Nicht ins Bockshorn jagen lassen - BAVC
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Blätter für Vorgesetzte<br />
in der chemischen Industrie<br />
Herausgegeben vom Bundesarbeitgeberverband Chemie e. V. Wiesbaden 1/2014<br />
Manipulative Kommunikation<br />
<strong>Nicht</strong> <strong>ins</strong> <strong>Bockshorn</strong> <strong>jagen</strong> <strong>lassen</strong><br />
Gespräche, Besprechungen und Verhandlungen werden<br />
nicht immer im Geist und Stil fairer Kommunikation<br />
geführt. Erfahrungsgemäß sind meist auch<br />
Dominanzrituale und Machtspiele mit von der Partie.<br />
Es gilt also, auf der Hut zu sein vor manipulativen<br />
Fallgruben verbaler und nonverbaler Natur. Wie unter<br />
diesen Umständen die Selbstbehauptung in Wort und<br />
Haltung gelingt, erläutert der Düsseldorfer Präsentations-<br />
und Dialektik-Fachmann Dr. Albert Thiele im<br />
Interview mit den Blättern für Vorgesetzte.<br />
Woran erkennt man manipulative Kommunikation?<br />
Dr. Albert Thiele: Der offensichtlichste Hinweis darauf<br />
ist: Jemand äußert sich nicht zur Sache, sondern<br />
legt es darauf an, Druck aufzubauen und Unterlegenheitsgefühle<br />
hervorzurufen. Das ist unschwer daran<br />
zu erkennen, dass die Argumentation auf den Menschen<br />
und dessen Glaubwürdigkeit zielt. Zum Beispiel<br />
so: „Sie sind doch selbst nicht überzeugt von Ihren<br />
Worten; das stimmt einfach nicht, warum sagen Sie<br />
die Unwahrheit; wenn Sie von Ethik sprechen, da kann<br />
ich doch nur lachen“. Angriffsziel ist auch gern die<br />
Kompetenz anderer: „Um das beurteilen zu können,<br />
fehlt Ihnen doch wohl die Erfahrung; dass Sie uns bei<br />
Ihrer Ausbildung in Fragen der Technologie Ratschläge<br />
geben wollen, ist geradezu lächerlich.“ Oder auch die<br />
Reputation: „Sie sind ein Erbsenzähler; wenn das Geld<br />
stimmt, machen Sie doch alles; das Image Ihrer Sparte<br />
ist im tiefen Keller, das weiß doch jeder!“<br />
Sehr beliebt ist auch die E<strong>ins</strong>chüchterung durch Lautstärke,<br />
Wutausbrüche und Drohungen. Ziel dieser<br />
Übungen ist, Angst zu machen und dadurch zu verunsichern.<br />
Eine Variante davon ist der E<strong>ins</strong>atz von Killerphrasen<br />
und gespielten Emotionen, um dem „Opfer“<br />
den Schneid abzukaufen. Aufgeplustert werden Vorschläge<br />
e<strong>ins</strong>eitig kritisiert und/oder Risiken, Nachteile<br />
und negative Konsequenzen dramatisiert. Gern wird<br />
das Spiel auch noch mit non-verbalen Dominanzgebärden<br />
wie Überschreitung der persönlichen Distanz, also<br />
Verletzung des Territoriums, dominanten und drohenden<br />
Gesten beim Sprechen und Zuhören intensiviert.<br />
Dies sind extreme Beispiele …<br />
Thiele: <strong>Nicht</strong> ganz so offensichtliche kommunikative<br />
Gemeinheiten, weil oft mit Impulsivität verwechselt,<br />
sind: dem Gegenüber ständig das Wort zu nehmen,<br />
dessen Argumentation pausenlos zu unterbrechen oder<br />
permanent die vorgetragenen Überlegungen anzuzweifeln.<br />
In diese Kategorie gehört auch der „Stresstest“:<br />
durch oft harmlos erscheinende Fangfragen die Grenzen<br />
der Belastbarkeit des Gegenübers herauszufinden,<br />
ihn in Beweisnot und so in Bedrängnis zu bringen.<br />
Aus dem Inhalt:<br />
(Fortsetzung Seite 2)<br />
Zielvereinbarungen:<br />
Durch Vorgaben Ergebnisse erreichen 4<br />
MINT-Herbstreport 2013:<br />
Gefragt, aber rar 7
Alles in allem gilt deshalb: Im Vorfeld von wichtigen<br />
Gesprächen mit noch gar nicht oder nur wenig bekannten<br />
Personen etwas zu deren Ruf, Vita, Persönlichkeit<br />
und Argumentationsstil in Erfahrung bringen.<br />
Bei Geschäften im Ausland ist es unverzichtbar, sich<br />
mit den kulturellen Besonderheiten und Gepflogenheiten<br />
des jeweiligen Kulturkreises vertraut zu machen.<br />
In jedem Fall ist bei Gesprächspartnern, für die<br />
man noch kein richtiges Gefühl entwickeln konnte,<br />
stets Wachsamkeit geboten.<br />
Was macht die Selbstbehauptung in diesen Fällen<br />
eigentlich so schwer?<br />
Thiele: Vor allem die persönliche E<strong>ins</strong>tellung. Für<br />
wen ein sachlicher, sauberer und fairer Dialog eine<br />
Selbstverständlichkeit ist, der erwartet das auch von<br />
der anderen Seite. Und aus dieser Erwartung heraus<br />
<strong>lassen</strong> sie oder er sich dann durch die genau gegenteiligen<br />
Argumentationsweisen leicht aus der Fassung<br />
bringen. Und leider oft auch zu blinden oder ganz und<br />
gar blindwütigen Reiz-Reaktions-Verhaltensweisen<br />
hinreißen. Mit der fatalen Konsequenz, sich selbst<br />
aus der Hand zu geben, die Kontrolle zu verlieren und<br />
so natürlich Fehler zu machen. Kurz, dadurch dem<br />
Gegenüber in die Hände zu spielen. Die Gefahr dieses<br />
Gangs der Dinge ist besonders groß, kennt jemand<br />
das Arsenal manipulativer Mittel nicht, oder will es<br />
nicht wahrhaben und hat überdies wenig Erfahrung<br />
mit schwierigen Gesprächen und aggressiven Angreifern.<br />
Viele <strong>lassen</strong> sich so ruckzuck Schachmatt setzen.<br />
Gutgläubigkeit und Vertrauensseligkeit ist kein guter<br />
Wegweiser in solchen Situationen.<br />
Also verlangt die kommunikative Selbstbehauptung,<br />
sich gegen argumentative Fallensteller zu wappnen?<br />
Thiele: Das ist die conditio sine qua non! Selbstvertrauen<br />
ist die Basis für verblüffungsgeschütztes, souveränes<br />
Standhalten, wenn es kommunikativ unter der<br />
Gürtellinie etwas deftiger zur Sache geht. Ist es stabil,<br />
bleiben Menschen auch in schwierigen Situationen Herr<br />
ihrer selbst, ihrer Aufmerksamkeit, Reaktionsfähigkeit<br />
und Vorgehensweisen. Ist es niedrig, fallen sie rasch<br />
Selbstzweifeln und in deren Gefolge Verunsicherung<br />
und Stress zum Opfer. Mit negativen Glaubenssätzen<br />
im Kopf wie „Ich fühle mich unterlegen“ oder „Ich habe<br />
Angst zu versagen“, „Ich kann mich bei polemischen<br />
Attacken nicht wehren“ geht das Renkontre schief.<br />
Also kommt es darauf an, sich hier Stabilität zu<br />
erarbeiten, „Stopp“ zu sagen zu den angstbesetzten<br />
verunsichernden inneren Dialogen und sich an positive<br />
Denkmuster wie „Ich freue mich auf den verbalen<br />
Schlagabtausch“ oder „Ab jetzt ergreife ich das Wort,<br />
wenn ich Wichtiges zu sagen habe“ heranzuarbeiten.<br />
Denn entscheidend ist, der verbalen Attacke das<br />
gefühlsmäßig Bedrohliche zu nehmen und sich so die<br />
emotionale Distanz zum Gegenüber zu bewahren.<br />
Mit anderen Worten: Es kommt auf die Veränderung<br />
der Wahrnehmungsperspektive an! Dann wird es auch<br />
möglich, unfaire Attacken als Gelegenheit zum Lernen<br />
und zur Selbstverbesserung zu nutzen. Von Nutzen<br />
dabei sind Kopfprogrammierungen, sprich Mantras wie<br />
„Ich bleibe souverän und ge<strong>lassen</strong> und freue mich auf<br />
die Chance, unfaire Angriffe abzuwehren.“ Wer sich<br />
diese Haltung erarbeitet hat, kippt auch in schwierigen<br />
Situationen nicht aus den Schuhen.<br />
Was sollte als Handwerkszeug parat sein, um manipulativer<br />
Kommunikation Paroli bieten zu können?<br />
Thiele: Nun, der Werkzeugkasten ist für den gewieften<br />
Könner reich bestückt. Gleichwohl spielt die 4-I-Methode<br />
zusammen mit den Brückensätzen eine Schlüsselrolle.<br />
Für alle vier wesentlichen Kontermöglichkeiten<br />
= Ignorieren, Ironisieren, Identifizieren oder Isolieren<br />
ist sie unverzichtbar. Wie funktioniert sie? Stellen Sie<br />
sich vor, Ihr Gegenüber attackiert Sie mit den Worten<br />
„Totaler Blödsinn, was Sie da von sich geben.“ Um nun<br />
ein unproduktives Hickhack zu vermeiden, können Sie<br />
den unfairen Angriff auf Ihre Person ignorieren und<br />
durch eine Rückfrage die Energie des Angreifers auf<br />
die Sache lenken: „Ihre Aussage zeigt mir, dass Sie<br />
Bedenken haben (=Brückensatz). Welche Argumente<br />
haben Sie in der Sache?“ Oder zum Ironisieren: „Danke<br />
für das aufbauende Kompliment (=Brückensatz).<br />
Zurück zur Sache…“ Beim Konter „Identifizieren“ wird<br />
die Unfairness als solche identifiziert und dann auf die<br />
Sache gelenkt. Beispiel: „Ich denke, auf dieser Ebene<br />
kommen wir nicht weiter (=Brückensatz). Ich lade Sie<br />
zu einem sachlichen Dialog ein.“<br />
Führt all das nicht zum Erfolg, bleibt als der Weisheit<br />
letzter Schluss die Strategie „Isolieren“ = temporärer<br />
Gesprächsabbruch oder Gesprächsunterbrechung.<br />
Bei einer beleidigenden Wutattacke am Telefon<br />
könnte der Brückensatz lauten: „Ihre herabsetzenden<br />
Worte akzeptiere ich nicht. Unter diesen Umständen<br />
2 Blätter für Vorgesetzte 1/2014
in ich nicht bereit, das Gespräch mit Ihnen fortzusetzen.<br />
Und vielleicht anknüpfend: „Sie können mich<br />
jederzeit anrufen, wenn Sie wieder zu einem sachlichen<br />
Gespräch bereit sind.“<br />
Kontermöglichkeiten: 4-I-Methode<br />
a) Ignorieren<br />
b) Ironisieren<br />
c) Identifizieren oder<br />
d) Isolieren<br />
Wissen ist das eine. Wie wird auch das notwendige<br />
Können erreicht?<br />
Thiele: Zunächst gilt es, sich das theoretische Knowhow<br />
zu erarbeiten. Haben Sie das intus, heißt es Üben,<br />
Üben und nochmal Üben, um das erarbeitete Knowhow<br />
immer praxisfester und schließlich intuitiv e<strong>ins</strong>etzen<br />
zu können. Trainieren vor dem Spiegel ist dazu<br />
gut und wichtig, das festigt das theoretische Können.<br />
Entscheidend aber ist, die kleineren und größeren Kontroversen<br />
des Alltags zum Üben zu nutzen. Nur dort<br />
lässt sich das praktische Können auf die Probe stellen.<br />
Mit anderen Worten, im Zentrum aller Maßnahmen zur<br />
Weiterentwicklung der dialektischen Fähigkeiten steht<br />
das Ziel, neue argumentative Erfahrungen zu machen.<br />
Mein Rat ist: Situationen suchen, die die erwünschten<br />
argumentativen Fähigkeiten herausfordern und Gelegenheit<br />
geben, praktische Erfahrungen zu sammeln.<br />
Je unterschiedlicher die Situationen sind, in denen das<br />
diesbezügliche Können ausprobiert wird, desto sicherer<br />
und ausdifferenzierter das eigene Verhaltensrepertoire<br />
wird, umso größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass<br />
sich ein belastbares kommunikatives Abwehrverhalten<br />
formt und festigt. Wer diesbezüglich sozusagen einen<br />
Startimpuls sucht, der kann schwierige Situationen<br />
(Gespräch, Diskussion, Besprechung usw.) zunächst im<br />
<strong>Nicht</strong>schwimmerbecken simulieren — zum Beispiel in<br />
einem Seminar oder Coaching.<br />
Ist dieses Geschick mit der viel gerühmten Wunderwaffe<br />
„Schlagfertigkeit“ gleichzusetzen?<br />
Thiele: Nein! Außerdem gibt es keine Wunderwaffe in<br />
diesem Metier. Zu unterscheiden sind zunächst harte<br />
und weiche Schlagfertigkeitstechniken. Was leistet<br />
harte Schlagfertigkeit? Einen Beitrag zum Sachziel des<br />
Diskurses wohl nicht. Einen Beitrag zur Verbesserung<br />
des Gesprächsklimas wohl auch nicht. Im Klartext: Sie<br />
machen die oder den anderen „mit einem Schlag fertig“.<br />
Es geht darum, den anderen Schachmatt zu setzen.<br />
Rücksichtsloses Durchsetzen ist hier angesagt. Solche<br />
harten Konter führen erhebliche Risiken mit sich: für die<br />
emotionale Beziehung zum Gegenüber genauso wie für<br />
die eigene Reputation. Was bringt es Ihnen, wenn Sie<br />
einen Menschen durch eine schlagfertige Gegenattacke<br />
demütigen und mundtot machen? Der Augenblickserfolg<br />
mag sich zunächst anfühlen wie ein Triumph;<br />
schnell kann er sich jedoch als Pyrrhus-Sieg erweisen.<br />
Denn Sie haben sich einen Feind geschaffen, der die<br />
Faust in der Tasche ballt, auf Vergeltung sinnt und zu<br />
einem negativen Meinungsmultiplikator gegen Ihre<br />
Person wird. Auch bei den Zeugen einer solchen Szene<br />
sammelt der Aggressor nicht unbedingt Sympathien.<br />
In der Regel lohnt es sich nicht, das Selbstwertgefühl<br />
anderer herabzusetzen. Besser fahren Sie mit einer „gesichtswahrenden<br />
Überlegenheit“, die sich in folgender<br />
Maxime des großen Dialektikers Rupert Lay ausdrückt:<br />
Lerne, auf den Sieg zu verzichten, um gewinnen zu<br />
können! Denn: Wenn du immer siegst, wirst du verlieren<br />
— und zwar deine Mitmenschen und deine Kollegen.<br />
In diesem Sinne ist Dialektik die Kunst zu gewinnen,<br />
ohne zu siegen. Zweifellos ist diese Strategie für die<br />
eigene Reputation die bessere Variante. HV<br />
Literatur-Tipp:<br />
Thiele, Albert (2013): Argumentieren unter Stress<br />
— Wie man unfaire Angriffe erfolgreich abwehrt.<br />
Frankfurter Allgemeine Buch, 332 Seiten, € 24,90<br />
Stamateas, Bernardo (2013): Toxische Typen —<br />
Wenn andere Gift für uns sind und was<br />
wir dagegen tun können.<br />
Deutscher Taschenbuch Verlag, 240 Seiten, € 14,90<br />
Petermann, Franz/Vaitl, Dieter (2009):<br />
Entspannungsverfahren — Das Praxishandbuch.<br />
Beltz Verlag, 504 Seiten, € 49,95<br />
Stout, Martha (2006): Der Soziopath von nebenan<br />
— Die Skrupellosen ihre Lügen, Taktiken und Tricks.<br />
Springer Verlag, 293 Seiten, € 34,99<br />
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