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Europe's Responsibility in the World of Today - IWM

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FELLOWS’ MEETING<br />

Each year, <strong>the</strong> <strong>IWM</strong> <strong>in</strong>vites its fellows, staff, friends and supporters to an <strong>in</strong>formal meet<strong>in</strong>g. In 2004, it<br />

was opened with a lecture by <strong>the</strong> historian Timothy Garton Ash, director <strong>of</strong> <strong>the</strong> European Studies<br />

Centre, St. Antony’s College, Oxford University, and member <strong>of</strong> <strong>the</strong> <strong>IWM</strong>’s Academic Advisory Board.<br />

Timothy Garton Ash<br />

Europe and America: The Chance <strong>of</strong> <strong>the</strong> Crisis<br />

4<br />

Timothy Garton Ash<br />

Jedes Jahr lädt das <strong>IWM</strong><br />

se<strong>in</strong>e Fellows, Mitarbeiter<strong>in</strong>nen<br />

und Mitarbeiter,<br />

Freunde und Förderer zu<br />

e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>formellen Treffen<br />

e<strong>in</strong>. 2004 hielt der Historiker<br />

Timothy Garton Ash<br />

den Eröffnungsvortrag. Er<br />

ist Direktor des European<br />

Studies Centre am St.<br />

Antony’s College, Oxford<br />

University, und Mitglied<br />

des Wissenschaftlichen<br />

Beirats des <strong>IWM</strong>.<br />

Wir br<strong>in</strong>gen im Folgenden e<strong>in</strong>en <strong>the</strong>matisch mit<br />

dem Vortrag korrespondierenden Auszug aus Garton<br />

Ash’s neuem Buch Freie Welt. Europa, Amerika<br />

und die Chance der Krise.*<br />

Was Europa se<strong>in</strong> kann<br />

(...) „Die Europäische Union stand alle<strong>in</strong>“, schrieb<br />

Eric Hobsbawms am Ende des kurzen 20. Jahrhunderts,<br />

„und nachdem sie das K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>er spezifischen<br />

und wahrsche<strong>in</strong>lich unwiederholbaren historischen<br />

Konstellation ist, wird sie vermutlich<br />

auch alle<strong>in</strong> bleiben.“ Doch selbst als E<strong>in</strong>zelexemplar<br />

könnte e<strong>in</strong>e erweiterte Europäische Union, mit<br />

der richtigen Mischung aus Pragmatismus und<br />

Weitblick aufgebaut, als mächtige Säule e<strong>in</strong>er freien<br />

Welt dienen. Stellen wir uns kurz vor, wie Europa<br />

2025 im Idealfall aussehen könnte: e<strong>in</strong> Staaten-,<br />

Wirtschafts- und Sicherheitsbündnis mit etwa vierzig<br />

Demokratien, 650 Millionen Menschen <strong>in</strong> Regionen,<br />

von denen e<strong>in</strong>st zwei Weltkriege ausg<strong>in</strong>gen<br />

und die nach wie vor e<strong>in</strong>en Großteil des weltweiten<br />

Wohlstandes produzieren; dazu weitere 650 Millionen<br />

<strong>in</strong> Ländern, die Anfang des 21. Jahrhunderts<br />

<strong>in</strong> den brisantesten Teilen der Erde lagen, jetzt<br />

aber e<strong>in</strong>em großen Bogen der Partnerschaft mit der<br />

Europäischen Union angehören, der von<br />

Marrakesch über Kairo, Jerusalem, Bagdad und<br />

Tiflis bis h<strong>in</strong>über nach Wladiwostok reicht. Das<br />

wäre immerh<strong>in</strong> etwas.<br />

Wohlgemerkt, alle me<strong>in</strong>e Vorschläge, Visionen<br />

und Argumente für e<strong>in</strong>en nüchternen Europa-Patriotismus<br />

leiten sich voll und ganz aus e<strong>in</strong>er Analyse<br />

der eigenen Geschichte, Geographie, nationalen<br />

Zusammensetzung und Interessenlage Europas ab.<br />

Zwar s<strong>in</strong>d gewisse Vergleiche mit Amerika unvermeidlich,<br />

doch ist es e<strong>in</strong>e Krankheit der gegenwärtigen<br />

Europa-Debatten, dass Diskussionen darüber,<br />

was Europa se<strong>in</strong> sollte, immer explizit oder<br />

implizit von Amerika ausgehen. Gedanken über<br />

Europa müssen <strong>in</strong> diesem selbst wurzeln: „Europa<br />

denken“ heißt, hier ansetzen. Wer dagegen die politische<br />

Identität Europas <strong>in</strong> Amerika als se<strong>in</strong>em alter<br />

ego sucht, wie e<strong>in</strong>st die Briten ihre <strong>in</strong> Frankreich,<br />

wirbt damit nicht für e<strong>in</strong>en europäischen<br />

Patriotismus, sondern für europäischen Nationalismus.<br />

Außerdem wäre der Ansatz zum Scheitern verurteilt.<br />

Gewiss bestehen zwischen den Vere<strong>in</strong>igten<br />

Staaten und Europa bemerkenswerte Differenzen<br />

– zum Beispiel <strong>in</strong> puncto Religion oder beim Sozialstaat.<br />

Niemand kann im Ernst behaupten, Euro-<br />

pa sei Amerika moralisch überlegen oder umgekehrt:<br />

Ersteres steht <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>en, letzteres <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

anderen Weise besser da. Dessen ungeachtet reißen<br />

sowohl <strong>in</strong> Europa als auch <strong>in</strong> den USA immer tiefere<br />

Wertgräben auf; Staaten wie Kanada nehmen<br />

e<strong>in</strong>e mittlere Position e<strong>in</strong>, und trotz allem überwiegen<br />

die geme<strong>in</strong>samen Grundwerte. Das neue alte<br />

Europa diesseits und das alte neue Europa jenseits<br />

des Atlantiks gehören zu e<strong>in</strong> und derselben Großfamilie.<br />

An den Wänden unserer Treppenaufgänge<br />

hängen Gemälde derselben Urahnen. (Me<strong>in</strong>e große<br />

Liebe gilt e<strong>in</strong>er würdigen alten Dame namens<br />

„Aufklärung“, doch gibt es auch andere, eher düster<br />

wirkende Porträts.) Die europäische Identität<br />

auf transatlantische Wertdifferenzen aufzubauen,<br />

wie es Habermas und Derrida vorgeschlagen haben,<br />

würde die erweiterte Europäische Union<br />

nicht e<strong>in</strong>en, sondern spalten.<br />

Zwischen Europa und Amerika bestehen auch<br />

erhebliche Interessenunterschiede. Wie könnte es<br />

anders se<strong>in</strong>? Diese gilt es, <strong>of</strong>fen auszusprechen.<br />

Doch bei den meisten unserer langfristigen Interessen<br />

herrscht E<strong>in</strong>igkeit, Deckungsgleichheit oder<br />

zum<strong>in</strong>dest Vere<strong>in</strong>barkeit. Ökonomisch gesehen ist<br />

die Interdependenz stärker als je zuvor, angefangen<br />

bei der Notwendigkeit, gegen Terrorismus, Genozid,<br />

nukleare, biologische oder chemische Kriegführung<br />

vorzugehen, über die Befriedung des Nahen,<br />

den Beitrag zum kontrollierten Aufstieg des<br />

Fernen Ostens und die Unterstützung des notleidenden<br />

Südens bis h<strong>in</strong> zur Nachhaltigkeit des<br />

menschlichen Lebens auf der Erde. Diese globalen<br />

Aufgaben, von denen das Wohlergehen unserer<br />

K<strong>in</strong>der abhängt, dürften wahrsche<strong>in</strong>lich selbst<br />

dann kaum zu bewältigen se<strong>in</strong>, wenn Amerika und<br />

Europa kooperierten. Doch ohne e<strong>in</strong>e solche Kooperation<br />

wäre die Lage aussichtslos. Nur Amerika,<br />

Europa und die übrigen demokratischen Länder<br />

des Neuen Westens, die zusammen über den Löwenanteil<br />

der irdischen wirtschaftlichen und militärischen<br />

Macht verfügen, könnten geme<strong>in</strong>sam die<br />

nötigen Mittel aufbieten, um es wenigstens zu versuchen.<br />

Wir sollten von e<strong>in</strong>er „Unabhängigkeitserklärung“<br />

ausgehen, wie John F. Kennedy sie schon vor<br />

mehr als vierzig Jahren vorschlug, und dann <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

anhaltenden Dialog anstreben: dass die verbliebenen<br />

Schranken für den freien Transatlantikhandel<br />

fallen; dass die NATO und die aufkommende<br />

Militärmacht der EU nicht gegene<strong>in</strong>ander<br />

arbeiten; dass geme<strong>in</strong>same Vorgaben für Entwick-<br />

<strong>IWM</strong> NEWSLETTER 84 Spr<strong>in</strong>g 2004/No. 2

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