Besuchen Sie uns! - Griechenland-Net
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Grigoris, 47, arbeitslos<br />
<br />
16<br />
Unseren Nachbarn habe ich immer<br />
wieder mal getroffen. Das ist ja normal.<br />
In den letzten Tagen jedoch<br />
häuften sich die Begegnungen auffällig,<br />
auch an Werktagen. Obwohl es<br />
noch recht warm war für November,<br />
schien Grigoris Andreadis* trotz seines<br />
dicken schwarzen Anoraks zu<br />
frösteln und führte seinen kleinen<br />
Hund spazieren. Weil ich es immer<br />
eilig hatte, als wir aufeinanderstießen,<br />
blieb es jedes Mal nur bei einem<br />
kurzen „Na wie geht’s? Gut?“<br />
Ins Gespräch kam ich wenige Tage<br />
danach an einem Wochenende aber<br />
mit seiner Frau Despina. Und von<br />
ihr erfuhr ich, dass Grigoris von der<br />
wenigen Beschäftigung, die er in den<br />
letzten Monaten als Tischler in einem<br />
Familienunternehmen noch hatte, in<br />
die Arbeitslosigkeit abgerutscht war.<br />
„Wir haben viel Zeit jetzt“, meinte sie<br />
mit einem bitteren Lächeln, „fast wie<br />
in den Ferien“.<br />
Der Zusammenbruch der Baubranche<br />
seit Beginn der Krise riss alle damit<br />
zusammenhängenden Berufssparten<br />
in den Strudel: ob das Fliesenleger<br />
waren oder Fensterbauer, Maler oder<br />
eben Tischler.<br />
F<br />
<br />
Despina hat Gott sei Dank noch einen<br />
Job. <strong>Sie</strong> arbeitet in einem Supermarkt.<br />
Vor etwa einem Jahr bangte sie um<br />
ihre Stelle. Über Monate händigte die<br />
Geschäftsleitung nur einen Teil des ihr<br />
und ihren Kolleginnen und Kollegen<br />
zustehenden Lohns aus, der zuvor<br />
schon gekürzt worden war, und Despina<br />
musste schon befürchten, bald<br />
auf der Straße zu stehen. Im Moment<br />
herrscht an dieser Front zumindest<br />
Entwarnung.<br />
Wenn man ehrlich ist, war ihr Mann<br />
Mittwoch, 27. November 2013<br />
E U I L L E T O N<br />
Grigoris die letzten drei Jahre ohnehin<br />
irgendwie arbeitslos. Er werkte,<br />
wenn es was zu tun gab, sah dafür<br />
aber nicht einen Groschen. Sein Chef<br />
schuldet ihm für diese Zeit fast 20.000<br />
Euro Lohn, den er unter unterschiedlichsten<br />
Ausflüchten nicht einmal mit<br />
symbolischen Beiträgen abzahlte. Vor<br />
wenigen Tagen nun hatte Grigoris<br />
jede Hoffnung verloren, kündigte und<br />
trat den Gang zum Anwalt an. Über<br />
den Rechtsweg will er nun versuchen,<br />
für seine geleistete Arbeit entlohnt zu<br />
werden. „Das kann aber dauern, und<br />
wer weiß, ob es die Firma, bei der Grigoris<br />
gearbeitet hat, dann überhaupt<br />
noch gibt“, bemerkt Despina fast resigniert.<br />
In ihrem Wohnhaus werden<br />
sie auf jeden Fall den Antrag stellen,<br />
die Ölheizung in diesem Winter<br />
überhaupt nicht einzuschalten. „Wir<br />
werden nur mit Holz heizen und wollen<br />
deswegen auch die pauschalen 15<br />
Prozent am Öl-Verbrauch, unabhängig<br />
ob man die Heizung nutzt oder<br />
nicht, nicht ausgeben. Wir müssen<br />
noch mehr sparen.“<br />
In all den Jahren, seit ich Grigoris<br />
kenne, ist er mir außerhalb seiner<br />
Arbeit immer strahlend entgegengetreten<br />
– entweder war er auf dem Weg<br />
ins Fitnessstudio oder in eine Cafeteria<br />
auf ein Bierchen mit Freunden oder<br />
zum Strand.<br />
Grigoris gehörte als Tischler nicht zu<br />
jenen, die vor der Krise den großen<br />
Reibach machten: Eine kleine Eigentumswohnung,<br />
ein kleines Auto und<br />
ein Motorrad nannte er sein eigen.<br />
Das Auto benutzt seit langem seine<br />
28-jährige Tochter Melina; das Motorrad<br />
tauschte er schon vor Jahren<br />
gegen ein Moped aus. Obwohl er ein<br />
kräftiger Bursche war, begründete er<br />
damals diesen Schritt mit fünf Wörtern:<br />
„Ich habe einfach mehr Angst.“<br />
Jetzt hat Grigoris andere Ängste, größere.<br />
Beim letzten Aufeinandertreffen<br />
bemerkte ich, dass sein Haar ziemlich<br />
ergraut war, sein Gesicht unrasiert,<br />
und der kleine Hund schien fast den<br />
ausgewachsenen Mann zu ziehen.<br />
Grigoris muss sich nun auf seine<br />
zwei Frauen in der Familie stützen:<br />
Despina und Melina: Ihre Jobs im<br />
Supermarkt und in einem Nagelstudio<br />
scheinen, derzeit jedenfalls, noch<br />
halbwegs sicher.<br />
<br />
*Namen von der Redaktion geändert<br />
Die auf dieser Seite erscheinende Serie „Geflügelte<br />
Worte“ wird nach dem Ende der Auszüge aus dem<br />
neuen Kavafis-Buch der GZ fortgesetzt.<br />
<br />
„Ratsam ist es, trübes Wasser und ungebildete Seelen nicht aufzuwühlen.“<br />
«<br />
Isokrates, 436 bis 338 v. Chr., griechischer Redner., griechischer Philosoph<br />
<br />
riechenland begeht 2013 das Kavafis-Jahr zum<br />
G150. Geburtstag dieses bedeutenden Dichters.<br />
Die GZ-Bibliothek<br />
brachte nun seine Aufzeichnungen während<br />
einer <strong>Griechenland</strong>-Reise (1901) in deutscher Erstausgabe<br />
heraus (siehe Kasten). In drei Folgen bringen<br />
wir Auszüge daraus sowie je ein Kavafis-Gedicht in<br />
Neuübersetzung.<br />
Freitag, 5. Juli, 16 Uhr<br />
(…) Nachmittags besuchte ich mit Alexander Paläón<br />
Fáliron. 1 (…) Es gibt dort eine recht gute Badeanstalt: das<br />
Meer sieht sehr sauber und schön zum Baden aus. (…) Die<br />
Häuser rund um das Hotel und weiter draußen sind wenige<br />
und nicht sehr groß. Aber der Blick vom Strand aus ist<br />
demjenigen von Néon Fáliron weit überlegen, fand ich. Die<br />
Berge, die Häuser von Piräus und die Inseln, die man in der<br />
Ferne sieht, mit dem schönen Farbenspiel, das sie bieten,<br />
sind schlicht bezaubernd.<br />
(…) Ich schloss mich gegen 20 Uhr Alexander an, und<br />
dann kam Giannopoulo und sagte <strong>uns</strong>, dass er Plätze für<br />
<strong>uns</strong> im Theater von Phalerum reserviert habe. Dieses<br />
Theater, wohin wir um 21 Uhr gingen, ist geräumig und<br />
kühl. Gestern Abend war es ziemlich voll. (…)<br />
In der königlichen Loge saßen der König und die Prinzen<br />
Nikolaos und Andreas. <strong>Sie</strong> gingen kurz vor dem Ende<br />
der Vorstellung. In jeder Pause ging das Publikum an den<br />
Strand und kaufte Erfrischungen oder ging auf und ab.<br />
Der Strand ist mit elektrischem Licht hell beleuchtet. Der<br />
Anblick ist wirklich schön.<br />
30./13. Juli, 10 Uhr, Samstag<br />
(…) Es war Mitternacht. Wir gingen in ein Kaffeehaus<br />
an der Ecke der Rue d’Athena, am Homonoia-Platz und<br />
GZ-Neuerscheinung: „Erste Reise nach <strong>Griechenland</strong>“ von Konstantinos Kavafis (1863-1933); Auszüge, Teil 3<br />
„Das Meer sieht schön zum Baden aus“<br />
Blick vom Castella-Hügel auf Paläo Faliro (Abb.: GZ-Archiv)<br />
gegenüber dem Bahnhof Homonoia. Unter diesem Kaffeehaus<br />
ist ein „Concert Alexandre le Grand“, eine Art<br />
Hurenhaus. Ich besuchte es. Es handelt sich um einen kleinen<br />
Raum, von dem kleinere Räume abgehen, wo Leute<br />
Karten spielen. Es wirkt wie eine Lasterhöhle. Es gab dort<br />
jede Menge deutsche Mädchen.<br />
8./21., Sonntag, 9 Uhr<br />
(…) Ich hätte nie gedacht, dass Phalerum so ein Reinfall ist,<br />
was kühles Wetter anbelangt. Ich habe festgestellt, dass ich es<br />
bislang an jedem Tag, an dem ich in die Stadt gegangen bin,<br />
dort entweder kühler oder nicht wärmer als in Phalerum<br />
gefunden habe.<br />
Gestern um 18.45 Uhr wehte eine schöne scharfe kühle<br />
Brise auf der Place de la C.[onstitution] und in der Rue du<br />
Stade sowie am Anfang der Rue d’Hermès, was in Phalerum<br />
sicherlich sehr selten der Fall ist. Ich bemerkte dies<br />
M. Lestos gegenüber, und er erklärte mir, dass dies daran<br />
liege, dass Athen sehr viel höher liege als Phalerum.<br />
Verschiedene andere haben mir dasselbe gesagt – Giro,<br />
Mavrogordato, Angelo (von „Cook“). In Ordnung. Aber<br />
warum dann überhaupt nach Phalerum gehen, wenn es dort<br />
erklärtermaßen wärmer als oder so warm wie in Athen ist.<br />
Che fece ... il gran rifiuto<br />
Für manche Menschen kommt einmal der Tag,<br />
wo sie es sagen müssen: das große Ja oder<br />
das große Nein. Und augenblicklich zeigt sich, wer<br />
das Ja in sich bereithielt, und spricht er’s aus,<br />
weit fortkommt in seiner Ehre und Bestimmung.<br />
Der sich verweigert, bereut nicht. Erneut gefragt wär’<br />
wiederum die Antwort Nein. Und trotzdem lastet<br />
jenes Nein – das rechte – sein Leben lang auf ihm.<br />
1 Παλαιό(ν) Φάληρο(ν), Küstenvorort bei Athen, am südöstlichen<br />
Rand der Bucht von Phaleron.<br />
Konstantinos Kavafis:<br />
Erste Reise nach <strong>Griechenland</strong>.<br />
128 Seiten, 50 Abbildungen (schwarz-weiß),<br />
fest gebunden, Werkdruck, 12 x 19 cm.<br />
ISBN: 978-3-99021-008-6. Preis: 14,90 Euro.<br />
Sonderpreise für Abonnenten.<br />
Bestellungen über www.griechenland.net,<br />
E-Mail (buchshop@griechenland-zeitung.com),<br />
Tel. 2106560989 oder Fax: 210 6561167.