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Europe's Responsibility in the World of Today - IWM

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THEODOR HEUSS-PREIS 2004<br />

12<br />

esse für Polen nicht im ger<strong>in</strong>gsten. Es f<strong>in</strong>det<br />

sich ke<strong>in</strong> Wort des Hasses, ke<strong>in</strong> Wort<br />

der Verachtung <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bericht über<br />

jene Jahre, se<strong>in</strong>em Ostpreußischen Tagebuch.<br />

Im klaren Licht solcher Zeugnisse<br />

wird die durch Leiden, Hass, aber auch<br />

durch gegenseitigen E<strong>in</strong>fluss und gegenseitige<br />

Anziehung über Jahrhunderte hergestellte<br />

Nähe zwischen den Deutschen<br />

und den Polen sichtbar; e<strong>in</strong> natürlicher<br />

Raum, wenn auch nicht der e<strong>in</strong>zige, wo<br />

die Wunde der Teilung Europas zu heilen<br />

beg<strong>in</strong>nen konnte.<br />

Die E<strong>in</strong>heit Europas<br />

1989 ist der Eiserne Vorhang demontiert<br />

worden, das Sowjetimperium hat sich aufgelöst.<br />

Plötzlich waren viele Mauer, viele<br />

Wände weg, gegen die so viele von uns<br />

angerannt s<strong>in</strong>d – auch die mit der Zeit<br />

schnell wachsende Gruppe,<br />

die das Institut für die Wissenschaften<br />

vom Menschen aufbaute.<br />

Es sollte noch schöner<br />

kommen: heute <strong>in</strong> vier Wochen,<br />

15 Jahre nach 1989,<br />

wird die erste Gruppe osteuropäischer<br />

Länder, darunter<br />

auch me<strong>in</strong> Land, Polen, <strong>in</strong> die<br />

Europäische Union aufgenommen.<br />

Zwei große, historische<br />

Ereignisse, die die Teilung<br />

Europas beenden, welche<br />

sich me<strong>in</strong>e Freunde und<br />

ich vor über zwanzig Jahren<br />

anschickten, heilen zu helfen.<br />

Ist damit die Aufgabe, die wir<br />

uns damals gestellt hatten, erfüllt?<br />

Mitnichten.<br />

Die E<strong>in</strong>heit Europas ist doch ke<strong>in</strong><br />

Faktum; es ist e<strong>in</strong>e Aufgabe. Das ist besonders<br />

heute sichtbar, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Augenblick,<br />

da europäische Nationen e<strong>in</strong>e neue, umfassende<br />

Union Europas zu schaffen versuchen.<br />

Die E<strong>in</strong>heit Europas ist aber nicht<br />

nur e<strong>in</strong>e politische Aufgabe. Die Politik<br />

kann nur Rahmenbed<strong>in</strong>gungen aufstellen,<br />

welche die E<strong>in</strong>igung Europas erleichtern<br />

oder erschweren. Europa: das ist<br />

nicht nur e<strong>in</strong> politisches Gebilde, das ist<br />

e<strong>in</strong>e Kultur (wie <strong>in</strong>: Bakterienkultur) von<br />

Institutionen, Ideen, Erwartungen, Gewohnheiten<br />

und Gefühlen, Stimmungen,<br />

Gerüchen, Er<strong>in</strong>nerungen und Aussichten<br />

– e<strong>in</strong>e Kultur, auf deren Boden<br />

erst e<strong>in</strong> politisches Gebilde wachsen kann.<br />

Der eiserne Zaun, der mitten durch diese<br />

Sab<strong>in</strong>e Leu<strong>the</strong>usser-Schnarrenberger (MdB) übergibt den Theodor Heuss-Preis.<br />

Die Theodor-Heuss-Medaillen 2004 erhielten die Jungen Europäischen<br />

Föderalisten (JEF), MitOst e.V. und PICUM (Platform for International Cooperation<br />

on Undocumented Migrants).<br />

Kultur g<strong>in</strong>g und sie zerschnitt, ist entfernt<br />

worden, das ist wahr – aber ob die auf<br />

beiden Seiten so verschiedenen Institutionen<br />

und Ideen wirklich zusammenwachsen<br />

und e<strong>in</strong>e ausreichende, zuverlässige<br />

Grundlage für e<strong>in</strong>e längerfristige politische<br />

Integration bereitstellen, das bleibt<br />

e<strong>in</strong>e <strong>of</strong>fene Frage.<br />

Wenn Europa ke<strong>in</strong> Faktum, sondern<br />

e<strong>in</strong>e Aufgabe ist, dann bedeutet das auch,<br />

dass es ke<strong>in</strong>e festen, vorhandenen oder e<strong>in</strong><br />

für allemal gegebenen europäischen<br />

Grenzen gibt und geben kann. Die Frage:<br />

was ist Europa? – ist e<strong>in</strong>e Frage, die ständig<br />

aufs Neue gestellt werden muss und<br />

nie abschließend beantwortet werden<br />

kann – solange Europa Gegenwart ist und<br />

nicht bloß Vergangenheit. Die Identität<br />

Europas ist sozusagen e<strong>in</strong>e Verhandlungssache,<br />

e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>stitutionelle Aufgabe: wie<br />

weit können, wie weit müssen sich Europas<br />

Menschen und se<strong>in</strong>e Institutionen<br />

ändern, damit se<strong>in</strong>e Traditionen weiterleben<br />

– und das heißt doch: sich ändern<br />

können.<br />

Kurz und gut: Europa lebt von ständiger<br />

Konfrontation mit Neuem, mit Anderem,<br />

mit Fremden, se<strong>in</strong>e Grenzen müssen<br />

immer neu verhandelt werden. Das<br />

gilt sowohl für se<strong>in</strong>e <strong>in</strong>neren Grenzen als<br />

auch für die äußeren; so wird die Frage der<br />

europäischen Identität <strong>in</strong> der Folge der<br />

Immigrationsregelungen beantwortet<br />

und <strong>in</strong> den Verhandlungen über den Beitritt<br />

der Türkei zu der Europäischen Union.<br />

Weder diese Regelungen, noch diese<br />

Verhandlungen können a priori, aufgrund<br />

feststehender, vorhandener Pr<strong>in</strong>zipien<br />

– wie etwa e<strong>in</strong>em Katalog „europäischer<br />

Werte“ - entschieden werden.<br />

Die Erweiterung der Europäischen<br />

Union um e<strong>in</strong>ige Länder des glücklicherweise<br />

verschwundenen sowjetischen Imperiums<br />

ist e<strong>in</strong>e weitere, e<strong>in</strong>e besonders<br />

radikale Herausforderung des Bisherigen,<br />

des Vertraut-Europäischen durch das<br />

Neue und Fremde. Es ist wahr, auch vor<br />

1989 gehörten alle diese Polen und Letten<br />

irgendwie zu Europa – aber doch nicht<br />

wirklich. Das wirkliche, echte Europa war<br />

für die Westeuropäer hier, <strong>in</strong> Stuttgart, <strong>in</strong><br />

Paris, <strong>in</strong> Wien. Auch wir, das „andere Europa“<br />

auf der schlechteren Seite des Vorhangs,<br />

dachten im geheimen so, obwohl<br />

e<strong>in</strong>ige von uns laut zu protestieren pflegten<br />

und unsere europäische Herkunft<br />

und unsere europäische Zugehörigkeit<br />

beschworen. Wir wollten alle „zurück<br />

nach Europa“ – also so se<strong>in</strong> wie Sie.<br />

Das waren aber nur Träume. Wir werden<br />

nicht wie Sie werden, genauso wenig<br />

wie die Deutschen <strong>in</strong> der ehemaligen<br />

DDR e<strong>in</strong>fach wie die<br />

<strong>in</strong> der Bundesrepublik wurden.<br />

Die Träume werden jetzt<br />

der Prüfung durch die Wirklichkeit<br />

unterzogen: jetzt s<strong>in</strong>d<br />

wir wirklich da, ante portas,<br />

gleich kommen wir here<strong>in</strong>.<br />

Wir, die Anderen. Und trotz<br />

dieser Andersheit jetzt tatsächlich<br />

dazugehörig. Nachdem<br />

wir dr<strong>in</strong>nen s<strong>in</strong>d, wird<br />

Europa anders werden. Das<br />

Westeuropa der Nachkriegszeit<br />

– jenes Europa unserer<br />

damaligen Träume – wird dadurch<br />

Vergangenheit, wird<br />

verschw<strong>in</strong>den – genauso wie<br />

nach der Wiedervere<strong>in</strong>igung die Bundesrepublik<br />

Deutschland verschwunden ist,<br />

diese schöne Errungenschaft der Nachkriegsgenerationen<br />

der Deutschen.<br />

Wir müssen uns darum bemühen,<br />

dass diese neue Herausforderung für Europa<br />

erfolgreich bewältigt wird, dass<br />

durch dieses Neue, Andere, Fremde, das<br />

jetzt mit uns E<strong>in</strong>lass <strong>in</strong> Europa f<strong>in</strong>det, e<strong>in</strong>e<br />

neue, reichere europäische E<strong>in</strong>heit entsteht,<br />

e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heit <strong>in</strong> Vielfalt. Wir müssen<br />

uns bemühen, dass dieses neue Europa<br />

m<strong>in</strong>destens genauso schön wird wie das<br />

alte, das „westliche“.<br />

E<strong>in</strong>fach wird es nicht se<strong>in</strong>; wer weiß<br />

das besser als die Deutschen, mit ihren<br />

Erfahrung mit der Wiedervere<strong>in</strong>igung.<br />

Gerade jene Eigenschaften, die manche<br />

der osteuropäischen Gesellschaften – wie<br />

<strong>IWM</strong> NEWSLETTER 84 Spr<strong>in</strong>g 2004/No. 2

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