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Galerien<br />

Fotografie ist für Habermann nicht reine<br />

Ablichtung des Gesehenen, sondern<br />

wird zur Frage nach Realität und Abbild,<br />

letztendlich nach dem, was hinter den<br />

Dingen steckt, die für uns scheinbar<br />

die Wirklichkeit bedeuten. Seine Aufnahmen<br />

entschleunigen eine immer<br />

schneller werdenden Welt, gefrieren<br />

sie ein zum Moment eines Stilllebens,<br />

das - auch im Sinne der alten »Vanitas«<br />

- an die Vergänglichkeit allen irdischen<br />

Seins erinnert. So spontan die Aufnahmen<br />

wirken, so sind sie doch entstanden<br />

durch bewusstes Kalkül hinsichtlich<br />

Komposition, Ausschnitt und Lichtwirkung,<br />

die im Prozess der Filmentwicklung<br />

nochmals gefiltert wurden. Indirekt<br />

lehrt Habermann den Betrachter dabei<br />

ein neues Sehen, gerne auch ironisch:<br />

was schon allzu bekannt erscheint, wird<br />

durch seine Linse verfremdet, um so<br />

auch die Historie des Ortes nochmals<br />

unter die Lupe zu nehmen und - bloß<br />

zustellen. Oft muss man genau hinsehen,<br />

um das Motiv zu dechiffrieren –<br />

was manchmal spannend wird: Michelangelos<br />

muskelstrotzender »David«,<br />

zwar zur Statuette einer Schaufensterauslage<br />

im Dämmerlicht reduziert, aber<br />

immer noch David genug, verweist nur<br />

durch die hingekritzelte Telefonnummer<br />

auf eine Adresse, über die vielleicht<br />

Auskunft zu erlangen ist über den Herrn<br />

im Adamskostüm.<br />

© Efraim Habermann<br />

Kaum lassen sich Vorbilder aus der Fotografiegeschichte<br />

ausmachen. Eher entdeckt<br />

Efraim Habermann Analogien zu<br />

bereits bekannten Motiven: so erinnert<br />

die im spitzen Winkel aufgenomme<br />

Ansicht des Gebäudes an der U-Bahnstation<br />

Spichernstraße, in den 1970ern<br />

errichtet, damals Sitz der Wohnungsbaukreditanstalt,<br />

heute der Investitionsbank<br />

Berlin, an New York, nämlich an<br />

das Flat Iron Building. Wie Sie sehen,<br />

kann, wenn wir mit Efraim Habermanns<br />

Augen denken, Manhatten auch an der<br />

Spree liegen. Lassen wir außer Acht, dass<br />

heute der Tiergarten bei den Skycrapers<br />

des Potsdamer Platzes auch Ähnlichkeit<br />

zum Central Park in Manhattan aufweist,<br />

aus dem richtigen Blickwinkel betrachtet,<br />

nur mit dem historischen Unterschied,<br />

dass der Tiergarten älter ist als<br />

der New Yorker Rasen.<br />

Fazit: der Mann mit der Kamera, der<br />

zusieht und am liebsten sich selbst<br />

fotografieren würde, hat keine Vorbilder,<br />

nur eines vielleicht, wie er zugibt:<br />

Paul Cézanne, für ihn der »Verdi der<br />

Malerei«. Begonnen hat Habermann<br />

seine fotografische Karriere mit einer<br />

Kodak Retina Reflex, seit 1978 benützt<br />

er bevorzugt die Leica Spiegelreflexkamera,<br />

doch ist das Modell für ihn nicht<br />

so wichtig: »es ist ja auch egal, ob ein<br />

Schriftsteller mit der Feder oder der<br />

Schreibmaschine schreibt«, sagt er. Zu<br />

seinen Motiven zählen neben seinen<br />

Lieblingsstädten Venedig und Berlin<br />

© Efraim Habermann<br />

auch Frauen, die, um seinen Ansprüchen<br />

an die Frau als Frau zu genügen,<br />

alle Efraim Habermann heißen müssten.<br />

Feind der Raffinessen und Rapiditäten<br />

der heutigen digitalisierten Bilderwelt,<br />

fotografiert Habermann ausschließlich<br />

in Schwarz-Weiß und entwickelte<br />

bis vor Kurzem seine Aufnahmen<br />

noch selbst, jetzt überlässt er es<br />

einem Fachlabor. Dafür hat er seit einigen<br />

Jahren begonnen zu malen - kleinformatige<br />

Aquarelle, die mit den konstruktivistisch-suprematistischen<br />

Bildwirklichkeiten<br />

eines Piet Mondrian<br />

oder Kasimir Malewitsch ein ironischbuntes<br />

Spiel treiben. Sie sind derzeit in<br />

der Galerie Carlos Hulsch zu sehen.<br />

Habermann ist einer jener Stadtflaneure<br />

der Wirklichkeit, die schon im Aussterben<br />

begriffen sind. Korrekt gekleidet mit<br />

Anzug und Krawatte, das Kavalierstuch<br />

von passender Farbe in der Brusttasche<br />

und die Hornbrille als Markenzeichen,<br />

tritt der avancierte Tee- und Kaffeetrinkerr<br />

gegen eine gewisse Unkultur von<br />

Heute an, die sich dem City-Cycling<br />

und dem Coffee-to-Go verschrieben hat<br />

und nicht daran denkt, für den Abend<br />

noch einmal das T-Shirt oder Hemd zu<br />

wechseln. Auch plädiert der passionierter<br />

Raucher für separierte Smoking-<br />

Areas in seinen Stammlokalen, in denen<br />

der Fotograf, der ursprünglich einmal<br />

Maler oder Opernsänger werden wollte,<br />

auch gerne Verdi-Arien singt - oft zum<br />

Ergötzen der Gäste. Hoch versiert in der<br />

jüdischen Geschichte, ist Efraim Habermann<br />

auch zu Gesprächen über die<br />

Frauenquote, die Ähnlichkeit zwischen<br />

Jazz und Renaissance-Musik, den Preisboom<br />

auf dem Kunstmarkt oder Fußball<br />

bereit und wettert als bekennender<br />

Cineast über das Fernsehprogramm, das<br />

er gerne eintauscht gegen DVDs aus der<br />

Traumfabrik Hollywood.<br />

Sein nächstes Ziel? Die in Berlin lebende<br />

Literaturnobelpreisträgerin Hertha<br />

Müller im close-up. Zum 80. Geburtstag:<br />

nochmals: alles Gute! - Und Ihnen<br />

viel Vergnügen mit einem Wilmersdorf,<br />

wie es keiner kennt.<br />

Dr. Angelika Leitzke, Berlin, Juli <strong>2013</strong><br />

siehe auch Seite 64 / 65<br />

Galerie Carlos Hulsch<br />

80 Jahre Erfraim Habermann<br />

7. Juli bis 29. September <strong>2013</strong><br />

Kommunale Galerie<br />

Hohenzollerndamm 176<br />

10713 Berlin-Wilmersdorf<br />

Di – Fr<br />

Mi<br />

10 – 17 Uhr<br />

10 – 19 Uhr<br />

<strong>brennpunkt</strong> 3/<strong>2013</strong><br />

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