasten, der a<strong>ch</strong>t Mens<strong>ch</strong>en<br />
aus der Urzeit in die ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>e Zeit hinüberrettete, ist das Sinnbild für die<br />
Überreste (reliquiae, HG 646) der Urkir<strong>ch</strong>e, die die Samenkörner des altorientalis<strong>ch</strong>en<br />
Kulturerwa<strong>ch</strong>ens wurden. Die Hinterlassens<strong>ch</strong>aft der vorges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en<br />
Kir<strong>ch</strong>e war das Wort, das heißt die Vers<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>ung der heno<strong>ch</strong>itis<strong>ch</strong>en Urlehre<br />
(vgl. HG 519). In diese Interpretation Swedenborgs fügen si<strong>ch</strong> die Erkenntnisse<br />
von Friedri<strong>ch</strong> Weinreb bestens ein. Denn erstens bedeutet das hebräis<strong>ch</strong>e Wort<br />
für Ar<strong>ch</strong>e (tebah) au<strong>ch</strong> »Wort« 302 und zweitens ergeben die Zahlen, wenn man für<br />
sie die entspre<strong>ch</strong>enden Bu<strong>ch</strong>staben einsetzt, das hebräis<strong>ch</strong>e Wort für Spra<strong>ch</strong>e<br />
(las<strong>ch</strong>on). 303 Das Wort, na<strong>ch</strong> Swedenborg das sog. Alte Wort, stellt demna<strong>ch</strong> die<br />
Überreste der Innewerdungen der ältesten Kir<strong>ch</strong>e zum Gebrau<strong>ch</strong> für die alte Kir<strong>ch</strong>e<br />
dar. An dieser Stelle zeigt si<strong>ch</strong> nun, dass die relative Unabhängigkeit des<br />
Verstandes die subjektive oder innermens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Voraussetzung für die Nutzung<br />
der objektiven oder äußerli<strong>ch</strong>en Heilsgabe der ges<strong>ch</strong>riebenen Wortes ist. 304<br />
Genesis 6,16 lautet: »Ein Fenster sollst du der Ar<strong>ch</strong>e ma<strong>ch</strong>en. Und na<strong>ch</strong> (dem<br />
Maß ?) der Elle (?) sollst du es oben vollenden (anbringen ?). Und den Eingang der<br />
Ar<strong>ch</strong>e sollst du an die Seite setzen. Mit einem unteren, einem zweiten und dritten<br />
(Stockwerk) sollst du sie ma<strong>ch</strong>en.« Die Erfassung des wörtli<strong>ch</strong>en Sinnes bereitet<br />
S<strong>ch</strong>wierigkeiten. Folgt man Swedenborg, so ist immerhin klar, dass »zohar« Fenster<br />
oder Li<strong>ch</strong>töffnung (ni<strong>ch</strong>t Da<strong>ch</strong>) bedeutet und das Suffix am Verb »vollenden«<br />
das Fenster meint und ni<strong>ch</strong>t die Ar<strong>ch</strong>e. Unklar bleibt allerdings, was der Ausdruck<br />
bedeutet, den i<strong>ch</strong> mit »na<strong>ch</strong> (dem Maß ?) der Elle« (wegen »quoad cubitum«<br />
in HG 655) übersetzt habe. Do<strong>ch</strong> trotz dieser S<strong>ch</strong>wierigkeiten können wir einen<br />
im Hinblick auf unsere These genügend klaren Sinn ermitteln. Während Vers 14<br />
das Augenmerk auf die Triebnatur ri<strong>ch</strong>tet (HG 642, 652), wendet si<strong>ch</strong> Vers 16<br />
nun der intellektuellen Fähigkeit zu (HG 642, 652). Das Fenster steht für den<br />
302<br />
Friedri<strong>ch</strong> Weinreb, S<strong>ch</strong>öpfung im Wort, 2002, Seite 445. I<strong>ch</strong> konnte diese Bedeutung aber<br />
bisher ni<strong>ch</strong>t verifizieren.<br />
303<br />
300 ist der Bu<strong>ch</strong>stabe S<strong>ch</strong>in, 50 ist der Bu<strong>ch</strong>stabe Nun und 30 ist der Bu<strong>ch</strong>stabe Lamed. Diese<br />
drei Bu<strong>ch</strong>staben lassen si<strong>ch</strong> zu dem Wort »las<strong>ch</strong>on« verbinden, das Spra<strong>ch</strong>e bedeutet.<br />
304<br />
Für Noahs Ar<strong>ch</strong>e und Moses »Kästlein« (Ex 2,3.5) steht im hebräis<strong>ch</strong>en Grundtext dasselbe<br />
Wort (»tebah«). Daraus lassen si<strong>ch</strong> Einsi<strong>ch</strong>ten in den inneren Sinn gewinnen. Na<strong>ch</strong> HG 6723<br />
besteht zwis<strong>ch</strong>en Mose, der Vorbildung der Thora, im Kästlein und dem Gesetz in der Lade<br />
eine Beziehung. Interessant ist nun, dass dur<strong>ch</strong> Noah die Lehren der ältesten Kir<strong>ch</strong>e über die<br />
Sintflut hinweg bewahrt worden sind. S<strong>ch</strong>on Swedenborg sah in Noah ni<strong>ch</strong>t nur die alte Kir<strong>ch</strong>e,<br />
sondern au<strong>ch</strong> »die Lehre, die von der ältesten Kir<strong>ch</strong>e her übrig geblieben ist (doctrina<br />
remanens ab Antiquissima)« (HG 530). Lorber wurde konkreter. Noah hat das Bu<strong>ch</strong> Heno<strong>ch</strong><br />
unter dem Titel Kriege Jehovas über die Sintflut herübergebra<strong>ch</strong>t (DT 16,7). Daher kann die<br />
»tebah« als Aufbewahrungsort des göttli<strong>ch</strong> Wahren im überlieferten Wort interpretiert werden.
174 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Li<strong>ch</strong>teinfall des Wahren und die Tür an der Seite der Ar<strong>ch</strong>e für das Hören dur<strong>ch</strong><br />
die Ohren an der Seite des Kopfes. Fenster und Tür verbindet Swedenborg zu einer<br />
Einheit im Sinne des Pauluswortes, dass der Glaube dur<strong>ch</strong> das Hören kommt<br />
(siehe Röm 10,17 und HG 654). Die drei Stockwerke symbolisieren die drei Ebenen<br />
der Wahrheitserfassung: die unterste Ebene der von außen (dur<strong>ch</strong> die Ohren)<br />
aufgenommenen und angeeigneten Kenntnisse, die vermittelnde Ebene der rationalen<br />
Dur<strong>ch</strong>dringung des Stoffes und die oberste Ebene des si<strong>ch</strong> allmähli<strong>ch</strong> einstellenden<br />
Verstehens von innen heraus. Zwis<strong>ch</strong>en Vers 14 und 16 handelt Vers<br />
15 von der Brücke des Wortes. Dur<strong>ch</strong> das äußere Offenbarungswort wird zuerst<br />
das mit den Sinnen verbundene Bewusstsein zu einem Bewusstsein des göttli<strong>ch</strong>en<br />
Wahren umgestaltet (reformatio). Ans<strong>ch</strong>ließend wird auf dieser Grundlage ein<br />
neuer, spiritueller Wille geboren (regeneratio).<br />
Eine Bemerkung zu den Dubletten der Sintfluterzählung: S<strong>ch</strong>on Swedenborg wies<br />
auf zahlrei<strong>ch</strong>e Wiederholungen im Text von Genesis 6 bis 9 hin. Au<strong>ch</strong> die wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />
Fors<strong>ch</strong>ung hat das gesehen und daraus weitrei<strong>ch</strong>ende, quellenkritis<strong>ch</strong>e<br />
S<strong>ch</strong>lüsse gezogen. Die Sintfluterzählungen (in diesem Zusammenhang muss<br />
man den Plural gebrau<strong>ch</strong>en) lassen si<strong>ch</strong> demna<strong>ch</strong> auf zwei und der gesamte Pentateu<strong>ch</strong><br />
auf vier Quellen verteilen. Von Swedenborg herkommend, kann man jedo<strong>ch</strong><br />
zu einer anderen Ansi<strong>ch</strong>t gelangen. Dass gerade in Genesis 6 bis 9 die Dubletten<br />
so zahlrei<strong>ch</strong> und ineinander verwoben sind, hängt mit der hier thematisierten<br />
Zweiteilung des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Geistes zusammen. Aber au<strong>ch</strong> unabhängig<br />
davon sollten die Wiederholungen im Pentateu<strong>ch</strong> vor dem Hintergrund des altorientalis<strong>ch</strong>en<br />
Erzählens und des Parallelismus membrorum der hebräis<strong>ch</strong>en Poesie<br />
gesehen werden.
Neuanfang mit Noah 175<br />
Das Bundeszei<strong>ch</strong>en: Gottes Bogen in den Wolken<br />
Der Bauplan der Ar<strong>ch</strong>e bes<strong>ch</strong>rieb, wie wir gesehen haben, den Bauplan des neuen<br />
Mens<strong>ch</strong>entyps, den Swedenborg den geistigen Mens<strong>ch</strong>en der alten Kir<strong>ch</strong>e im<br />
Unters<strong>ch</strong>ied zum himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en der ältesten Kir<strong>ch</strong>e nannte. Die Kammerbauweise<br />
verstanden wir, insbesondere insofern damit au<strong>ch</strong> die beiden Hemisphären<br />
des Großhirns gemeint waren, als einen Hinweis auf die relative Selbständigkeit<br />
des Verstandes gegenüber der Triebsphäre, die der unwiedergeborene<br />
Mens<strong>ch</strong> mit den Tieren gemeinsam hat. Das Bundeszei<strong>ch</strong>en des Regenbogens, auf<br />
das i<strong>ch</strong> abs<strong>ch</strong>ließend eingehen mö<strong>ch</strong>te, führt uns in die Geheimnisse (arcana) der<br />
Verbindung des Herrn mit diesem neuen Mens<strong>ch</strong>entyp ein und soll ein letzter<br />
Blick auf die Wesensart des »homo spiritualis« sein.<br />
Der Regenbogen als Bundeszei<strong>ch</strong>en (Gen 9,12-17) zeigt an, dass das Spiel des<br />
geistigen (oder spirituellen) Li<strong>ch</strong>tes beim geistigen (oder spirituellen) Mens<strong>ch</strong>en<br />
der Indikator seiner Verbindung mit dem Herrn ist und seiner von daher bestimmten<br />
Wesensart. Dieses Bundeszei<strong>ch</strong>en des Bogens in den Wolken bezei<strong>ch</strong>net<br />
mit anderen Worten, so formuliert es Swedenborg, »den Zustand des wiedergeborenen<br />
geistigen Mens<strong>ch</strong>en« (HG 1042).<br />
»Bund« bedeutet »Verbindung (conjunctio)« (HG 665). Und weil diese Verbindung<br />
mit dem Herrn nur bei denen besteht, die wiedergeboren werden, deswegen ist<br />
»Bund« im weitesten Sinne auf »die Wiedergeburt (regeneratio)« zu beziehen (HG<br />
665). Unter dem »Zei<strong>ch</strong>en des Bundes« (Gen 9,12) ist dementspre<strong>ch</strong>end »das<br />
si<strong>ch</strong>tbare Anzei<strong>ch</strong>en oder Indiz der Gegenwart des Herrn (indicium praesentiae<br />
Domini)« (HG 1038) zu verstehen. Konkret ist das die »<strong>ch</strong>aritas«. Das ist im Unters<strong>ch</strong>ied<br />
zur Herzensliebe (amor) die geistige Liebe, die auf ein an Werten orientiertes<br />
Na<strong>ch</strong>denken (Reflexion) beruht. Sie ist das äußerli<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong>tbare Anzei<strong>ch</strong>en<br />
der Anwesenheit des Herrn beim geistigen oder spirituellen Mens<strong>ch</strong>en. Zur Wesensart<br />
dieses Mens<strong>ch</strong>entyps gehört es also, dass die Erneuerung seiner ganzen<br />
Lebensart bis hinunter in den natürli<strong>ch</strong>en Berei<strong>ch</strong> des Tuns auf einen gedankli<strong>ch</strong>en<br />
Prozess beruht.<br />
Unter dem »Bogen in den Wolken« ist im natürli<strong>ch</strong>en Sinn der Himmel und Erde<br />
verbindende »Regenbogen (arcus iridis)« (HG 1042) zu verstehen. Die historis<strong>ch</strong>e<br />
Fors<strong>ch</strong>ung vermutet dahinter Gottes Kriegsbogen bzw. genauer »den zur Perserzeit<br />
gebräu<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Kompositbogen« 305 . Die geistige Fors<strong>ch</strong>ung na<strong>ch</strong> Swedenborg<br />
hingegen vermutet hinter diesem Bogen in den Wolken eine Bes<strong>ch</strong>reibung dafür,<br />
wie die Geburt aus Wasser und Geist (Joh 3,5) dem geistigen Auge zur Ers<strong>ch</strong>einung<br />
kommt (siehe HG 1042). Swedenborg weiß zu beri<strong>ch</strong>ten: »Um das Haupt«<br />
der geistigen Engel ers<strong>ch</strong>eint so etwas »wie ein Regenbogen«, denn »ihr dem Geistigen<br />
entspre<strong>ch</strong>endes Natürli<strong>ch</strong>es gewährt einen sol<strong>ch</strong>en Anblick«. Dieser farbige<br />
Bogen ist »eine Modifikation des geistigen Li<strong>ch</strong>tes vom Herrn im Natürli<strong>ch</strong>en der<br />
305<br />
Horst Seebass, Genesis I: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), 1996, Seite 227.
Der Turm zu Babel 177<br />
Der Turm zu Babel<br />
Swedenborgs Übersetzung von Genesis 11,1-9<br />
Abbildung 6: Swedenborgs Übersetzung von Genesis 11,1-9 aus »Arcana Coelestia«, Erstausgabe<br />
London 1749.<br />
Meine Übersetzung von Genesis 11,1-9<br />
1. Und die ganze Erde hatte eine Spra<strong>ch</strong>e und einerlei Worte. 2. Und es ges<strong>ch</strong>ah,<br />
als sie von Osten aufbra<strong>ch</strong>en und ein Tal im Lande S<strong>ch</strong>inear fanden und dort<br />
wohnten. 3. Und sie spra<strong>ch</strong>en, ein Mann zu seinem Genossen: Wohlan, backen<br />
wir Backsteine und brennen wir sie im Feuer. Und so diente ihnen der Backstein<br />
als Baustein und das Erdpe<strong>ch</strong> als Mörtel. 4. Und sie spra<strong>ch</strong>en: Wohlan, bauen wir<br />
uns eine Stadt und einen Turm und seine Spitze sei im Himmel. Und ma<strong>ch</strong>en wir<br />
uns einen Namen, damit wir uns ni<strong>ch</strong>t über die Oberflä<strong>ch</strong>e der ganzen Erde zerstreuen.<br />
5. Und der Herr stieg herab, um die Stadt und den Turm zu sehen, den<br />
die Söhne des Mens<strong>ch</strong>en bauten. 6. Und der Herr spra<strong>ch</strong>: Siehe, ein Volk und eine
178 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Spra<strong>ch</strong>e unter ihnen allen. Und dies ist der Anfang ihres Tuns. Und nun wird ihnen<br />
ni<strong>ch</strong>ts mehr unzugängli<strong>ch</strong> sein, was sie gedenken zu tun. 7. Wohlan, steigen<br />
wir herab und verwirren wir dort ihre Spra<strong>ch</strong>e, damit ein Mann ni<strong>ch</strong>t die Spra<strong>ch</strong>e<br />
seines Genossen verstehe. 8. Und der Herr zerstreute sie von dort über die Oberflä<strong>ch</strong>e<br />
der ganzen Erde. Und sie hörten auf, die Stadt zu bauen. 9. Deshalb nennt<br />
man ihren Namen Babel, denn dort verwirrte der Herr die Spra<strong>ch</strong>e der ganzen<br />
Erde und von dort zerstreute der Herr sie über die Oberflä<strong>ch</strong>e der ganzen Erde.<br />
Der innere Sinn<br />
1. Ursprüngli<strong>ch</strong> hatten die Mens<strong>ch</strong>en der Kir<strong>ch</strong>e eine klare und einheitli<strong>ch</strong>e Vorstellung<br />
von den religiösen Dingen, und zwar von den allgemeinen Grundzügen<br />
ebenso wie von den Einzelheiten. 2. Do<strong>ch</strong> dann entfernte man si<strong>ch</strong> innerli<strong>ch</strong> von<br />
der tätigen Liebe, dem lebendigen Ausdruck jeder Religion. Dadur<strong>ch</strong> wurde die<br />
Verehrung des göttli<strong>ch</strong>en Wesens gröber und weltli<strong>ch</strong>er und der Lebenswandel<br />
oberflä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er. 3. Man begann die eigenen Interessen zur Grundlage des Denkens<br />
zu ma<strong>ch</strong>en, so dass man nur no<strong>ch</strong> Fals<strong>ch</strong>es denken konnte, das man jedo<strong>ch</strong><br />
für wahr hielt. Und die eigenen Interessen hielt man für gut. 4. Aus dieser Gesinnung<br />
erwu<strong>ch</strong>s ein eigenes Lehrgebäude, dessen Zentrum jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts als Selbstanbetung<br />
und Überhebli<strong>ch</strong>keit war. Selbst die himmlis<strong>ch</strong>en und religiösen Dinge<br />
wollte man si<strong>ch</strong> untertan ma<strong>ch</strong>en. Man wollte als ma<strong>ch</strong>tvoll gelten und allgemeine<br />
Anerkennung finden. 5. Do<strong>ch</strong> die eigensinnigen Denkweisen in den Köpfen der<br />
Großen ri<strong>ch</strong>ten si<strong>ch</strong> selbst zugrunde. 6. Hatte man ursprüngli<strong>ch</strong> aus dem Leben<br />
der Religion heraus das allgemeine Wohl im Auge, so veränderte si<strong>ch</strong> nun die<br />
innere Lebensausri<strong>ch</strong>tung vollständig und damit au<strong>ch</strong> die gesamte Gemütsverfassung.<br />
7. Keiner war mehr in der Lage, die Wahrheit zu erkennen. Stattdessen propagierte<br />
jeder nur no<strong>ch</strong> seine eigene Meinung, so dass große Uneinigkeit herrs<strong>ch</strong>te.<br />
8. Folgli<strong>ch</strong> blieb gerade das aus, was man eigentli<strong>ch</strong> su<strong>ch</strong>te: Die Anerkennung<br />
dur<strong>ch</strong> andere und die allgemeine Geltung der eigenen Meinung. 9. Das ist die<br />
Bes<strong>ch</strong>affenheit und das S<strong>ch</strong>icksal derer, die das göttli<strong>ch</strong>e Wesen nur no<strong>ch</strong> äußerli<strong>ch</strong><br />
verehren, in toten Formen, und die innere Anbetung des Guten und Wahren<br />
längst aufgegeben haben.
Bauvorhaben endet im Dur<strong>ch</strong>einander: Eine Auslegung von Genesis 11,1 bis 9 … 179<br />
Bauvorhaben endet im Dur<strong>ch</strong>einander:<br />
Eine Auslegung von Genesis 11,1 bis 9<br />
aus der S<strong>ch</strong>ule Swedenborgs<br />
Eine Übers<strong>ch</strong>rift für Genesis 11,1 bis 9<br />
Eine passende Übers<strong>ch</strong>rift ist ni<strong>ch</strong>t lei<strong>ch</strong>t zu finden. Meist steht der Turm im Mittelpunkt.<br />
In den Bibelausgaben lautet die Übers<strong>ch</strong>rift in der Regel entweder »Der<br />
Turm zu Babel« 306 oder »Der Turmbau zu Babel« 307 . Au<strong>ch</strong> in der Ikonographie dominiert<br />
das Motiv des Turmes, entweder sein Bau oder seine Zerstörung, die allerdings<br />
im Alten Testament ni<strong>ch</strong>t erwähnt wird (LCI 1,237). Demgegenüber<br />
s<strong>ch</strong>eint der urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Erzählung die Stadt wi<strong>ch</strong>tiger zu sein. Denn in den<br />
Versen 4 und 5 wird erst die Stadt und dann der Turm genannt. Und in Vers 8 ist<br />
nur von der Stadt die Rede, die im S<strong>ch</strong>lussvers den Namen Babel erhält. Jedo<strong>ch</strong><br />
hat der Leser wohl ni<strong>ch</strong>t zu Unre<strong>ch</strong>t den Eindruck, dass der Turm das Wahrzei<strong>ch</strong>en<br />
308 dieser Stadt ist. In ihm verdi<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> die Bedeutung der Weltstadt am<br />
Euphrat.<br />
Selten wird die Spra<strong>ch</strong>verwirrung in der Übers<strong>ch</strong>rift genannt. Hermann Menge ist<br />
eine sol<strong>ch</strong>e Seltenheit, er wählte »Der Turmbau zu Babel und die Spra<strong>ch</strong>verwirrung«,<br />
und Horst Seebass ents<strong>ch</strong>ied si<strong>ch</strong> in seinem Genesiskommentar für<br />
»Spra<strong>ch</strong>en (11,1-9)« 309 . Dieses Motiv ist tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ein wesentli<strong>ch</strong>er Bestandteil,<br />
denn es rahmt die Erzählung.<br />
Genesis 11,1 bis 9 hat sona<strong>ch</strong> zwei S<strong>ch</strong>werpunkte, das Bauvorhaben und das<br />
spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Dur<strong>ch</strong>einander. Daher meinte Georg Lorenz Bauer: »Man kann einen<br />
doppelten Mythos unters<strong>ch</strong>eiden, den vom Thurmbau, … und den anderen vom<br />
Ursprung der Spra<strong>ch</strong>e.« 310 Vor dem Hintergrund dieser ungewöhnli<strong>ch</strong>en Motivkombination<br />
kann es als eine Aufgabe der geistigen Exegese angesehen werden,<br />
den inneren Zusammenhang zwis<strong>ch</strong>en den beiden Motiven herauszuarbeiten.<br />
Warum endet das Städtebauvorhaben in der babylonis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>verwirrung?<br />
Ein Erdbeben hätte dem stolzen Turm do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> ein Ende bereiten können.<br />
Übersetzung von Genesis 11,1 bis 9<br />
1. Und die ganze Erde hatte eine Lippe und dieselben Worte. 2. Und es ges<strong>ch</strong>ah,<br />
als sie von Osten aufbra<strong>ch</strong>en, da fanden sie ein Tal im Lande S<strong>ch</strong>inar und wohnten<br />
306<br />
Zür<strong>ch</strong>er Bibel 1931, Tafelbibel in der Revision von Ludwig H. Tafel (dort ohne Artikel).<br />
307<br />
Lutherbibel 1984, Einheitsübersetzung, Elberfelder Bibel 1985.<br />
308<br />
Dazu passt, dass der innere Sinn von Babel (HG 1326) und au<strong>ch</strong> vom Turm (HG 1306) der<br />
cultus sui ist. Die Bedeutung der Stadt verdi<strong>ch</strong>tet si<strong>ch</strong> also im Turm. »Dur<strong>ch</strong> den Turm wird<br />
hier Babels Bes<strong>ch</strong>affenheit bes<strong>ch</strong>rieben.« (HG 1303).<br />
309<br />
Horst Seebass. Genesis, 1. Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1 - 11,26). Neukir<strong>ch</strong>en-Vluyn 1996, 269.<br />
310<br />
G. L. Bauer, Hebräis<strong>ch</strong>e Mythologie des alten und neuen Testaments, 1802, 226.
180 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
dort. 3. Und sie spra<strong>ch</strong>en, ein Mann zu seinem Genossen: Wohlan, lasst uns Ziegel<br />
ziegeln und zu Gebranntem brennen. Und so hatten sie Ziegel statt Stein und<br />
Erdpe<strong>ch</strong> statt Lehm. 4. Und sie spra<strong>ch</strong>en: Wohlan, lasst uns eine Stadt und einen<br />
Turm bauen, und sein Haupt sei im Himmel. Und lasst uns einen Namen ma<strong>ch</strong>en,<br />
damit wir uns ni<strong>ch</strong>t über die Angesi<strong>ch</strong>te der ganzen Erde zerstreuen. 5. Und<br />
JHWH stieg herab, um die Stadt und den Turm zu sehen, den die Söhne des Mens<strong>ch</strong>en<br />
bauten. 6. Und JHWH spra<strong>ch</strong>: Siehe, ein Volk sind sie, und eine Lippe haben<br />
sie alle, und dies ist der Anfang ihres Tuns. Und nun wird von ihnen ni<strong>ch</strong>ts ferngehalten<br />
werden, was sie gedenken zu tun. 7. Wohlan, lasst uns hinabsteigen und<br />
dort ihre Lippe verwirren, damit sie ni<strong>ch</strong>t hören, ein Mann die Lippe seines Genossen.<br />
8. Und JHWH zerstreute sie von dort über die Angesi<strong>ch</strong>te der ganzen Erde.<br />
Und sie hörten auf, die Stadt zu bauen. 9. Deswegen nannte man ihren Namen<br />
Babel, denn dort verwirrte JHWH die Lippe der ganzen Erde, und von dort zerstreute<br />
sie JHWH über die Angesi<strong>ch</strong>te der ganzen Erde.<br />
Zusätzli<strong>ch</strong>e Informationen zum Urtext und zur Übersetzung<br />
Diese Übersetzung basiert auf dem Urtext und steht in der Tradition der lateinis<strong>ch</strong>en<br />
Übersetzung Swedenborgs und der deuts<strong>ch</strong>en Übersetzungen der Swedenborgianer<br />
Leonhard und Ludwig Tafel. Sie alle waren si<strong>ch</strong> des inneren Sinnes<br />
bewusst, denno<strong>ch</strong> bleibt jede Übersetzung unvollkommen. Deswegen mö<strong>ch</strong>te i<strong>ch</strong><br />
einige zusätzli<strong>ch</strong>e Informationen zum Urtext und zur Übersetzung geben.<br />
In Swedenborgs Besitz befanden si<strong>ch</strong> mehrere lateinis<strong>ch</strong>e Übersetzungen der<br />
Bibel, eine davon war die des Straßburger Theologen Sebastian S<strong>ch</strong>mid. Swedenborgs<br />
Übersetzung von Genesis 11,1 bis 9, abgedruckt in den Himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnissen,<br />
und die von S<strong>ch</strong>mid sind si<strong>ch</strong> sehr ähnli<strong>ch</strong>. Um so interessanter sind<br />
die wenigen Abwei<strong>ch</strong>ungen, von denen die wi<strong>ch</strong>tigsten in der Anmerkung genannt<br />
sind. 311 Sie zeigen, dass Swedenborg eine mögli<strong>ch</strong>st wörtli<strong>ch</strong>e Übertragung<br />
der hebräis<strong>ch</strong>en Vorlage anstrebte.<br />
I<strong>ch</strong> habe das Tetragramm unvokalisiert gelassen. Swedenborg liest mit seiner Zeit<br />
bekanntli<strong>ch</strong> Jehovah. Diese Ausspra<strong>ch</strong>e beruht jedo<strong>ch</strong> auf einem Irrtum. Aufgrund<br />
von »Angaben bei den Kir<strong>ch</strong>envätern« 312 nimmt man heute an, dass Jahwe ri<strong>ch</strong>tig<br />
ist. Die heilige S<strong>ch</strong>rift (Exodus 3,14) und mit ihr Swedenborg (WCR 19) dur<strong>ch</strong>hellen<br />
den Gottesnamen vom hebräis<strong>ch</strong>en Verb »sein«. Das unvokalisierte Tetragramm<br />
bringt zum Ausdruck, dass die Unendli<strong>ch</strong>keit des Seins (WCR 36) unausspre<strong>ch</strong>bar<br />
ist.<br />
311<br />
Vers 1: tota terra bei Swedenborg statt universa terra bei S<strong>ch</strong>mid. Vers 2: vallem statt vallem<br />
planam. Vers 3. laterificemus lateres statt formemus lateres. aduramus in adustum statt aduramus<br />
in coctile. pro luto statt pro caemento. Vers 4. dispergamur statt dispergi cogamur. Vers 7.<br />
audiant statt intelligant. Vers 9. totius terrae statt universae terrae.<br />
312<br />
Walther Zimmerli, Grundriß der alttestamentli<strong>ch</strong>en Theologie, 1989, Seite 12.
Bauvorhaben endet im Dur<strong>ch</strong>einander: Eine Auslegung von Genesis 11,1 bis 9 … 181<br />
Um der vorphilosophis<strong>ch</strong>en Sinnli<strong>ch</strong>keit der hebräis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>e etwas näher zu<br />
kommen, steht in der Übersetzung Erde statt Erdbewohner oder Mens<strong>ch</strong>en (11,1),<br />
Lippe statt Spra<strong>ch</strong>e (11,1), Haupt statt Spitze (11,4) und Angesi<strong>ch</strong>te der Erde statt<br />
Oberflä<strong>ch</strong>e der Erde (11,4.8.9). Allerdings hat uns die abendländis<strong>ch</strong>e Tradition<br />
der philosophis<strong>ch</strong>-abstrakten Begriffsbildung das Urerlebnis des Bildes so sehr<br />
vers<strong>ch</strong>lossen, dass seine Sinnli<strong>ch</strong>keit in einer Übersetzung kaum zum Na<strong>ch</strong>erleben<br />
gebra<strong>ch</strong>t werden kann. Zwar ist Idee von sehen abgeleitet, aber unser Geist<br />
ist längst erblindet. Er sieht ni<strong>ch</strong>ts mehr, er denkt nur no<strong>ch</strong>.<br />
Vers 1. Der hebräis<strong>ch</strong>e Text beginnt mit einer S<strong>ch</strong>wierigkeit, nämli<strong>ch</strong> einem Kongruenzproblem.<br />
Auf eine maskuline Verbform (= er war) folgt ein feminines Subjekt<br />
(= die Erde). 313 I<strong>ch</strong> bin mir ni<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>er, wel<strong>ch</strong>e Bedeutung i<strong>ch</strong> dieser spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />
Beoba<strong>ch</strong>tung beimessen soll. I<strong>ch</strong> erwäge aber die Mögli<strong>ch</strong>keit, dass dadur<strong>ch</strong><br />
die Vermännli<strong>ch</strong>ung der weibli<strong>ch</strong>-empfangenden Mutter Erde angedeutet werden<br />
soll. Der Turm, dessen Spitze in den Himmel hineinragen soll, könnte au<strong>ch</strong> ein<br />
Symbol des männli<strong>ch</strong>en Zeugungsgliedes sein. Die Erde will in den Himmel eindringen,<br />
sie will ihn über-zeugen anstatt si<strong>ch</strong> von ihm befru<strong>ch</strong>ten oder überzeugen<br />
zu lassen.<br />
In der Tradition Swedenborgs stehend, habe i<strong>ch</strong> mi<strong>ch</strong> für Lippe und Worte ents<strong>ch</strong>ieden.<br />
Das hebräis<strong>ch</strong>e sapah bedeutet Lippe und Rand, gesehen wird demna<strong>ch</strong><br />
die Umrandung des Mundes. Die Septuaginta, die grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Übersetzung der<br />
heiligen S<strong>ch</strong>rift, die im 3. und 2. Jahrhundert vor Christus in Ägypten entstanden<br />
ist, bewahrt dieses Bild rein, denn <strong>ch</strong>eilos bedeutet ebenfalls Lippe und Rand. Das<br />
hebräis<strong>ch</strong>e dabar deutet auf das, was dur<strong>ch</strong> diese Mündung (oder Öffnung des<br />
Mundes) hervorgebra<strong>ch</strong>t wird, also auf die Lautgebilde, die Worte oder die Rede.<br />
Die Übersetzer der Septuaginta wählten phone (Laut, Rede).<br />
Vers 2. I<strong>ch</strong> habe miqqedem mit »von Osten« übersetzt. In mehreren Bibeln ist jedo<strong>ch</strong><br />
»na<strong>ch</strong> Osten« zu finden, beispielsweise in der Lutherbibel 1984, bei Hermann<br />
Menge und in der Verdeuts<strong>ch</strong>ung der S<strong>ch</strong>rift von Martin Buber und Franz<br />
Rosenzweig. Do<strong>ch</strong> der innere Sinn spri<strong>ch</strong>t für die erste Mögli<strong>ch</strong>keit, au<strong>ch</strong> für<br />
Horst Seebass ist das »die näherliegende Übersetzung« 314 . Interessant ist, dass<br />
qedem au<strong>ch</strong> die Bedeutung von Urzeit oder Vorzeit hat, also au<strong>ch</strong> die älteste Kir<strong>ch</strong>e<br />
meint. Die »Tage der Vorzeit« (kime qedem) in Jesaja 51,9 stehen na<strong>ch</strong> Swedenborg<br />
»für den Zustand und die Zeit der ältesten Kir<strong>ch</strong>e« (HG 6239). Demna<strong>ch</strong><br />
könnte der Aufbru<strong>ch</strong> von Osten au<strong>ch</strong> die Entfernung von den no<strong>ch</strong> lebendigen<br />
Überlieferungen der Urkir<strong>ch</strong>e in si<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ließen.<br />
Die hebräis<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e kennt mehrere Wörter für Tal. Das hier verwendete biqah<br />
wird gewöhnli<strong>ch</strong> von dem hebräis<strong>ch</strong>en Verb für spalten abgeleitet, wobei jedo<strong>ch</strong><br />
313<br />
Der Vors<strong>ch</strong>lag von Horst Seebass zur Lösung dieses Problems befriedigt mi<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t. Er übersetzt:<br />
»Und es ges<strong>ch</strong>ah: die ganze Erd(bewohners<strong>ch</strong>aft) war eine Lippe mit denselben Worten.«<br />
(a.a.O., 270). Das lässt ein Ges<strong>ch</strong>ehen erwarten. Tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> folgt aber ein Zustand.<br />
314<br />
a.a.O., 270.
182 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
hinzugefügt werden muss, dass diese Ableitung umstritten ist. Spalten würde<br />
aber gut zur analytis<strong>ch</strong>-zerlegenden Tätigkeit des Intellekts passen. Dem entspri<strong>ch</strong>t,<br />
dass in den Versen 3 bis 4 erst die Bauelemente Ziegel und Lehm und<br />
dann der Bau genannt werden. Die Bewegung rückt also von den Bestandteilen<br />
zum Ganzen vor. Das ist die Denkbewegung des äußeren Mens<strong>ch</strong>en. Der innere<br />
Mens<strong>ch</strong> hingegen geht von der Ganzheitss<strong>ch</strong>au aus.<br />
Vers 3. Anstelle von »ein Mann zu seinem Genossen« steht in der Elberfelder Bibel<br />
»einer zum anderen« und in den vers<strong>ch</strong>iedenen Ausgaben der Tafelbibel sogar<br />
nur »zu einander«. I<strong>ch</strong> habe mi<strong>ch</strong> für die wörtli<strong>ch</strong>ere Variante ents<strong>ch</strong>ieden, weil<br />
darin die Eintra<strong>ch</strong>t oder das Wir-Gefühl stärker zum Ausdruck kommt, das au<strong>ch</strong><br />
in der 1. Person Plural (lasst uns ziegeln, brennen, bauen, ma<strong>ch</strong>en, 11,3-4) spürbar<br />
ist.<br />
Zu bea<strong>ch</strong>ten sind die etymologis<strong>ch</strong>en Figuren, »Ziegel ziegeln« (= Ziegel strei<strong>ch</strong>en)<br />
und »zu Gebranntem brennen« (= hart brennen).<br />
Kaum übersetzbar sind die Laut- und Sinngemeinsamkeiten zwis<strong>ch</strong>en Ziegel (lamed-beth-nun-he)<br />
und Stein (aleph-beth-nun) einerseits und Erdpe<strong>ch</strong> (<strong>ch</strong>et-memres<strong>ch</strong>)<br />
und Lehm (<strong>ch</strong>et-mem-res<strong>ch</strong>) andererseits. In der Verdeuts<strong>ch</strong>ung von Martin<br />
Buber und Franz Rosenzweig lesen wir: »So war ihnen der Backstein statt Baustein<br />
und das Roherdpe<strong>ch</strong> war ihnen statt Roterdmörtels.« Den hebräis<strong>ch</strong>en Wörtern<br />
für Ziegel und Stein ist die Lautverbindung bn (beth-nun) gemeinsam. Sie<br />
findet si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> im hebräis<strong>ch</strong>en Wort für bauen (beth-nun-he), und Ben (beth-nun)<br />
heißt Sohn. Erdpe<strong>ch</strong> und Lehm haben völlig dieselben Konsonanten, sie unters<strong>ch</strong>eiden<br />
si<strong>ch</strong> nur in der Vokalisation.<br />
Indem i<strong>ch</strong> »Lehm« wähle, folge i<strong>ch</strong> Swedenborg, der bei Sebastian S<strong>ch</strong>mid caementum<br />
vorfand, si<strong>ch</strong> stattdessen aber für lutum ents<strong>ch</strong>ied. Dem Material na<strong>ch</strong> ist<br />
Lehm, der Verwendung na<strong>ch</strong> jedo<strong>ch</strong> Mörtel gemeint.<br />
Vom inneren Sinn her bevorzugt die swedenborgs<strong>ch</strong>e Übersetzungstradition<br />
»statt«. Spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> korrekt ist aber au<strong>ch</strong> »als«: »Und der Ziegel diente ihnen als<br />
Stein und das Erdpe<strong>ch</strong> als Lehm.«<br />
Vers 4. Das Wort für Turm (migdal) ist aus mem = M und »groß sein« zusammengesetzt.<br />
M ist in fast allen Spra<strong>ch</strong>en der Mutterlaut, das heißt der Laut der Formbildung.<br />
Der Turm ist demna<strong>ch</strong> die Form der Größe, der eigenen, selbsterri<strong>ch</strong>teten<br />
Größe na<strong>ch</strong> der Abkehr von Osten. Sie soll bis an oder sogar bis in den Himmel<br />
rei<strong>ch</strong>en.<br />
Vers 5. Beim Verb jarad muss si<strong>ch</strong> der Übersetzer zwis<strong>ch</strong>en hinabsteigen oder<br />
herabsteigen ents<strong>ch</strong>eiden. Spri<strong>ch</strong>t der Urtext also vom Standpunkt Jahwes, der<br />
hinabsteigt, oder der Mens<strong>ch</strong>en, die sehen, wie er herabsteigt?<br />
Das Relativpronomen kann auf Stadt und Turm oder nur auf den Turm bezogen<br />
werden. Swedenborg hat es nur auf den Turm bezogen, wobei ni<strong>ch</strong>t si<strong>ch</strong>er ist, ob
Bauvorhaben endet im Dur<strong>ch</strong>einander: Eine Auslegung von Genesis 11,1 bis 9 … 183<br />
er die andere Mögli<strong>ch</strong>keit überhaupt gesehen hat. Am Sinn ändert das aber ni<strong>ch</strong>t<br />
viel.<br />
Vers 6. Lo jibbaser mehem übersetzt Swedenborg mit »es würde ni<strong>ch</strong>t ferngehalten<br />
werden von ihnen« (non prohiberetur ab iis). Die ganze Aussage versteht er demna<strong>ch</strong><br />
so: »Alles, was sie gedenken zu tun, würde nun (wenn Jahwe ni<strong>ch</strong>t herabsteigen<br />
würde) ni<strong>ch</strong>t (mehr) von ihnen ferngehalten werden.« Mit dem Bau der<br />
Stadt und des Turmes übers<strong>ch</strong>reiten die Bauleute eine S<strong>ch</strong>welle. Sie begeben si<strong>ch</strong><br />
ganz in die Hand ihres eigenen Denkens und liefern si<strong>ch</strong> ihm s<strong>ch</strong>utzlos aus. Das<br />
eigene Denken kann nun, na<strong>ch</strong>dem die Hemms<strong>ch</strong>welle überwunden ist, ni<strong>ch</strong>t<br />
mehr von ihnen ferngehalten werden. Mögli<strong>ch</strong> ist au<strong>ch</strong> die folgende Übersetzung:<br />
»Alles, was sie gedenken zu tun, wird ihnen (= von ihnen aus gesehen) nun ni<strong>ch</strong>t<br />
(mehr) unzugängli<strong>ch</strong> sein.« Mit der Absi<strong>ch</strong>t, einen Turm zu bauen, dessen Spitze<br />
im Himmel sein soll, haben sie alle Grenzen zumindest mental abges<strong>ch</strong>üttelt,<br />
ni<strong>ch</strong>ts s<strong>ch</strong>eint unzugängli<strong>ch</strong>, ni<strong>ch</strong>ts unmögli<strong>ch</strong>.<br />
Vers 7. Balal bedeutet vermengen und verwirren. Dieselbe Bedeutung haben au<strong>ch</strong><br />
confundere bei Swedenborg und syn<strong>ch</strong>ein in der Septuaginta. Na<strong>ch</strong> der Abkehr<br />
vom inneren Li<strong>ch</strong>t des Geistes (= Auszug von Osten) werden Gedanken und Begriffe<br />
ohne Rücksi<strong>ch</strong>t auf den inneren Zusammenhang miteinander vermengt. Da<br />
die strukturierende Kraft des Li<strong>ch</strong>tes erlos<strong>ch</strong>en ist, geht die Ordnung in der Begriffswelt<br />
verloren. Das jeweils aktuelle Dur<strong>ch</strong>einander, die Muster, die aus den<br />
S<strong>ch</strong>erben beliebig gebildet werden können, entspre<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t mehr der Wahrheit<br />
und sind haltlos.<br />
Vers 8. Im samaritanis<strong>ch</strong>en Pentateu<strong>ch</strong> und der Septuaginta steht zusätzli<strong>ch</strong> »und<br />
den Turm«, so dass der Vers dort lautet: »… und sie hörten auf, die Stadt und den<br />
Turm zu bauen.« Vermutli<strong>ch</strong> ist das aber als Anglei<strong>ch</strong>ung an die Verse 4 und 5 zu<br />
bewerten.<br />
Vers 9. Rein spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ist au<strong>ch</strong> »Deswegen nannte er (= Jahwe) …« mögli<strong>ch</strong>, zutreffend<br />
ist aber do<strong>ch</strong> wohl »Deswegen nannte man …«. Die Septuaginta hat statt<br />
Babel Syn<strong>ch</strong>ysis (= Verwirrung). Im Urtext liegt ein Wortspiel zwis<strong>ch</strong>en Babel und<br />
dem Verb balal (= verwirren) vor.<br />
Abgrenzung und Stellung von Genesis 11,1 bis 9<br />
Die Abgrenzung von Genesis 11,1 bis 9 ist problemlos mögli<strong>ch</strong>, siehe au<strong>ch</strong> HG<br />
1279. Das vorangehende Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tsregister Noahs endet deutli<strong>ch</strong> erkennbar mit<br />
10,32. Au<strong>ch</strong> der Beginn des na<strong>ch</strong>folgenden Abs<strong>ch</strong>nitts ist mit »dies die Geburten«<br />
11,10 deutli<strong>ch</strong> markiert, er umfasst 11,10-26 (HG 1281). Dieselbe Kennzei<strong>ch</strong>nung<br />
ers<strong>ch</strong>eint no<strong>ch</strong> einmal in 11,27, wiederum am Anfang einer Einheit, nämli<strong>ch</strong><br />
11,27-32 (HG 1282).<br />
Der Turmbau zu Babel steht am Ende der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26). Swedenborg<br />
kannte diesen Begriff allerdings no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t, ma<strong>ch</strong>te aber eine wi<strong>ch</strong>tige Unters<strong>ch</strong>eidung:<br />
»Vom ersten Kapitel der Genesis … bis Eber (erstmals 11,14 erwähnt)
184 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
war es keine wahre, sondern gema<strong>ch</strong>te Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (historica facta)« (HG 1403,<br />
siehe au<strong>ch</strong> 1020). Swedenborg überwand mit dieser Erkenntnis ein altes Missverständnis,<br />
denn von der Zeit des Neuen Testaments an 315 wurde das in Genesis 1<br />
bis 11 »Erzählte als Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te verstanden, genau wie alles andere, was die Bibel<br />
beri<strong>ch</strong>tet. Dass diese Ereignisse von der S<strong>ch</strong>öpfung bis zum Turmbau von Babel<br />
im AT selbst ni<strong>ch</strong>t als Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te in unserem Sinn gemeint sind und daher au<strong>ch</strong><br />
niemals in die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tstraditionen einbezogen werden (Credo), wurde ni<strong>ch</strong>t<br />
gesehen …« 316 Der Turmbau zu Babel steht au<strong>ch</strong> für Swedenborg an einem Ende,<br />
nämli<strong>ch</strong> am Ende der gema<strong>ch</strong>ten Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te. In einem ungemein di<strong>ch</strong>ten Bild<br />
zeigt er uns Anfang und Ende, Wesen und Wandel der ersten Alten Kir<strong>ch</strong>e (HG<br />
1279).<br />
Gliederung<br />
Genesis 11,1 bis 9 gliedert si<strong>ch</strong> deutli<strong>ch</strong> erkennbar in zwei Teile. In den Versen 1<br />
bis 4 ist die Mens<strong>ch</strong>heit das Subjekt, in den Versen 5 bis 9 hingegen ist es Jahwe.<br />
Im ersten Teil sieht Swedenborg vier aufeinanderfolgende Zustände und im zweiten<br />
fasst er die Verse 5 und 6 sowie 7 bis 9 zu zwei Untergruppen zusammen (HG<br />
1280).<br />
1. Die Mens<strong>ch</strong>en (11,1-4)<br />
1.1 Der Anfangszustand:<br />
»Und die ganze Erde hatte eine Lippe und einerlei Worte« (11,1)<br />
1.2 Der Ortswe<strong>ch</strong>sel:<br />
»Und es ges<strong>ch</strong>ah, als sie von Osten aufbra<strong>ch</strong>en, da fanden sie ein Tal<br />
im Lande S<strong>ch</strong>inar und wohnten dort.« (11,2)<br />
1.3 Die Bautätigkeit (11,3-4)<br />
1.3.1 Erster Aufruf mit Einleitungsformel, der Baustoff:<br />
»Und sie spra<strong>ch</strong>en, ein Mann zu seinem Genossen: Wohlan, lasst uns<br />
Ziegel ziegeln und zu Gebranntem brennen.« (11,3a)<br />
1.3.2 Kommentar zum Baustoff:<br />
»Und der Ziegel diente ihnen als Stein und das Erdpe<strong>ch</strong> als Lehm.«<br />
(11,3b)<br />
1.3.3 Zweiter Aufruf, der Bau (11,4)<br />
1.3.3.1 Aufruf zum Bau von Stadt und Turm:<br />
»Und sie spra<strong>ch</strong>en: Wohlan, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen,<br />
und sein Haupt sei im Himmel.« (11,4aa)<br />
315<br />
Man denke nur an Paulus, für den Adam ein Personenname und somit der erste Mens<strong>ch</strong> war.<br />
316<br />
Claus Westermann, Genesis 1-11, 1989, EdF 7, Seite 3.
Bauvorhaben endet im Dur<strong>ch</strong>einander: Eine Auslegung von Genesis 11,1 bis 9 … 185<br />
1.3.3.2 Der gema<strong>ch</strong>te Name (das Image oder Ansehen):<br />
»Und lasst uns einen Namen ma<strong>ch</strong>en …« (11,4ab)<br />
1.3.3.3 Der Gefahr der Zerstreuung soll entgegengewirkt werden:<br />
»… damit wir uns ni<strong>ch</strong>t über die Angesi<strong>ch</strong>te der ganzen Erde zerstreuen.«<br />
(11,4b)<br />
2. Jahwe (11,5-9)<br />
2.1 Die Herabkunft Jahwes:<br />
»Und Jahwe stieg herab, um die Stadt und den Turm zu sehen, den die<br />
Söhne des Mens<strong>ch</strong>en bauten.« (11,5)<br />
2.2 Die Jahwerede (11,6-7)<br />
2.2.1 Hinweis auf den Anfangszustand:<br />
»Und Jahwe spra<strong>ch</strong>: Siehe, ein Volk sind sie, und eine Lippe haben sie<br />
alle« (11,6aa)<br />
2.2.2 Bewertung des Tuns als Auftakt:<br />
»Und dies ist der Anfang ihres Tuns« (11,6ab)<br />
2.2.3 Die ungehinderte Verwirkli<strong>ch</strong>ung des eigenen Denkens (ni<strong>ch</strong>ts ist<br />
unmögli<strong>ch</strong>):<br />
»Und nun wird alles, was sie gedenken zu tun, ni<strong>ch</strong>t von ihnen ferngehalten<br />
werden.« (11,6b)<br />
2.2.4 Herabkunft zur Verwirrung der Lippe, so dass die Geistabsi<strong>ch</strong>t ni<strong>ch</strong>t<br />
mehr herausgehört werden kann:<br />
»Wohlan, lasst uns hinabsteigen und dort ihre Lippe verwirren, damit<br />
sie ni<strong>ch</strong>t hören, ein Mann die Lippe seines Genossen.« (11,7)<br />
2.3 Die Zerstreuung und das Ablassen von der Bautätigkeit:<br />
»Und Jahwe zerstreute sie von dort über die Angesi<strong>ch</strong>te der ganzen<br />
Erde. Und sie hörten auf, die Stadt zu bauen.« (11,8)<br />
2.4 Die Endzustände im Perfekt: Stadtname, Verwirrung und Zerstreuung:<br />
»Deswegen nannte man ihren Namen Babel, denn dort verwirrte Jahwe<br />
die Lippe der ganzen Erde; und von dort zerstreute Jahwe sie über<br />
die Angesi<strong>ch</strong>te der ganzen Erde.« (11,9)<br />
Eine Zusammenfassung des inneren Sinnes<br />
In den Himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnissen 1279 bis 1328 legt Swedenborg den inneren<br />
Sinn der Turmbauges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te aus, indem er die Begriffe der Reihe na<strong>ch</strong> erklärt.<br />
Do<strong>ch</strong> am Ende setzt er daraus kein Gesamtbild zusammen. Wir sehen die Pinselstri<strong>ch</strong>e<br />
des Meisters, aber ni<strong>ch</strong>t das Gemälde des inneren Sinnes als Ganzes. Dieser<br />
Anblick eröffnet si<strong>ch</strong> nur dem, der den Abstand zu den Pinselstri<strong>ch</strong>en vergrö-
186 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
ßert, und zwar so sehr, dass er diese s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> aus den Augen verliert, dafür<br />
aber das Bild gewinnt.<br />
Wenn i<strong>ch</strong> denno<strong>ch</strong> hier nun ein Gesamtbild formuliere, dann sollte diese Komposition<br />
aus Bu<strong>ch</strong>staben ni<strong>ch</strong>t mit der Ganzheitss<strong>ch</strong>au verwe<strong>ch</strong>selt werden. Es ist<br />
wie mit dem Skelett eines Mens<strong>ch</strong>en, das dessen Gestalt zwar erahnen lässt, aber<br />
ni<strong>ch</strong>t der lebendige Mens<strong>ch</strong> ist. So ist au<strong>ch</strong> das folgende Gerüst ni<strong>ch</strong>t der lebendige,<br />
innere Sinn, obwohl es den Himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnissen entlehnt ist.<br />
1. Die ganze Kir<strong>ch</strong>e hatte eine Lehre im allgemeinen und besonderen. 2. Als sie<br />
si<strong>ch</strong> aber von der tätigen Liebe entfernten, wurde ihr Gottesdienst unreiner und<br />
unheiliger und dementspre<strong>ch</strong>end au<strong>ch</strong> ihr Lebenswandel. 3. Da spra<strong>ch</strong>en sie zueinander:<br />
Wohlan, lasst uns Eigenes denken aus unseren eigenen Interessen. Und<br />
so galt ihnen ihr Fals<strong>ch</strong>es als Wahres und ihr Böses als Gutes. 4. Und sie spra<strong>ch</strong>en:<br />
Wohlan, lasst uns eine Lehre formen, die dem Ansehen der eigenen Person<br />
dient und uns sogar göttli<strong>ch</strong>e Vollma<strong>ch</strong>ten zus<strong>ch</strong>reibt, damit man uns für mä<strong>ch</strong>tig<br />
hält und wir ni<strong>ch</strong>t bedeutungslos werden. 5. Do<strong>ch</strong> das Geri<strong>ch</strong>t konnte ni<strong>ch</strong>t ausbleiben,<br />
denn die Lehre war verkehrt und der Gottesdienst, den sie si<strong>ch</strong> ersonnen<br />
hatten, unheilig. 6. Daher spra<strong>ch</strong> Jahwe: Siehe, no<strong>ch</strong> eint sie die überlieferte Glaubenswahrheit,<br />
aber das ist nun der Grundgedanke und die Absi<strong>ch</strong>t ihres Tuns.<br />
Daher werden sie si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts mehr aufhalten lassen, ihrem Sinnen und<br />
Tra<strong>ch</strong>ten zu folgen. 7. Wohlan, lasst uns ihren Zustand verändern. Das Wahre soll<br />
aus ihrem Gesi<strong>ch</strong>tskreis ents<strong>ch</strong>winden und große Uneinigkeit soll übrig bleiben.<br />
8. So werden sie keine Anerkennung mehr finden und müssen vom Ausbau ihrer<br />
Lehre ablassen. 9. Deswegen nannte man den daher stammenden Gottesdienst<br />
babylonis<strong>ch</strong> (verworren), denn der innere Gottesdienst verlor si<strong>ch</strong> und wurde<br />
s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> ganz zuni<strong>ch</strong>te.<br />
Swedenborgs Auslegung der Turmbauges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />
In den Himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnissen übersetzt Swedenborg die Turmbauges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />
in eine Spra<strong>ch</strong>e, zu der Begriffe wie Kir<strong>ch</strong>e (ecclesia), Lehre (doctrina), Nä<strong>ch</strong>stenliebe<br />
(<strong>ch</strong>aritas), Glaube (fides), Gottesdienst (cultus), das Wahre (verum), das<br />
Fals<strong>ch</strong>e (falsum), das Gute (bonum) und das Böse (malum) gehören. Diese Begriffe<br />
kann man in ein theologis<strong>ch</strong>es System bringen. Do<strong>ch</strong> sollte man das swedenborgs<strong>ch</strong>e<br />
Begriffssystem ni<strong>ch</strong>t für das einzig mögli<strong>ch</strong>e halten. Denn der innere<br />
Sinn ließe si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> in eine andere Terminologie gießen.<br />
Am Ende der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te stehend, fasst der Turmbau zu Babel Anfang und Ende<br />
der ersten Alten Kir<strong>ch</strong>e zusammen (HG 1279, 1280). Die Stellung am Ende der<br />
Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te lässt jedo<strong>ch</strong> erwarten, dass das Gewi<strong>ch</strong>t mehr auf dem Untergang<br />
dieser Kir<strong>ch</strong>e liegt. Der folgende Abs<strong>ch</strong>nitt 11,10-26 handelt von der zweiten Alten<br />
Kir<strong>ch</strong>e (HG 1281), und 11,27-32 vom Ursprung der dritten Alten Kir<strong>ch</strong>e (HG<br />
1282). 317 Unter der Alten Kir<strong>ch</strong>e verstand Swedenborg eine bestimmte Epo<strong>ch</strong>e der<br />
317<br />
Näheres zu den drei Alten Kir<strong>ch</strong>en findet man unter HG 1327.
Bauvorhaben endet im Dur<strong>ch</strong>einander: Eine Auslegung von Genesis 11,1 bis 9 … 187<br />
altorientalis<strong>ch</strong>en Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te. Swedenborgs Auslegung von Genesis 11,1 bis 9 hat<br />
somit einen historis<strong>ch</strong>en Bezug. Diese Feststellung ist insofern interessant, als der<br />
innere Sinn eigentli<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>ts von Zeit an si<strong>ch</strong> haben soll. Swedenborg s<strong>ch</strong>reibt:<br />
»Vor den Engeln, die im inneren Sinn sind, vers<strong>ch</strong>windet alles, was zur Materie,<br />
zu Raum und Zeit gehört.« (HG 488, vgl. au<strong>ch</strong> 813, 3254). Also vers<strong>ch</strong>windet vor<br />
ihnen au<strong>ch</strong> die Alte Kir<strong>ch</strong>e als eine Epo<strong>ch</strong>e. Swedenborg s<strong>ch</strong>reibt weiter: »Wenn<br />
man die Vorstellung von Zeit entfernt, dann bleibt diejenige des Zustandes der<br />
Dinge, die zu jener Zeit waren.« (HG 488). Demna<strong>ch</strong> wäre zu fragen, was die Alte<br />
Kir<strong>ch</strong>e zuständli<strong>ch</strong> betra<strong>ch</strong>tet bedeutet.<br />
Dem Bibelkundigen fällt auf, dass viel von dem, was erst in Genesis 11,1 bis 9<br />
entsteht, s<strong>ch</strong>on vorher vorhanden ist. Erstens, die Stadt. Zu ihrem Bau wird in<br />
11,4 aufgerufen, na<strong>ch</strong> 11,9 heißt sie Babel. Do<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on in 10,10 wurde Babel erwähnt.<br />
Zweitens, die Spra<strong>ch</strong>en. Eine Folge des Bauvorhabens ist na<strong>ch</strong> 11,9 die<br />
Verwirrung der Lippe. Do<strong>ch</strong> bereits in der Völkertafel 10,1 bis 32 ist von vers<strong>ch</strong>iedenen<br />
Spra<strong>ch</strong>en die Rede (siehe 10,5.20.31). Da die eine Lippe geistig verstanden<br />
eine Lehre bedeutet, ist außerdem darauf hinzuweisen, dass s<strong>ch</strong>on die<br />
drei Söhne Noahs »drei Arten von Lehren« (HG 616) meinten. Drittens, die Zerstreuung.<br />
Eine weitere Folge des Bauvorhabens ist die Zerstreuung über die Oberflä<strong>ch</strong>e<br />
der ganzen Erde. Do<strong>ch</strong> bereits die Völkertafel zeigt die Verbreitung der<br />
Na<strong>ch</strong>kommen Noahs über die ganze Erde. Diese Beoba<strong>ch</strong>tungen unterstrei<strong>ch</strong>en<br />
no<strong>ch</strong> einmal, dass Genesis 11,1 bis 9 ein Bild für die gesamte Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der ersten<br />
Alten Kir<strong>ch</strong>e ist, vom ersten bis zum letzten Zustand (siehe HG 1280).<br />
Vers 1. Die Bibelübersetzungen zeigen, dass das hebräis<strong>ch</strong>e Wort für Erde au<strong>ch</strong><br />
die Erdbewohner meinen kann. 318 In 1. Könige 2,2 sagt der sterbende König David:<br />
»I<strong>ch</strong> gehe den Weg aller Erde.« Gemeint ist aller Erdbewohner oder alles Irdis<strong>ch</strong>en.<br />
Auf der Subjektstufe des Verstehens meint Erde ni<strong>ch</strong>t die objektive, sondern<br />
eben die subjektive Erde, das heißt die Erde als ein Gesamterlebnis der Psy<strong>ch</strong>e,<br />
ja die Psy<strong>ch</strong>e selbst. Do<strong>ch</strong> aus swedenborgs<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t ist dieses an si<strong>ch</strong> ri<strong>ch</strong>tige<br />
Verständnis no<strong>ch</strong> zu allgemein. Denn das überlieferte Wort der Bibel ist Gottes<br />
Wort. Daher ist die Erde Gottes gemeint, das heißt die Erde oder Psy<strong>ch</strong>e als Ges<strong>ch</strong>öpf<br />
Gottes, die Gemeins<strong>ch</strong>aft der Wiedergeborenen oder, wie Swedenborg sagt,<br />
die Kir<strong>ch</strong>e.<br />
Mit Lippe ist die Vorstellung des Äußerli<strong>ch</strong>en verbunden. Das hebräis<strong>ch</strong>e Wort<br />
meint den Rand oder die Um-Randung des Mundes. Die Vorstellung des Äußerli<strong>ch</strong>en<br />
kommt sehr deutli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> im Begriff des Lippenwortes zum Ausdruck (siehe<br />
2. Könige 18,20). Bei Jesaja heißt es: »Weil dieses Volk mit seinem Mund si<strong>ch</strong><br />
naht und mit seinen Lippen mi<strong>ch</strong> verherrli<strong>ch</strong>t, aber sein Herz fern von mir ist und<br />
ihre Fur<strong>ch</strong>t vor mir nur angelerntes Mens<strong>ch</strong>engebot ist, …« (Jes 29,13). Au<strong>ch</strong> Swedenborg<br />
weist auf den Aspekt des Äußeren hin: »Im Worte heißt es öfters Lippe,<br />
Mund und Spra<strong>ch</strong>e. Die Lippe bedeutet dort die Lehre, der Mund das Denken und<br />
318<br />
Bei Hermann Menge steht »Erdbevölkerung« und in der Einheitsübersetzung »Mens<strong>ch</strong>en«.
188 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
die Spra<strong>ch</strong>e das Bekenntnis, weil nämli<strong>ch</strong> Lippe, Mund und Spra<strong>ch</strong>e das Äußere<br />
des Mens<strong>ch</strong>en sind, dur<strong>ch</strong> das das Innere offenbar gema<strong>ch</strong>t wird.« (OE 455). Die<br />
Lippe als Äußerli<strong>ch</strong>es bedarf der Füllung dur<strong>ch</strong> das Innerli<strong>ch</strong>e. Die Lippe an si<strong>ch</strong><br />
ist nur die Umrisslinie des Geistes.<br />
Swedenborg sieht in der Lippe die Lehre. Der Anfangszustand der altorientalis<strong>ch</strong>en<br />
Religionssysteme (De primo ejus statu, HG 1280) war die einheitli<strong>ch</strong>e Lehre.<br />
Na<strong>ch</strong> der Sintflut begann die Mens<strong>ch</strong>heit mit einem allseits anerkannten Erbe<br />
oder System. Sowohl die allgemeinen Konturen (= die Lippe), als au<strong>ch</strong> die ins Einzelne<br />
gehenden Begriffe (= die Worte) waren einheitli<strong>ch</strong>. Allerdings wurde die<br />
Einheit der Lehre wohl ni<strong>ch</strong>t erstrangig dur<strong>ch</strong> die überall glei<strong>ch</strong>en Lehrsätze gewährleistet,<br />
sondern dur<strong>ch</strong> das Gefühl der Verbundenheit (vgl. <strong>ch</strong>aritas, HG 1327)<br />
aus dem Bewusstsein eines gemeinsamen, geistigen Ursprungs (Uroffenbarung<br />
der ältesten Kir<strong>ch</strong>e). I<strong>ch</strong> vermute also, dass das geerbte Lehrgebilde na<strong>ch</strong> der Sintflut<br />
no<strong>ch</strong> verhältnismäßig einheitli<strong>ch</strong> war, aber es war ni<strong>ch</strong>t starre Orthodoxie,<br />
sondern eher ein lebendiger Organismus, dessen Zusammenhalt dur<strong>ch</strong> die Seele<br />
der Gemeins<strong>ch</strong>aftstreue (<strong>ch</strong>aritas) bewirkt wurde. I<strong>ch</strong> mö<strong>ch</strong>te also einerseits die<br />
Einheitli<strong>ch</strong>keit der Lehre in den alten Kir<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t unters<strong>ch</strong>ätzen, andererseits<br />
die einheitsstiftende Kraft ni<strong>ch</strong>t im Kognitiven su<strong>ch</strong>en. 319<br />
Swedenborg unters<strong>ch</strong>eidet die Lehre (doctrina) von der Wahrnehmung (perceptio).<br />
Eine Lehre stattet den Belehrten mit Lehrsätzen oder Satzwahrheiten aus,<br />
deren Realgrund der Belehrte selbst ni<strong>ch</strong>t notwendigerweise in einem Akt unmittelbarer<br />
Wahrnehmung gesehen haben muss. Als Beispiel diene die Lehre von der<br />
Wiedergeburt. Man kann si<strong>ch</strong> diese Lehre aneignen, au<strong>ch</strong> ohne wiedergeboren zu<br />
sein, das heißt ohne den Realgrund aus eigener, unmittelbarer Erfahrung zu kennen.<br />
Swedenborg meint nun, dass die alte Kir<strong>ch</strong>e nur no<strong>ch</strong> eine Lehre hatte, während<br />
die älteste Kir<strong>ch</strong>e e<strong>ch</strong>te, innere Wahrnehmungen hatte, und dass die Lehre<br />
der alten Kir<strong>ch</strong>e das Erbe jener Wahrnehmungen der Urkir<strong>ch</strong>e war. »Die Lehrgegenstände<br />
beim Mens<strong>ch</strong>en der alten Kir<strong>ch</strong>e stammten … aus den Offenbarungen<br />
und inneren Wahrnehmungen der ältesten Kir<strong>ch</strong>e.« (HG 1068, siehe au<strong>ch</strong> HG<br />
530). Eine Lehre ist gegenüber den Wahrnehmungen verhältnismäßig äußerli<strong>ch</strong>,<br />
so dass sie treffend dur<strong>ch</strong> das Bild der Lippe dargestellt werden kann. Wie die<br />
Lippe die Umrisslinie des Mundes ist, so ist die Terminologie die Grenzlinie des<br />
Geistes (lat. terminus = Grenze).<br />
Vers 2. Der Osten ist die Gegend des Sonnenaufgangs. Im geistigen Verständnis<br />
ist das die Gegend des Herzens, denn dort geht die Gottessonne der Liebe auf.<br />
Swedenborg deutet den Osten als »die tätige Liebe, die vom Herrn angeregt wird.«<br />
319<br />
Das Ideal eines einheitli<strong>ch</strong>en, allumfassenden Systems befremdet uns als Kinder der Postmoderne,<br />
die wir den weltans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>en Pluralismus preisen. Wir empfinden die Vielzahl der<br />
Si<strong>ch</strong>tweisen als Freiheit und die Einheit als Zwang. Viellei<strong>ch</strong>t ist aber der Pluralismus nur die<br />
freundli<strong>ch</strong>e Ums<strong>ch</strong>reibung für geistige Blindheit, Beliebigkeit, Orientierungslosigkeit und<br />
Sinnlosigkeit. Jedenfalls begann die Mens<strong>ch</strong>heit na<strong>ch</strong> der Sintflut mit einem Religions-, Orientierungs-<br />
und Wertesystem.
Bauvorhaben endet im Dur<strong>ch</strong>einander: Eine Auslegung von Genesis 11,1 bis 9 … 189<br />
(<strong>ch</strong>aritas a Domino, HG 1291). 320 Der Aufbru<strong>ch</strong> von Osten bedeutet den Verlust<br />
der gemeins<strong>ch</strong>aftsbildenden Liebe. Mit diesem Aufbru<strong>ch</strong> geht die einheitsstiftende<br />
Mitte verloren, nämli<strong>ch</strong> der Herr. Dana<strong>ch</strong> soll ersatzweise vom Bau der Stadt und<br />
des Turmes die integrierende Kraft ausgehen, die eigentli<strong>ch</strong> nur von der geistigen<br />
Sonne im Osten ausgehen kann.<br />
Das Tal im Lande S<strong>ch</strong>inar ist der äußerli<strong>ch</strong>e Gottesdienst, in dem Unreines und<br />
Unheiliges ist. Zum Tal führt Swedenborg aus: »Berge bedeuten im Worte Gottes<br />
die Liebe (amor) oder Hingabe (<strong>ch</strong>aritas), weil diese das Hö<strong>ch</strong>ste oder au<strong>ch</strong> das<br />
Innerste in der Gottesbeziehung (in cultu) sind … Ein Tal deutet demgegenüber<br />
auf das, was unterhalb der Berge liegt, auf das Untere oder au<strong>ch</strong> Äußere in der<br />
Gottesbeziehung.« (HG 1292). Zum Land S<strong>ch</strong>inar kann Swedenborg ni<strong>ch</strong>t viel<br />
mitteilen, nur soviel, dass es »der äußere Gottesdienst, in dem Unheiliges ist« (HG<br />
1292) darstellt. 321<br />
Vers 3. Die Erzählung wendet si<strong>ch</strong> erst den Baustoffen (11,3) und dann den Bauwerken<br />
(11,4) zu. Der Blick geht also von den Teilen zum Ganzen. Die Bauleute<br />
wollen Ziegel strei<strong>ch</strong>en und hart brennen. Das heißt, eigenes Denken, ni<strong>ch</strong>t die<br />
überlieferte Uroffenbarung, wird die Substanz ihrer Lehrbildung sein. »Ein Stein<br />
bedeutet im Wort Wahres. Daher bedeutet ein Ziegel Fals<strong>ch</strong>es, weil er ein von<br />
Mens<strong>ch</strong>en, also künstli<strong>ch</strong> gema<strong>ch</strong>ter Stein ist.« (HG 1296). Dass der Ziegel im<br />
Feuer hart gebrannt werden soll bedeutet, dass die Festigkeit des eigenen Denkens<br />
dur<strong>ch</strong> die eigenen Interessen bewirkt wird. Hinter den Gedanken und Überzeugungen<br />
sind immer Interessen wirksam, die dem Denken und Reden Zusammenhalt<br />
und Festigkeit geben. So diente ihnen also Fals<strong>ch</strong>es als Wahres. Asphalt<br />
oder Erdpe<strong>ch</strong> korrespondieren mit dem Übel des Habenwollens (malum cupiditatis),<br />
denn es ist s<strong>ch</strong>wefelhaltig und brennbar (HG 1299). Lehm korrespondiert<br />
mit dem Guten. Die meisten Übersetzungen haben Mörtel, betonen also die Bindefunktion.<br />
Swedenborg bringt in HG 1300 Stellen (Jes 64,7; Jer 18,6), die Lehm als<br />
Baustoff zeigen, denn der Mens<strong>ch</strong> ist letztli<strong>ch</strong> die Gestalt des Guten.<br />
320<br />
Von der Deutung des Ostens als der Gegend des Aufgangs der geistigen Sonne des Herrn sind<br />
mehrere Bräu<strong>ch</strong>e abgeleitet: »Weil der Herr der Osten ist, war es vor dem Bau des Tempels in<br />
der vorbildenden jüdis<strong>ch</strong>en Kultgemeins<strong>ch</strong>aft ein heiliger Brau<strong>ch</strong>, das Gesi<strong>ch</strong>t beim Gebet<br />
na<strong>ch</strong> Osten zu wenden.« (HG 101). »Aus der Antike wurde vom frühen Christentum der<br />
Brau<strong>ch</strong> übernommen, si<strong>ch</strong> beim Gebet der aufsteigenden Sonne = Christus zuzuwenden.«<br />
(Manfred Lurker, Wörterbu<strong>ch</strong> der Symbolik, 1985, 289).<br />
321<br />
Philo von Alexandrien bra<strong>ch</strong>te S<strong>ch</strong>inar mit dem hebräis<strong>ch</strong>en Verb ers<strong>ch</strong>üttern (nun-ajinres<strong>ch</strong>)<br />
in Verbindung: »Die aber von der Tugend weggezogen sind und si<strong>ch</strong> von der Unbesonnenheit<br />
leiten ließen, finden einen sehr entspre<strong>ch</strong>enden Ort und lassen si<strong>ch</strong> dort nieder. Der<br />
heißt in der Spra<strong>ch</strong>e der Hebräer Senaar, der Hellenen aber Ers<strong>ch</strong>ütterung. Denn erregt, getrübt<br />
und ers<strong>ch</strong>üttert ist das ganze Leben der S<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ten, ist immer in Aufruhr und Verwirrung<br />
und erhält keine Spur des wahrhaft Guten in si<strong>ch</strong>.« (Über die Verwirrung der Spra<strong>ch</strong>en §<br />
68-69, in: Philo von Alexandrien, Die Werke in deuts<strong>ch</strong>er Übersetzung, Berlin 1962, Seite<br />
119). Viktor Mohr (alias M. Kahir) bringt das Land S<strong>ch</strong>inar (s<strong>ch</strong>in-nun-ajin-res<strong>ch</strong>) mit dem hebräis<strong>ch</strong>en<br />
Verb für hassen (sin-nun-aleph) in Verbindung. (Das verlorene Wort, 1960, 53).
190 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Vers 4. Au<strong>ch</strong> die Stadt korrespondiert wie die Lippe mit einer Lehre (HG 1305).<br />
Wenn mehrere Begriffsbilder ans<strong>ch</strong>einend dieselbe Bedeutung haben, dann lohnt<br />
es si<strong>ch</strong>, na<strong>ch</strong> dem je eigenen Aspekt zu fragen. So meint Lippe die Lehre, insofern<br />
diese ein äußerli<strong>ch</strong>es Begriffssystem ist, das heißt die begriffli<strong>ch</strong>e Umgrenzung<br />
oder Terminologie einer geistigen Ans<strong>ch</strong>auung. Stadt hingegen meint die Lehre,<br />
insofern diese eine geistige Struktur ist, die gemeins<strong>ch</strong>aftsbildend wirkt. Städte<br />
vereinigen Mens<strong>ch</strong>en, und Weltans<strong>ch</strong>auungen oder Glaubensgemeins<strong>ch</strong>aften<br />
ebenso. »Städte waren in jener Zeit ni<strong>ch</strong>ts anderes als Familien, die beisammen<br />
wohnten.« (HG 1358). Daher bezei<strong>ch</strong>net eine Stadt »eine Lehre, insofern diese<br />
eine Umfassung oder Verknüpfung ist« (doctrinale in suo complexu; HG 2723,<br />
siehe au<strong>ch</strong> HG 2392). 322<br />
Der Turm ist das Zentrum und Wahrzei<strong>ch</strong>en der Stadt. Daher ist er im geistigen<br />
Verständnis der Kern oder das Wesen der Lehre. Er zeigt an, worum es in der babylonis<strong>ch</strong>en<br />
Lehre eigentli<strong>ch</strong> geht. S<strong>ch</strong>on rein spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ist er, wie oben bereits<br />
gesagt, der Ausdruck von Größe. Er korrespondiert mit dem Egoismus oder der<br />
gottglei<strong>ch</strong>en Stellung des I<strong>ch</strong>s, Personenkult statt Gottesdienst. Swedenborg<br />
spri<strong>ch</strong>t von cultus sui und erläutert: »Selbstanbetung oder -verehrung (cultus sui)<br />
liegt dann vor, wenn man si<strong>ch</strong> selbst so sehr über andere stellt, dass man Gegenstand<br />
der Verehrung wird. Deswegen wird die Selbstliebe (oder Selbstverliebtheit),<br />
die Eigendünkel und Überhebli<strong>ch</strong>keit ist, Höhe, Hoheit und Erhebung<br />
genannt und dur<strong>ch</strong> alles bes<strong>ch</strong>rieben, was ho<strong>ch</strong> ist.« (HG 1306). Wo die göttli<strong>ch</strong>e<br />
Mitte verlassen wird, sammelt si<strong>ch</strong> das Volk um die eigene Mitte. Wo Gott vers<strong>ch</strong>windet,<br />
betreten die Götter die Bühne, die zahlrei<strong>ch</strong>en Stars, Diven und Idole,<br />
die dem kleinen I<strong>ch</strong> Bedeutung verleihen, indem sie es Teil einer kollektiven Person<br />
sein lassen. Die Notwendigkeit einer Mitte kann eben ni<strong>ch</strong>t umgangen werden,<br />
der Mens<strong>ch</strong> hat nur die Wahl zwis<strong>ch</strong>en Gott oder Götze.<br />
Unklar ist, ob si<strong>ch</strong> Swedenborg unter dem babylonis<strong>ch</strong>en Turm einen Befestigungs-<br />
oder einen Tempelturm vorstellte. In HG 1306 s<strong>ch</strong>reibt er: »Einst wurden<br />
die Städte mit Türmen befestigt, in denen Wä<strong>ch</strong>ter waren.« (HG 1306). Demna<strong>ch</strong><br />
da<strong>ch</strong>te er an einen Befestigungsturm. Glei<strong>ch</strong>zeitig erkennt er aber im Turm<br />
das Bild eines Kultes (cultus), wozu die Vorstellung eines Tempelturmes besser<br />
passt.<br />
Die Erhebung des Hauptes bis in den Himmel meint die Ausdehnung der Herrs<strong>ch</strong>aft<br />
bis auf den Himmel (vgl. HG 1307). Das Göttli<strong>ch</strong>e wird den eigenen Interessen<br />
untertan gema<strong>ch</strong>t. Interessant ist der Zusammenhang mit Genesis 3,15: »Er<br />
wird dir (= der S<strong>ch</strong>lange) das Haupt niedertreten.« Swedenborg bringt sowohl das<br />
Haupt der S<strong>ch</strong>lange als au<strong>ch</strong> das des Turmes mit der si<strong>ch</strong> ins Maßlose steigernden<br />
Herrs<strong>ch</strong>gier der Selbstliebe in Verbindung (vgl. HG 257 mit HG 1307).<br />
322<br />
Interessant ist au<strong>ch</strong> die Formulierung: Eine Stadt meint »das mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Gemüt hinsi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />
der Wahrheiten« (mens humana quoad vera, HG 2268).
Bauvorhaben endet im Dur<strong>ch</strong>einander: Eine Auslegung von Genesis 11,1 bis 9 … 191<br />
Der Name, den man si<strong>ch</strong> ma<strong>ch</strong>en will, ist der Ruf, den man si<strong>ch</strong> erwerben will. Es<br />
ist »der Ruf, mä<strong>ch</strong>tig zu sein« (fama potentiae, HG 1308). Das ist das Image, das<br />
si<strong>ch</strong> mit dem alles mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Maß übersteigenden Turm in den Köpfen der<br />
gläubigen Betra<strong>ch</strong>ter einprägen soll. Dieser Ruf soll der Auflösung des Lehrkomplexes<br />
bis hin zur Bedeutungslosigkeit entgegenwirken. »›Über die Oberflä<strong>ch</strong>e der<br />
ganzen Erde zerstreut werden‹, heißt aus ihrem Anblick vers<strong>ch</strong>winden, somit<br />
ni<strong>ch</strong>t angenommen und anerkannt werden.« (HG 1309).<br />
Fassen wir den inneren Sinn des ersten Teils (11,1-4) der Erzählung zusammen:<br />
Die altorientalis<strong>ch</strong>en Religionssysteme waren anfangs im wesentli<strong>ch</strong>en einheitli<strong>ch</strong>.<br />
Als man jedo<strong>ch</strong> vom Ursprung und Garanten der Einheit, nämli<strong>ch</strong> der ges<strong>ch</strong>wisterli<strong>ch</strong>en<br />
Verbundenheit, abrückte, veräußerli<strong>ch</strong>te das gesamte Religionswesen.<br />
Der Verlust der lebendigen Gotteserfahrung sollte dur<strong>ch</strong> eine beeindrukkende<br />
Lehre überdeckt und glei<strong>ch</strong>sam aufgehoben werden. Do<strong>ch</strong> da das eigene<br />
Denken und die eigenen Interessen an die Stelle der alten Überlieferungen und<br />
der e<strong>ch</strong>ten Demut gesetzt wurden, war die pompöse Lehre im Kern ni<strong>ch</strong>ts weiter<br />
als ein Ausdruck der Entthronung Gottes. Do<strong>ch</strong> auf diese Weise hatte man Ma<strong>ch</strong>t<br />
über die Gemüter der einfa<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en erlangt und glaubte, dem Untergang in<br />
die Ni<strong>ch</strong>tigkeit des eigenen Seins für immer entgegengewirkt zu haben.<br />
Vers 5. Die Herabkunft Jahwes ges<strong>ch</strong>ieht zum Geri<strong>ch</strong>t. Swedenborg s<strong>ch</strong>reibt: »Von<br />
Jehovah heißt es, er steige herab, wenn er Geri<strong>ch</strong>t hält.« (HG 1311). Das Haupt des<br />
Turmes sollte selbst vor dem Himmel ni<strong>ch</strong>t Halt ma<strong>ch</strong>en. Dieses Bild will sagen,<br />
dass das Böse zur Maßlosigkeit tendiert, dass es jede Grenze übers<strong>ch</strong>reitet und<br />
die hö<strong>ch</strong>ste Verwirkli<strong>ch</strong>ung anstrebt. Damit aber wird es reif für das Geri<strong>ch</strong>t. No<strong>ch</strong><br />
einmal Swedenborg: »Von Geri<strong>ch</strong>t wird gespro<strong>ch</strong>en, wenn das Böse seine hö<strong>ch</strong>ste<br />
Verwirkli<strong>ch</strong>ung errei<strong>ch</strong>t hat … alles Böse hat nämli<strong>ch</strong> seine Grenzen, bis zu denen<br />
es gehen darf. Sobald es jedo<strong>ch</strong> darüber hinausgeht, verfällt es der Bestrafung des<br />
Bösen … und diese heißt dann Geri<strong>ch</strong>t.« (HG 1311, vgl. au<strong>ch</strong> 1857). Do<strong>ch</strong> diese<br />
Bestrafung geht ni<strong>ch</strong>t von einem hö<strong>ch</strong>sten Wesen aus, sondern ist die der bösen<br />
Tat innewohnende Folge. »Alles Böse führt seine Strafe mit si<strong>ch</strong>, beide sind miteinander<br />
verbunden. Daher gilt, wer im Bösen ist, ist au<strong>ch</strong> in der Strafe des Bösen.«<br />
(HH 509). »Alles Böse hat eine entspre<strong>ch</strong>ende Strafe bei si<strong>ch</strong>, die sogenannte<br />
Bestrafung des Bösen. Sie ist im Bösen wie etwas mit ihm Verbundenes enthalten.«<br />
(OE 556). Was also in den folgenden Versen als Tat oder Geri<strong>ch</strong>t Jahwes dargestellt<br />
wird, muss als Folge des Bauvorhabens gedeutet werden.<br />
Das Haupt des Turmes rei<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong> mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Vorstellung bis in den Himmel.<br />
Denno<strong>ch</strong> muss Jahwe herabsteigen, um die Stadt und ihr Türm<strong>ch</strong>en überhaupt zu<br />
Gesi<strong>ch</strong>t zu bekommen. So winzig klein ist mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Größe. Der Abstand zwis<strong>ch</strong>en<br />
Jahwe und den Na<strong>ch</strong>kommen Adams hat si<strong>ch</strong> seit dem Sündenfall sehr<br />
vergrößert. Im Garten Eden wandelte Jahwe no<strong>ch</strong> mit dem ersten Mens<strong>ch</strong>enpaar<br />
auf einer Ebene (Genesis 3,8). Do<strong>ch</strong> nun wohnt er ho<strong>ch</strong> oben, und au<strong>ch</strong> das Türm<strong>ch</strong>en<br />
kann diesen Abstand ni<strong>ch</strong>t überbrücken.
192 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Vers 6. Die Einheit des Volkes und der Lippe bedeutet, dass »alle in der Glaubenswahrheit<br />
und der Lehre eins waren« (verum fidei et doctrina una omnibus,<br />
HG 1316). Das heißt na<strong>ch</strong> Swedenborg ni<strong>ch</strong>t unbedingt, dass bei allen dieselben<br />
Glaubensinhalte und Lehrsätze waren, denn er führt aus: »›Ein Volk und eine Lippe‹<br />
heißt, alle haben das allgemeine Wohl (bonum) der Gesells<strong>ch</strong>aft, das allgemeine<br />
Wohl (bonum) der Kir<strong>ch</strong>e und das Rei<strong>ch</strong> des Herrn zum Ziel, denn so ist im<br />
Ziel der Herr (wirksam), von dem her alle eins sind« (HG 1316). Man würde Swedenborg<br />
missverstehen, wenn man meinte, die Einheit würde dur<strong>ch</strong> die Einheitslehre<br />
gewährleistet. Swedenborg sieht das einheitsstiftende Moment im Herrn, in<br />
der lebendigen Gotteserfahrung, ni<strong>ch</strong>t in der Uniformität von Satzwahrheiten. Das<br />
s<strong>ch</strong>ließt ni<strong>ch</strong>t aus, dass die altorientalis<strong>ch</strong>en Lehrsysteme wesentli<strong>ch</strong>e Gemeinsamkeiten<br />
hatten, aber das war ni<strong>ch</strong>t der Grund ihrer Verbundenheit. Das war<br />
vielmehr der Herrn. Do<strong>ch</strong> dieses einheitsstiftende Moment hatten sie mit ihrem<br />
Aufbru<strong>ch</strong> von Osten verlassen. Damit war die Einheit nur no<strong>ch</strong> eine äußerli<strong>ch</strong>e,<br />
traditionell bedingte, aber ni<strong>ch</strong>t mehr eine von innen her gewährleistete.<br />
Der Anfang des Tuns ist im geistigen Verständnis ni<strong>ch</strong>t das äußere, zeitli<strong>ch</strong>e Beginnen,<br />
sondern »der Gedanke oder die Absi<strong>ch</strong>t, folgli<strong>ch</strong> das beabsi<strong>ch</strong>tigte Ziel.«<br />
(HG 1317). Das liegt jedem Realisierungsversu<strong>ch</strong> als innerer Anfang zugrunde.<br />
Die Stadt und der Turm bes<strong>ch</strong>reiben demna<strong>ch</strong> eine Intention und au<strong>ch</strong> den dazugehörigen<br />
ents<strong>ch</strong>lossenen Willen.<br />
»Und nun wird von ihnen ni<strong>ch</strong>ts ferngehalten werden, was sie gedenken zu tun.«<br />
Na<strong>ch</strong>dem si<strong>ch</strong> die Intention, die Stadt mit dem himmelhohen Turm zu bauen, im<br />
Gemüt dur<strong>ch</strong>gesetzt hat, stehen der Umsetzung dieser Idee keinerlei Bedenken<br />
mehr im Weg. Daher wird si<strong>ch</strong> der Zustand ändern (HG 1318). Wel<strong>ch</strong>e Änderungen<br />
oder Folgen aus der Ents<strong>ch</strong>lossenheit resultieren, zeigen die folgenden Verse.<br />
Vers 7. Die Verwirrung der Lippe bedeutet, dass als Folge des Bauvorhabens ein<br />
großes Dur<strong>ch</strong>einander im System der Satzwahrheiten entsteht. »Niemand hat das<br />
Wahre der Lehre«, denn »verwirren bedeutet im inneren Verständnis ni<strong>ch</strong>t nur<br />
verfinstern, sondern au<strong>ch</strong> auslös<strong>ch</strong>en (oder vergessen ma<strong>ch</strong>en) und zerstreuen<br />
(oder zerstören), so dass ni<strong>ch</strong>ts Wahres mehr übrig bleibt.« (HG 1321). Der Bau<br />
der Stadt mit dem Turm versinnbildli<strong>ch</strong>t eine geistige Strukturbildung, der es im<br />
Kern darum geht, den Mens<strong>ch</strong>en an die Stelle Gottes zu setzen. Die Verwirrung<br />
der Lippe ist die unauswei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Folge dieser Absi<strong>ch</strong>t und ihrer Verwirkli<strong>ch</strong>ung.<br />
Der Mens<strong>ch</strong> verliert die Fähigkeit, das metaphysis<strong>ch</strong>e Wahre zu erkennen. Natürli<strong>ch</strong><br />
kann er mit seinen körperli<strong>ch</strong>en Sinnen na<strong>ch</strong> wie vor die Welt beoba<strong>ch</strong>ten<br />
und bes<strong>ch</strong>reiben, aber er kann die Fakten ni<strong>ch</strong>t mehr deuten, er kann den Sinn<br />
der Zei<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t mehr entziffern. Da nun aber denno<strong>ch</strong> eine gewisse Notwendigkeit<br />
besteht, zu Systembildungen zu gelangen, tritt der Pluralismus der Theorieansätze<br />
in Ers<strong>ch</strong>einung. »Sobald der selbstbezogene Dienst (cultus sui) an die<br />
Stelle des Dienstes für den Herrn (cultus Domini) tritt, wird alles Wahre ni<strong>ch</strong>t nur<br />
verdreht, sondern verni<strong>ch</strong>tet, und am Ende hält man Fals<strong>ch</strong>es für wahr und Böses<br />
für gut.« (HG 1321). In diesem Stimmenwirrwar verliert si<strong>ch</strong> die Bereits<strong>ch</strong>aft auf
Bauvorhaben endet im Dur<strong>ch</strong>einander: Eine Auslegung von Genesis 11,1 bis 9 … 193<br />
Andersdenkende zu hören. Dass keiner auf die Lippe des anderen hört, bedeutet<br />
»alle sind uneinig oder einer gegen den anderen.« (HG 1322).<br />
Der Einheit der Lippe steht ni<strong>ch</strong>t die Vielheit gegenüber, sondern die Vermengung<br />
oder Verwirrung. Zwar darf man Vielheit mit heraushören, denn Verwirrung<br />
zieht Auflösung und Zerfall in Einzelteile na<strong>ch</strong> si<strong>ch</strong>, aber der Akzent liegt denno<strong>ch</strong><br />
auf der Verwirrung der Lippe. Darauf hatte s<strong>ch</strong>on Philo von Alexandrien hingewiesen:<br />
»… das Ergebnis nannte er Syn<strong>ch</strong>ysis, obwohl er es do<strong>ch</strong>, hätte er nur die<br />
Entstehung der Spra<strong>ch</strong>en darstellen wollen, mit einem treffenderen Ausdruck als<br />
Sonderung statt als Syn<strong>ch</strong>ysis (Zusammengießung) bezei<strong>ch</strong>net hätte. Denn was<br />
ges<strong>ch</strong>ieden wird, wird ni<strong>ch</strong>t zusammengegossen …« 323 Wirres Zeug entsteht, wenn<br />
das Li<strong>ch</strong>t des Geistes verlis<strong>ch</strong>t. In der geistigen Umna<strong>ch</strong>tung werden Begriffe und<br />
Begriffssequenzen zwar no<strong>ch</strong> kombiniert, aber ni<strong>ch</strong>t mehr im Li<strong>ch</strong>te der Wahrheit,<br />
sondern na<strong>ch</strong> eigenem Gutdünken. So entsteht die babylonis<strong>ch</strong>e Vermengung der<br />
Gedanken und Begriffe. Jede intellektuelle Revolution bringt nun zwar ein neues<br />
Paradigma hervor, hebt aber das Dur<strong>ch</strong>einander ni<strong>ch</strong>t auf, sondern vergrößert es<br />
nur no<strong>ch</strong>.<br />
Vers 8. Zerstreuung ist das Gegenteil von Sammlung. Na<strong>ch</strong> der Abkehr von Osten,<br />
das heißt der vom Herrn ausgehenden gemeins<strong>ch</strong>aftsbildenden Kraft, soll die<br />
Stadt ersatzweise die gemeins<strong>ch</strong>aftsbildende Funktion übernehmen. Do<strong>ch</strong> die<br />
Selbstvergötterung (cultus sui) kann nur einen ungeordneten Haufen, jedo<strong>ch</strong> keine<br />
Einheit hervorbringen. Das Projekt Großstadt mit Turm endet im Wirrwarr der<br />
Meinungen, denen allesamt die universelle Anerkennung versagt bleibt.<br />
Vers 9. Das großartige Lehrgebäude heißt Babel. Dieser Name spielt auf die dort<br />
ges<strong>ch</strong>ehene Verwirrung der Lippe an, das heißt auf die heillose Unordnung der<br />
Lehre. Die Zerstreuung der Bauleute über die ganze Erde bedeutet, dass sie als<br />
Einheit auseinander fallen, weil sie si<strong>ch</strong> untereinander ni<strong>ch</strong>t mehr verstehen. Sie<br />
zerfallen in vers<strong>ch</strong>iedene S<strong>ch</strong>ulen und Ri<strong>ch</strong>tungen. Glei<strong>ch</strong>zeitig werden sie dadur<strong>ch</strong><br />
aber au<strong>ch</strong> wie Saatgut über das ganze Feld der Erde ausgestreut, so dass<br />
die geistige Verwirrung fortan überall aufgehen und alle Gemüter erfassen wird.<br />
Es wird lange dauern bis Babylon, die Große fallen wird (Offenbarung 18). Die<br />
Zerstreuung der Bauleute am Ende der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te bedeutet, dass »die innere<br />
Anbetung zuni<strong>ch</strong>te geworden ist.« (HG 1328). Damit ist aber au<strong>ch</strong> das Allerheiligste<br />
dem mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Zugriff entzogen, die profane Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te kann beginnen.<br />
Fassen wir den inneren Sinn des zweiten Teils (11,5-11) zusammen: Alles<br />
mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Tun hat Konsequenzen. Die mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Gedankengebäude sind<br />
bei weitem ni<strong>ch</strong>t so bedeutsam ist, wie es aus irdis<strong>ch</strong>er Perspektive den Ans<strong>ch</strong>ein<br />
haben mag. Hinzu kommt, dass gemeinsame Überzeugungen und Lehren zwar in<br />
der Regel den Ausgangspunkt von Gemeins<strong>ch</strong>aftsleistungen bilden. Do<strong>ch</strong> wenn<br />
die Demut gegenüber dem Hö<strong>ch</strong>sten s<strong>ch</strong>windet, und es im Grunde genommen nur<br />
323<br />
Über die Verwirrung der Spra<strong>ch</strong>en § 191, in: Philo von Alexandrien, Die Werke in deuts<strong>ch</strong>er<br />
Übersetzung, Berlin 1962, Seite 149.
194 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
no<strong>ch</strong> um größtmögli<strong>ch</strong>e Selbstbehauptung und Überhebli<strong>ch</strong>keit geht, dann erlis<strong>ch</strong>t<br />
die Führung dur<strong>ch</strong> das innere Li<strong>ch</strong>t des Geistes. Der Gemeins<strong>ch</strong>aftswille<br />
zerfällt im Meinungsstreit und der Anspru<strong>ch</strong>, ein allumfassendes System zu finden,<br />
kann ni<strong>ch</strong>t mehr verwirkli<strong>ch</strong>t werden. Das nennt man dann Babel, Gebabbel,<br />
weil in diesem Dur<strong>ch</strong>einander der Begriffe und Vorstellungen die Klarheit des<br />
Geistes ni<strong>ch</strong>t mehr vorhanden ist. Die Zerstreuung in alle mögli<strong>ch</strong>en S<strong>ch</strong>ulen und<br />
Ri<strong>ch</strong>tungen ist ein Zei<strong>ch</strong>en des Untergangs der inneren Geisteskultur.<br />
Abbildung 7: Die Radierung des Niederländers Cornelis Anthonisz (1547) ist se<strong>ch</strong>szehn Jahre vor<br />
dem Gemälde von Pieter Bruegel entstanden. Anthonisz war ni<strong>ch</strong>t so sehr darauf aus, die grandiose<br />
Anlage des Baus und die wagemutige Erri<strong>ch</strong>tung des Turmes zu zeigen, sondern er interessierte<br />
si<strong>ch</strong> weit mehr für den dramatis<strong>ch</strong>en Augenblick, in dem die Zerstörung erfolgte, und für das<br />
große Entsetzen, das die Mens<strong>ch</strong>heit überkam. Der Flu<strong>ch</strong> des unsi<strong>ch</strong>tbaren Gottes, aus den Wolken<br />
ges<strong>ch</strong>leudert und von den Trompeten der Engel verkündet, zers<strong>ch</strong>mettert den mä<strong>ch</strong>tigen Bau. Von<br />
der Zerstörung ist jedo<strong>ch</strong> im Genesistext interessanterweise keine Rede. Sie entspri<strong>ch</strong>t jedo<strong>ch</strong> der<br />
rabbinis<strong>ch</strong>en Auslegung.
Adam und Adamah: Zum inneren Sinn der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te 195<br />
Adam und Adamah:<br />
Zum inneren Sinn der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />
Der Mens<strong>ch</strong> und sein Boden, auf dem er steht, der die Saat seiner Hoffnungen und<br />
Wüns<strong>ch</strong>e aufnimmt, aus ihnen Frü<strong>ch</strong>te ma<strong>ch</strong>t; der Mens<strong>ch</strong> und die Grundlage<br />
seines Gewordenseins und seines S<strong>ch</strong>affens, diese Zusammengehörigkeit ist im<br />
Hebräis<strong>ch</strong>en s<strong>ch</strong>on eine spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e: Adam und Adamah. Folgli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>lagen si<strong>ch</strong><br />
die Wandlungen der Zustände des Adam in seinem Verhältnis zur Adamah nieder.<br />
Die äußere Welt war bei den ältesten Mens<strong>ch</strong>en dieser Erde no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t so<br />
objektiv, so gegenständli<strong>ch</strong>, so lebensfern, kalt und tot; im äußeren Kosmos erlebte<br />
und spürte man den Pulss<strong>ch</strong>lag des inneren. Folgli<strong>ch</strong> war au<strong>ch</strong> die Adamah<br />
dem Adam S<strong>ch</strong>icksalsgenosse. Die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Adamah ist die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des<br />
Adam.<br />
Die Spra<strong>ch</strong>e, um no<strong>ch</strong> ein wenig bei ihr zu verweilen, ist eine S<strong>ch</strong>atzkammer des<br />
Geistes (Worts<strong>ch</strong>atz), die uns Edelsteine, Gold und Silber über Jahrtausende hinweg<br />
bewahrt hat. Im Hebräis<strong>ch</strong>en, wie gesagt, wird Adam genommen von der<br />
Adamah; do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> im Lateinis<strong>ch</strong>en ist homo (Mens<strong>ch</strong>) von humus (Erdrei<strong>ch</strong>)<br />
abgeleitet und mit humilis (niedrig) und humilitas (Demut) verwandt. Unten muss<br />
der sein, der von oben empfangen will. 324 Swedenborg hätte gesagt: Ein Gefäß<br />
muss der sein, der aufnehmen will.<br />
Die hebräis<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e kennt no<strong>ch</strong> ein Wort für Mens<strong>ch</strong>: »’änos<strong>ch</strong>«. Es ist mit dt.<br />
Mens<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> ähnli<strong>ch</strong>e Lautgesetze verbunden, wie lat. unus mit grie<strong>ch</strong>. monos.<br />
Außerdem hängt »’änos<strong>ch</strong>« (Mens<strong>ch</strong>) mit »’ani« (I<strong>ch</strong>) zusammen; »’änos<strong>ch</strong>« ist<br />
demna<strong>ch</strong> das I<strong>ch</strong>wesen, d. h. die vom I<strong>ch</strong>gefühl geleitete Selbstexistenz. Im Unters<strong>ch</strong>ied<br />
dazu weist A-dam - verwandt mit grie<strong>ch</strong>. Dem-os (Volk) - auf unsere Verwurzelung<br />
im Kollektiven. 325 A ist der Ursprungslaut des Göttli<strong>ch</strong>en; und Dam von<br />
dama (ähnli<strong>ch</strong> sein) deutet die Ähnli<strong>ch</strong>keit mit dem göttli<strong>ch</strong>en Ursprung an, weswegen<br />
es im S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t heißt: »Lasst uns Mens<strong>ch</strong>en (’adam) ma<strong>ch</strong>en …<br />
wie unsere Ähnli<strong>ch</strong>keit (demut)«. Diese Spannung ist im Mens<strong>ch</strong>en angelegt: Einerseits<br />
kann er nur im kollektiven Ganzen von Gottheit und Mens<strong>ch</strong>heit leben<br />
(daher das Gebot der Gottes- und Nä<strong>ch</strong>stenliebe); andererseits drängt es ihn zur<br />
selbständigen I<strong>ch</strong>existenz. So gesehen ist Mens<strong>ch</strong>sein die Kunst, Du und I<strong>ch</strong> zu<br />
vers<strong>ch</strong>melzen (vgl. Swedenborgs Konzept der eheli<strong>ch</strong>en oder himmlis<strong>ch</strong>en Liebe).<br />
Ein abs<strong>ch</strong>ließender Blick auf die grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e: Das Wort für Mens<strong>ch</strong> lautet<br />
anthropos und meint den Empors<strong>ch</strong>auenden (ho ano athron). Der Anthropos ist<br />
also dasjenige Wesen, das seinen Blick himmelwärts na<strong>ch</strong> oben ri<strong>ch</strong>ten kann.<br />
324<br />
Meister Eckehart: »Wer von oben her empfangen will, der muß notwendig unten sein in re<strong>ch</strong>ter<br />
Demut.« (Predigt 4 in: Josef Quint, Deuts<strong>ch</strong>e Predigten und Traktate, 1985, Seite 172)<br />
325<br />
Siehe: Arnold Wadler, Der Turm von Babel: Urgemeins<strong>ch</strong>aft der Spra<strong>ch</strong>en, 1988, Seite 419.
196 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Dieser Überblick zeigt uns die Stellung<br />
des Mens<strong>ch</strong>en zwis<strong>ch</strong>en Himmel<br />
und Erde. Der Mens<strong>ch</strong> ist zur<br />
Unvergängli<strong>ch</strong>keit der Engel berufen<br />
- das ist der Himmel in ihm; aber er<br />
ist au<strong>ch</strong> ein Sterbewesen wie alle<br />
anderen irdis<strong>ch</strong>en Gebilde au<strong>ch</strong>. Diese<br />
Dualität ist bereits in den ersten<br />
Worten der Genesis angelegt: »Im<br />
Anfang s<strong>ch</strong>uf Gott den Himmel und<br />
die Erde« (Gen 1,1). Himmel und<br />
Abbildung 8<br />
Erde bilden zusammen das Ganze<br />
des Mens<strong>ch</strong>seins; do<strong>ch</strong> meist berührt in unseren Tagen die Erde des äußeren<br />
Mens<strong>ch</strong>en den Himmel des inneren Mens<strong>ch</strong>en ni<strong>ch</strong>t mehr. Na<strong>ch</strong> H. Bonnet wissen<br />
die zahllosen Legenden von der Entstehung des Himmels »von einer Zeit, in der<br />
Himmel und Erde vereint waren.« 326 An die Trennung von Himmel und Erde erinnern<br />
den Ägypter die Abbildungen, wo der Luftgott S<strong>ch</strong>u die Himmelsgöttin Nut<br />
mit beiden Händen ho<strong>ch</strong>hebt, während der Erdgott Geb am Boden liegt (Abbildung<br />
8). Do<strong>ch</strong> nur die Vereinigung von Himmel und Erde kann die Zeugungen der Wiedergeburt<br />
hervorbringen, weswegen es Genesis 2,4 heißt: »Dies sind die Zeugungen<br />
des Himmels und der Erde«. Abbildung 1 (Seite 72) zeigt uns eine ägyptis<strong>ch</strong>e<br />
Darstellung dieser ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en Vereinigung, die si<strong>ch</strong> von denen der meisten<br />
anderen Völker nur dadur<strong>ch</strong> unters<strong>ch</strong>eidet, dass bei den Ägyptern der Himmel<br />
weibli<strong>ch</strong>, die Erde aber männli<strong>ch</strong> war. Das hängt damit zusammen, dass Ägypten<br />
vom Nil befru<strong>ch</strong>tet wurde, - ni<strong>ch</strong>t vom Himmelregen. Die tiefere Entspre<strong>ch</strong>ungsursa<strong>ch</strong>e<br />
besteht darin, dass Ägypten den Mens<strong>ch</strong>en des Wissens repräsentiert,<br />
der vom großen Nil der äußeren Einflüsse angeregt und befru<strong>ch</strong>tet wird, obwohl<br />
er an si<strong>ch</strong> nur eine Wüste ist. Himmel und Erde sollen also eine Ehe bilden und<br />
die Zeugungen der Wiedergeburt bewirken. Indem nun die Erde den Samen aufnimmt,<br />
wird sie Ackerboden.<br />
In Genesis 1 dominiert das Wort »Erde«; aber in Vers 25, unmittelbar vor der Ers<strong>ch</strong>affung<br />
des Mens<strong>ch</strong>en, steht ausnahmsweise Adamah (Erdboden). Damit soll<br />
wohl ein Bezug zur ans<strong>ch</strong>ließenden Mens<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>öpfung (Vers 26) hergestellt<br />
werden, denn im Krie<strong>ch</strong>gewimmel des Erdbodens, die ein Bild für die reineren<br />
Willensregungen sind, kündigt si<strong>ch</strong> die Gottesebenbildli<strong>ch</strong>keit und somit Mens<strong>ch</strong>ens<strong>ch</strong>öpfung<br />
s<strong>ch</strong>on an.<br />
Ackerboden (Adamah) und Feld herrs<strong>ch</strong>en im Erzählzusammenhang von Genesis<br />
2f vor. No<strong>ch</strong> »gab es keinen Mens<strong>ch</strong>en, den Ackerboden zu bebauen (wörtl.: zu<br />
dienen)« (Gen 2,5). Aufgabe des Mens<strong>ch</strong>en ist es, das Saatgut des göttli<strong>ch</strong>en Wortes<br />
im Erdrei<strong>ch</strong> seines Herzens aufgehen zu lassen. »Da formte Jehovah Gott den<br />
326<br />
Hans Bonnet, Reallexikon der ägyptis<strong>ch</strong>en Religionsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, Berlin 1952, 304,2.
Adam und Adamah: Zum inneren Sinn der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te 197<br />
Mens<strong>ch</strong>en aus Staub vom Ackerboden« (Gen 2,7). Die Aufnahme der Saat des<br />
göttli<strong>ch</strong>en Geistes ist nur mögli<strong>ch</strong>, wenn si<strong>ch</strong> der Mens<strong>ch</strong> als Gefäß erkennt. Formen<br />
bzw. bilden (jz'r) bezei<strong>ch</strong>net die Tätigkeit des Töpfers, wie aus Jeremia 18,1-6<br />
(Töpferglei<strong>ch</strong>nis); Jesaja 29,16; 45,9 327 und 64,7 ersi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong> ist, aber au<strong>ch</strong> aus der<br />
neutestamentli<strong>ch</strong>en Rezeption bei Paulus (Röm 9,20f). Der Mens<strong>ch</strong> als das Gefäß<br />
des Lebens, diese Vorstellung begegnet uns au<strong>ch</strong> in Ägypten; Abbildung 2 (Seite<br />
77) zeigt den ägyptis<strong>ch</strong>en Gott Chnum, der den Mens<strong>ch</strong>en auf der Töpfers<strong>ch</strong>eibe<br />
modelliert. An diese alten Traditionen anknüpfend, s<strong>ch</strong>reibt Swedenborg: »Der<br />
Mens<strong>ch</strong> ist ni<strong>ch</strong>t das Leben, sondern das Aufnahmeorgan (receptaculum) des Lebens<br />
von Gott.« (WCR 470-474). Diesem Gefäß bläst Jehovah Gott den »Odem des<br />
Lebens« ein, so dass der Mens<strong>ch</strong> »eine lebendige Seele« wird (Gen 2,7). Interessanterweise<br />
wird erst der Mens<strong>ch</strong> von Genesis 2 »lebendige Seele« genannt. In<br />
Genesis 1 ist dieser Begriff den Tieren vorbehalten; der Mens<strong>ch</strong> dort heißt (ledigli<strong>ch</strong>?)<br />
Bild und Ähnli<strong>ch</strong>keit Gottes. Soll damit eine gewisse Leblosigkeit ausgedrückt<br />
werden (vgl. Swedenborgs Unters<strong>ch</strong>eidung des geistigen und des himmlis<strong>ch</strong>en<br />
Mens<strong>ch</strong>en)?<br />
Vor dem Sündenfall befand si<strong>ch</strong> Adam im Garten Eden, im »Üppigland« (M. Buber).<br />
Hebr. Eden ist mit grie<strong>ch</strong>. Hedone (Wonne) verwandt. Der Wonnegarten ist<br />
der Rei<strong>ch</strong>tum des göttli<strong>ch</strong>en Geistes in der Seele, dessen Lebenskraft und dessen<br />
Wu<strong>ch</strong>s: »Jehova Gott ließ aus dem Ackerboden (Adamah) allerlei Bäume wa<strong>ch</strong>sen,<br />
liebli<strong>ch</strong> anzusehen und mit köstli<strong>ch</strong>en Frü<strong>ch</strong>ten« (Gen 2,9). Diese Bäume bezei<strong>ch</strong>nen<br />
die inneren Wahrnehmungen, die - im Unters<strong>ch</strong>ied zu den äußeren oder Sinneswahrnehmungen<br />
- vom Mark bis zur Rinde dur<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>aubar sind und so den<br />
s<strong>ch</strong>auenden Geist mit dem Wonne- und Lebensgefühl des Urgrundes erfüllen. Das<br />
ist das Leben der gesegneten Adamah.<br />
Do<strong>ch</strong> dann verkümmerte die Ackerkrume. Na<strong>ch</strong> dem Sündenfall lesen wir: »So ist<br />
verflu<strong>ch</strong>t der Ackerboden deinetwegen. Unter Mühsal wirst du von ihm essen alle<br />
Tage deines Lebens. Dornen und Disteln lässt er dir wa<strong>ch</strong>sen; und das [welkende]<br />
Kraut des Feldes musst du essen. Im S<strong>ch</strong>weiße deines Angesi<strong>ch</strong>tes wirst du dein<br />
Brot essen, bis du zurückkehrst zum Ackerboden, von dem du ja genommen bist;<br />
denn Staub bist du, zum Staub musst du zurückkehren.« (Gen 3,17ff). Die Abkehr<br />
vom Einfluss aus dem inneren Mens<strong>ch</strong>en, die Hinwendung zur Sinnenwelt vers<strong>ch</strong>ließen<br />
den fru<strong>ch</strong>tbaren Boden des Geistes. Der s<strong>ch</strong>nelle Vorteil der Begierde<br />
führt in den geistigen Tod. Anstatt die Himmelsbraut (Adamah) zu ergreifen,<br />
wendet si<strong>ch</strong> der Mens<strong>ch</strong> ihrem S<strong>ch</strong>atten, dem trügeris<strong>ch</strong>en Glanz des äußeren<br />
Lebens zu.<br />
Do<strong>ch</strong> dem harten Boden der Welt ist keine bleibende Fru<strong>ch</strong>t abzugewinnen (vgl.<br />
dagegen das Heilswort Jesu in Joh 15,16). Der Mens<strong>ch</strong> wird von Sa<strong>ch</strong>zwängen<br />
getrieben. Dem göttli<strong>ch</strong>en Geist wollte er ni<strong>ch</strong>t dienen; nun verkne<strong>ch</strong>ten ihn die<br />
327<br />
Besonders interessant, weil hier au<strong>ch</strong> von der Adama die Rede ist: »Weh dem, der mit seinem<br />
Bilder/Töpfer re<strong>ch</strong>tet - ein Tongefäß unter Tongefäßen des Erdbodens/der Adama« (Jes 45,9).
198 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
leibli<strong>ch</strong>en und weltli<strong>ch</strong>en Bedürfnisse. Die Bestimmung des Mens<strong>ch</strong>en in Genesis<br />
2,5 (»no<strong>ch</strong> gab es keinen Mens<strong>ch</strong>en, der Adamah zu dienen«) hatte einen hohen,<br />
himmlis<strong>ch</strong>en Sinn, denn die Adamah war das fru<strong>ch</strong>tbare Erdrei<strong>ch</strong> des Herzens.<br />
Do<strong>ch</strong> nun lastet der Flu<strong>ch</strong> auf dem Ackersklaven: »Jehova Gott s<strong>ch</strong>ickte ihn aus<br />
dem Garten Eden weg, damit er dem Acker diente, von dem er genommen war.«<br />
(Gen 3,23). Ackerbauer sein bedeutet jetzt leibli<strong>ch</strong>en Interessen dienen. Von Kain<br />
und Ahbel heißt es: »Ahbel wurde S<strong>ch</strong>afhirte und Kain Ackerbauer« (Gen 4,2).<br />
Dazu bemerkt Swedenborg: »Von denen, die auf das Leibli<strong>ch</strong>e und Irdis<strong>ch</strong>e sahen,<br />
wurde gesagt, sie dienen dem Ackerboden.« (HG 345). Der Boden der äußeren<br />
Realität, den sie so auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> beackern, versklavt seine Arbeiter.<br />
Na<strong>ch</strong> dem Brudermord lesen wir: »Was hast du getan? Die Stimme von deines<br />
Bruders Blut s<strong>ch</strong>reit zu mir von dem Ackerboden. Und nun - verflu<strong>ch</strong>t seist du von<br />
dem Ackerboden … Wenn du den Ackerboden bebaust gibt er dir seine Kraft ni<strong>ch</strong>t<br />
mehr. Du wirst umherwandern und flü<strong>ch</strong>tig sein auf Erden!« (Gen 4,10-12). Kain<br />
vers<strong>ch</strong>lingt die sanften Anwehungen des Geistes, dargestellt dur<strong>ch</strong> Ahbel, den<br />
S<strong>ch</strong>afhirten. Dadur<strong>ch</strong> wird Kain zu einem Gehetzten. Nod, das Land seiner Zuflu<strong>ch</strong>t<br />
(Gen 4,16), bedeutet Ruhelosigkeit.<br />
Die Sintflut kommt, weil »die Bosheit des Mens<strong>ch</strong>en auf der Erde groß war und<br />
alles Gebilde (jez'är) der Gedanken seines Herzens nur böse den ganzen Tag.«<br />
(Gen 6,5). Na<strong>ch</strong> der Sintflut hat si<strong>ch</strong> daran ni<strong>ch</strong>ts geändert: »… das Gebilde (jez'är)<br />
des mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Herzens ist böse« (Gen 8,21). Das bedeutet, dass aus dem bösen<br />
Herzensgrund auss<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> böse Gedankenformen aufsteigen. Denno<strong>ch</strong> wird<br />
nun - im Unters<strong>ch</strong>ied zu Genesis 3,17 - der Ackerboden ni<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong> einmal um des<br />
Mens<strong>ch</strong>en willen verflu<strong>ch</strong>t (Gen 8,21). Swedenborg versteht das so, dass nun ein<br />
neuer Weg der Wiedergeburt bes<strong>ch</strong>ritten wird. Der Herzenswille ist zwar böse,<br />
aber im intellektuellen Berei<strong>ch</strong> kann ein geistiger Wille geformt werden; er wird<br />
Gewissen bzw. das Bewusstsein des Wahren und Guten (conscientia) genannt.<br />
Daher kann Noah den Acker des Lebens wieder mit Erfolg bebauen. Von Noah<br />
heißt es: »Er wird uns aufatmen lassen von unserer Arbeit und von der Mühe unserer<br />
Hände um den Ackerboden, den der Herr verflu<strong>ch</strong>t hat.« (Gen 5,29). »Und<br />
Noah fing an als Mann des Ackerbodens und pflanzte einen Weinberg.« (Gen<br />
9,20). Noah bezei<strong>ch</strong>net die geistige Kir<strong>ch</strong>e, die zwar äußerli<strong>ch</strong>er als die himmlis<strong>ch</strong>e<br />
ist, aber denno<strong>ch</strong> aus dem S<strong>ch</strong>riftwort Impulse für die Wiedergeburt aufnehmen<br />
kann. Die Erneuerung des Mens<strong>ch</strong>en aus dem Bewusstsein der Wahrheit<br />
wird mit der Arbeit im Weinberg vergli<strong>ch</strong>en. Der Lebensacker bringt wieder ein<br />
edles Gewä<strong>ch</strong>s hervor.
Das sind die Geburten: Zum inneren Sinn der Toledot-Struktur der Genesis 199<br />
Das sind die Geburten:<br />
Zum inneren Sinn der Toledot-Struktur der Genesis<br />
1. Vorbemerkung: Toledot und Genesis<br />
Die Toledot-Formeln gehören ni<strong>ch</strong>t gerade zur Lieblingslektüre des Bibellesers,<br />
do<strong>ch</strong> sie sind das Skelett, das tragende Gerüst. Der Rest, all die s<strong>ch</strong>önen Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten,<br />
sind demgegenüber nur das Fleis<strong>ch</strong>. Im Folgenden geht es um diese<br />
die Genesis strukturierenden Formeln, um »(we)’ellä toledot«, was auf Deuts<strong>ch</strong><br />
bedeutet »(und) das sind die Geburten«. Dass diese uns<strong>ch</strong>einbaren Formeln den<br />
Blick auf etwas Wesentli<strong>ch</strong>es freigeben, können wir s<strong>ch</strong>on daraus entnehmen,<br />
dass der grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e Name des Bu<strong>ch</strong>es, um das es hier geht, Genesis, Geburt bedeutet,<br />
also dieselbe Bedeutung hat wie »toledot« (Geburten). Das Bu<strong>ch</strong> Genesis<br />
und die Toledot-Formeln s<strong>ch</strong>einen demna<strong>ch</strong> zusammen zu gehören. Daher wollen<br />
wir einige Beoba<strong>ch</strong>tungen mitteilen, die uns helfen sollen, zum inneren Verständnis<br />
der Toledot-Struktur der Genesis vorzudringen.<br />
2. Die Toledot-Formeln der Genesis<br />
2.1. Zur Bedeutung des Wortes »toledot«<br />
Das hebräis<strong>ch</strong>e »toledot« hat die Grundbedeutung »Zeugungen« (HAL 1566) 328 ,<br />
denn es ist von »jalad« abgeleitet, das »gebären« oder »erzeugen« bedeutet (HAL<br />
393). Uns interessiert der Sinn des Wortes »toledot« in den sogenannten Toledot-<br />
Formeln der Genesis. In den deuts<strong>ch</strong>en Bibeln ist »toledot« in Genesis 2,4 mit<br />
»Entstehungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te« (ELB) 329 bzw. »Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Entstehung« (ZUR) übersetzt,<br />
in 5,1; 10,1; 11,10.27; 25,12; 36,1.9 mit »Generationenfolge« (ELB), »Na<strong>ch</strong>kommen«<br />
(ZUR) bzw. »Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t« (LUT) sowie in 6,9; 25,19; 37,2 mit »Generationenfolge«<br />
(ELB), »Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te von Noahs/Jakobs Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t« (LUT) bzw. »Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te«<br />
(ELB, ZUR). Die genaue Auswertung dieser Varianten lässt erkennen,<br />
dass Genesis 2,4 einen Sonderfall darstellt: Die Übersetzer verstehen »toledot«<br />
hier im Sinne von »Entstehungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te«; die Mögli<strong>ch</strong>keit, »toledot« au<strong>ch</strong> hier<br />
im Sinne von »Zeugungen« zu verstehen, wird ni<strong>ch</strong>t in Erwägung gezogen oder<br />
abgelehnt. Für das weitere Vorkommen der Toledot-Formel ist ents<strong>ch</strong>eidend, ob<br />
auf sie ein Stammbaum bzw. eine Genealogie (5,1; 10,1; 11,10.27; 25,12; 36,1.9)<br />
oder eine Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te bzw. ein Erzählzusammenhang (6,9; 25,19; 37,2) folgt.<br />
Wenn ein Stammbaum folgt, dann ist Generationenfolge eine angemessene Übersetzung.<br />
Wenn dagegen eine Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te folgt, dann kann man »toledot« au<strong>ch</strong> so<br />
328<br />
HAL: Hebräis<strong>ch</strong>es und Aramäis<strong>ch</strong>es Lexikon zum Alten Testament von Ludwig Koehler und<br />
Walter Baumgartner, 2 Bände 2004 (unveränderter Na<strong>ch</strong>druck der dritten Auflage 1967-<br />
1995).<br />
329<br />
Deuts<strong>ch</strong>e Bibelübersetzungen werden von mir mit drei Großbu<strong>ch</strong>staben bezei<strong>ch</strong>net. ELB: Die<br />
Elberfelder Bibel, revidierte Fassung 1985. ZUR: Zür<strong>ch</strong>er Bibel 2007. LUT: Die Bibel na<strong>ch</strong> der<br />
Übersetzung Martin Luthers (revidierte Fassung von 1984). EIN: Die Einheitsübersetzung<br />
1980.
200 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
übersetzen. Die Bedeutung des Wortes ist also aufgrund der Kontexte, in denen es<br />
verwendet wird, rei<strong>ch</strong> an Nuancen.<br />
Swedenborg wählte als Übersetzung für »toledot« überall »nativitates« (Geburten);<br />
bei seiner Neigung zu einer mögli<strong>ch</strong>st konkordanten 330 Übersetzung als Grundlage<br />
für seine exegetis<strong>ch</strong>e Arbeit ist das ni<strong>ch</strong>t weiter verwunderli<strong>ch</strong>. Glei<strong>ch</strong>zeitig<br />
war er si<strong>ch</strong> aber au<strong>ch</strong> bewusst, dass »toledot« je na<strong>ch</strong> Kontext 331 besondere Bedeutungen<br />
annimmt. So sah er in den »Geburten der Himmel und der Erde« (Gen 2,4)<br />
»die Formungen (formationes) des himmlis<strong>ch</strong>en Mens<strong>ch</strong>en« (HG 89). Im »Bu<strong>ch</strong> der<br />
Geburten (sefär toledot)« (Gen 5,1) hingegen bezieht si<strong>ch</strong> »toledot« auf die na<strong>ch</strong>folgende<br />
»Aufzählung (recensio)« (HG 470). Die Toledot-Formel zu Beginn der<br />
Sintfluterzählungen (Gen 6,9) leitet »die Bes<strong>ch</strong>reibung der Umformung oder Wiedergeburt<br />
(reformationis 332 seu regenerationis) einer neuen Kir<strong>ch</strong>e« ein (HG 611).<br />
Oft gibt Swedenborg »Ableitungen (derivationes)« als Bedeutung von »toledot« an<br />
(HG 1145, 1330, 1360, 3263, 3279, 4641, 4646, 4668), man<strong>ch</strong>mal au<strong>ch</strong> »Ursprung<br />
und Ableitung (origo et derivatio)« (HG 1330, bzw. dasselbe in der Mehrzahl in HG<br />
1360). »Im äußeren oder bu<strong>ch</strong>stäbli<strong>ch</strong>en Sinn sind Geburten die Zeugungen (generationes)<br />
des einen vom anderen (oder: die aufeinanderfolgenden Generationen)«<br />
(HG 1145). Allerdings folgt auf die Toledot-Formel ni<strong>ch</strong>t immer eine Genealogie,<br />
sondern man<strong>ch</strong>mal eine Erzählung. Deswegen bedeutet die die Josefsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />
einleitende Toledot-Formel (Gen 37,2) einfa<strong>ch</strong> »das, was folgt (illa quae sequuntur)«,<br />
und Swedenborg merkt an: »Dass sol<strong>ch</strong>es hier mit ›Geburten‹ gemeint<br />
ist, geht au<strong>ch</strong> daraus hervor, dass im Folgenden keine genealogis<strong>ch</strong>en Geburten<br />
(nativitates genealogicae) erwähnt werden, denn es ist die Rede von Josef, seinen<br />
Träumen, den Ans<strong>ch</strong>lägen seiner Brüder gegen ihn und seiner Wegführung na<strong>ch</strong><br />
Ägypten.« (HG 4668).<br />
Die Grundbedeutung von »toledot« ist Geburten, do<strong>ch</strong> darf man das ni<strong>ch</strong>t zu eng<br />
verstehen. Wie die Grundfarbe eines Gegenstandes von der Umgebung verändert<br />
wird, vom Sonnenli<strong>ch</strong>t und den Farben der anderen Gegenstände, so ist au<strong>ch</strong> die<br />
Bedeutung eines Wortes vom Kontext abhängig. Die Toledot-Formel leitet Geburtenketten<br />
ein. Oft folgt auf diese Formel »nur« eine Genealogie, das heißt der biblis<strong>ch</strong>e<br />
Erzähler belässt es beim Gerüst und füllt es ni<strong>ch</strong>t oder nur minimal mit<br />
Fleis<strong>ch</strong>. Man<strong>ch</strong>mal folgt aber au<strong>ch</strong> eine Erzählung, die narrativ den Sinn der Na-<br />
330<br />
Eine konkordante Übersetzung will na<strong>ch</strong> Mögli<strong>ch</strong>keit ein- und dasselbe Wort der Grundspra<strong>ch</strong>e<br />
dur<strong>ch</strong> ein- und dasselbe Wort in der Zielspra<strong>ch</strong>e wiedergeben. Außerdem sollen wurzelverwandte<br />
Wörter in der Grundspra<strong>ch</strong>e na<strong>ch</strong> Mögli<strong>ch</strong>keit dur<strong>ch</strong> wurzelverwandte Wörter in<br />
der Zielspra<strong>ch</strong>e wiedergegeben werden (so wird aus »’adam« und »’adama« bei Swedenborg<br />
»homo« und »humus«). Diese sehr weitgehende Konkordanz zwis<strong>ch</strong>en dem Grundtext und<br />
dem Übersetzungstext ist freili<strong>ch</strong> (au<strong>ch</strong> bei Swedenborg) ni<strong>ch</strong>t immer dur<strong>ch</strong>führbar.<br />
331<br />
Dass der Kontext den Sinn der Wörter, Satzteile und Sätze beeinflusst, gehört zu den von<br />
Swedenborg immer wieder vorgetragenen Erkenntnissen (siehe beispielsweise HG 270, 1318,<br />
2816).<br />
332<br />
Zu bea<strong>ch</strong>ten ist, dass Swedenborg mit Bezug auf Gen 2,4 den Begriff »formatio« verwendet<br />
(HG 89), hier aber mit Bezug auf Gen 6,9 »reformatio« wählt.
Das sind die Geburten: Zum inneren Sinn der Toledot-Struktur der Genesis 201<br />
men entfaltet. Das ist dann das Fleis<strong>ch</strong> oder die Bots<strong>ch</strong>aft der Genesis; das hebr.<br />
Wort für Fleis<strong>ch</strong> (bas'ar) hängt mögli<strong>ch</strong>erweise mit dem glei<strong>ch</strong>lautenden Verb<br />
»bs'r« zusammen, das »Bots<strong>ch</strong>aft bringen« bedeutet. Für die Weisheit der Engel<br />
sind aber au<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on die Abfolgen der bloßen Namen in den Genealogien inhaltsrei<strong>ch</strong>e<br />
Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten.<br />
2.2. Die Gliederung der Genesis dur<strong>ch</strong> die Toledot-Formeln<br />
Die (we)’ellä-toledot-Formeln gliedern die Genesis. 333 Sie begegnen uns in 2,4;<br />
6,9; 10,1; 11,10.27; 25,12.19; 36,1.9 und 37,2. Das sind zehn Stellen. Sie lauten:<br />
»Das sind die Geburten der Himmel und der Erde« (2,4). »Das sind die Geburten<br />
Noahs« (6,9). »Und das sind die Geburten der Söhne Noahs, Sem, Cham und<br />
Japhet« (10,1). »Das sind die Geburten Sems« (11,10). »Und das sind die Geburten<br />
Tera<strong>ch</strong>s« (11,27). »Und das sind die Geburten Ismaels« (25,12). »Und das sind die<br />
Geburten Isaaks« (25,19). »Und das sind die Geburten Esaus, das ist Edom« (36,1).<br />
»Und das sind die Geburten Esaus, des Vaters von Edom« (36,9). »Das sind die<br />
Geburten Jakobs« (37,2). Außerdem begegnet uns in 5,1 die Formel: »Das ist das<br />
Bu<strong>ch</strong> der Geburten (sefär toledot) des Mens<strong>ch</strong>en«.<br />
Die Genesis beginnt ni<strong>ch</strong>t mit einer Toledot-Formel. Die erste derartige Formel<br />
ers<strong>ch</strong>eint erst in 2,4. Sie ist - wie alle folgenden - als Übers<strong>ch</strong>rift zu verstehen. 334<br />
Ents<strong>ch</strong>eidend im Hinblick auf die Frage na<strong>ch</strong> der Gliederung ist die Beoba<strong>ch</strong>tung,<br />
dass »’ellä toledot« (das sind die Geburten) viermal ohne das Bindewort »und«<br />
vorkommt, se<strong>ch</strong>smal hingegen mit diesem Bindewort. 335 Wo das »und« fehlt, liegt<br />
ein starker Eins<strong>ch</strong>nitt vor; wo es vorhanden ist, ein s<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>er. 336 Eine gesonderte<br />
333<br />
Siehe Thomas Hieke: »Die konsequente Bea<strong>ch</strong>tung der Toledot-Formel als Struktursignal und<br />
Leseanweisung erweist sie als wesentli<strong>ch</strong>es Gliederungsmerkmal des Bu<strong>ch</strong>es Genesis.« (Die<br />
Genealogien der Genesis, 2003, 241).<br />
334<br />
Ein Blick in die gängigen Bibelübersetzungen zeigt, dass Gen 2,4a (das ist die erste Toledot-<br />
Formel) als S<strong>ch</strong>luss der S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Gen 1,1-2,4a) verstanden wird (siehe ELB,<br />
ZUR, LUT, EIN). Swedenborg verstand sie jedo<strong>ch</strong> also Übers<strong>ch</strong>rift (siehe »nunc« in HG 89).<br />
Zur Unters<strong>ch</strong>rift wurde Gen 2,4a dur<strong>ch</strong> die historis<strong>ch</strong>-kritis<strong>ch</strong>en Arbeiten seit dem 18. Jahrhundert.<br />
Als Charakteristikum der Priesters<strong>ch</strong>rift musste Gen 2,4a dem priesters<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>en<br />
S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t (Gen 1,1-2,4a) zuges<strong>ch</strong>lagen werden. (Siehe: Thomas Hieke, Genealogien,<br />
2003, 47f.).<br />
335<br />
I<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>ließe mi<strong>ch</strong> hier der Sehweise von Friedri<strong>ch</strong> Weinreb an, für den das Fehlen oder Vorhandensein<br />
des uns<strong>ch</strong>einbaren Wört<strong>ch</strong>ens »und« ents<strong>ch</strong>eidend ist (S<strong>ch</strong>öpfung im Wort: Die<br />
Struktur der Bibel in jüdis<strong>ch</strong>er Überlieferung, 2002, 138f.). Dass au<strong>ch</strong> andere Gliederungen<br />
anhand der Toledot-Formeln mögli<strong>ch</strong> sind, entnehme i<strong>ch</strong> Thomas Hieke (Die Genealogien der<br />
Genesis, 2003, 242): Man kann von zehn Toledot-Abs<strong>ch</strong>nitten ausgehen. Oder man kann mit<br />
Konrad S<strong>ch</strong>mid sagen: »Die Toledot-Struktur überzieht die Genesis in je einem Fünfers<strong>ch</strong>ema<br />
für die Ur- wie für die Erzväterges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te.« (Erzväter und Exodus, 1999, Seite 265). F.H.<br />
Breukelman (Bijbelse Theologie I,2, 1992, Seite 14ff.) nimmt vier Hauptteile an: 5,1-11,26<br />
(Adam), 11,27-25,11 (Tera<strong>ch</strong>), 25,12-35,29 (Ismael/Isaak), 36,1-50,26 (Esau/Jakob).<br />
336<br />
Swedenborg weist mehrfa<strong>ch</strong> auf die gliedernde Bedeutung bestimmter hebräis<strong>ch</strong>er Ausdrücke<br />
und des »und« hin (siehe HG 4987, 5578, 7191).
202 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Betra<strong>ch</strong>tung erfordert die Formel in 5,1, die ebenfalls kein »und« hat, dur<strong>ch</strong> die<br />
Verwendung von »Bu<strong>ch</strong>« aber eine Formel sui generis ist.<br />
Daraus ergibt si<strong>ch</strong>, dass die Genesis aus einem »Vorwort« 337 (1,1-2,3) und vier<br />
Kapiteln (2,4-6,8; 6,9-11,9; 11,10-36,43; 37,1-50,26) besteht. Das Vorwort handelt<br />
von der S<strong>ch</strong>öpfung und versteht sie als Voraussetzung der ans<strong>ch</strong>ließenden<br />
Geburtenfolge. Das erste Kapitel rei<strong>ch</strong>t von der ersten ’ellä-toledot-Formel 2,4 bis<br />
6,8. In diesem Kapitel steht nun aber die besondere Toledot-Formel von 5,1: »Das<br />
ist das Bu<strong>ch</strong> der Geburten des Mens<strong>ch</strong>en«. In meinem Urteil über diese Auffälligkeit<br />
folge i<strong>ch</strong> im Grundsatz Thomas Hieke, er s<strong>ch</strong>reibt: »Gen 5,1a dient als Titel<br />
und Themenangabe der gesamten Toledot-Struktur des Bu<strong>ch</strong>es Genesis.« 338 Diese<br />
Eins<strong>ch</strong>ätzung führt mi<strong>ch</strong> zu der Vorstellung einer zweifa<strong>ch</strong>en Gliederung der Genesis.<br />
Auf der einen Betra<strong>ch</strong>tungsebene, die i<strong>ch</strong> in diesem Aufsatz wähle, lässt<br />
man si<strong>ch</strong> von den großen Eins<strong>ch</strong>nitten der ’ellä-toledot-Formeln leiten und gelangt<br />
zu der Gliederung: ein Vorwort und vier Kapitel (siehe oben). Auf der anderen<br />
Betra<strong>ch</strong>tungsebene lässt man si<strong>ch</strong> von der außerordentli<strong>ch</strong>en Formel in 5,1<br />
leiten und gelangt zu den zwei Teilen: Vorberi<strong>ch</strong>t (1,1-4,26) und »das Bu<strong>ch</strong> der<br />
Geburten« (5,1-50,26). Im Vorberi<strong>ch</strong>t geht es um Himmel und Erde (1,1; 2,4), zunä<strong>ch</strong>st<br />
um die S<strong>ch</strong>öpfung von Himmel und Erde, dann um die Geburten von<br />
Himmel und Erde. Im ans<strong>ch</strong>ließenden »Bu<strong>ch</strong> der Geburten« geht es dann um die<br />
mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Geburten von Adam bis Jakob (Israel). Das sind 22 Generationen;<br />
so viele Bu<strong>ch</strong>staben hat au<strong>ch</strong> das hebräis<strong>ch</strong>e Alphabet. Wenn man für die Namen<br />
all dieser 22 Personen die entspre<strong>ch</strong>enden Zahlen s<strong>ch</strong>reibt, dann ergibt das in der<br />
Summe genau 7000, wobei man für Abram Abraham und für Jakob Israel s<strong>ch</strong>reiben<br />
muss. Die 7000 ist die Sabbatzahl, das heißt in Israel kommt Gott zur Ruhe. 339<br />
Kehren wir nun aber zu der zuerst vorges<strong>ch</strong>lagenen Gliederung zurück. Das zweite<br />
Kapitel rei<strong>ch</strong>t von der zweiten ’ellä-toledot-Formel 6,9 bis 11,9. Das dritte Kapitel<br />
rei<strong>ch</strong>t von der dritten ’ellä-toledot-Formel 11,10 bis 36,43. Das vierte Kapitel<br />
beginnt mit 37,1 und endet - zumindest innerhalb der Genesis - mit 50,26. Zwei<br />
Probleme müssen hier erwähnt werden: 1. Die vierte ’ellä-toledot-Formel steht<br />
erst in 37,2. Denno<strong>ch</strong> beginnt dieses Kapitel »ni<strong>ch</strong>t mit der Toledot-Formel, sondern<br />
mit einer Siedlungsnotiz, die als Äquivalent zu einer analogen Ortsangabe<br />
bei Esau (Gen 36,6-8) aufgefasst werden kann.« 340 2. Da es keine fünfte ’ellätoledot-Formel<br />
gibt, stellt si<strong>ch</strong> die Frage na<strong>ch</strong> dem Ende dieses Kapitels. Thomas<br />
Hieke lässt es mit dem letzten Vers der Genesis enden und begründet das mit<br />
337<br />
Diese Terminologie übernehme i<strong>ch</strong> von Thomas Hieke, Genealogien, 2003, 86.<br />
338<br />
Thomas Hieke, Genealogien, 2003, 86. »Bu<strong>ch</strong> der Geburten« heißt in der Septuaginta »biblos<br />
geneseos«. Diese Wendung kommt im Alten Testament kein zweites Mal vor, aber das Neue<br />
Testament beginnt mit genau diesen Worten (Mt 1,1). So stehen si<strong>ch</strong> der erste Adam und der<br />
zweite Adam (Jesus Christus) gegenüber.<br />
339<br />
Diese Entdeckung ist auf der Homepage von Rüdiger Heinzerling (www.ruedigerheinzerling.de)<br />
veröffentli<strong>ch</strong>t (zuletzt besu<strong>ch</strong>t am 6.7.2008).<br />
340<br />
Thomas Hieke, Genealogien, 2003, 192.
Das sind die Geburten: Zum inneren Sinn der Toledot-Struktur der Genesis 203<br />
dem dort ges<strong>ch</strong>ilderten Tod Josefs. 341 Friedri<strong>ch</strong> Weinreb dagegen folgt der Geburtenkette<br />
ein wenig weiter, bis Mose (der Offenbarung am Sinai) und gelangt auf<br />
dieser Grundlage zu interessanten Einsi<strong>ch</strong>ten, die i<strong>ch</strong> unten vorstellen werde.<br />
Innerhalb dieser vier Hauptkapitel sind die we’ellä-toledot-Formeln (die Nebentoledotformeln)<br />
zu finden, die mit dem Bindewort »und« (hebr. we) beginnen und<br />
somit keinen so großen Eins<strong>ch</strong>nitt markieren wie die ’ellä-toledot-Formeln (die<br />
Haupttoledotformeln). Das erste Kapitel hat keine Nebentoledotformel. Im zweiten<br />
Kapitel steht in 10,1 »und das sind die Geburten der Söhne Noahs, Sem, Cham<br />
und Japhet«. Das dritte Kapitel weist die meisten Nebentoledotformeln auf. In<br />
11,27 steht »und das sind die Geburten Tera<strong>ch</strong>s«, mit der die sog. Abrahamerzählungen<br />
(11,27-25,11) beginnen 342 . Dana<strong>ch</strong> folgen zwei Nebentoledotformeln,<br />
in denen es um die beiden Söhne Abrahams geht. In 25,12 steht »und das sind die<br />
Geburten Ismaels«. Ismael war der Erste aufgrund der Geburt (der Erstgeborene).<br />
Und in 25,19 steht »und das sind die Geburten Isaaks«. Isaak war der Erste aufgrund<br />
der Bedeutung (der Sohn der Verheißung). Mit der Nebentoledotformel in<br />
25,19 beginnen die Isaakerzählungen (25,19-35,29), man nennt sie au<strong>ch</strong> gern<br />
»Jakobsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te«. Wiederum s<strong>ch</strong>ließen si<strong>ch</strong> zwei (bzw. drei) Toledotformeln an,<br />
in denen es um die beiden Söhne geht, diesmal um die beiden Söhne Isaaks. Esau,<br />
der in den Nebentoledotformeln 36,1.9 genannt wird, war der Erste aufgrund der<br />
Geburt. Jakob hingegen, der in der Haupttoledotformel 37,2 genannt wird, war<br />
der Erste aufgrund der Bedeutung. Das vierte Toledot-Kapitel enthält innerhalb<br />
der Genesis keine Nebentoledotformeln. Erst in Numeri 3,1 steht »und das sind<br />
die Geburten Aarons und Moses«. Und in Ruth 4,18 steht »und das sind die Geburten<br />
des Perez«.<br />
Die folgende Übersi<strong>ch</strong>t fasst das Gesagte zusammen und verans<strong>ch</strong>auli<strong>ch</strong>t auf diese<br />
Weise die anhand der Toledotformeln gewonnene Gliederung der Genesis:<br />
1,1-2,3 Vorwort: Die S<strong>ch</strong>öpfung von Himmel und Erde<br />
341<br />
Siehe Thomas Hieke: »Zieht man in Analogie zu den bisherigen Toledot-Abs<strong>ch</strong>nitten die Todes-<br />
bzw. Begräbnisnotiz heran, so endet die Toledot Jakobs in Gen 49,33. Dazu sind jedo<strong>ch</strong><br />
die folgenden Bes<strong>ch</strong>reibungen des feierli<strong>ch</strong>en Begräbnisses mit heranzuziehen (Gen 50). Eine<br />
strukturelle Ähnli<strong>ch</strong>keit ist bei der Toledot Tera<strong>ch</strong>s (Gen 11,27-25,11) zu beoba<strong>ch</strong>ten: Sie endet<br />
ni<strong>ch</strong>t mit der Todesnotiz Tera<strong>ch</strong>s (11,32), sondern mit dem Tod des Hauptprotagonisten<br />
Abraham (25,7-11). Somit ist au<strong>ch</strong> hier das Ende der Toledot Jakobs mit dem Tod der Hauptperson<br />
Josef (50,26) errei<strong>ch</strong>t.« (Die Genealogien der Genesis, 2003, 192f.).<br />
342<br />
Aufgrund der einleitenden Toledotformel und au<strong>ch</strong> aufgrund des Inhalts müsste man eigentli<strong>ch</strong><br />
von Tera<strong>ch</strong>erzählungen oder von der Familienges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te Tera<strong>ch</strong>s spre<strong>ch</strong>en. Thomas Hieke<br />
geht auf das Problem einer s<strong>ch</strong>einbar fehlenden Toledot-Formel mit Abram bzw. Abraham<br />
ein, die man in 12,1 erwarten könnte, und stellt in diesem Zusammenhang fest: »Dieser Abs<strong>ch</strong>nitt<br />
[12,1-25,11] enthält au<strong>ch</strong> die Na<strong>ch</strong>kommen Lots, des Sohnes Harans (Gen 19,30-38),<br />
und die Na<strong>ch</strong>kommen Nahors (Gen 22,20-24 mit Hinweis auf Rebekka, die in Gen 24 eine<br />
wi<strong>ch</strong>tige Rolle spielt). Somit umfasst Gen 12,1-25,11 ni<strong>ch</strong>t nur die Abrahamges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten, sondern<br />
au<strong>ch</strong> die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te von Nahor und Lot ben Haran, also die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten aller Na<strong>ch</strong>fahren<br />
Tera<strong>ch</strong>s.« (Die Genealogien der Genesis, 2003, 125f.)
204 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
2,4-6,8 Erstes Toledot-Kapitel: Die Geburten der Himmel und der Erde<br />
2,4-4,26 Die Geburten der Himmel und der Erde bringen<br />
den Mens<strong>ch</strong>en hervor.<br />
5,1-6,8 Das Bu<strong>ch</strong> der Geburten des Mens<strong>ch</strong>en<br />
6,9-11,9 Zweites Toledot-Kapitel: Die Geburten Noahs<br />
6,9-9,29 Die Sintflut und der Bund mit Noah<br />
10,1-11,9 Die Söhne Noahs oder die Völker<br />
11,10-36,43 Drittes Toledot-Kapitel: Die Geburten Sems<br />
11,10-26 Stammbaum Sems<br />
11,27-25,11 Die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te Tera<strong>ch</strong>s (»Abrahamges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten«)<br />
25,12-18 Stammbaum Ismaels<br />
25,19-35,29 Die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te Isaaks (»Jakob-Esau-<br />
Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten«)<br />
36,1-8.9-43 Zwei Stammbäume Esaus<br />
37,1-? Viertes Toledot-Kapitel: Die Geburten Jakobs<br />
37,1-50,26 Die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te Jakobs (»Josefges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te«)<br />
Die Gliederung der Genesis mit Hilfe der Toledot-Formeln lässt die Frage aufkommen,<br />
wie si<strong>ch</strong> diese Gliederung zu der übli<strong>ch</strong>en verhält, die zum Beispiel dem<br />
Kommentar von Horst Seebass zugrunde liegt. Demna<strong>ch</strong> sind die »Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te«<br />
(1,1-11,26), die »Väterges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te« (11,27-36,43) und die »Josephsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te«<br />
(37,1-50,26) zu unters<strong>ch</strong>eiden. Geht man no<strong>ch</strong> eine Stufe weiter na<strong>ch</strong> unten, dann<br />
ergibt si<strong>ch</strong> die folgende Gliederung: 1. Die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26). 2. Die Väterges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te<br />
unterteilt in: 2.1. Der Abraham-Zyklus (11,27-25,11), 2.2. Zwis<strong>ch</strong>entext:<br />
Die Ismaeliten (25,12-18), 2.3. Der Isaak-Zyklus (25,19-35,29), 2.4. Zwis<strong>ch</strong>entext:<br />
Esau/Edom, seine Gruppierungen und frühen Könige (36,1-43). 3. Die<br />
Josephsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te unterteilt in: 3.1. Der Jakob/Israel-Zyklus (37,1-50,14), 3.2.<br />
S<strong>ch</strong>luß der Genesis: Die Söhne Israels (50,15-26). Man kann die Toledot- und die<br />
klassis<strong>ch</strong>e Gliederung zur Deckung bringen. Das Vorwort und die ersten beiden<br />
Toledot-Kapitel heißen in der klassis<strong>ch</strong>en Gliederung »Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te«, wobei man<br />
dann allerdings sagen muss, dass die Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te mit dem Turmbau zu Babel<br />
(11,1-9) endet. Das dritte Toledot-Kapitel beinhaltet die »Väterges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te«, die<br />
allerdings s<strong>ch</strong>on mit dem Stammbaum Sems beginnt. Es geht hier also um die<br />
semitis<strong>ch</strong>e Linie. Das vierte Toledot-Kapitel beinhaltet die »Josephsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te«.
Das sind die Geburten: Zum inneren Sinn der Toledot-Struktur der Genesis 205<br />
2.3. Die Einzei<strong>ch</strong>nung der Generationen in das Toledot-S<strong>ch</strong>ema<br />
Da »toledot« »Generationenfolge« (ELB) bedeutet, liegt es nahe, den vier Toledot-<br />
Kapiteln die zu ihnen gehörenden Generationen zuzuordnen. Das ist ni<strong>ch</strong>t ganz<br />
einfa<strong>ch</strong>, aber Friedri<strong>ch</strong> Weinreb hat hierzu einen interessanten Vors<strong>ch</strong>lag gema<strong>ch</strong>t.<br />
Ihm zufolge decken die vier Kapitel die Generationen »bis zur Offenbarung<br />
am Sinai« 343 , das heißt bis Mose ab. Das Ende des vierten Toledot-Kapitels lässt<br />
si<strong>ch</strong> wie gesagt ni<strong>ch</strong>t einfa<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> das Auftreten einer fünften ’ellä-toledot-<br />
Formel bestimmen, denn diese gibt es ni<strong>ch</strong>t. Thomas Hieke nahm daher als alternatives<br />
Kriterium den Tod der Hauptperson Josef in Gen 50,26 an. 344 Friedri<strong>ch</strong><br />
Weinreb hingegen ma<strong>ch</strong>t einen anderen Vors<strong>ch</strong>lag, indem er die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te bis<br />
zur Offenbarung des Jahwenamens am Sinai (siehe Ex 6,3) als das Thema benennt,<br />
das dur<strong>ch</strong> die vier Toledot-Kapitel abgedeckt wird. Unter dieser Voraussetzung<br />
muss er nun zeigen, wie si<strong>ch</strong> die 26 Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>ter von Adam bis Mose mögli<strong>ch</strong>st<br />
ungezwungen auf die vier Kapitel verteilen. Die Namen dieser 26 Generationen<br />
sind die folgenden: Adam, Set, Enos<strong>ch</strong>, Kenan, Mahalalel, Jered, Heno<strong>ch</strong>,<br />
Metus<strong>ch</strong>ela<strong>ch</strong>, Lame<strong>ch</strong>, Noah, Sem, Arpa<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ad, S<strong>ch</strong>ela<strong>ch</strong>, Eber, Peleg, Regu,<br />
Serug, Nahor, Tera<strong>ch</strong>, Abram (Abraham), Isaak, Jakob (Israel), Levi, Kehat, Amram,<br />
Mose.<br />
Die Aufteilung dieser 26 Namen auf die vier Kapitel erfolgt im wesentli<strong>ch</strong>en über<br />
die Stammbäume, die für die einzelnen Kapitel zentral sind. Für das erste Toledot-Kapitel<br />
(2,4-6,8) ist das der Stammbaum in Gen 5. Er rei<strong>ch</strong>t von Adam bis<br />
Noah und umfasst somit 10 Generationen. 345 Für das zweite Toledot-Kapitel (6,9-<br />
11,9) ist das der Stammbaum Sems in Gen 10,21-31. Er rei<strong>ch</strong>t von Sem bis Peleg<br />
und umfasst somit 5 Generationen. Für das dritte Toledot-Kapitel (11,10-37,1)<br />
muss man von dem Stammbaum in Gen 11,10-27 ausgehen. Er beginnt erneut<br />
mit Sem und endet (wenn wir uns wie im Falle von Gen 5 ents<strong>ch</strong>eiden) mit Tera<strong>ch</strong>.<br />
Eine erste S<strong>ch</strong>wierigkeit an dieser Stelle besteht in der Übers<strong>ch</strong>neidung mit<br />
dem vorher genannten Stammbaum Gen 10,21-31. Weinreb zählt die dort bereits<br />
genannten Personen hier ni<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong> einmal und erhält somit aus dem Stammbaum<br />
für das dritte Toledot-Kapitel 4 Namen (Regu, Serug, Nahor, Tera<strong>ch</strong>). Do<strong>ch</strong><br />
es tau<strong>ch</strong>t no<strong>ch</strong> eine zweite S<strong>ch</strong>wierigkeit auf, die sofort si<strong>ch</strong>tbar wird, wenn wir<br />
uns den Stammbaum betra<strong>ch</strong>ten, der für das vierte Toledot-Kapitel (ab 37,2) herangezogen<br />
werden muss, nämli<strong>ch</strong> der Stammbaum Levis in Ex 6,16-27. Ihm<br />
entnehmen wir die 4 Generationen von Levi bis Mose. Die S<strong>ch</strong>wierigkeit besteht<br />
nun darin, dass die drei Erzväter Abram, Isaak und Jakob in den vier hier maßgebli<strong>ch</strong>en<br />
Stammbäumen ni<strong>ch</strong>t vorkommen, so dass zu fragen ist: Wer gehört zum<br />
dritten und wer zum vierten Kapitel? Weinreb s<strong>ch</strong>lägt Abram und Isaak zum drit-<br />
343<br />
Friedri<strong>ch</strong> Weinreb, S<strong>ch</strong>öpfung im Wort, 2002, 143.<br />
344<br />
Thomas Hieke, Genealogien, 2003, 192f.<br />
345<br />
Man kann einwenden, dass dieser Stammbaum au<strong>ch</strong> die Söhne Noahs und somit au<strong>ch</strong> Sem<br />
nennt. Berücksi<strong>ch</strong>tigt werden jedo<strong>ch</strong> nur die Personen, die im Stammbaum als zeugend aufgeführt<br />
werden.
206 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
ten und Jakob zum vierten Kapitel, so dass das dritte Kapitel 6 Generationen und<br />
das vierte 5 Generationen umfasst. Gegen insbesondere die Zuordnung Jakobs<br />
zum vierten Kapitel kann man einwenden, dass - zumindest na<strong>ch</strong> der übli<strong>ch</strong>en<br />
Spre<strong>ch</strong>weise - das dritte Toledot-Kapitel die Väterges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten, das heißt die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten<br />
von Abram, Isaak und Jakob erzählt. Jakob müsste demna<strong>ch</strong> zum dritten<br />
Kapitel gehören. Andererseits könnte das aber au<strong>ch</strong> ein Missverständnis sein,<br />
denn die sogenannte Josefsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te beginnt bekanntli<strong>ch</strong> mit den Worten: »Dies<br />
ist die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te Jakobs« (37,2 ZUR). Wenn wir also Weinreb folgen wollen, dann<br />
werden die 26 Generationen von Adam (Mens<strong>ch</strong>) bis Mose (das Wort) dur<strong>ch</strong> die<br />
vier Toledot-Kapitel in 10-5-6-5 Generationen strukturiert. Setzt man für diese<br />
Zahlen die entspre<strong>ch</strong>enden hebräis<strong>ch</strong>en Bu<strong>ch</strong>staben ein 346 , dann liest man JHWH<br />
(Jahwe). In der Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>terfolge ist also von Anfang an Jahwe enthalten oder<br />
wirksam (Jahwe tau<strong>ch</strong>t in der hebräis<strong>ch</strong>en Bibel erstmals in Gen 2,4 auf) und<br />
drängt zu seiner Offenbarung dur<strong>ch</strong> Mose, der den Herrn in seiner Offenbarung<br />
dur<strong>ch</strong> das Wort darstellt (vgl. HG 6752). 347<br />
3. Zur Interpretation des Toledot-Gerüstes<br />
3.1. Vier Epo<strong>ch</strong>en der alttestamentli<strong>ch</strong>en Kultgemeinde<br />
Die vier großen Toledot-Kapitel werden mit den folgenden Formeln eingeleitet: 1.<br />
»Das sind die Geburten der Himmel und der Erde« (2,4), 2. »Das sind die Geburten<br />
Noahs« (6,9), 3. »Das sind die Geburten Sems« (11,10) und 4. »Das sind die Geburten<br />
Jakobs« (37,2). Wel<strong>ch</strong>e Ordnung liegt diesen vier Namen zugrunde? Die Zahl<br />
Vier deutet auf eine Zerlegung in Zwei mal Zwei. Es ist zu vermuten, dass die<br />
Kapitel eins und zwei ein gemeinsames Thema haben und dass au<strong>ch</strong> die Kapitel<br />
drei und vier ein gemeinsames haben. Und tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> werden die ersten beiden<br />
Kapitel oft unter dem Sti<strong>ch</strong>wort »Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te« zu einer Einheit verbunden, und<br />
die Kapitel drei und vier thematisieren die Vorges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te Israels im engeren Sinne.<br />
Mit Swedenborg, das heißt dur<strong>ch</strong> die Sensibilisierung für den inneren Sinn,<br />
können wir außerdem erkennen, dass es ist den ersten beiden Kapiteln um die<br />
S<strong>ch</strong>öpfung oder um die grundlegende Ordnung (den Kosmos) geht. Das erste Kapitel<br />
behandelt die erste oder die Urs<strong>ch</strong>öpfung aus der Hand Gottes. Das zweite<br />
Kapitel behandelt die zweite oder die Neus<strong>ch</strong>öpfung aus der Hand Noahs, das<br />
heißt die Ar<strong>ch</strong>e, die mit Mens<strong>ch</strong> und Tier gefüllt ebenfalls ein S<strong>ch</strong>öpfungsraum<br />
346<br />
Na<strong>ch</strong> Friedri<strong>ch</strong> Weinreb sind die hebräis<strong>ch</strong>en Bu<strong>ch</strong>staben »in erster Linie Zahlen« (S<strong>ch</strong>öpfung<br />
im Wort, 2002, 69).<br />
347<br />
Auf der Grundlage dieser Deutung kommt Weinreb zu einer interessanten Erklärung der<br />
Übers<strong>ch</strong>neidungen der Generationen im dritten Toledot-Kapitel mit dem zweiten, mit dem es<br />
Sem, Arpa<strong>ch</strong>s<strong>ch</strong>ad, S<strong>ch</strong>ela<strong>ch</strong>, Eber und Peleg gemeinsam hat. Das dritte Kapitel entspri<strong>ch</strong>t<br />
dem Verbindungsbu<strong>ch</strong>staben Waw, der »und« bedeutet, daher bindet es das vorhergehende<br />
Kapitel ein (siehe S<strong>ch</strong>öpfung im Wort, 2002, 145). Man kann Weinrebs Gedanken no<strong>ch</strong> weiterführen.<br />
Denn die Zuordnung Jakobs zu den Kapiteln drei oder vier stellt ein Problem dar.<br />
Jakob wird im dritten geboren, sein Toledot-Kapitel ist aber das vierte. Somit integriert das<br />
dritte au<strong>ch</strong> den Kopf des vierten Kapitels.
Das sind die Geburten: Zum inneren Sinn der Toledot-Struktur der Genesis 207<br />
ist. Es waltet hier dasselbe Verhältnis wie im Falle der zweimaligen Anfertigung<br />
der Gebotstafeln. Die ersten wurden von Jahwe gema<strong>ch</strong>t, die zweiten von Mose<br />
(HG 10603). In den Kapiteln drei und vier rückt dann in der na<strong>ch</strong>sintflutli<strong>ch</strong>en<br />
(ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en) Welt für den biblis<strong>ch</strong>en Erzähler die semitis<strong>ch</strong>e Linie in den<br />
Mittelpunkt und ihre Fokussierung auf Israel.<br />
Mit Swedenborg kann man in den vier Kapiteln vier Epo<strong>ch</strong>en der Kultgemeinde<br />
des alten Bundes (vor der Mens<strong>ch</strong>werdung Jahwes) erkennen. Das erste Toledot-<br />
Kapitel (2,4-6,8) bes<strong>ch</strong>reibt demna<strong>ch</strong> die »Urkir<strong>ch</strong>e« oder »älteste Kir<strong>ch</strong>e« (Swedenborgs<br />
»ecclesia antiquissima«) (HG 89, 1330), die bei Swedenborg au<strong>ch</strong><br />
»himmlis<strong>ch</strong>er Mens<strong>ch</strong>« heißt (HG 199). Die einleitende Toledot-Formel dieses<br />
Kapitels (2,4) nennt »Himmel« und »Erde« als Vater und Mutter der ersten irdis<strong>ch</strong>en<br />
Form (’adam von ’adama) einer Gottesvergegenwärtigung auf unserer Erde.<br />
Dieser Merismus 348 ist für viele Deutungen offen. Von Swedenborg haben wir<br />
gelernt, dass der Himmel den inneren Mens<strong>ch</strong>en und die Erde den äußeren meint<br />
(HG 89). Man kann darin aber au<strong>ch</strong> den Gegensatz von Geist und Materie (Transzendenz<br />
und Stoffli<strong>ch</strong>keit) erblicken. Adam, der geistbegabte Erdling, entwickelte<br />
si<strong>ch</strong> genau am Ort des Zusammenstoßes dieser Gegensätze, die eigentli<strong>ch</strong> voreinander<br />
fliehen wollen. Die Urkir<strong>ch</strong>e war der Sabbat (der Ruhetag) des Geistes in<br />
der Materie, dargestellt dur<strong>ch</strong> den Garten Eden.<br />
Das zweite Toledot-Kapitel (6,9-11,9) bes<strong>ch</strong>reibt die »alte Kir<strong>ch</strong>e« (Swedenborgs<br />
»ecclesia antiqua«) oder - wie wir heute sagen - die Religionen des alten Vorderen<br />
Orients. Während die Urkir<strong>ch</strong>e in der Spra<strong>ch</strong>e der Bibel »Adam« (Mens<strong>ch</strong>) hieß,<br />
erhielt die zweite geistige Großma<strong>ch</strong>t, die glei<strong>ch</strong>zeitig die erste ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong><br />
fassbare ist, den Namen »Noah« (Trost, 5,29), denn in den Überlieferungen dieser<br />
»Kir<strong>ch</strong>e«, die ein Erbe der Urkir<strong>ch</strong>e waren, fand die Mens<strong>ch</strong>heit Trost angesi<strong>ch</strong>ts<br />
des Verlustes der ursprüngli<strong>ch</strong>en Gemeins<strong>ch</strong>aft mit Gott. In den S<strong>ch</strong>rift- und<br />
Kultbildern näherte man si<strong>ch</strong> dem Unsagbaren und gelangte so zu einer tiefen<br />
Weisheit. Do<strong>ch</strong> am Ende s<strong>ch</strong>wand der Geist und zurück blieb eine große Verwirrung<br />
(Gen 11,1-9). Interessant ist, dass es in der berühmten Turmbauges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te,<br />
die das Ende dieser Kir<strong>ch</strong>e markiert, heißt: »so wollen wir uns einen Namen ma<strong>ch</strong>en«<br />
(11,4). »Name« heißt auf Hebräis<strong>ch</strong> »s<strong>ch</strong>em«; das ist glei<strong>ch</strong>zeitig der Name<br />
des Sohnes Noahs, der über dem dritten Toledot-Kapitel (11,10-37,1) steht.<br />
Denn mit »’ellä toledot s<strong>ch</strong>em« (das sind die Geburten Sems) beginnt in 11,10<br />
dieses dritte Kapitel. Was im geistestollen Endzustand der alten Kir<strong>ch</strong>e ni<strong>ch</strong>t gelang,<br />
nämli<strong>ch</strong> eine die Zeiten überdauernde Bedeutung zu erlangen, das sollte<br />
nun in der dritten Epo<strong>ch</strong>e Wirkli<strong>ch</strong>keit werden, und zwar dur<strong>ch</strong> den Auszug<br />
Abrams aus Ur in Chaldäa; Chaldäa meint »einen Kult, in dem innen ni<strong>ch</strong>ts Wahres<br />
vorhanden ist« (HG 1368). Die einleitende Toledot-Formel (11,10) nennt je-<br />
348<br />
Der Merismus ist ein Stilmittel der biblis<strong>ch</strong>en Lyrik, der eine Gesamtheit dur<strong>ch</strong> zwei gegensätzli<strong>ch</strong>e<br />
Begriffe ausdrückt. So bezei<strong>ch</strong>nen »Himmel und Erde« den Kosmos (das geordnete<br />
Weltganze).
208 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
do<strong>ch</strong> keinen der Erzväter, sondern Sem, der na<strong>ch</strong> 10,21 »der Vater aller Söhne<br />
Ebers (der Stammvater der Hebräer)« ist. Daher heißt diese Kultgemeinde »die<br />
zweite alte Kir<strong>ch</strong>e (alterius ecclesiae antiquae)« (HG 1329) oder »die hebräis<strong>ch</strong>e<br />
Kir<strong>ch</strong>e (eccelesia hebraea)« (HG 1850). Sie war die Brücke zwis<strong>ch</strong>en der ursprüngli<strong>ch</strong>en<br />
altorientalis<strong>ch</strong>en Weisheit und Israel.<br />
Das vierte Toledot-Kapitel (ab 37,1) ist na<strong>ch</strong> Jakob benannt und thematisiert das<br />
Werden der Kultgemeinde Israels. Sie wird von Swedenborg die dritte alte Kir<strong>ch</strong>e<br />
genannt (HG 1285, 1330). Sie war nur no<strong>ch</strong> »die (äußere) Darstellung einer Kir<strong>ch</strong>e<br />
(Ecclesiae repraesentativum), aber ni<strong>ch</strong>t mehr eine darstellende Kir<strong>ch</strong>e (Ecclesia<br />
repraesentativa)« (HG 4844). Der Unters<strong>ch</strong>ied ist spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t groß,<br />
aber inhaltli<strong>ch</strong> um so größer, denn: »Eine darstellende Kir<strong>ch</strong>e liegt vor, wenn ein<br />
innerer Gottesdienst im äußeren vorhanden ist; die Darstellung einer Kir<strong>ch</strong>e hingegen<br />
ist gegeben, wenn kein innerer, sondern nur no<strong>ch</strong> ein äußerer Gottesdienst<br />
da ist.« (HG 4288).<br />
3.2. Die Bots<strong>ch</strong>aft von Eins plus Vier<br />
Die Gliederung der Genesis auf der Grundlage der ’ellä-toledot-Formeln führte zu<br />
dem Ergebnis, dass dieses erste Bu<strong>ch</strong> der Bibel aus einem Vorwort und vier Kapiteln<br />
besteht. Die Eins-Vier-Struktur wiederholt si<strong>ch</strong> im Pentateu<strong>ch</strong> (in den 5 Bü<strong>ch</strong>ern<br />
Mose), denn er besteht aus der Genesis und den vier Gesetzesbü<strong>ch</strong>ern. Dass<br />
die Genesis ein Vorwort ist, kann man damit begründen, dass es in diesem Bu<strong>ch</strong><br />
das Volk Israel, Mose und das Gesetz no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t gibt. Die Eins-Vier-Struktur<br />
zeigt si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> im Neuen Testament, denn vor den vier Evangelien steht der<br />
fleis<strong>ch</strong>gewordene Logos, der gewissermaßen die Genesis oder der Geburtsgrund<br />
der vier Evangelien ist. Man kann au<strong>ch</strong> auf die Szene am Kreuz hinweisen, die<br />
von dem Untergewand und den vier Teilen der Kleider Jesu beri<strong>ch</strong>tet (Joh 19,23f.;<br />
Deutung in OE 64, HG 9093). In allen diesen Beispielen steht die Eins für das<br />
Innere (den Kern) und die Vier für das dementspre<strong>ch</strong>ende Äußere. So steht die<br />
Entfaltung des ursprüngli<strong>ch</strong>en Gottesimpulses in Geburten (die Genesis) vor dem<br />
Gesetz. So steht der lebendige Logos vor dem Zeugnis über ihn in den Evangelien.<br />
So steht die innere Wahrheit (das Untergewand Jesu) vor ihrer ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>en<br />
Ausgestaltung (die vier Teile). Und so steht nun au<strong>ch</strong> innerhalb der Genesis das<br />
»In principio« (beres<strong>ch</strong>it) von Gen 1,1 vor den vier großen Toledot der Geburtenkette.<br />
Es geht au<strong>ch</strong> hier, in diesem Vorwort, um das geistige Prinzip, das seiner<br />
Ausprägung in den vier Geburtenlinien zugrunde liegt.<br />
Friedri<strong>ch</strong> Weinreb verdanken wir weitere Beoba<strong>ch</strong>tungen. Adam, das hebräis<strong>ch</strong>e<br />
Wort für Mens<strong>ch</strong>, besteht aus den Zahlen 1-4-40 (Aleph-Daleth-Mem). Die Verbindung<br />
von 1 und 4 (die 40 ist die 4 auf einer anderen Ebene) ist also die Wesensformel<br />
für den Mens<strong>ch</strong>en. Das hebräis<strong>ch</strong>e Wort für Wahrheit »’ämät« besteht<br />
aus den Zahlen 1-40-400 (Aleph-Mem-Taw). Es beruht somit ebenfalls auf der 1-<br />
4-Struktur. Mens<strong>ch</strong> und Wahrheit (oder Glaube) sind also ganz eng miteinander<br />
verwandt. Oder anders ausgedrückt: Der Mens<strong>ch</strong> kann überhaupt nur Mens<strong>ch</strong>
Das sind die Geburten: Zum inneren Sinn der Toledot-Struktur der Genesis 209<br />
sein als ein Glaubender, als einer der »’ämät«, die geistigen Grundlagen der kosmis<strong>ch</strong>en<br />
Ordnung, verwirkli<strong>ch</strong>t. Entfernt man aus den 1-4-Formeln die 1 (das<br />
Aleph), dann bleibt im Falle des Mens<strong>ch</strong>en 4-40 übrig, das ist das hebräis<strong>ch</strong>e<br />
Wort für Blut, und im Falle der Wahrheit bleibt 40-400 übrig, das ist das hebräis<strong>ch</strong>e<br />
Wort für Tod. Ohne die göttli<strong>ch</strong>e Eins bleibt also von den hohen Gebilden<br />
Mens<strong>ch</strong> und Wahrheit nur das Stoffli<strong>ch</strong>e zurück, das biologis<strong>ch</strong>e Leben und der<br />
Bu<strong>ch</strong>stabe, der tötet, na<strong>ch</strong>dem der Geist entwi<strong>ch</strong>en ist. Das s<strong>ch</strong>ärft unsere Augen<br />
no<strong>ch</strong> einmal dafür, dass die vier Geburtenfolgen der Genesis ni<strong>ch</strong>ts wären ohne<br />
den S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t (Gen 1) und den Ruhetag (Gen 2,1-3). In Genesis 1 ist das<br />
folgende Toledot-Ges<strong>ch</strong>ehen bereits angelegt, aber no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t ausgespro<strong>ch</strong>en.<br />
Das drückt si<strong>ch</strong> in der hebräis<strong>ch</strong>en Bibel darin aus, dass Genesis 1 (ohne den<br />
Ruhetag Gen 2,1-3) aus genau 434 Worten besteht. Das ist exakt der Zahlenwert<br />
für den Singular (die Eins) von »toledot«, also »toled« (400-30-4). 349<br />
No<strong>ch</strong> weitere Beoba<strong>ch</strong>tungen verdanken wir Weinreb, der jüdis<strong>ch</strong>en Weinrebe,<br />
die in unverglei<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Weise aus der Überlieferung (Kabbala) s<strong>ch</strong>öpfte. In Genesis<br />
2 ist mehrmals, teils offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>, teils weniger offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>, das Zahlenverhältnis<br />
1-4 enthalten. Zu Adam (1-4-40) ist das Wesentli<strong>ch</strong>e s<strong>ch</strong>on gesagt worden.<br />
Do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> der geheimnisvolle »Dunst« (2,6), der der Formung des Adam aus<br />
dem Staub der Adama (1-4-40-5) vorausgeht, besteht genau aus den Zahlen 1-4.<br />
Er erweist si<strong>ch</strong> damit als die Urgestalt der 1-4-Bauweise. Die Zahlensumme des<br />
Baumes des Lebens (233) verhält si<strong>ch</strong> zur Zahlensumme des Baumes der Erkenntnis<br />
des Guten und Bösen (932) wie 1 zu 4. Und natürli<strong>ch</strong> muss man au<strong>ch</strong><br />
den einen Fluss nennen, der si<strong>ch</strong> in vier Hauptarme teilt. 350 Zwis<strong>ch</strong>en dem Mens<strong>ch</strong>en<br />
und den wesentli<strong>ch</strong>en Elementen seiner Umgebung besteht sona<strong>ch</strong> eine<br />
eigentümli<strong>ch</strong>e Entspre<strong>ch</strong>ung. 351<br />
Die Eins bezei<strong>ch</strong>net das Göttli<strong>ch</strong>e. Die Vier hingegen steht für das Weltli<strong>ch</strong>e bzw.<br />
die totale Verwirkli<strong>ch</strong>ung eines Prinzips in der Welt. Somit ist die Vier eine<br />
Ganzheitszahl, was si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> darin zeigt, dass die Summe der Zahlen von Eins<br />
bis Vier Zehn oder das Ganze ergibt. Viele Beispiele belegen, dass wir die Ganzheit<br />
in vier Aspekten erfahren. So ers<strong>ch</strong>ließt si<strong>ch</strong> uns die Ganzheit des Raumes<br />
dur<strong>ch</strong> die vier Himmelsri<strong>ch</strong>tungen und die Ganzheit der Zeit in den vier Tagesund<br />
Jahreszeiten. Die Ganzheit der Welt bildete si<strong>ch</strong> für die alten Weisen aus den<br />
vier Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde. Die Ganzheit des leibli<strong>ch</strong>en Mikrokosmos<br />
lässt si<strong>ch</strong> auf einen genetis<strong>ch</strong>en Code (DNA) zurückführen, in dem es<br />
vier Basen gibt: Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin. Und die Ganzheit des seelis<strong>ch</strong>en<br />
Mikrokosmos wird oft in einer vierfaltigen Typenlehre erfasst. Bekannt sie<br />
349<br />
Friedri<strong>ch</strong> Weinreb, S<strong>ch</strong>öpfung im Wort, 2002, 140.<br />
350<br />
Die Zahlen der Namen der vier Flüsse ergeben die Summe 1345, wel<strong>ch</strong>e die Quersumme 4<br />
hat.<br />
351<br />
Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist ferner, dass sowohl die Ers<strong>ch</strong>affung des Mens<strong>ch</strong>en<br />
in Vers 7 als au<strong>ch</strong> die Ers<strong>ch</strong>affung der Frau in den Versen 21b bis 22a in 16 Wörtern<br />
ges<strong>ch</strong>ildert werden. In beiden Fällen ist also die Zahl 4 das bestimmende Prinzip.
210 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
die vier Temperamente Sanguiniker, Choleriker, Phlegmatiker und Melan<strong>ch</strong>oliker<br />
oder Carl Gustav Jungs Typologie ebenfalls basierend auf der Vier. Na<strong>ch</strong> Swedenborg<br />
hat Vier die Bedeutung von »conjunctio« (Verbindung, HG 5313, 9493). Vier<br />
ist die Verdopplung der Urdualität des Guten und Wahren, die »die Universalien<br />
der S<strong>ch</strong>öpfung« (EL 85) sind. Die Verdopplung resultiert aus dem Mis<strong>ch</strong><strong>ch</strong>arakter<br />
der Welt, in der Göttli<strong>ch</strong>es und Widergöttli<strong>ch</strong>es im Streit liegen. Dementspre<strong>ch</strong>end<br />
müssen ni<strong>ch</strong>t nur das Gute und Wahre, sondern au<strong>ch</strong> die Pole Wärme und<br />
Kälte auf der einen und Li<strong>ch</strong>t und Finsternis auf der anderen Seite unters<strong>ch</strong>ieden<br />
werden. Das 1-4-Prinzip deutet auf die Einsenkung der göttli<strong>ch</strong>en oder transzendenten<br />
Eins in die materielle Weltwirkli<strong>ch</strong>keit hin. »Gott ist der eigentli<strong>ch</strong>e<br />
Mens<strong>ch</strong>« (GLW 11), sagt Swedenborg. Daher streben alle Formen zur mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en<br />
Form hin und sind um so vollkommener, je näher sie dieser Urform aller<br />
Formen kommen. Die Bibel ist offenbar auf eine sehr tiefsinnige Weise ein Bild<br />
dieser Urform.<br />
3.3. Die Erstgeburt und die erwählte Geburt<br />
Ni<strong>ch</strong>t immer ist der Erstgeborene au<strong>ch</strong> der erwählte Sohn der Verheißung. Swedenborg<br />
prägte aus der ihm eigenen Fähigkeit, komplexe Sa<strong>ch</strong>verhalte auf einfa<strong>ch</strong>e<br />
Formeln zu bringen, die diesen Unters<strong>ch</strong>ied bes<strong>ch</strong>reibenden Begriffe »primum<br />
tempore« (das Erste im Hinblick auf die Zeit) und »primum fine« (das Erste<br />
im Hinblick auf das angestrebte Ziel oder den Zweck). So s<strong>ch</strong>reibt er: »Der Glaube,<br />
unter dem man au<strong>ch</strong> das Wahre versteht, ist zwar das Erste der Zeit na<strong>ch</strong><br />
(primum tempore), die Liebe (<strong>ch</strong>aritas) aber, unter der man au<strong>ch</strong> das Gute versteht,<br />
ist es dem Endzweck na<strong>ch</strong> (primum fine). Dieses Erste im Hinblick auf das<br />
Ziel (primum fine) ist in Wahrheit das Erste, das Erstrangige (primarium) und<br />
somit au<strong>ch</strong> der Erstgeborene. Was nur zeitli<strong>ch</strong> das Erste ist, das ist ni<strong>ch</strong>t in<br />
Wahrheit das Erste, sondern nur dem Ans<strong>ch</strong>ein na<strong>ch</strong>.« (WCR 336; vgl. au<strong>ch</strong> EO<br />
17). Das also ist die Ordnung des Geistes. Diese grundlegende Erkenntnis Swedenborgs<br />
eröffnet uns das Verständnis einer Merkwürdigkeit in den Geburtensträngen<br />
der Genesis.<br />
Denn weder Isaak, no<strong>ch</strong> Jakob (Israel) waren die Erstgeborenen. Der Erstgeborene<br />
Abrams war Ismael, und der Erstgeborene Isaaks war Esau. Do<strong>ch</strong> die Verheißung<br />
verwirkli<strong>ch</strong>te si<strong>ch</strong> über die zweite Geburt. Die Zurücksetzung der zeitli<strong>ch</strong><br />
ersten Geburt können wir au<strong>ch</strong> anhand von Kain, dem Erstgeborenen Adams,<br />
anhand von Ruben, dem Erstgeborenen Jakobs und anhand von Manasse, dem<br />
Erstgeborenen Josefs beoba<strong>ch</strong>ten.<br />
So ist es au<strong>ch</strong> in der Entwicklung jedes Mens<strong>ch</strong>en. Seine erste Geburt ist die natürli<strong>ch</strong>e.<br />
Seine zweite Geburt aber ist die geistige Wiedergeburt (regeneratio). Die<br />
erste Geburt s<strong>ch</strong>eint die allein bedeutsame zu sein; viele Zeitgenossen werden die<br />
Rede von einer Wiedergeburt für ein Pfaffenmär<strong>ch</strong>en halten, dem keinerlei Bedeutung<br />
beizumessen ist. Und do<strong>ch</strong> ist die zweite Geburt die wesentli<strong>ch</strong>e. Sie will<br />
si<strong>ch</strong> aber s<strong>ch</strong>einbar ni<strong>ch</strong>t ereignen, weswegen man das Gerede von ihr mit einem
Das sind die Geburten: Zum inneren Sinn der Toledot-Struktur der Genesis 211<br />
gewissen Re<strong>ch</strong>t in Frage stellt. Dem entspri<strong>ch</strong>t in den Geburtenerzählungen der<br />
Genesis die Unfru<strong>ch</strong>tbarkeit der Erzmütter. Sarah, die Frau Abrahams, Rebekka,<br />
die Frau Isaaks, Ra<strong>ch</strong>el, die geliebte Frau Jakobs, sie alle waren unfru<strong>ch</strong>tbar. Die<br />
Geburt ihrer Söhne, dur<strong>ch</strong> die si<strong>ch</strong> das göttli<strong>ch</strong>e Geistwirken entfalten sollte,<br />
stand auf Messers S<strong>ch</strong>neide. Isaak, der erste der unmögli<strong>ch</strong>en Söhne, wäre beinahe<br />
gar ni<strong>ch</strong>t geboren worden und später beinahe getötet worden, sein Name<br />
findet si<strong>ch</strong> in keinem Stammbaum. Wir können daraus entnehmen, dass si<strong>ch</strong> die<br />
Wiedergeburt beinahe gar ni<strong>ch</strong>t ereignet. Und do<strong>ch</strong> erzählt die Bibel, dass das<br />
Unmögli<strong>ch</strong>e oder äußerst Unwahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>e immer wieder ges<strong>ch</strong>ieht. Das ist ein<br />
großer Trost für die pilgernde Kir<strong>ch</strong>e, die oftmals nahe daran ist, die Hoffnung<br />
aufzugeben. Do<strong>ch</strong> im Li<strong>ch</strong>te der Bibel ist es sehr wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>, dass das Unwahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong>e<br />
passiert.<br />
All das erzählen die Toledot-Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten der Genesis, wenn man auf ihren geistigen<br />
Sinn a<strong>ch</strong>tet. In den Toledot-Abs<strong>ch</strong>nitten spiegelt si<strong>ch</strong> das Re<strong>ch</strong>t der Natur und<br />
das Re<strong>ch</strong>t des Geistes. Denn (zeitli<strong>ch</strong>) zuerst werden immer die Stammbäume der<br />
Erstgeborenen genannt, der Stammbaum Ismaels (25,12-18) und derjenige Esaus<br />
(36,1-8.9-43). Erst an zweiter Stelle stehen die Toledot Isaaks (25,19-35,29) und<br />
Jakobs (37,1-50,26). Aber diese Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten von Isaak und Jakob sind die bedeutsamen,<br />
auf denen das gesamte Gewi<strong>ch</strong>t des biblis<strong>ch</strong>en Erzählers liegt. So sind die<br />
Zweiten also au<strong>ch</strong> im Erzählduktus der Genesis die Ersten, und die s<strong>ch</strong>einbar<br />
Ersten haben das Na<strong>ch</strong>sehen.<br />
4. Dem Weisen genügt wenig<br />
»Sapienti pauca sufficiunt« (dem Weisen genügt wenig) 352 , lautet ein Spri<strong>ch</strong>wort.<br />
Dem Engel genügen die Namen in den Genealogien, sie erkennen in ihnen die<br />
Fülle göttli<strong>ch</strong>er Gedanken. Denn der Name ist der Ausdruck des Wesens einer<br />
Sa<strong>ch</strong>e. Gott müsste also ni<strong>ch</strong>t viele Worte ma<strong>ch</strong>en, die Genealogien würden ausrei<strong>ch</strong>en.<br />
Sie sind das Herzstück der Genesis. Do<strong>ch</strong> für alle, die no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in die<br />
»Sapientia angelica« (die Weisheit der Engel) eingeweiht worden sind, hat der<br />
göttli<strong>ch</strong>e Geist einige zusätzli<strong>ch</strong>e Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>ten gegeben, an die si<strong>ch</strong> der S<strong>ch</strong>üler<br />
der Gottesweisheit üben kann.<br />
352<br />
Paulinus von Aquileia, Exhort. 30 (226 B). Alcuin., Ep. 82 (125,24). 136 (210,8). 154 (249,17).<br />
155 (251,6).
212 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
Literaturverzei<strong>ch</strong>nis und Bilder<br />
1. Die Bibel<br />
1.1. Urtextausgaben und grundlegende Übersetzungen<br />
Biblia Hebraica Stuttgartensia, herausgegeben von Karl Elliger und Wilhelm Rudolph, Stuttgart,<br />
4., verbesserte Auflage 1990. (BHS)<br />
Novum Testamentum Graece, herausgegeben von Eberhard und Erwin Nestle, Barbara und Kurt<br />
Aland (Nestle-Aland), Stuttgart, 27., revidierte Auflage 1999.<br />
Septuaginta, herausgegeben von Alfred Rahlfs, Stuttgart 1979. (LXX)<br />
Biblia Sacra iuxta Vulgatam Versionem, herausgegeben von Robertus Weber und Roger Gryson,<br />
Stuttgart, 4., verbesserte Auflage 1994. (Vulgata)<br />
Biblia Hebraica secundum Editionem Belgicam Everardi van der Hooght collatis aliis bonae notae<br />
Codicibus una cum Versione Latina Sebastiani S<strong>ch</strong>midii, Leipzig 1740.<br />
Biblia Sacra sive Testamentum Vetus et Novum ex Linguis originalibus in Linguam Latinam translatum<br />
a Sebastiano S<strong>ch</strong>midt, Straßburg 1696, herausgegeben von Rudolph Leonhard Tafel, 1872.<br />
(SS<strong>ch</strong>m)<br />
Emanuel Swedenborgs lateinis<strong>ch</strong>e Übersetzung der Bü<strong>ch</strong>er »Genesis« und »Exodus« in »Arcana<br />
Caelestia«. (ESL)<br />
1.2. Deuts<strong>ch</strong>e Bibeln<br />
Elberfelder Bibel, Wuppertal und Dillenburg, 1. Auflage der Standardausgabe 2006. (ELB)<br />
Die Bibel na<strong>ch</strong> der Übersetzung Martin Luthers, mit Apokryphen, revidierte Fassung von 1984,<br />
Stuttgart 1985. (LUT)<br />
Die Zür<strong>ch</strong>er Bibel in der revidierten Fassung von 2007, Züri<strong>ch</strong> 2007. (ZUR)<br />
Die Einheitsübersetzung, Stuttgart 1980. (EIN)<br />
Die Heilige S<strong>ch</strong>rift des Alten und Neuen Testaments übersetzt von Hermann Menge, Stuttgart<br />
1949. (MEN)<br />
Gute Na<strong>ch</strong>ri<strong>ch</strong>t Bibel, revidierte Fassung 1997 der Bibel in heutigem Deuts<strong>ch</strong>, Stuttgart 2000.<br />
(GNB)<br />
Hoffnung für alle - die Bibel, Basel 2002. (HFA)<br />
Die deuts<strong>ch</strong>e Übersetzung von ESL, in: Himmlis<strong>ch</strong>e Geheimnisse, Bände 1-4, Tübingen 1845-1857,<br />
übersetzt von Johann Friedri<strong>ch</strong> Immanuel Tafel, Bände 5-16, Basel und Ludwigsburg 1866-1869,<br />
übersetzt von Julie Conring und Johann Jakob Wurster. (ESD)<br />
Die Bibel oder die Heilige S<strong>ch</strong>rift des Alten und Neuen Testaments übersetzt … von Dr. Leonhard<br />
Tafel, Frankfurt am Main 1880. (LEO)<br />
Die Bibel oder die Heilige S<strong>ch</strong>rift des Alten und Neuen Testaments übersetzt … von Dr. Leonhard<br />
Tafel, revidiert von Professor Ludwig H. Tafel, Philadelphia 1911. (LUD)<br />
Die biblis<strong>ch</strong>en Bü<strong>ch</strong>er werden na<strong>ch</strong> den Loccumer Ri<strong>ch</strong>tlinien abgekürzt: Ökumenis<strong>ch</strong>es Verzei<strong>ch</strong>nis<br />
der biblis<strong>ch</strong>en Eigennamen na<strong>ch</strong> den Loccumer Ri<strong>ch</strong>tlinien, herausgegeben von den katholis<strong>ch</strong>en<br />
Bis<strong>ch</strong>öfen Deuts<strong>ch</strong>lands, dem Rat der Evangelis<strong>ch</strong>en Kir<strong>ch</strong>e in Deuts<strong>ch</strong>land und der Deuts<strong>ch</strong>en<br />
Bibelgesells<strong>ch</strong>aft - Evangelis<strong>ch</strong>es Bibelwerk, Stuttgart 1981.<br />
2. Die Neuoffenbarung<br />
2.1. Die Werke Emanuel Swedenborgs<br />
Sie sind beim Swedenborg Verlag (Apollostraße 2 in 8032 Züri<strong>ch</strong>) erhältli<strong>ch</strong>. In der Quellenangabe<br />
folgt auf das Sigel die Nummer des Abs<strong>ch</strong>nitts. Da i<strong>ch</strong> die Zitate mit den lateinis<strong>ch</strong>en Urtextausga-
Literaturverzei<strong>ch</strong>nis und Bilder 213<br />
ben vergli<strong>ch</strong>en oder ni<strong>ch</strong>t selten au<strong>ch</strong> neu übersetzt habe, verzi<strong>ch</strong>te i<strong>ch</strong> auf die Bezei<strong>ch</strong>nung der<br />
von mir benutzten Übersetzungen und gebe im folgenden nur die Kurztitel in <strong>ch</strong>ronologis<strong>ch</strong>er<br />
Reihenfolge (siehe Jahreszahlen in Klammern) und das Sigel an.<br />
The Word of the Old Testament explained, übersetzt von Alfred Acton, Bände 1-8, Bryn Athyn<br />
1928-1948. Originaltitel: Explicatio in Verbum Historicum Veteris Testamenti. J. F. I. Tafel gab<br />
diesem Werk 1842 den Titel »Adversaria«. (Sigel: WE oder Explicatio) | Das Geistige Tagebu<strong>ch</strong><br />
(1747-1765) (Sigel: GT). | Die himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnisse (1749 – 1756) (Sigel: HG). | Die Erdkörper<br />
im Weltall (1758) (Sigel: EW). | Himmel und Hölle (1758) (Sigel: HH) | Vom Jüngsten Geri<strong>ch</strong>t<br />
und vom zerstörten Babylonien (1758) (Sigel: JG). | Vom Neuen Jerusalem und seiner himmlis<strong>ch</strong>en<br />
Lehre (1758) (Sigel: NJ). | Die erklärte Offenbarung (1759, von Swedenborg ni<strong>ch</strong>t veröffentli<strong>ch</strong>t)<br />
(Sigel: OE). | Das Athanasianis<strong>ch</strong>e Glaubensbekenntnis (1759, von Swedenborg ni<strong>ch</strong>t veröffentli<strong>ch</strong>t)<br />
(Sigel: Ath.). | Die Lehre des Neuen Jerusalems vom Herrn (1763) (Sigel: LH). | Die<br />
Lehre des Neuen Jerusalems von der Heiligen S<strong>ch</strong>rift (1763) (Sigel: LS). | Die Lebenslehre für das<br />
Neue Jerusalem (1763) (Sigel: LL). | Die Lehre des Neuen Jerusalems vom Glauben (1763) (Sigel:<br />
LG). | Fortsetzung von dem Jüngsten Geri<strong>ch</strong>t und von der geistigen Welt (1763) (Sigel: JG/F). | Die<br />
göttli<strong>ch</strong>e Liebe und Weisheit (1763) (Sigel: GLW). | Die göttli<strong>ch</strong>e Vorsehung (1764) (Sigel: GV). |<br />
Die enthüllte Offenbarung (1766) (Sigel: EO). | Die eheli<strong>ch</strong>e Liebe (1768) (Sigel: EL). | Der Verkehr<br />
zwis<strong>ch</strong>en Seele und Körper (1769) (Sigel: SK). | Kurze Darstellung der Lehre der Neuen Kir<strong>ch</strong>e<br />
(1769) (Sigel: KD). | Die wahre <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>e Religion (1771) (Sigel: WCR).<br />
2.2. Die Werke Jakob Lorbers<br />
Sie sind beim Lorber Verlag (Hindenburgstraße 5 in 74321 Bietigheim-Bissingen) erhältli<strong>ch</strong>. In der<br />
Quellenangabe folgen auf das Sigel in der Regel der Band, das Kapitel und der Vers. Die Werke<br />
ers<strong>ch</strong>einen im folgenden (na<strong>ch</strong> Mögli<strong>ch</strong>keit) in der Reihenfolge ihrer Nieders<strong>ch</strong>rift (siehe Jahreszahlen<br />
in Klammern):<br />
Haushaltung Gottes (1840 - 1844), Bände 1 - 3, Bietigheim 4. Aufl. 1960 - 1966, (Sigel: HGt). |<br />
Erde und Mond (1846/47 und 1841), Bietigheim 4. Aufl. 1953, (Sigel: EM). Ab der fünften Auflage<br />
ist der Wortlaut ni<strong>ch</strong>t mehr mit der Urs<strong>ch</strong>rift identis<strong>ch</strong> und somit für das Quellenstudium nur no<strong>ch</strong><br />
bedingt geeignet. | Außerordentli<strong>ch</strong>e Eröffnungen über die natürli<strong>ch</strong>e und methaphysis<strong>ch</strong>e oder<br />
geistige Bes<strong>ch</strong>affenheit der Erde und ihres Mittelpunctes, … hrsg. v. Johannes Bus<strong>ch</strong>, Meißen 1856,<br />
(Sigel: 1856Erde). | Die Fliege (1842), Bietigheim 4. Aufl. 1952, Sigel: Fl.). | Der Großglockner<br />
(1842), Bietigheim 4. Aufl. 1953, (Sigel: Gr.). | Die natürli<strong>ch</strong>e Sonne (1842), Bietigheim 6. Aufl.<br />
1980, (Sigel: NS). | Die geistige Sonne (1842/43), Bände 1 – 2, Bietigheim 5. Aufl. 1955/56, (Sigel:<br />
GS). | S<strong>ch</strong>rifttexterklärungen (1843/44), Bietigheim 5. Aufl. 1985, (Sigel: S<strong>ch</strong>r.). | Die Jugend<br />
Jesu: Das Jakobus-Evangelium (1843/44), Bietigheim-Bissingen 11. Auflage 1996, (Sigel: JJ). |<br />
Jenseits der S<strong>ch</strong>welle: Sterbeszenen (1847/48), Bietigheim 7. Aufl. 1990, (Sigel: Sterbeszenen). |<br />
Bis<strong>ch</strong>of Martin (1847/48), Bietigheim 2. Aufl. 1927, (Sigel: BM). | Robert Blum (1848 - 1851),<br />
Bände 1 – 2, Bietigheim 2. Aufl. 1929, (Sigel: RB). Seit der dritten Auflage ers<strong>ch</strong>eint das Werk<br />
unter dem Titel Von der Hölle bis zum Himmel. Im »Vorwort zur dritten Auflage« wird auf eine<br />
spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Überarbeitung hingewiesen: »Eine sol<strong>ch</strong>e Neuauflage erlebt nun au<strong>ch</strong> dieses Bu<strong>ch</strong>,<br />
wobei dur<strong>ch</strong> eine flüssigere Gestaltung des teilweise zeitgebundenen Spra<strong>ch</strong>stils Lorbers das Werk<br />
dem modernen Leser zugängli<strong>ch</strong>er gema<strong>ch</strong>t werden soll.« | Die drei Tage im Tempel (1859/60),<br />
Bietigheim 8. Aufl. 1975, (Sigel: DT). | Das große Evangelium Johannis (1851 – 1864), Bände 1 -<br />
2, Bietigheim 6. Aufl. 1967, Bände 3 – 10, Bietigheim 5. Aufl. 1949 – 1963, (Sigel: GEJ). | Anhang<br />
zum Johanneswerk, in: Das große Evangelium Johannis, Band 11 (siehe unter »Die Werke<br />
Leopold Engels«), Seiten 223 – 339, (Sigel: Suppl.). | Himmelsgaben, Bände 1 – 2, Bietigheim 1.<br />
Aufl. 1935/36, Band 3 Bietigheim 1. Aufl. 1993, (Sigel: Hg).<br />
2.3. Die Werke Leopold Engels<br />
Das große Evangelium Johannis, vom Vater des Li<strong>ch</strong>ts kundgegeben dur<strong>ch</strong> Leopold Engel, Band 11,<br />
Bietigheim 5. Aufl. 1959, (Sigel: GEJ). Der elfte Band »des großen Evangeliums« erhebt den Anspru<strong>ch</strong>,<br />
der Abs<strong>ch</strong>luss »des großen Evangeliums« zu sein. Daher habe i<strong>ch</strong> ihn einbezogen. Aller-
214 Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te: Der geistige Sinn na<strong>ch</strong> Emanuel Swedenborg<br />
dings sind gewisse Unters<strong>ch</strong>iede zwis<strong>ch</strong>en den dur<strong>ch</strong> Jakob Lorber offenbarten zehn Bänden und<br />
dem dur<strong>ch</strong> Leopold Engel empfangenen Abs<strong>ch</strong>lussband unverkennbar.<br />
3. Lexika und Wörterbü<strong>ch</strong>er<br />
Hans Bonnet, Reallexikon der ägyptis<strong>ch</strong>en Religionsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te, Berlin, New York 2000<br />
Wilhelm Gesenius, Hebräis<strong>ch</strong>es und aramäis<strong>ch</strong>es Handwörterbu<strong>ch</strong> über das Alte Testament, bearbeitet<br />
von Dr. Frants Buhl, unveränderter Neudruck der 1915 ers<strong>ch</strong>ienenen 17. Auflage, Berlin,<br />
Göttingen, Heidelberg 1962. (Gesenius).<br />
Hebräis<strong>ch</strong>es und Aramäis<strong>ch</strong>es Lexikon zum Alten Testament von Ludwig Koehler und Walter<br />
Baumgartner, Bände 1-2, Leiden, Boston 2004 (Unveränderter Na<strong>ch</strong>druck der dritten Auflage<br />
1967-1995)<br />
Lexikon der <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>en Ikonographie, Bände 1-4, herausgegeben von Engelbert Kirs<strong>ch</strong>baum,<br />
Bände 5-8, herausgegeben von Wolfgang Braunfels, Freiburg im Breisgau 1994. (LCI).<br />
Theologis<strong>ch</strong>es Handwörterbu<strong>ch</strong> zum Alten Testament, herausgegeben von Ernst Jenni unter Mitarbeit<br />
von Claus Westermann, 2 Bände, Gütersloh 2004. (THAT).<br />
4. Theologis<strong>ch</strong>e Literatur<br />
Alfred Acton, An Introduction to the Word Explained, Bryn Athyn 1927<br />
Georg Lorenz Bauer, Hebräis<strong>ch</strong>e Mythologie des alten und neuen Testaments, Leipzig 1802<br />
Norbert Clemens Baumgart, Zuversi<strong>ch</strong>t und Hoffnung in Verbindung mit der biblis<strong>ch</strong>en Fluterzählung,<br />
in: »Na<strong>ch</strong> uns die Sintflut – oder sind wir s<strong>ch</strong>on mittendrin?« Eine ni<strong>ch</strong>t nur biblis<strong>ch</strong>e Erzählung<br />
für S<strong>ch</strong>ule und Bildungsstätten (in Zusammenarbeit mit P. Höffken und G. Ringshausen),<br />
KFW 2002<br />
Norbert Clemens Baumgart, Die große Flut und die Ar<strong>ch</strong>e, in: Bibel und Kir<strong>ch</strong>e 1 (2003) 30-36<br />
Hartmut Boblitz, Die Allegorese der Ar<strong>ch</strong>e Noahs in der frühen Bibelauslegung, in: Frühmittelalterli<strong>ch</strong>e<br />
Studien 6 (1972) Seiten 159-170<br />
Franz Delitzs<strong>ch</strong>, Commentar über die Genesis, Leipzig 1872. (Delitzs<strong>ch</strong>).<br />
August Dillmann, Die Genesis, Leipzig 1886. (Dillmann).<br />
Franz Joseph Dölger, Sol salutis: Gebet und Gesang im <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>en Altertum, Münster 1920 (umgearb.<br />
u. verm. 1925)<br />
Herbert Donner, Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des Volkes Israel und seiner Na<strong>ch</strong>barn in Grundzügen, Teil 1: Von den<br />
Anfängen bis zur Staatenbildung, Teil 2: Von der Königszeit bis zu Alexander dem Großen. Mit<br />
einem Ausblick auf die Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des Judentums bis Bar Ko<strong>ch</strong>ba, Göttingen 1984 und 1986<br />
Eugen Drewermann, Strukturen des Bösen, Bände 1-3, Paderborn 1988<br />
Hans Martin von Erffa, Ikonologie der Genesis: Die <strong>ch</strong>ristli<strong>ch</strong>en Bildthemen aus dem Alten Testament<br />
und ihre Quellen, Bände 1-2, Mün<strong>ch</strong>en 1989-1995<br />
Horand K. Gutfeldt, Swedenborg and the Egyptian Hieroglyphs, in: Emanual Swedenborg, A Continuing<br />
Vision: A Pictorial Biography & Anthology of Essays & Poetry, edited by Robin Larsen etc.,<br />
New York 1988, Seiten 392-401<br />
Fritz Heidler, Die biblis<strong>ch</strong>e Lehre von der Unsterbli<strong>ch</strong>keit der Seele: Sterben, Tod, ewiges Leben im<br />
Aspekt lutheris<strong>ch</strong>er Anthropologie, Göttingen 1983<br />
Thomas Hieke, Die Genealogien der Genesis, Freiburg im Breisgau 2003<br />
M. Kahir, Das verlorene Wort: Mystik und Magie der Spra<strong>ch</strong>e, Bietigheim 1960<br />
Othmar Keel, Die Welt der altorientalis<strong>ch</strong>en Bildsymbolik und das Alte Testament: Am Beispiel der<br />
Psalmen, Göttingen 1996<br />
Heinri<strong>ch</strong> Krauss, Max Kü<strong>ch</strong>ler, Erzählungen der Bibel: Das Bu<strong>ch</strong> Genesis in literaris<strong>ch</strong>er Perspektive:<br />
Die biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Gen 1-11), Göttingen 2003
Literaturverzei<strong>ch</strong>nis und Bilder 215<br />
Wolfgang Krets<strong>ch</strong>mer, Psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e Weisheit der Bibel, Mün<strong>ch</strong>en 1955<br />
Daniel Kro<strong>ch</strong>malnik, S<strong>ch</strong>riftauslegung: Das Bu<strong>ch</strong> Genesis im Judentum, Stuttgart 2001<br />
Manfred Lurker, Wörterbu<strong>ch</strong> der Symbolik, Stuttgart 1985<br />
Manfred Lurker, Wörterbu<strong>ch</strong> biblis<strong>ch</strong>er Bilder und Symbole, Mün<strong>ch</strong>en 1990<br />
Manfred Lurker, Lexikon der Götter und Symbole der alten Ägypter, Bern, Mün<strong>ch</strong>en, Wien 1998<br />
Viktor Notter, Biblis<strong>ch</strong>er S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t und ägyptis<strong>ch</strong>e S<strong>ch</strong>öpfungsmythen, Stuttgart 1974<br />
Gerhard von Rad, Das erste Bu<strong>ch</strong> Mose: Genesis, Göttingen 1987. (von Rad).<br />
Werner H. S<strong>ch</strong>midt, Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Priesters<strong>ch</strong>rift, Neukir<strong>ch</strong>en-Vluyn 1967<br />
Wolfgang S<strong>ch</strong>neider, Grammatik des biblis<strong>ch</strong>en Hebräis<strong>ch</strong>, Mün<strong>ch</strong>en 1989<br />
Arthur Hodson Searle, General Index to Swedenborgs Scripture Quotations, London 1954<br />
Horst Seebass, Genesis I: Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1,1-11,26), Neukir<strong>ch</strong>en-Vluyn 1996. (Seebass)<br />
Odil Hannes Steck, Die Paradieserzählung: Eine Auslegung von Genesis 2,4b-3,24, Neukir<strong>ch</strong>en-<br />
Vluyn 1970<br />
Anna Ulri<strong>ch</strong>, Kain und Abel in der Kunst: Untersu<strong>ch</strong>ungen zur Ikonographie und Auslegungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te,<br />
Bamberg 1981<br />
Friedri<strong>ch</strong> Weinreb, S<strong>ch</strong>öpfung im Wort: Die Struktur der Bibel in jüdis<strong>ch</strong>er Überlieferung, Weiler<br />
im Allgäu 2002<br />
Claus Westermann, Genesis 1–11, Darmstadt 1989<br />
William Ross Woofenden, Swedenborg Resear<strong>ch</strong>er's Manual, Bryn Athyn 1988<br />
Ernst Würthwein, Der Text des Alten Testaments, Stuttgart 1988<br />
5. Zu den Aufsätzen dieses Sammelbandes<br />
Der Turm zu Babel. Abges<strong>ch</strong>lossen am 12.1.1992. | Die Sintflut: Zusammens<strong>ch</strong>au ihres inneren<br />
Sinnes (1992). Die Zusammens<strong>ch</strong>au von Genesis 9,8-29 wurde unter dem Titel »Gottes Bund mit<br />
Noa<strong>ch</strong>: Aufgrund der ›Himmlis<strong>ch</strong>en Geheimnisse‹« in OT 4 (1992) 156-160 veröffentli<strong>ch</strong>t. Den<br />
gesamten Text veröffentli<strong>ch</strong>te i<strong>ch</strong> in OT 1 (2003) 25-42. | Die S<strong>ch</strong>öpfungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te im Li<strong>ch</strong>te der<br />
Neuoffenbarung dur<strong>ch</strong> Swedenborg und Lorber. Abges<strong>ch</strong>lossen am 1.4.1996. Veröffentli<strong>ch</strong>t in: Der<br />
Seher und der S<strong>ch</strong>reibkne<strong>ch</strong>t Gottes: Emanuel Swedenborg und Jakob Lorber im Verglei<strong>ch</strong>, Züri<strong>ch</strong><br />
2004, 85-125. | Adam und Adamah: Zum inneren Sinn der Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (1997). Veröffentli<strong>ch</strong>t in<br />
OT 3 (1997) 97-102. | Bauvorhaben endet im Dur<strong>ch</strong>einander: Eine Auslegung von Genesis 11,1<br />
bis 9 aus der S<strong>ch</strong>ule Swedenborgs. Abges<strong>ch</strong>lossen am 22.3.2003. Veröffentli<strong>ch</strong>t in: OT 2 (2003)<br />
67-89. | Kain und Abel: Eine Auslegung von Genesis 4,1 bis 16 in der Tradition Swedenborgs.<br />
Abges<strong>ch</strong>lossen am 18.10.2005. Veröffentli<strong>ch</strong>t in OT 4 (2005) 190-207, OT 1 (2006) 13-34, OT 2<br />
(2006) 64-75. | Neuanfang mit Noah. Abges<strong>ch</strong>lossen am 2.3.2007. Veröffentli<strong>ch</strong>t in OT 1 (2008) 3-<br />
15. | Die S<strong>ch</strong>öpfung: Eine Struktur der Zahl 2. Abges<strong>ch</strong>lossen am 29.6.2007. | Genesis 2: Ein<br />
Kommentar von Thomas Noack. Abges<strong>ch</strong>lossen am 12.11.2007. | Beoba<strong>ch</strong>tungen zu Genesis 3.<br />
Abges<strong>ch</strong>lossen am 1.5.2008. | Das sind die Geburten: Zum inneren Sinn der Toledot-Struktur der<br />
Genesis. Abges<strong>ch</strong>lossen am 6.7.2008.<br />
6. Bildna<strong>ch</strong>weis<br />
Ums<strong>ch</strong>lag: »Biblia Sacra« von Sebastian S<strong>ch</strong>midt mit hands<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>en Kommentaren von Emanuel<br />
Swedenborg. | Abb. 1: Othmar Keel, Die Welt der altorientalis<strong>ch</strong>en Bildsymbolik und das Alte<br />
Testament, 1996, Seite 25. | Abb. 2: Viktor Notter, Biblis<strong>ch</strong>er S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t und ägyptis<strong>ch</strong>e<br />
S<strong>ch</strong>öpfungsmythen, 1974, Seite 150. | Abb. 3: Hans Bonnet, Reallexikon der ägyptis<strong>ch</strong>en Religionsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te,<br />
2000, Seite 387. | Abb. 4: Othmar Keel, a.a.O., Seite 125. | Abb. 5: Heinri<strong>ch</strong><br />
Krauss, Max Kü<strong>ch</strong>ler, Erzählungen der Bibel: Das Bu<strong>ch</strong> Genesis in literaris<strong>ch</strong>er Perspektive: Die<br />
biblis<strong>ch</strong>e Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Gen 1-11), 2003, Seite 108. | Abb. 6: Emanuel Swedenborg, Arcana Coelestia,<br />
Band 1, London 1749. | Abb. 7: Helmut Minkowski, Aus dem Nebel der Vergangenheit steigt<br />
der Turm zu Babel: Bilder aus 1000 Jahren, 1959, Seite 43. | Abb. 8: Othmar Keel, a.a.O., Seite 27.
Thomas Noack<br />
Der Seher und der S<strong>ch</strong>reibkne<strong>ch</strong>t<br />
Gottes: Emanuel Swedenborg<br />
und Jakob Lorber im Verglei<strong>ch</strong><br />
226 Seiten, Paperback<br />
Die Werke Emanuel Swedenborgs und<br />
Jakob Lorbers gelten als die Klassiker<br />
der Neuoffenbarung. Zwis<strong>ch</strong>en ihren<br />
Lehren gibt es zahlrei<strong>ch</strong>e, wesentli<strong>ch</strong>e<br />
Gemeinsamkeiten. Glei<strong>ch</strong>wohl sind die<br />
beiden Offenbarungen vollkommen<br />
eigenständig und originell. Swedenborg<br />
ist ni<strong>ch</strong>t nur ein Vorläufer Lorbers<br />
und Lorber ni<strong>ch</strong>t bloß eine Neuauflage<br />
Swedenborgs.<br />
Das Bu<strong>ch</strong> dokumentiert anhand sorgfältig<br />
ausgewählter Zitate das außergewöhnli<strong>ch</strong><br />
hohe Maß an Übereinstimmungen.<br />
Zuglei<strong>ch</strong> wird aber au<strong>ch</strong> auf<br />
das je eigene Profil der beiden Offenbarungen<br />
hingewiesen. So s<strong>ch</strong>ließt das<br />
Bu<strong>ch</strong> eine Lücke. Denn derart ausführli<strong>ch</strong><br />
ist die s<strong>ch</strong>on immer gesehene<br />
nahe Verwandts<strong>ch</strong>aft no<strong>ch</strong> nie dargestellt<br />
worden.<br />
Im Zuge dieses Verglei<strong>ch</strong>es kommen<br />
die wi<strong>ch</strong>tigsten Themen der Neuoffenbarung<br />
zur Spra<strong>ch</strong>e: die Gotteslehre,<br />
die Erlösung und die Wiedergeburt,<br />
das Mens<strong>ch</strong>enbild, die Entspre<strong>ch</strong>ungskunde,<br />
das Jenseits und die Hoffnung<br />
auf die Geistkir<strong>ch</strong>e Christi.<br />
Der Autor kennt die Offenbarungen<br />
dur<strong>ch</strong> Swedenborg und Lorber seit<br />
1977. Heute leitet er als Pfarrer der<br />
Neuen Kir<strong>ch</strong>e das Swedenborg Zentrum<br />
und den Swedenborg Verlag in<br />
Züri<strong>ch</strong>.<br />
Das Bu<strong>ch</strong> ist aus der Überzeugung<br />
entstanden, dass Jesus Christus dur<strong>ch</strong><br />
beide Gottesboten gespro<strong>ch</strong>en hat. Die<br />
Posaunen der Neuoffenbarung wollen<br />
uns aus den Gräbern der Na<strong>ch</strong>t befreien<br />
und zu Bürgern des neuen Jerusalems<br />
ma<strong>ch</strong>en. Deswegen sollte zwis<strong>ch</strong>en<br />
den Lorberfreunden und den<br />
Swedenborgianern ein ges<strong>ch</strong>wisterli<strong>ch</strong>es<br />
Miteinander herrs<strong>ch</strong>en. Das<br />
Bu<strong>ch</strong> mö<strong>ch</strong>te dazu einen Beitrag leisten<br />
und weitere Fors<strong>ch</strong>ungen zum<br />
Verhältnis der beiden Neuoffenbarungen<br />
anregen.<br />
Das Bu<strong>ch</strong> ist beim Swedenborg Verlag<br />
(Postfa<strong>ch</strong> 1205, CH - 8032 Züri<strong>ch</strong>) und<br />
beim Autor (www.orah.<strong>ch</strong>) erhältli<strong>ch</strong>.
Das Bu<strong>ch</strong> enthält Aufsätze von Thomas Noack zum inneren Sinn der<br />
biblis<strong>ch</strong>en Urges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te (Genesis 1-11). Der Autor ist Theologe der<br />
Neuen Kir<strong>ch</strong>e (Gemeinde der Swedenborgianer). Die Beiträge beruhen<br />
auf »Arcana Caelestia«, dem exegetis<strong>ch</strong>en Hauptwerk Emanuel<br />
Swedenborgs. Darin legte er das 1. und 2. Bu<strong>ch</strong> Mose aus.<br />
www.swedenborg.<strong>ch</strong> • www.thomasnoack.<strong>ch</strong>