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HIGHTECHREPORT - Daimler

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<strong>HIGHTECHREPORT</strong><br />

Faszination Forschung &Technik 1/2007<br />

Leitbild Nachhaltige Mobilität<br />

> Strategien für geringeren Verbrauch<br />

> UV-Lacke schonen die Ressourcen<br />

> Nanopartikel ermöglichen Leichtbau


U2<br />

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<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 > Editorial 3<br />

Dr. Thomas Weber ist Mitglied des<br />

Vorstands der <strong>Daimler</strong>Chrysler AG.<br />

Er verantwortet das Ressort<br />

Konzernforschung und Mercedes<br />

Car Group Entwicklung.<br />

Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

mit dem Schwerpunktthema „Werkstoffe“ in dieser Ausgabe möchten wir<br />

Sie mit der Arbeit unserer Materialforscher und Verfahrensspezialisten<br />

vertraut machen. Und das aus gutem Grund: Neue Werkstoffe in Kombination<br />

mit den entsprechenden Prozesstechnologien erschließen <strong>Daimler</strong>-<br />

Chrysler eine enorme Bandbreite an Innovationspotenzialen. Ein Beispiel<br />

für ein solches Duo: das Aushärten von lösemittelfreien Lacken im UV-<br />

Licht. Es ermöglicht nicht nur ein umweltfreundlicheres Schutzlackieren<br />

von Lkw-Achsen. Die UV-Härtung ist zudem kostengünstiger und beansprucht<br />

weniger Platz in der Fertigung.<br />

Neue Werkstoffe und Verfahren nützen vor allem unseren Kunden: So ermöglicht<br />

erst das Laserschweißen die kompakte und gewichtssparende<br />

Bauweise des 7G-TRONIC-Automatikgetriebes. Der Kunde merkt es im<br />

Geldbeutel, denn daraus ergibt sich eine Verbrauchsersparnis von bis zu<br />

0,6 Litern/100 km. Zugleich sinkt der CO 2 -Ausstoß – ebenfalls ein Thema,<br />

dem ein Hauptaugenmerk unserer Forscher und Entwickler gilt. In<br />

exakt diese Richtung zielt ein Projekt aus der Welt der Nanopartikel:<br />

Leichtbau durch thermoplastische Karosserieteile ohne Abstriche bei<br />

Materialfestigkeit und Lackqualität.<br />

Bereits vor vielen Jahren haben wir nachhaltige Mobilität als Unternehmensziel<br />

fest im Konzern verankert. Wer die Fahrzeugflotten unserer Marken<br />

über Jahre hinweg verfolgt, erkennt die deutlichen und stetigen Verbrauchs-<br />

und Emissionsrückgänge, die mit jedem Modellwechsel verbunden<br />

sind.<br />

Aus gutem Grund ist <strong>Daimler</strong>Chrysler als Premiumhersteller zugleich auch<br />

stolz darauf, mit dem smart fortwo cdi das weltweit erfolgreichste Drei-<br />

Liter-Auto mit einem rekordverdächtig niedrigen CO 2 -Ausstoß anzubieten.<br />

Auf diesem Feld werden wir auch zukünftig durch innovative Lösungen<br />

Zeichen setzen, die unseren Kunden und der Umwelt direkt zugutekommen.<br />

Deshalb ist es wichtig, dass diese Lösungen den Wünschen unserer<br />

Kunden entsprechen und bezahlbar bleiben.<br />

Thomas Weber


4<br />

> Schwerpunkt<br />

Mit Licht und Nanowerkstoffen<br />

auf dem Weg zu Innovationen<br />

Titelseite<br />

Mit lösemittelfreien Lacken, die unter UV-Licht<br />

aushärten, lassen sich große Bauteile wie dieses<br />

Zylinderkurbelgehäuse oder auch Lkw-Achsen<br />

umweltfreundlich und kostengünstig lackieren.<br />

Seite 10<br />

Forscher und Entwickler von <strong>Daimler</strong>-<br />

Chrysler drehen an vielen Stellschrauben,<br />

um mithilfe innovativer Fahrzeugtechnik<br />

weitere Verbrauchssenkungen<br />

zu erzielen. Doch mit spritsparender<br />

und emissionsarmer Technik<br />

allein lässt sich die globale Aufgabe<br />

Klimaschutz nicht bewältigen.<br />

Seite 26<br />

Moderne Hightech-Laser schweißen<br />

Bauteile schnell und zuverlässig zusammen.<br />

Zudem lassen sich mit ihnen<br />

Leichtbaukonzepte verwirklichen, die<br />

mit herkömmlicher Schweißtechnik<br />

nicht möglich sind.<br />

Seite 46<br />

Damit Motoren und Getriebe zuverlässig<br />

funktionieren, legen Ingenieure<br />

Toleranzen für das Zusammenspiel der<br />

einzelnen Bauteile fest. Forscher und<br />

Entwickler von <strong>Daimler</strong>Chrysler untersuchen,<br />

wie sich diese Spielräume am<br />

besten gestalten lassen.


<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 > Inhalt 5<br />

Seite 16<br />

Vor allem Biokraftstoffe der zweiten<br />

Generation erweisen sich in einer<br />

Szenariobetrachtung von <strong>Daimler</strong>-<br />

Chrysler-Forschern als ein lukrativer<br />

Ansatz, um verkehrsbedingte CO 2 -<br />

Emissionen in Europa spürbar zu<br />

senken: Bis 2030 halten die Kraftstoffexperten<br />

eine Minderung um bis<br />

zu 17 Prozent durchaus für möglich.<br />

Seite 42<br />

Die Lackfolienbeschichtung gilt als<br />

Schlüsseltechnologie zur Herstellung<br />

von Leichtbauelementen. Neben der<br />

Gewichtsersparnis bieten die damit<br />

hergestellten Teile Designern und Konstrukteuren<br />

neue Möglichkeiten, um<br />

Antennen und Sensoren in die Außenhaut<br />

des Fahrzeugs zu integrieren.<br />

Seite 50<br />

Videoergonomie ermöglicht die Sichtfelduntersuchung<br />

neuer Fahrzeugmodelle,<br />

die noch nicht einmal als Prototypen<br />

oder Designstudien existieren.<br />

Seite 58<br />

Mit 118 Sensoren ist der Dummy<br />

Dr. Oscar dem Wohlbefinden im Fahrzeuginnenraum<br />

dicht auf der Spur.<br />

3<br />

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9<br />

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58<br />

Internet<br />

Unter www.daimlerchrysler.com/go/htr_g können Sie sich alle<br />

Texte und Fotos der vorliegenden Ausgabe herunterladen.<br />

Editorial<br />

Magazin<br />

Neues aus Forschung und Entwicklung<br />

Impressum<br />

Eine globale Aufgabe<br />

Klimaschutz und nachhaltige Mobilität benötigen mehr als<br />

innovative Fahrzeugtechnik<br />

Auf, zur zweiten Generation<br />

Das ökologische und ökonomische Potenzial regenerativer<br />

Kraftstoffe aus Biomasse unter der Lupe<br />

„Wir werden die Schlagzahl sogar noch erhöhen“<br />

Ein Gespräch mit Professor Herbert Kohler, Umweltbevollmächtigter<br />

von <strong>Daimler</strong>Chrysler<br />

Licht auf den Punkt gebracht<br />

Der Laser entwickelt sich mehr und mehr zum Universalwerkzeug<br />

der industriellen Produktion<br />

Trocken in Sekundenschnelle<br />

Umweltfreundlich lackieren und härten mit UV-Licht<br />

Leichter bauen mit Nanos<br />

Mit Nanopartikeln modifizierte Kunststoffe wiegen wenig<br />

und eignen sich gut für Karosseriebauteile<br />

Farben, Folien und Antennen<br />

Lackfolien ebnen den Weg zu mehr Leichtbauelementen<br />

Simulierte Toleranz<br />

Forscher untersuchen, wie sich technische Toleranzen für<br />

den Antriebsstrang optimal gestalten lassen<br />

Die Stunde des Würfels<br />

Virtuelle Sichtfelduntersuchungen in der CAVE<br />

So von Auto zu Auto<br />

Drahtlose Ad-hoc-Netze zwischen Fahrzeugen ermöglichen<br />

das Warnen vor lokalen Gefahren ohne Zeitverzug<br />

Gestatten, Dr. Oscar<br />

Ein Klimamessdummy macht Subjektives objektiv messbar


6<br />

> E 320 BLUETEC ist World Green Car 2007<br />

Auf dem Weg zu EURO 6<br />

Gegenüber 14 Konkurrenten hatte<br />

er in New York die Nase vorn: Automobiljournalisten<br />

aus 22 Ländern<br />

wählten auf der diesjährigen International<br />

Auto Show den „E 320<br />

BLUETEC“ zum „World Green Car<br />

2007“. Mit dieser Auszeichnung<br />

wird die Rolle von Mercedes-Benz<br />

als Schrittmacher einer neuartigen<br />

Dieseltechnologie gewürdigt, die<br />

den Selbstzünder so sauber macht<br />

wie einen Ottomotor.<br />

Modulare Abgasreinigung<br />

BLUETEC ist ein modulares System<br />

zur Abgasreinigung. Es kombiniert<br />

den bereits heute üblichen Oxidations-Katalysator,<br />

der den Ausstoß<br />

von Kohlenmonoxid (CO) und unverbrannten<br />

Kohlenwasserstoffen<br />

(HC) reduziert, mit dem wartungsfreien<br />

Mercedes-Partikelfilter.<br />

Zwei zusätzliche Kats kommen hinzu:<br />

Zum einen ein weiterentwickelter,<br />

besonders langlebiger NO x -<br />

Speicher-Katalysator, der in einem<br />

patentierten Verfahren Ammoniak<br />

erzeugt. Zum anderen ein SCR-Katalysator<br />

(Selective Catalytic Reduction),<br />

der den Ammoniak nutzt,<br />

um Stickoxide in ökologisch unbedenklichen<br />

Stickstoff umzuwan-<br />

NOx-Speicher-Katalysator<br />

und Partikelfilter<br />

SCR-Katalysator<br />

deln. Durch dieses ausgeklügelte<br />

System, das ohne zusätzliche Betriebsmittel<br />

auskommt, vermindert<br />

sich der Stickoxidausstoß sehr<br />

deutlich. NO x ist die einzige Abgas-<br />

Komponente, die bei Dieselmotoren<br />

prinzipbedingt noch über dem<br />

Wert von Benzinern liegt.<br />

Der mit einem 165 kW (224 PS)<br />

starken V6-Motor ausgestattete<br />

E 320 BLUETEC ist der weltweit<br />

erste Diesel-Pkw, der mit seinen<br />

NO x -Emissionen die strenge US-<br />

Abgasnorm BIN 8 erfüllt. Verkaufsstart<br />

in den USA war im Oktober<br />

2006 – pünktlich zur dortigen Einführung<br />

von schwefelarmem Dieselkraftstoff.<br />

Mit einem Verbrauch<br />

von 6,7 Litern pro 100 Kilometer<br />

gehört der E 320 BLUETEC zu den<br />

sparsamsten Fahrzeugen seiner<br />

Klasse in Nordamerika und kommt<br />

mit einer Tankfüllung bis zu 1200<br />

Kilometer weit.<br />

Nach dem Start in den USA wird<br />

<strong>Daimler</strong>Chrysler ab 2008 die umweltfreundliche<br />

Technologie auch<br />

Kunden in Europa anbieten. Derzeit<br />

passen die Ingenieure BLUE-<br />

TEC an die europäischen Märkte<br />

und an weitere Pkw-Modelle von<br />

Mercedes-Benz an.<br />

Verbrauchsoptimierte Motoren<br />

So zeigte das Unternehmen auf<br />

dem diesjährigen Genfer Auto-<br />

Salon erstmals die BLUETEC-Abgasreinigung<br />

in Kombination mit<br />

einem verbrauchsoptimierten Vierzylindermotor.<br />

Der „Vision C 220<br />

BLUETEC“ weist damit den Weg,<br />

wie die ab 2015 europaweit für alle<br />

Neufahrzeuge weiter verschärfte<br />

Abgasnorm EURO 6 erfüllt werden<br />

kann. Bei einer Leistung von 125<br />

kW (170 PS) benötigt das C-Klasse-<br />

Fahrzeug nur 5,5 Liter Diesel pro<br />

100 Kilometer.<br />

Der Mercedes-Benz Vision C 220<br />

BLUETEC (Transparentzeichnung und<br />

linkes Foto) vereint modernste Abgasreinigung<br />

mit einem verbrauchsoptimierten<br />

VIerzylindermotor.<br />

Bereits auf dem Markt ist der E 320<br />

BLUETEC, der seit Oktober über die<br />

Straßen der USA rollt (rechtes Foto).<br />

Fachjournalisten haben ihn zum<br />

„World Green Car 2007“ gewählt.<br />

> Premiumsegment<br />

Gemeinsames<br />

Hybridkonzept<br />

BMW und <strong>Daimler</strong>Chrysler erweitern<br />

ihre Zusammenarbeit für Hybridantriebe<br />

und werden gemeinsam<br />

ein innovatives Hybridmodul<br />

für heckgetriebene Pkw des Premiumsegments<br />

entwickeln.<br />

Das Hybridmodul, das technisch zu<br />

den Mild-Hybridantrieben zählt,<br />

soll in Deutschland an den jeweiligen<br />

Standorten der Motoren- und<br />

Antriebsentwicklung realisiert werden.<br />

Das Gemeinschaftsprojekt<br />

stellt eine enge Vernetzung der<br />

Entwicklerteams beider Hersteller<br />

sicher. So sind unter anderem synchronisierte<br />

Entwicklungsabläufe<br />

und gemeinsame Tests geplant.<br />

Beide Fahrzeughersteller profitieren<br />

von der Bündelung ihrer Entwicklungskapazitäten,<br />

der daraus<br />

möglichen schnelleren Marktreife<br />

und den Kostenvorteilen durch höhere<br />

Stückzahlen.<br />

Die jeweils markenspezifische Anpassung<br />

sichert die individuelle<br />

Ausprägung in den unterschiedlichen<br />

Fahrzeugen. <strong>Daimler</strong>Chrysler<br />

und BMW planen, das neue Hybridmodul<br />

innerhalb der nächsten drei<br />

Jahre zur Marktreife zu bringen.<br />

> Umweltzertifikat<br />

Perfektes<br />

Recycling<br />

Als weltweit erster Automobilhersteller<br />

erhielt <strong>Daimler</strong>Chrysler im<br />

März vom Kraftfahrtbundesamt<br />

(KBA) die Bescheinigung „Wiederverwendbarkeit,Recyclingfähigkeit<br />

und Verwertbarkeit“ über die


<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 > Magazin 7<br />

Vorprüfung für die Fahrzeug-<br />

Typgenehmigung. Spätestens ab<br />

Dezember 2008 sind – nach der<br />

Richtlinie 2005/64/EG des Europäischen<br />

Parlaments und des Rates<br />

– alle Fahrzeughersteller verpflichtet,<br />

bei der Typzertifizierung<br />

neuer Fahrzeuge den Nachweis<br />

über deren spätere Recyclingfähigkeit<br />

zu erbringen.<br />

Nach der EU-Altautorichtlinie müssen<br />

ab dem Jahr 2015 Altfahrzeuge<br />

zu 95 Prozent verwertet werden.<br />

Bereits jetzt hat <strong>Daimler</strong>Chrysler<br />

den Nachweis erbracht, dass die<br />

Fahrzeuge der Mercedes Car<br />

Group verwertbar konstruiert und<br />

die entsprechenden Verfahren und<br />

Prozesse im Entwicklungsprozess<br />

verbindlich integriert sind. Damit<br />

liegt eine ausführliche und vorschriftenkonforme<br />

Beschreibung<br />

der Entsorgungsstrategie für Altfahrzeuge<br />

vor.<br />

Die Recyclingvorprüfung ist nach<br />

der EU-Richtlinie Teil des Typgenehmigungsverfahrens<br />

für komplette<br />

Fahrzeuge. Von besonderem<br />

Interesse ist dabei die Einhaltung<br />

des Schwermetallverbots.<br />

Im Rahmen der Vorprüfung verlangt<br />

das Kraftfahrtbundesamt von<br />

jedem Automobilhersteller eine<br />

nachvollziehbare Strategie, die die<br />

Demontage und Wiederverwendung<br />

von Bauteilen sowie das Recycling<br />

und die Verwertung von<br />

Werkstoffen gewährleistet.<br />

> Simulation<br />

Karosserien<br />

virtuell lackiert<br />

Um Lackierprozesse zu optimieren,<br />

haben Forscher von <strong>Daimler</strong>-<br />

Chrysler spezielle Berechnungsverfahren<br />

entwickelt. Durch diese<br />

Simulation können sie bereits vor<br />

Produktionsanlauf Aussagen treffen,<br />

wie eine Fahrzeugkarosserie<br />

effizient lackiert oder ein bestehendes<br />

Verfahren verbessert werden<br />

kann.<br />

Dynamik der Lacktröpfchen<br />

Beim virtuellen Lackieren verfolgen<br />

die Forscher rechnerisch Tausende<br />

von Lackpartikeln bis zum<br />

Auftreffen auf das Bauteil. Die Experten<br />

berechnen die Dynamik der<br />

Lacktröpfchen unter dem Einfluss<br />

der Luftströmung und des angelegten<br />

elektrischen Felds.<br />

Dadurch ist es möglich, die Dicke<br />

der Lackschicht vorherzusagen.<br />

Zusätzlich ergeben sich Hinweise,<br />

wie der Lack am besten aufgesprüht<br />

werden soll.<br />

Auch die mathematische Beschreibung<br />

des fertigen Lackfilms spielt<br />

eine wichtige Rolle. Dabei stehen<br />

die Zusammensetzung des Lacks,<br />

seine Vernetzung und die Art des<br />

Zerfließens in enger Wechselbeziehung.<br />

Hierzu berechnen die Forscher<br />

den Stoff- und Wärmetransport<br />

sowie Reaktionsverläufe.<br />

Rohkarosserien werden für die erste<br />

Lackschicht nicht gespritzt, sondern<br />

in ein Lackbad getaucht. Bei<br />

dieser „kathodischen Tauchlackierung“<br />

treten spezielle Effekte auf,<br />

wie etwa Luftblasen beim Eintauchen<br />

oder verschleppte Flüssigkeit<br />

beim Austauchen der Karosserie.<br />

Die Modellrechnungen erlauben<br />

nun Vorhersagen über Ort und Größe<br />

der Luftblasen sowie die Menge<br />

des verschleppten Lacks.<br />

Dank solcher Simulationen können<br />

Entwickler und Produktionsplaner<br />

bereits früh prüfen, wie gut sich<br />

eine neu entworfene Fahrzeugkarosserie<br />

lackieren lässt.<br />

> Wasserstoff<br />

Brennstoffzellen für<br />

die Feuerwehr<br />

Auch Rettungsdienste sind jetzt<br />

emissionsfrei unterwegs. In Sacramento<br />

(Kalifornien) hat <strong>Daimler</strong>-<br />

Chrysler das weltweit erste Feuerwehrauto<br />

mit Brennstoffzellenantrieb<br />

an die dortige Feuerwehr<br />

übergeben.<br />

Die rot lackierte, mit Warnlichtern<br />

und einer Sirene ausgestattete A-<br />

Klasse F-Cell wird als Kontrollfahrzeug<br />

eingesetzt. Im täglichen Einsatz<br />

liefert der alternative Pkw<br />

wertvolle Daten für die Weiterentwicklung<br />

von Brennstoffzellenfahrzeugen,<br />

die als „Abgas“ nur reinen<br />

Wasserdampf ausstoßen.<br />

Das F-Cell-Feuerwehrauto tankt<br />

an der Wasserstofftankstelle der<br />

California Fuel Cell Partnership in<br />

Sacramento. <strong>Daimler</strong>Chrysler hat<br />

bisher rund eine Milliarde Euro in<br />

die Forschung und Entwicklung<br />

von Brennstoffzellenfahrzeugen investiert<br />

und derzeit weltweit mehr<br />

als 100 solcher Pkw und Busse im<br />

täglichen Einsatz.<br />

Wenn beim „Tauchlackieren“ die Rohbaukarosserie<br />

in das Lackbad sinkt,<br />

steigen Lufblasen auf. Simulationsrechnungen<br />

erlauben Voraussagen<br />

über Ort und Größe der Blasen. Dadurch<br />

lässt sich das Verfahren optimieren.<br />

Die Rechenmodelle eignen<br />

sich auch für das Spritzlackieren, bei<br />

dem sich zum Beispiel die Dicke der<br />

Lackschicht vorhersagen lässt.<br />

> Umweltschutz<br />

Solarstrom vom<br />

Getriebewerk<br />

Die größte Photovoltaik-Anlage innerhalb<br />

des <strong>Daimler</strong>Chrysler-Konzerns<br />

hat Anfang April dieses Jahres<br />

im Getriebewerk Rastatt ihren<br />

Betrieb aufgenommen. Auf einer<br />

Dachfläche von der Größe dreier<br />

Fußballfelder erzeugen seither<br />

2380 Solarmodule mit einer Gesamtfläche<br />

von 3950 Quadratmetern<br />

und einer Spitzenleistung von<br />

511 Kilowatt (kWp) umweltfreundlichen<br />

Strom aus Sonnenenergie.<br />

CO 2 -Emissionen verringert<br />

Die Anlage wird pro Jahr durchschnittlich<br />

rund 490000 Kilowattstunden<br />

(kWh) Solarstrom produzieren<br />

– dies entspricht dem jährlichen<br />

Bedarf von 125 Vierpersonenhaushalten.<br />

Durch den Einsatz der Solarzellen<br />

lässt sich die Entstehung von jährlich<br />

rund 453 Tonnen Kohlendioxid<br />

aus der konventionellen Stromerzeugung<br />

verhindern.<br />

Das in der sonnenreichen Rheinebene<br />

gelegene Werk Rastatt bietet<br />

ideale Voraussetzungen, um die<br />

Sonne anzuzapfen: optimale Ausrichtung<br />

der Dächer, keine Schatten<br />

durch andere Aufbauten, eine<br />

tragfähige Statik der Gebäude sowie<br />

die Anbindung an eine elektrische<br />

Infrastruktur.


8<br />

> Sprachbedienung<br />

Sichere Zieleingabe<br />

für die Navigation<br />

Forscher von <strong>Daimler</strong>Chrysler arbeiten<br />

an einer schnellen und einfachen<br />

Spracheingabe für Navigationsziele.<br />

„Information Refinement“<br />

heißt die neue Methode, die<br />

sich an der menschlichen Kommunikation<br />

orientiert.<br />

Um ein Fahrziel klar zu definieren,<br />

sind oft Zusatzinformationen erforderlich.<br />

Welche am sinnvollsten<br />

sind, haben die Wissenschaftler<br />

untersucht, indem sie das durchschnittliche<br />

Fahrerwissen überprüften.<br />

Es zeigte sich, dass Benutzer<br />

in der Regel die nächste größere<br />

Stadt, das Bundesland, die Region<br />

oder den Fluss kennen.<br />

Nach Berlin oder Bellin?<br />

Bei der Zieleingabe grenzt das intelligente<br />

System die in Frage kommenden<br />

Navigationsziele schrittweise<br />

ein. Gibt der Fahrer etwa<br />

„Frankfurt, Hauptstraße“ an, fragt<br />

ihn die Spracherkennung nach einem<br />

Fluss in der Nähe. Bei der Antwort<br />

„Oder“ muss er nur noch sein<br />

Fahrziel „Frankfurt/Oder, Hauptstraße“<br />

bestätigen.<br />

Deutschland hat mehr als 74000<br />

Orte und 970000 Straßen. Insgesamt<br />

gibt es jedoch nur 58000<br />

Orts- und 338000 Straßennamen.<br />

Allein „Neustadt“ ist 29-mal vertreten;<br />

eine „Hauptstraße“ findet sich<br />

noch wesentlich häufiger. Schließlich<br />

muss die Spracherkennung<br />

auch ähnlich klingende Wörter wie<br />

„Berlin“ und „Bellin“ unterscheiden<br />

können.<br />

Bei Tests im Fahrsimulator wurde<br />

gemessen, wie genau Versuchs-<br />

personen während der Spracheingabe<br />

die Spur hielten. Einen Wert<br />

für die Ablenkung des Fahrers liefert<br />

dabei die durchschnittliche Abweichung<br />

von der Mittellinie. Das<br />

Ergebnis war eine deutlich geringere<br />

Ablenkung und damit ein Plus an<br />

Sicherheit im Vergleich zu bisherigen<br />

Spracheingabesystemen.<br />

> Beleuchtungsplanung<br />

Optische Prüfung<br />

für mehr Qualität<br />

Für die optische Qualitätskontrolle<br />

von Motoren oder Bauteilen kommen<br />

zunehmend elektronische Kameras<br />

und Computer zum Einsatz.<br />

Oft liefern diese Systeme zuverlässigere<br />

Ergebnisse als das manuelle<br />

Prüfen durch den Menschen – vorausgesetzt,<br />

der Rechner kennt die<br />

exakten Positionen der Kamera<br />

und der Beleuchtung.<br />

Für diese Schlüsselfaktoren haben<br />

Forscher von <strong>Daimler</strong>Chrysler nun<br />

ein mathematisches Planungswerkzeug<br />

entwickelt, das den<br />

Rechner in die Lage versetzt, dreidimensionale<br />

Objekte zu erkennen<br />

und zuverlässig zu analysieren.<br />

Dreidimensionale Objekte<br />

Das neue optische Prüfverfahren<br />

kann zu noch höherer Qualität in<br />

der Produktion beitragen. Bisher<br />

erfordert das richtige Arrangement<br />

aus Lichtquellen und Kameras viel<br />

Für die Spracheingabe von Navigationszielen<br />

haben <strong>Daimler</strong>Chrysler-<br />

Forscher eine neue Methode entwickelt,<br />

die sich an der menschlichen<br />

Kommunikation orientiert und die<br />

Ablenkung des Fahrers verringert.<br />

Fingerspitzengefühl, zumal auch<br />

Objektive, Belichtungszeit und<br />

Blendeneinstellung eine Rolle spielen.<br />

Die letzten Optimierungsschritte<br />

für die optische Qualitätskontrolle<br />

können meist erst erfolgen,<br />

nachdem eine Produktionszelle<br />

vollständig aufgebaut ist.<br />

Mit ihrem neuen Prüfverfahren berücksichtigen<br />

die Forscher nun alle<br />

Parameter bereits während der<br />

Planungsphase einer Produktionszelle.<br />

Dabei wird auf Basis des<br />

Prüfplans und der Geometrie der<br />

Bauteile zunächst die Berechnungsgrundlage<br />

ermittelt, bevor<br />

das System die ungefähre Kameraanordnung<br />

und Raumaufteilung<br />

rund um das Prüfobjekt abschätzt.<br />

Die optimierten Positionen für die<br />

Kameras und die Beleuchtung stehen<br />

in der darauf folgenden Phase<br />

fest. Im letzten Schritt sucht der<br />

Rechner dann für jede Kamera die<br />

entsprechenden Einstellungen für<br />

Fokus, Belichtung und Blende.<br />

Reflektierende Metalle<br />

Für die Berechnung spielt es übrigens<br />

keine Rolle, ob Kameras und<br />

Lichtquellen fixiert sind oder ob sie<br />

ein Roboter neu positioniert. Dadurch<br />

wiederum wird die Prüfstation<br />

sehr flexibel und kann unterschiedlichste<br />

Tests bewältigen.<br />

Neben der Geometrie eines Bauteils<br />

müssen die Forscher auch das<br />

verwendete Material berücksichtigen.<br />

Metallteile zum Beispiel haben<br />

oft stark spiegelnde Oberflächen,<br />

die das Licht in unterschiedlicher<br />

Weise reflektieren.<br />

Für die Kamera spielt das Reflexionsverhalten<br />

eine wichtige Rolle,<br />

weil ihre Einstellungen direkt von<br />

der empfangenen Lichtenergie pro<br />

Pixel abhängen.<br />

> Plug-in-Hybridantriebe<br />

Batterien werden<br />

zum Erfolgsfaktor<br />

Mehr als 20 Transporter des Typs<br />

Dodge Sprinter PHEV (Plug-in Hybrid<br />

Electric Vehicle) werden bis<br />

Frühjahr 2008 an einem Flottentest<br />

in den USA teilnehmen. Die<br />

Fahrzeuge besitzen neben einem<br />

Diesel- oder Ottomotor auch einen<br />

Elektroantrieb, den der Fahrer<br />

wahlweise zuschalten kann. Im reinen<br />

Elektrobetrieb beträgt die<br />

Reichweite bis zu 32 Kilometer.<br />

Die Plug-in-Technologie eignet sich<br />

gut für den kommerziellen Lieferverkehr,<br />

bei dem das Fahrzeug<br />

nach jeder Schicht an seinen Stützpunkt<br />

zurückkehrt, um an einer<br />

Steckdose die Batterie für den<br />

Elektromotor nachzuladen.<br />

Ein Erfolgsfaktor für Hybridantriebe<br />

ist die weitere Entwicklung von<br />

Lithiumionen-Batterien. Diese wiegen<br />

nur halb so viel und besitzen<br />

eine größere Speicherkapazität als<br />

Nickel-Metallhydrid-Batterien.<br />

Einige der Dodge Sprinter PHEV<br />

haben Lithiumionen-Batterien. Im<br />

Rahmen des unter Alltagsbedingungen<br />

stattfindenden Tests liefern<br />

sie Daten über Lebenszeit,<br />

Leistung und Kosten der Batterien.<br />

> CO 2 -Emissionen<br />

Kleiner smart<br />

ganz groß<br />

Der neue smart fortwo cdi erfüllt<br />

nicht nur alle europäischen Abgasnormen,<br />

sondern schafft mit 3,3<br />

Litern pro 100 Kilometer auch den<br />

niedrigsten Verbrauch seiner Klasse.<br />

Mit einer CO 2 -Emission von nur


<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 > Magazin<br />

> Impressum<br />

E-Mail:<br />

hightechreport@daimlerchrysler.com<br />

Herausgeber<br />

<strong>Daimler</strong>Chrysler AG<br />

Communications<br />

D-70546 Stuttgart (Germany)<br />

Auburn Hills, MI 48326-2766 (USA)<br />

Verantwortlich für den<br />

Herausgeber<br />

Mirjam Bendak<br />

Objektleitung<br />

Thomas Weisshaar<br />

Redaktion<br />

KLARTEXT, Stuttgart<br />

Roland Bischoff,<br />

Rolf Andreas Zell<br />

Art Direction und Layout<br />

teamkom, Stuttgart<br />

Horst Schüler<br />

Illustrationen<br />

PIXELART, Keltern<br />

Rudolf Kostolnik<br />

Fotos<br />

<strong>Daimler</strong>Chrysler AG<br />

Kurt Henseler, Tübingen<br />

Frank Schultze, Dortmund<br />

Reprografie<br />

Pallino, Ostfildern<br />

Druck<br />

J. Fink Druckerei, Ostfildern<br />

Marketing<br />

Maja Brechlin<br />

Tel.: 0711 / 17 – 5 92 98<br />

Anzeigen<br />

Helmut Heckmann<br />

Tel.: 0711 / 47 90 577<br />

E-Mail:<br />

heckmann.stuttgart@t-online.de<br />

Redaktionsschluss dieser Ausgabe<br />

war der 24. April 2007.<br />

Gedruckt auf Papier aus chlorfrei<br />

gebleichtem Zellstoff unter<br />

Verwendung von 33 Prozent<br />

Altpapier, ohne optische Aufheller.<br />

Nachdruck, auch auszugsweise,<br />

nur mit schriftlicher Genehmigung<br />

des Herausgebers sowie dem<br />

Bild- und Texthinweis<br />

„<strong>Daimler</strong>Chrysler AG“.<br />

> Leserservice/Vertrieb<br />

Zenit Pressevertrieb GmbH<br />

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D-70522 Stuttgart<br />

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In einem speziellen Simulator erkunden<br />

Wissenschaftler, wie gut sich<br />

unterschiedliche Schalter und Hebel<br />

im Auto bedienen lassen. Die Forscher<br />

registrieren zum Beispiel, wie stark<br />

Testpersonen abgelenkt werden und<br />

dabei von der Fahrspur abweichen.<br />

Eine anschließende Befragung der<br />

Probanden nach ihren subjektiven<br />

Eindrücken rundet die Tests ab.<br />

88 Gramm pro Kilometer erreicht<br />

der smart fortwo cdi den Drei-Liter-<br />

Status und hat so die geringsten<br />

CO 2 -Emissionen aller Autos, die<br />

heute auf dem Markt sind.<br />

Damit gehört der kleine Diesel zu<br />

den Großen in Sachen Umweltschutz.<br />

Für die Kunden heißt das:<br />

Günstiger und klimafreundlicher<br />

als mit dem smart fortwo cdi kann<br />

man derzeit nicht Auto fahren.<br />

Bald mit Startergenerator<br />

Auch die beiden Ottomotoren des<br />

neuen smart fortwo überzeugen<br />

mit einem geringen Verbrauch. Sie<br />

kommen sowohl in der Saug- als<br />

auch in der Turboversion mit weniger<br />

als fünf Liter Superbenzin aus.<br />

Die genauen Werte für den kombinierten<br />

NEFZ (Neuer Europäischer<br />

Fahrzyklus) lauten: 4,7 und 4,9<br />

Liter pro 100 Kilometer. Die CO 2 -<br />

Emissionen liegen entsprechend<br />

bei nur 112 beziehungsweise 116<br />

Gramm pro Kilometer.<br />

Ein weiteres Einsparpotenzial von<br />

bis zu 13 Prozent im Stadtverkehr<br />

verspricht der smart fortwo mit<br />

Startergenerator, der ab Ende<br />

2007 erhältlich sein wird. Besonders<br />

bei häufigem Stop-and-go bietet<br />

ein Startergenerator Vorteile:<br />

Steht der Wagen zum Beispiel an<br />

einer Ampel schaltet sich automatisch<br />

der Motor ab. Sobald der Fahrer<br />

das Gaspedal betätigt, startet<br />

der Dreizylinder von alleine.<br />

> Mensch-Maschine-Interface<br />

Gut bedient<br />

im Simulator<br />

Wie gut lassen sich Bedienelemente<br />

im Auto handhaben? Kann der<br />

Fahrer die Funktion unterschiedlicher<br />

Hebel und Schalter sofort erfassen<br />

und diese sicher bedienen?<br />

Solchen Fragen gehen Forscher<br />

von <strong>Daimler</strong>Chrysler nach.<br />

Mit einem speziellen Simulator ermitteln<br />

sie, ob Bediensysteme einfach<br />

und intuitiv zu benutzen sind.<br />

Das fördert zum einen die Sicherheit;<br />

zum anderen können die Forscher<br />

den Fahrzeugentwicklern<br />

frühzeitig Empfehlungen für die<br />

Gestaltung des Innenraums geben.<br />

Für ihre Untersuchungen haben die<br />

Forscher einen Mensch-Maschine-<br />

Simulator entwickelt, in dem 20 bis<br />

30 ausgewählte Testpersonen bestimmte<br />

Aufgaben bewältigen<br />

müssen. So sollen sie während einer<br />

normalen Autofahrt ohne kritische<br />

Situationen ein bestimmtes<br />

Gerät bedienen. Wie sehr der jeweilige<br />

Proband dadurch in Anspruch<br />

genommen wird, ergibt eine<br />

Auswertung anhand objektiver<br />

und subjektiver Kriterien.<br />

Informatives Gesamtbild<br />

Als objektive Messgrößen zählen<br />

dabei die Abweichung von der optimalen<br />

Fahrspur sowie die Daten<br />

aus der Blickerfassung. Diese zeigen,<br />

wie häufig der Fahrer seinen<br />

Blick auf das Bediensystem hinund<br />

damit von der Straße abwendet.<br />

Falls erforderlich, wird zusätzlich<br />

die Bewegung der Hände bei<br />

der Eingabe beobachtet. Auf Basis<br />

dieser Messwerte sind die Ingenieure<br />

in der Lage, den Ablen-<br />

9<br />

kungsgrad des Fahrers vom Verkehrsgeschehen<br />

zu berechnen.<br />

Gleichzeitig fließen in die Auswertung<br />

subjektive Angaben der Testpersonen<br />

ein, die mithilfe eines<br />

Fragenkatalogs ermittelt werden.<br />

Die Kombination objektiver und<br />

subjektiver Daten ergibt schließlich<br />

ein informatives Gesamtbild.<br />

> MTC-Erweiterung<br />

Fahrsimulator und<br />

Klimakanäle<br />

Das Mercedes-Benz Technology<br />

Center (MTC) in Sindelfingen bekommt<br />

Zuwachs: Der Vorstand der<br />

Mercedes Car Group beschloss<br />

den Bau zweier Großprüfstände,<br />

die einen Fahrsimulator und Klimakanäle<br />

beherbergen. In dieses Bauvorhaben<br />

wird <strong>Daimler</strong>Chrysler in<br />

den nächsten fünf Jahren rund 100<br />

Millionen Euro investieren.<br />

In den geplanten Klimakanälen lassen<br />

sich Fahrzeuge rund um die<br />

Uhr unter verschiedensten Bedingungen<br />

wie extreme Hitze, Kälte,<br />

Regen- und Schneefälle intensiv<br />

testen.<br />

Mit dem Fahrsimulator der modernsten<br />

Generation will das Unternehmen<br />

die fahrzeugbezogene<br />

Forschung noch effizienter in den<br />

Entwicklungsprozess einbinden.<br />

So soll die Bewegungsdynamik<br />

auch unter den heute gestiegenen<br />

Anforderungen simuliert werden.


10<br />

Fahrzeugtechnik für nachhaltige Mobilität<br />

Eine globale Aufgabe<br />

Die Daten, Entwicklungsverläufe und Prognosen, die die internationale<br />

Expertenrunde des Weltklimarats IPCC in diesem Jahr<br />

vorgestellt hat (siehe Text „Klimawandel – Was weiß die Wissenschaft?“,<br />

S. 12), lassen zunehmend weniger Raum für Zweifel,<br />

dass sich das Klima der Erde wandelt und dass menschliche Einflüsse dabei<br />

eine große Rolle spielen. Die stetig steigende Nutzung fossiler Energien<br />

seit Beginn der Industriellen Revolution wird von der Mehrzahl der<br />

Klimawissenschaftler als eine wesentliche Ursache der klimatischen Veränderungen<br />

angesehen, wenn auch nicht als deren einzige.<br />

So genannte „Treibhausgase“ wie Kohlendioxid (CO 2 ), aber auch Methan<br />

und andere Gase bewirken einen „Wärmestau“ in der Atmosphäre.<br />

Kohlendioxid gilt als das bedeutsamste Treibhausgas. Es entsteht, wenn<br />

fossile Energie wie Kohle, Erdgas und Erdöl verbrannt werden. Deshalb<br />

müssen alle Aktivitäten, die mit der Nutzung dieser Energien zusammenhängen,<br />

auf den Prüfstand. Die zwei wichtigsten Aufgaben lauten hierbei:<br />

Energie einzusparen und effizienter zu nutzen sowie fossile Energieträger<br />

durch regenerativ – also CO 2 -neutral – erzeugte Energie mittels Biomasse,<br />

Geothermie sowie Wind-, Wasser- und Sonnenkraft zu ersetzen. Wenn<br />

es gelingt, dafür funktionierende Lösungen zu finden und in die Praxis umzusetzen,<br />

ist es nach Ansicht der Klimaexperten möglich, die zu erwartenden<br />

Folgen des Klimawandels zu begrenzen.<br />

Die Begrenzung des CO 2 -Ausstoßes ist eine Aufgabe von globaler Dimension,<br />

was die Suche nach probaten Lösungen so schwierig macht.<br />

Die Herausforderung ist auch deshalb so groß, weil Klimaschutz nur gelingen<br />

kann, wenn sich alle Bewohner dieser Erde daran beteiligen. Doch<br />

hier stehen Interessen zwischen verschieden weit entwickelten Weltregionen<br />

und zwischen diversen Wirtschaftssektoren im Widerstreit.<br />

> Leitbild: Nachhaltige Mobilität<br />

Nachhaltige Mobilität gehört für <strong>Daimler</strong>Chrysler seit Jahren zum Unternehmensleitbild.<br />

Deshalb arbeitet das Unternehmen mit hohem Engagement<br />

an emissionsarmen und immer sparsameren Fahrzeugmodellen.<br />

Dabei geht es um die Minderung sowohl der CO 2 - als auch aller anderen<br />

Emissionen, die man im Blick haben muss, um auf diesem Weg weiter voranzukommen.<br />

Die Bilanz dieser kontinuierlichen Anstrengungen ist bemerkenswert:<br />

Um rund 20 Prozent sank der CO 2 -Ausstoß der Mercedes-<br />

Fahrzeuge seit 1995 – dieser Rückgang liegt deutlich über der Minderungsrate<br />

von 14 Prozent, den die Europäischen Automobilhersteller im<br />

Durchschnitt erzielen konnten. Es handelt sich zudem um einen Wert, der<br />

von keinem anderen Automobilhersteller übertroffen werden konnte.<br />

Eine Reihe technischer Innovationen war notwendig, um diese Verbrauchsminderung<br />

der Mercedes-Benz-Fahrzeugflotte zu ermöglichen<br />

(siehe Text: „Die CO 2 -Stellschrauben am Fahrzeug“, S. 14). Ein eindrück–<br />

liches Beispiel hierfür liefert die BLUETEC-Technologie bei Dieselantrieben.<br />

Sie trägt nicht nur dazu bei, CO 2 -Emissionen, sondern auch die Emis-<br />

Verkehrsflussmanagement <br />

Fahrzeugtechnik<br />

A8 B12<br />

!<br />

138,9<br />

135,9<br />

133,9<br />

118,9<br />

Reifen mit<br />

weniger<br />

Rollwiderstand<br />

Fahrverhalten<br />

Straßenbau/<br />

Verkehrsinfrastruktur<br />

Kraftstofferzeugung/<br />

Kraftstoffqualitäten<br />

sionen anderer Schadgase wie Stickoxide zu verringern, sodass Pkw und<br />

Lkw mit BLUETEC-Technologie zu den effizientesten und saubersten<br />

Dieselfahrzeugen ihrer jeweiligen Klassen zählen.<br />

Ein weiteres Beispiel ist die neue C-Klasse. Bei dieser Modellentwicklung<br />

hatten die Ingenieure nicht nur die Verbrauchs- und Emissionswerte<br />

im Blick, sondern die komplette Prozesskette von der Produktentstehung<br />

über die eigentliche Nutzung des Fahrzeugs bis zu dessen Recycling am<br />

Ende des Autolebens. Das konsequente Umsetzen dieses Ansatzes<br />

brachte der C-Klasse als erstem Automobil in seiner Klasse das Umwelt-<br />

Zertifikat des Technischen Überwachungsvereins (TÜV) ein. Dessen Experten<br />

attestieren damit, dass der Entwicklungsprozess für dieses Modell<br />

der strengen ISO-Norm 14062 entspricht. Diese Norm knüpft an die Vergabe<br />

des Zertifikats einen ganzen Strauß von ökologischen Kriterien, die<br />

die Produktkonzeption, die Herstellprozesse, Materialauswahl, Verbrauchsaspekte<br />

bei der Produktnutzung und die Wiederverwertbarkeit<br />

nach Gebrauch umfassen. Für die neue C-Klasse heißt das konkret:<br />

Verbrauchseinsparungen beim Antrieb von bis zu 17 Prozent;<br />

NO x - und Kohlenwasserstoff-Emissionen unterschreiten den EU-4-<br />

Grenzwert um 90 beziehungsweise 86 Prozent;<br />

der Gesamtprimärenergiebedarf über den Lebenszyklus gerechnet<br />

verringert sich – bei einer Laufleistung von 200 000 Kilometer – um 14<br />

Prozent. Umgerechnet in Benzin entspricht dies der Einsparung von 3800<br />

Litern. Der CO 2 -Ausstoß sinkt um neun Tonnen pro Fahrzeug;<br />

für das Fahrzeug kommen bevorzugt Ressourcen schonende Werk–<br />

stoffe zum Einsatz, die sich mit geringem Energiebedarf herstellen und<br />

besonders gut wiederverwerten lassen. Die Recyclingquote liegt bei 95<br />

Prozent. Es enthält seinerseits 32 Bauteile aus Recyclatkunststoffen mit<br />

einem Gesamtgewicht von 40 Kilogramm – eine Steigerung um 34 Prozent<br />

gegenüber dem Vorgängermodell.


<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 > Verbrauchsminderung 11<br />

Um das maximale Einsparpotenzial zu<br />

erschließen, müssen alle Beteiligten<br />

ihren Beitrag leisten, damit der<br />

verkehrsbedingte CO 2 -Ausstoß sinkt<br />

(Grafik, links). Gefragt sind hier<br />

neben den Automobil- und Zulieferunternehmen<br />

auch die Mineralölindustrie,<br />

die öffentliche Hand und<br />

nicht zuletzt die Autofahrer selbst.<br />

Doch wie viel CO 2 ein Fahrzeug<br />

emittiert, bestimmt nicht allein<br />

dessen Technik. Deshalb ist es zu<br />

kurz gegriffen, den Klimaschutz zur<br />

alleinigen Aufgabe der Automobilhersteller<br />

machen zu wollen. Was<br />

diese „im Alleingang“ zu leisten<br />

vermögen, ist nur ein Bruchteil<br />

dessen, was an CO 2 -Minderungspotenzial<br />

tatsächlich erschließbar<br />

ist. Ein Aspekt betrifft die Geschwindigkeit,<br />

mit der neue, emissionsmindernde<br />

Technologien tatsächlich<br />

Wirkung zeigen. Innerhalb<br />

der EU sind derzeit rund 140 Millionen<br />

Fahrzeuge zugelassen. Der<br />

Neuwagenanteil pro Jahr beträgt<br />

14 Millionen Fahrzeuge. Es dauert<br />

also rund zehn Jahre, bis eine Technologie,<br />

die sich nicht bei Altfahrzeugen<br />

nachrüsten lässt, ihren<br />

Nutzen voll entfalten kann.<br />

> Konzertierte Aktion gefragt<br />

Wichtig ist es daher auch, CO 2 -<br />

Minderungspotenziale zu erschließen,<br />

die sich sofort im gesamten<br />

Fahrzeugbestand realisieren lassen.<br />

Ein Beispiel hierfür liefern Rei-<br />

BLUETEC (rechts) steht heute für die<br />

saubersten und effizientesten Dieselantriebe<br />

bei Pkw und Lkw. Mit dem<br />

Ziel, die Brennstoffzellentechnologie<br />

(links) bis zur Serienreife zu entwickeln,<br />

verfolgt <strong>Daimler</strong>Chrysler die<br />

Vision vom emissionsfreien Fahren.<br />

Bivalente Antriebe – hier die Anzeige<br />

im Mercedes E 200 NGT – lassen sich<br />

mit Benzin und komprimiertem Erdgas<br />

betreiben. Die CO 2 -Ersparnis im<br />

Erdgasbetrieb beträgt 20 Prozent.<br />

fen mit optimierten Gummimischungen, mit denen es möglich ist, den<br />

Rollwiderstand um zirka fünf Prozent zu verringern.<br />

Deutlich größere Einsparpotenziale bieten Biokraftstoffe, insbesondere<br />

neuartige, synthetische Kraftstoffe aus Biomasse (BTL-Kraftstoff). Gerade<br />

biogene Kraftstoffe der zweiten Generation (siehe Beitrag ab Seite<br />

16: „Auf, zur zweiten Generation“), so fanden <strong>Daimler</strong>Chrysler-Forscher<br />

heraus, bieten Einsparmöglichkeiten, die in Deutschland sogar mehr als<br />

20 Prozent ausmachen könnten. Hier sind also Kraftstoffproduzenten gefragt,<br />

die entsprechenden Produktionstechnologien zu entwickeln und<br />

Kapazitäten aufzubauen. <strong>Daimler</strong>Chrysler unterstützt zusammen mit<br />

Volkswagen das Unternehmen Choren Industries, das derzeit zusammen<br />

mit Shell die erste großtechnische BTL-Produktionsanlage in Deutschland<br />

errichtet. Eine weitere Initiative ist die „Alliance for Synthetic Fuels in<br />

Europe“ (ASFE), zu der sich <strong>Daimler</strong>Chrysler mit anderen Automobilherstellern<br />

und Mineralölgesellschaften zusammengeschlossen hat.<br />

Der Anteil regenerativ gewonnener Kraftstoffe, so haben es die Regierungschefs<br />

der EU-Länder im März dieses Jahres noch einmal bekräftigt,<br />

soll innerhalb der nächsten 13 Jahre auf etwa zehn Prozent des Gesamtkraftstoffbedarfs<br />

wachsen. Durch entsprechende Förderungen und steuerpolitische<br />

Maßnahmen ist daher auch die öffentliche Hand aufgerufen,<br />

das emissionsmindernde Potenzial biogener Kraftstoffe zu erschließen.<br />

Dies ist jedoch nicht ihre einzige Eingriffsmöglichkeit: Schon seit vielen<br />

Jahren hält der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur nicht mehr Schritt<br />

mit dem wachsenden Verkehrsaufkommen. Die Folgen des immer dichter<br />

werdenden Verkehrs mit sich häufenden Staus kennt jeder Autofahrer zur<br />

Genüge. Einen der Auswege daraus weisen Leitsysteme für ein optimiertes<br />

Verkehrsflussmanagement. Sie verteilen die Fahrzeugströme so intelligent,<br />

dass es zu möglichst wenigen Streckenüberlastungen kommt.<br />

Auch Forscher und Entwickler von <strong>Daimler</strong>Chrysler arbeiten an entsprechenden<br />

Strategien (siehe Beitrag ab Seite 54 „So von Auto zu Auto“).<br />

Wenn es ums Spritsparen und damit um CO 2 -Vermeidung geht, sollte<br />

man den Autofahrer selbst nicht vergessen. Er beeinflusst durch sein<br />

Fahrverhalten entscheidend, wie hoch die Menge an ausgestoßenem<br />

CO 2 bei einer Fahrt tatsächlich ist: Bis zu 20 Prozent Kraftstoff, so zeigen<br />

Untersuchungen, hilft eine umsichtige Fahrweise Kraftstoff einzusparen.<br />

Daher bietet <strong>Daimler</strong>Chrysler seinen Pkw- und Lkw-Kunden schon seit<br />

vielen Jahren so genannte ECO-Fahrertrainings an. Besonders stark nachgefragt<br />

sind derartige Kurse im Nutzfahrzeugbereich, wo die Betreiber<br />

und Fahrer der Lkw die Kraftstoffkosten seit jeher fest im Blick haben. So<br />

haben allein im letzten Jahr im Lkw-Kundencenter in Wörth insgesamt<br />

2416 Trucker an solchen Kursen teilgenommen. In 50 Ländern betreibt<br />

<strong>Daimler</strong>Chrysler zudem so genannte, „Train-the-Trainer-Programme“. Geschulte<br />

Instruktoren unterstützen dabei angehende ECO-Fahrtrainer vor<br />

Ort, entsprechende Schulungen aufzubauen.>


12<br />

> Klimawandel -<br />

Was weiß die<br />

Wissenschaft?<br />

> Vorsicht<br />

Statistik<br />

Als „Weltklimarat“ wird das<br />

UNO-Gremium mit dem sperrigen<br />

Namen „Zwischenstaatlicher<br />

Ausschuss für Klimaveränderungen“<br />

oder englisch „Intergovernmental<br />

Panel on Climate Change“<br />

(IPCC) zwar nicht ganz korrekt,<br />

aber griffig bezeichnet. Seine Aufgabe<br />

ist es, den Klimawandel sowie<br />

dessen Folgen und Risiken zu analysieren<br />

und Vorschläge zu unterbreiten,<br />

wie sich negative Entwicklungen<br />

vermeiden, zumindest aber<br />

abschwächen lassen. Allerdings<br />

betreibt das IPCC keine eigene Forschung.<br />

Vielmehr bewerten dessen<br />

Experten die Sachlage auf der<br />

Basis vorliegender Forschungsergebnisse,<br />

die nach gemeinschaftlicher<br />

Einschätzung auf solider wissenschaftlicher<br />

Basis beruhen.<br />

Nicht nur die Nutzung fossiler<br />

Energien wie Kohle, Erdgas<br />

oder Erdöl ist mit dem Ausstoß von<br />

CO2 in die Atmosphäre verbunden.<br />

Auch Land- und Forstwirtschaft<br />

tragen zum weltweiten CO2-Aus stoß bei. Für den vierten IPCC-Bericht<br />

zum Klimawandel (siehe Text<br />

„Klimawandel – Was weiß die Wissenschaft?“)<br />

haben die Experten<br />

die jeweiligen Anteile der sieben<br />

Verursachersektoren abgeschätzt<br />

(oberes Diagramm, rechts). Mit gut<br />

einem Viertel (25,9 Prozent) trägt<br />

demnach die Energieerzeugung zur<br />

globalen Gesamtemissionsmenge<br />

an CO2 bei. Darauf folgen die Industrie<br />

(19,4 Prozent) und die<br />

Forstwirtschaft (17,4 Prozent). Bei<br />

letzterer ergibt sich der CO2-Bei trag im Wesentlichen aus der Differenz<br />

von abgeholzten und wieder<br />

aufgeforsteten Flächen. Im Mittelfeld<br />

bewegen sich die Landwirtschaft<br />

(inklusive Brandrodungen)<br />

mit einem Anteil von 13,5 Prozent<br />

In der Welt der Forschung nennt<br />

man dieses Vorgehen Peer Review.<br />

Es gilt als die zuverlässigste Art, einen<br />

Überblick über den Stand des<br />

Wissens zu bekommen. Im Peer<br />

Review wird etwa ermittelt, welche<br />

wissenschaftlichen Aussagen zu<br />

einem bestimmten Thema mit sehr<br />

hoher Wahrscheinlichkeit zutreffen,<br />

welche Aussagen dagegen weniger<br />

gut wissenschaftlich belegt<br />

oder sogar strittig sind. Aussagen,<br />

die dem Peer Review standhalten,<br />

spiegeln dabei den von der großen<br />

Mehrheit der Experten akzeptierten<br />

Wissensstand wider.<br />

> Vierter Bericht vorgelegt<br />

Im Februar 2007 begann das IPCC,<br />

seinen vierten Bericht zum Klimawandel<br />

der Öffentlichkeit vorzu-<br />

Das CO 2 -Einsparpotenzial im Straßenverkehr<br />

wird wesentlich davon abhängen,<br />

welche Kraftstoffe in Zukunft<br />

am Markt verfügbar sein werden.<br />

und der Verkehr mit 13,1 Prozent.<br />

Die Bereiche Wohnen/Arbeiten<br />

(7,9 Prozent) und Abfall/Abwasser<br />

(2,8 Prozent) bilden in der globalen<br />

Betrachtung die Schlusslichter.<br />

Betrachtet man unterschiedliche<br />

Verkehrsmittel, sorgen laut IPCC<br />

die Personenkraftwagen (allerdings<br />

inklusive leichter Nutzfahrzeuge<br />

bis 3,9 Tonnen) mit 44,5 Prozent<br />

für die Hauptlast am verkehrsbedingten<br />

CO 2 -Ausstoß. Die Anteile<br />

für schwere Lkw (ab 3,9 Tonnen<br />

Gesamtgewicht) liegen demnach<br />

bei 25 Prozent, für Flugzeuge bei<br />

11,6 Prozent und für den Schiffsverkehr<br />

bei 9,5 Prozent.<br />

> Schwieriger Vergleich<br />

Auffällig ist, dass in den Statistiken<br />

zum Teil erheblich abweichende<br />

Absolutzahlen – etwa hinsichtlich<br />

der Gesamtemissionsmengen –<br />

und unterschiedliche Anteilsgrößen<br />

für einzelne Verursachergruppen<br />

auftauchen. Dafür gibt es meh-<br />

stellen. Die wesentlichen Aussagen<br />

des Berichts der Arbeitsgruppe,<br />

die sich mit den Mechanismen<br />

des Klimawandels beschäftigt, lassen<br />

sich so zusammenfassen:<br />

Die CO 2 -Konzentration in der<br />

Erdatmosphäre liegt heute deutlich<br />

höher als zu Beginn der Industriellen<br />

Revolution (1750) und erreicht<br />

ein Niveau, das auch Tausende<br />

von Jahren zuvor nicht auf der<br />

Erde herrschte (Grafik rechts).<br />

Die Klimaveränderungen lassen<br />

sich an verschiedenen Messparametern<br />

deutlich ablesen, nämlich<br />

steigenden Luft- und Wassertemperaturen,<br />

dem Abschmelzen von<br />

Schnee- und Eismassen sowie dem<br />

Anstieg des Meeresspiegels.<br />

Es wird als „sehr wahrscheinlich“<br />

(Irrtumswahrscheinlichkeit<br />

rere Gründe. Eine Erklärung sind<br />

länderspezifische beziehungsweise<br />

regionale Unterschiede im<br />

Emissionsmuster. So betrachten<br />

die Statistiken, auf die sich die<br />

IPCC-Experten beziehen, die sektoralen<br />

Beiträge zur Gesamt- CO 2 -<br />

Emission auf globaler Ebene. Der<br />

Blick auf die Situation in Deutschland<br />

zeigt ein davon deutlich abweichendes<br />

Bild (unteres Diagramm,<br />

rechts): So tragen nach<br />

den Erhebungen des Umweltbundesamts<br />

(UBA) die Energiewirtschaft<br />

mit 41,1 Prozent und der<br />

Verkehr mit 19,3 Prozent zur Gesamtemission<br />

an CO 2 bei, während<br />

zum Beispiel Land- und Forstwirtschaft<br />

hierzulande deutlich geringere<br />

Anteile am CO 2 -Ausstoß haben.<br />

Für die EU gibt die Europäische<br />

Umweltagentur (EEA) in ihrem<br />

jüngsten Bericht, der Anfang<br />

2007 erschien, den verkehrsbedingten<br />

Anteil an allen Treibhausgasen<br />

mit 21 Prozent an. Diese An-


<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 > Verbrauchsminderung 13<br />

CO 2 -<br />

Gehalt<br />

in ppm<br />

350<br />

300<br />

250<br />

7,9 %<br />

Wohnen/<br />

Arbeiten<br />

17,4 %<br />

Forstwirtschaft<br />

13,1 %<br />

Verkehr<br />

13,1 %<br />

Haushalte<br />

6,0 %<br />

Gewebe/Handel/<br />

Dienstleistung<br />

20,3 %<br />

Industrie<br />

10000<br />

5000 0<br />

Zeit vor 2005 in Jahren<br />

13,5 %<br />

Landwirtschaft 2,8 %<br />

Abfall/Abwasser<br />

19,3 %<br />

Verkehr<br />

19,4 %<br />

Industrie<br />

25,9 %<br />

Energieerzeugung<br />

0,2 %<br />

Sonstige<br />

Einstrahlung<br />

in<br />

Watt/m 2<br />

1<br />

0<br />

41,1 %<br />

Energieerzeugung<br />

Anteile an<br />

CO 2 -Emission<br />

- weltweit<br />

Anteile an<br />

CO 2 -Emission<br />

- Deutschland<br />

geringer als zehn Prozent) angesehen,<br />

dass vor allem die anthropogenen<br />

Treibhausgasemissionen<br />

(darunter in erster Linie CO 2 , in geringerem<br />

Maß Methan, Ozon, Distickstoffoxid<br />

und halogenierte<br />

Kohlenwasserstoffe) für den Klimawandel<br />

verantwortlich sind. Demgegenüber<br />

ist der Beitrag natürlicher<br />

Vorgänge hierzu (zum Beispiel<br />

Vulkanismus sowie Schwankungen<br />

der Sonnenaktivität) deutlich kleiner<br />

und daher ungeeignet, die beobachteten<br />

Klimaveränderungen in<br />

Art, Geschwindigkeit und Ausmaß<br />

zu erklären.<br />

Die mithilfe diverser Klimamodelle<br />

im Jahr 1990 vorhergesagte<br />

globale Erwärmung lässt sich inzwischen<br />

durch die Messungen bestätigen.<br />

So erhöhte sich von 1990<br />

gabe bezieht sich allerdings nur auf<br />

15 der 27 EU-Länder (nämlich die<br />

älteren Beitrittsländer) und enthält<br />

nicht die verkehrsbedingten Emissionen<br />

des internationalen Seeund<br />

Luftverkehrs.<br />

Ein weiterer Grund für die zum Teil<br />

eklatanten Unterschiede in den<br />

Statistiken liegt darin, dass die Belastungsbeiträge<br />

einzelner Emittenten<br />

in unterschiedlichen Maßen<br />

angegeben werden. Dieser Effekt<br />

spielt etwa bei der Beurteilung der<br />

Rolle des Flugverkehrs eine entscheidende<br />

Rolle: Der Belastungsbeitrag<br />

der Luftfahrt lässt sich zum<br />

einen wie bei allen anderen Verkehrsmitteln<br />

als Menge des ausgestoßenen<br />

Kohlenstoffs oder CO 2<br />

angeben. Berücksichtigt man indes<br />

zusätzlich, dass in Flughöhe emittiertes<br />

CO 2 eine doppelt so hohe<br />

„Treibhauswirkung“ hat wie bodennah<br />

entstandenes CO 2 , dann verdoppelt<br />

sich dadurch auch der Beitrag<br />

des Luftverkehrs am verkehrs-<br />

auf 2000 die durchschnittliche globale<br />

Lufttemperatur um 0,2 Grad<br />

Celsius; in diversen Simulationsläufen<br />

wurde ein Anstieg zwischen<br />

0,15 bis 0,3 Grad Celsius für diese<br />

Dekade prognostiziert. Aus Sicht<br />

der Experten ist diese Übereinstimmung<br />

ein wichtiges Indiz dafür,<br />

dass die verwendeten Simulationsverfahren<br />

die zukünftige Entwicklung<br />

korrekt modellieren.<br />

Es muss als sehr wahrscheinlich<br />

angesehen werden (Irrtumswahrscheinlichkeit<br />

geringer als zehn<br />

Prozent), dass bei gleichbleibenden<br />

oder gar steigenden CO2- Emissionen die Effekte auf das<br />

weltweite Klima im 21. Jahrhundert<br />

gravierender sein werden als jene,<br />

die während des 20. Jahrhunderts<br />

zu beobachten waren.<br />

bedingten Treibhauseffekt. Das<br />

Maß für diesen, die Wirksamkeit<br />

berücksichtigenden Emissionsbeitrag<br />

lautet CO2-Äquivalent. Ein dritter Grund für Diskrepanzen<br />

liegt in der unterschiedlichen<br />

Spannbreite der Betrachtungen:<br />

So ist es erheblich, ob sich die angegebenen<br />

Mengen an emittiertem<br />

CO2 nur auf Energieverbrauch und<br />

CO2-Emissionen des Verkehrsmittels<br />

beziehen, oder ob auch jene<br />

Emissionsbeiträge in die Statistik<br />

eingehen, die angefallen sind, um<br />

den benötigten Energieträger zu<br />

erzeugen und bereitzustellen. Im<br />

ersten Fall sprechen Fachleute von<br />

Tank-to-Wheel-Analysen; eine umfassende<br />

Betrachtung erlauben indes<br />

nur Well-to-Wheel-Analysen.<br />

Frei übersetzt betrachtet man im<br />

ersten Fall nur die Emissionen zwischen<br />

dem Tank (oder dem Stromnetz)<br />

und den Rädern, im zweiten<br />

Fall schaut man vom Bohrloch oder<br />

der Energiequelle bis zum Rad.<br />

><br />

>


14<br />

> Die CO 2-<br />

Stellschrauben<br />

am Fahrzeug<br />

Gesamtes Fahrzeug<br />

Antrieb<br />

Getriebe<br />

Energiemanagement<br />

im Fahrzeug<br />

Nebenaggregate<br />

Rund 5,3 Milliarden Euro investierte<br />

<strong>Daimler</strong>Chrysler im letzten<br />

Jahr in seine Forschung und<br />

Entwicklung. Etwa ein Viertel davon<br />

fließt schon heute direkt in die<br />

Erforschung umweltfreundlicher<br />

Technologien. Verankert in der<br />

Nachhaltigkeitsstrategie des Unternehmens<br />

ist es eines der Ziele –<br />

aber nicht das einzige –, Kraftstoff<br />

einzusparen und den CO2-Ausstoß zu senken.<br />

In der öffentlichen Diskussion um<br />

mögliche Klimaschutzbeiträge<br />

durch innovative Fahrzeugtechnik<br />

stehen häufig singuläre Entwicklungen<br />

im Fokus des Interesses –<br />

man denke etwa an die hohe Aufmerksamkeit,<br />

die Hybridantriebe<br />

derzeit genießen. Die Forscher und<br />

Entwickler von <strong>Daimler</strong>Chrysler<br />

Aerodynamik Strömungsmodelle/Simulation<br />

Erprobung/Optimierung im Windkanal<br />

Bionische Bauprinzipien<br />

Leichtbau Materialforschung/Nanowerkstoffe<br />

Materialsparende Verfahrenstechniken (etwa Lichtbogendrahtspritzen)<br />

Bionische Bauprinzipien (materialsparende Konstruktionen)<br />

Motorsteuerung Online-Motorregelung statt Kennfeld-Steuerung<br />

Einspritzverfahren Piezo-Injektoren<br />

Strahlgeführte Verbrennung<br />

Homogene Verbrennung<br />

Reibung Tribologische Forschung zur Verminderung von Reibungsverlusten<br />

Downsizing Brennraumverkleinerung mit Turboaufladung<br />

Kompressorunterstützung<br />

Motorenkonzepte für den Einsatz im besten Betriebspunkt<br />

Alternative Kraftstoffe Erdgasantriebe für Pkw, leichte Nutzfahrzeuge, Lkw, Busse<br />

Bivalente Verbrennungsmotoren für Erdgas und/oder Benzin<br />

FlexFuel-Antriebe/Adaptation für Beimischung von Biodiesel (RME) und Bioethanol<br />

Motoroptimierung zur Emissionsminderung bei Einsatz synthetischer<br />

Kraftstoffe (GTL/BTL)<br />

Hybridisierung Konzepte in Kombination mit Diesel- oder Ottomotoren<br />

Konzepte für Mild Hybrids und Vollhybride<br />

Konzepte für Pkw, SUVs, leichte Nutzfahrzeuge, Lkw und Busse<br />

Brennstoffzellentechnologie Entwicklung der Antriebstechnologie bis zur Serienreife für Pkw,<br />

leichte Nutzfahrzeuge und Busse<br />

Erprobung von Konzepten zur zentralen und dezentralen Erzeugung von Wasserstoff<br />

Aufbau einer Versorgungsinfrastruktur<br />

Schaltstrategien Predictive Cruise Control (verbrauchsoptimierter Tempomat)<br />

Optimierung der Steuerung von Automatikgetrieben<br />

Gewichtseinsparung Fertigungsverfahren und Hochleistungswerkstoffe für kompakte Bauweise<br />

Stromsparen Leuchtdioden für Innen- und Außenbeleuchtung einschließlich Fahrlicht<br />

Start-Stopp-Automatik Starter-Generatoren<br />

folgen auf dem Weg zu spritsparenderen<br />

und emissionsärmeren Modellen<br />

indes einem ganzheitlichen<br />

Ansatz. Schließlich unterscheiden<br />

sich individuelle Mobilitätsansprüche,<br />

Einsatzzwecke und Nutzungsbedingungen<br />

von Fahrzeugen oder<br />

Verkehrsinfrastrukturen in den verschiedenen<br />

Regionen der Welt erheblich.<br />

Wer glaubt, mit einem einzigen<br />

Konzept den „Stein der Weisen“<br />

gefunden zu haben, wird früher<br />

oder später das begrenzte Potenzial<br />

seiner favorisierten Lösung<br />

eingestehen müssen.<br />

Die Ingenieure von <strong>Daimler</strong>Chrysler<br />

setzen mit ihren Technologieprojekten<br />

demgegenüber systematisch<br />

an allen Erfolg versprechenden<br />

Stellschrauben an, mit denen<br />

sich Verbrauch und CO 2 -Ausstoß<br />

Brennstoffzellentechnologie Brennstoffzellen zur Stromerzeugung für das Bordnetz<br />

Bordnetz höhere Energieeffizienz durch 42 Volt-Bordnetz<br />

Klimatisierung Optimierung von Heiz- und Kühlaggregaten<br />

senken lassen. Erst in ihrer Gesamtheit<br />

und in der Vielfalt der Lösungen<br />

erschließen innovative<br />

Fahrzeugtechnologien ein beachtliches<br />

Einsparpotenzial unter den<br />

sehr unterschiedlichen Bedingungen<br />

des Verkehrsalltags.<br />

Die folgende – durchaus nicht vollständige<br />

– Übersicht zeigt anhand<br />

von Beispielprojekten, wie breit gefächert<br />

<strong>Daimler</strong>Chrysler seine Innovationskraft<br />

nutzt, um auch im<br />

Hinblick auf den Klimaschutz nachhaltige<br />

Mobilität zu sichern. Das<br />

Gros der Projekte zielt auf die gesteigerte<br />

Effizienz des motorischen<br />

Antriebs. Doch die Ingenieure haben<br />

auch das Getriebe, die Nebenaggregate<br />

sowie die äußere Form<br />

und das Gewicht der Fahrzeuge im<br />

Blick ihrer Arbeit.<br />

>


S.15<br />

Anzeige


16<br />

Sämtliche regenerativ gewonnenen Kraftstoffe schmückt das „Bio-<br />

Etikett“. Forscher von <strong>Daimler</strong>Chrysler haben sich diese Kraftstoffe<br />

genauer angeschaut und dabei entdeckt, dass „Bio“ allein nicht ausreicht.<br />

Erst intelligente Nutzungskonzepte für Biomasse und effiziente<br />

Herstellungsverfahren für diese Kraftstoffe garantieren<br />

deutliche Klimaschutzvorteile. Richtig angepackt, so das Fazit ihrer<br />

Zukunftsprojektion, bieten diese Kraftstoffe ein enormes Potenzial,<br />

das sogar weit über ihre ökologischen Tugenden hinausreicht.<br />

Lässt sich mit Biokraftstoffen der CO 2 -Ausstoß des Verkehrs spürbar<br />

verringern? „Das kann sehr erfolgreich gelingen, muss aber<br />

nicht so sein“, meint Stefan Keppeler. Für den Kraftstoffspezialisten<br />

in der <strong>Daimler</strong>Chrysler-Forschung bedeutet das Etikett „Bio“<br />

nicht schon per se ein Qualitätsprädikat in der gegenwärtigen Klimaschutzdebatte.<br />

Der Grund dafür: Seine Kollegen und er haben den Kraftstoffen mit der<br />

verlockenden Vorsilbe genau auf den Zahn gefühlt. Das Fazit ihrer intensiven<br />

Recherche mahnt zur Vorsicht. Betrachtet man diese Kraftstoffe ungetrübt<br />

von einem Eigeninteresse, zeigt sich deren erstaunliche Bandbreite<br />

im Hinblick auf ökologische Effekte. Salopp gesagt: Nicht überall, wo<br />

„Bio“ draufsteht, ist auch ausreichend viel Klimaschutz drin.<br />

Mit Hilfe zweier Zukunftsszenarien hat Keppelers Team das ökonomische<br />

und ökologische Potenzial erneuerbarer Kraftstoffe ausgelotet. Die<br />

zentralen Erkenntnisse dieser Zukunftsprojektionen zur Rolle von Biokraftstoffen<br />

in Deutschland und innerhalb der Europäischen Union (EU)<br />

erklären denn auch Keppelers ambivalent wirkende Anfangsbemerkung.<br />

Der verstärkte Einsatz von biogenen Kraftstoffen wird nur dann die CO 2 -<br />

Bilanz spürbar verbessern, wenn „die richtigen“ Biokraftstoffe gewählt<br />

werden, wenn also das am besten geeignete Biomaterial mit den effektivsten<br />

Verfahren zu den qualitativ hochwertigsten Treibstoffen umgesetzt<br />

wird. Umgekehrt gilt: Wer unkritisch die biogene Herkunft aus Pflanzen<br />

bereits als Garantie für Umweltfreundlichkeit betrachtet, kann sich<br />

böse verrechnen.<br />

> Regenerativ in der zweiten Generation<br />

Von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, hat sich die Familie der Biokraftstoffe<br />

in den letzten Jahren deutlich vergrößert: Zu den „klassischen“<br />

Vertretern wie dem hierzulande breit eingeführten Biodiesel oder dem in<br />

Brasilien und auch Nordamerika verbreiteten Bioethanol gesellten sich<br />

neue regenerative Kraftstoffe, etwa der synthetische BTL-Kraftstoff oder<br />

Ethanol aus Lignozellulose. Diese noch jungen Sprösslinge stehen für die<br />

zweite Generation der Biokraftstoffe. Der Unterschied zur Vorgängergeneration<br />

ist eklatant: Biodiesel entsteht durch chemische Umformung<br />

(Veresterung) aus Rapsöl; Bioethanol erzeugt man in Brasilien aus dem<br />

Zucker des Zuckerrohrs, in den USA vor allem aus Mais und Sojabohnen.<br />

Anders ist das bei Ethanol aus Biomasse – genauer gesagt aus Stroh:<br />

Diesen Kraftstoff gewinnt man durch ein kompliziertes, zweistufiges Verfahren,<br />

bei dem das verholzte Fasermaterial, das im Wesentlichen aus<br />

Lignin und Zellulose besteht, zunächst in Zucker umgewandelt wird. Aus<br />

diesem lässt sich in einem verhältnismäßig einfachen, zweiten Prozessschritt<br />

Ethanol gewinnen.<br />

Zweistufig funktioniert auch der BTL-Prozess: Hier benötigt man Biomasse<br />

wie Durchforstungsholz oder auch Energiepflanzen als Ausgangsmaterial<br />

und verschwelt diese Biomasse. Dabei bildet sich so genanntes<br />

Synthesegas – im Wesentlichen eine Mixtur aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff.<br />

Dieses Gas lässt sich in einem Spezialreaktor zu flüssigem Kraft-<br />

Holz, Stroh und spezielle<br />

Energiepflanzen sind<br />

die Quellen der<br />

regenerativ gewonnenen<br />

Kraftstoffe<br />

stoff – zurzeit ist es in der Regel<br />

Diesel – umwandeln.<br />

Die Unterschiede zwischen den<br />

Biokraftstoffen beider Generationen<br />

sind enorm. Biodiesel und Bioethanol<br />

nutzen nur einen verhältnismäßig<br />

kleinen Teil der gesamten<br />

Pflanze, also zum Beispiel das abgepresste<br />

Öl aus den winzigen,<br />

schwarzen Rapssamen der meterhohen<br />

Nutzpflanzen oder die stärkehaltige<br />

Frucht von Weizen und<br />

Roggen. Biokraftstoffe der zweiten<br />

Generation nutzen die Pflanze dagegen<br />

„mit Stumpf und Stiel“–<br />

nämlich jede Faser, jede Zelle vom<br />

Stängel bis zum Fruchtkörper, von<br />

der Baumwurzel bis zum Wipfel.<br />

Der Effekt: Bezogen auf die Anbaufläche<br />

liefert die zweite Generation<br />

ein Mehrfaches an Biosprit als ihre<br />

Vorgänger.<br />

Zudem hat die erste Generation<br />

regenerativer Kraftstoffe eine vergleichsweise<br />

schlechte CO 2 -Bilanz.<br />

Sie ist weit entfernt von der<br />

theoretisch denkbaren Maximalmarke<br />

von 100 Prozent Einsparung<br />

Auf, zur<br />

– also CO 2 -Neutralität. Sie liegt für<br />

Biodiesel aus Raps bei höchstens<br />

50 Prozent, für Bioethanol liegt der<br />

Wert je nach Pflanzenquelle sogar<br />

noch deutlich darunter.<br />

Anders bei BTL-Diesel: Hier lassen<br />

sich bis zu 95 Prozent an Treibhausgas<br />

einsparen. Absolut CO 2 -<br />

neutral ist zwar auch er nicht, da<br />

für seine Herstellung fossile Energie<br />

etwa für Dünger und Pflanzenschutzmittel<br />

beim Anbau und<br />

Treibstoff für den Transport aufge-


<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 > Biokraftstoffe 17<br />

zweiten Generation<br />

wendet werden müssen, aber er<br />

kommt dem Ideal ziemlich nah.<br />

Eigentlich eine klare Sache,<br />

könnte man meinen. Aber sie hat –<br />

bislang noch – einen entscheidenden<br />

Haken, nämlich den jeweiligen<br />

Entwicklungsstand der beiden Herstellungsverfahren<br />

für die zwei Biokraftstoffgenerationen.<br />

So ist die<br />

Verfahrenstechnik zur Produktion<br />

von Biokraftstoffen der ersten<br />

Generation gut entwickelt. In<br />

Deutschland etwa wächst bereits<br />

Kraftstoffe aus Biomasse<br />

erlauben es, die<br />

Dominanz des Erdöls bei<br />

Benzin und Diesel zu<br />

brechen<br />

Das Potenzial regenerativer Kraftstoffe unter der Lupe<br />

Die Verfahren zur Herstellung<br />

von Biokraftstoffen<br />

der zweiten<br />

Generation befinden<br />

sich im Pilotstadium<br />

heute Raps zur Energieerzeugung auf einer Fläche von etwas mehr als einer<br />

Million Hektar. Der daraus gewonnene Biodiesel erreicht hierzulande<br />

einen beachtlichen Anteil von 5,6 Prozent des Dieselabsatzes – übrigens<br />

eine Menge, die sich nach Ansicht der meisten Experten kaum noch wird<br />

steigern lassen, da sich die Anbaufläche für den gelb blühenden Raps zwischen<br />

Flensburg und Rosenheim nicht beliebig ausweiten lässt.<br />

Anders der Stand der Technik für Herstellungsverfahren von Biokraftstoffen<br />

der zweiten Generation: Keiner dieser Kraftstoffe ist momentan in<br />

nennenswerten Mengen auf dem Markt verfügbar; die Anlagen zur Gewinnung<br />

dieser Kraftstoffe befinden sich erst im Demonstrations- oder Pilotstadium.<br />

Aufgrund ihrer beschränkten Produktionskapazität sind sie noch<br />

ein ganzes Stück von der Wirtschaftlichkeitsschwelle entfernt. Die komplexe<br />

Verfahrenstechnik zur Umwandlung von Lignozellulose in Stär- >


18<br />

ke oder Zucker befindet sich gar<br />

erst in den Kinderschuhen. Mit anderen<br />

Worten: Bevor die zweite<br />

Biospritgeneration der ersten aufgrund<br />

ihrer unbestreitbaren Vorteile<br />

wirklich den Rang ablaufen kann,<br />

muss sie „fit gemacht“ werden für<br />

den großtechnischen, rentablen<br />

Einsatz. Der dafür zu leistende Forschungs-<br />

und Entwicklungsaufwand<br />

ist beträchtlich, doch er wird<br />

sich in mehrfacher Hinsicht lohnen.<br />

Auch dies ist ein Ergebnis aus<br />

dem Szenarienvergleich des Teams<br />

um Stefan Keppeler.<br />

> Weggabel für Biokraftstoffe<br />

Keppelers Team hat zwei mögliche<br />

Entwicklungsstränge für regenerative<br />

Kraftstoffe bis zum Jahr 2030<br />

verfolgt und deren jeweilige Konsequenzen<br />

durchleuchtet. Für beide<br />

Szenarien gelten vergleichbare<br />

Ausgangsbedingungen etwa hin-<br />

Biokraftstoffe der<br />

zweiten Generation<br />

nutzen die gesamte<br />

Biomasse ihrer<br />

pflanzlichen Quellen<br />

Aus dem Duo Motorenanpassung<br />

plus synthetischem<br />

Kraftstoff<br />

ergibt sich die größte<br />

Emissionsminderung<br />

sichtlich der verfügbaren Anbaufläche<br />

zur Erzeugung der Biomasse.<br />

Bei dieser wesentlichen Rahmenbedingung<br />

gingen die <strong>Daimler</strong>-<br />

Chrysler-Forscher von sehr vorsichtigen<br />

Schätzungen aus und orientierten<br />

sich an einer Studie der<br />

Deutschen Energieagentur DENA.<br />

Diese staatlich finanzierte Einrichtung<br />

berät die deutsche Regierung<br />

in Fragen zukünftiger Energiepolitik.<br />

Im letzten Jahr lotete sie gemeinsam<br />

mit unabhängigen Experten<br />

das Potenzial von Biokraftstoffen<br />

der zweiten Generation aus<br />

und ging dabei auch der wichtigen<br />

Frage nach, wie viel Anbaufläche in<br />

Zukunft für die Biokraftstoffproduktion<br />

realistisch zur Verfügung<br />

stehen könnte.<br />

In den zwei Szenarien ging es<br />

Keppelers Team letztlich darum,<br />

das Zukunftspotenzial beider Biokraftstoffgenerationen<br />

an den poli-<br />

tisch wie gesellschaftlich gewünschten<br />

Zielvorgaben zu messen.<br />

So hat die EU bereits 2003 in<br />

der Biokraftstoffrichtlinie festgelegt,<br />

den Anteil von regenerativen<br />

Kraftstoffen am Gesamtkraftstoffverbrauch<br />

der inzwischen 27 EU-<br />

Länder schrittweise von 5,75 Prozent<br />

(bis 2010) auf 8 Prozent (bis<br />

2020) zu erhöhen. Mit ihren Beschlüssen<br />

zur künftigen Klimapolitik<br />

legten die Regierungschefs der<br />

EU-Länder während ihres Gipfeltreffens<br />

im März 2007 die Latte sogar<br />

noch ein wenig höher: Bis zum<br />

Jahr 2020 sollen nunmehr 20 Prozent<br />

der in allen Wirtschaftssektoren<br />

verbrauchten Energie aus regenerativen<br />

Quellen stammen, wobei<br />

regenerative Kraftstoffe dann einen<br />

Anteil von zehn Prozent erreichen<br />

sollen.<br />

Diese Vorgaben legte auch Keppelers<br />

Team für die eigenen Szena-


<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 > Biokraftstoffe 19<br />

rien als Etappenziele zugrunde,<br />

wobei die Forscher aufgrund des<br />

weiter reichenden Zeithorizonts<br />

bis zum Jahr 2030 einen Biokraftstoffanteil<br />

von 15 Prozent am Gesamtkraftstoffbedarf<br />

als Fernziel<br />

definierten.<br />

Der Unterschied zwischen beiden<br />

betrachteten Szenarien liegt<br />

nun in Grundannahmen, wie man<br />

in Deutschland, beziehungsweise<br />

europaweit fortan Biokraftstoffe<br />

entwickeln möchte. Die Wissenschaftler<br />

sehen hier zwei Alternativen:<br />

Im Szenario I gehen sie von einem<br />

graduellen Ausbau der Biokraftstoffe<br />

erster Generation aus,<br />

während die Biokraftstoffe der<br />

zweiten Generation aufgrund nur<br />

verhältnismäßig geringer Förderung<br />

noch lange Zeit brauchen werden,<br />

um allmählich an Bedeutung<br />

zu gewinnen.<br />

„Ambitionierter“ ist Szenario II:<br />

Hier postulierte Keppelers Team,<br />

dass Politik und die beteiligten<br />

Wirtschaftszweige ihr Engagement<br />

und Investment in die Entwicklung<br />

wirtschaftlicher Verfahren zur Herstellung<br />

regenerativer Kraftstoffe<br />

der zweiten Generation deutlich<br />

verstärken, sodass diese beginnend<br />

ab etwa 2010 einen größer<br />

werdenden Anteil an der Biokraftstoffproduktion<br />

haben können,<br />

während die Bedeutung der Biokraftstoffe<br />

aus der ersten Generation<br />

stagniert oder gar sinken wird.<br />

Drei wesentliche Aussagen ergeben<br />

sich aus dem Vergleich beider<br />

Szenarien:<br />

Die schrittweisen Zielvorgaben<br />

bis 2030 lassen sich im Szenario I<br />

für Deutschland wie auch europaweit<br />

unter den Annahmen beider<br />

Szenarien nur bei den Kraftstoffen<br />

für Ottomotoren erzielen, nicht jedoch<br />

bei Dieselkraftstoff. Hier verfehlt<br />

Szenario I das Fernziel von 15<br />

Prozent regenerativ erzeugten Diesels<br />

sowohl innerhalb Deutschlands<br />

als auch der gesamten EU.<br />

Aufgrund der begrenzten Verfügbarkeit<br />

von „freien“ Anbauflächen<br />

ist ein Anteil von mehr als zehn<br />

Prozent Biodiesel illusorisch.<br />

Auf dem Rollenprüfstand<br />

zeigte sich das<br />

enorme Potenzial synthetischer<br />

Kraftstoffe<br />

zur Emissionsminderung<br />

Das „ehrgeizigere“ Szenario II zeigt, dass die konsequente Technologieentwicklung<br />

von Biokraftstoffen der zweiten Generation sogar das<br />

Potenzial birgt, die Zielvorgaben deutlich zu übertreffen: Die <strong>Daimler</strong>-<br />

Chrysler-Forscher halten aufgrund ihrer Berechnungen einen Anteil von<br />

regenerativen Kraftstoffen bis zum Jahr 2030 von etwas über 20 Prozent<br />

innerhalb der EU und gar von 28 Prozent für Deutschland auf der verfügbaren<br />

Fläche für möglich – und dies sogar unter Berücksichtigung der<br />

Nutzungskonkurrenz für Biomasse, die sich mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />

ergeben wird, da Biomasse zunehmend verwendet werden wird, um regenerativ<br />

Strom oder Wärme zu erzeugen.<br />

Noch deutlicher treten die Vorteile des Szenarios II bei der CO 2 -Einsparung<br />

zu Tage. Grob gesagt verdoppelt sich in dieser Zukunftsoption<br />

die eingesparte Menge an CO 2 gegenüber Szenario I und erreicht bis zum<br />

Jahr 2030 europaweit ein Sparpotenzial von zirka 17 Prozent (gegenüber<br />

acht Prozent in Szenario I) und in Deutschland sogar von 22,5 Prozent (gegenüber<br />

rund neun Prozent in Szenario I). Der Grund dafür: Für die größten<br />

CO 2 -Einsparungen sorgen die Biokraftstoffe der zweiten Generation –<br />

allen voran BTL-Diesel, gefolgt von Bioethanol aus Lignozellulose.<br />

> Ein lohnendes volkswirtschaftliches Investment<br />

Umsonst sind die unstrittigen Vorteile der neuen Biokraftstoffe nicht zu<br />

bekommen. Auch diesen Aspekt beleuchtet die Analyse der <strong>Daimler</strong>-<br />

Chrysler-Forscher. Die bis zum Jahr 2030 summierten Investitionskosten<br />

für die Umsetzung des Szenarios II in Deutschland schätzt das Team auf<br />

17,7 Milliarden Euro – gegenüber 5,5 Milliarden Euro an Investitionskosten<br />

für die Biokraftstoffproduktion à la Szenario I.<br />

Stefan Keppeler allerdings gibt zu bedenken: „Die doppelt so hohe<br />

CO2-Minderung ist nur ein Vorteil, den wir erzielen. Die konsequente Nutzung<br />

regenerativer Kraftstoffe ist einer der wenigen, auch heute schon<br />

gangbaren Wege, die uns aus der bislang fast totalen Abhängigkeit vom<br />

Rohöl als alleiniger Energiequelle für unsere Mobilität herausführen.“ Und<br />

sogar volkswirtschaftliche Aspekte sprechen aus seiner Sicht für ein konsequentes<br />

Engagement in die nächste Biokraftstoffgeneration: „Wir investieren<br />

das Geld schließlich in Produkte, die den Menschen hierzulande<br />

Arbeit und Einkommen bieten, und in eine exportfähige Technologie, was<br />

ebenfalls den Menschen bei uns zugutekommt, anstatt immer höhere<br />

Rechnungen für importiertes Rohöl zu begleichen.“<br />

Die Quintessenz aus dieser Zukunftsbetrachtung ist für Stefan Keppeler:<br />

„Die Förderung und Entwicklung von Biokraftstoffen sollte unbedingt<br />

technologieoffen erfolgen – also klare Kriterien vorgeben, die die energiepolitischen<br />

Ziele für den Kraftstoffmarkt definieren, die jedoch keinesfalls<br />

nur bestimmte Kraftstoffsorten favorisieren.“ Genauso wichtig sind für<br />

ihn einheitliche Rahmenbedingungen, also eine harmonisierte Förderung<br />

und steuerliche Behandlung der Biokraftstoffe in Gesamteuropa. Keppeler:<br />

„Mein Albtraum wären nationale Regelungen für 27 verschiedene<br />

Kraftstoffe oder Kraftstoffmischungen in 27 Ländern.“<br />

Vorsorge gilt es zu treffen, damit auch bei Kraftstoffen niemand mit<br />

der beliebten Vorsilbe „Bio“ Schindluder treibt. „Es darf nicht passieren,<br />

dass in Indonesien Regenwald abgeholzt wird, damit aus dem Holz in<br />

Europa Biokraftstoff erzeugt wird“, warnt Keppeler. Deshalb, so fügt er<br />

an, arbeitet <strong>Daimler</strong>Chrysler in Kooperation mit der UNEP, der Umweltorganisation<br />

der Vereinten Nationen, sowie dem Worldwide Fund for Nature<br />

(WWF) an der Erstellung von Nachhaltigkeitskriterien für den Anbau von<br />

Biomasse für Biokraftstoffe. Diese bilden dann die Basis für eine zukünftige<br />

Zertifizierung von Biokraftstoffen – eine Initiative, die derartigen Etikettenschwindel<br />

wirksam verhindern soll.<br />

>


20<br />

„Wir werden die Schlagzahl<br />

sogar noch erhöhen“<br />

1998 haben sich die europäischen Autohersteller<br />

verpflichtet, bis 2008 den CO 2 -Ausstoß<br />

ihrer Fahrzeugflotten von 185 Gramm<br />

pro Kilometer in 2005 um rund 25 Prozent<br />

auf 140 Gramm pro Kilometer zu senken.<br />

Davon ist man im Moment noch weit entfernt.<br />

Ist dieses Ziel noch realistisch?<br />

Welche kraftstoffsparenden Innovationen<br />

werden die Mercedes-Fahrzeuge in puncto<br />

Verbrauchssenkung bis zum Modelljahr<br />

2008 aufweisen?<br />

Die Vorgaben, die sich aus einem CO 2 -Emissionslimit<br />

für die EU-Fahrzeugflotte ergeben,<br />

müssen für einen Hersteller von Premiumfahrzeugen<br />

anders interpretiert werden<br />

als für einen Hersteller, der überwiegend<br />

kleinere Modelle anbietet. Wie lässt sich ein<br />

Maßstab finden, der alle Hersteller gleichermaßen<br />

in die Pflicht nimmt?<br />

Mit welchen spritsparenden Techniken will<br />

<strong>Daimler</strong>Chrysler den Verbrauch der Mercedes-Modelle<br />

in diesem mittleren Zeitraum,<br />

Ein Gespräch mit Professor Herbert Kohler, Umweltbevollmächtigter von <strong>Daimler</strong>Chrysler<br />

Die 140 Gramm sind ein Wert, den alle in Europa produzierenden Hersteller für die dortige Fahrzeugflotte<br />

erreichen wollen. Dieser Durchschnittswert kann nicht für jedes einzelne Fahrzeugmodell<br />

gelten. Das wäre widersinnig. Wir diskutieren auch nicht darüber, dass eine Wohnung mit<br />

150 Quadratmeter Fläche mehr Heizenergie benötigt als eine mit 50 Quadratmetern. Das ist bei<br />

Autos nicht anders. Ein Fahrzeug mit zwei Tonnen Gewicht, das sieben Personen transportiert,<br />

wird aus rein physikalischen Gründen immer mehr verbrauchen als ein Kleinwagen.<br />

Im Verband der Europäischen Automobilhersteller (ACEA) haben sich seinerzeit die Hersteller<br />

darauf verständigt, wer welchen Beitrag bringen muss. Grob gesagt gilt, die großen Hersteller<br />

müssen prozentual mehr beitragen als kleinere Hersteller. Der Verbrauch der Mercedes-Fahrzeuge<br />

ist seit 1995 – also dem Bezugsjahr der Selbstverpflichtung – um 20 Prozent gesunken.<br />

Kein anderer europäischer Hersteller hat einen höheren Verbrauchsrückgang erzielt als wir.<br />

Außerdem gebe ich zu bedenken, bis zum Jahresende 2008 ist es noch einige Zeit hin. Zudem<br />

können wir heute noch nicht präzise wissen, welche Fahrzeuge wir 2008 verkaufen werden.<br />

Aber wir werden bis dahin sicherlich einige Dinge, die jetzt in der Entwicklung sind, am Markt<br />

platzieren. Ich möchte nicht drum herum reden, und ich weiß, dass es sehr knapp wird, das Ziel<br />

zu erreichen. Aber lassen Sie uns Ende 2008 Bilanz ziehen.<br />

Bei Ottomotoren haben wir die zweite Generation der Direkteinspritzung vor einem Jahr in Genf<br />

präsentiert. Mittlerweile gibt es einen solchen Motor im CLS. Und diese Technologie wollen wir<br />

auf verschiedene Modelle – vor allem in unserem Mittelklassesegment – ausweiten und in die<br />

Breite entwickeln. Das bedeutet ein Verbrauchsreduktionspotenzial beim Einzelfahrzeug von<br />

zehn Prozent. Bei den kleineren Modellreihen wie der A- und der B-Klasse werden wir die Fahrzeuge<br />

mit einer Start-Stopp-Automatik anbieten. Beginnen werden wir Ende 2007 mit dem<br />

smart; die Verbrauchseinsparung beträgt fünf Prozent. Die Technologie ist fertig entwickelt und<br />

wird nun für die Serie vorbereitet. Jetzt müssen wir sie im Rahmen der Modellpflegezyklen in die<br />

jeweiligen Baureihen aufnehmen.<br />

Da gibt es unterschiedliche Modelle. In Japan aber auch innerhalb der EU diskutieren wir etwa<br />

über einen gewichtsbasierten Ansatz. Schließlich gibt es eine klare Korrelation zwischen Fahrzeuggewicht<br />

und Verbrauch. In den USA ist ein auf den Grundriss des Fahrzeugs bezogener Ansatz<br />

im Gespräch. Ich bin zuversichtlich, dass wir einen ähnlich brauchbaren Parameter finden<br />

werden wie es etwa der Energiebedarf pro Quadratmeter beheizter Fläche beim Wohnen ist.<br />

Aber klar ist, dass wir mit dem weltweit anspruchsvollsten Zielwert von 130 Gramm pro Kilometer,<br />

den die EU jetzt fordert, vor großen technologischen Herausforderungen stehen. Um unsere<br />

eigenen Ressourcen effizient einsetzen zu können, brauchen wir präzise Randbedingungen, die<br />

auch weltweit zueinander passen.<br />

Das Energiemanagement ist ein Feld, auf dem wir bereits erste Schritte gemacht haben. Das<br />

werden wir weiter ausbauen. Zum Beispiel ist das der Einsatz elektrischer Wasserpumpen oder<br />

eine elektrische Lenkung. Dabei summieren sich viele kleine Maßnahmen zu einem größeren


<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 > Interview 21<br />

also bis in fünf oder sechs Jahren weiter<br />

senken?<br />

Setzt sich <strong>Daimler</strong>Chrysler für die zukünftige<br />

Entwicklung konkrete Minderungsziele<br />

beim Verbrauch?<br />

„Kein anderer europäischer<br />

Automobilhersteller hat einen höheren<br />

Verbrauchsrückgang erzielt“<br />

Momentum, sodass der Verbrauch erst in der Zusammenschau spürbar zurückgeht; fünf bis<br />

zehn Prozent sind hierfür eine realistische Größenordnung.<br />

Zudem werden dann alle Fahrzeuge für eine Hybridisierung vorbereitet sein – wie immer diese<br />

im Einzelfall aussehen mag. Bisher haben wir uns bei dieser Technik vorwiegend um Einsatzfälle<br />

im innerstädtischen Bereich – da ist das größte Potenzial – gekümmert und deshalb die Hybridtechnik<br />

bei Bussen und im Verteilerverkehr implementiert. Derzeit entwickeln wir aber darüber<br />

hinaus in gemeinsamen Projektteams von BMW, General Motors und <strong>Daimler</strong>Chrysler in Troy im<br />

US-Bundesstaat Michigan verschiedene Hybrid-Konzepte. Deren neuestes Produkt ist ein „Two-<br />

Mode-Hybrid“ mit stufenlosem Getriebe. Es ermöglicht zwei Betriebsarten, sodass das Fahrzeug<br />

sowohl im Stadtverkehr als auch bei höheren Geschwindigkeiten im günstigen Betriebsbereich<br />

sehr effizient unterwegs ist.<br />

Diese Ziele gab es, und wir setzen sie uns auch weiterhin. In den letzten 15 Jahren haben wir den<br />

Verbrauch unserer in Deutschland verkauften Pkw-Flotte um rund 30 Prozent gesenkt, das entspricht<br />

im Schnitt einer Rate von zirka zwei Prozent pro Jahr. Dies wollen wir so weiterführen und<br />

die Schlagzahl sogar noch weiter erhöhen.<br />

Dabei muss man allerdings eines sehen: Der technische Aufwand und die Kosten pro Gramm an<br />

verminderter CO 2 -Emission werden in Zukunft steigen, und wir müssen im Automobilbau schon<br />

heute etwa zehnmal soviel Geld aufwenden, als wenn wir dieselbe Menge an CO 2 durch entsprechende<br />

Maßnahmen bei der Energieerzeugung oder im Hausbau einsparen würden. >


22<br />

Welche Kosten werden auf den Autokäufer<br />

zukommen, damit die von der EU angepeilten<br />

CO 2 -Emissionslimits erzielbar sind?<br />

Kostengünstiger als verbrauchssenkende<br />

Fahrzeugtechniken sind eine spritsparende<br />

Fahrweise und ein verbrauchsorientiertes<br />

Käuferverhalten bei der Wahl der Motorisierung.<br />

Welche Rolle kann und möchte <strong>Daimler</strong>Chrysler<br />

spielen, wenn es darum geht, in<br />

den Köpfen und Herzen der Autokäufer und<br />

Autofahrer Umweltaspekte zu verankern?<br />

„Bis zum Jahr 2015 soll der Brennstoffzellenantrieb<br />

unter Kostengesichtspunkten<br />

wettbewerbsfähig zum Dieselmotor sein“<br />

Sie werden sicher verstehen, dass ich hierzu aus Gründen des Wettbewerbs keine Aussage machen<br />

kann. Aber unzweifelhaft steht für mich fest, dass der Aufwand für weitere Verbrauchssenkungen<br />

steigen wird. Ähnliches haben wir beim Thema Senkung der NO x - und der Partikelemissionen<br />

des Diesels erlebt.<br />

Der Einfluss des Fahrverhaltens auf den Gesamtverbrauch ist in zahlreichen Untersuchungen –<br />

übrigens auch aus unserem Haus – gut dokumentiert. 20 oder sogar 25 Prozent Verbrauchsersparnis<br />

sind nach einem entsprechenden Fahrertraining möglich. Und sogar längerfristig bleiben<br />

davon durchaus zehn Prozent erhalten. Das ist eine Menge Holz; und zudem ein Effekt, für<br />

den wir auf der Seite der Fahrzeugtechnik viel Geld ausgeben müssten.<br />

Hier sehe ich ein Potenzial, das man nutzen muss und kann. Im Nutzfahrzeugbereich haben solche<br />

Trainings ja Tradition. Ich kenne Speditionen und Busunternehmen, die mit ihren Fahrern<br />

nach einem solchen Fahrtraining einen Deal machen – die Dieselersparnis wird 50:50 zwischen<br />

Fahrer und Unternehmen geteilt. Im Pkw-Bereich geht das nur über den Weg der Appelle, Schulungen<br />

und der Kommunikation.<br />

Was die Wahl der Motorisierung anbelangt, steht der Trend zu leistungsstärkeren Fahrzeugen<br />

immer wieder in der Kritik. Auch wenn es zunächst widersinnig klingen mag: Wir haben eine Verbrauchsminimierung<br />

trotz steigender Leistung. Zudem laufen leistungsstärkere Motoren viel<br />

häufiger im Teillastbetrieb und sind dann verbrauchsgünstiger als ein schwächeres Aggregat,<br />

das am Leistungslimit betrieben wird.


<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 > Interview 23<br />

Professor Dr. Herbert Kohler ist der<br />

Umweltbevollmächtigte der <strong>Daimler</strong>-<br />

Chrysler AG und in der Konzernforschung<br />

verantwortlich für Fahrzeugaufbau<br />

und Antriebe.<br />

<strong>Daimler</strong>Chrysler setzt sich nicht nur dafür<br />

ein, den Anteil biogener Kraftstoffe zu erhöhen,<br />

sondern befürwortet auch die rasche<br />

Entwicklung solcher Kraftstoffe der zweiten<br />

Generation. Einige Experten meinen, es sei<br />

effektiver, Biomasse zur Strom- und Wärmegewinnung<br />

zu nutzen. Stimmt das?<br />

<strong>Daimler</strong>Chrysler hat sich so explizit wie kein<br />

anderer Automobilhersteller auf die Brennstoffzellentechnologie<br />

als Antriebstyp für<br />

die „Vision vom emissionsfreien Fahren“<br />

festgelegt. In Ihrem Stufenmodell „Energie<br />

für die Zukunft“ markiert diese Technologie<br />

klar das Fernziel. Welches Einführungsszenario<br />

haben Sie da vor Augen?<br />

Sie sehen also diesen Antriebstyp zunächst<br />

in einer Nische. Könnte nicht gerade dies<br />

der Brennstoffzelle den Zukunftserfolg verbauen?<br />

Wer wird bereit sein, eine teure Infrastruktur<br />

für eine kleine Nischenpopulation<br />

von Fahrzeugen aufzubauen?<br />

Muss man gewissermaßen die Mineralölindustrie<br />

„zum Jagen tragen“?<br />

Ich bezweifle, dass die stationäre Stromerzeugung effizienter ist; zudem gibt es sowohl für<br />

Strom als auch für die Wärmeerzeugung viele weitere, effiziente regenerative Alternativen zur<br />

Biomasse, die uns bei flüssigen Kraftstoffen leider fehlen. Bei einer solchen Bewertung muss<br />

man auch darauf achten, wie umfassend diese angelegt ist. Biokraftstoffe der zweiten Generation<br />

sind für mich nicht nur aufgrund der möglichen Senkungsbeiträge bei den CO 2 -Emissionen<br />

sehr attraktiv. Wir können mit diesen Kraftstoffen auch die Partikel- und die NO x -Emissionen bei<br />

Dieselfahrzeugen deutlich reduzieren, und zwar bei allen Fahrzeugen im Bestand. Wenn ich diese<br />

Zusatzeffekte ebenfalls berücksichtige, dann machen wir sicher keinen Fehler, Biomasse für<br />

die Kraftstoffproduktion einzusetzen. Ich halte Mobilität sogar für einen guten Anwendungsfall.<br />

Die globale Energiewirtschaft hat niemals revolutionäre Umschwünge erlebt, sondern änderte<br />

sich immer allmählich. Auch wir sehen daher den Verbrennungsmotor noch in 20 Jahren als unser<br />

Brot-und-Butter-Geschäft an. Trotzdem wird es zu diesem Zeitpunkt Brennstoffzellenfahrzeuge<br />

im Markt geben. Mit der Serieneinführung auch für private Konsumenten wollen wir zwischen<br />

2012 und 2015 beginnen. Und unser Programmziel lautet, bis 2015 soll die Brennstoffzelle<br />

unter Kostengesichtspunkten wettbewerbsfähig zum Dieselmotor sein.<br />

Zusätzlich wird es aus meiner Sicht spezifische Anwendungsfälle geben, vor allem im innerstädtischen<br />

Verkehr. Ich denke hier an den Verteilerverkehr oder an den Personennahverkehr mit<br />

Bussen. In beiden Fällen kommen Flottenfahrzeuge zum Einsatz, die nach Dienstende zu einem<br />

Depot zurückkehren und dort mit Kraftstoff – in diesem Fall Wasserstoff – versorgt werden.<br />

Ich glaube aber auch, dass sich die Randbedingungen im Verkehr der Megastädte über die Zeit<br />

ändern werden. So überlegt die Stadt New York, ob sie dem Beispiel Londons folgen soll und<br />

eine Citymaut einführt. Andere Maßnahmen, die zum Tragen kommen könnten, sind Einfahrverbote<br />

in Innenstädte für bestimmte Antriebstypen. Damit kein falscher Eindruck entsteht: Ich erachte<br />

solche Entwicklungen nicht für notwendig, damit die Brennstoffzellentechnologie wettbewerbsfähig<br />

werden kann. Aber solche Entwicklungen muss man eben auch berücksichtigen.<br />

Und darauf müssen wir uns vorbereiten.<br />

Nicht die Kleinheit der Nische ist das Problem. Bei Flottenfahrzeugen ist die Installation von<br />

Wasserstofftankstellen ausgesprochen sinnvoll. So entstehen Inseln. Je zahlreicher diese werden,<br />

desto eher lassen sich diese Inseln vernetzen. Einen ganz anderen Punkt betrachte ich mit<br />

Sorge. Manchmal vermisse ich die Unterstützung der großen Mineralölunternehmen für den<br />

Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur. Da muss die Mineralölindustrie innovative Konzepte erarbeiten<br />

und diese intensiver in den Unternehmenskonzepten verankern.<br />

Ein sanfter Druck wäre angemessen. Nehmen Sie die Gesetzgebung in Kalifornien, die uns Automobilhersteller<br />

dazu verpflichtet, einen bestimmten Anteil an Nullemissionsfahrzeugen anzubieten,<br />

damit wir in diesem US-Bundesstaat überhaupt Autos verkaufen dürfen. Ich verstehe nicht,<br />

warum man analoge Regelungen nicht für die Energiewirtschaft einführt. Diese müsste dann pro<br />

verkaufter Tonne Benzin und Diesel eine bestimmte Menge an Wasserstoff anbieten.>


24<br />

> Mit Licht und Nanowerkstoffen auf<br />

UV-Licht und Laserstrahlen etablieren sich als umweltfreundliche Werkzeuge der<br />

Zukunft – mit ihnen lassen sich Rohstoffe und Energie sparen. Zu diesen<br />

neuen Verfahren gesellen sich Materialien, deren Eigenschaften sich durch Zugabe<br />

von Nanopartikeln deutlich verbessern – zum Beispiel neuartige Kunststoffe<br />

für den Leichtbau. Werkstoffforscher und Verfahrensspezialisten von <strong>Daimler</strong>Chrysler<br />

arbeiten schon weit im Vorfeld der Fahrzeugentwicklung an nachhaltigen Konzepten.


<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 Schwerpunkt 25<br />

dem Weg zu Innovationen


26<br />

Der Laser wird zum Universalwerkzeug der industriellen Produktion<br />

Licht auf den<br />

Punkt gebracht


<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 Schwerpunkt > Lasertechnologie 27<br />

Vielfalt: Die Ingenieure von <strong>Daimler</strong>–<br />

Chrysler arbeiten je nach Bedarf mit<br />

unterschiedlichen Systemen wie etwa<br />

Scheibenlaser (links außen) oder<br />

Nd:YAG-Laser (Mitte). Über ein Netzwerk<br />

lassen sich die Laser vom<br />

Rechner aus programmieren (links).<br />

Vorteil: Weil Laser kaum Wärme in die<br />

Bauteile einbringen, verziehen sich<br />

diese beim Schweißen so gut wie<br />

nicht. Ein Vorzug, der im Getriebebau<br />

voll zur Geltung kommt. Hier schweißt<br />

ein CO 2 -Laser Teile für die Antriebswelle<br />

eines Automatikgetriebes.<br />

In der industriellen Produktion breiten sich Laser immer mehr aus.<br />

<strong>Daimler</strong>Chrysler setzt die energiereichen Lichtstrahlen schon seit<br />

1983 ein. Heute schweißen Hightech-Laser sowohl Getriebekomponenten<br />

als auch Karosseriebauteile schnell und zuverlässig zusammen.<br />

Zudem lassen sich mit ihnen Leichtbaukonzepte verwirklichen,<br />

die mit herkömmlicher Schweißtechnik nicht möglich sind.<br />

Ein Roboterarm fährt in Sekundenbruchteilen über das Werkstück,<br />

gleichzeitig bewegt sich auch ein Lichtstrahl ebenso<br />

schnell über die Bauteile und verschweißt diese mit unglaublicher<br />

Geschwindigkeit. Die Rede ist von RobScan, einem neuen<br />

Laserschweißverfahren, das <strong>Daimler</strong>Chrysler nach fünfjähriger Forschungs-<br />

und Entwicklungszeit im Frühjahr dieses Jahres in der Serienproduktion<br />

eingeführt hat. Mit dem Hightech-Verfahren, das sich durch<br />

eine besonders hohe Bearbeitungsgeschwindigkeit auszeichnet, werden<br />

bei der neuen Mercedes-Benz C-Klasse rund 600 Schweißnähte für die<br />

Türen und Seitenwände sowie das Heck gesetzt.<br />

Ein entscheidendes Novum von RobScan ist der so genannte Scannerkopf.<br />

Er ist am Ende des Roboterarms befestigt und lenkt mit zwei elektronisch<br />

gesteuerten Kippspiegeln den scharf gebündelten Laserstrahl blitzschnell<br />

von einer Schweißnaht zur nächsten. Doch an den einzelnen Bearbeitungsstellen<br />

hält der Roboter nicht an, um eine Schweißnaht anzubringen<br />

und dann ein paar Zentimeter weiter zur nächsten zu fahren.<br />

Stattdessen bewegt sich der stählerne Roboterarm kontinuierlich über<br />

die Bauteile hinweg, während gleichzeitig der Scannerkopf quasi im Flug<br />

den energiereichen Lichtstrahl über die Bauteile führt.<br />

„RobScan, das auch als Welding-on-the-Fly oder Remote-Laserschweißen<br />

bezeichnet wird, markiert den derzeit aktuellen Stand der Technik in<br />

Sachen Laserschweißen“, erläutert Markus Beck aus der Abteilung Fahrzeugaufbau<br />

im <strong>Daimler</strong>Chrysler-Forschungszentrum Ulm. „Erzeugt wird<br />

das energiereiche Licht von einem so genannten Scheibenlaser, der sich<br />

neben seiner hohen Leistung von vier Kilowatt durch einen extrem scharf<br />

gebündelten Strahl auszeichnet und sein Licht durch ein mehrere Meter<br />

langes Glasfaserkabel zum Scannerkopf des Roboterarms leitet.“<br />

> Intensität exakt dosieren<br />

Seriennahe Betriebsversuche der Produktions- und Werkstofftechnik<br />

(PWT) von Mercedes-Benz zeigten, dass sich im Vergleich zum herkömmlichen<br />

Widerstandspunktschweißen die Fertigungszeiten um knapp 80<br />

Prozent verkürzen lassen. Dies spart nicht nur Zeit in der Produktion, sondern<br />

auch erhebliche Investitionen, weil weniger Schweißstationen und<br />

-roboter gebraucht werden und sich somit die erforderliche Fertigungsfläche<br />

reduziert.<br />

Eine solche Entwicklung zu Hightech-Fügeverfahren wie RobScan war<br />

in den Anfängen der Lasertechnologie in keiner Weise abzusehen. Die<br />

theoretischen Grundlagen der Lichtverstärkung durch das erzwungene<br />

Aussenden von Strahlung (die Abkürzung „Laser“ steht für „Light Am- >


28<br />

Konstruieren: Die schmalen Laserschweißnähte<br />

ermöglichen kompakte Bauweisen.<br />

plification by Stimulated Emission of Radiation“) hat der in Ulm geborene<br />

Albert Einstein zwar bereits 1917 beschrieben, doch erst 1960 baute der<br />

US-amerikanische Physiker Theodor H. Maiman mit seinem „Rubinlaser“<br />

das erste funktionierende Gerät. Der Laser, lästerten damals Spötter, sei<br />

eine Erfindung auf der Suche nach einer Anwendung.<br />

Doch davon kann mittlerweile keine Rede mehr sein – Laser sind heute<br />

fester Bestandteil der industrialisierten Welt. Als laseraktive Materialien<br />

eignen sich nicht nur Festkörper wie dotierte Kristalle (z.B. Nd:YAG)<br />

und Halbleiter (Dioden), sondern auch Gase und Flüssigkeiten. Je nach<br />

Ausgangsmaterial liegt die Wellenlänge der Laserstrahlen im sichtbaren<br />

Bereich, aber auch im Ultraviolett-, Infrarot- und Millimeterbereich.<br />

Der große Vorteil der gebündelten Laserstrahlen ist, dass sich ihre<br />

Intensität exakt dosieren lässt. Zudem kann man sie zeitlich und räumlich<br />

sehr präzise steuern und ihre Energie punktgenau dort einsetzen, wo man<br />

sie braucht. Deshalb reichen die Einsatzgebiete inzwischen vom CD-Player<br />

im Wohnzimmer und dem Scanner an der Supermarktkasse über medizinische<br />

Laser für Augenoperationen bis zum Einsatz in der Industrie als<br />

universelles Schneid-, Bohr-, Schweiß- und Beschriftungswerkzeug.<br />

Mitte der 1980er-Jahre brachte die Einführung des Laserlichtkabels<br />

einen enormen Aufschwung für industrielle Anwendungen. „Heute kann<br />

man davon ausgehen, dass sich in den kommenden Jahren die Hightech-<br />

Lasersysteme in der Produktion stark ausbreiten werden; Experten rechnen<br />

mit zweistelligen Zuwachsraten für den Lasermaschinenmarkt“, erläutert<br />

Klaus-Dieter Debschütz, Leiter der Abteilung Fahrzeugaufbau im<br />

<strong>Daimler</strong>Chrysler-Ressort Konzernforschung und Mercedes Car Group<br />

Entwicklung. (siehe Kasten: Laser – ein prosperierender Markt, S. 30).<br />

> Auf kleinen Brennfleck fokussieren<br />

Laserstrahlen breiten sich nahezu parallel aus und lassen sich durch eine<br />

geeignete Optik sehr gut fokussieren – das heißt, die gesamte Energie des<br />

Laserstrahls kann auf eine sehr kleine Fläche gelenkt werden. Fokussiert<br />

man zum Beispiel den bei RobScan eingesetzten Hochleistungslaser mit<br />

einer Leistung von vier Kilowatt auf einen Brennfleck mit einem Durchmesser<br />

von 0,6 Millimetern, beträgt dort die mittlere Intensität zwei<br />

Megawatt pro Quadratzentimeter. Im Vergleich dazu liegt eine elektrische<br />

Kochplatte bei etwa fünf Watt pro Quadratzentimeter – die Intensität des<br />

Lasers ist also 400000-mal höher.<br />

Weil der Laserstrahl das Material nur genau an der Fügestelle aufschmilzt<br />

und dieses extrem schnell geschieht, bringt der Laser insgesamt<br />

sehr viel weniger Energie in das Bauteil als herkömmliche Verfahren wie<br />

> Ein Lichtstrahl, viele Einsatzgebiete<br />

Laser sind nicht nur ein universelles Schweißwerkzeug, das in der Regel keine Nachbearbeitung<br />

mehr erfordert. In der Industrie dienen sie auch als exakte, schnelle und<br />

kostengünstige Bohr-, Schneid- und Beschriftungswerkzeuge. Von großer Bedeutung<br />

ist die Oberflächenbearbeitung. So können heutige Lasersysteme besonders beanspruchte<br />

Bauteile gezielt mit Hartstoffen beschichten. Verschiedene Stahlwerkstoffe<br />

lassen sich härten, indem die Laserstrahlen einen begrenzten Bereich schlagartig erhitzen,<br />

der dann durch schnelles Abfließen der Wärme ins Bauteilinnere hart wird.<br />

zum Beispiel das Lichtbogen- oder Schutzgasschweißen. Je weniger<br />

Wärme in ein Werkstück eingebracht wird, desto weniger verzieht es<br />

sich – und der Aufwand für die notwendigen Richt- und Nacharbeiten<br />

geht entsprechend zurück.<br />

> Kompakte Getriebe schweißen<br />

Die Möglichkeiten des Lasers für die industrielle Fertigung von Motoren<br />

und Getrieben hat <strong>Daimler</strong>Chrysler schon frühzeitig zu nutzen begonnen.<br />

„Die erste Strahlquelle, ein CO 2 -Laser, kam bereits 1981 im<br />

Bereich Verfahrensentwicklung in Untertürkheim zum Einsatz; und<br />

1983 erfolgte mit dem Laserschweißen von Tassenstößeln die erste<br />

Serienapplikation“, weiß Christian Elsner von der Produktions- und<br />

Werkstofftechnik (PWT). „Heute gibt es Laser-Applikationszentren für<br />

den Karosseriebau im Werk Sindelfingen und für den Powertrain, also<br />

den Antriebsstrang aus Motor, Getriebe und Achsen, in Untertürkheim.<br />

Dort erproben wir Lasertechnologien, machen sie fit für den Einsatz<br />

in der Serienfertigung und betreuen danach auch die Umsetzung<br />

in den Werken. Das Laserlabor im Forschungszentrum Ulm liefert dazu<br />

die Grundlagenuntersuchungen.“<br />

Vorteile bieten Laser nicht nur für die Produktion, sondern auch für<br />

die Konstruktion von Getrieben. Weil die Laserschweißnähte sehr<br />

schmal, aber trotzdem hoch belastbar sind und auch höchste Drehmomente<br />

zuverlässig übertragen, erlauben sie den Konstrukteuren sehr<br />

kompakte Bauweisen, die sich mit herkömmlichen Schweißnähten<br />

nicht realisieren lassen. Schon seit einigen Jahren baut <strong>Daimler</strong>Chrysler<br />

diese Technologie daher als Fügeverfahren im Getriebebau immer<br />

weiter aus und ist inzwischen Benchmark auf diesem Gebiet. Mittlerweile<br />

kommen lasergeschweißte Verbindungen bei allen Mercedes-<br />

Pkw-Getrieben zum Einsatz.<br />

Den Stand der Technik markiert derzeit das von <strong>Daimler</strong>Chrysler<br />

entwickelte Automatikgetriebe 7G-Tronic, dessen Laser-Schweißnähte<br />

es auf eine Gesamtlänge von 280 Zentimetern bringen und bei dem<br />

nur noch Laser als Schweißverfahren eingesetzt wird. Weil der Laserstrahl<br />

die Bauteile insgesamt ja nur wenig erwärmt, verziehen sich die<br />

Zahnräder und Wellen praktisch nicht und sind nach dem Schweißen<br />

sofort einbaufertig. Die hohen Bearbeitungsgeschwindigkeiten von<br />

mehreren Metern pro Minute erlauben zudem hohe Produktionszahlen.<br />

Allein das Mercedes-Benz-Werk Stuttgart-Hedelfingen fertigt mithilfe<br />

moderner Laseranlagen täglich zirka fünftausend 5- und 7-Gang-<br />

Automatikgetriebe.


<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 Schwerpunkt > Lasertechnologie 29<br />

Untersuchen: Mikroskopaufnahmen zeigen<br />

die Qualität von Laserschweißnähten.<br />

Neben der sehr hohen Steifigkeit<br />

und flexiblen Gestaltung der<br />

Schweißnähte bieten Laser den<br />

Vorzug, dass sie ihre Energie nur<br />

von einer Seite einbringen. Dies<br />

verschafft ihnen im Karosseriebau<br />

zusätzliche Vorteile. Beim traditionellen<br />

Punktschweißen im Rohbau<br />

müssen die Elektroschweißzangen<br />

von zwei Seiten an das Werkstück<br />

geführt werden, was einen hohen<br />

konstruktiven Aufwand sowohl für<br />

die Werkstücke als auch für die<br />

Werkzeuge erfordert. Mit Lasern<br />

dagegen lassen sich nun Schweißnähte<br />

an Stellen setzen, die mit<br />

einer herkömmlichen Schweißzange<br />

gar nicht zugänglich sind. Das<br />

wiederum ermöglicht es, Schweißpunkte<br />

und -nähte dort zu setzen,<br />

wo sie konstruktiv am sinnvollsten<br />

sind und man sie der tatsächlichen<br />

Bauteilbelastung entsprechend anpassen<br />

kann.<br />

> Flansche verkürzen<br />

Schließlich dient Laserschweißen<br />

auch dem Leichtbau: Es erlaubt,<br />

Flansche – also die Überlappungsbereiche<br />

zweier Werkstücke – zu<br />

verkürzen und trägt so zur Gewichts-<br />

und Verbrauchsreduktion<br />

des Fahrzeugs bei. So konnten die<br />

Entwicklungsingenieure in den<br />

Türen der neuen C-Klasse die Flansche<br />

der hochfesten Stahlbleche<br />

von 16 auf acht Millimeter verschmälern.<br />

Weil die Überlappungsbereiche<br />

nicht durch Schweißpunkte,<br />

sondern durch kurze<br />

Härten: Durch Laser lassen sich besonders<br />

beanspruchte Oberflächen leicht härten.<br />

Überwachen: Um auch bei hohen<br />

Stückzahlen eine gleichbleibende<br />

Qualität zu sichern, werden die<br />

Schweißprozesse online kontrolliert.<br />

Beschichten: Das Aufbringen von harten<br />

Werkstoffen verringert den Verschleiß.<br />

Schweißnähte verbunden sind, erhöht sich die mechanische Stabilität der<br />

Türen. Zudem konnte der Türrahmen wesentlich schlanker gestaltet werden,<br />

wodurch sich wiederum die Sicht verbessert. Das Laserschweißen<br />

trägt hier deutlich zur Verbesserung von Sicherheit und Komfort bei.<br />

> Oberflächen gezielt bearbeiten<br />

Angesichts der zahlreichen Pluspunkte liegt es nahe, das Universalwerkzeug<br />

Laser in möglichst vielen Bereichen einzusetzen. Deshalb haben die<br />

Ingenieure der Produktions- und Werkstofftechnik (PWT) – unterstützt<br />

von ihren Kollegen aus der Forschung – in den vergangenen zehn Jahren<br />

mehr als 50 Laseranlagen in die Serienproduktion integriert. „Und die<br />

Tendenz ist klar steigend, denn das Potenzial des Lasers ist bei weitem<br />

noch nicht ausgeschöpft“, konstatiert Christian Elsner.<br />

Im Laserzentrum Powertrain der PWT arbeitet man daher bereits an<br />

zukünftigen Applikationen des Lasers, vor allem für die Bearbeitung von<br />

Oberflächen. Die gebündelte und exakt dosierbare Energie des Lasers ermöglicht<br />

es, die Eigenschaften eines Werkstücks an ausgewählten Stellen<br />

dramatisch zu verändern, um zum Beispiel sehr harte oder verschleißfeste<br />

Schichten in hochbelasteten Bereichen zu erzeugen. Der Rest des Bauteils<br />

bleibt dagegen unverändert, der Aufwand für die Nachbearbeitung<br />

reduziert sich erheblich.<br />

Angesicht vieler Vorzüge ist die Ausbreitung des Lasers naheliegend.<br />

Im Rohbau der Mercedes-Benz S-Klasse zum Beispiel werden derzeit insgesamt<br />

14 Meter Schweißnähte mit Lasern erzeugt. In der Luxuslimousine<br />

verschweißt man mit dem energiereichen Lichtstrahl neben den Türen<br />

unter anderem die Längsträger im Vorbau. Zum Einsatz kommen<br />

Schweißlaser ferner für die Dachrahmen und die Heckklappe der E-Klasse,<br />

die Dachrahmen des CLS und das Dach des Viano. Beim neuen Mercedes-Benz<br />

Sprinter sind es sogar 21 Meter Lasernähte, die für gute Verbindungen<br />

in Boden und Dachbereich sorgen.<br />

> Aluminium verzugfrei schweißen<br />

Schließlich verbinden Laserstrahlen sogar die Aluminiumbauteile der<br />

Türen des Maybachs und der S-Klasse. Gerade für Aluminiumwerkstoffe<br />

eignen sich Laser wegen der geringen Wärmeentwicklung hervorragend;<br />

mit herkömmlichen Schweißverfahren dagegen lässt sich das Leichtmetall<br />

nur mit vergleichsweise großen thermischen Verzügen schweißen.<br />

„Die Lasertechnologie ist so auch ein Schrittmacher in Sachen Leichtbau<br />

und Kraftstoffsparen“, betont Markus Beck vom Forschungszentrum<br />

Ulm. Die Fortschritte in der Laserbearbeitung ermöglichen aber nicht >


30<br />

> Laser – ein prosperierender Markt<br />

So dynamisch wie die Lasertechnologie selbst gibt sich auch der Lasermarkt, der sich<br />

seit gut zwei Jahrzehnten durch jährliche Zuwachsraten zwischen 10 und 20 Prozent<br />

auszeichnet. Einer der entscheidenden Gründe dafür ist die außergewöhnliche technische<br />

Entwicklung der Laser. Bei Hochleistungsgeräten zum Beispiel erhöhte sich die<br />

Leistung innerhalb weniger Jahre von zwei auf 20 Kilowatt.<br />

Zugleich stieg ihr Wirkungsgrad von zwei auf 30 Prozent – damit wird die eingesetzte<br />

Energie höchst effizient genutzt. Gleichzeitig haben sich in den vergangenen drei<br />

nur den Konstrukteuren leichtere und stabilere Strukturen im Rohbau.<br />

Setzt man das gebündelte Licht statt zum Schweißen zum Löten ein, eröffnet<br />

dies auch den Designern völlig neue Möglichkeiten der Karosseriegestaltung.<br />

Mercedes-Benz setzt das Laserlöten seit 2003 für die Heckdeckel<br />

beim SLK und CLS sowie an der Seitenwand des Sprinters ein.<br />

Auch beim Heckdeckel und der Heckklappe der neuen Mercedes-Benz C-<br />

Klasse findet das Laserlöten Anwendung. Karosserieelemente, die sich<br />

nicht aus einem Stück formen lassen, können durch Laserlöten aus zwei<br />

Bauteilen zusammengefügt werden. Die Lötnaht dient in diesen Anwendungsfällen<br />

zusätzlich als Designelement im direkten Sichtbereich des<br />

Kunden.<br />

> Mit Lasern löten<br />

Im Gegensatz zu den verschiedenen Schweißverfahren, bei denen zwei<br />

Bauteile miteinander verschmolzen werden, kommt beim Löten ein zusätzlicher<br />

Werkstoff, nämlich das Lot, ins Spiel. „Dadurch lassen sich<br />

Spalte zwischen Werkstücken überbrücken und es entsteht eine dichte<br />

und sehr stabile Verbindung mit glatter Oberfläche, die sich ohne weitere<br />

Nachbearbeitung lackieren lässt“, erläutert Ralf Bernhard von der PWT in<br />

Sindelfingen. Das Laserstrahllöten hat zudem die Vorteile, dass die thermische<br />

Belastung der Werkstücke sehr gering ist und die Fügestellen korrosionsbeständig<br />

sind.<br />

Trotz des bereits breiten Einsatzes von Lasern in der Serienproduktion<br />

der Mercedes Car Group bleibt diese Zukunftstechnologie auch weiterhin<br />

ein Thema für die Forscher und Entwickler. So suchen zum Beispiel Christian<br />

Elsner und seine Kollegen im Laserzentrum Powertrain nach zuverlässigen<br />

Lösungen zur Online-Prozesskontrolle. Ihr Ziel dabei: Auch bei<br />

hohen Stückzahlen soll die Qualität der Lasernähte schon während des<br />

Schweißvorgangs sichergestellt werden. Zwei der getesteten Systeme,<br />

darunter eine Eigenentwicklung zusammen mit einem Sensorhersteller,<br />

wurden schließlich in Produktionsanlagen integriert, in praxisnahen Versuchen<br />

ausgiebig getestet und in die bestehenden Anlagen inzwischen<br />

fast flächendeckend integriert.<br />

> Prozesse online überwachen<br />

Mit den bisherigen Ergebnissen der Online-Prozesskontrolle sind die Experten<br />

der PWT sehr zufrieden. Christian Elsner: „Die Systeme erlauben<br />

durch das Festlegen von Prozessgrenzen eine gleich bleibende Qualität<br />

der Schweißverbindung. Ihre Integration in die Laserschweißanlagen ist<br />

bei vollautomatisierten Abläufen und hohen Tagesstückzahlen sinnvoll,<br />

Jahren die Preise für einen Hochleistungslaser halbiert. Die heutigen modernen Lasersysteme<br />

sind nahezu wartungsfrei. Mussten die Ingenieure und Techniker früher zum<br />

Beispiel alle 800 Stunden die so genannten Anregungslampen auswechseln, so haben<br />

die inzwischen als Pumplichtquelle verwendeten Laserdioden eine Lebensdauer von<br />

20000 Stunden; sie halten also 25-mal länger. Ein weiterer großer Vorteil der kleinen<br />

Dioden ist, dass sie das laseraktive Medium nur in einer definierten Wellenlänge anregen<br />

und so die eingestrahlte Energie effektiv nutzen.<br />

Welding-on-the-fly: Beim RobScan-<br />

Verfahren führt ein Roboterarm die<br />

Laseroptik über die Werkstücke hinweg.<br />

Zugleich lenken Kippspiegel den<br />

Laserstrahl blitzschnell von einem<br />

Schweißpunkt zum nächsten.<br />

um mögliche Fehler frühzeitig zu<br />

erkennen, Prozesse robust zu gestalten<br />

und Kosten zu sparen.“<br />

Trotz des erfolg- und umfangreichen<br />

Einsatzes von Lasern in der<br />

Serienfertigung sehen sich die<br />

<strong>Daimler</strong>Chrysler-Forscher und ihre<br />

Kollegen von der PWT noch vielfältigen<br />

Aufgaben gegenüber. Sowohl<br />

im Hinblick auf Kosteneinsparungen<br />

als auch neue Einsatzmöglichkeiten<br />

gibt es derzeit noch Grenzen<br />

der Lasertechnologie. PWT-Spezialist<br />

Ralf Bernhardt nennt zum Beispiel<br />

„die mangelnde Standardisierung<br />

bei Lasern, dem Laserequipment<br />

und den Schnittstellen“. Zudem<br />

ist eine Online-Qualitätskontrolle<br />

wie beim Schweißen der Automatikgetriebe<br />

nicht immer<br />

durchgängig möglich, und die hohe<br />

Fügegeschwindigkeit der Laser erschwert<br />

es, die Schweißprozesse<br />

online zu regeln.<br />

> Neue Einsatzgebiete eröffnen<br />

Dass hier Handlungsbedarf besteht,<br />

betrachten die Ingenieure<br />

freilich nicht als Hemmnis, sondern<br />

als Herausforderung, die sie<br />

gerne annehmen. „Der Laser hat<br />

sich in etlichen Bereichen zum zuverlässigen<br />

Werkzeug entwickelt“,<br />

konstatiert Klaus-Dieter Debschütz<br />

vom Forschungszentrum Ulm.<br />

„Und durch neue Laserstrahlquellen<br />

mit geringeren Kosten, verbesserter<br />

Strahlqualität und höherer<br />

Leistung werden sich noch mehr<br />

Einsatzgebiete eröffnen.“>


<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 Schwerpunkt > Lasertechnologie 31<br />

Durchblick: Mit Lasern lassen sich<br />

Oberflächen gezielt bearbeiten. Hier<br />

begutachtet ein Mitarbeiter ein<br />

Probenstück unter dem Mikroskop.<br />

Laser haben sich zum zuverlässigen Werkzeug entwickelt<br />

Probenstück: Um die verschiedenen<br />

Lasersysteme für unterschiedliche<br />

Einsatzgebiete praxisreif zu machen,<br />

arbeiten die Forscher, Entwickler und<br />

Produktionsspezialisten von <strong>Daimler</strong>-<br />

Chrysler Hand in Hand.


32<br />

An einem zukunftsweisenden Lackierverfahren für Lkw-Achsen arbeiten<br />

Ingenieure von <strong>Daimler</strong>Chrysler im Werk Gaggenau. Die neue<br />

Technologie ist schneller und kostengünstiger als der herkömmliche<br />

Lackierprozess. Das größte Plus aber ist die Umweltfreundlichkeit:<br />

Es werden keinerlei Lösemitteldämpfe frei.<br />

Ein wesentlicher Impuls kam von der 31. BImSchV – so heißt die<br />

neue Fassung der Bundesimmissionsschutzverordnung im Behördendeutsch.<br />

Sie fordert unter anderem, dass Lackieranlagen ab<br />

November 2007 deutlich weniger organische Lösemittel oder<br />

VOC (Volatile Organic Compounds) als bisher freisetzen dürfen. „Damit<br />

war klar, dass wir im Werk Gaggenau für die Lackierung von Lkw-Achsen<br />

nach Alternativen suchen mussten. Unser Anspruch war aber noch umfassender;<br />

wir wollten nicht einfach nur nach konventionellen Lösungen<br />

suchen, um neue Grenzwerte einzuhalten, sondern ein zukunftsweisendes<br />

Lackierverfahren entwickeln, das noch weitere Vorteile bietet“, sagt<br />

<strong>Daimler</strong>Chrysler-Ingenieur Hans Maier, der zuständige Projektmanager<br />

bei Truck Group Powertrain im Werk Gaggenau.<br />

Bei der Suche nach geeigneten Lösungen für dieses anspruchsvolle<br />

Ziel untersuchten Maier und seine Kollegen vom Kompetenzzentrum<br />

Coating Technology Truck Group sowie der <strong>Daimler</strong>Chrysler-Forschung<br />

und der Produktions- und Werkstofftechnik (PWT) zwei Varianten: die als<br />

„Wasserlacke“ bekannten wässrigen Beschichtungsstoffe sowie die so<br />

genannten UV-härtenden Lacke, die als das optimale „Zero-Emission-<br />

System“ gelten. Hinter letzteren verbergen sich Lacke, die keinerlei flüchtige<br />

Lösemittel enthalten und sich von herkömmlichen Lacken in einem<br />

weiteren, wesentlichen Punkt unterscheiden – der Härtung.<br />

Während konventionelle Lacke in einem Ofen bei Temperaturen von 80<br />

Grad Celsius in einer Zeit von etwa 30 Minuten trocknen, kann ein UV-<br />

Lack ausschließlich durch das Einwirken von ultraviolettem Licht (UV)<br />

innerhalb von Sekunden aushärten. Möglich ist dies, weil die UV-Lacke<br />

Bestandteile enthalten, die als Photoinitiatoren bezeichnet werden und<br />

beim Bestrahlen mit energiereichem UV-Licht so genannte Radikale bilden.<br />

Diese wiederum regen die Bindemittelkomponenten des flüssigen<br />

Lacks an, sich miteinander zu verbinden. Dabei entsteht ein sehr dichtes<br />

Netzwerk aus Lackharz, Farbpigmenten und Füllstoffen, die zu einer Lackschicht<br />

mit einer extrem widerstandsfähigen Oberfläche erstarren. Der<br />

Prozess des Aushärtens wird also durch das UV-Licht angestoßen und<br />

läuft dann von allein ab.<br />

> Hohe Recyclingquote senkt Materialverbrauch<br />

Fachleute sprechen dabei von einem 100-Prozent-System, weil sämtliche<br />

Inhaltsstoffe des flüssigen UV-Lacks auch nach dem Trocknen in der<br />

Lackschicht verbleiben. Bei herkömmlichen Lacken dagegen verdunstet<br />

ein großer Teil des flüssigen Lacks als Lösemittel beim Trocknen. „Da bei<br />

den UV-Lacken unter normalen Umgebungsbedingungen keine Verdampfungsverluste<br />

auftreten, bleiben sie in ihrer Zusammensetzung unverändert“,<br />

erläutert <strong>Daimler</strong>Chrysler-Ingenieur Guido Helm, Initiator und Entwickler<br />

der UV-Technologie für Aggregate. Eventuelle Lackreste und<br />

Overspray – also Lack, der beim Spritzen nicht auf das Bauteil trifft – lassen<br />

sich deshalb problemlos wiederverwenden. „Diese hohe Recyclingquote<br />

senkt den Materialverbrauch und die Kosten spürbar“, vermerkt<br />

Hans Maier zufrieden. ><br />

Ohne Lösemittel<br />

umweltfreundlich lackieren<br />

Trocken<br />

in Sekundenschnelle


<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 Schwerpunkt > UV-Lacke 33<br />

> UV-Härtung: Zügige Produktion mit Lack und Licht<br />

Durch die Kuppel: Der Längsschnitt<br />

der Anlage zur Härtung von Lkw-<br />

Achsen zeigt, wie die Bauteile durch<br />

eine Stickstoffatmosphäre (blau)<br />

geschleust werden. Die UV-Lampen<br />

in der Mitte beleuchten die Achsen<br />

gleichmäßig von allen Seiten. Wenn<br />

die tonnenschweren Achsen aus der<br />

Anlage schweben, sind sie bereits<br />

montagefertig lackiert.<br />

In der Härtungskammer: Im Ulmer<br />

Forschungszentrum finden Versuche<br />

zur UV-Lackierung von Zylinderkurbelgehäusen<br />

statt. Ein Mitarbeiter bringt<br />

ein Dosimeter zur UV-Lichtmessung<br />

an – während des Vorgangs wird die<br />

Leuchtstärke der Lampen reduziert.


34<br />

Inmitten von Lampen: Die gut zwei<br />

Meter langen und mit UV-Lack beschichteten<br />

Achsen wandern durch<br />

einen Ring aus sechs UV-Lampen.<br />

Deren Licht fällt von allen Seiten<br />

gleichmäßig auf die Achse und löst<br />

im nassen Schutzlack eine schnelle<br />

Aushärtungsreaktion aus.<br />

Ein Technologievergleich von so genannten UV-Lacken mit herkömmlichen Lacken,<br />

die Lösemittel enthalten oder wasserbasiert sind, zeigt eindeutig: Die<br />

nur einschichtig aufgebrachten UV-Lacke beschleunigen die Produktionszeit<br />

und verringern die Kosten. Vor allem aber gilt: Sie entlasten die Umwelt, weil<br />

keinerlei organische Lösemittel oder VOC (Volatile Organic Compounds) frei<br />

werden. Gegenüber wasserbasierten Lacken sind auch die entstehenden<br />

Mengen an Abfall und Abwasser deutlich geringer.<br />

> UV-Licht schlägt Wasserlack<br />

Wasserlack UV-Lack<br />

VOC – Emission 5 % 0 %<br />

Lackaufbau 2 Schichten 1 Schicht<br />

Prozesszeit (Härtung) 30 Minuten unter 1 Minute<br />

Energiebedarf 100 % 60 %<br />

Lackschlamm/Abfall 100 % 5 %<br />

Abwasser 100 % 3 %<br />

Anlagenfläche 100 % 60 %<br />

Stückkosten 100 % 80 %


<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 Schwerpunkt > UV-Lacke 35<br />

Er und seine Kollegen schätzen auch die weiteren Vorzüge der UV-<br />

Lacke. Weil die Luft in den Spritzkabinen nicht mithilfe einer üblichen<br />

Nassauswaschung gereinigt werden muss, fallen auch kaum Abfälle und<br />

Lackschlämme an, die man aufwendig entsorgen müsste. Hinzu kommt,<br />

dass das Aufheizen und Abkühlen der kompletten Lkw-Achsen, die bis zu<br />

einer Tonne schwer sind, bei traditionellen Lackierverfahren bisher viel<br />

Energie verbrauchen und man bei UV-Lack durch den Verzicht auf<br />

Trockenöfen einen hohen Anteil dieses Energiebedarfs einsparen kann.<br />

Neben den Kosten minimieren die UV-Lacke auch den Flächenbedarf<br />

für die Lackieranlagen – ein Umstand, der vor allem die Werks- und Produktionsplaner<br />

freut. Statt langgestreckter Trockenöfen sowie großflächiger<br />

Abkühlzonen reicht zukünftig eine Lackieranlage, die nur rund zehn<br />

Meter lang ist. Maier: „Nach dem Verlassen der Anlage sind die UVlackierten<br />

Achsen sofort einbaufertig und können umgehend an die Produktionsbänder<br />

geliefert werden.“<br />

Obwohl das Verfahren schon seit vergangenem Jahr funktioniert, führen<br />

die <strong>Daimler</strong>Chrysler-Ingenieure derzeit noch weitere Betriebsversuche<br />

durch. Von deren Ergebnis wird es abhängen, ob ein Start für die<br />

Serienproduktion im Jahr 2009 realisiert werden kann. Dazu wollen die<br />

Techniker vor allem noch die Lackeigenschaften weiter verbessern, Langzeittests<br />

durchführen und die Prozessparameter optimieren.<br />

„Lacke, die durch UV-Licht aushärten, sind im Grunde nichts Neues –<br />

neu ist der Einsatz bei großen Fahrzeugteilen mit komplexer Geometrie.<br />

Möbelhersteller setzen sie seit Jahren als Klarlack ein, in der Industrie<br />

werden Kleinstteile damit behandelt,<br />

und es gibt sogar Nagellack,<br />

der mit einer kleinen UV-Lampe gehärtet<br />

wird“, berichtet Guido Helm<br />

vom Kompetenzzentrum Coating<br />

Technology Truck Group.<br />

Doch weil zwischen manikürten<br />

Fingernägeln und tonnenschweren<br />

Hinterachsen in mancherlei Hinsicht<br />

Welten liegen, sahen sich die<br />

Ingenieure besonderen Herausforderungen gegenüber. „Vor allem die<br />

hohen Qualitätsansprüche an den Lack und die komplexe Geometrie der<br />

Lkw-Achsen haben sich als hohe technologische Hürden erwiesen“, so<br />

Roland Gottstein, der im Werk Gaggenau für die Lackierqualität zuständig<br />

ist. Um diese Hürden zu überwinden, kooperierten die Gaggenauer Experten<br />

von Anfang an eng mit ihren Kollegen aus dem Kompetenzzentrum<br />

Coating Technology, der <strong>Daimler</strong>Chrysler-Forschung und der Produktions-<br />

und Werkstofftechnik.<br />

> Sechs Lampen sorgen für perfekte Ausleuchtung<br />

Im Forschungszentrum Ulm führte das Team erste Versuche mit verschiedenen<br />

Achskomponenten durch. Hier ging es vor allem darum, die UV-Beleuchtung<br />

so zu gestalten, dass auf der Oberfläche der Bauteile überall<br />

genügend Licht ankommt, um den Aushärtungsprozess in Gang zu setzen.<br />

Als praktikable und sichere Lösung erwiesen sich schließlich sechs<br />

UV-Lampen, die rund um die lackierte Achse optimal platziert sind und<br />

diese von allen Seiten gezielt bestrahlen. „Die vollflächige Aushärtung ist<br />

absolut notwendig, um den Korrosionsschutz für die Achse zu gewährleisten“,<br />

betont Claudia Witt von der PWT.<br />

Eine andere Herausforderung bei diesen Grundlagenuntersuchungen<br />

war der Sauerstoff der Luft. Er bremst nämlich den photochemischen<br />

Lacke, die durch UV-<br />

Licht aushärten, sind<br />

nichts Neues – neu ist<br />

der Einsatz bei großen<br />

Fahrzeugteilen mit<br />

komplexer Geometrie<br />

An der Kette: Vor dem Aushärten werden<br />

die an dicken Ketten hängenden<br />

Lkw-Achsen mit einem UV-Lack beschichtet.<br />

Im derzeitigen Versuchs–<br />

stadium geschieht das noch manuell<br />

mit einer Spritzpistole – später sollen<br />

Roboter diese Arbeit übernehmen.<br />

genieure mussten also eine sauerstofffreie<br />

Atmosphäre schaffen.<br />

Dazu stellten sie in den Anfängen<br />

die komplette Beleuchtungsanlage<br />

in einen großen Container, den sie<br />

anschließend mit gasförmigem<br />

Kohlendioxid (CO 2 ) befüllten. Weil<br />

CO 2 schwerer ist als Sauerstoff,<br />

wird dieser nach oben verdrängt<br />

und der UV-Prozess kann ungehindert<br />

ablaufen.<br />

> Stickstoff dient als Schutzgas<br />

Nachdem im Ulmer Forschungszentrum<br />

die Ergebnisse durchweg<br />

positiv ausgefallen waren, verlagerte<br />

das Team seine Aktivitäten<br />

ins Werk Gaggenau und führte dort<br />

Versuche mit Original-Lkw-Achsen<br />

durch. Ziel war es, den Prozessablauf<br />

zu verbessern und bei den UV-<br />

Lacken die Steinschlagbeständigkeit<br />

und den Korrosionsschutz zu<br />

erhöhen. Auch diese Tests fanden<br />

in einem Container unter CO 2 -Atmosphäre<br />

statt. „Doch in dieser<br />

Form hat das Verfahren Nachteile“,<br />

erläutert Guido Helm. „Man<br />

braucht in dieser Versuchsanordnung<br />

viel Zeit für den Taktbetrieb,<br />

bei dem die schweren Achsen<br />

nacheinander in den Container abgesenkt<br />

und wieder herausgehoben<br />

werden müssen.“<br />

Für die Ingenieure um Versuchsleiter<br />

Helm standen damit<br />

die nächsten Aufgaben fest, für die<br />

sie dann auch eine umfassende Lösung<br />

fanden. Gemeinsam mit der<br />

Firma Sturm Maschinenbau, einem<br />

Lackieranlagenhersteller, konzipierten<br />

die UV-Lackspezialisten eine<br />

neuartige Technikumsanlage.<br />

Diese ermöglicht einen raschen<br />

Durchlaufbetrieb und verwendet<br />

als Schutzgas statt CO 2 reinen<br />

Stickstoff (N 2 ), der gesundheitlich<br />

und ökologisch völlig unbedenklich<br />

ist.<br />

> Achsen hängen an der Kette<br />

In der gut zehn Meter langen Versuchsanlage<br />

sind die Lkw-Achsen<br />

waagrecht an Tragschienen aufgehängt<br />

und werden durch eine Art<br />

Kuppel gezogen, in deren obe-<br />

Härtungsprozess und kann ihn sogar völlig stoppen – die Forscher und In- >


36<br />

Hinter den Kulissen: Damit die sechs<br />

UV-Lampen nicht überhitzen, sind sie<br />

mit einer Luftkühlung versehen. Hier<br />

überprüft ein Mitarbeiter gerade zwei<br />

Luftschläuche (Foto rechts).<br />

Nur mit Vorlackierung: Glockennaben<br />

(Foto unten, links) bilden den Abschluss<br />

der Lkw-Achsen. In einer<br />

kleinen Anlage (Foto unten, rechts)<br />

werden sie separat mit UV-Lack<br />

beschichtet, um „Spritzschatten“<br />

unter den Radbolzen zu vermeiden.<br />

rem Teil die sechs UV-Lampen installiert<br />

sind. Die Kuppel ist mit<br />

Stickstoff befüllt; weil dieser stetig<br />

nachgeführt wird, reichert er sich<br />

in der Kuppel an und garantiert die<br />

zum Aushärten notwendige sauerstofffreie<br />

Atmosphäre.<br />

> Motoren werden UV-lackiert<br />

Bei den ersten Versuchen in der<br />

Technikumsanlage optimierten die<br />

Fachleute die verschiedenen Arbeitsschritte<br />

für den Durchlaufbetrieb,<br />

angefangen vom Aufbringen<br />

des Lacks über das Aushärten mit<br />

UV-Lampen bis zur Steuerung der<br />

Stickstoffatmosphäre.<br />

Die jüngsten Betriebsversuche<br />

galten dann mehr den verschiedenen<br />

UV-Lacken, die gemeinsam in<br />

enger Zusammenarbeit mit der<br />

Lack- und Farbenfabrik Karl Wörwag<br />

entwickelt wurden.<br />

Weil auf die Achsen nur eine<br />

einzige Lackschicht aufgebracht<br />

wird, muss diese mehrere Anforderungen<br />

zugleich erfüllen: Sie soll<br />

vor Korrosion und Steinschlag<br />

schützen, temperatur- und chemikalienbeständig<br />

sein und schließlich<br />

auch eine ansprechende, zum<br />

Fahrzeug passende Farbe haben.<br />

„Hinzu kommt“, so Roland Gottstein<br />

vom Werk Gaggenau, „dass<br />

der Einschichtlack auf unterschiedlichen<br />

Materialien sicher<br />

haften muss. An den Achsen finden<br />

sich Teile aus Metallguss, aber<br />

auch vorbeschichtete Komponenten,<br />

die zum Beispiel eine konven-<br />

Wenn die Praxistests<br />

weiter erfolgreich<br />

verlaufen, könnte bald<br />

der Startschuss für<br />

die erste Großserienanwendung<br />

fallen<br />

tionelle oder kathodische Tauchlackierung<br />

sowie eine Pulverlackierung<br />

erhalten haben“.<br />

Während sich die UV-Lackierung<br />

von Achsen der Serienreife<br />

nähert, führen die Ingenieure von<br />

<strong>Daimler</strong>Chrysler schon weitere<br />

Prinzipversuche durch. Sie wollen<br />

herausfinden, ob sich die UV-Technologie<br />

auch für Lkw-Motoren eignet. Vielversprechend verliefen zum<br />

Beispiel Tests mit Zylinderkurbelgehäusen, bei denen ein spezieller UV-<br />

Lack zum Einsatz kommt, der sich durch eine besonders hohe Korrosionsund<br />

Hitzebeständigkeit auszeichnet und mit dem sich sogar Metalliceffekte<br />

erzielen lassen. „Wir haben auch schon erfolgreiche Tests mit<br />

kompletten Motoren durchgeführt, die mit einem temperaturbeständigen<br />

UV-Klarlack behandelt wurden, der als Korrosionsschutz dient“, berichtet<br />

Guido Helm weiter. „Allerdings stehen diese Versuche zur Motorenlackierung<br />

erst am Anfang.“<br />

Bei einem erfolgreichen Abschluss der gegenwärtig noch laufenden<br />

Praxistests könnte im Werk Gaggenau schon bald der Startschuss für die<br />

erste Serienanwendung der UV-Lacktechnologie fallen. Dort entstand bereits<br />

im Frühjahr eine Anlage, in der nun so genannte Glockennaben mit<br />

UV-Lack vorbeschichtet werden. Die zylinderförmigen Glockennaben bilden<br />

die äußeren Abschlusselemente der beiden Achshälften. Weil sie auf<br />

einer fertig montierten Achse von bis zu zwölf Radbolzen umringt sind,<br />

entstehen beim Lackieren so genannte Spritzschatten, in denen sich die<br />

erforderliche Schichtdicke nicht erzielen lässt.<br />

> UV-Lacktechnologie erschließt neue Einsatzgebiete<br />

Um trotzdem eine gleichmäßig dicke Lackschicht zu gewährleisten, werden<br />

die Glockennaben separat vorlackiert. Nur durch den blitzartig härtenden<br />

UV-Lack ist auf diese Weise eine Vorbeschichtung innerhalb des<br />

Prozessablaufs in der Fertigung möglich. „Das ist zwar nur eine kleine Anwendung,<br />

aber sie zeigt eine große Wirkung“, freut sich Versuchsleiter<br />

Guido Helm. Und Martin Schorsch, der Leiter des Kompetenzzentrums<br />

Coating Technology Truck Group, fügt hinzu: „Durch unsere Entwicklungsarbeit<br />

lassen sich immer weitere Anwendungsfelder für den Einsatz dieser<br />

hoch effizienten UV-Lacktechnologie aufzeigen. Die UV-Lacktechnologie<br />

wird aufgrund ihrer vielfältigen Vorzüge das zukunftsträchtige Lackierverfahren<br />

in der Fahrzeugindustrie werden.“<br />

>


S.37<br />

Anzeige


38<br />

Einstellung: Die Fallhöhe des an Seilen<br />

aufgehängten Pendels lässt sich exakt<br />

justieren. Dies stellt sicher, dass bei<br />

einer Testreihe der Aufprall immer<br />

gleich stark ist und die Versuchsergebnisse<br />

damit vergleichbar sind.<br />

Aufprall: Mit voller Wucht schlägt das<br />

anderthalb Kilogramm schwere<br />

Gewicht gegen einen Kotflügel aus<br />

thermoplastischem Kunststoff. Mit<br />

dem Pendelschlagtest prüfen Ingenieure<br />

das Verhalten von Werkstoffen.


<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 Schwerpunkt > Nanotechnologie 39<br />

Leichter bauen mit Nanos<br />

Neuartige Kunststoffe für die Autos von morgen<br />

Durch die Forderung nach sinkenden CO 2 -Emissionen gewinnt das<br />

Thema Leichtbau immer mehr an Bedeutung. Mit Nanopartikeln<br />

modifizierte thermoplastische Kunststoffe sind leicht und eignen<br />

sich für Kotflügel und andere flächige Karosseriebauteile. Werkstoffexperten<br />

von <strong>Daimler</strong>Chrysler arbeiten daran, solche Kunststoffe<br />

in den Fahrzeug-Produktionsprozess zu integrieren.<br />

Es ist kalt, sogar bitterkalt, wenn Erich Lehner und seine Kollegen<br />

von der Produktions- und Werkstofftechnik (PWT) im Werk Sindelfingen<br />

zum Pendelschlagtest schreiten. Stellenweise herrschen<br />

minus 25 Grad Celsius im Prüfstand, in dem die Ingenieure das<br />

Materialverhalten von Kotflügeln und anderen Bauteilen untersuchen. Für<br />

den Test haben die Werkstoffexperten mehrere Kotflügel zunächst in einem<br />

Klimaschrank auf minus 40 Grad abgekühlt, bevor sie im Prüfstand<br />

die Bauteile in eine Vorrichtung spannen. Dann lassen sie ein schweres<br />

Pendel gegen die Kotflügel prallen. Ihr Ziel: Sie wollen herausfinden, wie<br />

sich Bauteile bei unterschiedlichen Aufprallgeschwindigkeiten verhalten.<br />

Bei den traktierten Kotflügeln handelt es sich um besondere Stücke.<br />

Es sind Versuchsbauteile, die nicht wie gewohnt aus Stahlblech sondern<br />

aus thermoplastischen Kunststoffen bestehen und deshalb deutlich leichter<br />

sind. „Solche Leichtbauelemente“, erläutert Erich Lehner, „bieten eine<br />

gute Möglichkeit, der ‚Gewichtsspirale’ entgegenzuwirken, die aus den<br />

steigenden Anforderungen an Sicherheit, Komfort und Fahrleistungen<br />

resultiert und zu ständig wachsenden Fahrzeuggewichten führt.“ Hinzu<br />

kommt: Konsequenter Leichtbau ist einer der möglichen Ansätze, die<br />

<strong>Daimler</strong>Chrysler-Ingenieure auf dem Weg zu geringeren Verbräuchen und<br />

CO 2 -Emissionen seit vielen Jahren mit hohem Aufwand verfolgen.<br />

> Ideale Werkstoffe für das Design der Außenhaut<br />

Thermoplaste, also schmelzbare Kunststoffe, bieten im Vergleich zu Metallen<br />

einige Vorteile. Zum einen sind sie dank ihres geringeren spezifischen<br />

Gewichts leichter und lassen den Verbrauch sinken. Zum anderen<br />

sind sie hervorragende Design-Werkstoffe, die sich durch Spritzgießen in<br />

nahezu jede Form bringen lassen. Das macht sie zum idealen Material für<br />

die Außenhaut des Autos. Bei Serienfahrzeugen dienen sie als Verkleidung<br />

für Stoßfänger und Türschweller oder als Seitenschutzleisten an den<br />

Türen. Meist bestehen sie aus Polypropylen-Mischungen (PP) und weisen<br />

aufgrund der niedrigen Dichte eine relativ hohe gewichtsspezifische Steifigkeit<br />

auf. Oft handelt es sich um Anbauteile, die von Zulieferfirmen hergestellt<br />

und in den jeweiligen Wagenfarben lackiert werden.<br />

Konsequenter<br />

Leichtbau ist ein guter<br />

Ansatz, um den Kraftstoffverbrauch<br />

und<br />

die CO 2- Emissionen<br />

weiter zu senken<br />

Das ist einerseits von Vorteil,<br />

weil die Zulieferer sehr flexibel reagieren<br />

können. Andererseits verteuert<br />

das externe Lackieren die<br />

Bauteile erheblich, weil jeder Zulieferer<br />

eine eigene Lackieranlage<br />

aufbauen muss. Zudem ist es<br />

schwierig, mit den unterschiedlichen<br />

Anlagen und Werkstoffen<br />

immer exakt denselben Farbton zu<br />

treffen. Lehners Kollege Jens Humpenöder<br />

von der <strong>Daimler</strong>Chrysler-<br />

Forschung in Ulm erläutert dies näher:<br />

„Schon kleinste Unterschiede<br />

in Farbton, Glanzgrad und Oberflächenbeschaffenheit,<br />

die aus verschiedenen<br />

Lackierverfahren resultieren<br />

können, erschweren die<br />

Integration der Anbauteile in die<br />

restliche Fahrzeugoberfläche.“<br />

Doch das Problem mit der Farbtonübereinstimmung<br />

lässt sich<br />

durch eine gemeinsame Lackierung<br />

umgehen, wobei zugleich Kosten<br />

eingespart werden. Bei dieser<br />

„On-Line-Lackierung“ durchlaufen<br />

die Kunststoffanbauteile zusammen<br />

mit der Stahlkarosserie den<br />

gesamten Lackierungsprozess einschließlich<br />

der kathodischen<br />

Tauchlackierung (KTL), die als Korrosionsschutz<br />

und Untergrund für<br />

die Farb- und Klarlacke dient.<br />

Doch bei der KTL treten kurzzeitig<br />

Temperaturen von mehr als 200<br />

Grad Celsius auf – dies schließt<br />

herkömmliche Thermoplaste vom<br />

On-line-Lackieren aus. Zwar gibt es<br />

für Außenbauteile auch Kunststoffmischungen<br />

aus Polyamid und >


40<br />

> Leitinnovation NanoMobil<br />

„Kompetenz in Sachen Nanotechnologie gehört im Automobilbau der Zukunft zu den<br />

Kernkompetenzen, die zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit unbedingt erforderlich<br />

sind“, so das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).<br />

Aus dieser Einschätzung heraus unterstützt das Ministerium im Projekt „Leitinnovation<br />

NanoMobil“ Forschungs- und Entwicklungsvorhaben für nanotechnologische Anwendungen<br />

in der Verkehrstechnik, speziell der Automobilindustrie und ihrer Zulieferer.<br />

Im Mittelpunkt der verschiedenen Teilprojekte stehen der direkte Nutzen durch<br />

verringerten Kraftstoffverbrauch, höhere Fahrsicherheit und die Langlebigkeit der<br />

Produkte. Zudem soll das Verbundprojekt die Forschungsaktivitäten auf dem Gebiet der<br />

Nanotechnologie bündeln, die sich mit Anwendungen im Automobilbereich befassen.<br />

Polyphenylenether (PA/PPE), die sich für einen solchen Lackierprozess<br />

eignen, doch unterm Strich sind sie eine Lösung, die nicht rundum zufriedenstellt.<br />

Deshalb arbeiten <strong>Daimler</strong>Chrysler-Ingenieure zusammen mit<br />

externen Partnern aus Forschung und Industrie daran, die Thermoplaste<br />

weiter zu optimieren, um sie On-line lackieren zu können. Im Rahmen des<br />

vom Bundesforschungsministerium (BMBF) geförderten Programms<br />

„Leitinnovation NanoMobil“ wollen die Forscher und Entwickler die Wärmeformbeständigkeit<br />

erhöhen, die thermische Längenausdehnung reduzieren<br />

und die elektrischen und mechanischen Eigenschaften verbessern.<br />

Schon bisher enthalten Thermoplaste Füllstoffe wie Glasfasern oder<br />

Graphit, die zum Beispiel das Ausdehnungsverhalten oder die elektrische<br />

Leitfähigkeit der Kunststoffe beeinflussen. Die Füllstoffe erhöhen die<br />

Qualität der Kunststoffe, machen diese aber schwerer – und der Leichtbauvorteil<br />

schwindet. „Hier bringen wir nun so genannte nanoskalige Füllstoffe<br />

wie Nanoclays oder Nanotubes ins Spiel, die das Eigenschaftsprofil<br />

von Thermoplasten signifikant verbessern können“, umreißt Erich Lehner<br />

die Ziele des BMBF-Teilprojekts „Leichtbau mit thermoplastischen Nanocomposites“,<br />

dessen Federführung bei <strong>Daimler</strong>Chrysler liegt.<br />

Nanoclays sind Schichtsilikate, also Tonmineralien, mit einer Größe<br />

von wenigen Nanometern. Bei den Nanotubes handelt es sich um Kohlenstoff-Nanoröhren<br />

(Carbon Nanotubes, CNTs) und um Kohlenstoff-Nanofasern<br />

(Carbon Nanofibers, CNFs), also um Makromoleküle aus Kohlenstoff,<br />

die sich in einem Gerüst von Sechsecken zu winzigen, langgestreckten<br />

Zylindern anordnen.<br />

> Starker Gewichtsverlust durch Nanopartikel<br />

Die bisherigen Forschungs- und Entwicklungsergebnisse zeigen: Versetzt<br />

man Thermoplaste mit Nanoclays, erhöhen sich die Steifigkeit und Festigkeit<br />

des Bauteils bei nahezu gleichbleibender Materialdichte und -zähigkeit.<br />

„Bereits mit geringen Anteilen von wenigen Gewichtsprozent lassen<br />

sich mechanische Eigenschaften erzielen, die sonst nur mit sehr hohen<br />

Anteilen von mehr als 30 Gewichtsprozent herkömmlicher Füllstoffe erreichbar<br />

sind“, berichtet Jens Humpenöder.<br />

Dies bedeutet: Mit Nanopartikeln versetzte Thermoplaste bieten nicht<br />

nur eine Gewichtsersparnis gegenüber metallischen Werkstoffen, sondern<br />

auch gegenüber konventionellen Kunststoffmischungen. Zudem erhöhen<br />

sich durch den Zusatz von Nanoclays die Oberflächenqualität und<br />

die Verarbeitungseigenschaften der Thermoplaste. Dadurch kann man<br />

die Wandstärken der Bauteile deutlich reduzieren, also zusätzlich Gewicht<br />

einsparen, oder beim Spritzgießen die Fließwege verlängern, wodurch<br />

sich wiederum die Kosten für aufwendige Werkzeuge verringern.<br />

Versetzt man die Thermoplaste statt mit Nanoclays mit CNTs oder<br />

CNFs, lassen sich zum Teil noch bessere Materialeigenschaften erzielen.<br />

Die winzigen Kohlenstoffpartikel sind ausgesprochen fest und elastisch,<br />

Mit Nanopartikeln<br />

versetzte Thermo–<br />

plaste sind leichter als<br />

metallische Werkstoffe<br />

und herkömmliche<br />

Kunststoffmischungen<br />

Vorbereitung: Ein Mitarbeiter des MTC<br />

(Mercedes Technology Center) in<br />

Sindelfingen präpariert einen Leichtbau-Kotflügel<br />

für einen Test in der<br />

Klimakammer. Hier können die<br />

Ingenieure bei Bedarf auch arktische<br />

Extremtemperaturen einstellen.<br />

was sie zur Verstärkung von Kunststoffen<br />

prädestiniert. Zudem kann<br />

man mit ihnen eine gute elektrische<br />

Leitfähigkeit einstellen, die<br />

für die kathodische Tauchlackierung<br />

(KTL) unerlässlich ist.<br />

Die Anforderungen an KTL-fähige<br />

Thermoplaste sind schon heute<br />

enorm: Neben den guten mechanischen<br />

Eigenschaften, der elektrischen<br />

Leitfähigkeit und einer sehr<br />

hohen Wärmeformbeständigkeit<br />

sollen sie zugleich über eine niedrige<br />

thermische Längenausdehnung<br />

verfügen. Durch den Leichtbautrend<br />

zu Body-Panels – zum Beispiel<br />

Kotflügel und Türaußenverkleidungen<br />

aus Kunststoffen – liegt<br />

die Messlatte inzwischen noch ein<br />

Stück höher. Gerade für solche<br />

großflächigen Teile ist eine weitere<br />

Materialoptimierung besonders im<br />

Hinblick auf das mechanische Verhalten<br />

und auf die Wärmeausdehnung<br />

unerlässlich.<br />

Nach der grundlegenden Untersuchung<br />

verschiedener Nano-Thermoplaste<br />

und deren Eignung für diverse<br />

Bauteile, haben die Ingenieure<br />

in Sindelfingen inzwischen auch<br />

einen Versuchsträger auf die Räder<br />

gestellt – ein S-Klasse-Fahrzeug<br />

mit Leichtbau-Kotflügeln auf Nano-<br />

Basis. Erich Lehner fasst die Vorzüge<br />

so zusammen: „Ein großer Vorteil<br />

der thermoplastischen Nano-<br />

Kunststoffe gegenüber herkömmlichen<br />

Kunststoffmischungen liegt<br />

in ihrem geringeren Füllstoffanteil,<br />

der ausreicht, um die geforderten<br />

Eigenschaften zu erzielen. Dadurch<br />

ist die Gewichtseinsparung<br />

bei diesen Materialen besonders<br />

deutlich ausgeprägt.“>


<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 Schwerpunkt > Nanotechnologie 41<br />

> Projekt Leichtbau-Nanos<br />

Im Rahmen des Vorhabens „Leitinnovation NanoMobil“ fördert das Bundesministerium<br />

für Bildung und Forschung (BMBF) das Forschungs- und Entwicklungsprojekt „Leichtbau<br />

mit thermoplastischen Nanocomposites“. An dem vor zwei Jahren gestarteten Projekt<br />

sind unter der Federführung von <strong>Daimler</strong>Chrysler fünf Kooperationspartner beteiligt:<br />

> Das Leibnitz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung (IFW) in Dresden<br />

stellt mithilfe diverser Verfahren des chemischen Abscheidens (Chemical Vapor Deposition,<br />

CVD) die unterschiedlichsten Nanopartikel und -strukturen her. So können die<br />

Wissenschaftler mehrwandige und einwandige Kohlenstoff-Nanoröhren und Nanofasern<br />

synthetisieren und durch modernste Verfahren der Elektronenmikroskopie und der<br />

Röntgenanalytik exakt charakterisieren.<br />

> Das ebenfalls in Dresden ansässige Leibnitz-Institut für Polymerforschung (IPF)<br />

betreibt anwendungsorientierte Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Polymersynthese.<br />

Für das Leichtbauprojekt untersuchen zwei Teams, wie sich Nanoclays<br />

(Schichtsilikate) und Kohlenstoff-Nanopartikel optimal in Polypropylen-Kunststoffe einbringen<br />

lassen. Dazu betrachten sie etwa die internen Oberflächenspannungen innerhalb<br />

des Kunststoff-Nanopartikel-Gemischs. Ferner arbeiten sie an Verfahren, mit denen<br />

man Nanoteilchen in eine Kunststoffschmelze einbringen und optimal verteilen kann.<br />

> Die Süd-Chemie AG ist nicht nur Hersteller von anorganischen und organisch modifizierten<br />

Nanoclays, sondern untersucht auch, wie sich durch Abänderungen der Partikeloberflächen<br />

die Herstellung dieser Thermoplaste weiter vereinfachen lässt.<br />

> Die General Electric Plastics GmbH liefert technische Thermoplaste für die Automobil-<br />

und Elektroindustrie. Das Unternehmen forscht unter anderem an Verarbeitungsprozessen<br />

sowie an Hochleistungskunststoffen, die durch den Einsatz von Nanotechnologie<br />

elektrisch leitfähig gemacht werden und sich so für elektrostatische Lackierverfahren<br />

im Karosseriebau eignen.<br />

> Ingenieure von <strong>Daimler</strong>Chrysler schließlich untersuchen anhand von Demonstrator-<br />

Bauteilen (Tankklappen, Kotflügel, Body Panels für die äußere Seitenverkleidung), wie<br />

gut sich die verschiedenen Thermoplaste mit Nano-Füllstoffen für den Fahrzeugbau eignen.<br />

Die im Spritzgießverfahren hergestellten Versuchsbauteile durchlaufen zahlreiche<br />

definierte Tests und Prüfungen; dazu gehören zum Beispiel Schlag- und Bruchtests,<br />

Steinschlagerprobung, Wärmewechseltests, Alterungsversuche, Klimaprüfungen sowie<br />

Lackierverfahren und die Beurteilung der Serientauglichkeit.


42<br />

Farben,<br />

Folien<br />

und<br />

Antennen<br />

Neues Herstellungsverfahren<br />

für Leichtbauelemente<br />

Ein neuartiges Dachelement für die Mercedes-Benz R-Klasse ist Vorreiter<br />

in Sachen Lackfolientechnologie. Das Kunststoffbauteil dient<br />

als Antennendeckel; hergestellt wird es aus Kunststoff und einer<br />

mit Lack beschichteten Folie. Das neue Verfahren spart Kosten und<br />

kann zu einer Schlüsseltechnologie für die Herstellung von Leichtbauelementen<br />

werden. Auch für Designer und Konstrukteure bietet<br />

es langfristig neue Perspektiven – sie könnten Antennen und Sensoren<br />

direkt in Kunststoffbauteile für die Außenhaut integrieren.<br />

Radio hören im Auto war früher eine simple Sache – eine einfache<br />

Stabantenne, meist auf dem Kotflügel verschraubt, genügte für<br />

den Kontakt zur Außenwelt. Heute sind die Funkverbindungen<br />

nach draußen wesentlich vielfältiger – in einem Oberklassefahrzeug<br />

stecken bis zu 18 Antennen. Sie empfangen nicht nur Radio- und<br />

Fernsehprogramme, sondern dienen auch zur Telekommunikation, Navigation,<br />

Telematik, Fernbedienung und Abstandsregelung. Weitere Antennen<br />

für die Fahrzeug-Fahrzeug-Kommunikation dürften in absehbarer Zeit<br />

hinzukommen.<br />

Vor allem Designer möchten diese Vielzahl an Antennen am liebsten<br />

komplett unter der Karosserie verstecken. Doch die Außenhaut der Autos<br />

besteht in der Regel aus Metallblechen, und diese stören die Funksignale.<br />

Um Antennen trotzdem unter der Karosserie zu verbergen, entwickelten<br />

Fahrzeugingenieure spezielle Abdeckungen aus Kunststoff, die den Funkempfang<br />

nicht beeinträchtigen.<br />

Von außen unsichtbare Antennen stecken zum Beispiel unter der<br />

Heckklappe im Maybach, in der Mercedes-Benz CL-Klasse und im CLK<br />

Cabrio. Auch in der M- und der R-Klasse bestehen Teile des Dachs aus<br />

einer Kunststoffabdeckung, die in der Wagenfarbe lackiert ist. Im Grund<br />

ist damit alles in bester Ordnung: Die Antennen funktionieren und die<br />

Kunststoffelemente unterscheiden sich äußerlich in keiner Weise von der<br />

übrigen Karosserie.<br />

Eigentlich könnten die Ingenieure der Mercedes Car Group mit ihrer<br />

Arbeit zufrieden sein. Doch auch was gut ist, lässt sich weiter optimieren<br />

– zum Beispiel der Antennendeckel für die R-Klasse. Wie die gesamte<br />

Karosserie beschichtet man dieses Kunststoffbauteil bisher durch Nasslackieren.<br />

„Doch das ist ein teures Verfahren mit hohen Stückkosten. Weil<br />

immer mehr Bauteile weltweit bei verschiedenen Lieferanten produziert<br />

werden, muss jeder von ihnen in kostspielige Lackieranlagen investieren“,<br />

sagt Walter Aichholzer von der Produktions- und Werkstofftechnik<br />

(PWT) in Sindelfingen. „Hinzu kommt: Der Farbton der Anbauteile muss<br />

absolut mit dem der Karosserie übereinstimmen – egal, ob der Untergrund<br />

aus Stahlblech, Aluminium oder Kunststoff besteht und egal, ob<br />

das Teil in Deutschland, den USA oder Südafrika hergestellt wird.“<br />

> Farbtöne exakt getroffen<br />

Eine elegante Lösung für das Antennendeckelproblem haben Aichholzer<br />

und seine Kollegen durch ein Bauteil mit so genannter Lackfolie gefunden:<br />

Die neuartige Antennenabdeckung besteht aus Kunststoff, erlaubt<br />

also ungestörten Funkempfang. Und die zu ihrer Herstellung entwickelte<br />

Lackfolientechnologie garantiert die erwünschte Farbtongleichheit mit<br />

der Karosserie und senkt spürbar die Herstellungskosten.<br />

Gewöhnlich werden Karosseriebauteile zunächst aus einem Werkstoff,<br />

etwa Stahlblech, geformt und anschließend auf der Außenseite<br />

lackiert. Bei dem neuen, etwa einen halben Quadratmeter großen Antennendeckel<br />

für die R-Klasse läuft dieser Prozess im Prinzip in umgekehrter<br />

Reihenfolge ab.


<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 Schwerpunkt > Lackfolien 43<br />

Ausgehärtet: Eine UV-Lampe fährt<br />

über ein dünnes Bauteil aus Lackfolie,<br />

das zuvor durch Tiefziehen seine<br />

endgültige Form als Dachelement<br />

erhielt und jetzt ausgehärtet wird.<br />

Eingebaut: Das Lackfolienbauteil<br />

dient als Antennendeckel im hinteren<br />

Dachbereich der R-Klasse (oben).<br />

Montagefertig: Ein Roboter fügt die in<br />

der Wagenfarbe ans Band gelieferten<br />

Antennendeckel ins Dach ein (rechts).<br />

Zuerst wird auf eine Kunststoff-<br />

Trägerfolie sowohl ein farbgebender<br />

Basislack als auch ein schützender<br />

Klarlack aufgetragen und in<br />

einem Umluftofen so erwärmt,<br />

dass die Lackschicht zwar physikalisch<br />

trocken und grifffest, aber<br />

noch nicht chemisch ausgehärtet<br />

ist. Dann kommt die beschichtete<br />

Folie in eine Tiefziehform und wird<br />

dort zur Außenhaut des Antennendeckels<br />

umgeformt, bevor der Lack<br />

unter einer Lampe mit ultraviolettem<br />

Licht (UV) aushärtet.<br />

Die nun starre Folienhaut hat<br />

zwar ihre endgültige dreidimensionale<br />

Form, muss aber noch mechanisch<br />

verstärkt werden, weil sie<br />

nur einen Millimeter dick ist. Dazu<br />

wird eine Fasermatte auf die Rückseite<br />

der Lackfolie gelegt und ein<br />

Kunststoffschaum aus Polyurethan<br />

(PUR) aufgespritzt. Durch abschließendes<br />

Pressen wird das Bauteil<br />

schließlich zum montagefertigen<br />

Dachelement.<br />

„Ein technologisch entscheidender<br />

Schritt bei diesem Prozess<br />

ist, dass das Trocknen und das >


44<br />

Aushärten des UV-Lacks in zwei getrennten Schritten erfolgen“, erläutert<br />

Walter Aichholzer, der das Projekt zuerst im <strong>Daimler</strong>Chrysler-Forschungszentrum<br />

Ulm und dann in der Produktions- und Werkstofftechnik (PWT) in<br />

Sindelfingen betreut hat. Dort kooperiert er eng mit seinen Kollegen Matthias<br />

Beyer aus der Entwicklung R-Klasse sowie Bernd-Uwe Kettemann,<br />

Lackexperte in der PWT.<br />

> Allen Anforderungen gewachsen<br />

Der von den <strong>Daimler</strong>Chrysler-Ingenieuren entwickelte Lackfoliendeckel<br />

hält jedem Vergleich mit konventionellen Antennendeckeln stand, die<br />

nasslackiert werden. „Eine der größten Herausforderungen war es, für<br />

alle Farben, die Mercedes-Benz für Serienfahrzeuge anbietet, exakt denselben<br />

Farbton zu treffen. Insbesondere bei so genannten Effektfarben<br />

fallen dem menschliche Auge ja schon kleinste Abweichungen auf“, berichtet<br />

Bernd-Uwe Kettemann. Doch inzwischen können die Spezialisten<br />

Lackfolien selbst in schwierigen Metallic-Farbtönen herstellen; möglich<br />

ist dies durch eine im Forschungszentrum Ulm entwickelte Lackauftragstechnik<br />

während der Folienbeschichtung.<br />

Das neuartige Dachelement erfüllt auch alle Anforderungen, die an die<br />

Außenhaut von Mercedes-Benz-Fahrzeugen gestellt werden, wie zum Beispiel<br />

die Chemikalienbeständigkeit, die Härte, das Wärmeausdehnungsverhalten<br />

oder die besondere Kratzfestigkeit des Lacks.<br />

Ein entscheidender Vorteil der Lackfolientechnik sind die geringeren<br />

Stückkosten gegenüber vergleichbaren, konventionell hergestellten Bauteilen.<br />

Falls man in Zukunft nicht nur Antennendeckel, sondern auch andere<br />

Außenbauteile mit Lackfolien beschichten würde, wäre sichergestellt,<br />

dass alle Teile absolut farbidentisch sind.<br />

So könnte ein einziger Hersteller die Lackfolie in einem gewünschten<br />

Farbton produzieren, auf eine große Rolle wickeln und an verschiedene<br />

Zulieferer in aller Welt verschicken. Diese schneiden sich Folienstücke zurecht,<br />

aus denen sie durch Tiefziehen, UV-Härten und Hinterspritzen beziehungsweise<br />

Hinterschäumen dann Bauteile herstellen, die zwar unterschiedlich<br />

in der Form, aber identisch in der Farbe sind.<br />

> Montagefertig ans Band<br />

Mit dem Antennendeckel für die R-Klasse haben Lackfolienbauteile zum<br />

ersten Mal Eingang in die Serienproduktion von Mercedes-Benz gefunden.<br />

Hersteller der Dachelemente ist eine spezialisierte Firma in Altbach<br />

nahe Stuttgart. Von dort werden die montagefertigen Antennendeckel in<br />

die USA verschifft, wo Werker nur noch eine Dichtung einlegen müssen.<br />

Abgerollt: Am Anfang der Beschichtungsanlage<br />

wird die thermoplastische<br />

Kunststofffolie abgerollt und<br />

läuft dann in die Maschine, in der die<br />

Farbe aufgewalzt wird (links).<br />

Aufmerksam: Der gesamte Beschichtungsprozess,<br />

der eine staubfreie<br />

Umgebung erfordert, wird von einem<br />

Steuerpult aus überwacht (unten).<br />

Durch die Lackfolientechnologie<br />

lassen<br />

sich Antennen und<br />

Sensoren zukünftig<br />

direkt in die Fahrzeugkarosserie<br />

integrieren<br />

Dann kommen die Teile an das<br />

Montageband im R-Klasse-Werk in<br />

Tuscaloosa, wo sie ein Roboter ins<br />

Fahrzeugdach einklebt. „Aus Kapazitätsgründen<br />

mussten wir uns<br />

beim Serienstart zunächst auf zwei<br />

Farbtöne beschränken“, berichtet<br />

Entwicklungsingenieur Matthias<br />

Beyer. Doch bei der Zulieferfirma<br />

entsteht derzeit eine Großserienanlage,<br />

sodass bis Ende des Jahres<br />

die Antennendeckel der R- und<br />

auch der M-Klasse in allen Farben<br />

produziert werden können.<br />

> Bauteil-Integration<br />

Für die Forscher und Entwickler ist<br />

das Thema damit aber nicht abgehakt.<br />

Sie denken schon weiter und<br />

wollen zukünftig möglichst viele<br />

Kunststoffbauteile mit der innovativen<br />

Folie herstellen. Gedacht ist<br />

zum Beispiel an seitliche Pkw-<br />

Schweller, an so genannte Windleitteile<br />

bei Lkw und mittelfristig an<br />

komplette Heckdeckel.<br />

Jan Krüger, der sich als Leiter<br />

des Teams „Functional Integration<br />

and Modularization“ der <strong>Daimler</strong>-<br />

Chrysler-Konzernforschung mit<br />

diesem Thema beschäftigt, wirft<br />

sogar einen Blick in die weitere Zukunft:<br />

„Mit der Lackfolientechnologie<br />

ist eine neue Bauweise entstanden,<br />

die zukünftig neue Wege bei<br />

der Integration von Funktionen in<br />

der Außenhaut ermöglicht. Ein Beispiel<br />

ist die Integration von Antennen<br />

oder Sensoren direkt in ein Außenhaut-Bauteil.“<br />

>


S.44<br />

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46<br />

„So genau wie nötig und so weit wie möglich“<br />

Simulierte Toleranz<br />

Ohne Toleranz geht nichts. Das gilt nicht nur für das Zusammenleben<br />

von Menschen. Für Motoren und Maschinen müssen Konstrukteure<br />

gewisse Spielräume festlegen, die sicherstellen, dass<br />

sämtliche Bauteile zuverlässig funktionieren und wirtschaftlich zu<br />

fertigen sind. Forscher und Entwickler von <strong>Daimler</strong>Chrysler untersuchen,<br />

wie sich technische Toleranzen für den Motor und den<br />

Antriebsstrang optimal gestalten lassen.<br />

Eigentlich sollte man als Autokäufer ja erstaunt sein. Erstaunt darüber,<br />

dass bei einem Neuwagen trotz Tausender Bauteile und Produktionsschritte<br />

alles millimetergenau passt und sich zum Beispiel<br />

Türen und der Kofferraumdeckel mühelos schließen lassen –<br />

obwohl fast jedes Karosserieteil minimal von den idealen Maßen der Konstruktionspläne<br />

abweicht. Das beginnt beim Stanzen von Stahlblechen<br />

und reicht über deren Umformen bis zum Zusammenschweißen zu einzelnen<br />

Baugruppen wie etwa Längsträgern. Auch im Karosseriebau und in<br />

der Endmontage ergeben sich gegenüber dem „Idealfahrzeug“ kleinste<br />

Unterschiede. An einer Stelle ist es vielleicht die Heckklappe, die um<br />

einen Millimeter breiter ausfällt als geplant; woanders hat sich ein Scharnier<br />

beim Festschrauben leicht verdreht. Angesichts dessen kann bei Laien<br />

das Gefühl aufkommen, die Abweichungen würden zu Mängeln führen.<br />

Doch dem ist bekanntlich nicht so. Dass Heckklappen, Seitentüren<br />

und Motorhauben trotz gewisser Abweichungen exakt schließen, hat seinen<br />

guten Grund: Fahrzeugkonstrukteure legen zulässige Bauteilabweichungen<br />

von Anfang an so fest, dass die jeweiligen Funktionen gewährleistet<br />

bleiben – gestehen ihnen also eine Toleranz zu.<br />

„Toleranzen legen die zulässigen Abweichungen vom Nennmaß fest,<br />

und solange sie eingehalten werden, funktionieren die einzelnen Systeme<br />

wie geplant“, erläutert Christian Glöggler von der Abteilung Product and<br />

Production Modeling der <strong>Daimler</strong>Chrysler-Konzernforschung in Ulm. „Die<br />

Herausforderung besteht darin, alle Toleranzen im Blick zu haben und ihr<br />

Zusammenspiel sinnvoll zu planen. Das heißt, wir betrachten nicht nur die<br />

von Konstrukteuren für jedes Bauteil und jeden Kontaktpunkt vorgegebenen<br />

Toleranzmaße, sondern die gesamte Maßkette und gleichen dann die<br />

von uns berechneten Ergebnisse mit Messwerten aus der Praxis ab.“<br />

Toleranzplanung ist im Karosseriebau von <strong>Daimler</strong>Chrysler schon seit<br />

Jahren fest etabliert; für jede neue Baureihe gibt es dafür eine spezielle<br />

Arbeitsgruppe. Vor einiger Zeit hat im Forschungszentrum Ulm ein Team<br />

Statistik mit dem Stirnrad: Misst man<br />

bei 1000 Motoren stets die gleiche<br />

Kontaktstelle zwischen Zahnrad und<br />

Welle, erhält man 1000 unterschiedliche<br />

Messwerte – egal, ob es sich dabei<br />

um einen realen oder virtuellen<br />

Motor handelt. Die Daten ergeben eine<br />

statistische Verteilungskurve, deren<br />

unterschiedlicher Verlauf den Konstrukteuren<br />

wichtige Hinweise liefert.<br />

um Glögglers Chef Robert Winterstein<br />

begonnen, die im Karosseriebau<br />

gesammelten Kenntnisse auf<br />

den Antriebsstrang zu übertragen.<br />

„Ziel unserer anwendungsbezogenen<br />

Forschung ist es, die Qualität<br />

zu steigern, früh einen hohen<br />

Reifegrad zu erreichen und dabei<br />

Kosten zu senken. Deshalb unterstützen<br />

wir seitens der Konzernforschung<br />

den Bereich Antriebsstrang<br />

der Mercedes Car Group sowie<br />

der Nutzfahrzeugsparte und<br />

wollen herausfinden, an welchen<br />

Toleranzen es sich lohnt zu drehen<br />

und welche aufgrund des geringen<br />

Einflusses hinten angestellt werden.<br />

Dazu untersuchen wir mit Toleranzanalysen<br />

den Produktentstehungsprozess<br />

von den CAD-Daten<br />

bis zur Herstellung von Serienteilen“,<br />

erläutert Winterstein, dessen<br />

Abteilung von Fahrzeugentwicklern<br />

bei bestimmten Fragen schon<br />

sehr früh zu Rate gezogen wird.<br />

So wollten zum Beispiel Konstrukteure<br />

wissen, wie tief sie bei<br />

einem zukünftigen Motor die so genannten<br />

Ventiltaschen im Kolbenboden<br />

auslegen sollten. Hinter-


<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 > Antriebsstrang 47<br />

Einblick in das Ausgleichsgetriebe:<br />

Die Softwaretools zur Toleranzanalyse<br />

erlauben es, die an jeder Kontaktstelle<br />

herrschenden Bedingungen zu untersuchen<br />

und bildhaft darzustellen.<br />

So werden zum Beispiel an den schräg<br />

verzahnten Zahnrädern die Flanken<br />

der ineinandergreifenden Zähne<br />

in unterschiedlichen Farben codiert.<br />

grund der Frage ist der zukünftige<br />

Abgasstandard Euro 5, der sehr<br />

niedrige Emissionsgrenzwerte vorsieht.<br />

Um diese zu unterschreiten,<br />

streben die Motorenentwickler eine<br />

entsprechende Verdichtung an.<br />

Diese wiederum verlangt einen<br />

möglichst geringen Abstand zwischen<br />

den Ventilen und den Kolben<br />

im oberen Totpunkt. Da es hier auf<br />

jeden Zehntelmillimeter ankommt,<br />

muss zugleich sichergestellt sein,<br />

dass der Kolbenboden nie gegen<br />

die Ventile schlägt. Verhindern<br />

lässt sich dies durch Ventiltaschen,<br />

also in den Kolbenboden eingefräste<br />

Vertiefungen, in welche die<br />

Ventilteller eintauchen können.<br />

Für die Spezialisten in Sachen<br />

Toleranzplanung stellten sich damit<br />

folgende Fragen: Reichen die<br />

von den Motorkonstrukteuren festgelegten<br />

Toleranzen aus? Wie tief<br />

müssen die Ventiltaschen tatsächlich<br />

sein, damit die Motoren sicher<br />

und schadstoffarm laufen?<br />

Je mehr Fragen dieser Art in einem<br />

frühen Stadium beantwortet<br />

werden, umso geringer ist der Zeit-<br />

Die Toleranzanalyse<br />

erstreckt sich auf den<br />

gesamten Prozess von<br />

den CAD-Daten bis<br />

zum fertigen Serienteil<br />

Klärung benötigt wird. „Ein Fehler, der mittels Toleranzanalyse schon in<br />

der Entwicklungsphase behoben wird, schlägt nur mit einem Betrag X zu<br />

Buche. Entdeckt und beseitigt man diesen Fehler erst bei einem Prototyp<br />

kann es schon das Hundertfache, im Stadium der Vorserie sogar das Tausendfache<br />

kosten“, berichtet Stephan Watrin, der sich zusammen mit<br />

Christian Glöggler intensiv mit Softwaretools zur Toleranzanalyse beschäftigt.<br />

Dazu benutzen die beiden Forscher und ihre Kollegen verschiedene<br />

Toleranzsimulationsprogramme, die in das mächtige Softwarepaket<br />

Catia V5 integriert sind, das <strong>Daimler</strong>Chrysler und andere Fahrzeughersteller<br />

als Standardprogramm für die Konstruktion einsetzen.<br />

> Sechs Freiheitsgrade für jede Kontaktstelle<br />

Um die Frage nach der „sicheren“ Tiefe der virtuellen Ventiltaschen zu beantworten,<br />

werden mit dem Softwaretool sowohl für den Ventil- als auch<br />

für den Kurbeltrieb alle Kontaktstellen und -bedingungen festgelegt, bei<br />

denen zwei Bauteile aufeinander treffen. Für jede Kontaktstelle erfassen<br />

die Forscher die von den Konstrukteuren vorgesehenen Toleranzwerte.<br />

„Dabei arbeiten wir mit jeweils sechs Freiheitsgraden; drei für die Raumkoordinaten<br />

in Hoch-, Längs- und Querrichtung sowie drei, die sich aus<br />

der Rotation um diese Achsen ergeben“, erläutert Watrin.<br />

Dass dabei große Datenmengen anfallen, wird schnell klar, wenn man<br />

den Ventil- und den Kurbeltrieb im Detail betrachtet und alle der bis zu<br />

300 Kontaktstellen berücksichtigt. Zum Ventiltrieb gehören unter anderem<br />

das auf der Kurbelwelle sitzende Kettenrad und die Steuerkette beziehungsweise<br />

die Zahnräder für den Antrieb der Nockenwelle sowie Stößel,<br />

Kipphebel, Ventilfedern und Ventile. Der Antrieb für die Kolben verläuft<br />

von der Kurbelwelle über die Pleuel und Kolbenbolzen zum Kolben.<br />

Dies ist freilich nur eine vereinfachte Beschreibung. Für Glöggler und<br />

Watrin stellt sich das Erfassen aller Kontaktbedingungen wesentlich<br />

schwieriger dar. So müssen sie zum Beispiel berücksichtigen, dass<br />

und Kostenaufwand, der zu deren >


48<br />

sich zwischen der Kurbelwelle und<br />

den Pleueln Lagerschalen befinden,<br />

deren Toleranzen ebenfalls in<br />

die Gesamtanalyse einfließen. Beachtet<br />

werden müssen auch die<br />

Kurbelwellenlager, deren Toleranzverhalten<br />

die Position der Kurbelwelle<br />

im Motorblock bestimmt.<br />

> Monte-Carlo-Simulation<br />

Sind alle Kontaktbedingungen mit<br />

der Software erfasst, erfolgt die<br />

abschließende Gesamtbewertung<br />

aller Toleranzen, die sich zum gesuchten<br />

Abstand zwischen Kolben<br />

und Ventilen summieren. Allerdings<br />

handelt es sich dabei nicht<br />

einfach um das simple Zusammenzählen<br />

aller einzelnen Toleranzwerte,<br />

die auf hunderttausendstel Millimeter<br />

genau berechnet sind. „Wir<br />

führen vielmehr mit Hilfe so genannter<br />

Monte-Carlo-Simulationen<br />

eine statistische Betrachtung der<br />

Toleranzverteilung bei Tausenden<br />

von virtuellen Motoren durch; dies<br />

liefert realitätsnahe und belastbare<br />

Ergebnisse“, erläutert Watrin.<br />

Bei einer Monte-Carlo-Simulation<br />

an einem virtuellen Motor<br />

greift das Softwaretool per Zufallsauswahl<br />

für jede der Kontaktstellen<br />

einen möglichen Zahlenwert<br />

aus dem vom Konstrukteur zuge-<br />

Ventiltrieb: Auch beim Berechnen der<br />

optimalen Ein- und Auslässe in den<br />

Zylinderraum hat sich die Toleranzanalyse<br />

bewährt. So lässt sich mit ihr<br />

schon in der Konstruktionsphase<br />

eines Motors die notwendige Tiefe der<br />

zukünftigen Ventiltaschen festlegen.<br />

Kurbeltrieb: Für das perfekte Zusammenspiel<br />

zwischen Kolben, Pleuel und<br />

Kurbelwelle müssen zahlreiche Toleranzwerte<br />

definiert werden. Ob diese<br />

Spielräume zu weit oder zu eng fest–<br />

gelegt sind, zeigt die Toleranzanalyse.<br />

lassenen Toleranzspektrum heraus und registriert die jeweilige Abweichung<br />

vom geplanten Nennmaß. Dieses Software-Roulette spielt der<br />

Rechner für alle relevanten Kontaktstellen des virtuellen Motors durch<br />

und ermittelt so den für diesen Motor gültigen Minimalabstand zwischen<br />

den Kolben im oberen Totpunkt und den Ventilen.<br />

„Wiederholt man diese Berechnung an 1000 virtuellen Motoren, ergibt<br />

sich aus den 1000 Abstandswerten eine bestimmte Verteilungskurve.<br />

Diese kann eine so genannte Gauß’sche Normalverteilung ergeben, also<br />

eine typische Glockenkurve. Manchmal entstehen jedoch auch linksoder<br />

rechtsschiefe Kurven“, erklärt Christian Glöggler. Dieses Vorgehen<br />

entspricht der Realität – auch bei 1000 echten Motoren würde man beim<br />

genauen Nachmessen eine ähnliche Häufigkeitsverteilung der Messungen<br />

zwischen Kolben und Ventilen feststellen.<br />

Den Toleranzanalysten liefert die berechnete Verteilungskurve zahlreiche<br />

Hinweise. So können sie den Konstrukteuren genaue Angaben zur<br />

notwendigen Tiefe der Ventiltaschen machen, um sicherzustellen, dass<br />

die künftigen Motoren sämtlichen Alltagsanforderungen gewachsen sind.<br />

Zudem trägt ein Abgleich von Simulationskurven mit realen Messwerten<br />

dazu bei, kritische Punkte in der Konstruktion aufzuspüren und zu verbessern.<br />

Drittens zeigt das Softwaretool an, welche Toleranz welchen Einfluss<br />

auf die Qualität der Messung hat. Außer statistischen Kennwerten<br />

gibt das Tool die Toleranzen aus, die den jeweils größten Einfluss haben.<br />

> Zu enge Toleranzen sind teure Toleranzen<br />

Beim Festlegen von minimal und maximal zulässigen Abweichungen müssen<br />

Konstrukteure darauf achten, dass die Bauteile wirtschaftlich herzustellen<br />

sind. Je genauer ein reales Bauteil dem Nennmaß entsprechen<br />

soll, umso höher fallen die Herstellungskosten aufgrund zusätzlicher beziehungsweise<br />

genauerer Fertigungsschritte aus. Toleranzen, die zu eng<br />

gewählt sind, also sehr nah am Nennmaß liegen, sind teure Toleranzen.<br />

Werden sie andererseits zu weit gewählt, sinken zwar die Herstellungskosten,<br />

aber es kann passieren, dass sich dann zwei Bauteile nicht<br />

mehr montieren lassen. Fällt zum Beispiel der Durchmesser einer Welle<br />

wegen zu hoher Toleranzwerte zu groß aus, passt sie nicht mehr in die vor-


<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 > Antriebsstrang 49<br />

Zusammenspiel der Zahnräder: Um<br />

ein Getriebe – hier der Innenteil eines<br />

Ausgleichsgetriebes – zu optimieren,<br />

betrachten die Forscher zunächst die<br />

so genannten Winkelabweichungen<br />

zwischen zwei Zahnrädern. Diese<br />

Erkenntnisse übetragen sie dann auf<br />

das ganze Getriebe, um dessen Spiel<br />

möglichst klein zu halten.<br />

gesehene Öffnung eines Lagers. „Einer der Leitsätze lautet daher: So genau<br />

wie nötig und so weit wie möglich“, umschreibt Stephan Watrin den<br />

Balanceakt der Toleranzplaner.<br />

Die Abteilung von Robert Winterstein beschäftigt sich in Ulm aber<br />

nicht nur mit dem Toleranzverhalten von Ventilantrieben. Die Forscher<br />

analysierten bei Verbrennungsmotoren auch schon das Kompressionsvolumen,<br />

weil dieses einen großen Einfluss auf die Verbrennung und damit<br />

den CO 2 -Ausstoß hat. Die Frage dabei lautete: Was verursacht die<br />

Streuung des Verdichtungsverhältnisses? Welchen Anteil daran haben die<br />

konstruktiv festgelegten Toleranzen und welchen Beitrag liefern die in der<br />

Montage auftretenden Abweichungen? „Je weniger das Verdichtungsverhältnis<br />

streut, umso genauer lässt sich die Verbrennung steuern und<br />

umso bessere Abgaswerte sind zu erreichen“, erläutert Glöggler.<br />

Abgase standen auch im Mittelpunkt eines Projekts für den Nutzfahrzeugbereich.<br />

Dabei untersuchten die Toleranzplaner, wie eine Anlage zur<br />

Abgasrückführung am besten mit einem Truck-Motor verschraubt wird.<br />

Ein anderer Forschungsschwerpunkt sind derzeit Zylinderköpfe. Dabei<br />

geht es um die Frage, welche Flächen bei der Fertigung des Zylinderkopfs<br />

besonders „anfällig“ für eventuelle Geometrieabweichungen sind. Dazu<br />

muss der gesamte Fertigungsprozess, in diesem Fall der so genannte Kokillenguss,<br />

unter die Lupe genommen werden. Einen wichtigen Aspekt bildet<br />

dabei die so genannte Sandform. Diese wird vor dem Gießen in die Kokille<br />

eingelegt, um die „Freiräume“ im Zylinderkopf (zum Beispiel für Wasserkanäle)<br />

zu erhalten. Sie besteht aus mehreren Einzelformen oder<br />

Sandkernen, die zu einem Paket ineinander gesteckt werden. „Aufgrund<br />

des Herstellungsprozesses unterliegen diese Sandkernpakete vergleichsweise<br />

großen Schwankungen, die sich auf die Geometrie der Abgüsse<br />

auswirken“, erläutert Ralf Voß, der das Thema in Glögglers Team bearbeitet.<br />

Zudem wirkt sich auch der Zusammenbau der Sandkerne zu einem<br />

Paket auf die Geometrieabweichungen aus. Beide Effekte untersuchen<br />

die Forscher und vergleichen sie mit realen Messwerten von Abgüssen.<br />

Ein weiterer Schwerpunkt des Toleranzmanagements liegt im Bereich<br />

Getriebe und Achsen. „Ein Ziel dabei ist es, das Getriebespiel möglichst<br />

klein zu halten“, berichtet Stephan Watrin. Welche Effekte das Zu-<br />

Eine Toleranzanalyse<br />

der Streuung des Verdichtungsverhältnisses<br />

kann sogar die Abgaswerte<br />

verbessern<br />

sammenspiel von Zahnrädern haben<br />

kann, ist auch für Laien nicht<br />

zu überhören. Das Klickgeräusch<br />

beim Einlegen des Rückwärtsgangs<br />

entsteht durch das unterschiedliche<br />

Ineinandergreifen der<br />

Zahnräder innerhalb des jeweils<br />

festgelegten Toleranzbereichs.<br />

> Optimierte Getriebe<br />

Auch hier haben die Forscher ein<br />

weites Betätigungsfeld vor sich, da<br />

es die unterschiedlichsten Paarungen<br />

gibt zwischen großen und kleinen,<br />

schräg- oder geradeverzahnten<br />

Stirn-, Kegel- und Tellerrädern.<br />

Im Rahmen von Toleranzanalysen,<br />

die vor allem für Nutzfahrzeuge<br />

durchgeführt werden, betrachten<br />

die Ingenieure zunächst die „Winkelabweichungen“<br />

beim Zusammenspiel<br />

zweier Zahnräder. Diese<br />

Erkenntnisse werden dann auf<br />

komplette Getriebe übertragen.<br />

Neben dem konkreten Ziel, die<br />

Schaltvorgänge im Getriebe weiter<br />

zu optimieren, verfolgt Robert Wintersteins<br />

Abteilung auch eine Vision.<br />

„Diese“, erläutert Christian<br />

Glöggler, „liegt zwar in weiter Ferne,<br />

aber durch Toleranzmanagement<br />

die Geräuschentwicklung im<br />

Getriebe zu verringern, ist schon<br />

eine Verlockung.“>


50<br />

Gute Sicht auf den Verkehr ist das A und O beim Autofahren. Behindern<br />

etwa zu breite A- oder B-Säulen die Sicht des Fahrers, kann es<br />

rasch gefährlich werden. Spezialisten für Virtuelle Realität innerhalb<br />

der <strong>Daimler</strong>Chrysler-Forschung haben nun ein Visualisierungsverfahren<br />

entwickelt, das realistische Sichtfelduntersuchungen ermöglicht,<br />

bevor ein neues Fahrzeugmodell überhaupt existiert.<br />

Als Autoverkäufer wären<br />

Bettina Westerburg und<br />

Ralf Specht Fehlbesetzungen:<br />

Das Modell, für<br />

das sich der Besucher interessiert,<br />

wird in der gezeigten Form nicht<br />

gebaut werden, bescheiden die<br />

beiden <strong>Daimler</strong>Chrysler-Forscher<br />

den Kunden in spe. Das andere<br />

Fahrzeug, ein bildschöner Roadster,<br />

von dessen Fahrersitz aus der<br />

Besucher spontan beschlossen<br />

hat, die Straße zu erobern, würde<br />

seinen Verkaufsstart erst in gut<br />

drei Jahren erleben. Ehrlich gesagt,<br />

so gesteht das Spezialisten-Duo<br />

für virtuelle und gemischte Realität,<br />

gäbe es davon derzeit noch<br />

nicht einmal einen fahrfähigen Prototypen,<br />

sondern lediglich Designmodelle.<br />

Der Blick zur Seite offenbart<br />

dem Besucher, dass er auf das<br />

automobile Pendant eines Potemkinschen<br />

Dorfes schaut: Kurz hinter<br />

dem Außenspiegel bricht der<br />

elegante Roadster jäh ab – geradeso<br />

als säße man im Freien.<br />

Tatsächlich befindet sich der<br />

Besucher mitten in der würfelförmigen<br />

CAVE, einer Hightech-Videohöhle,<br />

in der man viel erleben<br />

kann. Nur eines sollte man dabei<br />

nicht – seinen Augen trauen. Die<br />

fünf Flächen der CAVE sind Projektionswände,<br />

die dem Betrachter eine<br />

räumliche Umgebungsszenerie<br />

vorspiegeln – und zwar im wörtlichen<br />

wie im übertragenen Sinn.<br />

So wähnt sich der Besucher gerade<br />

in der Linkskurve einer Serpentinenstrecke.<br />

Nur das Herbstlaub<br />

an den Bäumen entlang der<br />

Strecke signalisiert seinem getäuschten<br />

Hirn, dass diese Fahrt<br />

nicht wirklich stattfindet, hat er<br />

doch auf dem Weg hierher gerade<br />

die ersten Frühlingsblumen ent-<br />

deckt. Dabei wirkt alles so echt:<br />

Das Armaturenbrett mit dem Kombiinstrument,<br />

die Sonnenblenden,<br />

die A-Säule zwischen Windschutzund<br />

Seitenscheibe sind deutlich zu<br />

erkennen – es fehlt noch nicht einmal<br />

der Schmutzfilm auf jenen Bereichen<br />

der Frontscheibe, die der<br />

Scheibenwischer nicht erfasst und<br />

die daher nur einen getrübten Blick<br />

nach draußen erlauben.<br />

Das ist genau, was die beiden<br />

Ingenieure mit dem Projekt „Videobasierte<br />

Ergonomieuntersuchung“<br />

beabsichtigen. Es geht darum,<br />

Sichtfelduntersuchungen zu einem<br />

möglichst frühen Zeitpunkt der<br />

Fahrzeugentwicklung unter realen<br />

Bedingungen zu ermöglichen. In<br />

solchen Tests untersucht man Fragen<br />

wie: Ist die A-Säule schlank genug,<br />

um nicht beim Linksabbiegen<br />

einen wichtigen Bereich zu verdecken?<br />

Wie unterscheiden sich zwei<br />

Design-Varianten hinsichtlich der<br />

Sichtbeschränkungen in diversen<br />

Verkehrssituationen?<br />

> Frühere Ergonomieprüfung<br />

Diese Fragen stellen Fahrzeugentwickler<br />

nicht erst seit gestern. Und<br />

zu jeder Modellentwicklung gehören<br />

ergonomische Bewertungen<br />

freiwilliger Probanden, etwa zur<br />

Bedienbarkeit von Schaltern und<br />

Hebeln, zum Raumgefühl im Fahrzeug<br />

und eben auch in puncto<br />

Sichtqualität nach vorne, zur Seite<br />

oder nach hinten. Das Problem dabei:<br />

Dazu benötigt man einen realen<br />

Prototypen. „Dieser wird jedoch<br />

erst verhältnismäßig spät innerhalb<br />

des Entwicklungsprozesses<br />

gebaut. Stellt man dann Mängel<br />

bei der Sichtbewertung fest, ist<br />

es für konstruktive Korrekturen<br />

meist schon zu spät, oder aber >


<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 > Videoergonomie 51<br />

Die Stunde des Würfels<br />

Virtuelle Sichtfelduntersuchungen<br />

Von außen betrachtet umfasst die Szenerie<br />

In der CAVE (links) drei „Schichten“:<br />

Da ist zunächst die reale Versuchsperson;<br />

sie sieht das räumliche<br />

Videobild einer Verkehrsszene; dem<br />

Projektionsbild überlagert sind die<br />

Konstruktionsdaten der Fahrzeuggeometrie.<br />

Trackingsensoren an der<br />

Spezialbrille der Betrachterin (unten)<br />

sorgen dafür, dass der Rechner ihr immer<br />

die korrekte Perspektive liefert.<br />

Per Touchscreen (oben) neben der<br />

Sitzkiste kann sich die Versuchsperson<br />

sowohl unterschiedliche Verkehrssituationen<br />

vom Rechner zuspielen<br />

lassen als auch diverse Varianten<br />

von A-Säulen aufrufen. Im direkten<br />

Vergleich kann sie so die Auswirkung<br />

auf die Sichtverhältnisse durch unterschiedliche<br />

konstruktive Lösungen<br />

sehr anschaulich beurteilen.


52<br />

> Das Ringen um die beste A-Säule<br />

An einem Bauteil wie der A-Säule eines Fahrzeugs lässt sich verdeutlichen, wie wichtig<br />

es bei der Fahrzeugentwicklung ist, unterschiedliche und sogar gegenläufige Anforderungen<br />

unter einen Hut zu bekommen. An diesem scheinbar simplen Bauteil „zerren“ viele<br />

Personen, die an der Entwicklung eines neuen Fahrzeugmodells beteiligt sind.<br />

Design und Sicherheit<br />

Der Designer wünscht sich aus ästhetischen Überlegungen heraus vielleicht eine möglichst<br />

flache Neigung und schlanke Gestaltung des Stahlelements. Der Ingenieur, dessen<br />

Aufgabe es ist, immer mehr Kabel unsichtbar durch den Innenraum zu führen, bevorzugt<br />

dagegen ebenso wie seine Kollegin, die mit Aspekten der passiven Sicherheit befasst ist,<br />

eine möglichst dicke A-Säule, in der eventuell sogar ein Airbag Platz finden muss.<br />

Leichtbau und Fertigungstechnik<br />

Ingenieure, deren Job es ist, mithilfe von Leichtbauprinzipien Material und damit Gewicht<br />

einzusparen, wünschen sich dagegen eine möglichst filigrane Struktur. Diese ruft eventuell<br />

die Fertigungstechniker auf den Plan, die mit spitzem Griffel die Kosten für den<br />

Werkzeugbau und für die Herstellung des Werkstücks durchrechnen. Der Produktionsplaner<br />

muss überprüfen, ob die Zangen des Schweißroboters alle Arbeitspunkte erreichen,<br />

und der Service-Spezialist achtet darauf, dass sich die Windschutzscheibe im Fall<br />

des Falles möglichst einfach austauschen lässt.<br />

Gute Sicht für große und für kleine Personen<br />

Ergonomen haben bei diesem Fahrzeugelement vor allem die Einschränkungen der Sicht<br />

aus Fahrerperspektive im Blick. Diese lassen sich videoergonomisch nun standardisiert<br />

– und zwar an identischen Verkehrssituationen – untersuchen. Ein weiterer Vorteil ist:<br />

Designvarianten kann man – beispielsweise im Standbildmodus – direkt miteinander<br />

vergleichen.<br />

Sehr beeindruckend lässt sich mit diesem Verfahren die Wirkung der Körpergröße auf<br />

die Sichtverhältnisse im Fahrzeug demonstrieren. Durch einen rechnerischen Perspektivwechsel<br />

kann man auch einem durchschnittlich großen Menschen einen sehr anschaulichen<br />

Einblick davon vermitteln, welchen Blick besonders große oder kleine Menschen<br />

durch Front- und Seitenscheibe hätten.<br />

Sichtverhältnisse als Kriterium im Euro NCAP-Standard<br />

In Zukunft wird solchen Sichtfelduntersuchungen noch eine größere Bedeutung zukommen.<br />

So ist geplant, die Qualität der Sichtverhältnisse in neuen Fahrzeugmodellen in die<br />

Sicherheitsbewertung des Euro NCAP-Standards einfließen zu lassen.<br />

Erst beim Aufbau der Sitzkiste (links)<br />

für den Versuch wird deutlich, was in<br />

der CAVE Realität ist und was nur „vorgespiegelt“<br />

wird. Im Versuch (unten)<br />

wird der Betrachterin zusätzlich zur<br />

Filmszene das Fahrzeug eingespiegelt.<br />

Das Bildquartett zeigt im Standbild<br />

den direkten Vergleich der Sichtverhältnisse<br />

bei vier unterschiedlichen<br />

Konstruktionsvarianten der A-Säule.


<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 > Videoergonomie 53<br />

Ein Lotus Super Seven (oben) dient als<br />

Kamerawagen für die Szenen, die in<br />

den videoergonomischen Tests für<br />

zwei Roadster-Modelle von Mercedes-<br />

Benz zum Einsatz kommen. Der helle<br />

Zylinder am Dachgestell markiert die<br />

Position der Spezialkamera (links).<br />

die erforderlichen Änderungen verursachen<br />

hohe Kosten“, erklärt<br />

Bettina Westerburg das Dilemma.<br />

Also suchte die VR-Spezialistin<br />

gemeinsam mit ihrem Kollegen<br />

Ralf Specht und im Auftrag der Entwicklungskollegen<br />

aus dem Transporterbereich<br />

nach einer Lösung,<br />

dank derer sich Sichtfelduntersuchungen<br />

in eine frühere Entwicklungsphase<br />

vorverlegen lassen.<br />

Die Idee: Die Konstruktionsdaten<br />

der Fahrzeuggeometrie – also<br />

Position, Breite, Form, Neigung<br />

und Höhe der A-Säule – liegen lange<br />

fest, bevor der erste Prototyp<br />

gebaut wird. Das räumliche Bild<br />

des Fahrzeugs lässt sich daher mittels<br />

VR-Technik in einer CAVE realitätsnah<br />

vor Augen führen. Was<br />

man noch braucht, ist die Außenwelt<br />

– nämlich reale Verkehrssituationen,<br />

in denen es darauf ankommt,<br />

eine gute Sicht nach vorne<br />

und zur Seite zu haben.<br />

Solche Szenen filmte das Team<br />

mit einer Kamera, die selbst<br />

George Lucas’ Trick-Spezialisten<br />

einen neidischen Blick abverlangt<br />

hätte: eine Videokamera mit sechs<br />

Optiken, die einen räumlichen 360-<br />

Grad-Rundumblick liefert.<br />

Als Kamerawagen diente dem<br />

Ulmer Forscher-Team ein CLK-Coupé<br />

von Mercedes-Benz: Auf dem<br />

Dach über dem Fahrersitz montiert,<br />

so fand man heraus, befindet<br />

sich die Kamera exakt in der Augenposition<br />

des Fahrers in einem<br />

Vito-Transporter, um dessen Sichtfelduntersuchungen<br />

es in diesem<br />

Pilotprojekt gehen sollte. Zudem –<br />

als zweite wichtige Bedingung –<br />

wies der CLK fast den identischen<br />

Radstand wie das Transportermodell<br />

auf. Die gefilmten Fahrszenen<br />

zeigen daher die Fahrzeugumgebung<br />

genau so, wie man sie in einem<br />

realen Vito erlebt.<br />

> Die Kugel zum Würfel verzerrt<br />

Doch vor der „Filmpremiere“ in der<br />

CAVE des Sindelfinger VR-Zentrums<br />

musste das Forscherteam<br />

eine knifflige Aufgabe lösen –<br />

gleichsam die Quadratur des Krei-<br />

ses, oder genauer gesagt die Umwandlung<br />

der Kugel in einen Würfel.<br />

Schließlich verfügt die CAVE<br />

über bis zu fünf ansteuerbare, plane<br />

Projektionsflächen. Die 360-<br />

Grad-Kamera liefert jedoch ein<br />

räumliches Kugelbild.<br />

„Es war extrem aufwendig“, erläutert<br />

Ralf Specht, „das Bild würfelgerecht<br />

zu verzerren.“ Denn in<br />

der CAVE müssen Objekte, die sich<br />

über zwei oder sogar drei Kanten<br />

des Projektionswürfels erstrecken<br />

können – zum Beispiel große Häuser<br />

am Straßenrand –, dem Betrachter<br />

perspektivisch korrekt<br />

dargestellt werden. Doch inzwischen<br />

steht den Transporter-Entwicklern<br />

eine sehr realistische<br />

„3D-Videothek“ mit rund zehn<br />

Filmsequenzen von bis zu mehreren<br />

Minuten Länge zur Verfügung.<br />

> Casting für den Roadster<br />

Und wie in Hollywoods Filmwelt ist<br />

auch für Ralf Specht und Bettina<br />

Westerburg der Erfolg – ihr Einsatz<br />

bescherte ihnen unter anderem<br />

eine Innovationsauszeichnung des<br />

Transporter-Bereichs – der beste<br />

Garant für ein Nachfolgeprojekt.<br />

Für die Pkw-Entwickler der Mercedes<br />

Car Group drehen die beiden<br />

Forscher im Moment Filmsequenzen,<br />

die in videoergonomischen<br />

Sichtfelduntersuchungen für zwei<br />

geplante Roadster-Modelle zum<br />

Einsatz kommen sollen.<br />

Nicht ganz einfach war in diesem<br />

Fall das „Casting“ für den passenden<br />

Kamerawagen: Die tiefe<br />

Augenposition in einem Roadster<br />

ist weder von einem Limousinennoch<br />

von einem Coupé-Dach aus<br />

zu erreichen, und ein Go-Kart<br />

scheidet wegen des zu kurzen Radstands<br />

aus.<br />

Doch schmunzelnd zeigt Ralf<br />

Specht in Richtung Nebenraum,<br />

wo sich eine automobile Flunder<br />

mit Dachträger an den Boden<br />

duckt: Ein Sportwagen des Typs<br />

Lotus Super Seven wird die Ehre<br />

haben, für die richtige Augenposition<br />

der Kamera à la Mercedes-<br />

Benz-Roadster zu sorgen.<br />

>


54<br />

So von Auto zu Auto<br />

Vor lokalen Gefahren ohne Zeitverzug warnen<br />

Spontane und flexible WLAN-Funknetze erlauben es, selbst weiter<br />

entfernte Verkehrsteilnehmer vor einer plötzlichen Gefahr zu warnen.<br />

Das haben Forscher von <strong>Daimler</strong>Chrysler im Rahmen des Projekts<br />

WILLWARN gezeigt und erprobt. Der Datenaustausch liefert<br />

zudem flächendeckende Informationen über die aktuelle Verkehrslage<br />

– eine Voraussetzung, um durch Steuerung des Verkehrsflusses<br />

Staus und damit Zeitverluste und Emissionen zu vermeiden.<br />

Es ist erstaunlich, was ein Auto so alles en passant „wahrnimmt“.<br />

Zum Beispiel, dass es gerade heftig regnet. Das verrät ihm der Regensensor.<br />

Das Auto bekommt zudem mit, dass es bereits dunkel<br />

ist und dabei ziemlich nebelig sein muss – die Borduhr zeigt 19:24<br />

Uhr an einem Wintertag, und nicht nur das normale Fahrlicht, sondern<br />

auch Nebelscheinwerfer und sogar die Nebelschlussleuchte sind eingeschaltet.<br />

Da bekommt das Auto vom Außenthermometer eine alarmierende<br />

Information „zugespielt“: Die Außentemperatur nähert sich dem Nullpunkt<br />

– es droht jeden Moment Glatteis. Die Streudienste waren aufgrund<br />

der Wettervorhersage zwar darauf vorbereitet, doch sinnvollerweise<br />

geben sie den stark frequentierten Hauptrouten Priorität vor den<br />

Nebenstrecken. Und auf einer solchen ist der Pkw gerade unterwegs.<br />

Wenn es unter diesen widrigen Witterungsverhältnissen brenzlig werden<br />

sollte, wird das Auto auch dies ebenso schnell „bemerken“ wie dessen<br />

Lenker – etwa weil die Gierratensensoren des Elektronischen Stabilitätssystems<br />

(ESP) ein Drehmoment um die Hochachse messen, das Fahrzeug<br />

also ins Schleudern zu geraten droht. All diese Informationen sind<br />

nicht nur für den Fahrzeuglenker von Belang, sondern auch für dessen<br />

Hintermann. Oder für den Fahrer jenes Wagens, der erst in zwei Minuten<br />

an dieser Senke im Wald vorbeikommen wird, in der sich vor kurzem Glatteis<br />

gebildet hat. Oder für den noch weiter entfernten Tanklastzug, der in<br />

einer halben Stunde diese gefährliche Stelle passieren wird. Kurzum: Für<br />

alle Verkehrsteilnehmer, die in der nächsten Zeit auf diese Gefahrenstelle<br />

zusteuern, wäre eine rechtzeitige Warnung jetzt Gold wert.<br />

Der Mercedes-Benz E 500 des <strong>Daimler</strong>Chrysler-Forschungsteams um<br />

Matthias Schulze bekommt diese Warnung. Auf dem Display der Mittelkonsole<br />

leuchtet eine Meldung auf: „Achtung Glatteis auf der K 1022 zwischen<br />

Aidlingen und Gültlingen“. Das liegt just auf der Strecke, den der<br />

Wagen in zirka fünf Minuten erreichen wird. Keine noch so schnelle Servicewelle<br />

im Radio kann dem Fahrer brandaktuell solch einen nur sehr lokal<br />

relevanten Gefahrenhinweis geben. Und Diensteanbieter haben vor allem<br />

Zugriff auf Verkehrsdaten von Fernstraßen wie Autobahnen und Bundesstraßen.<br />

Irgendwelche Vorkommnisse auf der winzigen Kreisstraße<br />

zwischen Aidlingen und Gültlingen haben sie nicht im Blick.<br />

Doch auch für die K 1022 – nämlich das gesamte Straßenverkehrsnetz<br />

in der Fläche – interessiert sich das System WILLWARN im Fahrzeug von<br />

Schulzes Team. Die Ingenieure der <strong>Daimler</strong>Chrysler-Forschung beschäftigen<br />

sich mit der Kommunikation von Fahrzeugen untereinander (abgeleitet<br />

vom englischen Akronym für „car-to-car“ auch als C2C-Kommunikation<br />

abgekürzt) sowie zwischen<br />

Warnmeldungen<br />

flächendeckend<br />

für das gesamte<br />

Straßennetz<br />

Nebel, Baustelle und Glatteis (von<br />

links nach rechts) können Anlass für<br />

eine Warnung sein. Grün dargestellt<br />

ist die Zahl der Warnmeldungen, rot<br />

diejenige der Entwarnungen, wie etwa<br />

Nebelauflösung. Die weiße Prozentzahl<br />

gibt an, für wie zuverlässig die<br />

Software die Meldung bewertet.<br />

Fahrzeugen und Sende- und Empfangseinrichtungen<br />

entlang der<br />

Straße (C2X-Kommunikation). Das<br />

Projekt WILLWARN – das Akronym<br />

steht für „Wireless Local Danger<br />

Warning“, also drahtloses Warnen<br />

vor örtlichen Gefahren – ist ein Teil<br />

der EU-weiten Forschungsinitiative<br />

PREVENT, in der verschiedene Automobilhersteller und Zulieferer neue<br />

technische Lösungen zur Unfallvermeidung entwickelten und erprobten.<br />

Für WILLWARN übernahm Schulzes Team die Federführung.<br />

Die Grundidee klingt simpel: Jedes Auto registriert mittels unterschiedlicher<br />

Sensordaten gefahrenträchtige Situationen. Die Gefahr ist<br />

damit zunächst einmal erkannt. Nun muss es nur noch gelingen, andere<br />

Verkehrsteilnehmer davor zu warnen. „Nur“ ist dabei allerdings stark untertrieben,<br />

denn das Verbreiten solcher Informationen im fließenden >


<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 > Telematik 55<br />

> Intelligente Filter<br />

Wenn Fahrzeuge im Ad-hoc-Datennetz Informationen unabhängig von deren Relevanz<br />

für den Fahrer empfangen und weiterleiten, um die technisch bedingte Reichweite des<br />

WLAN-Netzes um ein Vielfaches zu erweitern, ist ein intelligentes Warnungsmanagement<br />

unabdingbar, das in der Lage ist, die Informationen nach Relevanz zu filtern. Sonst<br />

würde aus dem elektronischen Verkehrsboten ein Plagegeist werden.<br />

In WILLWARN haben die Forscher von <strong>Daimler</strong>Chrysler verschiedene Ansätze erprobt,<br />

mit denen sich Software-Filter hierfür nutzen lassen. Die Bedeutsamkeit einer Warnung<br />

vor einer lokalen Gefahr wie Glatteis auf einer Brücke oder einem Unfall hinter der Kurve<br />

lässt sich etwa anhand der Positionsdaten relativ leicht festmachen. Am Warnhinweis<br />

angehängt wird schließlich auch die per GPS-Sensor erfasste Ortsinformation mitüber-<br />

tragen. Diese kann ein System wie WILLWARN mit der voraussichtlichen Fahrtroute des<br />

Autos abgleichen und erkennen, ob dessen Fahrer die Gefahrenstelle überhaupt passieren<br />

wird oder nicht. Ein anderes Filterprinzip auf Basis der Fahrgeschwindigkeit wäre geeignet,<br />

um einen Fahrer vor einer roten Ampel zu warnen, die er zu übersehen droht: Das<br />

Gerät würde ihn nämlich nicht generell, sondern nur dann vor dem Rotsignal warnen,<br />

wenn er sich mit unverändert hoher Geschwindigkeit der Ampel nähert.<br />

Gar nicht so einfach ist zu klären, ob man einem Warnhinweis wirklich trauen darf. Beispiel<br />

Nebelwarnung: Hier ist es ratsam, erst dann eine Nebelwarnung über das Ad-hoc-<br />

Netz zu verbreiten, wenn in mehreren Fahrzeugen die Nebelbeleuchtung eingeschaltet<br />

wird. Man müsste also für eine solche Warnung einen Vertrauenswert festlegen.<br />

Nur zu Demonstrationszwecken hat<br />

das Forscherteam in den Versuchsträger<br />

das große Display über dem<br />

Armaturenbrett eingebaut, das die<br />

Arbeitsweise von WILLWARN veranschaulicht.<br />

In der Serienanwendung<br />

wäre das normale Display in der<br />

Mittelkonsole völlig ausreichend, um<br />

den Fahrer zu informieren.


56<br />

Verkehr ist der Knackpunkt im Projekt. Schulzes Team musste dafür in einer<br />

völlig neuen Struktur von Kommunikationsnetzen denken, nämlich in<br />

Ad-hoc-Netzen: Fahrzeuge im Straßenverkehr sind schließlich ständig in<br />

Bewegung, damit ändert sich sekündlich das Teilnehmernetz aller Autos,<br />

zwischen denen ein Informationsaustausch sinnvoll wäre. Deshalb benötigt<br />

man ein sich spontan bildendes, flexibles Netz, zu dem ständig neue<br />

Fahrzeuge hinzustoßen, während andere sich gerade ausklinken.<br />

> Die Lösung liefert die funkbasierte WLAN-Technik<br />

Dieses Netz muss Informationen zwangsläufig drahtlos, also funkbasiert<br />

verbreiten. Hier bietet sich eine Technik an, die Computerbenutzer seit einiger<br />

Zeit kennen und schätzen ge-<br />

lernt haben – die WLAN-Technik.<br />

Sie bietet entscheidende Vorteile:<br />

Große Datenmengen können<br />

schnell und ohne Verbindungskosten<br />

verschickt werden. Ein speziell<br />

für sicherheitsrelevante Kommunikationsanwendungen<br />

im Auto geschaffener<br />

Standard aus der Nor-<br />

Daten werden wie<br />

ein Staffelstab von<br />

Auto zu Auto<br />

weitergereicht<br />

mengruppe IEEE 802.11 stellt sicher, dass alle Geräte, die über ein Sendeund<br />

Empfangsmodul nach diesem Standard verfügen, miteinander in Kontakt<br />

treten können. Dank WLAN war die Kommunikationsgrundlage für<br />

WILLWARN gegeben: Jedes Fahrzeug, das mit einer Sende- und Empfangseinheit<br />

ausgestattet ist, kann Daten zu jedem anderen ebenso ausgerüsteten<br />

Fahrzeug übertragen, von diesem Daten empfangen oder – als<br />

mobiler Router – Daten zwischen zwei Fahrzeugen „weiterreichen“, die<br />

für einen direkten WLAN-Kontakt zu weit von einander entfernt sind.<br />

Damit ist eines der größten Mankos dieser Funktechnik angesprochen:<br />

ihre begrenzte Reichweite. Diesen Nachteil kennen Computerbesitzer<br />

nur zu gut, die ihr häusliches WLAN-Netz über mehrere Etagen hinweg<br />

betreiben möchten. Übertragen auf die Verhältnisse im Verkehr heißt das:<br />

Mehr als 500 Meter Reichweite sind selbst unter idealen Bedingungen<br />

kaum erreichbar; in der Praxis liegt das Limit oft bei 200 Metern.<br />

Schulzes Team studierte daher sehr genau, wie zuverlässig die Datenpakete<br />

zwischen den Fahrzeugen verschickt werden, und sie erprobten<br />

Verfahren, dank derer die Kette der Informationsweitergabe selbst dann<br />

nicht abreißt, wenn sich unterwegs einmal nicht zwei entsprechend ausgerüstete<br />

Fahrzeuge in Funkreichweite befinden. Der Ansatz hierfür: Jede<br />

Meldung muss über eine gewisse Zeit hinweg gesendet werden, damit sie<br />

wie ein Staffelstab weitergereicht werden kann.<br />

Daher gibt es im Netz auch Fahrzeuge, die lediglich als Boten fungieren,<br />

ohne vom Empfang der Meldung zu profitieren, etwa weil sie sich von<br />

der Gefahrenstelle entfernen. Sendet ein solches Fahrzeug die „aufgeschnappte“<br />

Warnung eine Zeitlang weiter, kann es unterwegs etwa auf<br />

den Tanklastzug treffen, der direkt auf die vereiste Waldsenke zufährt.<br />

Das wiederum schafft ein neues Problem. „Stellen Sie sich vor, in Ihrem<br />

Wagen piepst und blinkt es alle zehn Sekunden, weil irgendeine<br />

Warnmeldung für eine Kreuzung in Unterhaching reinkommt, obwohl Sie<br />

nach Oberammergau unterwegs sind“, erklärt Matthias Schulze. Keine<br />

Frage, ein solches Gerät würde jeder Autofahrer gleich beim ersten Einsatz<br />

entnervt und für alle Zeit abschalten.<br />

Das „Warnungsmanagement“, so erklärt der Ingenieur, war denn auch<br />

die eigentliche Herausforderung bei diesem Projekt. Dahinter verbirgt<br />

sich eine intelligente Software, die das Team für WILLWARN entwickeln<br />

musste – nämlich ein Programm, das alle empfangenen Warnmeldungen<br />

filtert und nur jene Informationen dem Fahrer aufs Display durchstellt, die<br />

für ihn von Belang sind (siehe Kasten „Intelligente Filter“).<br />

Mit dem Konzept von WILLWARN konnte Matthias Schulzes Team eindrucksvoll<br />

demonstrieren, wie sich Warnmeldungen über viel größere Entfernungen<br />

als die Reichweite der Funktechnik tragen lassen. Zudem zeigte<br />

es, dass sich Softwarelösungen für das Warnungsmanagement entwickeln<br />

lassen, bei denen das Display nicht zur Nervensäge mutiert.<br />

Für Matthias Schulze ist mit dem erfolgreichen Abschluss der C2Cund<br />

C2X-Konzepte nun der Zeitpunkt gekommen, diese Technologie auf<br />

breiterer Basis in der Praxis zu erproben. „Es gibt viele Aktivitäten wie das<br />

von uns betriebene WILLWARN. Diese Projekte zeigen, das die Technik<br />

funktioniert. Aber bislang testeten alle Beteiligten unter künstlichen Laborbedingungen.<br />

Nun kommt es darauf an, einen weiteren Schritt in Richtung<br />

Alltagstauglichkeit zu machen, nämlich einen Praxistest im großen<br />

Stil unter den realen Bedingungen des Straßenverkehrs zu unternehmen.“<br />

> Die Zeit ist reif für einen Praxistest im großen Stil<br />

Die Chancen dafür, so meint Matthias Schulze, stehen nicht schlecht.<br />

Alle in diesen Projekten engagierten Industriepartner seien sich einig,<br />

dass die Zeit reif ist für einen Großversuch (siehe Kasten „Initiativen für<br />

mehr Sicherheit“). Gemeinsam arbeiten sie daher an Projektvorschlägen,<br />

für deren Förderung man verschiedene Bundesministerien gewinnen<br />

möchte. „Denn“, so gibt Matthias Schulze klar zu verstehen, „für einen<br />

derartigen Großversuch muss man eine ordentliche Summe Geld in die<br />

Hand nehmen.“ Als Testgebiete käme eine Region wie Berlin oder der<br />

Rhein-Main-Raum rund um Frankfurt in Frage. Der Ingenieur schätzt, dass<br />

man etwa 250 Fahrzeuge mit der entsprechenden WLAN-Technik ausrüsten<br />

sowie noch einmal ungefähr dieselbe Anzahl an Kommunikationsbaken<br />

entlang der Straßen im Testgebiet installieren müsste, um diese<br />

Technik einem echten Praxistest unterziehen zu können.


<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 > Telematik 57<br />

Software-Filter zeigen eine Warnmeldung<br />

nur dann, wenn diese für den<br />

Fahrer relevant ist – in diesem Fall der<br />

Hinweis auf ein Pannenfahrzeug am<br />

Straßenrand (beide Fotos links).<br />

„Erzeugt“ hat diese Meldung das<br />

liegengebliebene Auto automatisch –<br />

etwa weil dessen Fahrer die<br />

Warnblickanlage eingeschaltet hat.<br />

Ein wenig, so weiß Schulze nur<br />

zu gut, leidet die C2C-Kommunikation<br />

unter dem Henne-Ei-Problem:<br />

So lange nur wenige Fahrzeuge mit<br />

der Funktechnik ausgestattet sind,<br />

ist der informatorische Nutzen für<br />

deren Fahrer eher gering. Warum<br />

sollten sie also Geld dafür ausgeben?<br />

Der Nutzen stellt sich erst<br />

ein, wenn der Ausstattungsgrad<br />

der Fahrzeuge so hoch ist, dass die<br />

Informationsketten in den Ad-hoc-<br />

Netzen nicht mehr abreißen.<br />

Deshalb rechnet Matthias<br />

Schulze auch damit, dass C2X-<br />

Konzepte für den Markterfolg dieser<br />

Technologie fast unumgänglich<br />

sein werden. Straßenseitige Sende-<br />

und Empfangseinrichtungen<br />

liefern zum Beispiel Verkehrsleitzentralen<br />

oder privaten Diensteanbietern<br />

wertvolle Informationen<br />

über den aktuellen Verkehrsfluss.<br />

„Auf diesem Weg ließe sich also die<br />

Infrastrukturtechnik refinanzieren.<br />

Umgekehrt böten solche Straßen-<br />

Hotspots dem Autofahrer sofort<br />

einen Mehrwert, beispielsweise<br />

ein Update für die Software seines<br />

Navigationsgerätes oder aktuelle,<br />

streckenbezogene Zusatzinformationen“,<br />

schlägt Schulze vor.<br />

Der Infrastrukturaufbau müsste<br />

dabei keineswegs bei Null beginnen.<br />

„Bereits heute sind Ampeln im<br />

Stadtgebiet miteinander vernetzt,<br />

und in der Fahrbahndecke von Autobahnen<br />

sind Induktionsschleifen<br />

verlegt, um den Verkehrsfluss zu<br />

messen. Es ist also durchaus etwas<br />

vorhanden, auf das man aufbauen<br />

könnte“, ergänzt Matthias<br />

Schulze.><br />

Das Konzept mobiler Ad-hoc-Netze wie<br />

es für WILLWARN weiterentwickelt<br />

wurde, hatte mit „FleetNet“ einen<br />

Vorgänger: Bereits vor fünf Jahren erprobten<br />

Forscher von <strong>Daimler</strong>Chrysler<br />

mit Hilfe von smart fortwo-Fahrzeugen<br />

den Datentransfer zwischen<br />

Autos und stationären Funkknoten –<br />

damals indes nur innerhalb<br />

der geringen Funkreichweite.<br />

Für WILLWARN, einem Teilprojekt der<br />

von der EU geförderten Prevent-Initiative<br />

übernahm <strong>Daimler</strong>Chrysler die<br />

Federführung. Das Unternehmen<br />

engagiert sich zudem in mehreren<br />

nationalen und europäischen<br />

Initiativen und ist auch an dem USamerikanischen<br />

Großprojekt „Vehicle<br />

Infrastructure Integration“ beteiligt.<br />

> Initiativen für mehr Sicherheit - weltweit<br />

Im Rahmen seiner Aktivitäten in den Bereichen der Fahrzeug-Fahrzeug- und der Fahrzeug-Infrastruktur-Kommunikation<br />

(C2C und C2X) engagiert sich <strong>Daimler</strong>Chyrsler in<br />

mehreren maßgeblichen Gremien und Projekten. So etwa in dem deutschlandweiten<br />

Forschungsprojekt NOW („Network on Wheels“), das vom Bundesforschungsministerium<br />

gefördert wird.<br />

Projektpartner sind hier neben <strong>Daimler</strong>Chrysler die Automobilhersteller BMW und Volkswagen,<br />

die Elektronikunternehmen NEC Deutschland und Siemens sowie das Fraunhofer<br />

Institut für Offene Kommunikationssysteme Fokus.<br />

Die beiden wichtigsten Ziele dieses bis Sommer 2008 laufenden Forschungsverbunds<br />

sind die Festlegung technischer Standards für ein Kommunikationssystem, das<br />

sich rasch und herstellerübergreifend umsetzen lässt, und die Zuweisung eines exklusiven<br />

Frequenzbereichs im 5,9 GHz-Band mit ausreichender Bandbreite, der die ins Auge<br />

gefassten Sicherheitsanwendungen ausreichend vor Störungen schützt.<br />

Europäische Dachinitiative<br />

Die Partner der deutschen NOW-Initiative finden sich im europäischen Car-to-Car-Communication<br />

Consortium (C2C-CC) unter einem Dach wieder. Zu diesem Zusammenschluss<br />

gehören namhafte Automobilhersteller in Europa (Audi, BWW Group, <strong>Daimler</strong>-<br />

Chrysler, Fiat, Honda, Opel, Renault, VW), Automobilzulieferer sowie Unternehmen der<br />

Kommunikationselektronik. Gemeinsam setzt sich das Konsortium für einheitliche<br />

Standards und Kommunikationsprotokolle sowie für die Frequenzzuweisung von Anwendungen<br />

der Fahrzeug-Fahrzeug-Kommunikation auf europäischer Ebene ein.<br />

Das komplizierte Zuweisungsverfahren ist bereits weit vorangekommen. So haben beispielsweise<br />

die erforderlichen Kompatibilitätsstudien gezeigt, dass die Nutzung der<br />

gewünschten Frequenzbereiche andere Funkanwendungen in benachbarten Frequenzbereichen<br />

nicht stört. Die Entscheidung über die Frequenzzuteilung in Europa könnte daher<br />

noch in diesem Jahr fallen.<br />

Nagelprobe für lokale Ad-hoc-Netze in den USA<br />

Auch in den USA sind Forscher und Entwickler von <strong>Daimler</strong>Chrysler an einer breiten Initiative<br />

zur Erprobung von C2C- und C2X-Konzepten beteiligt, und zwar im Rahmen der<br />

Initiative „Vehicle Infrastructure Integration“ (VII). So hat <strong>Daimler</strong>Chrysler kürzlich<br />

im Rahmen eines DSRC-Testvorhabens (Dedicated Short Range Communication) gemeinsam<br />

mit dem Verkehrsministerium des Bundesstaats Michigan die Leistungsfähigkeit<br />

von entsprechenden Sende- und Empfangsmodulen in rund 100 Testfahrzeugen erprobt.<br />

Zum Prüfkatalog zählten Messungen der Systemlatenzzeiten, dem übertragbaren<br />

Datenvolumen, der Übertragungsqualität und der Stabilität der Funkverbindungen auch<br />

bei hohen Fahrgeschwindigkeiten.<br />

Bis zur Jahresmitte soll nun im Rahmen der VII-Initiative in einem rund 35 Quadratkilometer<br />

großen Versuchsgebiet in der Nähe Detroits die straßenseitige Infrastruktur für<br />

DSRC-Transceiver und andere Kommunikationseinrichtungen einsatzbereit sein, damit<br />

dort über ein Jahr hinweg 20 prototypische Anwendungen der VII-Beteiligten im realitätsnahen<br />

Feldtest FOT (Field Operational Tests) erprobt werden.<br />

Im Bundestaat Kalifornien wurden kürzlich mehrere Kreuzungen mit DSRC-Technik ausgerüstet,<br />

was etwa die Übertragung von Ampelsignalphasen an heranfahrende Fahrzeuge<br />

ermöglicht, um diese gegebenenfalls vor einem Rotsignal zu warnen. Diese Tests<br />

sollen zur Nagelprobe für die Zukunft dieser Technologie in den USA werden: Von ihrem<br />

Ausgang will das US-amerikanische Verkehrsministerium abhängig machen, ob die<br />

DSRC-Technik flächendeckend auf den Straßen der USA zum Einsatz kommen soll.


58<br />

Was haben die Klimatisierungsexperten<br />

von<br />

<strong>Daimler</strong>Chrysler nicht<br />

schon alles mit Dr.<br />

Oscar angestellt? Neulich richteten<br />

sie einen Heizstrahler eine halbe<br />

Stunde lang auf seinen Kopf – geradeso<br />

als wollten sie sein Oberstübchen<br />

– frei nach Wolfram Siebecks<br />

„Niedriggarmethode“ – bei plus 85<br />

Grad Celsius genüsslich garziehen<br />

lassen. Ein andermal sah es so aus,<br />

als hätten sie Dr. Oscar für den<br />

Winterschlaf in der Tiefkühltruhe<br />

vorbereitet – bei minus 20 Grad<br />

Celsius. Doch der robuste Kerl<br />

trägt seinen Dienstherren selbst<br />

solche Torturen nicht nach. Er reagiert<br />

darauf mit gelassener Miene.<br />

Kein Wunder, Dr. Oscar ist schließlich<br />

ein Dummy – allerdings alles<br />

andere als dumm und zudem bemerkenswert<br />

sensibel (siehe Kasten:<br />

Dr. Oscars innere Werte).<br />

Dr. Oscar – sein seriöser Name<br />

lautet Klimamessdummy – dient<br />

den Pkw-Entwicklern im Team von<br />

Florian Kauf als Werkzeug. Seine<br />

118 Sensoren vermitteln ihnen ein<br />

präzises Bild über die Wärme- und<br />

Kälteverteilung sowie über die<br />

Luftströmungen im Fahrgastraum.<br />

Klimatisierungstests mit Dr. Oscar<br />

liefern keine wachsweichen Einschätzungen<br />

wie „vielleicht ein<br />

bisschen zu kühl“, oder aber „ich<br />

weiß nicht, zieht’s hier irgendwo?“,<br />

sondern glasklare Messwerte.<br />

> Der Behaglichkeit auf der Spur<br />

Dr. Oscars Sensorennetz erfasst<br />

drei Klimatisierungskenngrößen,<br />

die unser Behaglichkeitsempfinden<br />

im Fahrzeuginnenraum wesentlich<br />

bestimmen: nämlich Temperaturverteilung<br />

von Kopf bis Fuß,<br />

die Luftgeschwindigkeit und die<br />

Wärmestrahlung, die von den<br />

Oberflächen des Fahrzeuginnenraums<br />

und der Sonne ausgeht. Da<br />

alle Sensoren über Dr. Oscars Körper<br />

verteilt an der Oberfläche liegen,<br />

liefert der Dummy ein exaktes<br />

Abbild davon, welche klimatischen<br />

Bedingungen die Passagiere im<br />

Fahrzeuginnenraum verspüren ><br />

Gestatten,<br />

Dr. Oscar<br />

Ein Dummy macht<br />

Subjektives objektiv messbar<br />

118 Sensoren am Klimamessdummy<br />

„Dr. Oscar“ erfassen<br />

über seine Oberfläche hinweg<br />

verteilt die Temperatur, Luftgeschwindigkeit<br />

und Strahlungswärme<br />

von Oberflächen im<br />

Fahrzeug sowie von der Sonne.


<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 > Klimatisierung 59


60<br />

> Dr. Oscars innere Werte<br />

Der Klimamessdummy verfügt über drei Sensortypen. 32 Sensoren erfassen die<br />

Luftgeschwindigkeit, 73 Messfühler die Lufttemperatur und 13 so genannte<br />

Strahlungssensoren messen die Oberflächentemperatur von Flächen in der Sensorumgebung<br />

und detektieren Sonnenstrahlung. Dr. Oscars Ober- und Unterkörper<br />

sind vollständig getrennt – so lässt sich der aus einem Spezialkunststoff gebaute<br />

Dummy mit der Durchschnittskörpergröße eines Menschen für die Versuche<br />

leichter auf den Fahrzeugsitzen platzieren. Im Innern verbergen sich nicht<br />

nur die mehr als einen halben Kilometer langen Kabel zu den Sensoren,<br />

sondern auch die elektronischen Wandler. Diese digitalisieren die analogen Signale<br />

und leiten sie über einen Datenbus an einen externen Rechner weiter.<br />

würden. Sowohl die Entscheidung<br />

für diese drei Parameter als auch<br />

die Positionierung der Sensoren<br />

trafen die Klimatisierungsspezialisten<br />

mit Bedacht. „Es sind jene Größen,<br />

die wir bei der Fahrzeugklimatisierung<br />

direkt beeinflussen können,<br />

und die Sensorverteilung<br />

spiegelt die Bedeutung wider, die<br />

die jeweiligen Körperbereiche für<br />

das Klimaempfinden haben“, erläutert<br />

Jan Husser, der Dr. Oscars Einsatz<br />

in der Pkw-Entwicklung der<br />

Mercedes Car Group betreut.<br />

> Dummy auf Dienstreise<br />

In Dr. Oscars Arbeitsalltag geht es<br />

zwar weniger ruppig zur Sache als<br />

bei seinen Kollegen aus der Abteilung<br />

Crashtest, aber urgemütlich<br />

sind seine Einsätze nicht gerade:<br />

Testfahrten in der Mittagsglut des<br />

kalifornischen Death Valley gehören<br />

ebenso zum Pensum wie „Kaltlanderprobungen“<br />

– so der kühle<br />

Fachbegriff der Ingenieure für eine<br />

klirrend kalte Angelegenheit, nämlich<br />

winterliche Messfahrten im<br />

nordschwedischen Lappland.<br />

Auch während Dr. Oscars Heimateinsätzen<br />

in Sindelfingen geraten<br />

die Sensoren gelegentlich bis<br />

an die Grenzen des Messbereichs.<br />

Hier arbeiten die Ingenieure mit Dr.<br />

Oscar in Klimakanälen. Der Vorteil:<br />

Die Entwickler können jedes Fahrzeug<br />

den exakt gleichen Umgebungsbedingungen<br />

aussetzen, also<br />

in standardisierten Messreihen erproben,<br />

wie gut und schnell Hei-


<strong>Daimler</strong>Chrysler Hightech Report 1/2007 > Klimatisierung 61<br />

> Prima Klima<br />

Lieben Sie Vorurteile? Etwa, dass es Frauen eher kuschelig warm mögen während<br />

Männer sich gern eine kühle Brise um die Nase wehen lassen. Oder dass die Bewohner<br />

Spitzbergens ein anderes Temperaturempfinden haben als jene von Rio de Janeiro?<br />

Hierzu förderte der Däne Povl Ole Fanger Desillusionierendes zutage. Ein Verdienst des<br />

weltweit renommierten Experten für Raumklima-Forschung war es, mithilfe von unglaublich<br />

umfangreichen Messreihen auf der Basis von mehr als 1300 Probanden eine siebenstufige<br />

Behaglichkeitsskala für das Raumklima in Gebäuden zu definieren. Bei diesen<br />

Versuchen nahmen Männer wie Frauen und Menschen verschiedener Ethnien teil.<br />

Fangers Resümee: Ausgeprägter als geschlechtsspezifisch oder ethnisch begründete<br />

Unterschiede im Behaglichkeitsempfinden können jene zwischen zwei beliebig gewähl-<br />

zung und Klimaanlage in einem<br />

neuen Modell für wohlige Temperaturen<br />

und deren Regelungen für<br />

optimalen Klimakomfort sorgen.<br />

Dr. Oscars Aufgabe bei solchen<br />

Tests ist es etwa zu messen, wie<br />

lange die Heizung bei einem Kaltstart<br />

und einer Außentemperatur<br />

von minus 20 Grad Celsius benötigt,<br />

um auf Touren zu kommen, wie<br />

rasch die Klimaanlage einen auf 50<br />

Grad Celsius in der Sonne erhitzten<br />

Fahrzeugfond auf Wohlfühltemperatur<br />

herunterkühlt, und ob nicht<br />

durch eine ungünstige Luftströmung<br />

Zug entsteht.<br />

Während des Versuchs wandelt<br />

Dr. Oscars Elektronik die analogen<br />

Messsignale der Sensoren in digitale<br />

Werte um. Diese Daten häufen<br />

sich zunächst zu einem unüberschaubaren<br />

Zahlenwust an: Etwa<br />

alle zwei Sekunden liefert jeder der<br />

118 Sensoren einen über bis zu 20<br />

Einzelmessungen gemittelten Zahlenwert.<br />

Die bei einer nur halbstündigen<br />

Messreihe auflaufenden Einzelwerte<br />

würden als Tabellenausdruck<br />

ausreichen, um damit ein<br />

Großraumbüro hübsch tapezieren<br />

zu können. „Deshalb haben wir viel<br />

Mühe darauf verwendet, die Ergebnisse<br />

anschaulich aufzubereiten<br />

und darzustellen“, erläutert Hans-<br />

Herbert Flögel. Der Ingenieur aus<br />

Jürgen Maués Team in der <strong>Daimler</strong>Chrysler-Forschung<br />

ist sozusagen<br />

Dr. Oscars „Vater“.<br />

Am Bildschirm zeigt Flögel, wie<br />

selbst für einen Laien unmittelbar<br />

1<br />

2<br />

3<br />

erkennbar wird, ob Dr. Oscar wieder<br />

einmal unter kalten Füßen,<br />

klammen Händen am Steuer oder<br />

einem zu heißen Kopf leiden musste:<br />

Auf dem Monitor erscheinen Dr.<br />

Oscars Umrisse, und die Farbe seiner<br />

Körperoberfläche wechselt je<br />

nach aktuellem Messwert zwischen<br />

blau und rot. Ein hochroter<br />

Kopf steht beispielsweise für eine<br />

viel zu heiße Temperatur in diesem<br />

Bereich oder für unangenehm starke<br />

Zugluft um Dr. Oscars Nase.<br />

Doch um eine Schwierigkeit<br />

kommen auch die Klimatisierungsspezialisten<br />

um Jürgen Maué nicht<br />

herum, nämlich die Tatsache, dass<br />

wir Behaglichkeit subjektiv empfinden:<br />

Während der eine im T-Shirt<br />

sitzend gerne das Fenster öffnen<br />

würde, um sich Kühlung zu verschaffen,<br />

würde sein Pullover bewehrter<br />

Beifahrer am liebsten die<br />

Heizung zuschalten. Fast nirgendwo<br />

gilt das Dilemma, wonach man<br />

es niemals allen Menschen recht<br />

machen kann, strenger als hier.<br />

Die Forscher um Jürgen Maué<br />

fanden jedoch eine pragmatische<br />

6<br />

4<br />

5<br />

7<br />

8<br />

1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

5<br />

6<br />

7<br />

8<br />

ten Menschen und sogar für ein und denselben Menschen nach einem Dauerlauf oder<br />

bei einer Erkältung ausfallen. Klimatisierungsexperten sprechen hier von inter- und intraindividueller<br />

Variabilität. Und wer jetzt nicht genau wissen sollte, ob ihm gerade behaglich<br />

ist, kann dies dank Fangers Komfortgleichung auch mathematisch präzise entscheiden:<br />

f (M, I cl , v, t r , t a , P w ) = 0.<br />

Ist diese Bedingung erfüllt, dann fühlen Sie sich zumindest klimatisch pudelwohl.<br />

Zur Erläuterung: M ist der Parameter für die Stoffwechselrate. I cl steht für den Kleidungsindex.<br />

v repräsentiert die Luftgeschwindigkeit, t r die mittlere Strahlungstemperatur<br />

und t a die Temperatur der Umgebungsluft. P w bringt zum Schluss den Dampfdruck<br />

des Wassers in der Umgebungsluft ins Spiel.<br />

10 20 30 40<br />

Äquivalenztemperatur in °C<br />

Der ockerfarbene Korridor gibt für<br />

einzelne Körperregionen (Zeilen mit<br />

den Ziffern 1 bis 8) sowie für den gesamten<br />

Körper (oberste Zeile) den<br />

Komfortbereich an. Dargestellt ist hier<br />

die so genannte Äquivalenztemperatur<br />

– eine Klimasummengröße, die<br />

verschiedene thermische Parameter<br />

umfasst. Da wir Temperaturen sehr<br />

subjektiv empfinden, gilt dieser<br />

„Wohlfühlkorridor“ nur für 80 Prozent<br />

einer größeren Personengruppe.<br />

Beim Klimatisieren<br />

kann man es nicht<br />

allen Menschen recht<br />

machen – immerhin<br />

aber den meisten<br />

Lösung. Ihre Strategie: Man kann<br />

es zwar nicht den ausgeprägtesten<br />

„Frostbeulen“ und „Heißspornen“<br />

zugleich recht machen. Aber wenn<br />

man viele Menschen testet, ab<br />

wann es ihnen zu kalt, zu warm<br />

oder unter welchen Bedingungen<br />

es ihnen im Raum behaglich erscheint,<br />

und wenn man nun noch<br />

die beiden äußeren Flügelbereiche<br />

dieses Antwortspektrums ein wenig<br />

kappt, dann erhält man einen<br />

gut eingegrenzten Wohlfühlbereich,<br />

der immerhin für 80 bis 90<br />

Prozent aller Menschen gilt.<br />

> Wohlfühlkorridore ermittelt<br />

Also wurden freiwillige Probanden<br />

gebeten, sich ins Auto zu setzen,<br />

um zu beurteilen, wie behaglich ihnen<br />

das Innenraumklima erscheint.<br />

Inzwischen – viele Messreihen<br />

mit jeweils mehreren Dutzend<br />

Probanden im Kaltkanal, im<br />

Warmkanal, in der Klimakammer<br />

und während diverser Messfahrten<br />

später – verfügen die Klimatisierungsspezialisten<br />

über empirisch<br />

abgesicherte „Wohlfühlkorridore“<br />

– also Messkurven, die spezifiziert<br />

nach verschiedenen Körperregionen<br />

von Kopf bis Fuß die Komfortbandbreite<br />

für Temperatur, Luftanströmgeschwindigkeit<br />

und Strahlung<br />

markieren.<br />

Doch selbst für „Kälte- und<br />

Hitzeextremisten“ weiß Florian<br />

Kauf Rat: „Unsere Fahrzeuge bieten<br />

je nach Ausstattungskomfort<br />

bis zu sechs Temperaturzonen >


62<br />

Zum Einsatz kommt Dr. Oscar nicht nur auf Testfahrten, sondern auch in Klimazellen wie einer Kältekammer<br />

(rechts). Hier lassen sich reproduzierbare Temperatur- und Klimabedingungen schaffen, sodass<br />

sich zwei Messreihen – etwa mit unterschiedlichen Varianten der Fahrzeugklimatisierung – vergleichen<br />

lassen. Statt endloser Tabellen veranschaulichen Falschfarbendiagramme (links) das Messergebnis.<br />

> Behaglichkeit virtuell und experimentell prüfen<br />

Dem Klimatisierungskomfort messen die Fahrzeugentwickler<br />

von <strong>Daimler</strong>Chrysler einen besonders hohen<br />

Stellenwert bei. Behaglichkeit beim Fahren ist<br />

keineswegs nur purer Luxus. Denn ein optimal klimatisierter<br />

Fahrzeuginnenraum sorgt neben dem Wohlgefühl<br />

auch dafür, dass Aufmerksamkeit und Leistungsfähigkeit<br />

des Fahrers während längerer Reisen<br />

möglichst hoch bleiben.<br />

Die Realisation des Klimamessdummys durch die Forscher<br />

um Jürgen Maué ist für die Fahrzeugentwickler<br />

bei der Mercedes Car Group ein Meilenstein ihres Instrumentariums, mit dem sich der Klimatisierungskomfort<br />

eines neuen Modells objektiv messen und damit zuverlässig beurteilen lässt. Davor mussten sich die Ingenieure<br />

zum Beispiel mit Temperaturmessungen im Innenraum begnügen, wie sie etwa mit Kopfraum-Messspinnen und<br />

Fußraum-Messstellen möglich sind. Gar nicht oder nur sehr ungenau messbar waren komfortrelevante Luftströmungen<br />

im Fahrgastraum oder das thermische Abstrahlverhalten von Oberflächen wie der Instrumententafel.<br />

Die kombinierte Betrachtung der Messparameter ist wichtig<br />

Lediglich die Komponentengrößen – also die Leistungsdaten der Klimatisierungsaggregate – konnten die Entwickler<br />

exakt messen und bewerten. Für die Beurteilung des Klimakomforts mussten sie sich auf persönliche Werturteile<br />

und langjährige Erfahrung während der Fahrzeugerprobung mit vielen Testkilometern verlassen – und darauf bauen,<br />

dass sich ihr Eindruck mit dem Empfinden der späteren Klientel deckt.<br />

Diese Kluft zwischen Messbarem und Empfundenen schließt Dr. Oscar, indem er die subjektive Größe Behaglichkeit<br />

bewertbar macht. Sein Vorteil besteht zudem darin, dass sich drei Klimatisierungsparameter gleichzeitig messen<br />

lassen (Die drei Grafiken oben zeigen ein Beispiel für deren Messwertverteilung). Gerade in deren spezieller Kombination<br />

entscheidet sich, ob wir ein Fahrzeugklima als angenehm oder störend empfinden. Meteorologen drücken<br />

dies etwa im Begriff der „gefühlten Temperatur“ aus: So erscheint uns ein windstiller Wintertag bei Null Grad Celsius<br />

wesentlich wärmer als ein gleich kalter Tag, an dem der Wind mächtig bläst. Und das trocken-heiße Wüstenklima<br />

vertragen die meisten Menschen besser als feuchte Tropenhitze, die oft als drückend empfunden wird.<br />

Durchgängigkeit von der Simulation bis zum Test im Prototypen<br />

Im nächsten Schritt arbeiten die Klimatisierungsexperten daran, mit Hilfe eines Simulationsprogramms Vorhersagen<br />

zu treffen, wie sich der Mensch in dem Fahrzeug fühlen wird. „Es geht darum, die Rohdaten des Dummies<br />

einem bestimmten Komforteindruck zuzuordnen“, erläutert Maué. Die Ergebnisse aus den Probandenversuchen<br />

bilden daher auch die Grundlage für die Bewertungsalgorithmen dieses Simulationsprogramms.<br />

Schon heute werden im Rahmen der digitalen Absicherung der Modellentwicklung Phänomene wie Luftströme in<br />

der Fahrzeugkabine in Simulationsläufen berechnet und thermische Komfortaussagen abgeleitet, lange bevor der<br />

erste Prototyp auf Rädern steht. Durch Dr. Oscar lassen sich die Bewertungsalgorithmen sowohl für die Simulation<br />

als auch die Messung kontinuierlich verbessern. „Mit ihm ersetzen wir keineswegs die Erprobung im Fahrzeug und<br />

schon gar nicht die Bewertung menschlicher Tester. Aber wir erreichen mit der nie gekannten Durchgängigkeit von<br />

der Simulation bis zur Hardware einen noch höheren Reifegrad. Zudem finden wir optimale Lösungen bereits in der<br />

Konzeptphase. Das erspart uns spätere und daher teure Änderungen“, resümiert Florian Kauf.<br />

mit individuell anpassbaren Luftströmen.<br />

Da sollte sich wirklich jeder<br />

wohlfühlen können.“<br />

Die stattliche Sammlung empirischer<br />

Daten über das Klimaempfinden<br />

der Testpersonen wird kontinuierlich<br />

erweitert, um dem Geheimnis<br />

des subjektiv empfundenen<br />

Klimakomforts immer detaillierter<br />

auf die Spur zu kommen.<br />

Gleichzeitig dient sie als Referenz<br />

beim Interpretieren der von Dr. Oscar<br />

gesammelten Klimadaten: So<br />

lässt sich etwa erkennen, ob eine<br />

günstige Temperaturschichtung –<br />

die Faustregel der Klimatisierung<br />

lautet: kühler Kopf und warme Füße<br />

– auch bei wechselnden Umgebungstemperaturen<br />

oder zum Beispiel<br />

bei einseitiger Sonneneinstrahlung<br />

erhalten bleibt.<br />

> Komfortmängeln nachgehen<br />

Im Bereich der auf Zugluft sensibel<br />

reagierenden Körperregionen – etwa<br />

dem Schulter-Nackenbereich –<br />

schauen sich die Ingenieure die<br />

Anströmungsverhältnisse besonders<br />

genau an. Mehr noch, mit Dr.<br />

Oscars Hilfe können sie sogar nach<br />

Ursachen fahnden, also klären,<br />

welcher Effekt oder welche Komponente<br />

für einen im Versuch festgestellten<br />

Komfortmangel verantwortlich<br />

ist. So kann durch eine<br />

günstig platzierte Düsenöffnung<br />

oder optimierte Düsengeometrie<br />

Zug vermieden werden. Ein Zugempfinden<br />

könnte etwa im Nackenbereich<br />

auftreten, weil sich eine<br />

ungünstige Strömung im Fahrzeuginnenraum<br />

einstellt, die sich<br />

durch eine geänderte Luftverteilung<br />

beseitigen lässt. „Bei der neuen<br />

C-Klasse etwa“, so berichtet Jan<br />

Husser, „haben wir den Messdummy<br />

in der frühen Entwicklungsphase<br />

besonders intensiv eingesetzt<br />

und sind dabei auf ein Problem mit<br />

Zugluft an der Schuler gestoßen,<br />

dass sich anschließend leicht beheben<br />

ließ.“<br />

Schon deshalb hätte es Dr. Oscar<br />

verdient, dass man ihm ein zufriedenes<br />

Lächeln auf sein Kunststoffgesicht<br />

zaubert.<br />

>


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