Europe's Responsibility in the World of Today - IWM
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AUSZEICHNUNG<br />
Seit 1965 ehrt die Theodor-Heuss-Stiftung alljährlich demokratisches Engagement, Zivilcourage und<br />
den E<strong>in</strong>satz zur Stärkung und Weiterentwicklung der Demokratie. Am 3. April wurde Krzyszt<strong>of</strong><br />
Michalski, Rektor des <strong>IWM</strong>, <strong>in</strong> Stuttgart mit dem Theodor Heuss-Preis ausgezeichnet. Zu den<br />
früheren Preisträgern zählen: Ralf Dahrendorf, Hans-Dietrich Genscher, Günter Grass, Jürgen<br />
Habermas, Vaclav Havel, Helmut Schmidt und Carl Friedrich von Weizsäcker.<br />
Theodor Heuss-Preis 2004<br />
Kurt Biedenkopf<br />
Laudatio auf Krzyszt<strong>of</strong> Michalski<br />
Verehrter Herr Bundespräsident, verehrter<br />
Herr Altbundespräsident, hoch verehrte<br />
Festversammlung, lieber Herr Kollege<br />
Michalski, lieber Freund,<br />
Es ist für mich e<strong>in</strong>e große Auszeichnung,<br />
bei der Verleihung des Theodor-Heuss-<br />
Preises für Sie die Laudatio sprechen zu<br />
dürfen. Als ich Sie Anfang der 80er Jahre<br />
kennen lernte, waren Sie noch ke<strong>in</strong>e 40<br />
Jahre alt. Aber Sie hatten schon Spuren<br />
h<strong>in</strong>terlassen, H<strong>of</strong>fnungen begründet und<br />
Neues aufgebaut. Ich traf auf e<strong>in</strong>en jungen<br />
Mann, der <strong>in</strong> ungewöhnlicher Weise<br />
die Spannung zwischen Ost und West <strong>in</strong><br />
se<strong>in</strong>er Person aufhob, sowohl im S<strong>in</strong>ne des<br />
Aufhebens als auch des Aufbewahrens.<br />
E<strong>in</strong>es Abends, ich werde es nie vergessen,<br />
öffneten Sie mir <strong>in</strong> Warschau die<br />
Tür zu e<strong>in</strong>em Gespräch mit e<strong>in</strong>er Gruppe<br />
polnischer Intellektueller. Sie wollten unter<br />
dem Vorsitz Geremeks mit mir diskutieren.<br />
Aber bald diskutierten sie untere<strong>in</strong>ander,<br />
und ich füllte m<strong>in</strong>destens vier Speisekarten<br />
auf der Rückseite mit Notizen,<br />
um all das festzuhalten, was vorgetragen<br />
wurde aus e<strong>in</strong>em Land, das Sie mir zu e<strong>in</strong>em<br />
wesentlichen Teil erschlossen haben.<br />
(...)<br />
Die Bed<strong>in</strong>gungen der Freiheit<br />
Die Wissenschaften vom Menschen, die<br />
das Institut <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Namen trägt, kann<br />
man auch übersetzen mit: die Wissenschaften<br />
von den Bed<strong>in</strong>gungen der Freiheit.<br />
Jenen Bed<strong>in</strong>gungen, die gegeben<br />
se<strong>in</strong> müssen, damit Menschen sich frei<br />
entfalten, ihre Fähigkeiten entwickeln,<br />
ihre Möglichkeiten ausschöpfen und e<strong>in</strong>e<br />
Ordnung mite<strong>in</strong>ander gestalten können,<br />
die e<strong>in</strong>e Ordnung des Rechts, der Freiheit<br />
und der Demokratie ist. Die Sicherung<br />
und Ausgestaltung dieser Bed<strong>in</strong>gungen<br />
ist stets zeitgebunden. Aber der Auftrag,<br />
diese Bed<strong>in</strong>gungen zu sichern, ist dauer-<br />
haft. Er ist im besten S<strong>in</strong>ne des Wortes<br />
zeitlos. Es geht um den Auftrag der Aufklärung,<br />
dem Menschen den Ausgang aus<br />
se<strong>in</strong>er selbst verschuldeten Unmündigkeit<br />
zu schaffen. Aber auch um den Auftrag,<br />
ihn vor der Versuchung zu schützen,<br />
sich <strong>in</strong> der Unmündigkeit e<strong>in</strong>zurichten, es<br />
anderen leicht zu machen, sich zu se<strong>in</strong>em<br />
Vormund zu bestellen, weil es sche<strong>in</strong>bar<br />
so bequem ist, unmündig zu se<strong>in</strong>.<br />
Krzyszt<strong>of</strong> Michalski sagt dazu: „Ich<br />
b<strong>in</strong> überzeugt davon, dass die Idee der<br />
Freiheit des E<strong>in</strong>zelnen und, ihr entspr<strong>in</strong>gend,<br />
die Idee der Gleichheit und der<br />
Brüderlichkeit unsere Kultur wie e<strong>in</strong> Nerv<br />
durchzieht. E<strong>in</strong> Nerv, der sie belebt und<br />
zugleich schmerzt und unserer Kultur<br />
eben dadurch S<strong>in</strong>n und Energie verleiht“.<br />
Und etwas weiter lesen wir: „Der Glaube<br />
an die une<strong>in</strong>geschränkte Freiheit des Individuums<br />
ist zum Herzstück der europäischen<br />
Kultur geworden. Er verändert die<br />
Beziehungen zwischen den Menschen radikal.<br />
Denn im Lichte der Freiheit bedürfen<br />
alle diese Beziehungen der Rechtfertigung.“<br />
1<br />
Es s<strong>in</strong>d diese durch rechtlich gesicherte<br />
Freiheit ausgelösten tiefgreifenden<br />
Veränderungen, die uns beschäftigen, besonders<br />
im H<strong>in</strong>blick auf soziale Ungleichheiten.<br />
Diese s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er freien Gesellschaft<br />
nicht länger als gegeben h<strong>in</strong>zunehmen,<br />
sondern müssen begründet werden.<br />
Was heißt das heute? Welche Unterschiede<br />
s<strong>in</strong>d akzeptabel im vere<strong>in</strong>ten Europa<br />
und welche müssen überwunden werden,<br />
mit welcher Kraft und mit welchen<br />
Mitteln und Möglichkeiten? Die Solidarität<br />
spielt hier e<strong>in</strong>e wichtige Rolle, aber ke<strong>in</strong>eswegs<br />
nur die sie. Aus welchen Unterschieden<br />
erwachsen kreative Spannungen,<br />
die wir wollen, und welche Unterschiede<br />
s<strong>in</strong>d ungerecht? Was s<strong>in</strong>d die<br />
Maßstäbe für Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit?<br />
Sie werden, solange es Freiheit<br />
gibt, stets neu verhandelt und beantwortet<br />
werden müssen. Weil sich die Verhältnisse<br />
ändern, weil sich unsere Bewertungen<br />
ändern, weil die bisherigen Antworten<br />
ihre praktischen Grundlagen verlieren,<br />
weil sich neue Wirklichkeiten e<strong>in</strong>stellen,<br />
die uns auffordern, neue Antworten<br />
auf alte Fragen zu geben und neue Institutionen<br />
für die neuen Aufgaben zu<br />
schaffen. Aber auch, weil unsere Vorstellungen<br />
von Gerechtigkeit im Wechselverhältnis<br />
zwischen Freiheit, Gerechtigkeit<br />
und Solidarität sich wandeln. Sie haben<br />
sich <strong>in</strong> den letzten 50 Jahren tief gewandelt,<br />
und dieser Prozess ist ke<strong>in</strong>eswegs<br />
abgeschlossen.<br />
Was hält Europa zusammen?<br />
Krzyszt<strong>of</strong> Michalski hat nicht nur se<strong>in</strong> Institut,<br />
sondern se<strong>in</strong> eigenes wissenschaftliches<br />
und politisches Leben dieser endlosen<br />
Geschichte der Freiheit gewidmet.<br />
Wenn es richtig ist, dass die Idee der Freiheit<br />
unsere Kultur durchzieht wie e<strong>in</strong><br />
Nerv und ihr S<strong>in</strong>n und Energie verleiht,<br />
verleiht sie uns dann im Europa der Aufklärung<br />
auch den <strong>in</strong>neren Zusammenhalt?<br />
Ist sie die Kraft, die das gee<strong>in</strong>te Europa<br />
zusammenhält, ihm die geme<strong>in</strong>same<br />
Identität verleiht, ohne die es ke<strong>in</strong> wirklich<br />
gee<strong>in</strong>tes, e<strong>in</strong>er Verfassung fähiges Europa<br />
se<strong>in</strong> wird? Welche Bedeutung haben<br />
Kultur und Aufklärung für unser Europa?<br />
Was hält, auf den Punkt gebracht,<br />
Europa zusammen? Was wird es <strong>in</strong> Zukunft<br />
zusammenhalten, wenn es 25 Länder<br />
mit 450 Millionen E<strong>in</strong>wohnern<br />
umfasst? In e<strong>in</strong>er Union, <strong>in</strong> der dramatische<br />
Unterschiede im Lebensstandard, <strong>in</strong><br />
der historischen Perspektive, <strong>in</strong> der jeweiligen<br />
politischen und kulturellen Perzeption<br />
dieses Europa bestehen? Und was, vor<br />
allen D<strong>in</strong>gen, hält die Europäer zusammen?<br />
Welches s<strong>in</strong>d die Quellen ihrer geme<strong>in</strong>samen<br />
Identität?<br />
In Bezug auf die letzte Frage habe ich<br />
vor e<strong>in</strong>igen Jahren aus e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en Begebenheit<br />
<strong>in</strong> Sachsen viel Mut bezogen.<br />
E<strong>in</strong>e Dame erzählte mir, sie habe ihren<br />
Sohn gefragt, ob er sich als Deutscher fühle.<br />
Der Sohn, knapp zwanzig Jahre, ant-<br />
7<br />
<strong>IWM</strong> NEWSLETTER 84 Spr<strong>in</strong>g 2004/No. 2