806 - Stretch & Relax - Roman Mürkens - Sportkongress
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Bayerischer <strong>Sportkongress</strong> 2013<br />
11.10. – 13.10.2013 Sportschule Oberhaching bei München<br />
<strong>806</strong> - <strong>Stretch</strong> & <strong>Relax</strong> - <strong>Roman</strong> <strong>Mürkens</strong><br />
1.) Theorie<br />
<strong>Stretch</strong>ing ist ein umstrittenes Thema. Was wollen wir denn überhaupt „stretchen“? Und<br />
wie kommt es dazu, dass danach irgendetwas „relaxed“ ist?<br />
Um den Antworten auf diese Fragen etwas näher zu kommen, müssen wir uns ansehen,<br />
wie das Nervensystem unsere Muskeln einstellt.<br />
Unsere Muskulatur besitzt eine charakteristische Innenspannung, den sogenannten Tonus,<br />
von griechisch „tonos“ = Spannung. Man könnte es bildlich so ausdrücken: ein Reiter<br />
hält die Zügel seines Pferdes in der Hand. Er hält sie immer leicht auf Spannung und<br />
lässt nicht eine Seite lose hängen, da er sonst bei raschen Richtungsänderungen das<br />
Problem hätte, dass er anreißen müsste, um die Strecke des durch-hängenden Zügels zu<br />
überwinden. Das wäre ihm und dem Pferd unangenehm. Auch unser Gehirn hält unsere<br />
Muskulatur immer in einem geringen Spannungszustand, um genau dieses Anreißen und<br />
Leerlaufen zu verhindern. So können wir die Bewegungen fein abstimmen und schlagen<br />
nicht um uns, wenn wir beispielsweise nach einer längeren Pause den Arm nach innen/außen/oben/unten<br />
bewegen wollen.<br />
Hält unser Reiter seine Zügel zu fest, quält er das Pferd. Ist analog dazu unser Tonus zu<br />
hoch, klagen wir über Verspannungen; oder bekommen Schmerzen, weil uns unsere eigene<br />
Muskulatur unangenehme Haltungen aufzwingt, wie z.B. ein Hohlkreuz oder eine<br />
gekrümmte, kyphosierte Brustwirbelsäule. Letzteres hat zur Folge, dass unsere Halswirbelsäule,<br />
die die Buckelbildung kompensieren will (sonst würden wir in die Erde starren),<br />
ständig in eine Hyperlordorsierung gezwungen wird, wodurch der Betroffene nun den<br />
ganzen Tag den Hals so hält, als würde er in die Luft starren. Wen wundert's da, dass so<br />
viele Schreibtischtäter über Nackenverspannungen und Kopfschmerzen klagen?<br />
Die Frage ist nun: warum macht der Körper das? Die Antwort ist einfach: weil er's nicht<br />
besser weiß. Er hält sich an diejenigen Umweltbedingungen, die er tagtäglich erfährt.<br />
Und wenn der Bewegungsspielraum auf wenige, einseitige Bewegungen beschränkt<br />
bleibt, gewöhnt er sich daran. Beispielhaft kennt das jeder, der schon einmal einen Film<br />
in einer Rotlichtkammer entwickelt hat. Die ersten 15 Minuten empfindet man das Fotolabor<br />
als wirklich dunkel und tritt ungewollt schon mal gegen einen Schrank. Dann hat<br />
man sich aber an das Dämmerlicht gewohnt und kann gut arbeiten. Probleme bekommt<br />
man erst wieder, wenn man den Raum verlässt und einen „normal“ Hellen betritt. Das<br />
Problem an der Normalität ist, dass sie ein Zustand ist, den auch der Körper nur auf seine<br />
gemachten Erfahrungen – vor allem die der kürzeren Vergangenheit – beziehen kann.<br />
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<strong>Roman</strong> <strong>Mürkens</strong>
Bayerischer <strong>Sportkongress</strong> 2013<br />
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Das ist insbesondere bei der Rehabilitation von Verletzungen wichtig und schwierig. Wir<br />
gewöhnen uns nämlich schnell unzweckmäßige Schonmuster an, die sich unser Körper<br />
einfallen lässt, wenn er das Gefühl hat, dass er z.B. das Knie für einige Wochen lieber<br />
still halten möchte und es deshalb durch Anschwellung und Schmerz ruhig stellt.<br />
Da die Funktionen eines Muskels recht überschaubar sind – sie bestehen aus Zusammenziehung<br />
(Fasern gleiten ineinander) und Loslassen (Fasern gleiten auseinander) – gibt es<br />
das, was man landläufig „kurze Muskeln“ nennt in vivo nicht; das liegt ganz einfach auch<br />
daran, dass jede Muskellänge an eine bestimmte Kraftentfaltungsmöglichkeit gekoppelt<br />
ist. Beispiel: der Arm ist voll ausgestreckt nicht so stark, wie im Bereich der 90°-<br />
Beugung. Wäre es also so, dass der Körper Muskelquerscheiben abbauen würde, änderten<br />
sich unsere Kraftverhältnisse. Das ist aber nicht der Fall. Fazit: Kurze Muskeln sind<br />
bestenfalls eine Ausrede.<br />
Wenn wir nun unseren Bewegungsspielraum erweitern wollen – also eigentlich intendieren<br />
an unserem Muskeltonus herumzuschrauben – erreichen wir das auf mehrere Arten<br />
(die unsere Muskeln dann „gestretchter“ und „relaxter“ machen).<br />
Erstens: Indem wir den Muskel so lang machen, die Fasern also so weit wie möglich<br />
auseinander gleiten lassen (oder auseinander ziehen), wie's nur geht.<br />
Das nennen wir dann „dehnen“. Und hier hat man sich in der Sportwissenschaft einige<br />
Methoden einfallen lassen. Wir unterscheiden (grob gesagt) das statische, dynamische,<br />
aktive und passive Dehnen und deren Kombinationen. Alle Dehnmethoden haben das<br />
gemeinsame Ziel, den Muskel möglichst in die Länge zu ziehen, um dem Nervensystem<br />
zu zeigen: Es geht und Du musst keine Angst haben, dass sich Dein Schutzbefohlener<br />
verletzt. Wird diese Prozedur oft genug wiederholt, gibt der Muskel dann auch einen größeren<br />
Bewegungsspielraum frei. Der löst dann auch keinen „Dehnschmerz“ mehr aus.<br />
Kein Schmerz bedeutet für den Körper: keine Gefahr; denn Schmerz entsteht nur, ausschließlich<br />
und allein im Gehirn. Und nirgendwo sonst im Körper.<br />
Unsere Muskellänge wird registriert von den Muskelspindeln, die parallel zu den Muskelfasern<br />
eingelagert sind und mit Hilfe eines federähnlichen Mechanismus immer wieder<br />
messen, in welchem Zustand der Zusammenziehung (und damit in welcher Lage) sich<br />
der Muskel gerade befindet. Da jeder Muskel aber nicht nur eine Hauptfunktion hat, sondern<br />
meist auch für eine bestimmte Rotationsbewegung (seine sogenannte Nebenfunktion)<br />
zuständig ist, macht es Sinn, Dehnbewegungen mit Rotationen zu verknüpfen. Viele<br />
physiotherapeutische Systeme nutzen genau das; am augenfälligsten macht man es<br />
beim PNF, das mit geschraubten Bewegungen arbeitet. Aber auch in der Brügger-<br />
Therapie, bei der Osteopathieform nach Leopold Renner, stellenweise der Feldenkrais-<br />
Methode usw. arbeitet man mit endgradigen Bewegungen, in die man Rotationsbewegungen<br />
einschaltet.<br />
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Einige Übungen, die leicht in Dein vorhandenes Trainingsprogramm integriert werden<br />
können und mit solchen endgradigen Bewegungen mit Rotationskomponente arbeiten,<br />
findest Du weiter unten. Diese Kombinationsbewegung stellt sicher, dass so viele Muskelspindeln<br />
und -fasern wie möglich erfasst und auf ihre maximale Länge gebracht werden;<br />
der Erfolg einer Übung ist schnell mit einem größeren Bewegungsradius feststellbar.<br />
Zweitens: Indem wir unsere Golgi-Organe reizen. Die sitzen am Muskel-Sehnen-<br />
Übergang und verhindern, dass dem Muskel zu viel Spannung zugemutet wird. Sie helfen<br />
damit, den Körper (bzw. gewisse (schützenswerte) Strukturen) nicht zu überlasten und<br />
ihm zu viel Spannung zuzumuten. Ein guter und (meist) angenehmer Weg, die Golgi-<br />
Organe zu reizen und damit den Muskeltonus zu verringern, ist die Massage.<br />
Drittens: Man verändert den Tonus schon, wenn man nur den eigenen Körper achtsam<br />
beobachtet und immer wieder kontrolliert, was bestimmte Übungen und Haltungen mit<br />
ihm machen. Dies ist vor allem Thema des nächsten Workshops.<br />
2.) Praxis<br />
Abhilfe schaffen Bewegungen, die den Muskel möglichst endgradig bewegen und anschließend<br />
in seiner Nebenfunktion fordern. Auch Körperwahrnehmungsübungen können<br />
den Tonus großartig beeinflussen.<br />
Beispielübungen:<br />
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Schultern:<br />
- Arme in „Stopp-Position“<br />
nach hinten oben bringen<br />
- Hohlkreuz vermeiden<br />
- Handflächen zeigen nach<br />
oben und rotieren zunächst<br />
maximal nach innen, nach<br />
kurzer Pause nach außen<br />
- bei allen Übungen: nachspüren<br />
Brustwirbelsäule:<br />
- Finger spreizen, Arme<br />
90° anwinkeln und an der<br />
Taille anlegen<br />
- Daumen nach hinten<br />
unten drehen, Spannung<br />
aufbauen<br />
- Zunächst Arme nach außen bringen, dann<br />
strecken, Daumen ziehen nach hinten unten<br />
- Hüfte bleibt stabil, nun Oberkörperrotation<br />
Unterer Rücken:<br />
- Arme in die Seiten<br />
stemmen,<br />
Beine<br />
überkreuzen<br />
- Oberkörper nun nach<br />
rechts und links neigen<br />
- Hohlkreuz vermeiden<br />
Zwerchfell:<br />
- Hände in die Seiten<br />
stemmen<br />
- Brustkasten „aufpumpen“<br />
- Luft durch anspannen und<br />
einziehen des Bauches<br />
entweichen lassen<br />
- Spannung halten!<br />
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Beinrückseite:<br />
- Ein Bein nach vorne<br />
stellen, auf dem hinteren<br />
abstützen<br />
- Oberschenkel des<br />
gestreckten Beins<br />
anspannen<br />
- Fuß nach innen und außen rotieren, immer<br />
wieder in die maximale Dehnung gehen<br />
Nacken:<br />
- Hände hinter dem Rücken<br />
verschränken, Handflächen<br />
berühren sich<br />
- Kopf in Seitneigung bringen<br />
- Kinn in Richtung Brustbein<br />
ziehen, dann wieder nach<br />
schräg hinten oben schauen<br />
! Nach dem Auflösen dieser Position kann den<br />
Teilnehmern schwindlig werden!<br />
5/5 © BLSV<br />
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