HIGHTECHREPORT - Daimler
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<strong>HIGHTECHREPORT</strong><br />
Faszination Forschung &Technik 1/2007<br />
Leitbild Nachhaltige Mobilität<br />
> Strategien für geringeren Verbrauch<br />
> UV-Lacke schonen die Ressourcen<br />
> Nanopartikel ermöglichen Leichtbau
U2<br />
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<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 > Editorial 3<br />
Dr. Thomas Weber ist Mitglied des<br />
Vorstands der <strong>Daimler</strong>Chrysler AG.<br />
Er verantwortet das Ressort<br />
Konzernforschung und Mercedes<br />
Car Group Entwicklung.<br />
Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />
mit dem Schwerpunktthema „Werkstoffe“ in dieser Ausgabe möchten wir<br />
Sie mit der Arbeit unserer Materialforscher und Verfahrensspezialisten<br />
vertraut machen. Und das aus gutem Grund: Neue Werkstoffe in Kombination<br />
mit den entsprechenden Prozesstechnologien erschließen <strong>Daimler</strong>-<br />
Chrysler eine enorme Bandbreite an Innovationspotenzialen. Ein Beispiel<br />
für ein solches Duo: das Aushärten von lösemittelfreien Lacken im UV-<br />
Licht. Es ermöglicht nicht nur ein umweltfreundlicheres Schutzlackieren<br />
von Lkw-Achsen. Die UV-Härtung ist zudem kostengünstiger und beansprucht<br />
weniger Platz in der Fertigung.<br />
Neue Werkstoffe und Verfahren nützen vor allem unseren Kunden: So ermöglicht<br />
erst das Laserschweißen die kompakte und gewichtssparende<br />
Bauweise des 7G-TRONIC-Automatikgetriebes. Der Kunde merkt es im<br />
Geldbeutel, denn daraus ergibt sich eine Verbrauchsersparnis von bis zu<br />
0,6 Litern/100 km. Zugleich sinkt der CO 2 -Ausstoß – ebenfalls ein Thema,<br />
dem ein Hauptaugenmerk unserer Forscher und Entwickler gilt. In<br />
exakt diese Richtung zielt ein Projekt aus der Welt der Nanopartikel:<br />
Leichtbau durch thermoplastische Karosserieteile ohne Abstriche bei<br />
Materialfestigkeit und Lackqualität.<br />
Bereits vor vielen Jahren haben wir nachhaltige Mobilität als Unternehmensziel<br />
fest im Konzern verankert. Wer die Fahrzeugflotten unserer Marken<br />
über Jahre hinweg verfolgt, erkennt die deutlichen und stetigen Verbrauchs-<br />
und Emissionsrückgänge, die mit jedem Modellwechsel verbunden<br />
sind.<br />
Aus gutem Grund ist <strong>Daimler</strong>Chrysler als Premiumhersteller zugleich auch<br />
stolz darauf, mit dem smart fortwo cdi das weltweit erfolgreichste Drei-<br />
Liter-Auto mit einem rekordverdächtig niedrigen CO 2 -Ausstoß anzubieten.<br />
Auf diesem Feld werden wir auch zukünftig durch innovative Lösungen<br />
Zeichen setzen, die unseren Kunden und der Umwelt direkt zugutekommen.<br />
Deshalb ist es wichtig, dass diese Lösungen den Wünschen unserer<br />
Kunden entsprechen und bezahlbar bleiben.<br />
Thomas Weber
4<br />
> Schwerpunkt<br />
Mit Licht und Nanowerkstoffen<br />
auf dem Weg zu Innovationen<br />
Titelseite<br />
Mit lösemittelfreien Lacken, die unter UV-Licht<br />
aushärten, lassen sich große Bauteile wie dieses<br />
Zylinderkurbelgehäuse oder auch Lkw-Achsen<br />
umweltfreundlich und kostengünstig lackieren.<br />
Seite 10<br />
Forscher und Entwickler von <strong>Daimler</strong>-<br />
Chrysler drehen an vielen Stellschrauben,<br />
um mithilfe innovativer Fahrzeugtechnik<br />
weitere Verbrauchssenkungen<br />
zu erzielen. Doch mit spritsparender<br />
und emissionsarmer Technik<br />
allein lässt sich die globale Aufgabe<br />
Klimaschutz nicht bewältigen.<br />
Seite 26<br />
Moderne Hightech-Laser schweißen<br />
Bauteile schnell und zuverlässig zusammen.<br />
Zudem lassen sich mit ihnen<br />
Leichtbaukonzepte verwirklichen, die<br />
mit herkömmlicher Schweißtechnik<br />
nicht möglich sind.<br />
Seite 46<br />
Damit Motoren und Getriebe zuverlässig<br />
funktionieren, legen Ingenieure<br />
Toleranzen für das Zusammenspiel der<br />
einzelnen Bauteile fest. Forscher und<br />
Entwickler von <strong>Daimler</strong>Chrysler untersuchen,<br />
wie sich diese Spielräume am<br />
besten gestalten lassen.
<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 > Inhalt 5<br />
Seite 16<br />
Vor allem Biokraftstoffe der zweiten<br />
Generation erweisen sich in einer<br />
Szenariobetrachtung von <strong>Daimler</strong>-<br />
Chrysler-Forschern als ein lukrativer<br />
Ansatz, um verkehrsbedingte CO 2 -<br />
Emissionen in Europa spürbar zu<br />
senken: Bis 2030 halten die Kraftstoffexperten<br />
eine Minderung um bis<br />
zu 17 Prozent durchaus für möglich.<br />
Seite 42<br />
Die Lackfolienbeschichtung gilt als<br />
Schlüsseltechnologie zur Herstellung<br />
von Leichtbauelementen. Neben der<br />
Gewichtsersparnis bieten die damit<br />
hergestellten Teile Designern und Konstrukteuren<br />
neue Möglichkeiten, um<br />
Antennen und Sensoren in die Außenhaut<br />
des Fahrzeugs zu integrieren.<br />
Seite 50<br />
Videoergonomie ermöglicht die Sichtfelduntersuchung<br />
neuer Fahrzeugmodelle,<br />
die noch nicht einmal als Prototypen<br />
oder Designstudien existieren.<br />
Seite 58<br />
Mit 118 Sensoren ist der Dummy<br />
Dr. Oscar dem Wohlbefinden im Fahrzeuginnenraum<br />
dicht auf der Spur.<br />
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Internet<br />
Unter www.daimlerchrysler.com/go/htr_g können Sie sich alle<br />
Texte und Fotos der vorliegenden Ausgabe herunterladen.<br />
Editorial<br />
Magazin<br />
Neues aus Forschung und Entwicklung<br />
Impressum<br />
Eine globale Aufgabe<br />
Klimaschutz und nachhaltige Mobilität benötigen mehr als<br />
innovative Fahrzeugtechnik<br />
Auf, zur zweiten Generation<br />
Das ökologische und ökonomische Potenzial regenerativer<br />
Kraftstoffe aus Biomasse unter der Lupe<br />
„Wir werden die Schlagzahl sogar noch erhöhen“<br />
Ein Gespräch mit Professor Herbert Kohler, Umweltbevollmächtigter<br />
von <strong>Daimler</strong>Chrysler<br />
Licht auf den Punkt gebracht<br />
Der Laser entwickelt sich mehr und mehr zum Universalwerkzeug<br />
der industriellen Produktion<br />
Trocken in Sekundenschnelle<br />
Umweltfreundlich lackieren und härten mit UV-Licht<br />
Leichter bauen mit Nanos<br />
Mit Nanopartikeln modifizierte Kunststoffe wiegen wenig<br />
und eignen sich gut für Karosseriebauteile<br />
Farben, Folien und Antennen<br />
Lackfolien ebnen den Weg zu mehr Leichtbauelementen<br />
Simulierte Toleranz<br />
Forscher untersuchen, wie sich technische Toleranzen für<br />
den Antriebsstrang optimal gestalten lassen<br />
Die Stunde des Würfels<br />
Virtuelle Sichtfelduntersuchungen in der CAVE<br />
So von Auto zu Auto<br />
Drahtlose Ad-hoc-Netze zwischen Fahrzeugen ermöglichen<br />
das Warnen vor lokalen Gefahren ohne Zeitverzug<br />
Gestatten, Dr. Oscar<br />
Ein Klimamessdummy macht Subjektives objektiv messbar
6<br />
> E 320 BLUETEC ist World Green Car 2007<br />
Auf dem Weg zu EURO 6<br />
Gegenüber 14 Konkurrenten hatte<br />
er in New York die Nase vorn: Automobiljournalisten<br />
aus 22 Ländern<br />
wählten auf der diesjährigen International<br />
Auto Show den „E 320<br />
BLUETEC“ zum „World Green Car<br />
2007“. Mit dieser Auszeichnung<br />
wird die Rolle von Mercedes-Benz<br />
als Schrittmacher einer neuartigen<br />
Dieseltechnologie gewürdigt, die<br />
den Selbstzünder so sauber macht<br />
wie einen Ottomotor.<br />
Modulare Abgasreinigung<br />
BLUETEC ist ein modulares System<br />
zur Abgasreinigung. Es kombiniert<br />
den bereits heute üblichen Oxidations-Katalysator,<br />
der den Ausstoß<br />
von Kohlenmonoxid (CO) und unverbrannten<br />
Kohlenwasserstoffen<br />
(HC) reduziert, mit dem wartungsfreien<br />
Mercedes-Partikelfilter.<br />
Zwei zusätzliche Kats kommen hinzu:<br />
Zum einen ein weiterentwickelter,<br />
besonders langlebiger NO x -<br />
Speicher-Katalysator, der in einem<br />
patentierten Verfahren Ammoniak<br />
erzeugt. Zum anderen ein SCR-Katalysator<br />
(Selective Catalytic Reduction),<br />
der den Ammoniak nutzt,<br />
um Stickoxide in ökologisch unbedenklichen<br />
Stickstoff umzuwan-<br />
NOx-Speicher-Katalysator<br />
und Partikelfilter<br />
SCR-Katalysator<br />
deln. Durch dieses ausgeklügelte<br />
System, das ohne zusätzliche Betriebsmittel<br />
auskommt, vermindert<br />
sich der Stickoxidausstoß sehr<br />
deutlich. NO x ist die einzige Abgas-<br />
Komponente, die bei Dieselmotoren<br />
prinzipbedingt noch über dem<br />
Wert von Benzinern liegt.<br />
Der mit einem 165 kW (224 PS)<br />
starken V6-Motor ausgestattete<br />
E 320 BLUETEC ist der weltweit<br />
erste Diesel-Pkw, der mit seinen<br />
NO x -Emissionen die strenge US-<br />
Abgasnorm BIN 8 erfüllt. Verkaufsstart<br />
in den USA war im Oktober<br />
2006 – pünktlich zur dortigen Einführung<br />
von schwefelarmem Dieselkraftstoff.<br />
Mit einem Verbrauch<br />
von 6,7 Litern pro 100 Kilometer<br />
gehört der E 320 BLUETEC zu den<br />
sparsamsten Fahrzeugen seiner<br />
Klasse in Nordamerika und kommt<br />
mit einer Tankfüllung bis zu 1200<br />
Kilometer weit.<br />
Nach dem Start in den USA wird<br />
<strong>Daimler</strong>Chrysler ab 2008 die umweltfreundliche<br />
Technologie auch<br />
Kunden in Europa anbieten. Derzeit<br />
passen die Ingenieure BLUE-<br />
TEC an die europäischen Märkte<br />
und an weitere Pkw-Modelle von<br />
Mercedes-Benz an.<br />
Verbrauchsoptimierte Motoren<br />
So zeigte das Unternehmen auf<br />
dem diesjährigen Genfer Auto-<br />
Salon erstmals die BLUETEC-Abgasreinigung<br />
in Kombination mit<br />
einem verbrauchsoptimierten Vierzylindermotor.<br />
Der „Vision C 220<br />
BLUETEC“ weist damit den Weg,<br />
wie die ab 2015 europaweit für alle<br />
Neufahrzeuge weiter verschärfte<br />
Abgasnorm EURO 6 erfüllt werden<br />
kann. Bei einer Leistung von 125<br />
kW (170 PS) benötigt das C-Klasse-<br />
Fahrzeug nur 5,5 Liter Diesel pro<br />
100 Kilometer.<br />
Der Mercedes-Benz Vision C 220<br />
BLUETEC (Transparentzeichnung und<br />
linkes Foto) vereint modernste Abgasreinigung<br />
mit einem verbrauchsoptimierten<br />
VIerzylindermotor.<br />
Bereits auf dem Markt ist der E 320<br />
BLUETEC, der seit Oktober über die<br />
Straßen der USA rollt (rechtes Foto).<br />
Fachjournalisten haben ihn zum<br />
„World Green Car 2007“ gewählt.<br />
> Premiumsegment<br />
Gemeinsames<br />
Hybridkonzept<br />
BMW und <strong>Daimler</strong>Chrysler erweitern<br />
ihre Zusammenarbeit für Hybridantriebe<br />
und werden gemeinsam<br />
ein innovatives Hybridmodul<br />
für heckgetriebene Pkw des Premiumsegments<br />
entwickeln.<br />
Das Hybridmodul, das technisch zu<br />
den Mild-Hybridantrieben zählt,<br />
soll in Deutschland an den jeweiligen<br />
Standorten der Motoren- und<br />
Antriebsentwicklung realisiert werden.<br />
Das Gemeinschaftsprojekt<br />
stellt eine enge Vernetzung der<br />
Entwicklerteams beider Hersteller<br />
sicher. So sind unter anderem synchronisierte<br />
Entwicklungsabläufe<br />
und gemeinsame Tests geplant.<br />
Beide Fahrzeughersteller profitieren<br />
von der Bündelung ihrer Entwicklungskapazitäten,<br />
der daraus<br />
möglichen schnelleren Marktreife<br />
und den Kostenvorteilen durch höhere<br />
Stückzahlen.<br />
Die jeweils markenspezifische Anpassung<br />
sichert die individuelle<br />
Ausprägung in den unterschiedlichen<br />
Fahrzeugen. <strong>Daimler</strong>Chrysler<br />
und BMW planen, das neue Hybridmodul<br />
innerhalb der nächsten drei<br />
Jahre zur Marktreife zu bringen.<br />
> Umweltzertifikat<br />
Perfektes<br />
Recycling<br />
Als weltweit erster Automobilhersteller<br />
erhielt <strong>Daimler</strong>Chrysler im<br />
März vom Kraftfahrtbundesamt<br />
(KBA) die Bescheinigung „Wiederverwendbarkeit,Recyclingfähigkeit<br />
und Verwertbarkeit“ über die
<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 > Magazin 7<br />
Vorprüfung für die Fahrzeug-<br />
Typgenehmigung. Spätestens ab<br />
Dezember 2008 sind – nach der<br />
Richtlinie 2005/64/EG des Europäischen<br />
Parlaments und des Rates<br />
– alle Fahrzeughersteller verpflichtet,<br />
bei der Typzertifizierung<br />
neuer Fahrzeuge den Nachweis<br />
über deren spätere Recyclingfähigkeit<br />
zu erbringen.<br />
Nach der EU-Altautorichtlinie müssen<br />
ab dem Jahr 2015 Altfahrzeuge<br />
zu 95 Prozent verwertet werden.<br />
Bereits jetzt hat <strong>Daimler</strong>Chrysler<br />
den Nachweis erbracht, dass die<br />
Fahrzeuge der Mercedes Car<br />
Group verwertbar konstruiert und<br />
die entsprechenden Verfahren und<br />
Prozesse im Entwicklungsprozess<br />
verbindlich integriert sind. Damit<br />
liegt eine ausführliche und vorschriftenkonforme<br />
Beschreibung<br />
der Entsorgungsstrategie für Altfahrzeuge<br />
vor.<br />
Die Recyclingvorprüfung ist nach<br />
der EU-Richtlinie Teil des Typgenehmigungsverfahrens<br />
für komplette<br />
Fahrzeuge. Von besonderem<br />
Interesse ist dabei die Einhaltung<br />
des Schwermetallverbots.<br />
Im Rahmen der Vorprüfung verlangt<br />
das Kraftfahrtbundesamt von<br />
jedem Automobilhersteller eine<br />
nachvollziehbare Strategie, die die<br />
Demontage und Wiederverwendung<br />
von Bauteilen sowie das Recycling<br />
und die Verwertung von<br />
Werkstoffen gewährleistet.<br />
> Simulation<br />
Karosserien<br />
virtuell lackiert<br />
Um Lackierprozesse zu optimieren,<br />
haben Forscher von <strong>Daimler</strong>-<br />
Chrysler spezielle Berechnungsverfahren<br />
entwickelt. Durch diese<br />
Simulation können sie bereits vor<br />
Produktionsanlauf Aussagen treffen,<br />
wie eine Fahrzeugkarosserie<br />
effizient lackiert oder ein bestehendes<br />
Verfahren verbessert werden<br />
kann.<br />
Dynamik der Lacktröpfchen<br />
Beim virtuellen Lackieren verfolgen<br />
die Forscher rechnerisch Tausende<br />
von Lackpartikeln bis zum<br />
Auftreffen auf das Bauteil. Die Experten<br />
berechnen die Dynamik der<br />
Lacktröpfchen unter dem Einfluss<br />
der Luftströmung und des angelegten<br />
elektrischen Felds.<br />
Dadurch ist es möglich, die Dicke<br />
der Lackschicht vorherzusagen.<br />
Zusätzlich ergeben sich Hinweise,<br />
wie der Lack am besten aufgesprüht<br />
werden soll.<br />
Auch die mathematische Beschreibung<br />
des fertigen Lackfilms spielt<br />
eine wichtige Rolle. Dabei stehen<br />
die Zusammensetzung des Lacks,<br />
seine Vernetzung und die Art des<br />
Zerfließens in enger Wechselbeziehung.<br />
Hierzu berechnen die Forscher<br />
den Stoff- und Wärmetransport<br />
sowie Reaktionsverläufe.<br />
Rohkarosserien werden für die erste<br />
Lackschicht nicht gespritzt, sondern<br />
in ein Lackbad getaucht. Bei<br />
dieser „kathodischen Tauchlackierung“<br />
treten spezielle Effekte auf,<br />
wie etwa Luftblasen beim Eintauchen<br />
oder verschleppte Flüssigkeit<br />
beim Austauchen der Karosserie.<br />
Die Modellrechnungen erlauben<br />
nun Vorhersagen über Ort und Größe<br />
der Luftblasen sowie die Menge<br />
des verschleppten Lacks.<br />
Dank solcher Simulationen können<br />
Entwickler und Produktionsplaner<br />
bereits früh prüfen, wie gut sich<br />
eine neu entworfene Fahrzeugkarosserie<br />
lackieren lässt.<br />
> Wasserstoff<br />
Brennstoffzellen für<br />
die Feuerwehr<br />
Auch Rettungsdienste sind jetzt<br />
emissionsfrei unterwegs. In Sacramento<br />
(Kalifornien) hat <strong>Daimler</strong>-<br />
Chrysler das weltweit erste Feuerwehrauto<br />
mit Brennstoffzellenantrieb<br />
an die dortige Feuerwehr<br />
übergeben.<br />
Die rot lackierte, mit Warnlichtern<br />
und einer Sirene ausgestattete A-<br />
Klasse F-Cell wird als Kontrollfahrzeug<br />
eingesetzt. Im täglichen Einsatz<br />
liefert der alternative Pkw<br />
wertvolle Daten für die Weiterentwicklung<br />
von Brennstoffzellenfahrzeugen,<br />
die als „Abgas“ nur reinen<br />
Wasserdampf ausstoßen.<br />
Das F-Cell-Feuerwehrauto tankt<br />
an der Wasserstofftankstelle der<br />
California Fuel Cell Partnership in<br />
Sacramento. <strong>Daimler</strong>Chrysler hat<br />
bisher rund eine Milliarde Euro in<br />
die Forschung und Entwicklung<br />
von Brennstoffzellenfahrzeugen investiert<br />
und derzeit weltweit mehr<br />
als 100 solcher Pkw und Busse im<br />
täglichen Einsatz.<br />
Wenn beim „Tauchlackieren“ die Rohbaukarosserie<br />
in das Lackbad sinkt,<br />
steigen Lufblasen auf. Simulationsrechnungen<br />
erlauben Voraussagen<br />
über Ort und Größe der Blasen. Dadurch<br />
lässt sich das Verfahren optimieren.<br />
Die Rechenmodelle eignen<br />
sich auch für das Spritzlackieren, bei<br />
dem sich zum Beispiel die Dicke der<br />
Lackschicht vorhersagen lässt.<br />
> Umweltschutz<br />
Solarstrom vom<br />
Getriebewerk<br />
Die größte Photovoltaik-Anlage innerhalb<br />
des <strong>Daimler</strong>Chrysler-Konzerns<br />
hat Anfang April dieses Jahres<br />
im Getriebewerk Rastatt ihren<br />
Betrieb aufgenommen. Auf einer<br />
Dachfläche von der Größe dreier<br />
Fußballfelder erzeugen seither<br />
2380 Solarmodule mit einer Gesamtfläche<br />
von 3950 Quadratmetern<br />
und einer Spitzenleistung von<br />
511 Kilowatt (kWp) umweltfreundlichen<br />
Strom aus Sonnenenergie.<br />
CO 2 -Emissionen verringert<br />
Die Anlage wird pro Jahr durchschnittlich<br />
rund 490000 Kilowattstunden<br />
(kWh) Solarstrom produzieren<br />
– dies entspricht dem jährlichen<br />
Bedarf von 125 Vierpersonenhaushalten.<br />
Durch den Einsatz der Solarzellen<br />
lässt sich die Entstehung von jährlich<br />
rund 453 Tonnen Kohlendioxid<br />
aus der konventionellen Stromerzeugung<br />
verhindern.<br />
Das in der sonnenreichen Rheinebene<br />
gelegene Werk Rastatt bietet<br />
ideale Voraussetzungen, um die<br />
Sonne anzuzapfen: optimale Ausrichtung<br />
der Dächer, keine Schatten<br />
durch andere Aufbauten, eine<br />
tragfähige Statik der Gebäude sowie<br />
die Anbindung an eine elektrische<br />
Infrastruktur.
8<br />
> Sprachbedienung<br />
Sichere Zieleingabe<br />
für die Navigation<br />
Forscher von <strong>Daimler</strong>Chrysler arbeiten<br />
an einer schnellen und einfachen<br />
Spracheingabe für Navigationsziele.<br />
„Information Refinement“<br />
heißt die neue Methode, die<br />
sich an der menschlichen Kommunikation<br />
orientiert.<br />
Um ein Fahrziel klar zu definieren,<br />
sind oft Zusatzinformationen erforderlich.<br />
Welche am sinnvollsten<br />
sind, haben die Wissenschaftler<br />
untersucht, indem sie das durchschnittliche<br />
Fahrerwissen überprüften.<br />
Es zeigte sich, dass Benutzer<br />
in der Regel die nächste größere<br />
Stadt, das Bundesland, die Region<br />
oder den Fluss kennen.<br />
Nach Berlin oder Bellin?<br />
Bei der Zieleingabe grenzt das intelligente<br />
System die in Frage kommenden<br />
Navigationsziele schrittweise<br />
ein. Gibt der Fahrer etwa<br />
„Frankfurt, Hauptstraße“ an, fragt<br />
ihn die Spracherkennung nach einem<br />
Fluss in der Nähe. Bei der Antwort<br />
„Oder“ muss er nur noch sein<br />
Fahrziel „Frankfurt/Oder, Hauptstraße“<br />
bestätigen.<br />
Deutschland hat mehr als 74000<br />
Orte und 970000 Straßen. Insgesamt<br />
gibt es jedoch nur 58000<br />
Orts- und 338000 Straßennamen.<br />
Allein „Neustadt“ ist 29-mal vertreten;<br />
eine „Hauptstraße“ findet sich<br />
noch wesentlich häufiger. Schließlich<br />
muss die Spracherkennung<br />
auch ähnlich klingende Wörter wie<br />
„Berlin“ und „Bellin“ unterscheiden<br />
können.<br />
Bei Tests im Fahrsimulator wurde<br />
gemessen, wie genau Versuchs-<br />
personen während der Spracheingabe<br />
die Spur hielten. Einen Wert<br />
für die Ablenkung des Fahrers liefert<br />
dabei die durchschnittliche Abweichung<br />
von der Mittellinie. Das<br />
Ergebnis war eine deutlich geringere<br />
Ablenkung und damit ein Plus an<br />
Sicherheit im Vergleich zu bisherigen<br />
Spracheingabesystemen.<br />
> Beleuchtungsplanung<br />
Optische Prüfung<br />
für mehr Qualität<br />
Für die optische Qualitätskontrolle<br />
von Motoren oder Bauteilen kommen<br />
zunehmend elektronische Kameras<br />
und Computer zum Einsatz.<br />
Oft liefern diese Systeme zuverlässigere<br />
Ergebnisse als das manuelle<br />
Prüfen durch den Menschen – vorausgesetzt,<br />
der Rechner kennt die<br />
exakten Positionen der Kamera<br />
und der Beleuchtung.<br />
Für diese Schlüsselfaktoren haben<br />
Forscher von <strong>Daimler</strong>Chrysler nun<br />
ein mathematisches Planungswerkzeug<br />
entwickelt, das den<br />
Rechner in die Lage versetzt, dreidimensionale<br />
Objekte zu erkennen<br />
und zuverlässig zu analysieren.<br />
Dreidimensionale Objekte<br />
Das neue optische Prüfverfahren<br />
kann zu noch höherer Qualität in<br />
der Produktion beitragen. Bisher<br />
erfordert das richtige Arrangement<br />
aus Lichtquellen und Kameras viel<br />
Für die Spracheingabe von Navigationszielen<br />
haben <strong>Daimler</strong>Chrysler-<br />
Forscher eine neue Methode entwickelt,<br />
die sich an der menschlichen<br />
Kommunikation orientiert und die<br />
Ablenkung des Fahrers verringert.<br />
Fingerspitzengefühl, zumal auch<br />
Objektive, Belichtungszeit und<br />
Blendeneinstellung eine Rolle spielen.<br />
Die letzten Optimierungsschritte<br />
für die optische Qualitätskontrolle<br />
können meist erst erfolgen,<br />
nachdem eine Produktionszelle<br />
vollständig aufgebaut ist.<br />
Mit ihrem neuen Prüfverfahren berücksichtigen<br />
die Forscher nun alle<br />
Parameter bereits während der<br />
Planungsphase einer Produktionszelle.<br />
Dabei wird auf Basis des<br />
Prüfplans und der Geometrie der<br />
Bauteile zunächst die Berechnungsgrundlage<br />
ermittelt, bevor<br />
das System die ungefähre Kameraanordnung<br />
und Raumaufteilung<br />
rund um das Prüfobjekt abschätzt.<br />
Die optimierten Positionen für die<br />
Kameras und die Beleuchtung stehen<br />
in der darauf folgenden Phase<br />
fest. Im letzten Schritt sucht der<br />
Rechner dann für jede Kamera die<br />
entsprechenden Einstellungen für<br />
Fokus, Belichtung und Blende.<br />
Reflektierende Metalle<br />
Für die Berechnung spielt es übrigens<br />
keine Rolle, ob Kameras und<br />
Lichtquellen fixiert sind oder ob sie<br />
ein Roboter neu positioniert. Dadurch<br />
wiederum wird die Prüfstation<br />
sehr flexibel und kann unterschiedlichste<br />
Tests bewältigen.<br />
Neben der Geometrie eines Bauteils<br />
müssen die Forscher auch das<br />
verwendete Material berücksichtigen.<br />
Metallteile zum Beispiel haben<br />
oft stark spiegelnde Oberflächen,<br />
die das Licht in unterschiedlicher<br />
Weise reflektieren.<br />
Für die Kamera spielt das Reflexionsverhalten<br />
eine wichtige Rolle,<br />
weil ihre Einstellungen direkt von<br />
der empfangenen Lichtenergie pro<br />
Pixel abhängen.<br />
> Plug-in-Hybridantriebe<br />
Batterien werden<br />
zum Erfolgsfaktor<br />
Mehr als 20 Transporter des Typs<br />
Dodge Sprinter PHEV (Plug-in Hybrid<br />
Electric Vehicle) werden bis<br />
Frühjahr 2008 an einem Flottentest<br />
in den USA teilnehmen. Die<br />
Fahrzeuge besitzen neben einem<br />
Diesel- oder Ottomotor auch einen<br />
Elektroantrieb, den der Fahrer<br />
wahlweise zuschalten kann. Im reinen<br />
Elektrobetrieb beträgt die<br />
Reichweite bis zu 32 Kilometer.<br />
Die Plug-in-Technologie eignet sich<br />
gut für den kommerziellen Lieferverkehr,<br />
bei dem das Fahrzeug<br />
nach jeder Schicht an seinen Stützpunkt<br />
zurückkehrt, um an einer<br />
Steckdose die Batterie für den<br />
Elektromotor nachzuladen.<br />
Ein Erfolgsfaktor für Hybridantriebe<br />
ist die weitere Entwicklung von<br />
Lithiumionen-Batterien. Diese wiegen<br />
nur halb so viel und besitzen<br />
eine größere Speicherkapazität als<br />
Nickel-Metallhydrid-Batterien.<br />
Einige der Dodge Sprinter PHEV<br />
haben Lithiumionen-Batterien. Im<br />
Rahmen des unter Alltagsbedingungen<br />
stattfindenden Tests liefern<br />
sie Daten über Lebenszeit,<br />
Leistung und Kosten der Batterien.<br />
> CO 2 -Emissionen<br />
Kleiner smart<br />
ganz groß<br />
Der neue smart fortwo cdi erfüllt<br />
nicht nur alle europäischen Abgasnormen,<br />
sondern schafft mit 3,3<br />
Litern pro 100 Kilometer auch den<br />
niedrigsten Verbrauch seiner Klasse.<br />
Mit einer CO 2 -Emission von nur
<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 > Magazin<br />
> Impressum<br />
E-Mail:<br />
hightechreport@daimlerchrysler.com<br />
Herausgeber<br />
<strong>Daimler</strong>Chrysler AG<br />
Communications<br />
D-70546 Stuttgart (Germany)<br />
Auburn Hills, MI 48326-2766 (USA)<br />
Verantwortlich für den<br />
Herausgeber<br />
Mirjam Bendak<br />
Objektleitung<br />
Thomas Weisshaar<br />
Redaktion<br />
KLARTEXT, Stuttgart<br />
Roland Bischoff,<br />
Rolf Andreas Zell<br />
Art Direction und Layout<br />
teamkom, Stuttgart<br />
Horst Schüler<br />
Illustrationen<br />
PIXELART, Keltern<br />
Rudolf Kostolnik<br />
Fotos<br />
<strong>Daimler</strong>Chrysler AG<br />
Kurt Henseler, Tübingen<br />
Frank Schultze, Dortmund<br />
Reprografie<br />
Pallino, Ostfildern<br />
Druck<br />
J. Fink Druckerei, Ostfildern<br />
Marketing<br />
Maja Brechlin<br />
Tel.: 0711 / 17 – 5 92 98<br />
Anzeigen<br />
Helmut Heckmann<br />
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E-Mail:<br />
heckmann.stuttgart@t-online.de<br />
Redaktionsschluss dieser Ausgabe<br />
war der 24. April 2007.<br />
Gedruckt auf Papier aus chlorfrei<br />
gebleichtem Zellstoff unter<br />
Verwendung von 33 Prozent<br />
Altpapier, ohne optische Aufheller.<br />
Nachdruck, auch auszugsweise,<br />
nur mit schriftlicher Genehmigung<br />
des Herausgebers sowie dem<br />
Bild- und Texthinweis<br />
„<strong>Daimler</strong>Chrysler AG“.<br />
> Leserservice/Vertrieb<br />
Zenit Pressevertrieb GmbH<br />
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In einem speziellen Simulator erkunden<br />
Wissenschaftler, wie gut sich<br />
unterschiedliche Schalter und Hebel<br />
im Auto bedienen lassen. Die Forscher<br />
registrieren zum Beispiel, wie stark<br />
Testpersonen abgelenkt werden und<br />
dabei von der Fahrspur abweichen.<br />
Eine anschließende Befragung der<br />
Probanden nach ihren subjektiven<br />
Eindrücken rundet die Tests ab.<br />
88 Gramm pro Kilometer erreicht<br />
der smart fortwo cdi den Drei-Liter-<br />
Status und hat so die geringsten<br />
CO 2 -Emissionen aller Autos, die<br />
heute auf dem Markt sind.<br />
Damit gehört der kleine Diesel zu<br />
den Großen in Sachen Umweltschutz.<br />
Für die Kunden heißt das:<br />
Günstiger und klimafreundlicher<br />
als mit dem smart fortwo cdi kann<br />
man derzeit nicht Auto fahren.<br />
Bald mit Startergenerator<br />
Auch die beiden Ottomotoren des<br />
neuen smart fortwo überzeugen<br />
mit einem geringen Verbrauch. Sie<br />
kommen sowohl in der Saug- als<br />
auch in der Turboversion mit weniger<br />
als fünf Liter Superbenzin aus.<br />
Die genauen Werte für den kombinierten<br />
NEFZ (Neuer Europäischer<br />
Fahrzyklus) lauten: 4,7 und 4,9<br />
Liter pro 100 Kilometer. Die CO 2 -<br />
Emissionen liegen entsprechend<br />
bei nur 112 beziehungsweise 116<br />
Gramm pro Kilometer.<br />
Ein weiteres Einsparpotenzial von<br />
bis zu 13 Prozent im Stadtverkehr<br />
verspricht der smart fortwo mit<br />
Startergenerator, der ab Ende<br />
2007 erhältlich sein wird. Besonders<br />
bei häufigem Stop-and-go bietet<br />
ein Startergenerator Vorteile:<br />
Steht der Wagen zum Beispiel an<br />
einer Ampel schaltet sich automatisch<br />
der Motor ab. Sobald der Fahrer<br />
das Gaspedal betätigt, startet<br />
der Dreizylinder von alleine.<br />
> Mensch-Maschine-Interface<br />
Gut bedient<br />
im Simulator<br />
Wie gut lassen sich Bedienelemente<br />
im Auto handhaben? Kann der<br />
Fahrer die Funktion unterschiedlicher<br />
Hebel und Schalter sofort erfassen<br />
und diese sicher bedienen?<br />
Solchen Fragen gehen Forscher<br />
von <strong>Daimler</strong>Chrysler nach.<br />
Mit einem speziellen Simulator ermitteln<br />
sie, ob Bediensysteme einfach<br />
und intuitiv zu benutzen sind.<br />
Das fördert zum einen die Sicherheit;<br />
zum anderen können die Forscher<br />
den Fahrzeugentwicklern<br />
frühzeitig Empfehlungen für die<br />
Gestaltung des Innenraums geben.<br />
Für ihre Untersuchungen haben die<br />
Forscher einen Mensch-Maschine-<br />
Simulator entwickelt, in dem 20 bis<br />
30 ausgewählte Testpersonen bestimmte<br />
Aufgaben bewältigen<br />
müssen. So sollen sie während einer<br />
normalen Autofahrt ohne kritische<br />
Situationen ein bestimmtes<br />
Gerät bedienen. Wie sehr der jeweilige<br />
Proband dadurch in Anspruch<br />
genommen wird, ergibt eine<br />
Auswertung anhand objektiver<br />
und subjektiver Kriterien.<br />
Informatives Gesamtbild<br />
Als objektive Messgrößen zählen<br />
dabei die Abweichung von der optimalen<br />
Fahrspur sowie die Daten<br />
aus der Blickerfassung. Diese zeigen,<br />
wie häufig der Fahrer seinen<br />
Blick auf das Bediensystem hinund<br />
damit von der Straße abwendet.<br />
Falls erforderlich, wird zusätzlich<br />
die Bewegung der Hände bei<br />
der Eingabe beobachtet. Auf Basis<br />
dieser Messwerte sind die Ingenieure<br />
in der Lage, den Ablen-<br />
9<br />
kungsgrad des Fahrers vom Verkehrsgeschehen<br />
zu berechnen.<br />
Gleichzeitig fließen in die Auswertung<br />
subjektive Angaben der Testpersonen<br />
ein, die mithilfe eines<br />
Fragenkatalogs ermittelt werden.<br />
Die Kombination objektiver und<br />
subjektiver Daten ergibt schließlich<br />
ein informatives Gesamtbild.<br />
> MTC-Erweiterung<br />
Fahrsimulator und<br />
Klimakanäle<br />
Das Mercedes-Benz Technology<br />
Center (MTC) in Sindelfingen bekommt<br />
Zuwachs: Der Vorstand der<br />
Mercedes Car Group beschloss<br />
den Bau zweier Großprüfstände,<br />
die einen Fahrsimulator und Klimakanäle<br />
beherbergen. In dieses Bauvorhaben<br />
wird <strong>Daimler</strong>Chrysler in<br />
den nächsten fünf Jahren rund 100<br />
Millionen Euro investieren.<br />
In den geplanten Klimakanälen lassen<br />
sich Fahrzeuge rund um die<br />
Uhr unter verschiedensten Bedingungen<br />
wie extreme Hitze, Kälte,<br />
Regen- und Schneefälle intensiv<br />
testen.<br />
Mit dem Fahrsimulator der modernsten<br />
Generation will das Unternehmen<br />
die fahrzeugbezogene<br />
Forschung noch effizienter in den<br />
Entwicklungsprozess einbinden.<br />
So soll die Bewegungsdynamik<br />
auch unter den heute gestiegenen<br />
Anforderungen simuliert werden.
10<br />
Fahrzeugtechnik für nachhaltige Mobilität<br />
Eine globale Aufgabe<br />
Die Daten, Entwicklungsverläufe und Prognosen, die die internationale<br />
Expertenrunde des Weltklimarats IPCC in diesem Jahr<br />
vorgestellt hat (siehe Text „Klimawandel – Was weiß die Wissenschaft?“,<br />
S. 12), lassen zunehmend weniger Raum für Zweifel,<br />
dass sich das Klima der Erde wandelt und dass menschliche Einflüsse dabei<br />
eine große Rolle spielen. Die stetig steigende Nutzung fossiler Energien<br />
seit Beginn der Industriellen Revolution wird von der Mehrzahl der<br />
Klimawissenschaftler als eine wesentliche Ursache der klimatischen Veränderungen<br />
angesehen, wenn auch nicht als deren einzige.<br />
So genannte „Treibhausgase“ wie Kohlendioxid (CO 2 ), aber auch Methan<br />
und andere Gase bewirken einen „Wärmestau“ in der Atmosphäre.<br />
Kohlendioxid gilt als das bedeutsamste Treibhausgas. Es entsteht, wenn<br />
fossile Energie wie Kohle, Erdgas und Erdöl verbrannt werden. Deshalb<br />
müssen alle Aktivitäten, die mit der Nutzung dieser Energien zusammenhängen,<br />
auf den Prüfstand. Die zwei wichtigsten Aufgaben lauten hierbei:<br />
Energie einzusparen und effizienter zu nutzen sowie fossile Energieträger<br />
durch regenerativ – also CO 2 -neutral – erzeugte Energie mittels Biomasse,<br />
Geothermie sowie Wind-, Wasser- und Sonnenkraft zu ersetzen. Wenn<br />
es gelingt, dafür funktionierende Lösungen zu finden und in die Praxis umzusetzen,<br />
ist es nach Ansicht der Klimaexperten möglich, die zu erwartenden<br />
Folgen des Klimawandels zu begrenzen.<br />
Die Begrenzung des CO 2 -Ausstoßes ist eine Aufgabe von globaler Dimension,<br />
was die Suche nach probaten Lösungen so schwierig macht.<br />
Die Herausforderung ist auch deshalb so groß, weil Klimaschutz nur gelingen<br />
kann, wenn sich alle Bewohner dieser Erde daran beteiligen. Doch<br />
hier stehen Interessen zwischen verschieden weit entwickelten Weltregionen<br />
und zwischen diversen Wirtschaftssektoren im Widerstreit.<br />
> Leitbild: Nachhaltige Mobilität<br />
Nachhaltige Mobilität gehört für <strong>Daimler</strong>Chrysler seit Jahren zum Unternehmensleitbild.<br />
Deshalb arbeitet das Unternehmen mit hohem Engagement<br />
an emissionsarmen und immer sparsameren Fahrzeugmodellen.<br />
Dabei geht es um die Minderung sowohl der CO 2 - als auch aller anderen<br />
Emissionen, die man im Blick haben muss, um auf diesem Weg weiter voranzukommen.<br />
Die Bilanz dieser kontinuierlichen Anstrengungen ist bemerkenswert:<br />
Um rund 20 Prozent sank der CO 2 -Ausstoß der Mercedes-<br />
Fahrzeuge seit 1995 – dieser Rückgang liegt deutlich über der Minderungsrate<br />
von 14 Prozent, den die Europäischen Automobilhersteller im<br />
Durchschnitt erzielen konnten. Es handelt sich zudem um einen Wert, der<br />
von keinem anderen Automobilhersteller übertroffen werden konnte.<br />
Eine Reihe technischer Innovationen war notwendig, um diese Verbrauchsminderung<br />
der Mercedes-Benz-Fahrzeugflotte zu ermöglichen<br />
(siehe Text: „Die CO 2 -Stellschrauben am Fahrzeug“, S. 14). Ein eindrück–<br />
liches Beispiel hierfür liefert die BLUETEC-Technologie bei Dieselantrieben.<br />
Sie trägt nicht nur dazu bei, CO 2 -Emissionen, sondern auch die Emis-<br />
Verkehrsflussmanagement <br />
Fahrzeugtechnik<br />
A8 B12<br />
!<br />
138,9<br />
135,9<br />
133,9<br />
118,9<br />
Reifen mit<br />
weniger<br />
Rollwiderstand<br />
Fahrverhalten<br />
Straßenbau/<br />
Verkehrsinfrastruktur<br />
Kraftstofferzeugung/<br />
Kraftstoffqualitäten<br />
sionen anderer Schadgase wie Stickoxide zu verringern, sodass Pkw und<br />
Lkw mit BLUETEC-Technologie zu den effizientesten und saubersten<br />
Dieselfahrzeugen ihrer jeweiligen Klassen zählen.<br />
Ein weiteres Beispiel ist die neue C-Klasse. Bei dieser Modellentwicklung<br />
hatten die Ingenieure nicht nur die Verbrauchs- und Emissionswerte<br />
im Blick, sondern die komplette Prozesskette von der Produktentstehung<br />
über die eigentliche Nutzung des Fahrzeugs bis zu dessen Recycling am<br />
Ende des Autolebens. Das konsequente Umsetzen dieses Ansatzes<br />
brachte der C-Klasse als erstem Automobil in seiner Klasse das Umwelt-<br />
Zertifikat des Technischen Überwachungsvereins (TÜV) ein. Dessen Experten<br />
attestieren damit, dass der Entwicklungsprozess für dieses Modell<br />
der strengen ISO-Norm 14062 entspricht. Diese Norm knüpft an die Vergabe<br />
des Zertifikats einen ganzen Strauß von ökologischen Kriterien, die<br />
die Produktkonzeption, die Herstellprozesse, Materialauswahl, Verbrauchsaspekte<br />
bei der Produktnutzung und die Wiederverwertbarkeit<br />
nach Gebrauch umfassen. Für die neue C-Klasse heißt das konkret:<br />
Verbrauchseinsparungen beim Antrieb von bis zu 17 Prozent;<br />
NO x - und Kohlenwasserstoff-Emissionen unterschreiten den EU-4-<br />
Grenzwert um 90 beziehungsweise 86 Prozent;<br />
der Gesamtprimärenergiebedarf über den Lebenszyklus gerechnet<br />
verringert sich – bei einer Laufleistung von 200 000 Kilometer – um 14<br />
Prozent. Umgerechnet in Benzin entspricht dies der Einsparung von 3800<br />
Litern. Der CO 2 -Ausstoß sinkt um neun Tonnen pro Fahrzeug;<br />
für das Fahrzeug kommen bevorzugt Ressourcen schonende Werk–<br />
stoffe zum Einsatz, die sich mit geringem Energiebedarf herstellen und<br />
besonders gut wiederverwerten lassen. Die Recyclingquote liegt bei 95<br />
Prozent. Es enthält seinerseits 32 Bauteile aus Recyclatkunststoffen mit<br />
einem Gesamtgewicht von 40 Kilogramm – eine Steigerung um 34 Prozent<br />
gegenüber dem Vorgängermodell.
<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 > Verbrauchsminderung 11<br />
Um das maximale Einsparpotenzial zu<br />
erschließen, müssen alle Beteiligten<br />
ihren Beitrag leisten, damit der<br />
verkehrsbedingte CO 2 -Ausstoß sinkt<br />
(Grafik, links). Gefragt sind hier<br />
neben den Automobil- und Zulieferunternehmen<br />
auch die Mineralölindustrie,<br />
die öffentliche Hand und<br />
nicht zuletzt die Autofahrer selbst.<br />
Doch wie viel CO 2 ein Fahrzeug<br />
emittiert, bestimmt nicht allein<br />
dessen Technik. Deshalb ist es zu<br />
kurz gegriffen, den Klimaschutz zur<br />
alleinigen Aufgabe der Automobilhersteller<br />
machen zu wollen. Was<br />
diese „im Alleingang“ zu leisten<br />
vermögen, ist nur ein Bruchteil<br />
dessen, was an CO 2 -Minderungspotenzial<br />
tatsächlich erschließbar<br />
ist. Ein Aspekt betrifft die Geschwindigkeit,<br />
mit der neue, emissionsmindernde<br />
Technologien tatsächlich<br />
Wirkung zeigen. Innerhalb<br />
der EU sind derzeit rund 140 Millionen<br />
Fahrzeuge zugelassen. Der<br />
Neuwagenanteil pro Jahr beträgt<br />
14 Millionen Fahrzeuge. Es dauert<br />
also rund zehn Jahre, bis eine Technologie,<br />
die sich nicht bei Altfahrzeugen<br />
nachrüsten lässt, ihren<br />
Nutzen voll entfalten kann.<br />
> Konzertierte Aktion gefragt<br />
Wichtig ist es daher auch, CO 2 -<br />
Minderungspotenziale zu erschließen,<br />
die sich sofort im gesamten<br />
Fahrzeugbestand realisieren lassen.<br />
Ein Beispiel hierfür liefern Rei-<br />
BLUETEC (rechts) steht heute für die<br />
saubersten und effizientesten Dieselantriebe<br />
bei Pkw und Lkw. Mit dem<br />
Ziel, die Brennstoffzellentechnologie<br />
(links) bis zur Serienreife zu entwickeln,<br />
verfolgt <strong>Daimler</strong>Chrysler die<br />
Vision vom emissionsfreien Fahren.<br />
Bivalente Antriebe – hier die Anzeige<br />
im Mercedes E 200 NGT – lassen sich<br />
mit Benzin und komprimiertem Erdgas<br />
betreiben. Die CO 2 -Ersparnis im<br />
Erdgasbetrieb beträgt 20 Prozent.<br />
fen mit optimierten Gummimischungen, mit denen es möglich ist, den<br />
Rollwiderstand um zirka fünf Prozent zu verringern.<br />
Deutlich größere Einsparpotenziale bieten Biokraftstoffe, insbesondere<br />
neuartige, synthetische Kraftstoffe aus Biomasse (BTL-Kraftstoff). Gerade<br />
biogene Kraftstoffe der zweiten Generation (siehe Beitrag ab Seite<br />
16: „Auf, zur zweiten Generation“), so fanden <strong>Daimler</strong>Chrysler-Forscher<br />
heraus, bieten Einsparmöglichkeiten, die in Deutschland sogar mehr als<br />
20 Prozent ausmachen könnten. Hier sind also Kraftstoffproduzenten gefragt,<br />
die entsprechenden Produktionstechnologien zu entwickeln und<br />
Kapazitäten aufzubauen. <strong>Daimler</strong>Chrysler unterstützt zusammen mit<br />
Volkswagen das Unternehmen Choren Industries, das derzeit zusammen<br />
mit Shell die erste großtechnische BTL-Produktionsanlage in Deutschland<br />
errichtet. Eine weitere Initiative ist die „Alliance for Synthetic Fuels in<br />
Europe“ (ASFE), zu der sich <strong>Daimler</strong>Chrysler mit anderen Automobilherstellern<br />
und Mineralölgesellschaften zusammengeschlossen hat.<br />
Der Anteil regenerativ gewonnener Kraftstoffe, so haben es die Regierungschefs<br />
der EU-Länder im März dieses Jahres noch einmal bekräftigt,<br />
soll innerhalb der nächsten 13 Jahre auf etwa zehn Prozent des Gesamtkraftstoffbedarfs<br />
wachsen. Durch entsprechende Förderungen und steuerpolitische<br />
Maßnahmen ist daher auch die öffentliche Hand aufgerufen,<br />
das emissionsmindernde Potenzial biogener Kraftstoffe zu erschließen.<br />
Dies ist jedoch nicht ihre einzige Eingriffsmöglichkeit: Schon seit vielen<br />
Jahren hält der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur nicht mehr Schritt<br />
mit dem wachsenden Verkehrsaufkommen. Die Folgen des immer dichter<br />
werdenden Verkehrs mit sich häufenden Staus kennt jeder Autofahrer zur<br />
Genüge. Einen der Auswege daraus weisen Leitsysteme für ein optimiertes<br />
Verkehrsflussmanagement. Sie verteilen die Fahrzeugströme so intelligent,<br />
dass es zu möglichst wenigen Streckenüberlastungen kommt.<br />
Auch Forscher und Entwickler von <strong>Daimler</strong>Chrysler arbeiten an entsprechenden<br />
Strategien (siehe Beitrag ab Seite 54 „So von Auto zu Auto“).<br />
Wenn es ums Spritsparen und damit um CO 2 -Vermeidung geht, sollte<br />
man den Autofahrer selbst nicht vergessen. Er beeinflusst durch sein<br />
Fahrverhalten entscheidend, wie hoch die Menge an ausgestoßenem<br />
CO 2 bei einer Fahrt tatsächlich ist: Bis zu 20 Prozent Kraftstoff, so zeigen<br />
Untersuchungen, hilft eine umsichtige Fahrweise Kraftstoff einzusparen.<br />
Daher bietet <strong>Daimler</strong>Chrysler seinen Pkw- und Lkw-Kunden schon seit<br />
vielen Jahren so genannte ECO-Fahrertrainings an. Besonders stark nachgefragt<br />
sind derartige Kurse im Nutzfahrzeugbereich, wo die Betreiber<br />
und Fahrer der Lkw die Kraftstoffkosten seit jeher fest im Blick haben. So<br />
haben allein im letzten Jahr im Lkw-Kundencenter in Wörth insgesamt<br />
2416 Trucker an solchen Kursen teilgenommen. In 50 Ländern betreibt<br />
<strong>Daimler</strong>Chrysler zudem so genannte, „Train-the-Trainer-Programme“. Geschulte<br />
Instruktoren unterstützen dabei angehende ECO-Fahrtrainer vor<br />
Ort, entsprechende Schulungen aufzubauen.>
12<br />
> Klimawandel -<br />
Was weiß die<br />
Wissenschaft?<br />
> Vorsicht<br />
Statistik<br />
Als „Weltklimarat“ wird das<br />
UNO-Gremium mit dem sperrigen<br />
Namen „Zwischenstaatlicher<br />
Ausschuss für Klimaveränderungen“<br />
oder englisch „Intergovernmental<br />
Panel on Climate Change“<br />
(IPCC) zwar nicht ganz korrekt,<br />
aber griffig bezeichnet. Seine Aufgabe<br />
ist es, den Klimawandel sowie<br />
dessen Folgen und Risiken zu analysieren<br />
und Vorschläge zu unterbreiten,<br />
wie sich negative Entwicklungen<br />
vermeiden, zumindest aber<br />
abschwächen lassen. Allerdings<br />
betreibt das IPCC keine eigene Forschung.<br />
Vielmehr bewerten dessen<br />
Experten die Sachlage auf der<br />
Basis vorliegender Forschungsergebnisse,<br />
die nach gemeinschaftlicher<br />
Einschätzung auf solider wissenschaftlicher<br />
Basis beruhen.<br />
Nicht nur die Nutzung fossiler<br />
Energien wie Kohle, Erdgas<br />
oder Erdöl ist mit dem Ausstoß von<br />
CO2 in die Atmosphäre verbunden.<br />
Auch Land- und Forstwirtschaft<br />
tragen zum weltweiten CO2-Aus stoß bei. Für den vierten IPCC-Bericht<br />
zum Klimawandel (siehe Text<br />
„Klimawandel – Was weiß die Wissenschaft?“)<br />
haben die Experten<br />
die jeweiligen Anteile der sieben<br />
Verursachersektoren abgeschätzt<br />
(oberes Diagramm, rechts). Mit gut<br />
einem Viertel (25,9 Prozent) trägt<br />
demnach die Energieerzeugung zur<br />
globalen Gesamtemissionsmenge<br />
an CO2 bei. Darauf folgen die Industrie<br />
(19,4 Prozent) und die<br />
Forstwirtschaft (17,4 Prozent). Bei<br />
letzterer ergibt sich der CO2-Bei trag im Wesentlichen aus der Differenz<br />
von abgeholzten und wieder<br />
aufgeforsteten Flächen. Im Mittelfeld<br />
bewegen sich die Landwirtschaft<br />
(inklusive Brandrodungen)<br />
mit einem Anteil von 13,5 Prozent<br />
In der Welt der Forschung nennt<br />
man dieses Vorgehen Peer Review.<br />
Es gilt als die zuverlässigste Art, einen<br />
Überblick über den Stand des<br />
Wissens zu bekommen. Im Peer<br />
Review wird etwa ermittelt, welche<br />
wissenschaftlichen Aussagen zu<br />
einem bestimmten Thema mit sehr<br />
hoher Wahrscheinlichkeit zutreffen,<br />
welche Aussagen dagegen weniger<br />
gut wissenschaftlich belegt<br />
oder sogar strittig sind. Aussagen,<br />
die dem Peer Review standhalten,<br />
spiegeln dabei den von der großen<br />
Mehrheit der Experten akzeptierten<br />
Wissensstand wider.<br />
> Vierter Bericht vorgelegt<br />
Im Februar 2007 begann das IPCC,<br />
seinen vierten Bericht zum Klimawandel<br />
der Öffentlichkeit vorzu-<br />
Das CO 2 -Einsparpotenzial im Straßenverkehr<br />
wird wesentlich davon abhängen,<br />
welche Kraftstoffe in Zukunft<br />
am Markt verfügbar sein werden.<br />
und der Verkehr mit 13,1 Prozent.<br />
Die Bereiche Wohnen/Arbeiten<br />
(7,9 Prozent) und Abfall/Abwasser<br />
(2,8 Prozent) bilden in der globalen<br />
Betrachtung die Schlusslichter.<br />
Betrachtet man unterschiedliche<br />
Verkehrsmittel, sorgen laut IPCC<br />
die Personenkraftwagen (allerdings<br />
inklusive leichter Nutzfahrzeuge<br />
bis 3,9 Tonnen) mit 44,5 Prozent<br />
für die Hauptlast am verkehrsbedingten<br />
CO 2 -Ausstoß. Die Anteile<br />
für schwere Lkw (ab 3,9 Tonnen<br />
Gesamtgewicht) liegen demnach<br />
bei 25 Prozent, für Flugzeuge bei<br />
11,6 Prozent und für den Schiffsverkehr<br />
bei 9,5 Prozent.<br />
> Schwieriger Vergleich<br />
Auffällig ist, dass in den Statistiken<br />
zum Teil erheblich abweichende<br />
Absolutzahlen – etwa hinsichtlich<br />
der Gesamtemissionsmengen –<br />
und unterschiedliche Anteilsgrößen<br />
für einzelne Verursachergruppen<br />
auftauchen. Dafür gibt es meh-<br />
stellen. Die wesentlichen Aussagen<br />
des Berichts der Arbeitsgruppe,<br />
die sich mit den Mechanismen<br />
des Klimawandels beschäftigt, lassen<br />
sich so zusammenfassen:<br />
Die CO 2 -Konzentration in der<br />
Erdatmosphäre liegt heute deutlich<br />
höher als zu Beginn der Industriellen<br />
Revolution (1750) und erreicht<br />
ein Niveau, das auch Tausende<br />
von Jahren zuvor nicht auf der<br />
Erde herrschte (Grafik rechts).<br />
Die Klimaveränderungen lassen<br />
sich an verschiedenen Messparametern<br />
deutlich ablesen, nämlich<br />
steigenden Luft- und Wassertemperaturen,<br />
dem Abschmelzen von<br />
Schnee- und Eismassen sowie dem<br />
Anstieg des Meeresspiegels.<br />
Es wird als „sehr wahrscheinlich“<br />
(Irrtumswahrscheinlichkeit<br />
rere Gründe. Eine Erklärung sind<br />
länderspezifische beziehungsweise<br />
regionale Unterschiede im<br />
Emissionsmuster. So betrachten<br />
die Statistiken, auf die sich die<br />
IPCC-Experten beziehen, die sektoralen<br />
Beiträge zur Gesamt- CO 2 -<br />
Emission auf globaler Ebene. Der<br />
Blick auf die Situation in Deutschland<br />
zeigt ein davon deutlich abweichendes<br />
Bild (unteres Diagramm,<br />
rechts): So tragen nach<br />
den Erhebungen des Umweltbundesamts<br />
(UBA) die Energiewirtschaft<br />
mit 41,1 Prozent und der<br />
Verkehr mit 19,3 Prozent zur Gesamtemission<br />
an CO 2 bei, während<br />
zum Beispiel Land- und Forstwirtschaft<br />
hierzulande deutlich geringere<br />
Anteile am CO 2 -Ausstoß haben.<br />
Für die EU gibt die Europäische<br />
Umweltagentur (EEA) in ihrem<br />
jüngsten Bericht, der Anfang<br />
2007 erschien, den verkehrsbedingten<br />
Anteil an allen Treibhausgasen<br />
mit 21 Prozent an. Diese An-
<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 > Verbrauchsminderung 13<br />
CO 2 -<br />
Gehalt<br />
in ppm<br />
350<br />
300<br />
250<br />
7,9 %<br />
Wohnen/<br />
Arbeiten<br />
17,4 %<br />
Forstwirtschaft<br />
13,1 %<br />
Verkehr<br />
13,1 %<br />
Haushalte<br />
6,0 %<br />
Gewebe/Handel/<br />
Dienstleistung<br />
20,3 %<br />
Industrie<br />
10000<br />
5000 0<br />
Zeit vor 2005 in Jahren<br />
13,5 %<br />
Landwirtschaft 2,8 %<br />
Abfall/Abwasser<br />
19,3 %<br />
Verkehr<br />
19,4 %<br />
Industrie<br />
25,9 %<br />
Energieerzeugung<br />
0,2 %<br />
Sonstige<br />
Einstrahlung<br />
in<br />
Watt/m 2<br />
1<br />
0<br />
41,1 %<br />
Energieerzeugung<br />
Anteile an<br />
CO 2 -Emission<br />
- weltweit<br />
Anteile an<br />
CO 2 -Emission<br />
- Deutschland<br />
geringer als zehn Prozent) angesehen,<br />
dass vor allem die anthropogenen<br />
Treibhausgasemissionen<br />
(darunter in erster Linie CO 2 , in geringerem<br />
Maß Methan, Ozon, Distickstoffoxid<br />
und halogenierte<br />
Kohlenwasserstoffe) für den Klimawandel<br />
verantwortlich sind. Demgegenüber<br />
ist der Beitrag natürlicher<br />
Vorgänge hierzu (zum Beispiel<br />
Vulkanismus sowie Schwankungen<br />
der Sonnenaktivität) deutlich kleiner<br />
und daher ungeeignet, die beobachteten<br />
Klimaveränderungen in<br />
Art, Geschwindigkeit und Ausmaß<br />
zu erklären.<br />
Die mithilfe diverser Klimamodelle<br />
im Jahr 1990 vorhergesagte<br />
globale Erwärmung lässt sich inzwischen<br />
durch die Messungen bestätigen.<br />
So erhöhte sich von 1990<br />
gabe bezieht sich allerdings nur auf<br />
15 der 27 EU-Länder (nämlich die<br />
älteren Beitrittsländer) und enthält<br />
nicht die verkehrsbedingten Emissionen<br />
des internationalen Seeund<br />
Luftverkehrs.<br />
Ein weiterer Grund für die zum Teil<br />
eklatanten Unterschiede in den<br />
Statistiken liegt darin, dass die Belastungsbeiträge<br />
einzelner Emittenten<br />
in unterschiedlichen Maßen<br />
angegeben werden. Dieser Effekt<br />
spielt etwa bei der Beurteilung der<br />
Rolle des Flugverkehrs eine entscheidende<br />
Rolle: Der Belastungsbeitrag<br />
der Luftfahrt lässt sich zum<br />
einen wie bei allen anderen Verkehrsmitteln<br />
als Menge des ausgestoßenen<br />
Kohlenstoffs oder CO 2<br />
angeben. Berücksichtigt man indes<br />
zusätzlich, dass in Flughöhe emittiertes<br />
CO 2 eine doppelt so hohe<br />
„Treibhauswirkung“ hat wie bodennah<br />
entstandenes CO 2 , dann verdoppelt<br />
sich dadurch auch der Beitrag<br />
des Luftverkehrs am verkehrs-<br />
auf 2000 die durchschnittliche globale<br />
Lufttemperatur um 0,2 Grad<br />
Celsius; in diversen Simulationsläufen<br />
wurde ein Anstieg zwischen<br />
0,15 bis 0,3 Grad Celsius für diese<br />
Dekade prognostiziert. Aus Sicht<br />
der Experten ist diese Übereinstimmung<br />
ein wichtiges Indiz dafür,<br />
dass die verwendeten Simulationsverfahren<br />
die zukünftige Entwicklung<br />
korrekt modellieren.<br />
Es muss als sehr wahrscheinlich<br />
angesehen werden (Irrtumswahrscheinlichkeit<br />
geringer als zehn<br />
Prozent), dass bei gleichbleibenden<br />
oder gar steigenden CO2- Emissionen die Effekte auf das<br />
weltweite Klima im 21. Jahrhundert<br />
gravierender sein werden als jene,<br />
die während des 20. Jahrhunderts<br />
zu beobachten waren.<br />
bedingten Treibhauseffekt. Das<br />
Maß für diesen, die Wirksamkeit<br />
berücksichtigenden Emissionsbeitrag<br />
lautet CO2-Äquivalent. Ein dritter Grund für Diskrepanzen<br />
liegt in der unterschiedlichen<br />
Spannbreite der Betrachtungen:<br />
So ist es erheblich, ob sich die angegebenen<br />
Mengen an emittiertem<br />
CO2 nur auf Energieverbrauch und<br />
CO2-Emissionen des Verkehrsmittels<br />
beziehen, oder ob auch jene<br />
Emissionsbeiträge in die Statistik<br />
eingehen, die angefallen sind, um<br />
den benötigten Energieträger zu<br />
erzeugen und bereitzustellen. Im<br />
ersten Fall sprechen Fachleute von<br />
Tank-to-Wheel-Analysen; eine umfassende<br />
Betrachtung erlauben indes<br />
nur Well-to-Wheel-Analysen.<br />
Frei übersetzt betrachtet man im<br />
ersten Fall nur die Emissionen zwischen<br />
dem Tank (oder dem Stromnetz)<br />
und den Rädern, im zweiten<br />
Fall schaut man vom Bohrloch oder<br />
der Energiequelle bis zum Rad.<br />
><br />
>
14<br />
> Die CO 2-<br />
Stellschrauben<br />
am Fahrzeug<br />
Gesamtes Fahrzeug<br />
Antrieb<br />
Getriebe<br />
Energiemanagement<br />
im Fahrzeug<br />
Nebenaggregate<br />
Rund 5,3 Milliarden Euro investierte<br />
<strong>Daimler</strong>Chrysler im letzten<br />
Jahr in seine Forschung und<br />
Entwicklung. Etwa ein Viertel davon<br />
fließt schon heute direkt in die<br />
Erforschung umweltfreundlicher<br />
Technologien. Verankert in der<br />
Nachhaltigkeitsstrategie des Unternehmens<br />
ist es eines der Ziele –<br />
aber nicht das einzige –, Kraftstoff<br />
einzusparen und den CO2-Ausstoß zu senken.<br />
In der öffentlichen Diskussion um<br />
mögliche Klimaschutzbeiträge<br />
durch innovative Fahrzeugtechnik<br />
stehen häufig singuläre Entwicklungen<br />
im Fokus des Interesses –<br />
man denke etwa an die hohe Aufmerksamkeit,<br />
die Hybridantriebe<br />
derzeit genießen. Die Forscher und<br />
Entwickler von <strong>Daimler</strong>Chrysler<br />
Aerodynamik Strömungsmodelle/Simulation<br />
Erprobung/Optimierung im Windkanal<br />
Bionische Bauprinzipien<br />
Leichtbau Materialforschung/Nanowerkstoffe<br />
Materialsparende Verfahrenstechniken (etwa Lichtbogendrahtspritzen)<br />
Bionische Bauprinzipien (materialsparende Konstruktionen)<br />
Motorsteuerung Online-Motorregelung statt Kennfeld-Steuerung<br />
Einspritzverfahren Piezo-Injektoren<br />
Strahlgeführte Verbrennung<br />
Homogene Verbrennung<br />
Reibung Tribologische Forschung zur Verminderung von Reibungsverlusten<br />
Downsizing Brennraumverkleinerung mit Turboaufladung<br />
Kompressorunterstützung<br />
Motorenkonzepte für den Einsatz im besten Betriebspunkt<br />
Alternative Kraftstoffe Erdgasantriebe für Pkw, leichte Nutzfahrzeuge, Lkw, Busse<br />
Bivalente Verbrennungsmotoren für Erdgas und/oder Benzin<br />
FlexFuel-Antriebe/Adaptation für Beimischung von Biodiesel (RME) und Bioethanol<br />
Motoroptimierung zur Emissionsminderung bei Einsatz synthetischer<br />
Kraftstoffe (GTL/BTL)<br />
Hybridisierung Konzepte in Kombination mit Diesel- oder Ottomotoren<br />
Konzepte für Mild Hybrids und Vollhybride<br />
Konzepte für Pkw, SUVs, leichte Nutzfahrzeuge, Lkw und Busse<br />
Brennstoffzellentechnologie Entwicklung der Antriebstechnologie bis zur Serienreife für Pkw,<br />
leichte Nutzfahrzeuge und Busse<br />
Erprobung von Konzepten zur zentralen und dezentralen Erzeugung von Wasserstoff<br />
Aufbau einer Versorgungsinfrastruktur<br />
Schaltstrategien Predictive Cruise Control (verbrauchsoptimierter Tempomat)<br />
Optimierung der Steuerung von Automatikgetrieben<br />
Gewichtseinsparung Fertigungsverfahren und Hochleistungswerkstoffe für kompakte Bauweise<br />
Stromsparen Leuchtdioden für Innen- und Außenbeleuchtung einschließlich Fahrlicht<br />
Start-Stopp-Automatik Starter-Generatoren<br />
folgen auf dem Weg zu spritsparenderen<br />
und emissionsärmeren Modellen<br />
indes einem ganzheitlichen<br />
Ansatz. Schließlich unterscheiden<br />
sich individuelle Mobilitätsansprüche,<br />
Einsatzzwecke und Nutzungsbedingungen<br />
von Fahrzeugen oder<br />
Verkehrsinfrastrukturen in den verschiedenen<br />
Regionen der Welt erheblich.<br />
Wer glaubt, mit einem einzigen<br />
Konzept den „Stein der Weisen“<br />
gefunden zu haben, wird früher<br />
oder später das begrenzte Potenzial<br />
seiner favorisierten Lösung<br />
eingestehen müssen.<br />
Die Ingenieure von <strong>Daimler</strong>Chrysler<br />
setzen mit ihren Technologieprojekten<br />
demgegenüber systematisch<br />
an allen Erfolg versprechenden<br />
Stellschrauben an, mit denen<br />
sich Verbrauch und CO 2 -Ausstoß<br />
Brennstoffzellentechnologie Brennstoffzellen zur Stromerzeugung für das Bordnetz<br />
Bordnetz höhere Energieeffizienz durch 42 Volt-Bordnetz<br />
Klimatisierung Optimierung von Heiz- und Kühlaggregaten<br />
senken lassen. Erst in ihrer Gesamtheit<br />
und in der Vielfalt der Lösungen<br />
erschließen innovative<br />
Fahrzeugtechnologien ein beachtliches<br />
Einsparpotenzial unter den<br />
sehr unterschiedlichen Bedingungen<br />
des Verkehrsalltags.<br />
Die folgende – durchaus nicht vollständige<br />
– Übersicht zeigt anhand<br />
von Beispielprojekten, wie breit gefächert<br />
<strong>Daimler</strong>Chrysler seine Innovationskraft<br />
nutzt, um auch im<br />
Hinblick auf den Klimaschutz nachhaltige<br />
Mobilität zu sichern. Das<br />
Gros der Projekte zielt auf die gesteigerte<br />
Effizienz des motorischen<br />
Antriebs. Doch die Ingenieure haben<br />
auch das Getriebe, die Nebenaggregate<br />
sowie die äußere Form<br />
und das Gewicht der Fahrzeuge im<br />
Blick ihrer Arbeit.<br />
>
S.15<br />
Anzeige
16<br />
Sämtliche regenerativ gewonnenen Kraftstoffe schmückt das „Bio-<br />
Etikett“. Forscher von <strong>Daimler</strong>Chrysler haben sich diese Kraftstoffe<br />
genauer angeschaut und dabei entdeckt, dass „Bio“ allein nicht ausreicht.<br />
Erst intelligente Nutzungskonzepte für Biomasse und effiziente<br />
Herstellungsverfahren für diese Kraftstoffe garantieren<br />
deutliche Klimaschutzvorteile. Richtig angepackt, so das Fazit ihrer<br />
Zukunftsprojektion, bieten diese Kraftstoffe ein enormes Potenzial,<br />
das sogar weit über ihre ökologischen Tugenden hinausreicht.<br />
Lässt sich mit Biokraftstoffen der CO 2 -Ausstoß des Verkehrs spürbar<br />
verringern? „Das kann sehr erfolgreich gelingen, muss aber<br />
nicht so sein“, meint Stefan Keppeler. Für den Kraftstoffspezialisten<br />
in der <strong>Daimler</strong>Chrysler-Forschung bedeutet das Etikett „Bio“<br />
nicht schon per se ein Qualitätsprädikat in der gegenwärtigen Klimaschutzdebatte.<br />
Der Grund dafür: Seine Kollegen und er haben den Kraftstoffen mit der<br />
verlockenden Vorsilbe genau auf den Zahn gefühlt. Das Fazit ihrer intensiven<br />
Recherche mahnt zur Vorsicht. Betrachtet man diese Kraftstoffe ungetrübt<br />
von einem Eigeninteresse, zeigt sich deren erstaunliche Bandbreite<br />
im Hinblick auf ökologische Effekte. Salopp gesagt: Nicht überall, wo<br />
„Bio“ draufsteht, ist auch ausreichend viel Klimaschutz drin.<br />
Mit Hilfe zweier Zukunftsszenarien hat Keppelers Team das ökonomische<br />
und ökologische Potenzial erneuerbarer Kraftstoffe ausgelotet. Die<br />
zentralen Erkenntnisse dieser Zukunftsprojektionen zur Rolle von Biokraftstoffen<br />
in Deutschland und innerhalb der Europäischen Union (EU)<br />
erklären denn auch Keppelers ambivalent wirkende Anfangsbemerkung.<br />
Der verstärkte Einsatz von biogenen Kraftstoffen wird nur dann die CO 2 -<br />
Bilanz spürbar verbessern, wenn „die richtigen“ Biokraftstoffe gewählt<br />
werden, wenn also das am besten geeignete Biomaterial mit den effektivsten<br />
Verfahren zu den qualitativ hochwertigsten Treibstoffen umgesetzt<br />
wird. Umgekehrt gilt: Wer unkritisch die biogene Herkunft aus Pflanzen<br />
bereits als Garantie für Umweltfreundlichkeit betrachtet, kann sich<br />
böse verrechnen.<br />
> Regenerativ in der zweiten Generation<br />
Von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, hat sich die Familie der Biokraftstoffe<br />
in den letzten Jahren deutlich vergrößert: Zu den „klassischen“<br />
Vertretern wie dem hierzulande breit eingeführten Biodiesel oder dem in<br />
Brasilien und auch Nordamerika verbreiteten Bioethanol gesellten sich<br />
neue regenerative Kraftstoffe, etwa der synthetische BTL-Kraftstoff oder<br />
Ethanol aus Lignozellulose. Diese noch jungen Sprösslinge stehen für die<br />
zweite Generation der Biokraftstoffe. Der Unterschied zur Vorgängergeneration<br />
ist eklatant: Biodiesel entsteht durch chemische Umformung<br />
(Veresterung) aus Rapsöl; Bioethanol erzeugt man in Brasilien aus dem<br />
Zucker des Zuckerrohrs, in den USA vor allem aus Mais und Sojabohnen.<br />
Anders ist das bei Ethanol aus Biomasse – genauer gesagt aus Stroh:<br />
Diesen Kraftstoff gewinnt man durch ein kompliziertes, zweistufiges Verfahren,<br />
bei dem das verholzte Fasermaterial, das im Wesentlichen aus<br />
Lignin und Zellulose besteht, zunächst in Zucker umgewandelt wird. Aus<br />
diesem lässt sich in einem verhältnismäßig einfachen, zweiten Prozessschritt<br />
Ethanol gewinnen.<br />
Zweistufig funktioniert auch der BTL-Prozess: Hier benötigt man Biomasse<br />
wie Durchforstungsholz oder auch Energiepflanzen als Ausgangsmaterial<br />
und verschwelt diese Biomasse. Dabei bildet sich so genanntes<br />
Synthesegas – im Wesentlichen eine Mixtur aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff.<br />
Dieses Gas lässt sich in einem Spezialreaktor zu flüssigem Kraft-<br />
Holz, Stroh und spezielle<br />
Energiepflanzen sind<br />
die Quellen der<br />
regenerativ gewonnenen<br />
Kraftstoffe<br />
stoff – zurzeit ist es in der Regel<br />
Diesel – umwandeln.<br />
Die Unterschiede zwischen den<br />
Biokraftstoffen beider Generationen<br />
sind enorm. Biodiesel und Bioethanol<br />
nutzen nur einen verhältnismäßig<br />
kleinen Teil der gesamten<br />
Pflanze, also zum Beispiel das abgepresste<br />
Öl aus den winzigen,<br />
schwarzen Rapssamen der meterhohen<br />
Nutzpflanzen oder die stärkehaltige<br />
Frucht von Weizen und<br />
Roggen. Biokraftstoffe der zweiten<br />
Generation nutzen die Pflanze dagegen<br />
„mit Stumpf und Stiel“–<br />
nämlich jede Faser, jede Zelle vom<br />
Stängel bis zum Fruchtkörper, von<br />
der Baumwurzel bis zum Wipfel.<br />
Der Effekt: Bezogen auf die Anbaufläche<br />
liefert die zweite Generation<br />
ein Mehrfaches an Biosprit als ihre<br />
Vorgänger.<br />
Zudem hat die erste Generation<br />
regenerativer Kraftstoffe eine vergleichsweise<br />
schlechte CO 2 -Bilanz.<br />
Sie ist weit entfernt von der<br />
theoretisch denkbaren Maximalmarke<br />
von 100 Prozent Einsparung<br />
Auf, zur<br />
– also CO 2 -Neutralität. Sie liegt für<br />
Biodiesel aus Raps bei höchstens<br />
50 Prozent, für Bioethanol liegt der<br />
Wert je nach Pflanzenquelle sogar<br />
noch deutlich darunter.<br />
Anders bei BTL-Diesel: Hier lassen<br />
sich bis zu 95 Prozent an Treibhausgas<br />
einsparen. Absolut CO 2 -<br />
neutral ist zwar auch er nicht, da<br />
für seine Herstellung fossile Energie<br />
etwa für Dünger und Pflanzenschutzmittel<br />
beim Anbau und<br />
Treibstoff für den Transport aufge-
<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 > Biokraftstoffe 17<br />
zweiten Generation<br />
wendet werden müssen, aber er<br />
kommt dem Ideal ziemlich nah.<br />
Eigentlich eine klare Sache,<br />
könnte man meinen. Aber sie hat –<br />
bislang noch – einen entscheidenden<br />
Haken, nämlich den jeweiligen<br />
Entwicklungsstand der beiden Herstellungsverfahren<br />
für die zwei Biokraftstoffgenerationen.<br />
So ist die<br />
Verfahrenstechnik zur Produktion<br />
von Biokraftstoffen der ersten<br />
Generation gut entwickelt. In<br />
Deutschland etwa wächst bereits<br />
Kraftstoffe aus Biomasse<br />
erlauben es, die<br />
Dominanz des Erdöls bei<br />
Benzin und Diesel zu<br />
brechen<br />
Das Potenzial regenerativer Kraftstoffe unter der Lupe<br />
Die Verfahren zur Herstellung<br />
von Biokraftstoffen<br />
der zweiten<br />
Generation befinden<br />
sich im Pilotstadium<br />
heute Raps zur Energieerzeugung auf einer Fläche von etwas mehr als einer<br />
Million Hektar. Der daraus gewonnene Biodiesel erreicht hierzulande<br />
einen beachtlichen Anteil von 5,6 Prozent des Dieselabsatzes – übrigens<br />
eine Menge, die sich nach Ansicht der meisten Experten kaum noch wird<br />
steigern lassen, da sich die Anbaufläche für den gelb blühenden Raps zwischen<br />
Flensburg und Rosenheim nicht beliebig ausweiten lässt.<br />
Anders der Stand der Technik für Herstellungsverfahren von Biokraftstoffen<br />
der zweiten Generation: Keiner dieser Kraftstoffe ist momentan in<br />
nennenswerten Mengen auf dem Markt verfügbar; die Anlagen zur Gewinnung<br />
dieser Kraftstoffe befinden sich erst im Demonstrations- oder Pilotstadium.<br />
Aufgrund ihrer beschränkten Produktionskapazität sind sie noch<br />
ein ganzes Stück von der Wirtschaftlichkeitsschwelle entfernt. Die komplexe<br />
Verfahrenstechnik zur Umwandlung von Lignozellulose in Stär- >
18<br />
ke oder Zucker befindet sich gar<br />
erst in den Kinderschuhen. Mit anderen<br />
Worten: Bevor die zweite<br />
Biospritgeneration der ersten aufgrund<br />
ihrer unbestreitbaren Vorteile<br />
wirklich den Rang ablaufen kann,<br />
muss sie „fit gemacht“ werden für<br />
den großtechnischen, rentablen<br />
Einsatz. Der dafür zu leistende Forschungs-<br />
und Entwicklungsaufwand<br />
ist beträchtlich, doch er wird<br />
sich in mehrfacher Hinsicht lohnen.<br />
Auch dies ist ein Ergebnis aus<br />
dem Szenarienvergleich des Teams<br />
um Stefan Keppeler.<br />
> Weggabel für Biokraftstoffe<br />
Keppelers Team hat zwei mögliche<br />
Entwicklungsstränge für regenerative<br />
Kraftstoffe bis zum Jahr 2030<br />
verfolgt und deren jeweilige Konsequenzen<br />
durchleuchtet. Für beide<br />
Szenarien gelten vergleichbare<br />
Ausgangsbedingungen etwa hin-<br />
Biokraftstoffe der<br />
zweiten Generation<br />
nutzen die gesamte<br />
Biomasse ihrer<br />
pflanzlichen Quellen<br />
Aus dem Duo Motorenanpassung<br />
plus synthetischem<br />
Kraftstoff<br />
ergibt sich die größte<br />
Emissionsminderung<br />
sichtlich der verfügbaren Anbaufläche<br />
zur Erzeugung der Biomasse.<br />
Bei dieser wesentlichen Rahmenbedingung<br />
gingen die <strong>Daimler</strong>-<br />
Chrysler-Forscher von sehr vorsichtigen<br />
Schätzungen aus und orientierten<br />
sich an einer Studie der<br />
Deutschen Energieagentur DENA.<br />
Diese staatlich finanzierte Einrichtung<br />
berät die deutsche Regierung<br />
in Fragen zukünftiger Energiepolitik.<br />
Im letzten Jahr lotete sie gemeinsam<br />
mit unabhängigen Experten<br />
das Potenzial von Biokraftstoffen<br />
der zweiten Generation aus<br />
und ging dabei auch der wichtigen<br />
Frage nach, wie viel Anbaufläche in<br />
Zukunft für die Biokraftstoffproduktion<br />
realistisch zur Verfügung<br />
stehen könnte.<br />
In den zwei Szenarien ging es<br />
Keppelers Team letztlich darum,<br />
das Zukunftspotenzial beider Biokraftstoffgenerationen<br />
an den poli-<br />
tisch wie gesellschaftlich gewünschten<br />
Zielvorgaben zu messen.<br />
So hat die EU bereits 2003 in<br />
der Biokraftstoffrichtlinie festgelegt,<br />
den Anteil von regenerativen<br />
Kraftstoffen am Gesamtkraftstoffverbrauch<br />
der inzwischen 27 EU-<br />
Länder schrittweise von 5,75 Prozent<br />
(bis 2010) auf 8 Prozent (bis<br />
2020) zu erhöhen. Mit ihren Beschlüssen<br />
zur künftigen Klimapolitik<br />
legten die Regierungschefs der<br />
EU-Länder während ihres Gipfeltreffens<br />
im März 2007 die Latte sogar<br />
noch ein wenig höher: Bis zum<br />
Jahr 2020 sollen nunmehr 20 Prozent<br />
der in allen Wirtschaftssektoren<br />
verbrauchten Energie aus regenerativen<br />
Quellen stammen, wobei<br />
regenerative Kraftstoffe dann einen<br />
Anteil von zehn Prozent erreichen<br />
sollen.<br />
Diese Vorgaben legte auch Keppelers<br />
Team für die eigenen Szena-
<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 > Biokraftstoffe 19<br />
rien als Etappenziele zugrunde,<br />
wobei die Forscher aufgrund des<br />
weiter reichenden Zeithorizonts<br />
bis zum Jahr 2030 einen Biokraftstoffanteil<br />
von 15 Prozent am Gesamtkraftstoffbedarf<br />
als Fernziel<br />
definierten.<br />
Der Unterschied zwischen beiden<br />
betrachteten Szenarien liegt<br />
nun in Grundannahmen, wie man<br />
in Deutschland, beziehungsweise<br />
europaweit fortan Biokraftstoffe<br />
entwickeln möchte. Die Wissenschaftler<br />
sehen hier zwei Alternativen:<br />
Im Szenario I gehen sie von einem<br />
graduellen Ausbau der Biokraftstoffe<br />
erster Generation aus,<br />
während die Biokraftstoffe der<br />
zweiten Generation aufgrund nur<br />
verhältnismäßig geringer Förderung<br />
noch lange Zeit brauchen werden,<br />
um allmählich an Bedeutung<br />
zu gewinnen.<br />
„Ambitionierter“ ist Szenario II:<br />
Hier postulierte Keppelers Team,<br />
dass Politik und die beteiligten<br />
Wirtschaftszweige ihr Engagement<br />
und Investment in die Entwicklung<br />
wirtschaftlicher Verfahren zur Herstellung<br />
regenerativer Kraftstoffe<br />
der zweiten Generation deutlich<br />
verstärken, sodass diese beginnend<br />
ab etwa 2010 einen größer<br />
werdenden Anteil an der Biokraftstoffproduktion<br />
haben können,<br />
während die Bedeutung der Biokraftstoffe<br />
aus der ersten Generation<br />
stagniert oder gar sinken wird.<br />
Drei wesentliche Aussagen ergeben<br />
sich aus dem Vergleich beider<br />
Szenarien:<br />
Die schrittweisen Zielvorgaben<br />
bis 2030 lassen sich im Szenario I<br />
für Deutschland wie auch europaweit<br />
unter den Annahmen beider<br />
Szenarien nur bei den Kraftstoffen<br />
für Ottomotoren erzielen, nicht jedoch<br />
bei Dieselkraftstoff. Hier verfehlt<br />
Szenario I das Fernziel von 15<br />
Prozent regenerativ erzeugten Diesels<br />
sowohl innerhalb Deutschlands<br />
als auch der gesamten EU.<br />
Aufgrund der begrenzten Verfügbarkeit<br />
von „freien“ Anbauflächen<br />
ist ein Anteil von mehr als zehn<br />
Prozent Biodiesel illusorisch.<br />
Auf dem Rollenprüfstand<br />
zeigte sich das<br />
enorme Potenzial synthetischer<br />
Kraftstoffe<br />
zur Emissionsminderung<br />
Das „ehrgeizigere“ Szenario II zeigt, dass die konsequente Technologieentwicklung<br />
von Biokraftstoffen der zweiten Generation sogar das<br />
Potenzial birgt, die Zielvorgaben deutlich zu übertreffen: Die <strong>Daimler</strong>-<br />
Chrysler-Forscher halten aufgrund ihrer Berechnungen einen Anteil von<br />
regenerativen Kraftstoffen bis zum Jahr 2030 von etwas über 20 Prozent<br />
innerhalb der EU und gar von 28 Prozent für Deutschland auf der verfügbaren<br />
Fläche für möglich – und dies sogar unter Berücksichtigung der<br />
Nutzungskonkurrenz für Biomasse, die sich mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />
ergeben wird, da Biomasse zunehmend verwendet werden wird, um regenerativ<br />
Strom oder Wärme zu erzeugen.<br />
Noch deutlicher treten die Vorteile des Szenarios II bei der CO 2 -Einsparung<br />
zu Tage. Grob gesagt verdoppelt sich in dieser Zukunftsoption<br />
die eingesparte Menge an CO 2 gegenüber Szenario I und erreicht bis zum<br />
Jahr 2030 europaweit ein Sparpotenzial von zirka 17 Prozent (gegenüber<br />
acht Prozent in Szenario I) und in Deutschland sogar von 22,5 Prozent (gegenüber<br />
rund neun Prozent in Szenario I). Der Grund dafür: Für die größten<br />
CO 2 -Einsparungen sorgen die Biokraftstoffe der zweiten Generation –<br />
allen voran BTL-Diesel, gefolgt von Bioethanol aus Lignozellulose.<br />
> Ein lohnendes volkswirtschaftliches Investment<br />
Umsonst sind die unstrittigen Vorteile der neuen Biokraftstoffe nicht zu<br />
bekommen. Auch diesen Aspekt beleuchtet die Analyse der <strong>Daimler</strong>-<br />
Chrysler-Forscher. Die bis zum Jahr 2030 summierten Investitionskosten<br />
für die Umsetzung des Szenarios II in Deutschland schätzt das Team auf<br />
17,7 Milliarden Euro – gegenüber 5,5 Milliarden Euro an Investitionskosten<br />
für die Biokraftstoffproduktion à la Szenario I.<br />
Stefan Keppeler allerdings gibt zu bedenken: „Die doppelt so hohe<br />
CO2-Minderung ist nur ein Vorteil, den wir erzielen. Die konsequente Nutzung<br />
regenerativer Kraftstoffe ist einer der wenigen, auch heute schon<br />
gangbaren Wege, die uns aus der bislang fast totalen Abhängigkeit vom<br />
Rohöl als alleiniger Energiequelle für unsere Mobilität herausführen.“ Und<br />
sogar volkswirtschaftliche Aspekte sprechen aus seiner Sicht für ein konsequentes<br />
Engagement in die nächste Biokraftstoffgeneration: „Wir investieren<br />
das Geld schließlich in Produkte, die den Menschen hierzulande<br />
Arbeit und Einkommen bieten, und in eine exportfähige Technologie, was<br />
ebenfalls den Menschen bei uns zugutekommt, anstatt immer höhere<br />
Rechnungen für importiertes Rohöl zu begleichen.“<br />
Die Quintessenz aus dieser Zukunftsbetrachtung ist für Stefan Keppeler:<br />
„Die Förderung und Entwicklung von Biokraftstoffen sollte unbedingt<br />
technologieoffen erfolgen – also klare Kriterien vorgeben, die die energiepolitischen<br />
Ziele für den Kraftstoffmarkt definieren, die jedoch keinesfalls<br />
nur bestimmte Kraftstoffsorten favorisieren.“ Genauso wichtig sind für<br />
ihn einheitliche Rahmenbedingungen, also eine harmonisierte Förderung<br />
und steuerliche Behandlung der Biokraftstoffe in Gesamteuropa. Keppeler:<br />
„Mein Albtraum wären nationale Regelungen für 27 verschiedene<br />
Kraftstoffe oder Kraftstoffmischungen in 27 Ländern.“<br />
Vorsorge gilt es zu treffen, damit auch bei Kraftstoffen niemand mit<br />
der beliebten Vorsilbe „Bio“ Schindluder treibt. „Es darf nicht passieren,<br />
dass in Indonesien Regenwald abgeholzt wird, damit aus dem Holz in<br />
Europa Biokraftstoff erzeugt wird“, warnt Keppeler. Deshalb, so fügt er<br />
an, arbeitet <strong>Daimler</strong>Chrysler in Kooperation mit der UNEP, der Umweltorganisation<br />
der Vereinten Nationen, sowie dem Worldwide Fund for Nature<br />
(WWF) an der Erstellung von Nachhaltigkeitskriterien für den Anbau von<br />
Biomasse für Biokraftstoffe. Diese bilden dann die Basis für eine zukünftige<br />
Zertifizierung von Biokraftstoffen – eine Initiative, die derartigen Etikettenschwindel<br />
wirksam verhindern soll.<br />
>
20<br />
„Wir werden die Schlagzahl<br />
sogar noch erhöhen“<br />
1998 haben sich die europäischen Autohersteller<br />
verpflichtet, bis 2008 den CO 2 -Ausstoß<br />
ihrer Fahrzeugflotten von 185 Gramm<br />
pro Kilometer in 2005 um rund 25 Prozent<br />
auf 140 Gramm pro Kilometer zu senken.<br />
Davon ist man im Moment noch weit entfernt.<br />
Ist dieses Ziel noch realistisch?<br />
Welche kraftstoffsparenden Innovationen<br />
werden die Mercedes-Fahrzeuge in puncto<br />
Verbrauchssenkung bis zum Modelljahr<br />
2008 aufweisen?<br />
Die Vorgaben, die sich aus einem CO 2 -Emissionslimit<br />
für die EU-Fahrzeugflotte ergeben,<br />
müssen für einen Hersteller von Premiumfahrzeugen<br />
anders interpretiert werden<br />
als für einen Hersteller, der überwiegend<br />
kleinere Modelle anbietet. Wie lässt sich ein<br />
Maßstab finden, der alle Hersteller gleichermaßen<br />
in die Pflicht nimmt?<br />
Mit welchen spritsparenden Techniken will<br />
<strong>Daimler</strong>Chrysler den Verbrauch der Mercedes-Modelle<br />
in diesem mittleren Zeitraum,<br />
Ein Gespräch mit Professor Herbert Kohler, Umweltbevollmächtigter von <strong>Daimler</strong>Chrysler<br />
Die 140 Gramm sind ein Wert, den alle in Europa produzierenden Hersteller für die dortige Fahrzeugflotte<br />
erreichen wollen. Dieser Durchschnittswert kann nicht für jedes einzelne Fahrzeugmodell<br />
gelten. Das wäre widersinnig. Wir diskutieren auch nicht darüber, dass eine Wohnung mit<br />
150 Quadratmeter Fläche mehr Heizenergie benötigt als eine mit 50 Quadratmetern. Das ist bei<br />
Autos nicht anders. Ein Fahrzeug mit zwei Tonnen Gewicht, das sieben Personen transportiert,<br />
wird aus rein physikalischen Gründen immer mehr verbrauchen als ein Kleinwagen.<br />
Im Verband der Europäischen Automobilhersteller (ACEA) haben sich seinerzeit die Hersteller<br />
darauf verständigt, wer welchen Beitrag bringen muss. Grob gesagt gilt, die großen Hersteller<br />
müssen prozentual mehr beitragen als kleinere Hersteller. Der Verbrauch der Mercedes-Fahrzeuge<br />
ist seit 1995 – also dem Bezugsjahr der Selbstverpflichtung – um 20 Prozent gesunken.<br />
Kein anderer europäischer Hersteller hat einen höheren Verbrauchsrückgang erzielt als wir.<br />
Außerdem gebe ich zu bedenken, bis zum Jahresende 2008 ist es noch einige Zeit hin. Zudem<br />
können wir heute noch nicht präzise wissen, welche Fahrzeuge wir 2008 verkaufen werden.<br />
Aber wir werden bis dahin sicherlich einige Dinge, die jetzt in der Entwicklung sind, am Markt<br />
platzieren. Ich möchte nicht drum herum reden, und ich weiß, dass es sehr knapp wird, das Ziel<br />
zu erreichen. Aber lassen Sie uns Ende 2008 Bilanz ziehen.<br />
Bei Ottomotoren haben wir die zweite Generation der Direkteinspritzung vor einem Jahr in Genf<br />
präsentiert. Mittlerweile gibt es einen solchen Motor im CLS. Und diese Technologie wollen wir<br />
auf verschiedene Modelle – vor allem in unserem Mittelklassesegment – ausweiten und in die<br />
Breite entwickeln. Das bedeutet ein Verbrauchsreduktionspotenzial beim Einzelfahrzeug von<br />
zehn Prozent. Bei den kleineren Modellreihen wie der A- und der B-Klasse werden wir die Fahrzeuge<br />
mit einer Start-Stopp-Automatik anbieten. Beginnen werden wir Ende 2007 mit dem<br />
smart; die Verbrauchseinsparung beträgt fünf Prozent. Die Technologie ist fertig entwickelt und<br />
wird nun für die Serie vorbereitet. Jetzt müssen wir sie im Rahmen der Modellpflegezyklen in die<br />
jeweiligen Baureihen aufnehmen.<br />
Da gibt es unterschiedliche Modelle. In Japan aber auch innerhalb der EU diskutieren wir etwa<br />
über einen gewichtsbasierten Ansatz. Schließlich gibt es eine klare Korrelation zwischen Fahrzeuggewicht<br />
und Verbrauch. In den USA ist ein auf den Grundriss des Fahrzeugs bezogener Ansatz<br />
im Gespräch. Ich bin zuversichtlich, dass wir einen ähnlich brauchbaren Parameter finden<br />
werden wie es etwa der Energiebedarf pro Quadratmeter beheizter Fläche beim Wohnen ist.<br />
Aber klar ist, dass wir mit dem weltweit anspruchsvollsten Zielwert von 130 Gramm pro Kilometer,<br />
den die EU jetzt fordert, vor großen technologischen Herausforderungen stehen. Um unsere<br />
eigenen Ressourcen effizient einsetzen zu können, brauchen wir präzise Randbedingungen, die<br />
auch weltweit zueinander passen.<br />
Das Energiemanagement ist ein Feld, auf dem wir bereits erste Schritte gemacht haben. Das<br />
werden wir weiter ausbauen. Zum Beispiel ist das der Einsatz elektrischer Wasserpumpen oder<br />
eine elektrische Lenkung. Dabei summieren sich viele kleine Maßnahmen zu einem größeren
<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 > Interview 21<br />
also bis in fünf oder sechs Jahren weiter<br />
senken?<br />
Setzt sich <strong>Daimler</strong>Chrysler für die zukünftige<br />
Entwicklung konkrete Minderungsziele<br />
beim Verbrauch?<br />
„Kein anderer europäischer<br />
Automobilhersteller hat einen höheren<br />
Verbrauchsrückgang erzielt“<br />
Momentum, sodass der Verbrauch erst in der Zusammenschau spürbar zurückgeht; fünf bis<br />
zehn Prozent sind hierfür eine realistische Größenordnung.<br />
Zudem werden dann alle Fahrzeuge für eine Hybridisierung vorbereitet sein – wie immer diese<br />
im Einzelfall aussehen mag. Bisher haben wir uns bei dieser Technik vorwiegend um Einsatzfälle<br />
im innerstädtischen Bereich – da ist das größte Potenzial – gekümmert und deshalb die Hybridtechnik<br />
bei Bussen und im Verteilerverkehr implementiert. Derzeit entwickeln wir aber darüber<br />
hinaus in gemeinsamen Projektteams von BMW, General Motors und <strong>Daimler</strong>Chrysler in Troy im<br />
US-Bundesstaat Michigan verschiedene Hybrid-Konzepte. Deren neuestes Produkt ist ein „Two-<br />
Mode-Hybrid“ mit stufenlosem Getriebe. Es ermöglicht zwei Betriebsarten, sodass das Fahrzeug<br />
sowohl im Stadtverkehr als auch bei höheren Geschwindigkeiten im günstigen Betriebsbereich<br />
sehr effizient unterwegs ist.<br />
Diese Ziele gab es, und wir setzen sie uns auch weiterhin. In den letzten 15 Jahren haben wir den<br />
Verbrauch unserer in Deutschland verkauften Pkw-Flotte um rund 30 Prozent gesenkt, das entspricht<br />
im Schnitt einer Rate von zirka zwei Prozent pro Jahr. Dies wollen wir so weiterführen und<br />
die Schlagzahl sogar noch weiter erhöhen.<br />
Dabei muss man allerdings eines sehen: Der technische Aufwand und die Kosten pro Gramm an<br />
verminderter CO 2 -Emission werden in Zukunft steigen, und wir müssen im Automobilbau schon<br />
heute etwa zehnmal soviel Geld aufwenden, als wenn wir dieselbe Menge an CO 2 durch entsprechende<br />
Maßnahmen bei der Energieerzeugung oder im Hausbau einsparen würden. >
22<br />
Welche Kosten werden auf den Autokäufer<br />
zukommen, damit die von der EU angepeilten<br />
CO 2 -Emissionslimits erzielbar sind?<br />
Kostengünstiger als verbrauchssenkende<br />
Fahrzeugtechniken sind eine spritsparende<br />
Fahrweise und ein verbrauchsorientiertes<br />
Käuferverhalten bei der Wahl der Motorisierung.<br />
Welche Rolle kann und möchte <strong>Daimler</strong>Chrysler<br />
spielen, wenn es darum geht, in<br />
den Köpfen und Herzen der Autokäufer und<br />
Autofahrer Umweltaspekte zu verankern?<br />
„Bis zum Jahr 2015 soll der Brennstoffzellenantrieb<br />
unter Kostengesichtspunkten<br />
wettbewerbsfähig zum Dieselmotor sein“<br />
Sie werden sicher verstehen, dass ich hierzu aus Gründen des Wettbewerbs keine Aussage machen<br />
kann. Aber unzweifelhaft steht für mich fest, dass der Aufwand für weitere Verbrauchssenkungen<br />
steigen wird. Ähnliches haben wir beim Thema Senkung der NO x - und der Partikelemissionen<br />
des Diesels erlebt.<br />
Der Einfluss des Fahrverhaltens auf den Gesamtverbrauch ist in zahlreichen Untersuchungen –<br />
übrigens auch aus unserem Haus – gut dokumentiert. 20 oder sogar 25 Prozent Verbrauchsersparnis<br />
sind nach einem entsprechenden Fahrertraining möglich. Und sogar längerfristig bleiben<br />
davon durchaus zehn Prozent erhalten. Das ist eine Menge Holz; und zudem ein Effekt, für<br />
den wir auf der Seite der Fahrzeugtechnik viel Geld ausgeben müssten.<br />
Hier sehe ich ein Potenzial, das man nutzen muss und kann. Im Nutzfahrzeugbereich haben solche<br />
Trainings ja Tradition. Ich kenne Speditionen und Busunternehmen, die mit ihren Fahrern<br />
nach einem solchen Fahrtraining einen Deal machen – die Dieselersparnis wird 50:50 zwischen<br />
Fahrer und Unternehmen geteilt. Im Pkw-Bereich geht das nur über den Weg der Appelle, Schulungen<br />
und der Kommunikation.<br />
Was die Wahl der Motorisierung anbelangt, steht der Trend zu leistungsstärkeren Fahrzeugen<br />
immer wieder in der Kritik. Auch wenn es zunächst widersinnig klingen mag: Wir haben eine Verbrauchsminimierung<br />
trotz steigender Leistung. Zudem laufen leistungsstärkere Motoren viel<br />
häufiger im Teillastbetrieb und sind dann verbrauchsgünstiger als ein schwächeres Aggregat,<br />
das am Leistungslimit betrieben wird.
<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 > Interview 23<br />
Professor Dr. Herbert Kohler ist der<br />
Umweltbevollmächtigte der <strong>Daimler</strong>-<br />
Chrysler AG und in der Konzernforschung<br />
verantwortlich für Fahrzeugaufbau<br />
und Antriebe.<br />
<strong>Daimler</strong>Chrysler setzt sich nicht nur dafür<br />
ein, den Anteil biogener Kraftstoffe zu erhöhen,<br />
sondern befürwortet auch die rasche<br />
Entwicklung solcher Kraftstoffe der zweiten<br />
Generation. Einige Experten meinen, es sei<br />
effektiver, Biomasse zur Strom- und Wärmegewinnung<br />
zu nutzen. Stimmt das?<br />
<strong>Daimler</strong>Chrysler hat sich so explizit wie kein<br />
anderer Automobilhersteller auf die Brennstoffzellentechnologie<br />
als Antriebstyp für<br />
die „Vision vom emissionsfreien Fahren“<br />
festgelegt. In Ihrem Stufenmodell „Energie<br />
für die Zukunft“ markiert diese Technologie<br />
klar das Fernziel. Welches Einführungsszenario<br />
haben Sie da vor Augen?<br />
Sie sehen also diesen Antriebstyp zunächst<br />
in einer Nische. Könnte nicht gerade dies<br />
der Brennstoffzelle den Zukunftserfolg verbauen?<br />
Wer wird bereit sein, eine teure Infrastruktur<br />
für eine kleine Nischenpopulation<br />
von Fahrzeugen aufzubauen?<br />
Muss man gewissermaßen die Mineralölindustrie<br />
„zum Jagen tragen“?<br />
Ich bezweifle, dass die stationäre Stromerzeugung effizienter ist; zudem gibt es sowohl für<br />
Strom als auch für die Wärmeerzeugung viele weitere, effiziente regenerative Alternativen zur<br />
Biomasse, die uns bei flüssigen Kraftstoffen leider fehlen. Bei einer solchen Bewertung muss<br />
man auch darauf achten, wie umfassend diese angelegt ist. Biokraftstoffe der zweiten Generation<br />
sind für mich nicht nur aufgrund der möglichen Senkungsbeiträge bei den CO 2 -Emissionen<br />
sehr attraktiv. Wir können mit diesen Kraftstoffen auch die Partikel- und die NO x -Emissionen bei<br />
Dieselfahrzeugen deutlich reduzieren, und zwar bei allen Fahrzeugen im Bestand. Wenn ich diese<br />
Zusatzeffekte ebenfalls berücksichtige, dann machen wir sicher keinen Fehler, Biomasse für<br />
die Kraftstoffproduktion einzusetzen. Ich halte Mobilität sogar für einen guten Anwendungsfall.<br />
Die globale Energiewirtschaft hat niemals revolutionäre Umschwünge erlebt, sondern änderte<br />
sich immer allmählich. Auch wir sehen daher den Verbrennungsmotor noch in 20 Jahren als unser<br />
Brot-und-Butter-Geschäft an. Trotzdem wird es zu diesem Zeitpunkt Brennstoffzellenfahrzeuge<br />
im Markt geben. Mit der Serieneinführung auch für private Konsumenten wollen wir zwischen<br />
2012 und 2015 beginnen. Und unser Programmziel lautet, bis 2015 soll die Brennstoffzelle<br />
unter Kostengesichtspunkten wettbewerbsfähig zum Dieselmotor sein.<br />
Zusätzlich wird es aus meiner Sicht spezifische Anwendungsfälle geben, vor allem im innerstädtischen<br />
Verkehr. Ich denke hier an den Verteilerverkehr oder an den Personennahverkehr mit<br />
Bussen. In beiden Fällen kommen Flottenfahrzeuge zum Einsatz, die nach Dienstende zu einem<br />
Depot zurückkehren und dort mit Kraftstoff – in diesem Fall Wasserstoff – versorgt werden.<br />
Ich glaube aber auch, dass sich die Randbedingungen im Verkehr der Megastädte über die Zeit<br />
ändern werden. So überlegt die Stadt New York, ob sie dem Beispiel Londons folgen soll und<br />
eine Citymaut einführt. Andere Maßnahmen, die zum Tragen kommen könnten, sind Einfahrverbote<br />
in Innenstädte für bestimmte Antriebstypen. Damit kein falscher Eindruck entsteht: Ich erachte<br />
solche Entwicklungen nicht für notwendig, damit die Brennstoffzellentechnologie wettbewerbsfähig<br />
werden kann. Aber solche Entwicklungen muss man eben auch berücksichtigen.<br />
Und darauf müssen wir uns vorbereiten.<br />
Nicht die Kleinheit der Nische ist das Problem. Bei Flottenfahrzeugen ist die Installation von<br />
Wasserstofftankstellen ausgesprochen sinnvoll. So entstehen Inseln. Je zahlreicher diese werden,<br />
desto eher lassen sich diese Inseln vernetzen. Einen ganz anderen Punkt betrachte ich mit<br />
Sorge. Manchmal vermisse ich die Unterstützung der großen Mineralölunternehmen für den<br />
Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur. Da muss die Mineralölindustrie innovative Konzepte erarbeiten<br />
und diese intensiver in den Unternehmenskonzepten verankern.<br />
Ein sanfter Druck wäre angemessen. Nehmen Sie die Gesetzgebung in Kalifornien, die uns Automobilhersteller<br />
dazu verpflichtet, einen bestimmten Anteil an Nullemissionsfahrzeugen anzubieten,<br />
damit wir in diesem US-Bundesstaat überhaupt Autos verkaufen dürfen. Ich verstehe nicht,<br />
warum man analoge Regelungen nicht für die Energiewirtschaft einführt. Diese müsste dann pro<br />
verkaufter Tonne Benzin und Diesel eine bestimmte Menge an Wasserstoff anbieten.>
24<br />
> Mit Licht und Nanowerkstoffen auf<br />
UV-Licht und Laserstrahlen etablieren sich als umweltfreundliche Werkzeuge der<br />
Zukunft – mit ihnen lassen sich Rohstoffe und Energie sparen. Zu diesen<br />
neuen Verfahren gesellen sich Materialien, deren Eigenschaften sich durch Zugabe<br />
von Nanopartikeln deutlich verbessern – zum Beispiel neuartige Kunststoffe<br />
für den Leichtbau. Werkstoffforscher und Verfahrensspezialisten von <strong>Daimler</strong>Chrysler<br />
arbeiten schon weit im Vorfeld der Fahrzeugentwicklung an nachhaltigen Konzepten.
<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 Schwerpunkt 25<br />
dem Weg zu Innovationen
26<br />
Der Laser wird zum Universalwerkzeug der industriellen Produktion<br />
Licht auf den<br />
Punkt gebracht
<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 Schwerpunkt > Lasertechnologie 27<br />
Vielfalt: Die Ingenieure von <strong>Daimler</strong>–<br />
Chrysler arbeiten je nach Bedarf mit<br />
unterschiedlichen Systemen wie etwa<br />
Scheibenlaser (links außen) oder<br />
Nd:YAG-Laser (Mitte). Über ein Netzwerk<br />
lassen sich die Laser vom<br />
Rechner aus programmieren (links).<br />
Vorteil: Weil Laser kaum Wärme in die<br />
Bauteile einbringen, verziehen sich<br />
diese beim Schweißen so gut wie<br />
nicht. Ein Vorzug, der im Getriebebau<br />
voll zur Geltung kommt. Hier schweißt<br />
ein CO 2 -Laser Teile für die Antriebswelle<br />
eines Automatikgetriebes.<br />
In der industriellen Produktion breiten sich Laser immer mehr aus.<br />
<strong>Daimler</strong>Chrysler setzt die energiereichen Lichtstrahlen schon seit<br />
1983 ein. Heute schweißen Hightech-Laser sowohl Getriebekomponenten<br />
als auch Karosseriebauteile schnell und zuverlässig zusammen.<br />
Zudem lassen sich mit ihnen Leichtbaukonzepte verwirklichen,<br />
die mit herkömmlicher Schweißtechnik nicht möglich sind.<br />
Ein Roboterarm fährt in Sekundenbruchteilen über das Werkstück,<br />
gleichzeitig bewegt sich auch ein Lichtstrahl ebenso<br />
schnell über die Bauteile und verschweißt diese mit unglaublicher<br />
Geschwindigkeit. Die Rede ist von RobScan, einem neuen<br />
Laserschweißverfahren, das <strong>Daimler</strong>Chrysler nach fünfjähriger Forschungs-<br />
und Entwicklungszeit im Frühjahr dieses Jahres in der Serienproduktion<br />
eingeführt hat. Mit dem Hightech-Verfahren, das sich durch<br />
eine besonders hohe Bearbeitungsgeschwindigkeit auszeichnet, werden<br />
bei der neuen Mercedes-Benz C-Klasse rund 600 Schweißnähte für die<br />
Türen und Seitenwände sowie das Heck gesetzt.<br />
Ein entscheidendes Novum von RobScan ist der so genannte Scannerkopf.<br />
Er ist am Ende des Roboterarms befestigt und lenkt mit zwei elektronisch<br />
gesteuerten Kippspiegeln den scharf gebündelten Laserstrahl blitzschnell<br />
von einer Schweißnaht zur nächsten. Doch an den einzelnen Bearbeitungsstellen<br />
hält der Roboter nicht an, um eine Schweißnaht anzubringen<br />
und dann ein paar Zentimeter weiter zur nächsten zu fahren.<br />
Stattdessen bewegt sich der stählerne Roboterarm kontinuierlich über<br />
die Bauteile hinweg, während gleichzeitig der Scannerkopf quasi im Flug<br />
den energiereichen Lichtstrahl über die Bauteile führt.<br />
„RobScan, das auch als Welding-on-the-Fly oder Remote-Laserschweißen<br />
bezeichnet wird, markiert den derzeit aktuellen Stand der Technik in<br />
Sachen Laserschweißen“, erläutert Markus Beck aus der Abteilung Fahrzeugaufbau<br />
im <strong>Daimler</strong>Chrysler-Forschungszentrum Ulm. „Erzeugt wird<br />
das energiereiche Licht von einem so genannten Scheibenlaser, der sich<br />
neben seiner hohen Leistung von vier Kilowatt durch einen extrem scharf<br />
gebündelten Strahl auszeichnet und sein Licht durch ein mehrere Meter<br />
langes Glasfaserkabel zum Scannerkopf des Roboterarms leitet.“<br />
> Intensität exakt dosieren<br />
Seriennahe Betriebsversuche der Produktions- und Werkstofftechnik<br />
(PWT) von Mercedes-Benz zeigten, dass sich im Vergleich zum herkömmlichen<br />
Widerstandspunktschweißen die Fertigungszeiten um knapp 80<br />
Prozent verkürzen lassen. Dies spart nicht nur Zeit in der Produktion, sondern<br />
auch erhebliche Investitionen, weil weniger Schweißstationen und<br />
-roboter gebraucht werden und sich somit die erforderliche Fertigungsfläche<br />
reduziert.<br />
Eine solche Entwicklung zu Hightech-Fügeverfahren wie RobScan war<br />
in den Anfängen der Lasertechnologie in keiner Weise abzusehen. Die<br />
theoretischen Grundlagen der Lichtverstärkung durch das erzwungene<br />
Aussenden von Strahlung (die Abkürzung „Laser“ steht für „Light Am- >
28<br />
Konstruieren: Die schmalen Laserschweißnähte<br />
ermöglichen kompakte Bauweisen.<br />
plification by Stimulated Emission of Radiation“) hat der in Ulm geborene<br />
Albert Einstein zwar bereits 1917 beschrieben, doch erst 1960 baute der<br />
US-amerikanische Physiker Theodor H. Maiman mit seinem „Rubinlaser“<br />
das erste funktionierende Gerät. Der Laser, lästerten damals Spötter, sei<br />
eine Erfindung auf der Suche nach einer Anwendung.<br />
Doch davon kann mittlerweile keine Rede mehr sein – Laser sind heute<br />
fester Bestandteil der industrialisierten Welt. Als laseraktive Materialien<br />
eignen sich nicht nur Festkörper wie dotierte Kristalle (z.B. Nd:YAG)<br />
und Halbleiter (Dioden), sondern auch Gase und Flüssigkeiten. Je nach<br />
Ausgangsmaterial liegt die Wellenlänge der Laserstrahlen im sichtbaren<br />
Bereich, aber auch im Ultraviolett-, Infrarot- und Millimeterbereich.<br />
Der große Vorteil der gebündelten Laserstrahlen ist, dass sich ihre<br />
Intensität exakt dosieren lässt. Zudem kann man sie zeitlich und räumlich<br />
sehr präzise steuern und ihre Energie punktgenau dort einsetzen, wo man<br />
sie braucht. Deshalb reichen die Einsatzgebiete inzwischen vom CD-Player<br />
im Wohnzimmer und dem Scanner an der Supermarktkasse über medizinische<br />
Laser für Augenoperationen bis zum Einsatz in der Industrie als<br />
universelles Schneid-, Bohr-, Schweiß- und Beschriftungswerkzeug.<br />
Mitte der 1980er-Jahre brachte die Einführung des Laserlichtkabels<br />
einen enormen Aufschwung für industrielle Anwendungen. „Heute kann<br />
man davon ausgehen, dass sich in den kommenden Jahren die Hightech-<br />
Lasersysteme in der Produktion stark ausbreiten werden; Experten rechnen<br />
mit zweistelligen Zuwachsraten für den Lasermaschinenmarkt“, erläutert<br />
Klaus-Dieter Debschütz, Leiter der Abteilung Fahrzeugaufbau im<br />
<strong>Daimler</strong>Chrysler-Ressort Konzernforschung und Mercedes Car Group<br />
Entwicklung. (siehe Kasten: Laser – ein prosperierender Markt, S. 30).<br />
> Auf kleinen Brennfleck fokussieren<br />
Laserstrahlen breiten sich nahezu parallel aus und lassen sich durch eine<br />
geeignete Optik sehr gut fokussieren – das heißt, die gesamte Energie des<br />
Laserstrahls kann auf eine sehr kleine Fläche gelenkt werden. Fokussiert<br />
man zum Beispiel den bei RobScan eingesetzten Hochleistungslaser mit<br />
einer Leistung von vier Kilowatt auf einen Brennfleck mit einem Durchmesser<br />
von 0,6 Millimetern, beträgt dort die mittlere Intensität zwei<br />
Megawatt pro Quadratzentimeter. Im Vergleich dazu liegt eine elektrische<br />
Kochplatte bei etwa fünf Watt pro Quadratzentimeter – die Intensität des<br />
Lasers ist also 400000-mal höher.<br />
Weil der Laserstrahl das Material nur genau an der Fügestelle aufschmilzt<br />
und dieses extrem schnell geschieht, bringt der Laser insgesamt<br />
sehr viel weniger Energie in das Bauteil als herkömmliche Verfahren wie<br />
> Ein Lichtstrahl, viele Einsatzgebiete<br />
Laser sind nicht nur ein universelles Schweißwerkzeug, das in der Regel keine Nachbearbeitung<br />
mehr erfordert. In der Industrie dienen sie auch als exakte, schnelle und<br />
kostengünstige Bohr-, Schneid- und Beschriftungswerkzeuge. Von großer Bedeutung<br />
ist die Oberflächenbearbeitung. So können heutige Lasersysteme besonders beanspruchte<br />
Bauteile gezielt mit Hartstoffen beschichten. Verschiedene Stahlwerkstoffe<br />
lassen sich härten, indem die Laserstrahlen einen begrenzten Bereich schlagartig erhitzen,<br />
der dann durch schnelles Abfließen der Wärme ins Bauteilinnere hart wird.<br />
zum Beispiel das Lichtbogen- oder Schutzgasschweißen. Je weniger<br />
Wärme in ein Werkstück eingebracht wird, desto weniger verzieht es<br />
sich – und der Aufwand für die notwendigen Richt- und Nacharbeiten<br />
geht entsprechend zurück.<br />
> Kompakte Getriebe schweißen<br />
Die Möglichkeiten des Lasers für die industrielle Fertigung von Motoren<br />
und Getrieben hat <strong>Daimler</strong>Chrysler schon frühzeitig zu nutzen begonnen.<br />
„Die erste Strahlquelle, ein CO 2 -Laser, kam bereits 1981 im<br />
Bereich Verfahrensentwicklung in Untertürkheim zum Einsatz; und<br />
1983 erfolgte mit dem Laserschweißen von Tassenstößeln die erste<br />
Serienapplikation“, weiß Christian Elsner von der Produktions- und<br />
Werkstofftechnik (PWT). „Heute gibt es Laser-Applikationszentren für<br />
den Karosseriebau im Werk Sindelfingen und für den Powertrain, also<br />
den Antriebsstrang aus Motor, Getriebe und Achsen, in Untertürkheim.<br />
Dort erproben wir Lasertechnologien, machen sie fit für den Einsatz<br />
in der Serienfertigung und betreuen danach auch die Umsetzung<br />
in den Werken. Das Laserlabor im Forschungszentrum Ulm liefert dazu<br />
die Grundlagenuntersuchungen.“<br />
Vorteile bieten Laser nicht nur für die Produktion, sondern auch für<br />
die Konstruktion von Getrieben. Weil die Laserschweißnähte sehr<br />
schmal, aber trotzdem hoch belastbar sind und auch höchste Drehmomente<br />
zuverlässig übertragen, erlauben sie den Konstrukteuren sehr<br />
kompakte Bauweisen, die sich mit herkömmlichen Schweißnähten<br />
nicht realisieren lassen. Schon seit einigen Jahren baut <strong>Daimler</strong>Chrysler<br />
diese Technologie daher als Fügeverfahren im Getriebebau immer<br />
weiter aus und ist inzwischen Benchmark auf diesem Gebiet. Mittlerweile<br />
kommen lasergeschweißte Verbindungen bei allen Mercedes-<br />
Pkw-Getrieben zum Einsatz.<br />
Den Stand der Technik markiert derzeit das von <strong>Daimler</strong>Chrysler<br />
entwickelte Automatikgetriebe 7G-Tronic, dessen Laser-Schweißnähte<br />
es auf eine Gesamtlänge von 280 Zentimetern bringen und bei dem<br />
nur noch Laser als Schweißverfahren eingesetzt wird. Weil der Laserstrahl<br />
die Bauteile insgesamt ja nur wenig erwärmt, verziehen sich die<br />
Zahnräder und Wellen praktisch nicht und sind nach dem Schweißen<br />
sofort einbaufertig. Die hohen Bearbeitungsgeschwindigkeiten von<br />
mehreren Metern pro Minute erlauben zudem hohe Produktionszahlen.<br />
Allein das Mercedes-Benz-Werk Stuttgart-Hedelfingen fertigt mithilfe<br />
moderner Laseranlagen täglich zirka fünftausend 5- und 7-Gang-<br />
Automatikgetriebe.
<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 Schwerpunkt > Lasertechnologie 29<br />
Untersuchen: Mikroskopaufnahmen zeigen<br />
die Qualität von Laserschweißnähten.<br />
Neben der sehr hohen Steifigkeit<br />
und flexiblen Gestaltung der<br />
Schweißnähte bieten Laser den<br />
Vorzug, dass sie ihre Energie nur<br />
von einer Seite einbringen. Dies<br />
verschafft ihnen im Karosseriebau<br />
zusätzliche Vorteile. Beim traditionellen<br />
Punktschweißen im Rohbau<br />
müssen die Elektroschweißzangen<br />
von zwei Seiten an das Werkstück<br />
geführt werden, was einen hohen<br />
konstruktiven Aufwand sowohl für<br />
die Werkstücke als auch für die<br />
Werkzeuge erfordert. Mit Lasern<br />
dagegen lassen sich nun Schweißnähte<br />
an Stellen setzen, die mit<br />
einer herkömmlichen Schweißzange<br />
gar nicht zugänglich sind. Das<br />
wiederum ermöglicht es, Schweißpunkte<br />
und -nähte dort zu setzen,<br />
wo sie konstruktiv am sinnvollsten<br />
sind und man sie der tatsächlichen<br />
Bauteilbelastung entsprechend anpassen<br />
kann.<br />
> Flansche verkürzen<br />
Schließlich dient Laserschweißen<br />
auch dem Leichtbau: Es erlaubt,<br />
Flansche – also die Überlappungsbereiche<br />
zweier Werkstücke – zu<br />
verkürzen und trägt so zur Gewichts-<br />
und Verbrauchsreduktion<br />
des Fahrzeugs bei. So konnten die<br />
Entwicklungsingenieure in den<br />
Türen der neuen C-Klasse die Flansche<br />
der hochfesten Stahlbleche<br />
von 16 auf acht Millimeter verschmälern.<br />
Weil die Überlappungsbereiche<br />
nicht durch Schweißpunkte,<br />
sondern durch kurze<br />
Härten: Durch Laser lassen sich besonders<br />
beanspruchte Oberflächen leicht härten.<br />
Überwachen: Um auch bei hohen<br />
Stückzahlen eine gleichbleibende<br />
Qualität zu sichern, werden die<br />
Schweißprozesse online kontrolliert.<br />
Beschichten: Das Aufbringen von harten<br />
Werkstoffen verringert den Verschleiß.<br />
Schweißnähte verbunden sind, erhöht sich die mechanische Stabilität der<br />
Türen. Zudem konnte der Türrahmen wesentlich schlanker gestaltet werden,<br />
wodurch sich wiederum die Sicht verbessert. Das Laserschweißen<br />
trägt hier deutlich zur Verbesserung von Sicherheit und Komfort bei.<br />
> Oberflächen gezielt bearbeiten<br />
Angesichts der zahlreichen Pluspunkte liegt es nahe, das Universalwerkzeug<br />
Laser in möglichst vielen Bereichen einzusetzen. Deshalb haben die<br />
Ingenieure der Produktions- und Werkstofftechnik (PWT) – unterstützt<br />
von ihren Kollegen aus der Forschung – in den vergangenen zehn Jahren<br />
mehr als 50 Laseranlagen in die Serienproduktion integriert. „Und die<br />
Tendenz ist klar steigend, denn das Potenzial des Lasers ist bei weitem<br />
noch nicht ausgeschöpft“, konstatiert Christian Elsner.<br />
Im Laserzentrum Powertrain der PWT arbeitet man daher bereits an<br />
zukünftigen Applikationen des Lasers, vor allem für die Bearbeitung von<br />
Oberflächen. Die gebündelte und exakt dosierbare Energie des Lasers ermöglicht<br />
es, die Eigenschaften eines Werkstücks an ausgewählten Stellen<br />
dramatisch zu verändern, um zum Beispiel sehr harte oder verschleißfeste<br />
Schichten in hochbelasteten Bereichen zu erzeugen. Der Rest des Bauteils<br />
bleibt dagegen unverändert, der Aufwand für die Nachbearbeitung<br />
reduziert sich erheblich.<br />
Angesicht vieler Vorzüge ist die Ausbreitung des Lasers naheliegend.<br />
Im Rohbau der Mercedes-Benz S-Klasse zum Beispiel werden derzeit insgesamt<br />
14 Meter Schweißnähte mit Lasern erzeugt. In der Luxuslimousine<br />
verschweißt man mit dem energiereichen Lichtstrahl neben den Türen<br />
unter anderem die Längsträger im Vorbau. Zum Einsatz kommen<br />
Schweißlaser ferner für die Dachrahmen und die Heckklappe der E-Klasse,<br />
die Dachrahmen des CLS und das Dach des Viano. Beim neuen Mercedes-Benz<br />
Sprinter sind es sogar 21 Meter Lasernähte, die für gute Verbindungen<br />
in Boden und Dachbereich sorgen.<br />
> Aluminium verzugfrei schweißen<br />
Schließlich verbinden Laserstrahlen sogar die Aluminiumbauteile der<br />
Türen des Maybachs und der S-Klasse. Gerade für Aluminiumwerkstoffe<br />
eignen sich Laser wegen der geringen Wärmeentwicklung hervorragend;<br />
mit herkömmlichen Schweißverfahren dagegen lässt sich das Leichtmetall<br />
nur mit vergleichsweise großen thermischen Verzügen schweißen.<br />
„Die Lasertechnologie ist so auch ein Schrittmacher in Sachen Leichtbau<br />
und Kraftstoffsparen“, betont Markus Beck vom Forschungszentrum<br />
Ulm. Die Fortschritte in der Laserbearbeitung ermöglichen aber nicht >
30<br />
> Laser – ein prosperierender Markt<br />
So dynamisch wie die Lasertechnologie selbst gibt sich auch der Lasermarkt, der sich<br />
seit gut zwei Jahrzehnten durch jährliche Zuwachsraten zwischen 10 und 20 Prozent<br />
auszeichnet. Einer der entscheidenden Gründe dafür ist die außergewöhnliche technische<br />
Entwicklung der Laser. Bei Hochleistungsgeräten zum Beispiel erhöhte sich die<br />
Leistung innerhalb weniger Jahre von zwei auf 20 Kilowatt.<br />
Zugleich stieg ihr Wirkungsgrad von zwei auf 30 Prozent – damit wird die eingesetzte<br />
Energie höchst effizient genutzt. Gleichzeitig haben sich in den vergangenen drei<br />
nur den Konstrukteuren leichtere und stabilere Strukturen im Rohbau.<br />
Setzt man das gebündelte Licht statt zum Schweißen zum Löten ein, eröffnet<br />
dies auch den Designern völlig neue Möglichkeiten der Karosseriegestaltung.<br />
Mercedes-Benz setzt das Laserlöten seit 2003 für die Heckdeckel<br />
beim SLK und CLS sowie an der Seitenwand des Sprinters ein.<br />
Auch beim Heckdeckel und der Heckklappe der neuen Mercedes-Benz C-<br />
Klasse findet das Laserlöten Anwendung. Karosserieelemente, die sich<br />
nicht aus einem Stück formen lassen, können durch Laserlöten aus zwei<br />
Bauteilen zusammengefügt werden. Die Lötnaht dient in diesen Anwendungsfällen<br />
zusätzlich als Designelement im direkten Sichtbereich des<br />
Kunden.<br />
> Mit Lasern löten<br />
Im Gegensatz zu den verschiedenen Schweißverfahren, bei denen zwei<br />
Bauteile miteinander verschmolzen werden, kommt beim Löten ein zusätzlicher<br />
Werkstoff, nämlich das Lot, ins Spiel. „Dadurch lassen sich<br />
Spalte zwischen Werkstücken überbrücken und es entsteht eine dichte<br />
und sehr stabile Verbindung mit glatter Oberfläche, die sich ohne weitere<br />
Nachbearbeitung lackieren lässt“, erläutert Ralf Bernhard von der PWT in<br />
Sindelfingen. Das Laserstrahllöten hat zudem die Vorteile, dass die thermische<br />
Belastung der Werkstücke sehr gering ist und die Fügestellen korrosionsbeständig<br />
sind.<br />
Trotz des bereits breiten Einsatzes von Lasern in der Serienproduktion<br />
der Mercedes Car Group bleibt diese Zukunftstechnologie auch weiterhin<br />
ein Thema für die Forscher und Entwickler. So suchen zum Beispiel Christian<br />
Elsner und seine Kollegen im Laserzentrum Powertrain nach zuverlässigen<br />
Lösungen zur Online-Prozesskontrolle. Ihr Ziel dabei: Auch bei<br />
hohen Stückzahlen soll die Qualität der Lasernähte schon während des<br />
Schweißvorgangs sichergestellt werden. Zwei der getesteten Systeme,<br />
darunter eine Eigenentwicklung zusammen mit einem Sensorhersteller,<br />
wurden schließlich in Produktionsanlagen integriert, in praxisnahen Versuchen<br />
ausgiebig getestet und in die bestehenden Anlagen inzwischen<br />
fast flächendeckend integriert.<br />
> Prozesse online überwachen<br />
Mit den bisherigen Ergebnissen der Online-Prozesskontrolle sind die Experten<br />
der PWT sehr zufrieden. Christian Elsner: „Die Systeme erlauben<br />
durch das Festlegen von Prozessgrenzen eine gleich bleibende Qualität<br />
der Schweißverbindung. Ihre Integration in die Laserschweißanlagen ist<br />
bei vollautomatisierten Abläufen und hohen Tagesstückzahlen sinnvoll,<br />
Jahren die Preise für einen Hochleistungslaser halbiert. Die heutigen modernen Lasersysteme<br />
sind nahezu wartungsfrei. Mussten die Ingenieure und Techniker früher zum<br />
Beispiel alle 800 Stunden die so genannten Anregungslampen auswechseln, so haben<br />
die inzwischen als Pumplichtquelle verwendeten Laserdioden eine Lebensdauer von<br />
20000 Stunden; sie halten also 25-mal länger. Ein weiterer großer Vorteil der kleinen<br />
Dioden ist, dass sie das laseraktive Medium nur in einer definierten Wellenlänge anregen<br />
und so die eingestrahlte Energie effektiv nutzen.<br />
Welding-on-the-fly: Beim RobScan-<br />
Verfahren führt ein Roboterarm die<br />
Laseroptik über die Werkstücke hinweg.<br />
Zugleich lenken Kippspiegel den<br />
Laserstrahl blitzschnell von einem<br />
Schweißpunkt zum nächsten.<br />
um mögliche Fehler frühzeitig zu<br />
erkennen, Prozesse robust zu gestalten<br />
und Kosten zu sparen.“<br />
Trotz des erfolg- und umfangreichen<br />
Einsatzes von Lasern in der<br />
Serienfertigung sehen sich die<br />
<strong>Daimler</strong>Chrysler-Forscher und ihre<br />
Kollegen von der PWT noch vielfältigen<br />
Aufgaben gegenüber. Sowohl<br />
im Hinblick auf Kosteneinsparungen<br />
als auch neue Einsatzmöglichkeiten<br />
gibt es derzeit noch Grenzen<br />
der Lasertechnologie. PWT-Spezialist<br />
Ralf Bernhardt nennt zum Beispiel<br />
„die mangelnde Standardisierung<br />
bei Lasern, dem Laserequipment<br />
und den Schnittstellen“. Zudem<br />
ist eine Online-Qualitätskontrolle<br />
wie beim Schweißen der Automatikgetriebe<br />
nicht immer<br />
durchgängig möglich, und die hohe<br />
Fügegeschwindigkeit der Laser erschwert<br />
es, die Schweißprozesse<br />
online zu regeln.<br />
> Neue Einsatzgebiete eröffnen<br />
Dass hier Handlungsbedarf besteht,<br />
betrachten die Ingenieure<br />
freilich nicht als Hemmnis, sondern<br />
als Herausforderung, die sie<br />
gerne annehmen. „Der Laser hat<br />
sich in etlichen Bereichen zum zuverlässigen<br />
Werkzeug entwickelt“,<br />
konstatiert Klaus-Dieter Debschütz<br />
vom Forschungszentrum Ulm.<br />
„Und durch neue Laserstrahlquellen<br />
mit geringeren Kosten, verbesserter<br />
Strahlqualität und höherer<br />
Leistung werden sich noch mehr<br />
Einsatzgebiete eröffnen.“>
<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 Schwerpunkt > Lasertechnologie 31<br />
Durchblick: Mit Lasern lassen sich<br />
Oberflächen gezielt bearbeiten. Hier<br />
begutachtet ein Mitarbeiter ein<br />
Probenstück unter dem Mikroskop.<br />
Laser haben sich zum zuverlässigen Werkzeug entwickelt<br />
Probenstück: Um die verschiedenen<br />
Lasersysteme für unterschiedliche<br />
Einsatzgebiete praxisreif zu machen,<br />
arbeiten die Forscher, Entwickler und<br />
Produktionsspezialisten von <strong>Daimler</strong>-<br />
Chrysler Hand in Hand.
32<br />
An einem zukunftsweisenden Lackierverfahren für Lkw-Achsen arbeiten<br />
Ingenieure von <strong>Daimler</strong>Chrysler im Werk Gaggenau. Die neue<br />
Technologie ist schneller und kostengünstiger als der herkömmliche<br />
Lackierprozess. Das größte Plus aber ist die Umweltfreundlichkeit:<br />
Es werden keinerlei Lösemitteldämpfe frei.<br />
Ein wesentlicher Impuls kam von der 31. BImSchV – so heißt die<br />
neue Fassung der Bundesimmissionsschutzverordnung im Behördendeutsch.<br />
Sie fordert unter anderem, dass Lackieranlagen ab<br />
November 2007 deutlich weniger organische Lösemittel oder<br />
VOC (Volatile Organic Compounds) als bisher freisetzen dürfen. „Damit<br />
war klar, dass wir im Werk Gaggenau für die Lackierung von Lkw-Achsen<br />
nach Alternativen suchen mussten. Unser Anspruch war aber noch umfassender;<br />
wir wollten nicht einfach nur nach konventionellen Lösungen<br />
suchen, um neue Grenzwerte einzuhalten, sondern ein zukunftsweisendes<br />
Lackierverfahren entwickeln, das noch weitere Vorteile bietet“, sagt<br />
<strong>Daimler</strong>Chrysler-Ingenieur Hans Maier, der zuständige Projektmanager<br />
bei Truck Group Powertrain im Werk Gaggenau.<br />
Bei der Suche nach geeigneten Lösungen für dieses anspruchsvolle<br />
Ziel untersuchten Maier und seine Kollegen vom Kompetenzzentrum<br />
Coating Technology Truck Group sowie der <strong>Daimler</strong>Chrysler-Forschung<br />
und der Produktions- und Werkstofftechnik (PWT) zwei Varianten: die als<br />
„Wasserlacke“ bekannten wässrigen Beschichtungsstoffe sowie die so<br />
genannten UV-härtenden Lacke, die als das optimale „Zero-Emission-<br />
System“ gelten. Hinter letzteren verbergen sich Lacke, die keinerlei flüchtige<br />
Lösemittel enthalten und sich von herkömmlichen Lacken in einem<br />
weiteren, wesentlichen Punkt unterscheiden – der Härtung.<br />
Während konventionelle Lacke in einem Ofen bei Temperaturen von 80<br />
Grad Celsius in einer Zeit von etwa 30 Minuten trocknen, kann ein UV-<br />
Lack ausschließlich durch das Einwirken von ultraviolettem Licht (UV)<br />
innerhalb von Sekunden aushärten. Möglich ist dies, weil die UV-Lacke<br />
Bestandteile enthalten, die als Photoinitiatoren bezeichnet werden und<br />
beim Bestrahlen mit energiereichem UV-Licht so genannte Radikale bilden.<br />
Diese wiederum regen die Bindemittelkomponenten des flüssigen<br />
Lacks an, sich miteinander zu verbinden. Dabei entsteht ein sehr dichtes<br />
Netzwerk aus Lackharz, Farbpigmenten und Füllstoffen, die zu einer Lackschicht<br />
mit einer extrem widerstandsfähigen Oberfläche erstarren. Der<br />
Prozess des Aushärtens wird also durch das UV-Licht angestoßen und<br />
läuft dann von allein ab.<br />
> Hohe Recyclingquote senkt Materialverbrauch<br />
Fachleute sprechen dabei von einem 100-Prozent-System, weil sämtliche<br />
Inhaltsstoffe des flüssigen UV-Lacks auch nach dem Trocknen in der<br />
Lackschicht verbleiben. Bei herkömmlichen Lacken dagegen verdunstet<br />
ein großer Teil des flüssigen Lacks als Lösemittel beim Trocknen. „Da bei<br />
den UV-Lacken unter normalen Umgebungsbedingungen keine Verdampfungsverluste<br />
auftreten, bleiben sie in ihrer Zusammensetzung unverändert“,<br />
erläutert <strong>Daimler</strong>Chrysler-Ingenieur Guido Helm, Initiator und Entwickler<br />
der UV-Technologie für Aggregate. Eventuelle Lackreste und<br />
Overspray – also Lack, der beim Spritzen nicht auf das Bauteil trifft – lassen<br />
sich deshalb problemlos wiederverwenden. „Diese hohe Recyclingquote<br />
senkt den Materialverbrauch und die Kosten spürbar“, vermerkt<br />
Hans Maier zufrieden. ><br />
Ohne Lösemittel<br />
umweltfreundlich lackieren<br />
Trocken<br />
in Sekundenschnelle
<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 Schwerpunkt > UV-Lacke 33<br />
> UV-Härtung: Zügige Produktion mit Lack und Licht<br />
Durch die Kuppel: Der Längsschnitt<br />
der Anlage zur Härtung von Lkw-<br />
Achsen zeigt, wie die Bauteile durch<br />
eine Stickstoffatmosphäre (blau)<br />
geschleust werden. Die UV-Lampen<br />
in der Mitte beleuchten die Achsen<br />
gleichmäßig von allen Seiten. Wenn<br />
die tonnenschweren Achsen aus der<br />
Anlage schweben, sind sie bereits<br />
montagefertig lackiert.<br />
In der Härtungskammer: Im Ulmer<br />
Forschungszentrum finden Versuche<br />
zur UV-Lackierung von Zylinderkurbelgehäusen<br />
statt. Ein Mitarbeiter bringt<br />
ein Dosimeter zur UV-Lichtmessung<br />
an – während des Vorgangs wird die<br />
Leuchtstärke der Lampen reduziert.
34<br />
Inmitten von Lampen: Die gut zwei<br />
Meter langen und mit UV-Lack beschichteten<br />
Achsen wandern durch<br />
einen Ring aus sechs UV-Lampen.<br />
Deren Licht fällt von allen Seiten<br />
gleichmäßig auf die Achse und löst<br />
im nassen Schutzlack eine schnelle<br />
Aushärtungsreaktion aus.<br />
Ein Technologievergleich von so genannten UV-Lacken mit herkömmlichen Lacken,<br />
die Lösemittel enthalten oder wasserbasiert sind, zeigt eindeutig: Die<br />
nur einschichtig aufgebrachten UV-Lacke beschleunigen die Produktionszeit<br />
und verringern die Kosten. Vor allem aber gilt: Sie entlasten die Umwelt, weil<br />
keinerlei organische Lösemittel oder VOC (Volatile Organic Compounds) frei<br />
werden. Gegenüber wasserbasierten Lacken sind auch die entstehenden<br />
Mengen an Abfall und Abwasser deutlich geringer.<br />
> UV-Licht schlägt Wasserlack<br />
Wasserlack UV-Lack<br />
VOC – Emission 5 % 0 %<br />
Lackaufbau 2 Schichten 1 Schicht<br />
Prozesszeit (Härtung) 30 Minuten unter 1 Minute<br />
Energiebedarf 100 % 60 %<br />
Lackschlamm/Abfall 100 % 5 %<br />
Abwasser 100 % 3 %<br />
Anlagenfläche 100 % 60 %<br />
Stückkosten 100 % 80 %
<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 Schwerpunkt > UV-Lacke 35<br />
Er und seine Kollegen schätzen auch die weiteren Vorzüge der UV-<br />
Lacke. Weil die Luft in den Spritzkabinen nicht mithilfe einer üblichen<br />
Nassauswaschung gereinigt werden muss, fallen auch kaum Abfälle und<br />
Lackschlämme an, die man aufwendig entsorgen müsste. Hinzu kommt,<br />
dass das Aufheizen und Abkühlen der kompletten Lkw-Achsen, die bis zu<br />
einer Tonne schwer sind, bei traditionellen Lackierverfahren bisher viel<br />
Energie verbrauchen und man bei UV-Lack durch den Verzicht auf<br />
Trockenöfen einen hohen Anteil dieses Energiebedarfs einsparen kann.<br />
Neben den Kosten minimieren die UV-Lacke auch den Flächenbedarf<br />
für die Lackieranlagen – ein Umstand, der vor allem die Werks- und Produktionsplaner<br />
freut. Statt langgestreckter Trockenöfen sowie großflächiger<br />
Abkühlzonen reicht zukünftig eine Lackieranlage, die nur rund zehn<br />
Meter lang ist. Maier: „Nach dem Verlassen der Anlage sind die UVlackierten<br />
Achsen sofort einbaufertig und können umgehend an die Produktionsbänder<br />
geliefert werden.“<br />
Obwohl das Verfahren schon seit vergangenem Jahr funktioniert, führen<br />
die <strong>Daimler</strong>Chrysler-Ingenieure derzeit noch weitere Betriebsversuche<br />
durch. Von deren Ergebnis wird es abhängen, ob ein Start für die<br />
Serienproduktion im Jahr 2009 realisiert werden kann. Dazu wollen die<br />
Techniker vor allem noch die Lackeigenschaften weiter verbessern, Langzeittests<br />
durchführen und die Prozessparameter optimieren.<br />
„Lacke, die durch UV-Licht aushärten, sind im Grunde nichts Neues –<br />
neu ist der Einsatz bei großen Fahrzeugteilen mit komplexer Geometrie.<br />
Möbelhersteller setzen sie seit Jahren als Klarlack ein, in der Industrie<br />
werden Kleinstteile damit behandelt,<br />
und es gibt sogar Nagellack,<br />
der mit einer kleinen UV-Lampe gehärtet<br />
wird“, berichtet Guido Helm<br />
vom Kompetenzzentrum Coating<br />
Technology Truck Group.<br />
Doch weil zwischen manikürten<br />
Fingernägeln und tonnenschweren<br />
Hinterachsen in mancherlei Hinsicht<br />
Welten liegen, sahen sich die<br />
Ingenieure besonderen Herausforderungen gegenüber. „Vor allem die<br />
hohen Qualitätsansprüche an den Lack und die komplexe Geometrie der<br />
Lkw-Achsen haben sich als hohe technologische Hürden erwiesen“, so<br />
Roland Gottstein, der im Werk Gaggenau für die Lackierqualität zuständig<br />
ist. Um diese Hürden zu überwinden, kooperierten die Gaggenauer Experten<br />
von Anfang an eng mit ihren Kollegen aus dem Kompetenzzentrum<br />
Coating Technology, der <strong>Daimler</strong>Chrysler-Forschung und der Produktions-<br />
und Werkstofftechnik.<br />
> Sechs Lampen sorgen für perfekte Ausleuchtung<br />
Im Forschungszentrum Ulm führte das Team erste Versuche mit verschiedenen<br />
Achskomponenten durch. Hier ging es vor allem darum, die UV-Beleuchtung<br />
so zu gestalten, dass auf der Oberfläche der Bauteile überall<br />
genügend Licht ankommt, um den Aushärtungsprozess in Gang zu setzen.<br />
Als praktikable und sichere Lösung erwiesen sich schließlich sechs<br />
UV-Lampen, die rund um die lackierte Achse optimal platziert sind und<br />
diese von allen Seiten gezielt bestrahlen. „Die vollflächige Aushärtung ist<br />
absolut notwendig, um den Korrosionsschutz für die Achse zu gewährleisten“,<br />
betont Claudia Witt von der PWT.<br />
Eine andere Herausforderung bei diesen Grundlagenuntersuchungen<br />
war der Sauerstoff der Luft. Er bremst nämlich den photochemischen<br />
Lacke, die durch UV-<br />
Licht aushärten, sind<br />
nichts Neues – neu ist<br />
der Einsatz bei großen<br />
Fahrzeugteilen mit<br />
komplexer Geometrie<br />
An der Kette: Vor dem Aushärten werden<br />
die an dicken Ketten hängenden<br />
Lkw-Achsen mit einem UV-Lack beschichtet.<br />
Im derzeitigen Versuchs–<br />
stadium geschieht das noch manuell<br />
mit einer Spritzpistole – später sollen<br />
Roboter diese Arbeit übernehmen.<br />
genieure mussten also eine sauerstofffreie<br />
Atmosphäre schaffen.<br />
Dazu stellten sie in den Anfängen<br />
die komplette Beleuchtungsanlage<br />
in einen großen Container, den sie<br />
anschließend mit gasförmigem<br />
Kohlendioxid (CO 2 ) befüllten. Weil<br />
CO 2 schwerer ist als Sauerstoff,<br />
wird dieser nach oben verdrängt<br />
und der UV-Prozess kann ungehindert<br />
ablaufen.<br />
> Stickstoff dient als Schutzgas<br />
Nachdem im Ulmer Forschungszentrum<br />
die Ergebnisse durchweg<br />
positiv ausgefallen waren, verlagerte<br />
das Team seine Aktivitäten<br />
ins Werk Gaggenau und führte dort<br />
Versuche mit Original-Lkw-Achsen<br />
durch. Ziel war es, den Prozessablauf<br />
zu verbessern und bei den UV-<br />
Lacken die Steinschlagbeständigkeit<br />
und den Korrosionsschutz zu<br />
erhöhen. Auch diese Tests fanden<br />
in einem Container unter CO 2 -Atmosphäre<br />
statt. „Doch in dieser<br />
Form hat das Verfahren Nachteile“,<br />
erläutert Guido Helm. „Man<br />
braucht in dieser Versuchsanordnung<br />
viel Zeit für den Taktbetrieb,<br />
bei dem die schweren Achsen<br />
nacheinander in den Container abgesenkt<br />
und wieder herausgehoben<br />
werden müssen.“<br />
Für die Ingenieure um Versuchsleiter<br />
Helm standen damit<br />
die nächsten Aufgaben fest, für die<br />
sie dann auch eine umfassende Lösung<br />
fanden. Gemeinsam mit der<br />
Firma Sturm Maschinenbau, einem<br />
Lackieranlagenhersteller, konzipierten<br />
die UV-Lackspezialisten eine<br />
neuartige Technikumsanlage.<br />
Diese ermöglicht einen raschen<br />
Durchlaufbetrieb und verwendet<br />
als Schutzgas statt CO 2 reinen<br />
Stickstoff (N 2 ), der gesundheitlich<br />
und ökologisch völlig unbedenklich<br />
ist.<br />
> Achsen hängen an der Kette<br />
In der gut zehn Meter langen Versuchsanlage<br />
sind die Lkw-Achsen<br />
waagrecht an Tragschienen aufgehängt<br />
und werden durch eine Art<br />
Kuppel gezogen, in deren obe-<br />
Härtungsprozess und kann ihn sogar völlig stoppen – die Forscher und In- >
36<br />
Hinter den Kulissen: Damit die sechs<br />
UV-Lampen nicht überhitzen, sind sie<br />
mit einer Luftkühlung versehen. Hier<br />
überprüft ein Mitarbeiter gerade zwei<br />
Luftschläuche (Foto rechts).<br />
Nur mit Vorlackierung: Glockennaben<br />
(Foto unten, links) bilden den Abschluss<br />
der Lkw-Achsen. In einer<br />
kleinen Anlage (Foto unten, rechts)<br />
werden sie separat mit UV-Lack<br />
beschichtet, um „Spritzschatten“<br />
unter den Radbolzen zu vermeiden.<br />
rem Teil die sechs UV-Lampen installiert<br />
sind. Die Kuppel ist mit<br />
Stickstoff befüllt; weil dieser stetig<br />
nachgeführt wird, reichert er sich<br />
in der Kuppel an und garantiert die<br />
zum Aushärten notwendige sauerstofffreie<br />
Atmosphäre.<br />
> Motoren werden UV-lackiert<br />
Bei den ersten Versuchen in der<br />
Technikumsanlage optimierten die<br />
Fachleute die verschiedenen Arbeitsschritte<br />
für den Durchlaufbetrieb,<br />
angefangen vom Aufbringen<br />
des Lacks über das Aushärten mit<br />
UV-Lampen bis zur Steuerung der<br />
Stickstoffatmosphäre.<br />
Die jüngsten Betriebsversuche<br />
galten dann mehr den verschiedenen<br />
UV-Lacken, die gemeinsam in<br />
enger Zusammenarbeit mit der<br />
Lack- und Farbenfabrik Karl Wörwag<br />
entwickelt wurden.<br />
Weil auf die Achsen nur eine<br />
einzige Lackschicht aufgebracht<br />
wird, muss diese mehrere Anforderungen<br />
zugleich erfüllen: Sie soll<br />
vor Korrosion und Steinschlag<br />
schützen, temperatur- und chemikalienbeständig<br />
sein und schließlich<br />
auch eine ansprechende, zum<br />
Fahrzeug passende Farbe haben.<br />
„Hinzu kommt“, so Roland Gottstein<br />
vom Werk Gaggenau, „dass<br />
der Einschichtlack auf unterschiedlichen<br />
Materialien sicher<br />
haften muss. An den Achsen finden<br />
sich Teile aus Metallguss, aber<br />
auch vorbeschichtete Komponenten,<br />
die zum Beispiel eine konven-<br />
Wenn die Praxistests<br />
weiter erfolgreich<br />
verlaufen, könnte bald<br />
der Startschuss für<br />
die erste Großserienanwendung<br />
fallen<br />
tionelle oder kathodische Tauchlackierung<br />
sowie eine Pulverlackierung<br />
erhalten haben“.<br />
Während sich die UV-Lackierung<br />
von Achsen der Serienreife<br />
nähert, führen die Ingenieure von<br />
<strong>Daimler</strong>Chrysler schon weitere<br />
Prinzipversuche durch. Sie wollen<br />
herausfinden, ob sich die UV-Technologie<br />
auch für Lkw-Motoren eignet. Vielversprechend verliefen zum<br />
Beispiel Tests mit Zylinderkurbelgehäusen, bei denen ein spezieller UV-<br />
Lack zum Einsatz kommt, der sich durch eine besonders hohe Korrosionsund<br />
Hitzebeständigkeit auszeichnet und mit dem sich sogar Metalliceffekte<br />
erzielen lassen. „Wir haben auch schon erfolgreiche Tests mit<br />
kompletten Motoren durchgeführt, die mit einem temperaturbeständigen<br />
UV-Klarlack behandelt wurden, der als Korrosionsschutz dient“, berichtet<br />
Guido Helm weiter. „Allerdings stehen diese Versuche zur Motorenlackierung<br />
erst am Anfang.“<br />
Bei einem erfolgreichen Abschluss der gegenwärtig noch laufenden<br />
Praxistests könnte im Werk Gaggenau schon bald der Startschuss für die<br />
erste Serienanwendung der UV-Lacktechnologie fallen. Dort entstand bereits<br />
im Frühjahr eine Anlage, in der nun so genannte Glockennaben mit<br />
UV-Lack vorbeschichtet werden. Die zylinderförmigen Glockennaben bilden<br />
die äußeren Abschlusselemente der beiden Achshälften. Weil sie auf<br />
einer fertig montierten Achse von bis zu zwölf Radbolzen umringt sind,<br />
entstehen beim Lackieren so genannte Spritzschatten, in denen sich die<br />
erforderliche Schichtdicke nicht erzielen lässt.<br />
> UV-Lacktechnologie erschließt neue Einsatzgebiete<br />
Um trotzdem eine gleichmäßig dicke Lackschicht zu gewährleisten, werden<br />
die Glockennaben separat vorlackiert. Nur durch den blitzartig härtenden<br />
UV-Lack ist auf diese Weise eine Vorbeschichtung innerhalb des<br />
Prozessablaufs in der Fertigung möglich. „Das ist zwar nur eine kleine Anwendung,<br />
aber sie zeigt eine große Wirkung“, freut sich Versuchsleiter<br />
Guido Helm. Und Martin Schorsch, der Leiter des Kompetenzzentrums<br />
Coating Technology Truck Group, fügt hinzu: „Durch unsere Entwicklungsarbeit<br />
lassen sich immer weitere Anwendungsfelder für den Einsatz dieser<br />
hoch effizienten UV-Lacktechnologie aufzeigen. Die UV-Lacktechnologie<br />
wird aufgrund ihrer vielfältigen Vorzüge das zukunftsträchtige Lackierverfahren<br />
in der Fahrzeugindustrie werden.“<br />
>
S.37<br />
Anzeige
38<br />
Einstellung: Die Fallhöhe des an Seilen<br />
aufgehängten Pendels lässt sich exakt<br />
justieren. Dies stellt sicher, dass bei<br />
einer Testreihe der Aufprall immer<br />
gleich stark ist und die Versuchsergebnisse<br />
damit vergleichbar sind.<br />
Aufprall: Mit voller Wucht schlägt das<br />
anderthalb Kilogramm schwere<br />
Gewicht gegen einen Kotflügel aus<br />
thermoplastischem Kunststoff. Mit<br />
dem Pendelschlagtest prüfen Ingenieure<br />
das Verhalten von Werkstoffen.
<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 Schwerpunkt > Nanotechnologie 39<br />
Leichter bauen mit Nanos<br />
Neuartige Kunststoffe für die Autos von morgen<br />
Durch die Forderung nach sinkenden CO 2 -Emissionen gewinnt das<br />
Thema Leichtbau immer mehr an Bedeutung. Mit Nanopartikeln<br />
modifizierte thermoplastische Kunststoffe sind leicht und eignen<br />
sich für Kotflügel und andere flächige Karosseriebauteile. Werkstoffexperten<br />
von <strong>Daimler</strong>Chrysler arbeiten daran, solche Kunststoffe<br />
in den Fahrzeug-Produktionsprozess zu integrieren.<br />
Es ist kalt, sogar bitterkalt, wenn Erich Lehner und seine Kollegen<br />
von der Produktions- und Werkstofftechnik (PWT) im Werk Sindelfingen<br />
zum Pendelschlagtest schreiten. Stellenweise herrschen<br />
minus 25 Grad Celsius im Prüfstand, in dem die Ingenieure das<br />
Materialverhalten von Kotflügeln und anderen Bauteilen untersuchen. Für<br />
den Test haben die Werkstoffexperten mehrere Kotflügel zunächst in einem<br />
Klimaschrank auf minus 40 Grad abgekühlt, bevor sie im Prüfstand<br />
die Bauteile in eine Vorrichtung spannen. Dann lassen sie ein schweres<br />
Pendel gegen die Kotflügel prallen. Ihr Ziel: Sie wollen herausfinden, wie<br />
sich Bauteile bei unterschiedlichen Aufprallgeschwindigkeiten verhalten.<br />
Bei den traktierten Kotflügeln handelt es sich um besondere Stücke.<br />
Es sind Versuchsbauteile, die nicht wie gewohnt aus Stahlblech sondern<br />
aus thermoplastischen Kunststoffen bestehen und deshalb deutlich leichter<br />
sind. „Solche Leichtbauelemente“, erläutert Erich Lehner, „bieten eine<br />
gute Möglichkeit, der ‚Gewichtsspirale’ entgegenzuwirken, die aus den<br />
steigenden Anforderungen an Sicherheit, Komfort und Fahrleistungen<br />
resultiert und zu ständig wachsenden Fahrzeuggewichten führt.“ Hinzu<br />
kommt: Konsequenter Leichtbau ist einer der möglichen Ansätze, die<br />
<strong>Daimler</strong>Chrysler-Ingenieure auf dem Weg zu geringeren Verbräuchen und<br />
CO 2 -Emissionen seit vielen Jahren mit hohem Aufwand verfolgen.<br />
> Ideale Werkstoffe für das Design der Außenhaut<br />
Thermoplaste, also schmelzbare Kunststoffe, bieten im Vergleich zu Metallen<br />
einige Vorteile. Zum einen sind sie dank ihres geringeren spezifischen<br />
Gewichts leichter und lassen den Verbrauch sinken. Zum anderen<br />
sind sie hervorragende Design-Werkstoffe, die sich durch Spritzgießen in<br />
nahezu jede Form bringen lassen. Das macht sie zum idealen Material für<br />
die Außenhaut des Autos. Bei Serienfahrzeugen dienen sie als Verkleidung<br />
für Stoßfänger und Türschweller oder als Seitenschutzleisten an den<br />
Türen. Meist bestehen sie aus Polypropylen-Mischungen (PP) und weisen<br />
aufgrund der niedrigen Dichte eine relativ hohe gewichtsspezifische Steifigkeit<br />
auf. Oft handelt es sich um Anbauteile, die von Zulieferfirmen hergestellt<br />
und in den jeweiligen Wagenfarben lackiert werden.<br />
Konsequenter<br />
Leichtbau ist ein guter<br />
Ansatz, um den Kraftstoffverbrauch<br />
und<br />
die CO 2- Emissionen<br />
weiter zu senken<br />
Das ist einerseits von Vorteil,<br />
weil die Zulieferer sehr flexibel reagieren<br />
können. Andererseits verteuert<br />
das externe Lackieren die<br />
Bauteile erheblich, weil jeder Zulieferer<br />
eine eigene Lackieranlage<br />
aufbauen muss. Zudem ist es<br />
schwierig, mit den unterschiedlichen<br />
Anlagen und Werkstoffen<br />
immer exakt denselben Farbton zu<br />
treffen. Lehners Kollege Jens Humpenöder<br />
von der <strong>Daimler</strong>Chrysler-<br />
Forschung in Ulm erläutert dies näher:<br />
„Schon kleinste Unterschiede<br />
in Farbton, Glanzgrad und Oberflächenbeschaffenheit,<br />
die aus verschiedenen<br />
Lackierverfahren resultieren<br />
können, erschweren die<br />
Integration der Anbauteile in die<br />
restliche Fahrzeugoberfläche.“<br />
Doch das Problem mit der Farbtonübereinstimmung<br />
lässt sich<br />
durch eine gemeinsame Lackierung<br />
umgehen, wobei zugleich Kosten<br />
eingespart werden. Bei dieser<br />
„On-Line-Lackierung“ durchlaufen<br />
die Kunststoffanbauteile zusammen<br />
mit der Stahlkarosserie den<br />
gesamten Lackierungsprozess einschließlich<br />
der kathodischen<br />
Tauchlackierung (KTL), die als Korrosionsschutz<br />
und Untergrund für<br />
die Farb- und Klarlacke dient.<br />
Doch bei der KTL treten kurzzeitig<br />
Temperaturen von mehr als 200<br />
Grad Celsius auf – dies schließt<br />
herkömmliche Thermoplaste vom<br />
On-line-Lackieren aus. Zwar gibt es<br />
für Außenbauteile auch Kunststoffmischungen<br />
aus Polyamid und >
40<br />
> Leitinnovation NanoMobil<br />
„Kompetenz in Sachen Nanotechnologie gehört im Automobilbau der Zukunft zu den<br />
Kernkompetenzen, die zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit unbedingt erforderlich<br />
sind“, so das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).<br />
Aus dieser Einschätzung heraus unterstützt das Ministerium im Projekt „Leitinnovation<br />
NanoMobil“ Forschungs- und Entwicklungsvorhaben für nanotechnologische Anwendungen<br />
in der Verkehrstechnik, speziell der Automobilindustrie und ihrer Zulieferer.<br />
Im Mittelpunkt der verschiedenen Teilprojekte stehen der direkte Nutzen durch<br />
verringerten Kraftstoffverbrauch, höhere Fahrsicherheit und die Langlebigkeit der<br />
Produkte. Zudem soll das Verbundprojekt die Forschungsaktivitäten auf dem Gebiet der<br />
Nanotechnologie bündeln, die sich mit Anwendungen im Automobilbereich befassen.<br />
Polyphenylenether (PA/PPE), die sich für einen solchen Lackierprozess<br />
eignen, doch unterm Strich sind sie eine Lösung, die nicht rundum zufriedenstellt.<br />
Deshalb arbeiten <strong>Daimler</strong>Chrysler-Ingenieure zusammen mit<br />
externen Partnern aus Forschung und Industrie daran, die Thermoplaste<br />
weiter zu optimieren, um sie On-line lackieren zu können. Im Rahmen des<br />
vom Bundesforschungsministerium (BMBF) geförderten Programms<br />
„Leitinnovation NanoMobil“ wollen die Forscher und Entwickler die Wärmeformbeständigkeit<br />
erhöhen, die thermische Längenausdehnung reduzieren<br />
und die elektrischen und mechanischen Eigenschaften verbessern.<br />
Schon bisher enthalten Thermoplaste Füllstoffe wie Glasfasern oder<br />
Graphit, die zum Beispiel das Ausdehnungsverhalten oder die elektrische<br />
Leitfähigkeit der Kunststoffe beeinflussen. Die Füllstoffe erhöhen die<br />
Qualität der Kunststoffe, machen diese aber schwerer – und der Leichtbauvorteil<br />
schwindet. „Hier bringen wir nun so genannte nanoskalige Füllstoffe<br />
wie Nanoclays oder Nanotubes ins Spiel, die das Eigenschaftsprofil<br />
von Thermoplasten signifikant verbessern können“, umreißt Erich Lehner<br />
die Ziele des BMBF-Teilprojekts „Leichtbau mit thermoplastischen Nanocomposites“,<br />
dessen Federführung bei <strong>Daimler</strong>Chrysler liegt.<br />
Nanoclays sind Schichtsilikate, also Tonmineralien, mit einer Größe<br />
von wenigen Nanometern. Bei den Nanotubes handelt es sich um Kohlenstoff-Nanoröhren<br />
(Carbon Nanotubes, CNTs) und um Kohlenstoff-Nanofasern<br />
(Carbon Nanofibers, CNFs), also um Makromoleküle aus Kohlenstoff,<br />
die sich in einem Gerüst von Sechsecken zu winzigen, langgestreckten<br />
Zylindern anordnen.<br />
> Starker Gewichtsverlust durch Nanopartikel<br />
Die bisherigen Forschungs- und Entwicklungsergebnisse zeigen: Versetzt<br />
man Thermoplaste mit Nanoclays, erhöhen sich die Steifigkeit und Festigkeit<br />
des Bauteils bei nahezu gleichbleibender Materialdichte und -zähigkeit.<br />
„Bereits mit geringen Anteilen von wenigen Gewichtsprozent lassen<br />
sich mechanische Eigenschaften erzielen, die sonst nur mit sehr hohen<br />
Anteilen von mehr als 30 Gewichtsprozent herkömmlicher Füllstoffe erreichbar<br />
sind“, berichtet Jens Humpenöder.<br />
Dies bedeutet: Mit Nanopartikeln versetzte Thermoplaste bieten nicht<br />
nur eine Gewichtsersparnis gegenüber metallischen Werkstoffen, sondern<br />
auch gegenüber konventionellen Kunststoffmischungen. Zudem erhöhen<br />
sich durch den Zusatz von Nanoclays die Oberflächenqualität und<br />
die Verarbeitungseigenschaften der Thermoplaste. Dadurch kann man<br />
die Wandstärken der Bauteile deutlich reduzieren, also zusätzlich Gewicht<br />
einsparen, oder beim Spritzgießen die Fließwege verlängern, wodurch<br />
sich wiederum die Kosten für aufwendige Werkzeuge verringern.<br />
Versetzt man die Thermoplaste statt mit Nanoclays mit CNTs oder<br />
CNFs, lassen sich zum Teil noch bessere Materialeigenschaften erzielen.<br />
Die winzigen Kohlenstoffpartikel sind ausgesprochen fest und elastisch,<br />
Mit Nanopartikeln<br />
versetzte Thermo–<br />
plaste sind leichter als<br />
metallische Werkstoffe<br />
und herkömmliche<br />
Kunststoffmischungen<br />
Vorbereitung: Ein Mitarbeiter des MTC<br />
(Mercedes Technology Center) in<br />
Sindelfingen präpariert einen Leichtbau-Kotflügel<br />
für einen Test in der<br />
Klimakammer. Hier können die<br />
Ingenieure bei Bedarf auch arktische<br />
Extremtemperaturen einstellen.<br />
was sie zur Verstärkung von Kunststoffen<br />
prädestiniert. Zudem kann<br />
man mit ihnen eine gute elektrische<br />
Leitfähigkeit einstellen, die<br />
für die kathodische Tauchlackierung<br />
(KTL) unerlässlich ist.<br />
Die Anforderungen an KTL-fähige<br />
Thermoplaste sind schon heute<br />
enorm: Neben den guten mechanischen<br />
Eigenschaften, der elektrischen<br />
Leitfähigkeit und einer sehr<br />
hohen Wärmeformbeständigkeit<br />
sollen sie zugleich über eine niedrige<br />
thermische Längenausdehnung<br />
verfügen. Durch den Leichtbautrend<br />
zu Body-Panels – zum Beispiel<br />
Kotflügel und Türaußenverkleidungen<br />
aus Kunststoffen – liegt<br />
die Messlatte inzwischen noch ein<br />
Stück höher. Gerade für solche<br />
großflächigen Teile ist eine weitere<br />
Materialoptimierung besonders im<br />
Hinblick auf das mechanische Verhalten<br />
und auf die Wärmeausdehnung<br />
unerlässlich.<br />
Nach der grundlegenden Untersuchung<br />
verschiedener Nano-Thermoplaste<br />
und deren Eignung für diverse<br />
Bauteile, haben die Ingenieure<br />
in Sindelfingen inzwischen auch<br />
einen Versuchsträger auf die Räder<br />
gestellt – ein S-Klasse-Fahrzeug<br />
mit Leichtbau-Kotflügeln auf Nano-<br />
Basis. Erich Lehner fasst die Vorzüge<br />
so zusammen: „Ein großer Vorteil<br />
der thermoplastischen Nano-<br />
Kunststoffe gegenüber herkömmlichen<br />
Kunststoffmischungen liegt<br />
in ihrem geringeren Füllstoffanteil,<br />
der ausreicht, um die geforderten<br />
Eigenschaften zu erzielen. Dadurch<br />
ist die Gewichtseinsparung<br />
bei diesen Materialen besonders<br />
deutlich ausgeprägt.“>
<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 Schwerpunkt > Nanotechnologie 41<br />
> Projekt Leichtbau-Nanos<br />
Im Rahmen des Vorhabens „Leitinnovation NanoMobil“ fördert das Bundesministerium<br />
für Bildung und Forschung (BMBF) das Forschungs- und Entwicklungsprojekt „Leichtbau<br />
mit thermoplastischen Nanocomposites“. An dem vor zwei Jahren gestarteten Projekt<br />
sind unter der Federführung von <strong>Daimler</strong>Chrysler fünf Kooperationspartner beteiligt:<br />
> Das Leibnitz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung (IFW) in Dresden<br />
stellt mithilfe diverser Verfahren des chemischen Abscheidens (Chemical Vapor Deposition,<br />
CVD) die unterschiedlichsten Nanopartikel und -strukturen her. So können die<br />
Wissenschaftler mehrwandige und einwandige Kohlenstoff-Nanoröhren und Nanofasern<br />
synthetisieren und durch modernste Verfahren der Elektronenmikroskopie und der<br />
Röntgenanalytik exakt charakterisieren.<br />
> Das ebenfalls in Dresden ansässige Leibnitz-Institut für Polymerforschung (IPF)<br />
betreibt anwendungsorientierte Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Polymersynthese.<br />
Für das Leichtbauprojekt untersuchen zwei Teams, wie sich Nanoclays<br />
(Schichtsilikate) und Kohlenstoff-Nanopartikel optimal in Polypropylen-Kunststoffe einbringen<br />
lassen. Dazu betrachten sie etwa die internen Oberflächenspannungen innerhalb<br />
des Kunststoff-Nanopartikel-Gemischs. Ferner arbeiten sie an Verfahren, mit denen<br />
man Nanoteilchen in eine Kunststoffschmelze einbringen und optimal verteilen kann.<br />
> Die Süd-Chemie AG ist nicht nur Hersteller von anorganischen und organisch modifizierten<br />
Nanoclays, sondern untersucht auch, wie sich durch Abänderungen der Partikeloberflächen<br />
die Herstellung dieser Thermoplaste weiter vereinfachen lässt.<br />
> Die General Electric Plastics GmbH liefert technische Thermoplaste für die Automobil-<br />
und Elektroindustrie. Das Unternehmen forscht unter anderem an Verarbeitungsprozessen<br />
sowie an Hochleistungskunststoffen, die durch den Einsatz von Nanotechnologie<br />
elektrisch leitfähig gemacht werden und sich so für elektrostatische Lackierverfahren<br />
im Karosseriebau eignen.<br />
> Ingenieure von <strong>Daimler</strong>Chrysler schließlich untersuchen anhand von Demonstrator-<br />
Bauteilen (Tankklappen, Kotflügel, Body Panels für die äußere Seitenverkleidung), wie<br />
gut sich die verschiedenen Thermoplaste mit Nano-Füllstoffen für den Fahrzeugbau eignen.<br />
Die im Spritzgießverfahren hergestellten Versuchsbauteile durchlaufen zahlreiche<br />
definierte Tests und Prüfungen; dazu gehören zum Beispiel Schlag- und Bruchtests,<br />
Steinschlagerprobung, Wärmewechseltests, Alterungsversuche, Klimaprüfungen sowie<br />
Lackierverfahren und die Beurteilung der Serientauglichkeit.
42<br />
Farben,<br />
Folien<br />
und<br />
Antennen<br />
Neues Herstellungsverfahren<br />
für Leichtbauelemente<br />
Ein neuartiges Dachelement für die Mercedes-Benz R-Klasse ist Vorreiter<br />
in Sachen Lackfolientechnologie. Das Kunststoffbauteil dient<br />
als Antennendeckel; hergestellt wird es aus Kunststoff und einer<br />
mit Lack beschichteten Folie. Das neue Verfahren spart Kosten und<br />
kann zu einer Schlüsseltechnologie für die Herstellung von Leichtbauelementen<br />
werden. Auch für Designer und Konstrukteure bietet<br />
es langfristig neue Perspektiven – sie könnten Antennen und Sensoren<br />
direkt in Kunststoffbauteile für die Außenhaut integrieren.<br />
Radio hören im Auto war früher eine simple Sache – eine einfache<br />
Stabantenne, meist auf dem Kotflügel verschraubt, genügte für<br />
den Kontakt zur Außenwelt. Heute sind die Funkverbindungen<br />
nach draußen wesentlich vielfältiger – in einem Oberklassefahrzeug<br />
stecken bis zu 18 Antennen. Sie empfangen nicht nur Radio- und<br />
Fernsehprogramme, sondern dienen auch zur Telekommunikation, Navigation,<br />
Telematik, Fernbedienung und Abstandsregelung. Weitere Antennen<br />
für die Fahrzeug-Fahrzeug-Kommunikation dürften in absehbarer Zeit<br />
hinzukommen.<br />
Vor allem Designer möchten diese Vielzahl an Antennen am liebsten<br />
komplett unter der Karosserie verstecken. Doch die Außenhaut der Autos<br />
besteht in der Regel aus Metallblechen, und diese stören die Funksignale.<br />
Um Antennen trotzdem unter der Karosserie zu verbergen, entwickelten<br />
Fahrzeugingenieure spezielle Abdeckungen aus Kunststoff, die den Funkempfang<br />
nicht beeinträchtigen.<br />
Von außen unsichtbare Antennen stecken zum Beispiel unter der<br />
Heckklappe im Maybach, in der Mercedes-Benz CL-Klasse und im CLK<br />
Cabrio. Auch in der M- und der R-Klasse bestehen Teile des Dachs aus<br />
einer Kunststoffabdeckung, die in der Wagenfarbe lackiert ist. Im Grund<br />
ist damit alles in bester Ordnung: Die Antennen funktionieren und die<br />
Kunststoffelemente unterscheiden sich äußerlich in keiner Weise von der<br />
übrigen Karosserie.<br />
Eigentlich könnten die Ingenieure der Mercedes Car Group mit ihrer<br />
Arbeit zufrieden sein. Doch auch was gut ist, lässt sich weiter optimieren<br />
– zum Beispiel der Antennendeckel für die R-Klasse. Wie die gesamte<br />
Karosserie beschichtet man dieses Kunststoffbauteil bisher durch Nasslackieren.<br />
„Doch das ist ein teures Verfahren mit hohen Stückkosten. Weil<br />
immer mehr Bauteile weltweit bei verschiedenen Lieferanten produziert<br />
werden, muss jeder von ihnen in kostspielige Lackieranlagen investieren“,<br />
sagt Walter Aichholzer von der Produktions- und Werkstofftechnik<br />
(PWT) in Sindelfingen. „Hinzu kommt: Der Farbton der Anbauteile muss<br />
absolut mit dem der Karosserie übereinstimmen – egal, ob der Untergrund<br />
aus Stahlblech, Aluminium oder Kunststoff besteht und egal, ob<br />
das Teil in Deutschland, den USA oder Südafrika hergestellt wird.“<br />
> Farbtöne exakt getroffen<br />
Eine elegante Lösung für das Antennendeckelproblem haben Aichholzer<br />
und seine Kollegen durch ein Bauteil mit so genannter Lackfolie gefunden:<br />
Die neuartige Antennenabdeckung besteht aus Kunststoff, erlaubt<br />
also ungestörten Funkempfang. Und die zu ihrer Herstellung entwickelte<br />
Lackfolientechnologie garantiert die erwünschte Farbtongleichheit mit<br />
der Karosserie und senkt spürbar die Herstellungskosten.<br />
Gewöhnlich werden Karosseriebauteile zunächst aus einem Werkstoff,<br />
etwa Stahlblech, geformt und anschließend auf der Außenseite<br />
lackiert. Bei dem neuen, etwa einen halben Quadratmeter großen Antennendeckel<br />
für die R-Klasse läuft dieser Prozess im Prinzip in umgekehrter<br />
Reihenfolge ab.
<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 Schwerpunkt > Lackfolien 43<br />
Ausgehärtet: Eine UV-Lampe fährt<br />
über ein dünnes Bauteil aus Lackfolie,<br />
das zuvor durch Tiefziehen seine<br />
endgültige Form als Dachelement<br />
erhielt und jetzt ausgehärtet wird.<br />
Eingebaut: Das Lackfolienbauteil<br />
dient als Antennendeckel im hinteren<br />
Dachbereich der R-Klasse (oben).<br />
Montagefertig: Ein Roboter fügt die in<br />
der Wagenfarbe ans Band gelieferten<br />
Antennendeckel ins Dach ein (rechts).<br />
Zuerst wird auf eine Kunststoff-<br />
Trägerfolie sowohl ein farbgebender<br />
Basislack als auch ein schützender<br />
Klarlack aufgetragen und in<br />
einem Umluftofen so erwärmt,<br />
dass die Lackschicht zwar physikalisch<br />
trocken und grifffest, aber<br />
noch nicht chemisch ausgehärtet<br />
ist. Dann kommt die beschichtete<br />
Folie in eine Tiefziehform und wird<br />
dort zur Außenhaut des Antennendeckels<br />
umgeformt, bevor der Lack<br />
unter einer Lampe mit ultraviolettem<br />
Licht (UV) aushärtet.<br />
Die nun starre Folienhaut hat<br />
zwar ihre endgültige dreidimensionale<br />
Form, muss aber noch mechanisch<br />
verstärkt werden, weil sie<br />
nur einen Millimeter dick ist. Dazu<br />
wird eine Fasermatte auf die Rückseite<br />
der Lackfolie gelegt und ein<br />
Kunststoffschaum aus Polyurethan<br />
(PUR) aufgespritzt. Durch abschließendes<br />
Pressen wird das Bauteil<br />
schließlich zum montagefertigen<br />
Dachelement.<br />
„Ein technologisch entscheidender<br />
Schritt bei diesem Prozess<br />
ist, dass das Trocknen und das >
44<br />
Aushärten des UV-Lacks in zwei getrennten Schritten erfolgen“, erläutert<br />
Walter Aichholzer, der das Projekt zuerst im <strong>Daimler</strong>Chrysler-Forschungszentrum<br />
Ulm und dann in der Produktions- und Werkstofftechnik (PWT) in<br />
Sindelfingen betreut hat. Dort kooperiert er eng mit seinen Kollegen Matthias<br />
Beyer aus der Entwicklung R-Klasse sowie Bernd-Uwe Kettemann,<br />
Lackexperte in der PWT.<br />
> Allen Anforderungen gewachsen<br />
Der von den <strong>Daimler</strong>Chrysler-Ingenieuren entwickelte Lackfoliendeckel<br />
hält jedem Vergleich mit konventionellen Antennendeckeln stand, die<br />
nasslackiert werden. „Eine der größten Herausforderungen war es, für<br />
alle Farben, die Mercedes-Benz für Serienfahrzeuge anbietet, exakt denselben<br />
Farbton zu treffen. Insbesondere bei so genannten Effektfarben<br />
fallen dem menschliche Auge ja schon kleinste Abweichungen auf“, berichtet<br />
Bernd-Uwe Kettemann. Doch inzwischen können die Spezialisten<br />
Lackfolien selbst in schwierigen Metallic-Farbtönen herstellen; möglich<br />
ist dies durch eine im Forschungszentrum Ulm entwickelte Lackauftragstechnik<br />
während der Folienbeschichtung.<br />
Das neuartige Dachelement erfüllt auch alle Anforderungen, die an die<br />
Außenhaut von Mercedes-Benz-Fahrzeugen gestellt werden, wie zum Beispiel<br />
die Chemikalienbeständigkeit, die Härte, das Wärmeausdehnungsverhalten<br />
oder die besondere Kratzfestigkeit des Lacks.<br />
Ein entscheidender Vorteil der Lackfolientechnik sind die geringeren<br />
Stückkosten gegenüber vergleichbaren, konventionell hergestellten Bauteilen.<br />
Falls man in Zukunft nicht nur Antennendeckel, sondern auch andere<br />
Außenbauteile mit Lackfolien beschichten würde, wäre sichergestellt,<br />
dass alle Teile absolut farbidentisch sind.<br />
So könnte ein einziger Hersteller die Lackfolie in einem gewünschten<br />
Farbton produzieren, auf eine große Rolle wickeln und an verschiedene<br />
Zulieferer in aller Welt verschicken. Diese schneiden sich Folienstücke zurecht,<br />
aus denen sie durch Tiefziehen, UV-Härten und Hinterspritzen beziehungsweise<br />
Hinterschäumen dann Bauteile herstellen, die zwar unterschiedlich<br />
in der Form, aber identisch in der Farbe sind.<br />
> Montagefertig ans Band<br />
Mit dem Antennendeckel für die R-Klasse haben Lackfolienbauteile zum<br />
ersten Mal Eingang in die Serienproduktion von Mercedes-Benz gefunden.<br />
Hersteller der Dachelemente ist eine spezialisierte Firma in Altbach<br />
nahe Stuttgart. Von dort werden die montagefertigen Antennendeckel in<br />
die USA verschifft, wo Werker nur noch eine Dichtung einlegen müssen.<br />
Abgerollt: Am Anfang der Beschichtungsanlage<br />
wird die thermoplastische<br />
Kunststofffolie abgerollt und<br />
läuft dann in die Maschine, in der die<br />
Farbe aufgewalzt wird (links).<br />
Aufmerksam: Der gesamte Beschichtungsprozess,<br />
der eine staubfreie<br />
Umgebung erfordert, wird von einem<br />
Steuerpult aus überwacht (unten).<br />
Durch die Lackfolientechnologie<br />
lassen<br />
sich Antennen und<br />
Sensoren zukünftig<br />
direkt in die Fahrzeugkarosserie<br />
integrieren<br />
Dann kommen die Teile an das<br />
Montageband im R-Klasse-Werk in<br />
Tuscaloosa, wo sie ein Roboter ins<br />
Fahrzeugdach einklebt. „Aus Kapazitätsgründen<br />
mussten wir uns<br />
beim Serienstart zunächst auf zwei<br />
Farbtöne beschränken“, berichtet<br />
Entwicklungsingenieur Matthias<br />
Beyer. Doch bei der Zulieferfirma<br />
entsteht derzeit eine Großserienanlage,<br />
sodass bis Ende des Jahres<br />
die Antennendeckel der R- und<br />
auch der M-Klasse in allen Farben<br />
produziert werden können.<br />
> Bauteil-Integration<br />
Für die Forscher und Entwickler ist<br />
das Thema damit aber nicht abgehakt.<br />
Sie denken schon weiter und<br />
wollen zukünftig möglichst viele<br />
Kunststoffbauteile mit der innovativen<br />
Folie herstellen. Gedacht ist<br />
zum Beispiel an seitliche Pkw-<br />
Schweller, an so genannte Windleitteile<br />
bei Lkw und mittelfristig an<br />
komplette Heckdeckel.<br />
Jan Krüger, der sich als Leiter<br />
des Teams „Functional Integration<br />
and Modularization“ der <strong>Daimler</strong>-<br />
Chrysler-Konzernforschung mit<br />
diesem Thema beschäftigt, wirft<br />
sogar einen Blick in die weitere Zukunft:<br />
„Mit der Lackfolientechnologie<br />
ist eine neue Bauweise entstanden,<br />
die zukünftig neue Wege bei<br />
der Integration von Funktionen in<br />
der Außenhaut ermöglicht. Ein Beispiel<br />
ist die Integration von Antennen<br />
oder Sensoren direkt in ein Außenhaut-Bauteil.“<br />
>
S.44<br />
Anzeige
46<br />
„So genau wie nötig und so weit wie möglich“<br />
Simulierte Toleranz<br />
Ohne Toleranz geht nichts. Das gilt nicht nur für das Zusammenleben<br />
von Menschen. Für Motoren und Maschinen müssen Konstrukteure<br />
gewisse Spielräume festlegen, die sicherstellen, dass<br />
sämtliche Bauteile zuverlässig funktionieren und wirtschaftlich zu<br />
fertigen sind. Forscher und Entwickler von <strong>Daimler</strong>Chrysler untersuchen,<br />
wie sich technische Toleranzen für den Motor und den<br />
Antriebsstrang optimal gestalten lassen.<br />
Eigentlich sollte man als Autokäufer ja erstaunt sein. Erstaunt darüber,<br />
dass bei einem Neuwagen trotz Tausender Bauteile und Produktionsschritte<br />
alles millimetergenau passt und sich zum Beispiel<br />
Türen und der Kofferraumdeckel mühelos schließen lassen –<br />
obwohl fast jedes Karosserieteil minimal von den idealen Maßen der Konstruktionspläne<br />
abweicht. Das beginnt beim Stanzen von Stahlblechen<br />
und reicht über deren Umformen bis zum Zusammenschweißen zu einzelnen<br />
Baugruppen wie etwa Längsträgern. Auch im Karosseriebau und in<br />
der Endmontage ergeben sich gegenüber dem „Idealfahrzeug“ kleinste<br />
Unterschiede. An einer Stelle ist es vielleicht die Heckklappe, die um<br />
einen Millimeter breiter ausfällt als geplant; woanders hat sich ein Scharnier<br />
beim Festschrauben leicht verdreht. Angesichts dessen kann bei Laien<br />
das Gefühl aufkommen, die Abweichungen würden zu Mängeln führen.<br />
Doch dem ist bekanntlich nicht so. Dass Heckklappen, Seitentüren<br />
und Motorhauben trotz gewisser Abweichungen exakt schließen, hat seinen<br />
guten Grund: Fahrzeugkonstrukteure legen zulässige Bauteilabweichungen<br />
von Anfang an so fest, dass die jeweiligen Funktionen gewährleistet<br />
bleiben – gestehen ihnen also eine Toleranz zu.<br />
„Toleranzen legen die zulässigen Abweichungen vom Nennmaß fest,<br />
und solange sie eingehalten werden, funktionieren die einzelnen Systeme<br />
wie geplant“, erläutert Christian Glöggler von der Abteilung Product and<br />
Production Modeling der <strong>Daimler</strong>Chrysler-Konzernforschung in Ulm. „Die<br />
Herausforderung besteht darin, alle Toleranzen im Blick zu haben und ihr<br />
Zusammenspiel sinnvoll zu planen. Das heißt, wir betrachten nicht nur die<br />
von Konstrukteuren für jedes Bauteil und jeden Kontaktpunkt vorgegebenen<br />
Toleranzmaße, sondern die gesamte Maßkette und gleichen dann die<br />
von uns berechneten Ergebnisse mit Messwerten aus der Praxis ab.“<br />
Toleranzplanung ist im Karosseriebau von <strong>Daimler</strong>Chrysler schon seit<br />
Jahren fest etabliert; für jede neue Baureihe gibt es dafür eine spezielle<br />
Arbeitsgruppe. Vor einiger Zeit hat im Forschungszentrum Ulm ein Team<br />
Statistik mit dem Stirnrad: Misst man<br />
bei 1000 Motoren stets die gleiche<br />
Kontaktstelle zwischen Zahnrad und<br />
Welle, erhält man 1000 unterschiedliche<br />
Messwerte – egal, ob es sich dabei<br />
um einen realen oder virtuellen<br />
Motor handelt. Die Daten ergeben eine<br />
statistische Verteilungskurve, deren<br />
unterschiedlicher Verlauf den Konstrukteuren<br />
wichtige Hinweise liefert.<br />
um Glögglers Chef Robert Winterstein<br />
begonnen, die im Karosseriebau<br />
gesammelten Kenntnisse auf<br />
den Antriebsstrang zu übertragen.<br />
„Ziel unserer anwendungsbezogenen<br />
Forschung ist es, die Qualität<br />
zu steigern, früh einen hohen<br />
Reifegrad zu erreichen und dabei<br />
Kosten zu senken. Deshalb unterstützen<br />
wir seitens der Konzernforschung<br />
den Bereich Antriebsstrang<br />
der Mercedes Car Group sowie<br />
der Nutzfahrzeugsparte und<br />
wollen herausfinden, an welchen<br />
Toleranzen es sich lohnt zu drehen<br />
und welche aufgrund des geringen<br />
Einflusses hinten angestellt werden.<br />
Dazu untersuchen wir mit Toleranzanalysen<br />
den Produktentstehungsprozess<br />
von den CAD-Daten<br />
bis zur Herstellung von Serienteilen“,<br />
erläutert Winterstein, dessen<br />
Abteilung von Fahrzeugentwicklern<br />
bei bestimmten Fragen schon<br />
sehr früh zu Rate gezogen wird.<br />
So wollten zum Beispiel Konstrukteure<br />
wissen, wie tief sie bei<br />
einem zukünftigen Motor die so genannten<br />
Ventiltaschen im Kolbenboden<br />
auslegen sollten. Hinter-
<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 > Antriebsstrang 47<br />
Einblick in das Ausgleichsgetriebe:<br />
Die Softwaretools zur Toleranzanalyse<br />
erlauben es, die an jeder Kontaktstelle<br />
herrschenden Bedingungen zu untersuchen<br />
und bildhaft darzustellen.<br />
So werden zum Beispiel an den schräg<br />
verzahnten Zahnrädern die Flanken<br />
der ineinandergreifenden Zähne<br />
in unterschiedlichen Farben codiert.<br />
grund der Frage ist der zukünftige<br />
Abgasstandard Euro 5, der sehr<br />
niedrige Emissionsgrenzwerte vorsieht.<br />
Um diese zu unterschreiten,<br />
streben die Motorenentwickler eine<br />
entsprechende Verdichtung an.<br />
Diese wiederum verlangt einen<br />
möglichst geringen Abstand zwischen<br />
den Ventilen und den Kolben<br />
im oberen Totpunkt. Da es hier auf<br />
jeden Zehntelmillimeter ankommt,<br />
muss zugleich sichergestellt sein,<br />
dass der Kolbenboden nie gegen<br />
die Ventile schlägt. Verhindern<br />
lässt sich dies durch Ventiltaschen,<br />
also in den Kolbenboden eingefräste<br />
Vertiefungen, in welche die<br />
Ventilteller eintauchen können.<br />
Für die Spezialisten in Sachen<br />
Toleranzplanung stellten sich damit<br />
folgende Fragen: Reichen die<br />
von den Motorkonstrukteuren festgelegten<br />
Toleranzen aus? Wie tief<br />
müssen die Ventiltaschen tatsächlich<br />
sein, damit die Motoren sicher<br />
und schadstoffarm laufen?<br />
Je mehr Fragen dieser Art in einem<br />
frühen Stadium beantwortet<br />
werden, umso geringer ist der Zeit-<br />
Die Toleranzanalyse<br />
erstreckt sich auf den<br />
gesamten Prozess von<br />
den CAD-Daten bis<br />
zum fertigen Serienteil<br />
Klärung benötigt wird. „Ein Fehler, der mittels Toleranzanalyse schon in<br />
der Entwicklungsphase behoben wird, schlägt nur mit einem Betrag X zu<br />
Buche. Entdeckt und beseitigt man diesen Fehler erst bei einem Prototyp<br />
kann es schon das Hundertfache, im Stadium der Vorserie sogar das Tausendfache<br />
kosten“, berichtet Stephan Watrin, der sich zusammen mit<br />
Christian Glöggler intensiv mit Softwaretools zur Toleranzanalyse beschäftigt.<br />
Dazu benutzen die beiden Forscher und ihre Kollegen verschiedene<br />
Toleranzsimulationsprogramme, die in das mächtige Softwarepaket<br />
Catia V5 integriert sind, das <strong>Daimler</strong>Chrysler und andere Fahrzeughersteller<br />
als Standardprogramm für die Konstruktion einsetzen.<br />
> Sechs Freiheitsgrade für jede Kontaktstelle<br />
Um die Frage nach der „sicheren“ Tiefe der virtuellen Ventiltaschen zu beantworten,<br />
werden mit dem Softwaretool sowohl für den Ventil- als auch<br />
für den Kurbeltrieb alle Kontaktstellen und -bedingungen festgelegt, bei<br />
denen zwei Bauteile aufeinander treffen. Für jede Kontaktstelle erfassen<br />
die Forscher die von den Konstrukteuren vorgesehenen Toleranzwerte.<br />
„Dabei arbeiten wir mit jeweils sechs Freiheitsgraden; drei für die Raumkoordinaten<br />
in Hoch-, Längs- und Querrichtung sowie drei, die sich aus<br />
der Rotation um diese Achsen ergeben“, erläutert Watrin.<br />
Dass dabei große Datenmengen anfallen, wird schnell klar, wenn man<br />
den Ventil- und den Kurbeltrieb im Detail betrachtet und alle der bis zu<br />
300 Kontaktstellen berücksichtigt. Zum Ventiltrieb gehören unter anderem<br />
das auf der Kurbelwelle sitzende Kettenrad und die Steuerkette beziehungsweise<br />
die Zahnräder für den Antrieb der Nockenwelle sowie Stößel,<br />
Kipphebel, Ventilfedern und Ventile. Der Antrieb für die Kolben verläuft<br />
von der Kurbelwelle über die Pleuel und Kolbenbolzen zum Kolben.<br />
Dies ist freilich nur eine vereinfachte Beschreibung. Für Glöggler und<br />
Watrin stellt sich das Erfassen aller Kontaktbedingungen wesentlich<br />
schwieriger dar. So müssen sie zum Beispiel berücksichtigen, dass<br />
und Kostenaufwand, der zu deren >
48<br />
sich zwischen der Kurbelwelle und<br />
den Pleueln Lagerschalen befinden,<br />
deren Toleranzen ebenfalls in<br />
die Gesamtanalyse einfließen. Beachtet<br />
werden müssen auch die<br />
Kurbelwellenlager, deren Toleranzverhalten<br />
die Position der Kurbelwelle<br />
im Motorblock bestimmt.<br />
> Monte-Carlo-Simulation<br />
Sind alle Kontaktbedingungen mit<br />
der Software erfasst, erfolgt die<br />
abschließende Gesamtbewertung<br />
aller Toleranzen, die sich zum gesuchten<br />
Abstand zwischen Kolben<br />
und Ventilen summieren. Allerdings<br />
handelt es sich dabei nicht<br />
einfach um das simple Zusammenzählen<br />
aller einzelnen Toleranzwerte,<br />
die auf hunderttausendstel Millimeter<br />
genau berechnet sind. „Wir<br />
führen vielmehr mit Hilfe so genannter<br />
Monte-Carlo-Simulationen<br />
eine statistische Betrachtung der<br />
Toleranzverteilung bei Tausenden<br />
von virtuellen Motoren durch; dies<br />
liefert realitätsnahe und belastbare<br />
Ergebnisse“, erläutert Watrin.<br />
Bei einer Monte-Carlo-Simulation<br />
an einem virtuellen Motor<br />
greift das Softwaretool per Zufallsauswahl<br />
für jede der Kontaktstellen<br />
einen möglichen Zahlenwert<br />
aus dem vom Konstrukteur zuge-<br />
Ventiltrieb: Auch beim Berechnen der<br />
optimalen Ein- und Auslässe in den<br />
Zylinderraum hat sich die Toleranzanalyse<br />
bewährt. So lässt sich mit ihr<br />
schon in der Konstruktionsphase<br />
eines Motors die notwendige Tiefe der<br />
zukünftigen Ventiltaschen festlegen.<br />
Kurbeltrieb: Für das perfekte Zusammenspiel<br />
zwischen Kolben, Pleuel und<br />
Kurbelwelle müssen zahlreiche Toleranzwerte<br />
definiert werden. Ob diese<br />
Spielräume zu weit oder zu eng fest–<br />
gelegt sind, zeigt die Toleranzanalyse.<br />
lassenen Toleranzspektrum heraus und registriert die jeweilige Abweichung<br />
vom geplanten Nennmaß. Dieses Software-Roulette spielt der<br />
Rechner für alle relevanten Kontaktstellen des virtuellen Motors durch<br />
und ermittelt so den für diesen Motor gültigen Minimalabstand zwischen<br />
den Kolben im oberen Totpunkt und den Ventilen.<br />
„Wiederholt man diese Berechnung an 1000 virtuellen Motoren, ergibt<br />
sich aus den 1000 Abstandswerten eine bestimmte Verteilungskurve.<br />
Diese kann eine so genannte Gauß’sche Normalverteilung ergeben, also<br />
eine typische Glockenkurve. Manchmal entstehen jedoch auch linksoder<br />
rechtsschiefe Kurven“, erklärt Christian Glöggler. Dieses Vorgehen<br />
entspricht der Realität – auch bei 1000 echten Motoren würde man beim<br />
genauen Nachmessen eine ähnliche Häufigkeitsverteilung der Messungen<br />
zwischen Kolben und Ventilen feststellen.<br />
Den Toleranzanalysten liefert die berechnete Verteilungskurve zahlreiche<br />
Hinweise. So können sie den Konstrukteuren genaue Angaben zur<br />
notwendigen Tiefe der Ventiltaschen machen, um sicherzustellen, dass<br />
die künftigen Motoren sämtlichen Alltagsanforderungen gewachsen sind.<br />
Zudem trägt ein Abgleich von Simulationskurven mit realen Messwerten<br />
dazu bei, kritische Punkte in der Konstruktion aufzuspüren und zu verbessern.<br />
Drittens zeigt das Softwaretool an, welche Toleranz welchen Einfluss<br />
auf die Qualität der Messung hat. Außer statistischen Kennwerten<br />
gibt das Tool die Toleranzen aus, die den jeweils größten Einfluss haben.<br />
> Zu enge Toleranzen sind teure Toleranzen<br />
Beim Festlegen von minimal und maximal zulässigen Abweichungen müssen<br />
Konstrukteure darauf achten, dass die Bauteile wirtschaftlich herzustellen<br />
sind. Je genauer ein reales Bauteil dem Nennmaß entsprechen<br />
soll, umso höher fallen die Herstellungskosten aufgrund zusätzlicher beziehungsweise<br />
genauerer Fertigungsschritte aus. Toleranzen, die zu eng<br />
gewählt sind, also sehr nah am Nennmaß liegen, sind teure Toleranzen.<br />
Werden sie andererseits zu weit gewählt, sinken zwar die Herstellungskosten,<br />
aber es kann passieren, dass sich dann zwei Bauteile nicht<br />
mehr montieren lassen. Fällt zum Beispiel der Durchmesser einer Welle<br />
wegen zu hoher Toleranzwerte zu groß aus, passt sie nicht mehr in die vor-
<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 > Antriebsstrang 49<br />
Zusammenspiel der Zahnräder: Um<br />
ein Getriebe – hier der Innenteil eines<br />
Ausgleichsgetriebes – zu optimieren,<br />
betrachten die Forscher zunächst die<br />
so genannten Winkelabweichungen<br />
zwischen zwei Zahnrädern. Diese<br />
Erkenntnisse übetragen sie dann auf<br />
das ganze Getriebe, um dessen Spiel<br />
möglichst klein zu halten.<br />
gesehene Öffnung eines Lagers. „Einer der Leitsätze lautet daher: So genau<br />
wie nötig und so weit wie möglich“, umschreibt Stephan Watrin den<br />
Balanceakt der Toleranzplaner.<br />
Die Abteilung von Robert Winterstein beschäftigt sich in Ulm aber<br />
nicht nur mit dem Toleranzverhalten von Ventilantrieben. Die Forscher<br />
analysierten bei Verbrennungsmotoren auch schon das Kompressionsvolumen,<br />
weil dieses einen großen Einfluss auf die Verbrennung und damit<br />
den CO 2 -Ausstoß hat. Die Frage dabei lautete: Was verursacht die<br />
Streuung des Verdichtungsverhältnisses? Welchen Anteil daran haben die<br />
konstruktiv festgelegten Toleranzen und welchen Beitrag liefern die in der<br />
Montage auftretenden Abweichungen? „Je weniger das Verdichtungsverhältnis<br />
streut, umso genauer lässt sich die Verbrennung steuern und<br />
umso bessere Abgaswerte sind zu erreichen“, erläutert Glöggler.<br />
Abgase standen auch im Mittelpunkt eines Projekts für den Nutzfahrzeugbereich.<br />
Dabei untersuchten die Toleranzplaner, wie eine Anlage zur<br />
Abgasrückführung am besten mit einem Truck-Motor verschraubt wird.<br />
Ein anderer Forschungsschwerpunkt sind derzeit Zylinderköpfe. Dabei<br />
geht es um die Frage, welche Flächen bei der Fertigung des Zylinderkopfs<br />
besonders „anfällig“ für eventuelle Geometrieabweichungen sind. Dazu<br />
muss der gesamte Fertigungsprozess, in diesem Fall der so genannte Kokillenguss,<br />
unter die Lupe genommen werden. Einen wichtigen Aspekt bildet<br />
dabei die so genannte Sandform. Diese wird vor dem Gießen in die Kokille<br />
eingelegt, um die „Freiräume“ im Zylinderkopf (zum Beispiel für Wasserkanäle)<br />
zu erhalten. Sie besteht aus mehreren Einzelformen oder<br />
Sandkernen, die zu einem Paket ineinander gesteckt werden. „Aufgrund<br />
des Herstellungsprozesses unterliegen diese Sandkernpakete vergleichsweise<br />
großen Schwankungen, die sich auf die Geometrie der Abgüsse<br />
auswirken“, erläutert Ralf Voß, der das Thema in Glögglers Team bearbeitet.<br />
Zudem wirkt sich auch der Zusammenbau der Sandkerne zu einem<br />
Paket auf die Geometrieabweichungen aus. Beide Effekte untersuchen<br />
die Forscher und vergleichen sie mit realen Messwerten von Abgüssen.<br />
Ein weiterer Schwerpunkt des Toleranzmanagements liegt im Bereich<br />
Getriebe und Achsen. „Ein Ziel dabei ist es, das Getriebespiel möglichst<br />
klein zu halten“, berichtet Stephan Watrin. Welche Effekte das Zu-<br />
Eine Toleranzanalyse<br />
der Streuung des Verdichtungsverhältnisses<br />
kann sogar die Abgaswerte<br />
verbessern<br />
sammenspiel von Zahnrädern haben<br />
kann, ist auch für Laien nicht<br />
zu überhören. Das Klickgeräusch<br />
beim Einlegen des Rückwärtsgangs<br />
entsteht durch das unterschiedliche<br />
Ineinandergreifen der<br />
Zahnräder innerhalb des jeweils<br />
festgelegten Toleranzbereichs.<br />
> Optimierte Getriebe<br />
Auch hier haben die Forscher ein<br />
weites Betätigungsfeld vor sich, da<br />
es die unterschiedlichsten Paarungen<br />
gibt zwischen großen und kleinen,<br />
schräg- oder geradeverzahnten<br />
Stirn-, Kegel- und Tellerrädern.<br />
Im Rahmen von Toleranzanalysen,<br />
die vor allem für Nutzfahrzeuge<br />
durchgeführt werden, betrachten<br />
die Ingenieure zunächst die „Winkelabweichungen“<br />
beim Zusammenspiel<br />
zweier Zahnräder. Diese<br />
Erkenntnisse werden dann auf<br />
komplette Getriebe übertragen.<br />
Neben dem konkreten Ziel, die<br />
Schaltvorgänge im Getriebe weiter<br />
zu optimieren, verfolgt Robert Wintersteins<br />
Abteilung auch eine Vision.<br />
„Diese“, erläutert Christian<br />
Glöggler, „liegt zwar in weiter Ferne,<br />
aber durch Toleranzmanagement<br />
die Geräuschentwicklung im<br />
Getriebe zu verringern, ist schon<br />
eine Verlockung.“>
50<br />
Gute Sicht auf den Verkehr ist das A und O beim Autofahren. Behindern<br />
etwa zu breite A- oder B-Säulen die Sicht des Fahrers, kann es<br />
rasch gefährlich werden. Spezialisten für Virtuelle Realität innerhalb<br />
der <strong>Daimler</strong>Chrysler-Forschung haben nun ein Visualisierungsverfahren<br />
entwickelt, das realistische Sichtfelduntersuchungen ermöglicht,<br />
bevor ein neues Fahrzeugmodell überhaupt existiert.<br />
Als Autoverkäufer wären<br />
Bettina Westerburg und<br />
Ralf Specht Fehlbesetzungen:<br />
Das Modell, für<br />
das sich der Besucher interessiert,<br />
wird in der gezeigten Form nicht<br />
gebaut werden, bescheiden die<br />
beiden <strong>Daimler</strong>Chrysler-Forscher<br />
den Kunden in spe. Das andere<br />
Fahrzeug, ein bildschöner Roadster,<br />
von dessen Fahrersitz aus der<br />
Besucher spontan beschlossen<br />
hat, die Straße zu erobern, würde<br />
seinen Verkaufsstart erst in gut<br />
drei Jahren erleben. Ehrlich gesagt,<br />
so gesteht das Spezialisten-Duo<br />
für virtuelle und gemischte Realität,<br />
gäbe es davon derzeit noch<br />
nicht einmal einen fahrfähigen Prototypen,<br />
sondern lediglich Designmodelle.<br />
Der Blick zur Seite offenbart<br />
dem Besucher, dass er auf das<br />
automobile Pendant eines Potemkinschen<br />
Dorfes schaut: Kurz hinter<br />
dem Außenspiegel bricht der<br />
elegante Roadster jäh ab – geradeso<br />
als säße man im Freien.<br />
Tatsächlich befindet sich der<br />
Besucher mitten in der würfelförmigen<br />
CAVE, einer Hightech-Videohöhle,<br />
in der man viel erleben<br />
kann. Nur eines sollte man dabei<br />
nicht – seinen Augen trauen. Die<br />
fünf Flächen der CAVE sind Projektionswände,<br />
die dem Betrachter eine<br />
räumliche Umgebungsszenerie<br />
vorspiegeln – und zwar im wörtlichen<br />
wie im übertragenen Sinn.<br />
So wähnt sich der Besucher gerade<br />
in der Linkskurve einer Serpentinenstrecke.<br />
Nur das Herbstlaub<br />
an den Bäumen entlang der<br />
Strecke signalisiert seinem getäuschten<br />
Hirn, dass diese Fahrt<br />
nicht wirklich stattfindet, hat er<br />
doch auf dem Weg hierher gerade<br />
die ersten Frühlingsblumen ent-<br />
deckt. Dabei wirkt alles so echt:<br />
Das Armaturenbrett mit dem Kombiinstrument,<br />
die Sonnenblenden,<br />
die A-Säule zwischen Windschutzund<br />
Seitenscheibe sind deutlich zu<br />
erkennen – es fehlt noch nicht einmal<br />
der Schmutzfilm auf jenen Bereichen<br />
der Frontscheibe, die der<br />
Scheibenwischer nicht erfasst und<br />
die daher nur einen getrübten Blick<br />
nach draußen erlauben.<br />
Das ist genau, was die beiden<br />
Ingenieure mit dem Projekt „Videobasierte<br />
Ergonomieuntersuchung“<br />
beabsichtigen. Es geht darum,<br />
Sichtfelduntersuchungen zu einem<br />
möglichst frühen Zeitpunkt der<br />
Fahrzeugentwicklung unter realen<br />
Bedingungen zu ermöglichen. In<br />
solchen Tests untersucht man Fragen<br />
wie: Ist die A-Säule schlank genug,<br />
um nicht beim Linksabbiegen<br />
einen wichtigen Bereich zu verdecken?<br />
Wie unterscheiden sich zwei<br />
Design-Varianten hinsichtlich der<br />
Sichtbeschränkungen in diversen<br />
Verkehrssituationen?<br />
> Frühere Ergonomieprüfung<br />
Diese Fragen stellen Fahrzeugentwickler<br />
nicht erst seit gestern. Und<br />
zu jeder Modellentwicklung gehören<br />
ergonomische Bewertungen<br />
freiwilliger Probanden, etwa zur<br />
Bedienbarkeit von Schaltern und<br />
Hebeln, zum Raumgefühl im Fahrzeug<br />
und eben auch in puncto<br />
Sichtqualität nach vorne, zur Seite<br />
oder nach hinten. Das Problem dabei:<br />
Dazu benötigt man einen realen<br />
Prototypen. „Dieser wird jedoch<br />
erst verhältnismäßig spät innerhalb<br />
des Entwicklungsprozesses<br />
gebaut. Stellt man dann Mängel<br />
bei der Sichtbewertung fest, ist<br />
es für konstruktive Korrekturen<br />
meist schon zu spät, oder aber >
<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 > Videoergonomie 51<br />
Die Stunde des Würfels<br />
Virtuelle Sichtfelduntersuchungen<br />
Von außen betrachtet umfasst die Szenerie<br />
In der CAVE (links) drei „Schichten“:<br />
Da ist zunächst die reale Versuchsperson;<br />
sie sieht das räumliche<br />
Videobild einer Verkehrsszene; dem<br />
Projektionsbild überlagert sind die<br />
Konstruktionsdaten der Fahrzeuggeometrie.<br />
Trackingsensoren an der<br />
Spezialbrille der Betrachterin (unten)<br />
sorgen dafür, dass der Rechner ihr immer<br />
die korrekte Perspektive liefert.<br />
Per Touchscreen (oben) neben der<br />
Sitzkiste kann sich die Versuchsperson<br />
sowohl unterschiedliche Verkehrssituationen<br />
vom Rechner zuspielen<br />
lassen als auch diverse Varianten<br />
von A-Säulen aufrufen. Im direkten<br />
Vergleich kann sie so die Auswirkung<br />
auf die Sichtverhältnisse durch unterschiedliche<br />
konstruktive Lösungen<br />
sehr anschaulich beurteilen.
52<br />
> Das Ringen um die beste A-Säule<br />
An einem Bauteil wie der A-Säule eines Fahrzeugs lässt sich verdeutlichen, wie wichtig<br />
es bei der Fahrzeugentwicklung ist, unterschiedliche und sogar gegenläufige Anforderungen<br />
unter einen Hut zu bekommen. An diesem scheinbar simplen Bauteil „zerren“ viele<br />
Personen, die an der Entwicklung eines neuen Fahrzeugmodells beteiligt sind.<br />
Design und Sicherheit<br />
Der Designer wünscht sich aus ästhetischen Überlegungen heraus vielleicht eine möglichst<br />
flache Neigung und schlanke Gestaltung des Stahlelements. Der Ingenieur, dessen<br />
Aufgabe es ist, immer mehr Kabel unsichtbar durch den Innenraum zu führen, bevorzugt<br />
dagegen ebenso wie seine Kollegin, die mit Aspekten der passiven Sicherheit befasst ist,<br />
eine möglichst dicke A-Säule, in der eventuell sogar ein Airbag Platz finden muss.<br />
Leichtbau und Fertigungstechnik<br />
Ingenieure, deren Job es ist, mithilfe von Leichtbauprinzipien Material und damit Gewicht<br />
einzusparen, wünschen sich dagegen eine möglichst filigrane Struktur. Diese ruft eventuell<br />
die Fertigungstechniker auf den Plan, die mit spitzem Griffel die Kosten für den<br />
Werkzeugbau und für die Herstellung des Werkstücks durchrechnen. Der Produktionsplaner<br />
muss überprüfen, ob die Zangen des Schweißroboters alle Arbeitspunkte erreichen,<br />
und der Service-Spezialist achtet darauf, dass sich die Windschutzscheibe im Fall<br />
des Falles möglichst einfach austauschen lässt.<br />
Gute Sicht für große und für kleine Personen<br />
Ergonomen haben bei diesem Fahrzeugelement vor allem die Einschränkungen der Sicht<br />
aus Fahrerperspektive im Blick. Diese lassen sich videoergonomisch nun standardisiert<br />
– und zwar an identischen Verkehrssituationen – untersuchen. Ein weiterer Vorteil ist:<br />
Designvarianten kann man – beispielsweise im Standbildmodus – direkt miteinander<br />
vergleichen.<br />
Sehr beeindruckend lässt sich mit diesem Verfahren die Wirkung der Körpergröße auf<br />
die Sichtverhältnisse im Fahrzeug demonstrieren. Durch einen rechnerischen Perspektivwechsel<br />
kann man auch einem durchschnittlich großen Menschen einen sehr anschaulichen<br />
Einblick davon vermitteln, welchen Blick besonders große oder kleine Menschen<br />
durch Front- und Seitenscheibe hätten.<br />
Sichtverhältnisse als Kriterium im Euro NCAP-Standard<br />
In Zukunft wird solchen Sichtfelduntersuchungen noch eine größere Bedeutung zukommen.<br />
So ist geplant, die Qualität der Sichtverhältnisse in neuen Fahrzeugmodellen in die<br />
Sicherheitsbewertung des Euro NCAP-Standards einfließen zu lassen.<br />
Erst beim Aufbau der Sitzkiste (links)<br />
für den Versuch wird deutlich, was in<br />
der CAVE Realität ist und was nur „vorgespiegelt“<br />
wird. Im Versuch (unten)<br />
wird der Betrachterin zusätzlich zur<br />
Filmszene das Fahrzeug eingespiegelt.<br />
Das Bildquartett zeigt im Standbild<br />
den direkten Vergleich der Sichtverhältnisse<br />
bei vier unterschiedlichen<br />
Konstruktionsvarianten der A-Säule.
<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 > Videoergonomie 53<br />
Ein Lotus Super Seven (oben) dient als<br />
Kamerawagen für die Szenen, die in<br />
den videoergonomischen Tests für<br />
zwei Roadster-Modelle von Mercedes-<br />
Benz zum Einsatz kommen. Der helle<br />
Zylinder am Dachgestell markiert die<br />
Position der Spezialkamera (links).<br />
die erforderlichen Änderungen verursachen<br />
hohe Kosten“, erklärt<br />
Bettina Westerburg das Dilemma.<br />
Also suchte die VR-Spezialistin<br />
gemeinsam mit ihrem Kollegen<br />
Ralf Specht und im Auftrag der Entwicklungskollegen<br />
aus dem Transporterbereich<br />
nach einer Lösung,<br />
dank derer sich Sichtfelduntersuchungen<br />
in eine frühere Entwicklungsphase<br />
vorverlegen lassen.<br />
Die Idee: Die Konstruktionsdaten<br />
der Fahrzeuggeometrie – also<br />
Position, Breite, Form, Neigung<br />
und Höhe der A-Säule – liegen lange<br />
fest, bevor der erste Prototyp<br />
gebaut wird. Das räumliche Bild<br />
des Fahrzeugs lässt sich daher mittels<br />
VR-Technik in einer CAVE realitätsnah<br />
vor Augen führen. Was<br />
man noch braucht, ist die Außenwelt<br />
– nämlich reale Verkehrssituationen,<br />
in denen es darauf ankommt,<br />
eine gute Sicht nach vorne<br />
und zur Seite zu haben.<br />
Solche Szenen filmte das Team<br />
mit einer Kamera, die selbst<br />
George Lucas’ Trick-Spezialisten<br />
einen neidischen Blick abverlangt<br />
hätte: eine Videokamera mit sechs<br />
Optiken, die einen räumlichen 360-<br />
Grad-Rundumblick liefert.<br />
Als Kamerawagen diente dem<br />
Ulmer Forscher-Team ein CLK-Coupé<br />
von Mercedes-Benz: Auf dem<br />
Dach über dem Fahrersitz montiert,<br />
so fand man heraus, befindet<br />
sich die Kamera exakt in der Augenposition<br />
des Fahrers in einem<br />
Vito-Transporter, um dessen Sichtfelduntersuchungen<br />
es in diesem<br />
Pilotprojekt gehen sollte. Zudem –<br />
als zweite wichtige Bedingung –<br />
wies der CLK fast den identischen<br />
Radstand wie das Transportermodell<br />
auf. Die gefilmten Fahrszenen<br />
zeigen daher die Fahrzeugumgebung<br />
genau so, wie man sie in einem<br />
realen Vito erlebt.<br />
> Die Kugel zum Würfel verzerrt<br />
Doch vor der „Filmpremiere“ in der<br />
CAVE des Sindelfinger VR-Zentrums<br />
musste das Forscherteam<br />
eine knifflige Aufgabe lösen –<br />
gleichsam die Quadratur des Krei-<br />
ses, oder genauer gesagt die Umwandlung<br />
der Kugel in einen Würfel.<br />
Schließlich verfügt die CAVE<br />
über bis zu fünf ansteuerbare, plane<br />
Projektionsflächen. Die 360-<br />
Grad-Kamera liefert jedoch ein<br />
räumliches Kugelbild.<br />
„Es war extrem aufwendig“, erläutert<br />
Ralf Specht, „das Bild würfelgerecht<br />
zu verzerren.“ Denn in<br />
der CAVE müssen Objekte, die sich<br />
über zwei oder sogar drei Kanten<br />
des Projektionswürfels erstrecken<br />
können – zum Beispiel große Häuser<br />
am Straßenrand –, dem Betrachter<br />
perspektivisch korrekt<br />
dargestellt werden. Doch inzwischen<br />
steht den Transporter-Entwicklern<br />
eine sehr realistische<br />
„3D-Videothek“ mit rund zehn<br />
Filmsequenzen von bis zu mehreren<br />
Minuten Länge zur Verfügung.<br />
> Casting für den Roadster<br />
Und wie in Hollywoods Filmwelt ist<br />
auch für Ralf Specht und Bettina<br />
Westerburg der Erfolg – ihr Einsatz<br />
bescherte ihnen unter anderem<br />
eine Innovationsauszeichnung des<br />
Transporter-Bereichs – der beste<br />
Garant für ein Nachfolgeprojekt.<br />
Für die Pkw-Entwickler der Mercedes<br />
Car Group drehen die beiden<br />
Forscher im Moment Filmsequenzen,<br />
die in videoergonomischen<br />
Sichtfelduntersuchungen für zwei<br />
geplante Roadster-Modelle zum<br />
Einsatz kommen sollen.<br />
Nicht ganz einfach war in diesem<br />
Fall das „Casting“ für den passenden<br />
Kamerawagen: Die tiefe<br />
Augenposition in einem Roadster<br />
ist weder von einem Limousinennoch<br />
von einem Coupé-Dach aus<br />
zu erreichen, und ein Go-Kart<br />
scheidet wegen des zu kurzen Radstands<br />
aus.<br />
Doch schmunzelnd zeigt Ralf<br />
Specht in Richtung Nebenraum,<br />
wo sich eine automobile Flunder<br />
mit Dachträger an den Boden<br />
duckt: Ein Sportwagen des Typs<br />
Lotus Super Seven wird die Ehre<br />
haben, für die richtige Augenposition<br />
der Kamera à la Mercedes-<br />
Benz-Roadster zu sorgen.<br />
>
54<br />
So von Auto zu Auto<br />
Vor lokalen Gefahren ohne Zeitverzug warnen<br />
Spontane und flexible WLAN-Funknetze erlauben es, selbst weiter<br />
entfernte Verkehrsteilnehmer vor einer plötzlichen Gefahr zu warnen.<br />
Das haben Forscher von <strong>Daimler</strong>Chrysler im Rahmen des Projekts<br />
WILLWARN gezeigt und erprobt. Der Datenaustausch liefert<br />
zudem flächendeckende Informationen über die aktuelle Verkehrslage<br />
– eine Voraussetzung, um durch Steuerung des Verkehrsflusses<br />
Staus und damit Zeitverluste und Emissionen zu vermeiden.<br />
Es ist erstaunlich, was ein Auto so alles en passant „wahrnimmt“.<br />
Zum Beispiel, dass es gerade heftig regnet. Das verrät ihm der Regensensor.<br />
Das Auto bekommt zudem mit, dass es bereits dunkel<br />
ist und dabei ziemlich nebelig sein muss – die Borduhr zeigt 19:24<br />
Uhr an einem Wintertag, und nicht nur das normale Fahrlicht, sondern<br />
auch Nebelscheinwerfer und sogar die Nebelschlussleuchte sind eingeschaltet.<br />
Da bekommt das Auto vom Außenthermometer eine alarmierende<br />
Information „zugespielt“: Die Außentemperatur nähert sich dem Nullpunkt<br />
– es droht jeden Moment Glatteis. Die Streudienste waren aufgrund<br />
der Wettervorhersage zwar darauf vorbereitet, doch sinnvollerweise<br />
geben sie den stark frequentierten Hauptrouten Priorität vor den<br />
Nebenstrecken. Und auf einer solchen ist der Pkw gerade unterwegs.<br />
Wenn es unter diesen widrigen Witterungsverhältnissen brenzlig werden<br />
sollte, wird das Auto auch dies ebenso schnell „bemerken“ wie dessen<br />
Lenker – etwa weil die Gierratensensoren des Elektronischen Stabilitätssystems<br />
(ESP) ein Drehmoment um die Hochachse messen, das Fahrzeug<br />
also ins Schleudern zu geraten droht. All diese Informationen sind<br />
nicht nur für den Fahrzeuglenker von Belang, sondern auch für dessen<br />
Hintermann. Oder für den Fahrer jenes Wagens, der erst in zwei Minuten<br />
an dieser Senke im Wald vorbeikommen wird, in der sich vor kurzem Glatteis<br />
gebildet hat. Oder für den noch weiter entfernten Tanklastzug, der in<br />
einer halben Stunde diese gefährliche Stelle passieren wird. Kurzum: Für<br />
alle Verkehrsteilnehmer, die in der nächsten Zeit auf diese Gefahrenstelle<br />
zusteuern, wäre eine rechtzeitige Warnung jetzt Gold wert.<br />
Der Mercedes-Benz E 500 des <strong>Daimler</strong>Chrysler-Forschungsteams um<br />
Matthias Schulze bekommt diese Warnung. Auf dem Display der Mittelkonsole<br />
leuchtet eine Meldung auf: „Achtung Glatteis auf der K 1022 zwischen<br />
Aidlingen und Gültlingen“. Das liegt just auf der Strecke, den der<br />
Wagen in zirka fünf Minuten erreichen wird. Keine noch so schnelle Servicewelle<br />
im Radio kann dem Fahrer brandaktuell solch einen nur sehr lokal<br />
relevanten Gefahrenhinweis geben. Und Diensteanbieter haben vor allem<br />
Zugriff auf Verkehrsdaten von Fernstraßen wie Autobahnen und Bundesstraßen.<br />
Irgendwelche Vorkommnisse auf der winzigen Kreisstraße<br />
zwischen Aidlingen und Gültlingen haben sie nicht im Blick.<br />
Doch auch für die K 1022 – nämlich das gesamte Straßenverkehrsnetz<br />
in der Fläche – interessiert sich das System WILLWARN im Fahrzeug von<br />
Schulzes Team. Die Ingenieure der <strong>Daimler</strong>Chrysler-Forschung beschäftigen<br />
sich mit der Kommunikation von Fahrzeugen untereinander (abgeleitet<br />
vom englischen Akronym für „car-to-car“ auch als C2C-Kommunikation<br />
abgekürzt) sowie zwischen<br />
Warnmeldungen<br />
flächendeckend<br />
für das gesamte<br />
Straßennetz<br />
Nebel, Baustelle und Glatteis (von<br />
links nach rechts) können Anlass für<br />
eine Warnung sein. Grün dargestellt<br />
ist die Zahl der Warnmeldungen, rot<br />
diejenige der Entwarnungen, wie etwa<br />
Nebelauflösung. Die weiße Prozentzahl<br />
gibt an, für wie zuverlässig die<br />
Software die Meldung bewertet.<br />
Fahrzeugen und Sende- und Empfangseinrichtungen<br />
entlang der<br />
Straße (C2X-Kommunikation). Das<br />
Projekt WILLWARN – das Akronym<br />
steht für „Wireless Local Danger<br />
Warning“, also drahtloses Warnen<br />
vor örtlichen Gefahren – ist ein Teil<br />
der EU-weiten Forschungsinitiative<br />
PREVENT, in der verschiedene Automobilhersteller und Zulieferer neue<br />
technische Lösungen zur Unfallvermeidung entwickelten und erprobten.<br />
Für WILLWARN übernahm Schulzes Team die Federführung.<br />
Die Grundidee klingt simpel: Jedes Auto registriert mittels unterschiedlicher<br />
Sensordaten gefahrenträchtige Situationen. Die Gefahr ist<br />
damit zunächst einmal erkannt. Nun muss es nur noch gelingen, andere<br />
Verkehrsteilnehmer davor zu warnen. „Nur“ ist dabei allerdings stark untertrieben,<br />
denn das Verbreiten solcher Informationen im fließenden >
<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 > Telematik 55<br />
> Intelligente Filter<br />
Wenn Fahrzeuge im Ad-hoc-Datennetz Informationen unabhängig von deren Relevanz<br />
für den Fahrer empfangen und weiterleiten, um die technisch bedingte Reichweite des<br />
WLAN-Netzes um ein Vielfaches zu erweitern, ist ein intelligentes Warnungsmanagement<br />
unabdingbar, das in der Lage ist, die Informationen nach Relevanz zu filtern. Sonst<br />
würde aus dem elektronischen Verkehrsboten ein Plagegeist werden.<br />
In WILLWARN haben die Forscher von <strong>Daimler</strong>Chrysler verschiedene Ansätze erprobt,<br />
mit denen sich Software-Filter hierfür nutzen lassen. Die Bedeutsamkeit einer Warnung<br />
vor einer lokalen Gefahr wie Glatteis auf einer Brücke oder einem Unfall hinter der Kurve<br />
lässt sich etwa anhand der Positionsdaten relativ leicht festmachen. Am Warnhinweis<br />
angehängt wird schließlich auch die per GPS-Sensor erfasste Ortsinformation mitüber-<br />
tragen. Diese kann ein System wie WILLWARN mit der voraussichtlichen Fahrtroute des<br />
Autos abgleichen und erkennen, ob dessen Fahrer die Gefahrenstelle überhaupt passieren<br />
wird oder nicht. Ein anderes Filterprinzip auf Basis der Fahrgeschwindigkeit wäre geeignet,<br />
um einen Fahrer vor einer roten Ampel zu warnen, die er zu übersehen droht: Das<br />
Gerät würde ihn nämlich nicht generell, sondern nur dann vor dem Rotsignal warnen,<br />
wenn er sich mit unverändert hoher Geschwindigkeit der Ampel nähert.<br />
Gar nicht so einfach ist zu klären, ob man einem Warnhinweis wirklich trauen darf. Beispiel<br />
Nebelwarnung: Hier ist es ratsam, erst dann eine Nebelwarnung über das Ad-hoc-<br />
Netz zu verbreiten, wenn in mehreren Fahrzeugen die Nebelbeleuchtung eingeschaltet<br />
wird. Man müsste also für eine solche Warnung einen Vertrauenswert festlegen.<br />
Nur zu Demonstrationszwecken hat<br />
das Forscherteam in den Versuchsträger<br />
das große Display über dem<br />
Armaturenbrett eingebaut, das die<br />
Arbeitsweise von WILLWARN veranschaulicht.<br />
In der Serienanwendung<br />
wäre das normale Display in der<br />
Mittelkonsole völlig ausreichend, um<br />
den Fahrer zu informieren.
56<br />
Verkehr ist der Knackpunkt im Projekt. Schulzes Team musste dafür in einer<br />
völlig neuen Struktur von Kommunikationsnetzen denken, nämlich in<br />
Ad-hoc-Netzen: Fahrzeuge im Straßenverkehr sind schließlich ständig in<br />
Bewegung, damit ändert sich sekündlich das Teilnehmernetz aller Autos,<br />
zwischen denen ein Informationsaustausch sinnvoll wäre. Deshalb benötigt<br />
man ein sich spontan bildendes, flexibles Netz, zu dem ständig neue<br />
Fahrzeuge hinzustoßen, während andere sich gerade ausklinken.<br />
> Die Lösung liefert die funkbasierte WLAN-Technik<br />
Dieses Netz muss Informationen zwangsläufig drahtlos, also funkbasiert<br />
verbreiten. Hier bietet sich eine Technik an, die Computerbenutzer seit einiger<br />
Zeit kennen und schätzen ge-<br />
lernt haben – die WLAN-Technik.<br />
Sie bietet entscheidende Vorteile:<br />
Große Datenmengen können<br />
schnell und ohne Verbindungskosten<br />
verschickt werden. Ein speziell<br />
für sicherheitsrelevante Kommunikationsanwendungen<br />
im Auto geschaffener<br />
Standard aus der Nor-<br />
Daten werden wie<br />
ein Staffelstab von<br />
Auto zu Auto<br />
weitergereicht<br />
mengruppe IEEE 802.11 stellt sicher, dass alle Geräte, die über ein Sendeund<br />
Empfangsmodul nach diesem Standard verfügen, miteinander in Kontakt<br />
treten können. Dank WLAN war die Kommunikationsgrundlage für<br />
WILLWARN gegeben: Jedes Fahrzeug, das mit einer Sende- und Empfangseinheit<br />
ausgestattet ist, kann Daten zu jedem anderen ebenso ausgerüsteten<br />
Fahrzeug übertragen, von diesem Daten empfangen oder – als<br />
mobiler Router – Daten zwischen zwei Fahrzeugen „weiterreichen“, die<br />
für einen direkten WLAN-Kontakt zu weit von einander entfernt sind.<br />
Damit ist eines der größten Mankos dieser Funktechnik angesprochen:<br />
ihre begrenzte Reichweite. Diesen Nachteil kennen Computerbesitzer<br />
nur zu gut, die ihr häusliches WLAN-Netz über mehrere Etagen hinweg<br />
betreiben möchten. Übertragen auf die Verhältnisse im Verkehr heißt das:<br />
Mehr als 500 Meter Reichweite sind selbst unter idealen Bedingungen<br />
kaum erreichbar; in der Praxis liegt das Limit oft bei 200 Metern.<br />
Schulzes Team studierte daher sehr genau, wie zuverlässig die Datenpakete<br />
zwischen den Fahrzeugen verschickt werden, und sie erprobten<br />
Verfahren, dank derer die Kette der Informationsweitergabe selbst dann<br />
nicht abreißt, wenn sich unterwegs einmal nicht zwei entsprechend ausgerüstete<br />
Fahrzeuge in Funkreichweite befinden. Der Ansatz hierfür: Jede<br />
Meldung muss über eine gewisse Zeit hinweg gesendet werden, damit sie<br />
wie ein Staffelstab weitergereicht werden kann.<br />
Daher gibt es im Netz auch Fahrzeuge, die lediglich als Boten fungieren,<br />
ohne vom Empfang der Meldung zu profitieren, etwa weil sie sich von<br />
der Gefahrenstelle entfernen. Sendet ein solches Fahrzeug die „aufgeschnappte“<br />
Warnung eine Zeitlang weiter, kann es unterwegs etwa auf<br />
den Tanklastzug treffen, der direkt auf die vereiste Waldsenke zufährt.<br />
Das wiederum schafft ein neues Problem. „Stellen Sie sich vor, in Ihrem<br />
Wagen piepst und blinkt es alle zehn Sekunden, weil irgendeine<br />
Warnmeldung für eine Kreuzung in Unterhaching reinkommt, obwohl Sie<br />
nach Oberammergau unterwegs sind“, erklärt Matthias Schulze. Keine<br />
Frage, ein solches Gerät würde jeder Autofahrer gleich beim ersten Einsatz<br />
entnervt und für alle Zeit abschalten.<br />
Das „Warnungsmanagement“, so erklärt der Ingenieur, war denn auch<br />
die eigentliche Herausforderung bei diesem Projekt. Dahinter verbirgt<br />
sich eine intelligente Software, die das Team für WILLWARN entwickeln<br />
musste – nämlich ein Programm, das alle empfangenen Warnmeldungen<br />
filtert und nur jene Informationen dem Fahrer aufs Display durchstellt, die<br />
für ihn von Belang sind (siehe Kasten „Intelligente Filter“).<br />
Mit dem Konzept von WILLWARN konnte Matthias Schulzes Team eindrucksvoll<br />
demonstrieren, wie sich Warnmeldungen über viel größere Entfernungen<br />
als die Reichweite der Funktechnik tragen lassen. Zudem zeigte<br />
es, dass sich Softwarelösungen für das Warnungsmanagement entwickeln<br />
lassen, bei denen das Display nicht zur Nervensäge mutiert.<br />
Für Matthias Schulze ist mit dem erfolgreichen Abschluss der C2Cund<br />
C2X-Konzepte nun der Zeitpunkt gekommen, diese Technologie auf<br />
breiterer Basis in der Praxis zu erproben. „Es gibt viele Aktivitäten wie das<br />
von uns betriebene WILLWARN. Diese Projekte zeigen, das die Technik<br />
funktioniert. Aber bislang testeten alle Beteiligten unter künstlichen Laborbedingungen.<br />
Nun kommt es darauf an, einen weiteren Schritt in Richtung<br />
Alltagstauglichkeit zu machen, nämlich einen Praxistest im großen<br />
Stil unter den realen Bedingungen des Straßenverkehrs zu unternehmen.“<br />
> Die Zeit ist reif für einen Praxistest im großen Stil<br />
Die Chancen dafür, so meint Matthias Schulze, stehen nicht schlecht.<br />
Alle in diesen Projekten engagierten Industriepartner seien sich einig,<br />
dass die Zeit reif ist für einen Großversuch (siehe Kasten „Initiativen für<br />
mehr Sicherheit“). Gemeinsam arbeiten sie daher an Projektvorschlägen,<br />
für deren Förderung man verschiedene Bundesministerien gewinnen<br />
möchte. „Denn“, so gibt Matthias Schulze klar zu verstehen, „für einen<br />
derartigen Großversuch muss man eine ordentliche Summe Geld in die<br />
Hand nehmen.“ Als Testgebiete käme eine Region wie Berlin oder der<br />
Rhein-Main-Raum rund um Frankfurt in Frage. Der Ingenieur schätzt, dass<br />
man etwa 250 Fahrzeuge mit der entsprechenden WLAN-Technik ausrüsten<br />
sowie noch einmal ungefähr dieselbe Anzahl an Kommunikationsbaken<br />
entlang der Straßen im Testgebiet installieren müsste, um diese<br />
Technik einem echten Praxistest unterziehen zu können.
<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 > Telematik 57<br />
Software-Filter zeigen eine Warnmeldung<br />
nur dann, wenn diese für den<br />
Fahrer relevant ist – in diesem Fall der<br />
Hinweis auf ein Pannenfahrzeug am<br />
Straßenrand (beide Fotos links).<br />
„Erzeugt“ hat diese Meldung das<br />
liegengebliebene Auto automatisch –<br />
etwa weil dessen Fahrer die<br />
Warnblickanlage eingeschaltet hat.<br />
Ein wenig, so weiß Schulze nur<br />
zu gut, leidet die C2C-Kommunikation<br />
unter dem Henne-Ei-Problem:<br />
So lange nur wenige Fahrzeuge mit<br />
der Funktechnik ausgestattet sind,<br />
ist der informatorische Nutzen für<br />
deren Fahrer eher gering. Warum<br />
sollten sie also Geld dafür ausgeben?<br />
Der Nutzen stellt sich erst<br />
ein, wenn der Ausstattungsgrad<br />
der Fahrzeuge so hoch ist, dass die<br />
Informationsketten in den Ad-hoc-<br />
Netzen nicht mehr abreißen.<br />
Deshalb rechnet Matthias<br />
Schulze auch damit, dass C2X-<br />
Konzepte für den Markterfolg dieser<br />
Technologie fast unumgänglich<br />
sein werden. Straßenseitige Sende-<br />
und Empfangseinrichtungen<br />
liefern zum Beispiel Verkehrsleitzentralen<br />
oder privaten Diensteanbietern<br />
wertvolle Informationen<br />
über den aktuellen Verkehrsfluss.<br />
„Auf diesem Weg ließe sich also die<br />
Infrastrukturtechnik refinanzieren.<br />
Umgekehrt böten solche Straßen-<br />
Hotspots dem Autofahrer sofort<br />
einen Mehrwert, beispielsweise<br />
ein Update für die Software seines<br />
Navigationsgerätes oder aktuelle,<br />
streckenbezogene Zusatzinformationen“,<br />
schlägt Schulze vor.<br />
Der Infrastrukturaufbau müsste<br />
dabei keineswegs bei Null beginnen.<br />
„Bereits heute sind Ampeln im<br />
Stadtgebiet miteinander vernetzt,<br />
und in der Fahrbahndecke von Autobahnen<br />
sind Induktionsschleifen<br />
verlegt, um den Verkehrsfluss zu<br />
messen. Es ist also durchaus etwas<br />
vorhanden, auf das man aufbauen<br />
könnte“, ergänzt Matthias<br />
Schulze.><br />
Das Konzept mobiler Ad-hoc-Netze wie<br />
es für WILLWARN weiterentwickelt<br />
wurde, hatte mit „FleetNet“ einen<br />
Vorgänger: Bereits vor fünf Jahren erprobten<br />
Forscher von <strong>Daimler</strong>Chrysler<br />
mit Hilfe von smart fortwo-Fahrzeugen<br />
den Datentransfer zwischen<br />
Autos und stationären Funkknoten –<br />
damals indes nur innerhalb<br />
der geringen Funkreichweite.<br />
Für WILLWARN, einem Teilprojekt der<br />
von der EU geförderten Prevent-Initiative<br />
übernahm <strong>Daimler</strong>Chrysler die<br />
Federführung. Das Unternehmen<br />
engagiert sich zudem in mehreren<br />
nationalen und europäischen<br />
Initiativen und ist auch an dem USamerikanischen<br />
Großprojekt „Vehicle<br />
Infrastructure Integration“ beteiligt.<br />
> Initiativen für mehr Sicherheit - weltweit<br />
Im Rahmen seiner Aktivitäten in den Bereichen der Fahrzeug-Fahrzeug- und der Fahrzeug-Infrastruktur-Kommunikation<br />
(C2C und C2X) engagiert sich <strong>Daimler</strong>Chyrsler in<br />
mehreren maßgeblichen Gremien und Projekten. So etwa in dem deutschlandweiten<br />
Forschungsprojekt NOW („Network on Wheels“), das vom Bundesforschungsministerium<br />
gefördert wird.<br />
Projektpartner sind hier neben <strong>Daimler</strong>Chrysler die Automobilhersteller BMW und Volkswagen,<br />
die Elektronikunternehmen NEC Deutschland und Siemens sowie das Fraunhofer<br />
Institut für Offene Kommunikationssysteme Fokus.<br />
Die beiden wichtigsten Ziele dieses bis Sommer 2008 laufenden Forschungsverbunds<br />
sind die Festlegung technischer Standards für ein Kommunikationssystem, das<br />
sich rasch und herstellerübergreifend umsetzen lässt, und die Zuweisung eines exklusiven<br />
Frequenzbereichs im 5,9 GHz-Band mit ausreichender Bandbreite, der die ins Auge<br />
gefassten Sicherheitsanwendungen ausreichend vor Störungen schützt.<br />
Europäische Dachinitiative<br />
Die Partner der deutschen NOW-Initiative finden sich im europäischen Car-to-Car-Communication<br />
Consortium (C2C-CC) unter einem Dach wieder. Zu diesem Zusammenschluss<br />
gehören namhafte Automobilhersteller in Europa (Audi, BWW Group, <strong>Daimler</strong>-<br />
Chrysler, Fiat, Honda, Opel, Renault, VW), Automobilzulieferer sowie Unternehmen der<br />
Kommunikationselektronik. Gemeinsam setzt sich das Konsortium für einheitliche<br />
Standards und Kommunikationsprotokolle sowie für die Frequenzzuweisung von Anwendungen<br />
der Fahrzeug-Fahrzeug-Kommunikation auf europäischer Ebene ein.<br />
Das komplizierte Zuweisungsverfahren ist bereits weit vorangekommen. So haben beispielsweise<br />
die erforderlichen Kompatibilitätsstudien gezeigt, dass die Nutzung der<br />
gewünschten Frequenzbereiche andere Funkanwendungen in benachbarten Frequenzbereichen<br />
nicht stört. Die Entscheidung über die Frequenzzuteilung in Europa könnte daher<br />
noch in diesem Jahr fallen.<br />
Nagelprobe für lokale Ad-hoc-Netze in den USA<br />
Auch in den USA sind Forscher und Entwickler von <strong>Daimler</strong>Chrysler an einer breiten Initiative<br />
zur Erprobung von C2C- und C2X-Konzepten beteiligt, und zwar im Rahmen der<br />
Initiative „Vehicle Infrastructure Integration“ (VII). So hat <strong>Daimler</strong>Chrysler kürzlich<br />
im Rahmen eines DSRC-Testvorhabens (Dedicated Short Range Communication) gemeinsam<br />
mit dem Verkehrsministerium des Bundesstaats Michigan die Leistungsfähigkeit<br />
von entsprechenden Sende- und Empfangsmodulen in rund 100 Testfahrzeugen erprobt.<br />
Zum Prüfkatalog zählten Messungen der Systemlatenzzeiten, dem übertragbaren<br />
Datenvolumen, der Übertragungsqualität und der Stabilität der Funkverbindungen auch<br />
bei hohen Fahrgeschwindigkeiten.<br />
Bis zur Jahresmitte soll nun im Rahmen der VII-Initiative in einem rund 35 Quadratkilometer<br />
großen Versuchsgebiet in der Nähe Detroits die straßenseitige Infrastruktur für<br />
DSRC-Transceiver und andere Kommunikationseinrichtungen einsatzbereit sein, damit<br />
dort über ein Jahr hinweg 20 prototypische Anwendungen der VII-Beteiligten im realitätsnahen<br />
Feldtest FOT (Field Operational Tests) erprobt werden.<br />
Im Bundestaat Kalifornien wurden kürzlich mehrere Kreuzungen mit DSRC-Technik ausgerüstet,<br />
was etwa die Übertragung von Ampelsignalphasen an heranfahrende Fahrzeuge<br />
ermöglicht, um diese gegebenenfalls vor einem Rotsignal zu warnen. Diese Tests<br />
sollen zur Nagelprobe für die Zukunft dieser Technologie in den USA werden: Von ihrem<br />
Ausgang will das US-amerikanische Verkehrsministerium abhängig machen, ob die<br />
DSRC-Technik flächendeckend auf den Straßen der USA zum Einsatz kommen soll.
58<br />
Was haben die Klimatisierungsexperten<br />
von<br />
<strong>Daimler</strong>Chrysler nicht<br />
schon alles mit Dr.<br />
Oscar angestellt? Neulich richteten<br />
sie einen Heizstrahler eine halbe<br />
Stunde lang auf seinen Kopf – geradeso<br />
als wollten sie sein Oberstübchen<br />
– frei nach Wolfram Siebecks<br />
„Niedriggarmethode“ – bei plus 85<br />
Grad Celsius genüsslich garziehen<br />
lassen. Ein andermal sah es so aus,<br />
als hätten sie Dr. Oscar für den<br />
Winterschlaf in der Tiefkühltruhe<br />
vorbereitet – bei minus 20 Grad<br />
Celsius. Doch der robuste Kerl<br />
trägt seinen Dienstherren selbst<br />
solche Torturen nicht nach. Er reagiert<br />
darauf mit gelassener Miene.<br />
Kein Wunder, Dr. Oscar ist schließlich<br />
ein Dummy – allerdings alles<br />
andere als dumm und zudem bemerkenswert<br />
sensibel (siehe Kasten:<br />
Dr. Oscars innere Werte).<br />
Dr. Oscar – sein seriöser Name<br />
lautet Klimamessdummy – dient<br />
den Pkw-Entwicklern im Team von<br />
Florian Kauf als Werkzeug. Seine<br />
118 Sensoren vermitteln ihnen ein<br />
präzises Bild über die Wärme- und<br />
Kälteverteilung sowie über die<br />
Luftströmungen im Fahrgastraum.<br />
Klimatisierungstests mit Dr. Oscar<br />
liefern keine wachsweichen Einschätzungen<br />
wie „vielleicht ein<br />
bisschen zu kühl“, oder aber „ich<br />
weiß nicht, zieht’s hier irgendwo?“,<br />
sondern glasklare Messwerte.<br />
> Der Behaglichkeit auf der Spur<br />
Dr. Oscars Sensorennetz erfasst<br />
drei Klimatisierungskenngrößen,<br />
die unser Behaglichkeitsempfinden<br />
im Fahrzeuginnenraum wesentlich<br />
bestimmen: nämlich Temperaturverteilung<br />
von Kopf bis Fuß,<br />
die Luftgeschwindigkeit und die<br />
Wärmestrahlung, die von den<br />
Oberflächen des Fahrzeuginnenraums<br />
und der Sonne ausgeht. Da<br />
alle Sensoren über Dr. Oscars Körper<br />
verteilt an der Oberfläche liegen,<br />
liefert der Dummy ein exaktes<br />
Abbild davon, welche klimatischen<br />
Bedingungen die Passagiere im<br />
Fahrzeuginnenraum verspüren ><br />
Gestatten,<br />
Dr. Oscar<br />
Ein Dummy macht<br />
Subjektives objektiv messbar<br />
118 Sensoren am Klimamessdummy<br />
„Dr. Oscar“ erfassen<br />
über seine Oberfläche hinweg<br />
verteilt die Temperatur, Luftgeschwindigkeit<br />
und Strahlungswärme<br />
von Oberflächen im<br />
Fahrzeug sowie von der Sonne.
<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 > Klimatisierung 59
60<br />
> Dr. Oscars innere Werte<br />
Der Klimamessdummy verfügt über drei Sensortypen. 32 Sensoren erfassen die<br />
Luftgeschwindigkeit, 73 Messfühler die Lufttemperatur und 13 so genannte<br />
Strahlungssensoren messen die Oberflächentemperatur von Flächen in der Sensorumgebung<br />
und detektieren Sonnenstrahlung. Dr. Oscars Ober- und Unterkörper<br />
sind vollständig getrennt – so lässt sich der aus einem Spezialkunststoff gebaute<br />
Dummy mit der Durchschnittskörpergröße eines Menschen für die Versuche<br />
leichter auf den Fahrzeugsitzen platzieren. Im Innern verbergen sich nicht<br />
nur die mehr als einen halben Kilometer langen Kabel zu den Sensoren,<br />
sondern auch die elektronischen Wandler. Diese digitalisieren die analogen Signale<br />
und leiten sie über einen Datenbus an einen externen Rechner weiter.<br />
würden. Sowohl die Entscheidung<br />
für diese drei Parameter als auch<br />
die Positionierung der Sensoren<br />
trafen die Klimatisierungsspezialisten<br />
mit Bedacht. „Es sind jene Größen,<br />
die wir bei der Fahrzeugklimatisierung<br />
direkt beeinflussen können,<br />
und die Sensorverteilung<br />
spiegelt die Bedeutung wider, die<br />
die jeweiligen Körperbereiche für<br />
das Klimaempfinden haben“, erläutert<br />
Jan Husser, der Dr. Oscars Einsatz<br />
in der Pkw-Entwicklung der<br />
Mercedes Car Group betreut.<br />
> Dummy auf Dienstreise<br />
In Dr. Oscars Arbeitsalltag geht es<br />
zwar weniger ruppig zur Sache als<br />
bei seinen Kollegen aus der Abteilung<br />
Crashtest, aber urgemütlich<br />
sind seine Einsätze nicht gerade:<br />
Testfahrten in der Mittagsglut des<br />
kalifornischen Death Valley gehören<br />
ebenso zum Pensum wie „Kaltlanderprobungen“<br />
– so der kühle<br />
Fachbegriff der Ingenieure für eine<br />
klirrend kalte Angelegenheit, nämlich<br />
winterliche Messfahrten im<br />
nordschwedischen Lappland.<br />
Auch während Dr. Oscars Heimateinsätzen<br />
in Sindelfingen geraten<br />
die Sensoren gelegentlich bis<br />
an die Grenzen des Messbereichs.<br />
Hier arbeiten die Ingenieure mit Dr.<br />
Oscar in Klimakanälen. Der Vorteil:<br />
Die Entwickler können jedes Fahrzeug<br />
den exakt gleichen Umgebungsbedingungen<br />
aussetzen, also<br />
in standardisierten Messreihen erproben,<br />
wie gut und schnell Hei-
<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 > Klimatisierung 61<br />
> Prima Klima<br />
Lieben Sie Vorurteile? Etwa, dass es Frauen eher kuschelig warm mögen während<br />
Männer sich gern eine kühle Brise um die Nase wehen lassen. Oder dass die Bewohner<br />
Spitzbergens ein anderes Temperaturempfinden haben als jene von Rio de Janeiro?<br />
Hierzu förderte der Däne Povl Ole Fanger Desillusionierendes zutage. Ein Verdienst des<br />
weltweit renommierten Experten für Raumklima-Forschung war es, mithilfe von unglaublich<br />
umfangreichen Messreihen auf der Basis von mehr als 1300 Probanden eine siebenstufige<br />
Behaglichkeitsskala für das Raumklima in Gebäuden zu definieren. Bei diesen<br />
Versuchen nahmen Männer wie Frauen und Menschen verschiedener Ethnien teil.<br />
Fangers Resümee: Ausgeprägter als geschlechtsspezifisch oder ethnisch begründete<br />
Unterschiede im Behaglichkeitsempfinden können jene zwischen zwei beliebig gewähl-<br />
zung und Klimaanlage in einem<br />
neuen Modell für wohlige Temperaturen<br />
und deren Regelungen für<br />
optimalen Klimakomfort sorgen.<br />
Dr. Oscars Aufgabe bei solchen<br />
Tests ist es etwa zu messen, wie<br />
lange die Heizung bei einem Kaltstart<br />
und einer Außentemperatur<br />
von minus 20 Grad Celsius benötigt,<br />
um auf Touren zu kommen, wie<br />
rasch die Klimaanlage einen auf 50<br />
Grad Celsius in der Sonne erhitzten<br />
Fahrzeugfond auf Wohlfühltemperatur<br />
herunterkühlt, und ob nicht<br />
durch eine ungünstige Luftströmung<br />
Zug entsteht.<br />
Während des Versuchs wandelt<br />
Dr. Oscars Elektronik die analogen<br />
Messsignale der Sensoren in digitale<br />
Werte um. Diese Daten häufen<br />
sich zunächst zu einem unüberschaubaren<br />
Zahlenwust an: Etwa<br />
alle zwei Sekunden liefert jeder der<br />
118 Sensoren einen über bis zu 20<br />
Einzelmessungen gemittelten Zahlenwert.<br />
Die bei einer nur halbstündigen<br />
Messreihe auflaufenden Einzelwerte<br />
würden als Tabellenausdruck<br />
ausreichen, um damit ein<br />
Großraumbüro hübsch tapezieren<br />
zu können. „Deshalb haben wir viel<br />
Mühe darauf verwendet, die Ergebnisse<br />
anschaulich aufzubereiten<br />
und darzustellen“, erläutert Hans-<br />
Herbert Flögel. Der Ingenieur aus<br />
Jürgen Maués Team in der <strong>Daimler</strong>Chrysler-Forschung<br />
ist sozusagen<br />
Dr. Oscars „Vater“.<br />
Am Bildschirm zeigt Flögel, wie<br />
selbst für einen Laien unmittelbar<br />
1<br />
2<br />
3<br />
erkennbar wird, ob Dr. Oscar wieder<br />
einmal unter kalten Füßen,<br />
klammen Händen am Steuer oder<br />
einem zu heißen Kopf leiden musste:<br />
Auf dem Monitor erscheinen Dr.<br />
Oscars Umrisse, und die Farbe seiner<br />
Körperoberfläche wechselt je<br />
nach aktuellem Messwert zwischen<br />
blau und rot. Ein hochroter<br />
Kopf steht beispielsweise für eine<br />
viel zu heiße Temperatur in diesem<br />
Bereich oder für unangenehm starke<br />
Zugluft um Dr. Oscars Nase.<br />
Doch um eine Schwierigkeit<br />
kommen auch die Klimatisierungsspezialisten<br />
um Jürgen Maué nicht<br />
herum, nämlich die Tatsache, dass<br />
wir Behaglichkeit subjektiv empfinden:<br />
Während der eine im T-Shirt<br />
sitzend gerne das Fenster öffnen<br />
würde, um sich Kühlung zu verschaffen,<br />
würde sein Pullover bewehrter<br />
Beifahrer am liebsten die<br />
Heizung zuschalten. Fast nirgendwo<br />
gilt das Dilemma, wonach man<br />
es niemals allen Menschen recht<br />
machen kann, strenger als hier.<br />
Die Forscher um Jürgen Maué<br />
fanden jedoch eine pragmatische<br />
6<br />
4<br />
5<br />
7<br />
8<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
5<br />
6<br />
7<br />
8<br />
ten Menschen und sogar für ein und denselben Menschen nach einem Dauerlauf oder<br />
bei einer Erkältung ausfallen. Klimatisierungsexperten sprechen hier von inter- und intraindividueller<br />
Variabilität. Und wer jetzt nicht genau wissen sollte, ob ihm gerade behaglich<br />
ist, kann dies dank Fangers Komfortgleichung auch mathematisch präzise entscheiden:<br />
f (M, I cl , v, t r , t a , P w ) = 0.<br />
Ist diese Bedingung erfüllt, dann fühlen Sie sich zumindest klimatisch pudelwohl.<br />
Zur Erläuterung: M ist der Parameter für die Stoffwechselrate. I cl steht für den Kleidungsindex.<br />
v repräsentiert die Luftgeschwindigkeit, t r die mittlere Strahlungstemperatur<br />
und t a die Temperatur der Umgebungsluft. P w bringt zum Schluss den Dampfdruck<br />
des Wassers in der Umgebungsluft ins Spiel.<br />
10 20 30 40<br />
Äquivalenztemperatur in °C<br />
Der ockerfarbene Korridor gibt für<br />
einzelne Körperregionen (Zeilen mit<br />
den Ziffern 1 bis 8) sowie für den gesamten<br />
Körper (oberste Zeile) den<br />
Komfortbereich an. Dargestellt ist hier<br />
die so genannte Äquivalenztemperatur<br />
– eine Klimasummengröße, die<br />
verschiedene thermische Parameter<br />
umfasst. Da wir Temperaturen sehr<br />
subjektiv empfinden, gilt dieser<br />
„Wohlfühlkorridor“ nur für 80 Prozent<br />
einer größeren Personengruppe.<br />
Beim Klimatisieren<br />
kann man es nicht<br />
allen Menschen recht<br />
machen – immerhin<br />
aber den meisten<br />
Lösung. Ihre Strategie: Man kann<br />
es zwar nicht den ausgeprägtesten<br />
„Frostbeulen“ und „Heißspornen“<br />
zugleich recht machen. Aber wenn<br />
man viele Menschen testet, ab<br />
wann es ihnen zu kalt, zu warm<br />
oder unter welchen Bedingungen<br />
es ihnen im Raum behaglich erscheint,<br />
und wenn man nun noch<br />
die beiden äußeren Flügelbereiche<br />
dieses Antwortspektrums ein wenig<br />
kappt, dann erhält man einen<br />
gut eingegrenzten Wohlfühlbereich,<br />
der immerhin für 80 bis 90<br />
Prozent aller Menschen gilt.<br />
> Wohlfühlkorridore ermittelt<br />
Also wurden freiwillige Probanden<br />
gebeten, sich ins Auto zu setzen,<br />
um zu beurteilen, wie behaglich ihnen<br />
das Innenraumklima erscheint.<br />
Inzwischen – viele Messreihen<br />
mit jeweils mehreren Dutzend<br />
Probanden im Kaltkanal, im<br />
Warmkanal, in der Klimakammer<br />
und während diverser Messfahrten<br />
später – verfügen die Klimatisierungsspezialisten<br />
über empirisch<br />
abgesicherte „Wohlfühlkorridore“<br />
– also Messkurven, die spezifiziert<br />
nach verschiedenen Körperregionen<br />
von Kopf bis Fuß die Komfortbandbreite<br />
für Temperatur, Luftanströmgeschwindigkeit<br />
und Strahlung<br />
markieren.<br />
Doch selbst für „Kälte- und<br />
Hitzeextremisten“ weiß Florian<br />
Kauf Rat: „Unsere Fahrzeuge bieten<br />
je nach Ausstattungskomfort<br />
bis zu sechs Temperaturzonen >
62<br />
Zum Einsatz kommt Dr. Oscar nicht nur auf Testfahrten, sondern auch in Klimazellen wie einer Kältekammer<br />
(rechts). Hier lassen sich reproduzierbare Temperatur- und Klimabedingungen schaffen, sodass<br />
sich zwei Messreihen – etwa mit unterschiedlichen Varianten der Fahrzeugklimatisierung – vergleichen<br />
lassen. Statt endloser Tabellen veranschaulichen Falschfarbendiagramme (links) das Messergebnis.<br />
> Behaglichkeit virtuell und experimentell prüfen<br />
Dem Klimatisierungskomfort messen die Fahrzeugentwickler<br />
von <strong>Daimler</strong>Chrysler einen besonders hohen<br />
Stellenwert bei. Behaglichkeit beim Fahren ist<br />
keineswegs nur purer Luxus. Denn ein optimal klimatisierter<br />
Fahrzeuginnenraum sorgt neben dem Wohlgefühl<br />
auch dafür, dass Aufmerksamkeit und Leistungsfähigkeit<br />
des Fahrers während längerer Reisen<br />
möglichst hoch bleiben.<br />
Die Realisation des Klimamessdummys durch die Forscher<br />
um Jürgen Maué ist für die Fahrzeugentwickler<br />
bei der Mercedes Car Group ein Meilenstein ihres Instrumentariums, mit dem sich der Klimatisierungskomfort<br />
eines neuen Modells objektiv messen und damit zuverlässig beurteilen lässt. Davor mussten sich die Ingenieure<br />
zum Beispiel mit Temperaturmessungen im Innenraum begnügen, wie sie etwa mit Kopfraum-Messspinnen und<br />
Fußraum-Messstellen möglich sind. Gar nicht oder nur sehr ungenau messbar waren komfortrelevante Luftströmungen<br />
im Fahrgastraum oder das thermische Abstrahlverhalten von Oberflächen wie der Instrumententafel.<br />
Die kombinierte Betrachtung der Messparameter ist wichtig<br />
Lediglich die Komponentengrößen – also die Leistungsdaten der Klimatisierungsaggregate – konnten die Entwickler<br />
exakt messen und bewerten. Für die Beurteilung des Klimakomforts mussten sie sich auf persönliche Werturteile<br />
und langjährige Erfahrung während der Fahrzeugerprobung mit vielen Testkilometern verlassen – und darauf bauen,<br />
dass sich ihr Eindruck mit dem Empfinden der späteren Klientel deckt.<br />
Diese Kluft zwischen Messbarem und Empfundenen schließt Dr. Oscar, indem er die subjektive Größe Behaglichkeit<br />
bewertbar macht. Sein Vorteil besteht zudem darin, dass sich drei Klimatisierungsparameter gleichzeitig messen<br />
lassen (Die drei Grafiken oben zeigen ein Beispiel für deren Messwertverteilung). Gerade in deren spezieller Kombination<br />
entscheidet sich, ob wir ein Fahrzeugklima als angenehm oder störend empfinden. Meteorologen drücken<br />
dies etwa im Begriff der „gefühlten Temperatur“ aus: So erscheint uns ein windstiller Wintertag bei Null Grad Celsius<br />
wesentlich wärmer als ein gleich kalter Tag, an dem der Wind mächtig bläst. Und das trocken-heiße Wüstenklima<br />
vertragen die meisten Menschen besser als feuchte Tropenhitze, die oft als drückend empfunden wird.<br />
Durchgängigkeit von der Simulation bis zum Test im Prototypen<br />
Im nächsten Schritt arbeiten die Klimatisierungsexperten daran, mit Hilfe eines Simulationsprogramms Vorhersagen<br />
zu treffen, wie sich der Mensch in dem Fahrzeug fühlen wird. „Es geht darum, die Rohdaten des Dummies<br />
einem bestimmten Komforteindruck zuzuordnen“, erläutert Maué. Die Ergebnisse aus den Probandenversuchen<br />
bilden daher auch die Grundlage für die Bewertungsalgorithmen dieses Simulationsprogramms.<br />
Schon heute werden im Rahmen der digitalen Absicherung der Modellentwicklung Phänomene wie Luftströme in<br />
der Fahrzeugkabine in Simulationsläufen berechnet und thermische Komfortaussagen abgeleitet, lange bevor der<br />
erste Prototyp auf Rädern steht. Durch Dr. Oscar lassen sich die Bewertungsalgorithmen sowohl für die Simulation<br />
als auch die Messung kontinuierlich verbessern. „Mit ihm ersetzen wir keineswegs die Erprobung im Fahrzeug und<br />
schon gar nicht die Bewertung menschlicher Tester. Aber wir erreichen mit der nie gekannten Durchgängigkeit von<br />
der Simulation bis zur Hardware einen noch höheren Reifegrad. Zudem finden wir optimale Lösungen bereits in der<br />
Konzeptphase. Das erspart uns spätere und daher teure Änderungen“, resümiert Florian Kauf.<br />
mit individuell anpassbaren Luftströmen.<br />
Da sollte sich wirklich jeder<br />
wohlfühlen können.“<br />
Die stattliche Sammlung empirischer<br />
Daten über das Klimaempfinden<br />
der Testpersonen wird kontinuierlich<br />
erweitert, um dem Geheimnis<br />
des subjektiv empfundenen<br />
Klimakomforts immer detaillierter<br />
auf die Spur zu kommen.<br />
Gleichzeitig dient sie als Referenz<br />
beim Interpretieren der von Dr. Oscar<br />
gesammelten Klimadaten: So<br />
lässt sich etwa erkennen, ob eine<br />
günstige Temperaturschichtung –<br />
die Faustregel der Klimatisierung<br />
lautet: kühler Kopf und warme Füße<br />
– auch bei wechselnden Umgebungstemperaturen<br />
oder zum Beispiel<br />
bei einseitiger Sonneneinstrahlung<br />
erhalten bleibt.<br />
> Komfortmängeln nachgehen<br />
Im Bereich der auf Zugluft sensibel<br />
reagierenden Körperregionen – etwa<br />
dem Schulter-Nackenbereich –<br />
schauen sich die Ingenieure die<br />
Anströmungsverhältnisse besonders<br />
genau an. Mehr noch, mit Dr.<br />
Oscars Hilfe können sie sogar nach<br />
Ursachen fahnden, also klären,<br />
welcher Effekt oder welche Komponente<br />
für einen im Versuch festgestellten<br />
Komfortmangel verantwortlich<br />
ist. So kann durch eine<br />
günstig platzierte Düsenöffnung<br />
oder optimierte Düsengeometrie<br />
Zug vermieden werden. Ein Zugempfinden<br />
könnte etwa im Nackenbereich<br />
auftreten, weil sich eine<br />
ungünstige Strömung im Fahrzeuginnenraum<br />
einstellt, die sich<br />
durch eine geänderte Luftverteilung<br />
beseitigen lässt. „Bei der neuen<br />
C-Klasse etwa“, so berichtet Jan<br />
Husser, „haben wir den Messdummy<br />
in der frühen Entwicklungsphase<br />
besonders intensiv eingesetzt<br />
und sind dabei auf ein Problem mit<br />
Zugluft an der Schuler gestoßen,<br />
dass sich anschließend leicht beheben<br />
ließ.“<br />
Schon deshalb hätte es Dr. Oscar<br />
verdient, dass man ihm ein zufriedenes<br />
Lächeln auf sein Kunststoffgesicht<br />
zaubert.<br />
>
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