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Texte zu Bibelstellen<br />
<strong>Einer</strong> <strong>trage</strong> <strong>des</strong> <strong>anderen</strong> <strong>Last</strong><br />
Das Hohelied der Solidarität<br />
4020 Linz, Kapuzinerstraße 84<br />
Tel.: ++43(0)732/76 10 DW 3631 oder 3641<br />
E-Mail: mensch-arbeit@dioezese-linz.at<br />
KAB und Betriebsseelsorge OÖ<br />
www.mensch-arbeit.at<br />
Bibel und<br />
Liturgie
2<br />
<strong>Einer</strong> <strong>trage</strong> <strong>des</strong><br />
<strong>anderen</strong> <strong>Last</strong><br />
Anna Wall-Strasser<br />
Das Wort Solidarität wird man in der Bibel aufs erste vergeblich<br />
suchen, es kommt dort schlicht und einfach nicht vor. Der Begriff<br />
stammt geschichtlich nicht aus der biblischen Tradition, sondern<br />
kommt einerseits aus dem römischen Recht („Solidarhaftung“),<br />
andrerseits entwickelte er sich im 19. Jahrhundert aus der Arbeiterbewegung.<br />
Ist Solidarität dann überhaupt ein christliches<br />
Konzept?<br />
Wer dazu einen zweiten Blick in die Bibel riskiert findet dann eine<br />
Überfülle an Material – Worte, Sätze, Gebote, Geschichten, Ermahnungen,<br />
Ermutigungen, Handlungsanleitungen ... zum guten<br />
Leben. Hier will ich – vielleicht ungewöhnlich – die Aufmerksamkeit<br />
exemplarisch auf das lenken, was der Apostel Paulus dazu<br />
zu sagen hat. Paulus musste sich ja in den jungen Christengemeinden<br />
mit vielen Konflikten herumschlagen, mit Verschiedenheiten,<br />
Abgrenzungen und dem Ringen um ein gutes Miteinander.<br />
Sehr kurz und sehr knapp formuliert Paulus im Brief an die Gemeinden<br />
in Galatien (heutiges Zentralanatolien) das, was wir<br />
heute mit „seid solidarisch“ sagen würden. „<strong>Einer</strong> <strong>trage</strong> <strong>des</strong> <strong>anderen</strong><br />
<strong>Last</strong> – so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen“ (Gal 6,2).<br />
Dabei geht es hier nicht um die Erfüllung von Gesetzen – dagegen<br />
polemisiert Paulus geradezu – sondern um die Freiheit. Um<br />
die Freiheit, zu der jeder Mensch berufen ist, unabhängig von<br />
Geschlecht, Klasse oder Rasse. „Es gilt nicht mehr Jude und<br />
Grieche, nicht Sklave und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr<br />
alle seid eins in Christus Jesus“ (Gal 3,28). Diese revolutionäre<br />
Gleichheit aller Menschen und die damit einhergehende notwendige<br />
soziale Veränderung ist für Paulus keine Utopie in fernen Zeiten,<br />
sondern ist schon verwirklicht im Glauben an diesen Jesus<br />
und <strong>des</strong>sen Gott <strong>des</strong> Lebens. Es braucht daher auch keine Gesetze<br />
von (kirchlichen) Institutionen oder gottgleichen Kaisern,<br />
sondern es gilt einzig und allein die Liebe. Das jüdische Gebot<br />
„Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Lev 19.18)<br />
zitiert Paulus gleich zweimal, in zwei verschiedenen Schriften<br />
(Röm 13,9 und Gal 5,14). Das Gebot der Nächstenliebe ist für<br />
Paulus die Hauptregel. Diese Liebe ist kein Gefühl, sondern sie ist<br />
eine Haltung von unterschiedlichen Menschen, die miteinander
in einer Gemeinschaft leben. Mit diesem Wort „Liebe“ ist die Haltung<br />
gemeint, die wir heute „Solidarität“ nennen. Wenn Paulus<br />
zur Liebe aufruft meint er nicht, dass sich Juden und Griechen<br />
oder die unterschiedlichen Gruppierungen der jungen Gemeinden<br />
gefühlvoll in die Arme fallen. Auch nicht, dass Gegensätze, Streitigkeiten,<br />
Missverständnisse einfach zugedeckt werden. Jedoch<br />
können alle in der Gemeinde zueinanderstehen, sich stützen,<br />
sich aushalten, sich aber auch gegenseitig kritisieren und voneinander<br />
lernen. Liebe ist solidarisches Handeln.<br />
In diesem Sinn kann der berühmteste Paulustext über die Liebe,<br />
das Hohelied (1 Kor 13,1-13) als ein Lied der Solidarität gelesen<br />
werden: Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete,<br />
hätte aber keine Solidarität, wäre ich dröhnen<strong>des</strong> Erz oder<br />
eine lärmende Pauke. 1<br />
1 Gerhard Jankowski, Auslegung <strong>des</strong> ersten Korintherbriefs, in: Texte und<br />
Kontexte 121-123, Berlin 2008.<br />
Das Hohelied der<br />
Solidarität<br />
nach 1 Kor 13,1-13<br />
1 Wenn ich in Sprachen der Menschen und Boten rede,<br />
Solidarität aber nicht habe,<br />
bin ich ein scheppern<strong>des</strong> Blech, eine lärmende Zimbel.<br />
2 Und wenn ich Prophetie habe,<br />
alle Geheimnisse weiß und alle Erkenntnis,<br />
und wenn ich alles Vertrauen habe, Berge zu versetzen,<br />
Solidarität aber nicht habe,<br />
bin ich ein Nichts.<br />
3 Und wenn ich all meine Habe zur Speisung gebe,<br />
und wenn ich meinen Leib ausliefere,<br />
dass ich gerühmt werde,<br />
Solidarität aber nicht habe,<br />
nützt es mir nichts.<br />
4 Die Solidarität hat einen langen Atem.<br />
Wertvoll erweist sich die Solidarität,<br />
nicht eifert sie,<br />
nicht prahlt die Solidarität,<br />
nicht bläst sie sich auf,<br />
3
4<br />
Bildnachweis:<br />
Barbara Großmann /<br />
pixelio.de<br />
5 nicht legt sie bloß,<br />
nicht sucht sie das Ihre,<br />
nicht lässt sie sich anstacheln,<br />
nicht rechnet sie das Böse an,<br />
6 nicht freut sie sich über die Ungerechtigkeit,<br />
sie freut sich aber mit der Wahrhaftigkeit.<br />
7 Alles erträgt sie,<br />
allem vertraut sie,<br />
alles hofft sie,<br />
allem hält sie stand.<br />
8 Die Solidarität fällt niemals aus.<br />
Prophetien? Sie werden verschwinden.<br />
Sprachen? Sie werden aufhören.<br />
Erkenntnis? Sie werden verschwinden.<br />
9 Denn bruchstückhaft erkennen wir,<br />
bruchstückhaft reden wir prophetisch.<br />
10 Wenn aber das Vollkommene kommt,<br />
wird das Bruchstückhafte verschwinden.<br />
11 Als ich noch unmündig war,<br />
redete ich wie ein Unmündiger,<br />
dachte wie ein Unmündiger,<br />
überlegte wie ein Unmündiger.<br />
Als ich Mann wurde, ließ ich das Unmündige verschwinden.<br />
12 Denn wir sehen jetzt durch einen Spiegel, rätselhaft,<br />
dann aber Angesicht zu Angesicht.<br />
Ich erkenne jetzt bruchstückhaft,<br />
dann aber werde ich genau erkennen,<br />
wie auch ich genau erkannt wurde.<br />
13 Nun also bleibt:<br />
Vertrauen, Hoffnung, Solidarität,<br />
diese drei.<br />
Die größte von ihnen: die Solidarität.<br />
Aus: Gerhard Jankowski, Solidarisch leben. Texte und Kontexte, Berlin 2009,<br />
121-123.