Europe's Responsibility in the World of Today - IWM
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Timothy Garton Ash FELLOWS’ MEETING<br />
lungshilfe, Schuldenerlass, Abbau der<br />
Agrarsubventionen und die Bekämpfung<br />
des Treibhauseffekts zustandekommen.<br />
Daneben sollten wir mit anderen demokratischen<br />
Ländern und mit der UNO<br />
moderne Kriterien für e<strong>in</strong>en „gerechten<br />
Krieg“ vere<strong>in</strong>baren, um verb<strong>in</strong>dlich festzulegen,<br />
wer unter welchen Bed<strong>in</strong>gungen<br />
das Recht und die Pflicht hat, sich <strong>in</strong> die<br />
<strong>in</strong>neren Angelegenheiten souveräner Staaten<br />
e<strong>in</strong>zumischen. Auf <strong>in</strong>stitutioneller<br />
Ebene benötigen wir klarer strukturierte<br />
Verhältnisse zwischen der EU als ganzer<br />
und den USA. Bei heiklen Themen, ob<br />
Sachfragen oder Staaten (wie den Iran)<br />
betreffend, sollten wir außerdem auf das<br />
wohlerprobte Modell der „Kontaktgruppen“<br />
zurückgreifen, um Repräsentanten<br />
der direkt beteiligten Länder an e<strong>in</strong>en<br />
Tisch zu bekommen. Wo e<strong>in</strong> politischer<br />
Wille, da e<strong>in</strong> <strong>in</strong>stitutioneller Weg.<br />
Europa und Amerika br<strong>in</strong>gen unterschiedliche<br />
Stärken und Schwächen mit<br />
<strong>in</strong>s Spiel, weil sie selbst grundverschieden<br />
s<strong>in</strong>d. E<strong>in</strong>e kont<strong>in</strong>entübergreifende Geme<strong>in</strong>schaft<br />
von mehr als vierzig eigenständigen<br />
Nationalstaaten mit kaum weniger<br />
Sprachen kann niemals das Ebenbild e<strong>in</strong>er<br />
aus fünfzig Bundesstaaten gebildeten<br />
Föderation se<strong>in</strong>. Es wäre töricht, würde<br />
Europa das Ziel e<strong>in</strong>er Supermacht anstreben,<br />
die es mit dem Goliath Amerika aufnehmen<br />
wollte. Selbst <strong>in</strong> der heutigen<br />
Welt bildet das Militärische die maßgebliche<br />
Machtbasis. Zwar hat die Sowjetunion<br />
bewiesen, dass sich Macht nicht e<strong>in</strong>dimensional<br />
re<strong>in</strong> militärisch begründen<br />
lässt, aber bis heute wissen wir von ke<strong>in</strong>er<br />
militärisch schwachen Supermacht. Die<br />
USA wären töricht (und s<strong>in</strong>d es leider <strong>in</strong><br />
den letzten Jahren) anzunehmen, dass sie<br />
Europa alle<strong>in</strong> wegen ihrer Überlegenheit<br />
auf militärischem Gebiet e<strong>in</strong>fach l<strong>in</strong>ks liegen<br />
lassen können. Doch s<strong>in</strong>d ökonomische,<br />
diplomatische und kulturelle Stärken<br />
nicht zu verachten und können für<br />
e<strong>in</strong>e sogenannte „sanfte Balance“ sorgen.<br />
Im Nachkriegsirak mussten die USA erneut<br />
e<strong>in</strong>sehen, wie wahr Talleyrands Bemerkung<br />
ist, dass Bajonette für alles mögliche<br />
taugen, bloß nicht um darauf zu sitzen.<br />
Ohne eigene militärische Stärke wird<br />
Europa jedenfalls ke<strong>in</strong>e Großmacht im<br />
engeren S<strong>in</strong>n des Wortes bilden können.<br />
Die meisten Europäer sagen, sie<br />
wünschten sich e<strong>in</strong> starkes Europa, doch<br />
<strong>in</strong> Umfragen darauf angesprochen, ob dafür<br />
die Militärausgaben steigen sollten,<br />
lehnen sie das strikt ab. Würden die Europäer,<br />
wenn das Wachstum oder die Sozialleistungen<br />
oder beides weiter zurückg<strong>in</strong>gen,<br />
trotzdem viel mehr Geld für Rüstung<br />
ausgeben? Wer das glaubt, dem ist nicht<br />
zu helfen. Zwar bestehen unter den Mitgliedsländern<br />
erhebliche Differenzen, was<br />
die E<strong>in</strong>stellung zum E<strong>in</strong>satz militärischer<br />
Gewalt angeht, doch gibt es e<strong>in</strong>en starken<br />
Widerwillen, der aus eigenen bitteren Erfahrungen<br />
resultiert. Krieg gehört zu den<br />
neuralgischen Punkten, gegen die sich das<br />
ganze europäische Projekt immer scharf<br />
abgegrenzt hat: Die Union wurde gegründet,<br />
um Kriege zu verh<strong>in</strong>dern, nicht<br />
zu führen. Wie dem auch sei, e<strong>in</strong>e mult<strong>in</strong>ationale<br />
europäische Geme<strong>in</strong>schaft dürfte<br />
höchstwahrsche<strong>in</strong>lich weder die Absicht<br />
verfolgen, noch die öffentliche Unterstützung<br />
dafür erhalten, e<strong>in</strong>heitliche<br />
Kommandostrukturen aufzubauen, um<br />
größer angelegte Feldzüge führen zu können.<br />
Gewiss wäre es für beide Seiten ungesund,<br />
wenn Amerika stets auf eigene Faust<br />
<strong>in</strong> den Krieg zöge, sei er <strong>in</strong> der Sache noch<br />
so gerecht, und erwartete, dass Europa<br />
sich anschließend um die Friedenssicherung<br />
und den Wiederaufbau kümmerte,<br />
nach dem Motto: „Amerika besorgt<br />
das Kochen, Europa den Abwasch.“ Für<br />
e<strong>in</strong>e gerechte Sache sollte Brüssel bereit<br />
se<strong>in</strong>, selbst den Kochlöffel zu schw<strong>in</strong>gen,<br />
und Wash<strong>in</strong>gton, beim Geschirrspülen zu<br />
helfen. Dennoch hat, wie bei guten Partnerschaften<br />
üblich, jede Seite ihre besonderen<br />
Fähigkeiten, die nicht mehr oder<br />
weniger wertvoll, sondern sehr unterschiedlich<br />
s<strong>in</strong>d.<br />
H<strong>in</strong>ter den gaullistischen Phantasien<br />
e<strong>in</strong>er europäischen Rivalität mit den Vere<strong>in</strong>igten<br />
Staaten verbergen sich alte<br />
Wunschträume e<strong>in</strong>stiger Weltmächte oder<br />
-reiche. Doch das Streben nach „Weltmacht“<br />
darf heute für Allianzen ebenso<br />
wenig als e<strong>in</strong> moralisch anerkennenswertes<br />
Ziel gelten wie für e<strong>in</strong>zelne Nationalstaaten.<br />
Europäischer Nationalismus ist<br />
um ke<strong>in</strong>en Deut besser als französischer,<br />
deutscher, britischer oder amerikanischer,<br />
wobei ich pr<strong>in</strong>zipiell klar zwischen Nationalismus<br />
und Patriotismus unterscheide.<br />
Mit e<strong>in</strong>em von der Hochaufklärung getragenen<br />
Idealismus appellierten Goe<strong>the</strong><br />
und Schiller e<strong>in</strong>st wie folgt an ihre Landsleute:<br />
“Zur Nation euch zu bilden, ihr h<strong>of</strong>fet es, Deutsche,<br />
vergebens;<br />
Bildet, ihr könnt es, dafür freier zu Menschen<br />
euch aus.“<br />
Zur Supermacht uns zu bilden, wir<br />
würdens, Europäer, vergebens h<strong>of</strong>fen.<br />
Bilden wir uns, wir könnens, dafür freier<br />
zu Menschen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Bund von Demokraten<br />
aus, die am Projekt e<strong>in</strong>er Welt ohne<br />
Grenzen arbeiten.<br />
Aus dem Englischen von Hans Günter Holl<br />
* Timothy Garton Ash, Freie Welt. Europa, Amerika<br />
und die Chance der Krise. Aus dem Englischen<br />
von Susanne Hornfeck und Hans Günter<br />
Holl. 368 S. mit 5 Karten. Euro 24,90 (Österreich<br />
25,60), SF 44,50. Ersche<strong>in</strong>t am 18. September<br />
2004 im Carl Hanser Verlag, München. Das<br />
diesem Auszug zugrunde gelegte Kapitel „Was<br />
Europa se<strong>in</strong> kann“ ersche<strong>in</strong>t als Vorabdruck<br />
<strong>in</strong> Transit 27.<br />
1<br />
Eric Hobsbawm, Das Zeitalter der Extreme.<br />
Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, München<br />
1995, S. 711.<br />
2<br />
Xenien, Nr. 96 mit dem Titel „Deutscher Nationalcharakter“,<br />
hier zitiert nach J. W. Goe<strong>the</strong>,<br />
Sämtliche Werke, München (Artemis) 1977, Bd.<br />
2, S. 455.<br />
Previous speakers:<br />
Gottfried Böhm<br />
Basel<br />
Ralf Dahrendorf<br />
Oxford<br />
Péter Esterházy<br />
Budapest<br />
Joachim C. Fest<br />
Frankfurt a.M.<br />
François Furet<br />
Paris<br />
Bronislaw Geremek<br />
Warsaw<br />
Alfred Gusenbauer<br />
Vienna<br />
Hanna Krall<br />
Warsaw<br />
Robert Menasse<br />
Vienna<br />
Adam Michnik<br />
Warsaw<br />
Michael Naumann<br />
Hamburg<br />
Jacques Rupnik<br />
Paris<br />
Dieter Simon<br />
Frankfurt a.M.<br />
Charles Taylor<br />
Chicago<br />
George Weidenfeld<br />
London<br />
5<br />
<strong>IWM</strong> NEWSLETTER 84 Spr<strong>in</strong>g 2004/No. 2