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7 DISPUT - Die Linke

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Gemeinsam in der Ferne<br />

Vor 70 Jahren wurde die Bewegung Freies Deutschland in Mexiko gegründet<br />

Von Günter Buhlke<br />

Im Januar 2012 jährt sich der Gründungstag<br />

der Bewegung Freies<br />

Deutschland (BFD) zum siebzigsten<br />

Mal. Oftmals unter lebensbedrohenden<br />

Umständen waren die Emigranten<br />

nach Mexiko gelangt, wo sie mit ihren<br />

Mitteln den Widerstand gegen den<br />

Faschismus fortführten. <strong>Die</strong> deutsche<br />

Kulturnation ist diesen Emigranten ein<br />

Denkmal schuldig. Beide deutschen<br />

Staaten haben ihre Lebensleistungen<br />

noch nicht in angemessener Form gewürdigt.<br />

<strong>Die</strong> BFD wurde 1942 von politisch engagierten<br />

Männern und Frauen aus<br />

Deutschland und weiteren Ländern als<br />

Sammelpunkt und Ort des Meinungsaustausches<br />

im Kampf gegen die Naziideologie<br />

gegründet. Und auch, um<br />

sich gegenseitig zu unterstützen. Denn<br />

die Sorgen um das tägliche Überleben<br />

und um das Schicksal der in der Heimat<br />

Verbliebenen bedrückten die Emigranten,<br />

auch die klimatischen Bedingungen<br />

und das andere kulturelle Umfeld<br />

waren zu verkraften. <strong>Die</strong> Frauen<br />

der Emigrantenfamilien hatten schwere<br />

Lasten zur Ernährung der Familien<br />

und mit der schulischen Erziehung ihrer<br />

Kinder zu schultern. Maßgebend<br />

für die Gründung der Bewegung Freies<br />

Deutschland war die Erfahrung, dass<br />

Gemeinsamkeit stark macht.<br />

Hauptträger der BFD waren humanistisch<br />

gesinnte Menschen, viele Anhänger<br />

der kommunistischen und sozialdemokratischen<br />

Parteien. Dazu kamen<br />

die wegen ihres Glaubens verfolgten<br />

jüdischen Emigranten. <strong>Die</strong><br />

politische Aufklärungsarbeit, soweit<br />

sie unter den Bedingungen der Emigration<br />

möglich war, wurde in Mexiko von<br />

kommunistischen Führungspersönlichkeiten<br />

wie Paul Merker, Erich Jungmann,<br />

Alexander Abusch, Georg Stibi,<br />

Bruno Frei und Leo Katz (André Simone)<br />

geleistet. Zum Kern der BFD gehörten<br />

Künstler, Wissenschaftler, Humanisten<br />

wie Anna Seghers, Egon Erwin<br />

Kisch, Ludwig Renn, Bodo Uhse, Kurt<br />

Stern, Steffi Spira, Walter Janka, Laszlo<br />

Radvanyi und Gertrude Düby.<br />

Etwa zeitgleich gründeten politisch<br />

orientierte Emigranten in Argentinien<br />

die Organisation »Das Andere Deutschland«<br />

(DAD) mit ähnlichen Zielen. Zu einer<br />

Zusammenarbeit beider Bewegungen<br />

kam es 1943 nach der Gründung<br />

ANTIFASCHISMUS<br />

des »Lateinamerikanischen Komitees<br />

der freien Deutschen« in Mexiko-Stadt.<br />

<strong>Die</strong> BFD erhob keinen organisatorischen<br />

Führungsanspruch für alle deutschen<br />

Emigranten in Lateinamerika.<br />

Sie war Sammelpunkt verschiedener<br />

Gruppen wie dem Heinrich Heine Klub,<br />

dem Komitee Pro intercambio cultural<br />

Mexicano-Alemán und der Taller Gráfi -<br />

ca Popular. Engen Kontakt hielt sie zu<br />

den spanischen und italienischen Emigrantengruppen<br />

in Mexiko.<br />

In Lateinamerika wurden Emigranten<br />

aus 19 europäischen Ländern registriert.<br />

Für viele waren Mexiko oder andere<br />

lateinamerikanische Länder nicht<br />

die erste Station ihres gefahrvollen Weges.<br />

Davor lagen Fluchtstationen in der<br />

Tschechoslowakei, in Frankreich, England,<br />

Skandinavien, in Spanien oder in<br />

den USA, die sich oft reserviert verhielt.<br />

In Mexiko fanden die Emigranten günstige<br />

Bedingungen vor:<br />

• <strong>Die</strong> mexikanische Regierung verfolgte<br />

eine traditionell offene Asylpolitik,<br />

die bis zur Gegenwart anhält; mit Sorge<br />

betrachtet sie die Mauer der USA.<br />

• Staatspräsident Lázero Cardenas gab<br />

seinem Generalkonsul in Marseille, Gilberto<br />

Bosques, die Vollmacht, sofort Visa<br />

zu erteilen. Innerhalb von zwei Jahren<br />

stellte er Visa in einer fünfstelligen<br />

Zahl aus. Damit rettete er viele Menschen<br />

vor dem Zugriff deutscher Nazis.<br />

Mit ihrem Roman »Transit« setzte Anna<br />

Seghers Generalkonsul Bosques ein literarisches<br />

Denkmal.<br />

• Ein Teil der Emigranten hatte in Spanien<br />

gegen Franco aufseiten der legitimen<br />

spanischen Regierung gekämpft;<br />

sie waren im Besitz spanischer Reisepässe.<br />

• <strong>Die</strong> mexikanische Politik war und ist<br />

gegen jede Rassenideologie gerichtet.<br />

<strong>Die</strong> Regierung hatte sich frühzeitig auf<br />

die Seite der Anti-Hitler-Koalition gestellt.<br />

• <strong>Die</strong> Männer und Frauen der BFD<br />

konnten sich auf das humanistische<br />

Erbe Alexander von Humboldts stützen,<br />

das in Mexiko unvermindert präsent<br />

war.<br />

• Emigranten erhielten von der Arbeiter<br />

universität, dem Polytechnischen Institut,<br />

von der Landwirtschaftsschule in<br />

Chapingo und der Universität in Morelia<br />

Unterstützung.<br />

• Unterstützung fand die BFD bei mexi-<br />

kanischen Parteien, den Gewerkschaften<br />

und in Kreisen der Kulturschaffenden,<br />

so bei <strong>Die</strong>go Rivera, Frida Kahlo,<br />

David Alfaro Siqueiros.<br />

Zahlen und Fakten zur Bewegung<br />

Freies Deutschland:<br />

• 1940 und 1941: Sammlung und Formierung<br />

der Bewegung<br />

• 5. November 1941: erste Ausgabe der<br />

Emigrantenzeitschrift »Freies Deutschland«,<br />

später mit Korrespondenzen<br />

nach Südamerika, den USA (zu Brecht,<br />

den Gebrüdern Mann, Feuchtwanger<br />

und anderen) und weltweit. Der erste<br />

Chefredakteur war der Österreicher<br />

Bruno Frei. <strong>Die</strong> Zeitschrift erhielt Januar<br />

1946 den Namen »Neues Deutschland«.<br />

• November 1941: Gründung des Heinrich<br />

Heine Klubs mit Anna Seghers als<br />

Präsidentin. Als Stätte des deutschen<br />

Antifaschismus entwickelte er sich zu<br />

einer international beachteten Einrichtung.<br />

• Januar/März 1942: Gründung der Bewegung<br />

Freies Deutschland in Mexiko<br />

• Anfang 1943: Gründung des »Lateinamerikanischen<br />

Komitees der Freien<br />

Deutschen« als Zentrum der Länderkomitees.<br />

Ludwig Renn wurde sein Präsident,<br />

Paul Merker sein Generalsekretär.<br />

Der gemeinsame Wille, den Hitlerfaschismus<br />

zu bekämpfen, war der<br />

einigende Schwerpunkt. So konnten<br />

differierende politische Standpunkte<br />

zwischen der DAD und der BFD überwunden<br />

werden.<br />

• 1942: Gründung des Verlages »Das<br />

Freie Buch« (el libro libre). Hier erschienen<br />

als deutsche Erstveröffentlichung<br />

»Das siebte Kreuz« von Anna Seghers,<br />

»Marktplatz der Sensationen« von<br />

Egon Erwin Kisch, »Feindliches Frauenland«<br />

von Lion Feuchtwanger und<br />

»Der Irrweg einer Nation« von Alexander<br />

Abusch.<br />

<strong>Die</strong> Emigranten bestritten in Mexiko ihren<br />

Lebensunterhalt als Lehrer, Dozenten,<br />

Übersetzer, Fotografen, Berater,<br />

als Organisatoren, Autoren, Journalisten,<br />

im Handel und mit einfachen Büro-<br />

und Hilfsarbeiten.<br />

Der Historiker Wolfgang Kießling<br />

summierte die Zahl der Flüchtlinge,<br />

die ab 1933 nach Lateinamerika gingen,<br />

auf insgesamt etwa 10.000. Kom-<br />

<strong>DISPUT</strong> Januar 2012 40

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