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Eulenspiegel Sarah Wiener rät: Greifen Sie zu unbedenklichen Eiern! (Vorschau)

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Stille der Betroffenheit,<br />

ja des Entsetzens<br />

im Saal! Seine Vertrauten<br />

warfen einander verstohlene<br />

Blicke <strong>zu</strong>: Ist er jetzt vollends<br />

verrückt geworden? Einige Jungliberale<br />

hängten flugs Transparente aus dem<br />

dritten Rang, die den Redner aufforderten,<br />

anstatt über die Mauer lieber<br />

über den örtliche Bahnhof <strong>zu</strong> reden.<br />

– »Lasst sie hängen!«, entschied Westerwelle<br />

gönnerhaft (was dann wahrscheinlich<br />

auch geschah). Aber man hatte<br />

verstanden: Das Mauerparlando sollte sagen:<br />

Ich, Westerwelle, mache »die Mauer« nicht auf!<br />

Wer Westerwelles rednerisches Schaffen verfolgt,<br />

erkennt darin sofort ein Leitmotiv des<br />

begnadeten Rhetorikers. Drei Sätze sind<br />

es, die als »Westerwellen«, als Früchte<br />

seiner nun bald fünfzigjährigen Karriere<br />

in der FDP in die Geschichtsbücher eingehen<br />

werden: 1. Der Steuersatz (»einfacher,<br />

niedriger, schlech ter«), 2. der<br />

Römische-Dekadenz-Satz und<br />

3. dieser hier: »Ihr kauft mir<br />

den Schneid nicht ab, ihr<br />

nicht!« – Ich mache die<br />

Mauer nicht auf, ich nicht!<br />

Die Journalisten stürzten<br />

ins Foyer. Keine Selbstkritik,<br />

kein Schuldbekenntnis,<br />

nicht um Verzeihung gebeten, Westerwelle<br />

doch nicht so feige wie die SED-<br />

Bonzen, schrien sie in ihre Mikro- und Telefone.<br />

Wäre wenigstens ein Berichterstatter<br />

vom Format eines Peter Hahne oder<br />

Ulrich Jörges unter ihnen gewesen, dann<br />

hätte die Schlagzeile lauten müssen: Dr.<br />

Westerwelle hat sich als unbeugsamer<br />

Parteiführer erwiesen.<br />

Die Journalisten waren inzwischen an der<br />

Tagesbar gelandet, und die Parteimitglieder<br />

im Saal warteten sehnsüchtig auf das Zeichen<br />

von Lindner für die »stehenden Ovationen«.<br />

Deshalb ging der Rest der siebenund -<br />

sechzigminütigen Panegyrik (Vokabel für Gebildete,<br />

also FDP-Mitglieder aus dem Hochschulund<br />

Hotelgewerbe, die anderen bitte nachschlagen!),<br />

unter und wurde auch in keinem deutschen<br />

Leitmedium mehr erwähnt. Schade! Denn<br />

der Parteiführer erklärte ein für alle Mal allen,<br />

die meinen, der Liberalismus sei »belibig« (Wortspiel!),<br />

die Grundlagen seiner Programmatik.<br />

Auf der Welt, sagte er, aus seiner bitteren<br />

Erfahrung als Außenminister schöpfend, leben<br />

»gut 6,9 Milliarden Menschen« – die meisten allerdings<br />

keine Liberalen. Jedes Jahr kom -<br />

men 80 Millionen hin<strong>zu</strong> (eines der Menschheits<strong>rät</strong>sel<br />

– eine Schwangerschaft dauert neun Monate).<br />

»Anders ausgedrückt: Die Weltbevölkerung<br />

wächst jedes Jahr um die Einwohnerzahl<br />

Deutschlands.« Meis tens seien das auch noch<br />

Chinesen oder Inder, Leute »mit ungeheurem Ehrgeiz«,<br />

als hätten sie das Leitmotiv des deutschen<br />

Liberalismus (»Nur die Starken kommen<br />

durch!«) aus ihren Reisschüsseln gefressen. Kurz<br />

und gut: Wenn die FDP baden geht, wird es<br />

Deutschland in dreißig Jahren nicht mehr geben.<br />

Und wenn es dann auch noch »von den Linken«<br />

regiert wird – dann gute Nacht.<br />

»In Deutschland gibt es zwei Arten von Parteien«,<br />

sagte Guido Westerwelle, »die einen machen<br />

den Leuten immer nur Angst. Doch eine<br />

gibt es, die ist die Partei der Hoffnung und der<br />

Zuversicht.«<br />

Angst brauchen wir vor den Chinesen wirklich<br />

nicht <strong>zu</strong> haben. Im Gegenteil: So lange Westerwelle<br />

das Bevölkerungswachstum penibel verfolgt,<br />

sind wir voller Hoffnung und Zuversicht.<br />

Mathias Wedel<br />

Zeichnung: Reiner Schwalme<br />

EULENSPIEGEL 2/11 25

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